Fürsten-Roman 2716 - Anna-Marie Michels - E-Book

Fürsten-Roman 2716 E-Book

Anna-Marie Michels

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Beschreibung

Auf dem malerischen Landgut Ludwigshof an der Müritz findet Künstlerin Antonia Brenner, genannt Toni, nach einer toxischen Ehe zu sich selbst und ihrer Kunst zurück. Sie genießt die neue Freiheit und blüht in der inspirierenden Umgebung des Guts auf. Doch ein verheerender Brand zerstört ihr Künstlerhaus und stellt ihre Unabhängigkeit infrage. Gezwungen, die Großzügigkeit von Julius von Straub, dem jüngeren Bruder ihres Stipendiengebers, anzunehmen, findet sie sich in einer neuen ungewissen Situation wieder. Julius, der attraktive und undurchschaubare Graf, zieht Toni auf eine Weise an, die sie nicht erwartet hätte. Obwohl er sich als fürsorglich und verständnisvoll zeigt und sogar behauptet, ihre Kunst zu lieben, bleibt Toni misstrauisch. Ihre traumatische Ehe hat tiefe Spuren hinterlassen und lässt sie an Juliusʼ Absichten zweifeln. Besonders ein Bild, Tonis "Selbstporträt einer zerrissenen Frau", wird zum Sinnbild ihrer Geschichte ...

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Inhalt

Cover

Das zerstörte Selbstporträt

Vorschau

Impressum

Das zerstörte Selbstporträt

Für eine Künstlerin wird es zum Symbol der Befreiung

Von Anna-Marie Michels

Auf dem malerischen Landgut Ludwigshof an der Müritz findet Künstlerin Antonia Brenner, genannt Toni, nach einer toxischen Ehe zu sich selbst und ihrer Kunst zurück. Sie genießt die neue Freiheit und blüht in der inspirierenden Umgebung des Guts auf. Doch ein verheerender Brand zerstört ihr Künstlerhaus und stellt ihre Unabhängigkeit infrage. Gezwungen, die Großzügigkeit von Julius von Straub, dem jüngeren Bruder ihres Stipendiengebers, anzunehmen, findet sie sich in einer neuen ungewissen Situation wieder. Julius, der attraktive und undurchschaubare Graf, zieht Toni auf eine Weise an, die sie nicht erwartet hätte. Obwohl er sich als fürsorglich und verständnisvoll zeigt und sogar behauptet, ihre Kunst zu lieben, bleibt Toni misstrauisch. Ihre traumatische Ehe hat tiefe Spuren hinterlassen und lässt sie an Julius' Absichten zweifeln. Besonders ein Bild, Tonis »Selbstporträt einer zerrissenen Frau«, wird zum Sinnbild ihrer Geschichte ...

Julius von Straub stand am Ufer des Bodensees und starrte auf das silbrig glitzernde Wasser hinaus. Weiße Segelboote zogen an ihm vorbei. Die Sonne strahlte am wolkenlos blauen Himmel, und die majestätischen Alpen bildeten einen atemberaubenden Hintergrund.

Doch von all dieser Schönheit bemerkte Julius nichts.

Zwei seiner Mitarbeiter montierten die alten Bohlen eines halb verfallenen Stegs ab, um sie durch neue zu ersetzen. Die Firma J. v. Straub Wasserbau hatte sich innerhalb kürzester Zeit einen Namen für exzellente und saubere Arbeit beim Bau und der Sanierung von Wassersport-Steganlagen erworben.

Doch auch den Steg nahm er gerade nicht wahr. Viel zu unglaublich war das, was er soeben erfahren hatte.

Mit einem unangenehmen Schweregefühl im Bauch und einem panischen Kribbeln im Nacken presste er sich das Handy ans Ohr. Alles um ihn herum schien zu verschwimmen, während er mit seinem älteren Bruder sprach.

»Du willst ... was?«, fragte Julius fassungslos, und jetzt schien es, als müsste die Frage zuerst über tausende Kilometer und Seemeilen hinweg nach New York transportiert werden.

Die Verbindung war schlecht. Es knackte und rauschte und dauerte viel zu lange.

Nervös strich er sich durchs kurze mittelbraune Haar und beschattete die grünblauen Augen mit der freien Hand. Plötzlich schien ihm das sonnige Wetter unpassend hell.

Endlich hörte er seinen Bruder seufzen.

»Julius, ich weiß, dass es für dich nicht ideal ist, aber wir bleiben hier. New York ist für die Kunstwelt the place to be! Es tut mir leid, dass nun alles an dir hängenbleibt, aber du musst mich verstehen ...«, begann Christopher von Straub, der Erbe des Grafen von Straub, Eigentümer des Landgutes Ludwigshof an der wunderschönen Müritz.

»Nicht ideal?«, unterbrach Julius ihn und streckte den Rücken durch, als müsste er sich wie in seiner Jugendzeit vor der Familiengeschichte behaupten. Sein dunkelblaues Jackett spannte über den breiten Schultern. Vierzig Jahre war er jetzt alt, hatte sein eigenes Unternehmen aufgebaut und zum Erfolg geführt, und dennoch fühlte er sich immer noch wie der kleine, unbedeutende Bruder des Erben. »Du kannst doch das Familienunternehmen nicht einfach sich selbst überlassen.«

Der alte Graf von Straub, Julius und Chris' Vater, hatte den Antiquitätenhandel der Familie gegründet. So wie Chris, besaß auch er einen ausgeprägten Kunstsachverstand, der Julius vollständig abging. Sie sahen etwas in alten Möbeln, Gemälden und Kunstgegenständen, das Julius schlicht nicht bemerkte. Doch weil von frühester Jugend an klar gewesen war, dass es Chris war, der das Unternehmen nach dem Ausscheiden des Vaters weiterführen sollte, hatte sich auch niemand die Mühe gemacht, ihn in die Geheimnisse einzuweihen, die aus einer Vase ein Einrichtungs-Accessoire für eines der größten und schmuckvollsten Schlösser Europas machten.

Denn das war die Kundschaft der Familie von Straub: Schlossbesitzer und Angehörige des europäischen Geldadels, die mit den Antiquitäten der von Straubs ihre Burgen, Châteaus und Schlösser noch perfekter, ja noch kostbarer ausstatteten.

Diese Kundinnen und Kunden wollten von Ihresgleichen beraten werden und gaben sich nur mit absolutem Luxus zufrieden. Sie waren ganz anders als die weitaus bodenständigere Kundschaft von Julius' Wasserbauunternehmen, die solide Handwerkskunst verlangte, was sie jederzeit von ihm bekam. Keine Kunst, keine Schnörkel, nur gut gebaute Stege und Wassersportanlagen.

Julius strich sich beruhigend über die Stirn. »Das kann nicht dein Ernst sein.«

Wieder hörte er Chris leise seufzen. In der knisternden Verbindung war nun auch das Geräusch des dichten New Yorker Verkehrs zu hören. Im Hintergrund hörte man Polizeisirenen heulen.

»Und was sagt Bea dazu?«, fragte er hoffnungsvoll.

Beate Frei hatte als Christophers Assistentin im Familienhandel angefangen, als dieser vor gerade einmal einem halben Jahr Geschäftsführer geworden war. Kurz, nachdem ihre Eltern den Söhnen das Haus überschrieben hatten und im Ruhestand auf Weltreise gegangen waren. Bea und Chris hatten sich sofort verstanden. Schon nach kürzester Zeit hatte Chris der Familie offenbart, sie seien ein Paar. Julius hatte sich mit ihm gefreut und sogar die überraschende Blitzhochzeit ohne großartige Feier, wie sie bei den von Straubs üblich gewesen wäre, vor den Eltern verteidigt.

Doch dass sie von der Hochzeitsreise nun nicht zurückkehrten, sondern in New York eine Kunstgalerie eröffneten, hatte er nicht kommen sehen.

»Bea ist begeistert!«, hörte er die Stimme seiner Schwägerin, die offenbar mitgehört hatte. »Die Galerie ist ein Traum! Und hier gibt es so viele talentierte Künstlerinnen und Künstler!« Sie klang so aufgeregt, dass Julius ihr die Freude fast gönnte. Ihr schon, aber sein Bruder müsste es eigentlich besser wissen ...

»Chris, du wirst hier gebraucht! Was ist mit dem Landgut? Das leitet sich nicht von allein.«

»Ach, Julius, mach dir nicht so viele Sorgen! Der Antiquitätenhandel läuft praktisch von allein. Wir haben so viele Kunden und wirklich gute Angestellte. Bea und ich lassen uns ab und zu die Abrechnungen schicken. Wenn wir dazu kommen neben der Galerie ...«

Er hörte Bea lachen, doch Chris schien sie mit Zischen zum Schweigen zu bringen. Waren die beiden betrunken? Julius sah auf die Uhr. In New York war es früh morgens. Wahrscheinlich ging nur die Euphorie mit ihnen durch. Chris war schon immer ein impulsiver Mensch gewesen. Eine echte Künstlerseele, wie seine Mutter gerne betonte.

»Und was den Ludwigshof betrifft ... Kannst du gelegentlich nach dem Rechten sehen? Du bist viel näher dran als wir.«

»Ich wohne am Bodensee!«, erwiderte Julius aufgebracht.

Der Gutshof lag mitten in Mecklenburg-Vorpommern.

»Und wir leben jetzt in New York.« Chris schnaubte, und Julius musste das Handy vom Ohr nehmen, als eine weitere Sirene durchs Telefon schallte. »Sorry, Julius, aber das ist nicht verhandelbar. Ein Leben lang bin ich auf die Interessen unserer Eltern gedrillt worden. Aber jetzt, mit Mitte vierzig und mit Bea an meiner Seite, baue ich mir etwas Eigenes auf.«

Julius' Blick fiel auf das glitzernde Wasser des Sees, auf das Schilf am Ufer und die modrigen Bohlen des Stegs. Wenn er sich die Alpen wegdachte, konnte er genau so auch an der Müritz zu stehen. Einsam, haltlos, gefangen in einer Familie, die ihren Söhnen alles abverlangt hatte, obwohl er nur ein dummer Junge gewesen war.

Sein Hals schnürte sich zu. Sein Magen verkrampfte.

»Dann schiebst du alles auf mich ab?«, fragte er mit einer Stimme, die viel zu dünn war.

Es hatte seinen Grund gehabt, warum er direkt nach der Ausbildung nach Bayern gegangen war. Die Distanz war die beste Ausrede gewesen, nur zu den dringendsten Anlässen auf den Ludwigshof zurückzukehren. Seit seine Eltern auf Weltreise waren, hatte es überhaupt keinen Grund mehr gegeben.

Am Bodensee hatte er sich etwas aufgebaut, und Julius wusste, wenn Chris nach Amerika ging, verlor er selbst seine Freiheit. Sein Vater, der Graf von Straub, würde niemals erlauben, dass der Antiquitätenhandel in fremde Hände fiel. Einer der Brüder musste den Familienbetrieb übernehmen.

Und dieser Bruder war jetzt also er ...

Julius von Straub, Wasserbauer, Kunstbanause und mit vierzig Jahren noch immer das schwarze Schaf der Familie.

Als Chris sich überschwänglich verabschiedete und die Verbindung unterbrach, wusste Julius, dass sich sein Leben gerade grundlegend änderte. Ob er dafür bereit war oder nicht.

Julius' Rückkehr auf den Ludwigshof war unumgänglich.

Natürlich gab es objektiv schlimmere Orte, an denen man wohnen konnte. Der alte Gutshof, der seit Generationen im Familienbesitz und nach der Wiedervereinigung liebevoll renoviert worden war, lag außerhalb einer kleinen, idyllischen Ortschaft am Ufer der Müritz. Der grünblau schimmernde See war von den oberen Fenstern des wie ein kleines Wasserschloss aufragenden Haupthauses zu sehen. Das Gut hatte sogar einen Bootsanleger samt hölzernem Bootshaus, das der alte Graf jedoch von einer örtlichen Firma instand halten ließ, anstatt seinen Sohn zu beauftragen.

Nun, jetzt wurden sie eben zur örtlichen Firma.

Ich bin der Verwalter des Anwesens, dachte Julius grimmig.

Einige Wochen lang hatte er versucht, von Bayern aus die Aufgaben im Antiquitätenhandel und in der Verwaltung des Landguts mit den Belangen seiner Wasserbaufirma in Einklang zu bringen. Es war ihm schnell über den Kopf gewachsen.

Also hatte er zähneknirschend beschlossen, dass die anderen von Straubs sowieso in der Weltgeschichte herumreisten und er genauso gut den Ludwigshof nach seinen Bedürfnissen einrichten konnte.

Sechs Wochen nach dem denkwürdigen Telefonat mit seinem Bruder stand er also hier und sah sich von der Freitreppe des Haupthauses aus um. Links von ihm funkelte der See zwischen den alten Bäumen hindurch. Rechts zog sich eine Reihe von Gebäuden um den begrünten Innenhof, die aus demselben roten Backstein erbaut waren und dieselben Verzierungen an den Giebeln aufwiesen wie das dreistöckige Haupthaus.

Auf dem Gelände des Landgutes gab es genügend ehemalige Stallungen und Gesindehäuser, um seine Firma nach Mecklenburg-Vorpommern zu holen und zu kombinieren, was eigentlich nicht zueinander passte: Kunst und Handwerk. Antiquitäten und modernste Steganlagentechnik. Sein bisheriges Leben und die Aufgaben, die man ihm einfach aufgedrückt hatte.

Bis auf einige Angestellte, die zu stark in Bayern verwurzelt waren und nun dort eine kleine Filiale führten, hatten fast alle Mitarbeitenden zugesagt, ihn zu begleiten. Schon in zwei Wochen würde sein Team die leerstehenden Gesindehäuser in Büros und Werkstätten umbauen. Die Häuser mussten zuerst ausgeräumt, manche saniert oder renoviert werden, doch Julius war entschlossen, diesen Gutshof zu seinem zu machen.

Im hinteren Bereich, der wegen einer Baumgruppe von hier aus nicht zu erkennen war, würden mehrere kleine und in seiner Erinnerung verfallene Gebäude für eine größere Lagerhalle weichen. Wasserbau erforderte viel Material, Maschinen und Ausrüstung. Das konnten sie nicht in den alten Stallungen unterbringen.

Zu diesem abgelegenen Teil des Gutes machte er sich jetzt auf den Weg, um sich ein Bild davon zu verschaffen und eine der Altlasten seines Bruders in Angriff zu nehmen. Denn eines der Häuschen war bewohnt, und Julius musste dem Mieter kündigen.

Wobei Mieter nicht das richtige Wort war. Schließlich zahlte der Mann keine Miete. Vielmehr erhielt er sogar Geld aus dem Vermögen des Landgutes. Es war Christophers Idee gewesen: ein Künstlerstipendium mit einem kleinen monatlichen Betrag und freier Logis in einer eigens eingerichteten Künstlerresidenz. Ein Liebhaberprojekt seines kunstbegeisterten Bruders, das sicher gut gemeint war, jetzt aber leider der Notwendigkeit wich, dass Julius Platz brauchte.

Wenn er das Landgut, den Familienbetrieb und sein eigenes Unternehmen gleichzeitig leiten sollte, musste er eben Entscheidungen treffen.

Der Kies knirschte unter Julius' Schuhen, während er an den niedrigen Häusern entlangging. Die Gutsverwaltung war im Haupthaus untergebracht, doch im ersten, sehr kleinen Gesindehaus zu seiner Rechten befanden sich Lagermöglichkeiten für die Gerätschaften des Gärtners und eine Werkstatt für die am Haus beschäftigten Handwerker. In einem zweiten, etwas größeren Gebäude, an das ein trockener Lagerraum anschloss, war der Antiquitätenhandel untergebracht. Geräusche wie von einem Schleifgerät drangen aus der integrierten Tischlerei und Möbelrestauration an Julius' Ohr. Bald würde hier noch mehr Betrieb herrschen, wenn auch die Wasserbauer das Material für den Stegbau zuschnitten.

Schließlich kam er an den kleinen Zwischenbereich aus altem Baumbestand, in dem Chris und er sich als Kinder gerne versteckt hatten. Am Ast einer Ulme hing noch die vom Wetter gezeichnete Schaukel, der er nun nicht mehr vertrauen würde. Wie oft hatte Chris ihm hier sitzend erzählt, er würde mit seiner Kunst die Welt erobern? Dem Namen der von Straubs alle Ehre machen.

Schon damals hatte Julius sich insgeheim gefragt, wie er selbst in dieses Bild passte. Vermutlich gar nicht.

Seufzend straffte er sein Jackett und ging weiter um das kleine Waldstück herum, sodass die drei verfallenen Häuschen in Sicht kamen.

Toni Brenner. So hieß der Künstler, den er vor die Tür setzen musste. Der Mann tat ihm leid. Daher wollte er nicht lange um den heißen Brei reden, sondern ihm ganz nüchtern, aber freundlich die Fakten erklären. Er musste die Lage verstehen.

Dem Namen nach zu urteilen, erwartete Julius einen Mann mittleren Alters oder älter, und wie er Christopher kannte, war es ein unterbezahlter, aber etablierter Künstler, der es auch anderswo schaffen konnte. Anders als Julius hatte Chris großen Kunstsachverstand. Er würde sich nicht mit einem Newcomer zufriedengegeben.

Insofern ging er davon aus, dass das Gespräch unangenehm, aber nicht allzu schmerzhaft sein würde. Schließlich hatte er nicht vor, den Mann von jetzt auf gleich vor die Tür zu setzen, sondern er würde ihm genügend Zeit lassen, sich eine Wohnung zu suchen.

Nur das Stipendium würde natürlich nicht fortgesetzt werden.

Während er näher trat, musste Julius zugeben, dass das schmale Haus, das Chris seinem Stipendiaten zugedacht hatte, weit weniger verfallen aussah, als er es in Erinnerung hatte. Ein niedriger, weißlackierter Zaun fasste den traditionellen Vorgarten ein, in dem unzählige Blumen und Stauden blühten, sodass der Anblick des kleinen Backsteinhauses, das von Ranken umspielt war, fast schon selbst ein Kunstwerk darstellte.

Beinahe schade, es für den Hallenbau niederreißen zu müssen.

Auf einer Staffelei am Rande der kleinen Terrasse stand ein Bild, an dem wohl gearbeitet wurde. Die hölzerne Eingangstür stand offen.

Mit leisem Bedauern beugte sich Julius über das Gartentörchen, um es zu öffnen. Jetzt tat es ihm leid, dass er dem Mann seinen Arbeitsort nahm. Doch für die Liebhaberprojekte seines kunstversessenen Bruders, für die seine Eltern stets alles möglich gemacht hatten, war in Julius' Leben kein Platz.

In dem Moment, als er sich aufrichtete, trat jemand aus der Tür.

Überrascht hielt Julius inne.

Das war nicht der Künstler, obwohl das farbbekleckerte weiße Herrenhemd und die Farbpalette darauf hindeuteten.

Das war kein älterer Mann, noch nicht einmal ein junger Kerl. Nein, es war eine bildhübsche Frau Mitte dreißig mit intensiven, hellgrauen Augen, einem gleichmäßigen hellen Teint und zarten Lippen, die im Sonnenlicht rosa schimmerten. Die honigblonden Haare hatte sie am Hinterkopf mit einer Spange zusammengesteckt, und einzelne Strähnen fielen ihr ins Gesicht.

Überrascht blickte sie ihm entgegen, und er konnte nicht anders, als diese zierliche Figur unter dem Herrenhemd zu bewundern, die sich schemenhaft abzeichnete und durch die dünnen Beine in hellblauen Leggins betont wurde.

Noch nie hatte er derart direkt auf eine Frau reagiert. Kein einziges Wort hatte er mit ihr gewechselt, und schon schien ihr Blick ihn tief in seinem Herzen zu treffen, und er fragte sich, wie es sich anfühlte, wenn diese feingliedrigen Finger über seine Haut strichen.

Unsinn!

Es mussten die Verunsicherung und der Umzugsstress sein, die das mit ihm machten. Normalerweise war er der Typ Mann, der Frauen erst kennenlernte und sich in ihren Charakter verliebte, anstatt so wie jetzt hier zu stehen, und sie mit halboffenem Mund anzustarren.

Julius riss sich zusammen.

»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie mit leicht gerunzelter Stirn und einer Stimme, so samtig und süß wie flüssiger Honig.

Er musste sich davon abhalten, sie abermals anzustarren.

»Äh, ja ... ja sicherlich«, stammelte er. »Ich suche Toni Brenner. Ich bin Julius von Straub ...« Er brach ab, als sich ihre großen, von dichten Wimpern umstandenen Augen überrascht weiteten.

Dieser Blick! Das wunderschöne Gesicht! Fast vergaß er, weswegen er hier war.