Stürmische Zeiten in Golden Creek - Birgit Loistl - E-Book

Stürmische Zeiten in Golden Creek E-Book

Birgit Loistl

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Beschreibung

Cosy-Countryside Liebesroman in einer zauberhaften kanadischen Kleinstadt. Für Fans von »Virgin River« und »Northern Love« 

»Ich hätte nicht nach Golden Creek zurückkommen sollen. Wer kehrt schon gerne an den Ort zurück, an dem einem das Herz herausgerissen wurde.« 

Lou und Cooper waren unzertrennlich, bis Cooper einen schweren Unfall hatte und sie aus seinem Leben strich. Fünfzehn Jahre später hat der ehemalige Snowboardstar seine Jugendliebe Lou immer noch nicht vergessen, und als er sie zufällig auf einem Datingportal wiedersieht, kann er nicht anders und schreibt sie unter einem Pseudonym an. Doch dann macht ihm das Schicksal wieder einmal einen Strich durch die Rechnung, denn plötzlich taucht Lou in Golden Creek auf. Können die beiden ihre Vergangenheit hinter sich lassen und endlich ihr Liebesglück finden? 

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© Piper Verlag GmbH, München 2024

Redaktion: Susann Harring

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Traumstoff Buchdesign traumstoff.at

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

Playlist

Prolog

1

2

3

4

5

6

7

8

9

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11

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Epilog

Danksagung

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

»How do you spell love?«

»I don´t spell it. I feel it.«

Winnie the Pooh

Playlist

Dystany – Miia

Last Hope – Paramore

I Guess I´m in Love – Clinton Kane

You Broke Me First – Tate McRae

Someone You Loved – Lewis Capaldi

Dancing With a Ghost – Sasha Alex Slaon

How Does a Moment Last Forever – Celine Dion

How Do You Sleep – Sam Smith

Somewhere Only We Know – Keane

I Write Sins Not Tragedies – Panic! At the Disco

Heartbreak Feels So Good – Fall out Boy

Dear Maria, Count Me In – All time low

Fallen Leaves – Billy Talent

I Miss You – Blink 182

Hooligan – The Smashing Pumpkins

Don’t Look Back in Anger – Oasis

Heart-Shaped Box – Nirvana

Bitter Sweet Symphony – The Verve

Human – The Killers

Otherside – Red Hot Chili Peppers

Creep – Radiohead

Girls & Boys – Blur

Every You Every Me – Placebo

Prolog

Louisa Thompson15 Jahre zuvor

Erik Thompson hielt den roten Pick-up direkt vor der Notaufnahme des Squamisch General Hospital und warf ihr einen mürrischen Blick zu. Lou beachtete ihren Vater nicht weiter, sondern öffnete die Tür und sprang aus dem Wagen. Dann warf sie die Beifahrertür hinter sich zu und lief, so schnell sie konnte, zum Eingang des Krankenhauses.

Sie verschwendete keinen einzigen Gedanken mehr an die Standpauke ihres Vaters, die er ihr gerade während der Fahrt von Calgary nach Golden Creek gehalten hatte. Schließlich hatten sie sich die letzten acht Stunden über kaum etwas anderes als ihr Liebesleben unterhalten. Aber letztendlich zählte nicht, ob er mit ihrer Entscheidung einverstanden war oder nicht, sondern, dass er trotz der weiten Entfernung die lange Fahrt auf sich genommen hatte. Acht verflucht lange Stunden, die ihr wie eine Ewigkeit vorgekommen waren.

Lou stürmte durch die Eingangstür, vorbei an Schwester Claire, die sich gerade mit einem Patienten unterhielt und kurz den Kopf hob, als sie Lou entdeckte. In den letzten Wochen war sie der Krankenschwester schon einige Male begegnet, deshalb schenkte sie ihr nur ein kleines Lächeln und rannte weiter. Einen Moment hielt sie inne, dann entschied sie sich dafür, die Treppe in den dritten Stock zu nehmen, anstatt mit dem Aufzug zu fahren, und stürmte ins Treppenhaus.

Als sie oben angekommen war, riss sie die Tür zur Unfallchirurgie auf und lief den Gang entlang, bis sie auf Coopers Zimmer am Ende stieß.

Dort sah sie Luke, der auf einem blauen Plastikstuhl im Flur saß und zu Boden sah. Er sah mitgenommen aus. So wie fast jeden Tag in den letzten Wochen.

»Hey«, keuchte sie und blieb stehen.

Luke riss den Kopf nach oben, sogleich umspielte ein Lächeln seine Lippen. »Hey. Du bist tatsächlich gekommen.«

»Was glaubst du denn? Dad ist die halbe Nacht durchgefahren.« Dann hielt sie inne und strich sich eine rotblonde Haarsträhne, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte, aus dem Gesicht. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie sie auf ihn wirken musste: Ihre Jeans waren an den Knien aufgerissen, ihr Shirt zerknittert, und ein paar Flecken Kakao, den ihr Vater an der Tankstelle mitgenommen hatte, waren darauf zu sehen. Vermutlich sah sie aus wie ein verschlafener Waschbär. Sie hatte sich weder die Zähne geputzt noch die Haare gekämmt. Dafür war keine Zeit gewesen, nachdem sie heute Nacht den entscheidenden Anruf erhalten hatte. Keine Sekunde hatte sie mehr warten wollen. Denn sie hatte lange genug gewartet. Auf diese drei Worte.

Coop ist aufgewacht.

Lou wollte zu ihm. Nach all der langen Zeit des Wartens wollte sie ihm endlich wieder in die Augen sehen. Ihn küssen. Ihn festhalten und niemals wieder loslassen.

Aber jetzt, nachdem sie endlich angekommen war, war sie sich nicht mehr sicher, ob er sie überhaupt sehen wollte. Zweifel konnten grausam sein. Was, wenn er sich nicht mal mehr an sie erinnerte?

»Wo ist dein Vater jetzt?«, fragte Luke, stand auf und steckte die Hände in die Hosentasche. Lou trat noch einen Schritt nach vorne.

»Er verbringt den Tag bei Ms Alice. Wir müssen später wieder nach Calgary zurück.«

Luke kaute auf seiner Unterlippe, während sich eine bedrückende Stille um sie legte. Sie war so aufgeregt, dass sie kaum einen klaren Gedanken fassen konnte.

»Erzähl mir alles. Wann ist er aufgewacht? Hat er nach mir gefragt? Wie geht es ihm?« Sie konnte sich kaum noch bremsen, so viele Fragen wirbelten ihr durch den Kopf. Lou konnte es immer noch kaum glauben – Cooper hatte es geschafft.

Aber als sie Luke ansah, blieb ihr Gedankenstrudel wie auf Kommando stehen. Ein seltsamer Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Fast wie ein Schatten, der sich darauf breitmachte. Sein Schweigen verunsicherte sie. Mehr, als sie zugeben wollte.

Coopers bester Freund starrte zu Boden und bewegte sich nicht. Ja, es schien fast, als atmete er nicht einmal mehr.

»Luke? Sprich mit mir. Was ist mit ihm?«

Jamie schluckte und rieb sich die Hände. Er hatte die Schultern nach oben gezogen und mied ihren Blick. Man musste kein Psychologe sein, um zu erkennen, wie unwohl er sich gerade fühlte.

»Verdammt noch mal, Luke!« Jetzt klang ihre Stimme ein wenig lauter. Aber sie hörte das Zittern heraus. Sie hasste diese Unsicherheit. Diese unsagbare Angst, die sie seit dem Unfall verfolgte.

»Vor zwei Tagen«, flüsterte er.

Lou spürte, wie ihr jegliche Farbe aus dem Gesicht wich. Sie taumelte nach hinten und ließ sich auf einen der Plastikstühle sinken.

»Was?«

Beschämt sah Luke sie an. »Er ist vor zwei Tagen aufgewacht.«

Zwei Tage. Zwei verdammte Tage, und keiner hatte ihr Bescheid gegeben? Sie wäre sofort gekommen. Sie wäre alleine nach Golden Creek gefahren, selbst mitten in der Nacht. Aber niemand hatte es für nötig erachtet, sie zu informieren.

Luke strich mit den zertretenen Turnschuhen quietschend über den Fußboden. Er sah sie immer noch nicht an, und Wut kochte in ihr auf.

»Cooper ist vor zwei Tagen aufgewacht, und du hast mich nicht informiert?«

Luke riss den Kopf nach oben, in seinem Blick lagen so viel Reue und Mitgefühl, dass ihr ganz anders wurde. Sie kannte Luke schon ihr ganzes Leben lang. Sie waren Freunde. Er war Coopers bester Freund. All die Jahre waren sie unzertrennlich gewesen, und jetzt hatte er ihr nicht einmal gesagt, dass er es geschafft hatte? Nach all den Wochen, in denen sie nicht wusste, ob er überleben würde? Nach all den Stunden, die sie in diesem Krankenhaus verbracht hatte? Die Nächte, die sie an seinem Bett verbracht hatte?

»Er wollte es nicht, okay? Ich habe es versucht, das musst du mir glauben. Ich habe ihm versprechen müssen, dass ich dich nicht anrufen werde. Es tut mir wirklich leid, Lou.«

Acht Wochen war der Unfall nun her. Acht Wochen, in denen Cooper im Koma gelegen hatte. In dieser Zeit war sie fast jedes Wochenende von Calgary nach Golden Creek gefahren und hatte an seinem Bett gewacht, ihm Geschichten erzählt, seine Hand gehalten. Manchmal hatte sie sich sogar zu ihm ins Bett gekuschelt und die Schwestern gebeten, ein Auge zuzudrücken. Dann hatte sie ihn geküsst – wieder und wieder – und ihm gedroht, erst wieder damit aufzuhören, wenn er endlich aufwachte.

Sie liebte Cooper, und er empfand dasselbe für sie, das wusste Lou. Warum also hatte er nicht gewollt, dass Luke sie anrief? Ihr gingen so viele Gedanken durch den Kopf. Ihr Vater hatte ihr gesagt, dass er während des Krankenhausbesuchs bei Ms Alice sein würde.

Dabei wusste Lou, dass das nicht stimmte. In Wahrheit befand er sich am Grab ihrer verstorbenen Mutter und würde dort bleiben, bis die Sonne unterging. Lou hatte ihn eines Tages dort entdeckt, als sie nach einem Besuch bei Cooper ein wenig nachdenken musste. Sie war durch Golden Creek gelaufen, und ihre Beine hatten sie geradewegs zum Friedhof geführt. Dort hatte sie ihn gesehen. Mit geschlossenen Augen hatte er, gegen den Grabstein gelehnt, im Gras gesessen My Girl von den Temptations gesummt und sich nicht bewegt. Ihn so zu sehen hatte ihr ein wenig das Herz gebrochen.

Ihr Dad hatte Golden Creek den Rücken gekehrt, um die schmerzlichen Erinnerungen loszuwerden, aber wie es schien, holten diese ihn immer wieder ein.

Ihr Blick fiel auf die Krankenhaustür, und der Schmerz bohrte sich tief in ihre Brust. Bei jedem Besuch hatte sie gehofft, dass die Ärzte Neuigkeiten für sie hätten, und sie hatte Rosie, Coops Tante, angebettelt, ihr sofort Bescheid zu geben, sobald er aufwachen würde.

Sie hatte es ihr versprochen. Jedes Mal. Und jetzt, da es so weit war, hatte niemand sie angerufen. Keiner von diesen verdammten Creeks.

Ihr Dad hatte es von Ms Julie erfahren. Gestern Abend, als sie beim Abendessen gesessen und das Telefon geklingelt hatte.

Es war ein belangloses Gespräch gewesen. Über das Wetter, die bevorstehende Wintersaison, der ewige Zwist zwischen Ms Julie und ihrer alten Freundin Ms Alice.

Bis Coopers Name gefallen war.

Lou hatte nicht vorgehabt, dieses Wochenende nach Golden Creek zu fahren. Das Auswahlverfahren für das College stand bevor, und ihr war die Entscheidung so schwergefallen, bis ihr Vater sie schließlich für sie getroffen und Lou für die UoC angemeldet hatte.

Aber als Ms Julie angerufen und am Telefon verkündet hatte, dass Cooper endlich aufgewacht war, hätte sie nichts und niemand zurückhalten können. Lou hatte sofort Luke angerufen, der anfangs gezögert hatte. Sie hatte ihm die Wahrheit quasi aus der Nase ziehen müssen und sich ein wenig über seine Zurückhaltung gewundert, war aber davon ausgegangen, dass Luke die gute Neuigkeit einfach nicht hatte glauben können. Doch dann hatte er Coopers Zustand bestätigt, und Lou war ein Stein vom Herzen gefallen. Trotzdem hatte sie gespürt, dass etwas nicht stimmte.

Er wollte es nicht. Ich habe es versucht, aber ich habe ihm versprechen müssen, dass ich dich nicht anrufen werde. Es tut mir wirklich leid, Lou.

Der Schmerz machte sich in ihrem Inneren breit und schien wie Säure alles zu zerfressen.

Cooper wollte sie nicht sehen. Sie schluckte den Schmerz hinunter und hob das Kinn.

»Wie geht es ihm?« Lou versuchte ruhig zu bleiben. Sie würde nicht weinen. Nicht vor Luke, nicht hier im Krankenhaus.

Luke betrachtete sie einen Moment. »Gut. Richtig gut sogar.« Er lächelte kurz, dann hielt er inne. Lou schmerzte der Gedanke, dass er nicht einfach ehrlich zu ihr war.

»Die Ärzte waren erstaunt, aber er ist über den Berg. Sein Bein wird wohl steif bleiben. Er wird nicht mehr snowboarden können.« Dann lächelte Luke wieder. »Er wird wieder, Lou.«

Louisa biss sich auf die Unterlippe. Ihm ging es gut, das war das Wichtigste. Vielleicht würde er sie ja sehen wollen, wenn er wüsste, dass sie sich auf den weiten Weg zu ihm gemacht hatte.

»Warst du schon bei ihm?«

Luke schüttelte den Kopf. »Heute noch nicht. Seine Eltern sind jetzt bei ihm. Sie sind gestern Abend in Golden Creek angekommen. Ich schätze, die Stimmung ist alles andere als ausgelassen.«

Wieder spürte sie einen Stich. Coopers Eltern hatten immer viel Wert darauf gelegt, dass ihr Sohn alles gab, um ein erfolgreicher Sportler zu werden. Nichts war wichtiger gewesen. Auch die Gesundheit ihres Sohnes nicht. Als Coop vor zwei Jahren die Olympischen Spiele in Golden Creek gewonnen hatte, war ihr Wunsch in Erfüllung gegangen. Seitdem galt Cooper als der Goldjunge von Golden Creek.

Bis der Unfall geschah. Lou konnte sich an die wenigen Male erinnern, die seine Eltern ihren Sohn im Krankenhaus besucht hatten.

»Macht es dir etwas aus, wenn ich vor dir hineingehe?«

»Hör mir kurz zu, Lou«, begann Luke, dann hielt er inne. Er rieb sich den Nacken und presste den Kiefer zusammen.

»Du solltest da wirklich nicht hineingehen.«

Lou lachte laut auf. »Ich bin acht Stunden in diesem verflixten Pick-up gefahren, Luke. Ich hatte keine Minute Schlaf und bisher auch nichts zu essen. Das Einzige, was ich will, ist, Cooper zu sehen.«

»Aber ich sagte dir doch, dass er dich nicht sehen will. Er wird ausflippen, wenn er erfährt, dass du hier bist.«

»Aber ich bin seine Freundin!«, schrie sie, unfähig, sich länger zurückzuhalten. »Wenn ihm unsere Beziehung nichts mehr bedeutet, dann soll er es mir verdammt noch mal selbst sagen!« Verdammt! Sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen, und versuchte mit aller Kraft, sie zurückzuhalten.

»Himmel, Lou, mach es mir doch nicht so schwer. Er will dich nicht sehen. Jetzt nicht und auch später nicht. Genau so hat er es zu mir gesagt.«

Lou schluckte und spürte, wie ein Schauer über ihren Rücken lief.

»Moment mal …« Ein hysterisches Lachen stieg in ihr empor. »Du machst für ihn mit mir Schluss? Hier im Krankenhaus? Willst du mich verarschen?«

Luke sah ziemlich zerknirscht aus, aber Lou hatte gerade nicht den Nerv, sich darüber Gedanken zu machen.

»Es ist besser so, Lou. Das mit euch hätte gar keinen Sinn mehr gehabt. Die Entfernung und …«

»Halt die Klappe, Luke Brandson. Sei verdammt noch mal einfach still! Ich brauche dein bescheuertes Mitleid nicht.« Tränen schwammen in ihren Augen, und ihr Blick fiel auf die Tür zu Coopers Zimmer. Am liebsten wäre sie hineingestürmt, aber sie wusste, dass sie sich so nur Ärger mit Coopers Eltern einhandeln würde.

Aber alles in ihr kochte. Von ihrem Schmerz einmal abgesehen. Den versuchte sie so gut es ging zu verdrängen. Damit konnte sie sich später auseinandersetzen. Allein. In ihrem Zimmer mit einer großen Packung Ben & Jerry’s.

»Ich weiß im Moment gar nicht, wer von euch beiden erbärmlicher ist. Er, weil er nicht den Mut hat, es mir persönlich zu sagen, oder du, weil du immer noch alles machst, was er von dir verlangt.«

»Das ist nicht fair, Lou.«

»Nein, ist es nicht. Aber was ist schon fair?« Sie ließ den Kopf hängen und atmete ein paarmal tief ein und aus. Es hatte im Moment keinen Zweck, sich mit ihm zu streiten. Vielleicht brauchte Coop einfach ein wenig Zeit. Er hatte eine Menge durchgemacht, und bestimmt war es für ihn alles andere als einfach, damit klarzukommen. Der Unfall hatte ihm mit einem Schlag seine Zukunft geraubt. Alles, was er sich je erträumt hatte, alles, wofür er so hart gearbeitet hatte, war mit einem Mal verloren.

Ja, vielleicht brauchte er einfach nur ein wenig Zeit.

»Okay«, sagte sie schließlich. Das alles war noch nicht beendet, und schon gar nicht ließ sie zu, dass Luke in Coopers Namen mit ihr Schluss machte. Aber jetzt musste sie vernünftig sein. Es nutzte niemandem etwas, wenn sie hier Theater machte. Sie würde morgen noch mal kommen. Dad musste alleine nach Calgary zurückfahren, und sie würde die Nacht bei Ms Alice verbringen. Oder bei ihrer Freundin Chloe. Sie würde einen Weg finden, sich mit Coop auszusprechen.

Plötzlich überkam sie unendliche Traurigkeit. Cooper war nie ein Feigling gewesen. Schon immer hatte er für sich selbst eingestanden, war bei seiner Tante in Golden Creek zurückgeblieben, als seine Eltern beschlossen, zurück nach Quebec zu ziehen. Er hatte alles darangesetzt, seinen Traum zu erfüllen.

Wenn er also Luke bat, die Beziehung für ihn zu beenden, dann musste mehr dahinterstecken.

Und Lou würde herausfinden, was es war.

1

Heute

SweetGirl16: Ich habe ein Date.

Kurt69: Du datest nicht.

SweetGirl16: Falsch. Wir daten nicht. Ich alleine date sehr wohl.

Kurt69: Sorry, mein Fehler. Okay, wen datest du?

SweetGirl16: Verrate ich dir nicht.

Kurt69: Warum erzählst du es mir dann?

Kurt69: ?

SweetGirl16: Vielleicht, weil ich will, dass du es dir anders überlegst?

Kurt69: Was soll ich mir anders überlegen?

SweetGirl16: Das mit uns.

Kurt69: Was ist mit uns?

SweetGirl16: Sei doch nicht so begriffsstutzig. Wir könnten uns endlich einmal persönlich kennenlernen.

Kurt69: Du hast heute Abend ein heißes Date. Warum willst du dich mit mir treffen?

SweetGirl16: Weil wir seit drei Monaten schreiben und du jedes Mal abblockst, wenn ich ein Date auch nur erwähne.

SweetGirl16: Ich würde dich wirklich gerne kennenlernen.

SweetGirl16: Kurt?

Sweet1Girl6: Hallo?

SweetGirl16: ???

2

Louisa Thompson sah ihn, bevor er sie bemerkte. Er saß alleine an der Bar, an einem Glas nippend, den Blick starr auf den Tresen gerichtet. Der Barkeeper sagte etwas zu ihm, doch als er nicht reagierte, drehte jener sich kopfschüttelnd um und kümmerte sich nicht weiter um ihn.

Er trug einen schwarzen Anzug, als käme er gerade von einer Beerdigung. Sehr elegant. Designerware. Ganz sicher nicht von der Stange. Vielleicht Armani oder Dolce & Gabbana. Lou hatte ein Auge für so was. Männer in Anzügen waren ihre ganz persönliche Schwäche.

Er hatte seine Krawatte gelockert, und die weißen Hemdsärmel waren bis zu den Ellenbogen aufgerollt.

Sonnenblonde Haare, im Nacken etwas zu lang, bildeten einen starken Kontrast zu seiner gebräunten Haut. Es wirkte fast so, als hätte er sich die Haare gerauft. Gedankenverloren spielte er mit einem Kronkorken. Er schien in seine eigene Welt versunken zu sein, ohne etwas um sich herum wahrzunehmen.

Lou ging einen Schritt auf ihn zu, die Blicke der anderen Gäste ignorierend. An einem Freitagabend saßen in der Bar des Rixton Hotels in Calgary überwiegend Geschäftsmänner, die den Abend mit schönen Frauen verbrachten, deren Namen sie am nächsten Morgen nicht mehr wussten. Lou war diese Art Mann durchaus bekannt, und sie legte keinen großen Wert darauf, von ihnen angesprochen zu werden. Sie hatte in der Vergangenheit genug Dates gehabt, und mit ein paar der Männer hatte sie auch ein paar heiße Nächte verbracht. Am nächsten Tag waren sie jedoch allesamt wieder aus ihrem Leben verschwunden. Es war nicht so, dass sie keine Beziehung wollte, nur dass sie bisher nicht den Richtigen dafür gefunden hatte. Falsch. Sie hatte ihn gefunden – vor sehr langer Zeit. Aber dann hatte er die Beziehung beendet, seitdem hatte Lou ihn nicht mehr wiedergesehen. Mittlerweile war es so lange her, dass sie sich manchmal fragte, ob Coop nicht sogar ihrer Fantasie entsprungen war.

Momentan war Kurt69 der einzige Mann, der in ihrem Leben eine Rolle spielte. Was, ehrlich gesagt, sehr bemitleidenswert war, wenn man bedachte, dass sie sich seit drei Monaten über die Dating-Plattform kissandhug schrieben und er bisher nicht den Wunsch verspürt hatte, sie näher kennenzulernen.

Ihre Schwester Emma hatte sie überredet, sich im Internet bei kissandhug anzumelden. Anfangs war Lou skeptisch gewesen. Ihre Abneigung hatte eine Weile angehalten, bis sich eines Tages Kurt69 bei ihr meldete.

Er hatte sie sofort fasziniert. Dabei war er niemand, der mit Worten um sich schmiss, prahlte oder das ständige Bedürfnis hatte, sich in den Mittelpunkt zu stellen. Kurt69 legte eine bewundernswerte Ruhe an den Tag und schaffte es, ihr das Gefühl zu geben, alles erreichen zu können. Er las ihre Nachrichten, wenn sie sich den Frust von der Seele schreiben musste, und teilte ihr unverblümt seine Meinung mit.

Er vermittelte ihr das Gefühl, endlich angekommen zu sein, was vollkommen verrückt war, denn sie wusste nichts über ihn. Weder seinen richtigen Namen noch, wo er lebte, oder gar, wie er aussah. In seinem Profil stand hinter seinem Beziehungsstatus: Single, aber sicher konnte sie sich da natürlich nicht sein.

Er war wie ein Buch mit sieben Siegeln für sie, und die Tatsache, dass es ihn nicht einmal störte, dass sie heute ein Date hatte, versetzte ihr einen Stich.

Es schien ihm vollkommen egal zu sein. Also, warum sollte sie darauf warten, dass er sie näher kennenlernen wollte?

Allerdings war es ihr ein Rätsel, warum er dann überhaupt seine Zeit mit ihr vergeudete.

Lou seufzte, strich sich eine rotblonde Haarsträhne aus dem Gesicht und warf einen kurzen Blick auf ihr Handy.

Nichts.

Keine Nachricht in ihrem kissandhug-Account. Keine E-Mail. Nicht einmal eine Whatsapp-Nachricht. Als sie sein Profil anklickte, sah sie sein neues Bild mit dem Logo der Vancouver Canucks. Somit wusste sie zumindest eine Sache: Kurt69 war ein Eishockeyfan.

Obwohl Lou es nicht gerne zugab, sie hätte dieses Date sofort abgesagt, wenn Kurt69 sie darum gebeten hätte. Wenn das mal nicht total bescheuert war.

 

Lou steckte ihr Handy zurück in ihre Manteltasche und hob das Kinn. Sie bemerkte eine Handtasche von Louis Vuitton, die rechts von dem Kerl an der Bar, ein wenig im Schatten, stand. Und ein zweites, volles Whiskeyglas. Einen Moment lang blieb sie stehen und sah sich um, konnte seine Begleitung aber nirgends entdecken.

Langsam schlenderte sie zu ihm und setzte sich neben ihn auf den freien Barhocker.

»Peter, schön, Sie wiederzusehen.«

Der Mann hob den Kopf, dann breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus, aber es erreichte seine Augen nicht. Lou hatte nicht das Gefühl, dass er sich freute, sie zu sehen.

»Lou! Danke, dass Sie so spontan Zeit hatten.« Er streckte ihr die Hand hin, die sie lächelnd annahm.

»Die Verspätung tut mir leid. Ein Unfall auf der Malcon Road. Mein Taxifahrer war kurz davor, Amok zu laufen. Es hat eine Ewigkeit gedauert, ans andere Ende der Stadt zu kommen.«

Er lächelte, eine Reihe strahlend weißer Zähne entblößend.

»Machen Sie sich keine Gedanken. Sylvie macht sich schnell frisch, sie müsste jeden Moment zurück sein. Möchten Sie etwas trinken?«

Sie nickte und entschied sich für ein Glas Chardonney. Während Peter dem Barkeeper Bescheid gab, warf sie einen weiteren kurzen Blick auf ihr Handy. Das Display zeigte noch das Gleiche wie wenige Minuten zuvor: nichts.

Es interessiert ihn überhaupt nicht, dass ich mich mit einem anderen Mann treffe. Warum beende ich das Ganze nicht einfach?

Sie hatte gelogen, als sie ihm von ihrem Date erzählt hatte. Na ja, nicht wirklich gelogen, aber zumindest hatte sie die Wahrheit ein wenig verdreht. Schließlich handelte es sich hier um ein geschäftliches »Date«, aber spielte das überhaupt eine Rolle? Sie hatte gehofft, Kurt ein wenig aus der Reserve zu locken, wenn sie ihm davon erzählte, aber wie schon von ihr vermutet, war er überhaupt nicht näher darauf eingegangen. Warum hatte sie es überhaupt erwartet?

Vielleicht war das für ihn nichts weiter als ein netter Zeitvertreib. Während er in einem schicken Haus mit einem Haufen Kinder, einer wunderschönen Frau und einem Hundewelpen saß, machte er sich einen Spaß daraus, sie zum Narren zu halten.

Na ja, daran glaubte sie nicht wirklich. Aber warum hatte er sich auf einer Dating-Plattform angemeldet, wenn er überhaupt kein Interesse an einem Date hatte? Nicht nur, dass er keine Beziehung suchte, er hatte nicht einmal beiläufig erwähnt, dass er ausschließlich Sex mit ihr wolle. Er war also weder auf der Suche nach einer festen Bindung noch nach einem One-Night-Stand. Nicht mal um ein Foto hatte er sie gebeten. Warum also hatte er sie dann angeschrieben? Vielleicht stimmte irgendwas nicht mit ihm? Dass auch sie kein einziges Foto von ihm zu Gesicht bekommen hatte, beunruhigte sie jetzt ein wenig, obwohl sie das die ganze Zeit nicht gestört hatte. Vielleicht war er ja ein Freak? Ein Serienkiller, der sich seine Opfer in den sozialen Netzwerken suchte? Oder einfach nur ein Nerd, der sich hinter seinem Computer und einem Haufen Comics versteckte? Wie auch immer, sie hatte alle Register gezogen, um ihn zu einem Treffen zu überreden, aber jedes Mal hatte er abgeblockt.

Oder sie geghostet und einfach nicht mehr geantwortet.

Ihre beste Freundin Chloe hatte ihr schon unzählige Male geraten, die Finger von dem Kerl zu lassen.

Der Typ ist echt schräg drauf. Den solltest du ziehen lassen, Lou, und dir einen Kerl suchen, der kein Problem damit hat, wenn man ihm in die Augen schaut. Vielleicht ist er ja einer von diesen Holzfällern aus Alaska. Ich habe erst letztlich eine Dokumentation auf NBC über sie gesehen. Sie leben zurückgezogen in einer Hütte in den Wäldern und haben wochenlang keinen Kontakt zur Außenwelt. Ziemlich gruselig, oder? Wer weiß, was in diesen Hütten alles geschieht.

Im Wald hat man gewöhnlich kein WLAN, hätte sie am liebsten geantwortet, aber sie wollte nicht näher darauf eingehen. Abgesehen davon, hasste Lou Vorurteile. Sie hatte in der Vergangenheit selbst damit leben müssen und sehr darunter gelitten.

Aber Lou musste auch zugeben, dass sie selbst schon mit dem Gedanken gespielt hatte, den Kontakt zu Kurt69 abzubrechen. Nicht, weil sie vermutete, dass er ein Serienkiller sein könnte, sondern weil sie spürte, dass sie immer mehr für ihn empfand. Das lag größtenteils an seinem Charme. Und an seiner Art, sie zum Lachen zu bringen. Und an seiner Intelligenz. Es gab einiges, was ihr an ihm gefiel.

Spielte es denn überhaupt eine Rolle, wie er aussah?

In ihrem Kopf hatte sie sich ein eigenes Bild von Kurt gemacht. Wobei sie nicht einmal wusste, ob das sein wahrer Name war. Das Letzte, was sie wollte, war, sich in einen Kerl zu verlieben, der letztendlich nichts von ihr wissen wollte. Ihr war schon einmal das Herz gebrochen worden, und sie hatte sich geschworen, dass in Zukunft sie selbst es war, die die Reißleine ziehen würde.

Gerade als sie das Handy zurück in ihre Tasche fallen ließ, entdeckte sie Sylvie, die an die Bar zurückkam.

»Lou, schön, dass Sie es so spontan einrichten konnten.« Sie schüttelten sich die Hände.

»Wollen wir uns vielleicht einen Tisch suchen? Dann können wir alles in Ruhe besprechen.«