Gardelegen 1945 - Dokumentation des Unfassbaren - Torsten Haarseim - E-Book

Gardelegen 1945 - Dokumentation des Unfassbaren E-Book

Torsten Haarseim

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Beschreibung

Unfassbar ist, was in Gardelegen im April 1945 geschah. Unfassbar die Qualen der Ermordeten, unbegreiflich der Grund. Warum ließ Gerhard Thiele, ein Lehrer, ein Ehemann und Vater diese Menschen bestialisch ermorden, wenige Stunden bevor amerikanische Soldaten die Stadt erreichten? Es war die Ideologie, die Ideologie des Nationalsozialismus. Viele Deutsche fühlten sich in dieser Zeit einer Moral verpflichtet, die die Erniedrigung, Verfolgung und Vernichtung anderer Menschen forderte und nicht verurteilte. Heinrich Himmler am 4. Oktober 1943 in seiner Posener Rede vor ausgewählten SS-Männern: „Wir hatten das moralische Recht, wir hatten die Pflicht gegenüber unserem Volk, dieses Volk, das uns umbringen wollte, umzubringen.“ Der Holocaust-Überlebende Primo Levi: „Es gibt Ungeheuer, aber sie sind zu wenig, als das sie wirklich gefährlich werden könnten. Wer gefährlich ist, das sind die normalen Menschen.“

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Seitenzahl: 120

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar. 

Nachdruck oder Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Verlages gestattet. Verwendung oder Verbreitung durch unautorisierte Dritte in allen gedruckten, audiovisuellen und akustischen Medien ist untersagt. Die Textrechte verbleiben beim Autor, dessen Einverständnis zur Veröffentlichung hier vorliegt. Für Satz- und Druckfehler keine Haftung. 

Impressum 

Torsten Haarseim, »Gardelegen 1945 – Dokumentation des Unfassbaren« 

www.edition-winterwork.de 

© 2015 edition winterwork 

Alle Rechte vorbehalten. 

Umschlag: Torsten Haarseim 

Titelbild: Holzschnitt (Ausschnitt) von Joachim Pick, Maler, Bildhauer und Domkurator 

Druck/E-BOOK: winterwork Borsdorf 

ISBN Print 978-3-86468-902-4

Gardelegen 1945 – Dokumentation des Unfassbaren 

Torsten Haarseim 

Vorwort  

Am 27. Mai 1925 wurde Frans Jonghbloet in Herentals, Belgien geboren.[1] Ende Dezember 1942 wurde er auf der Grundlage des „Nacht- und Nebel-Erlasses“ Adolf Hitlers verhaftet. Als „N+N“-Häftling war Frans Jonghbloet in verschiedenen Haftanstalten inhaftiert, bevor er im Januar 1945 in das Konzentrationslager Groß Rosen überführt wurde. Kurz danach wurde das Lager evakuiert und er wurde zusammen mit vielen anderen Häftlingen dem Konzentrationslager Mittelbau-Dora überstellt.[2] Die Familien der „Nacht- und Nebel-Häftlinge“ erhielten zu keiner Zeit Auskünfte oder Informationen über den Verbleib ihrer verschleppten Angehörigen.  

Am 25. März wurde Frans Jonghbloet dem Mittelbau-Dora-Außenlager Ilfeld zugeteilt, welches kurz danach, am 4. April 1945, in Richtung Nordosten evakuiert worden ist.  

Frans Jonghbloet wurde am 13. April 1945 Opfer des Massakers in der Feldscheune Gardelegen. Er war einer von über eintausend Menschen verschiedener Nationen, die in Gardelegen ermordet wurden. 

Das Schicksal dieser Menschen wird in diesem Buch umfassend beschrieben, im Gedenken an die Ermordeten und zum Nachdenken über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft.  

Kapitel 1 Der Hannover-Stöcken-Transport 

Zehn Tage nach der Landung der Alliierten in der Normandie, am 17. Juni 1944, erließ der Reichsführer SS Heinrich Himmler eine Weisung, die die Sicherheitslage in den Konzentrationslagern betraf. 

Bild 1: Reichsführer SS Heinrich Himmler in Magdeburg, 1944 

Quelle: Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, LHASA, MD, C 20 I, Ib Nr. 334 Bd. 6 

Himmlers Erlass „Sicherung der Konzentrationslager A-Fall“ besagte, dass die Höheren SS-und Polizeiführer (HSSPF) bei Annäherung des Feindes sofort und uneingeschränkt das Kommando über die Konzentrationslager in ihren Bereichen übernehmen sollten.[3]

Bereits Mitte 1944 wurden daraufhin durch die Höheren SS- und Polizeiführer Pläne für die Rückführung der Arbeitskräfte aus den Konzentrationslagern ins Reichsinnere aufgestellt.  

Das Konzentrationslager Neuengamme, zu dem auch das Außenlager Hannover-Stöcken gehörte, lag im Herrschaftsbereich des Höheren SS- und Polizeiführers SS-Obergruppenführer Georg-Henning Graf von Bassewitz-Behr.  

Bild 2: SS-Obergruppenführer Graf von Bassewitz-Behr Quelle: http://media.offenes-archiv.de/ss2_2_bio_1946.pdf 

Der Höhere SS- und Polizeiführer (HSSPF) Nordsee und in den Gauen Hamburg, Osthannover, Schleswig-Holstein, Weser-Ems und im Wehrkreis X, Graf von Bassewitz-Behr, erließ daraufhin am 5. Mai 1944 den „Organisationsbefehl für den SS-Fall“.[4]

Im Falle einer Luft- oder Seeinvasion regelte der Befehl die Bekämpfung von Ausländerunruhen der Zwangsarbeiter und die Zusammenziehung, Bewachung und Rückführung ausländischer Arbeiter und Häftlinge ins Reichsinnere, um die Arbeitskräfte zu erhalten.  

Der „SS-Fall“ beinhaltete laut dem Befehl drei Alarmstufen, die durch Fernschreiben, LS-Sondernetz, Fernsprecher und gegebenenfalls durch Funk mit Hilfe von Stichwörtern ausgelöst werden sollten.[5]

Die Alarmstufe 1 „Allgemeiner Alarmzustand“ sollte mit dem Stichwort „FALKE“ ausgelöst werden und eine erhöhte Aufmerksamkeit, die Vernichtung der Akten sowie eine Urlaubssperre für die Lager-SS nach sich ziehen.  Die Alarmstufe 2 „Durchführung von Sicherungsmaßnahmen“, Stichwort „ADLER“, würde die erhöhte Alarmbereitschaft nach sich ziehen.  Und schließlich sah die Alarmstufe 3 „Beginn der Rückführungen“ mit dem Stichwort „NACHTEULE“ den Abmarsch der Häftlinge zu noch zu befehlenden Zielen vor.  

Ende März 1945 trat der „SS-Fall“ ein. Die alliierten Truppen näherten sich Münster und von Bassewitz-Behr gab „FALKE“ aus. 

Gemäß Buchstabe J) Allgemeine Richtlinien dieses Befehls, Punkt 4: „[…]ist von der Waffe überall dort sofort Gebrauch zu machen, wo Widerstände entgegengesetzt werden oder wo ein Gegner mit der Waffe in der Hand angetroffen wird. Andererseits ist jedes unnötige Blutvergießen zu vermeiden.“[6]

Einen zentralen Räumungsbefehl für die Konzentrationslager von Himmler, von Hitler oder anderer zentraler Stelle gab es nicht. 

Das Konzentrationslager Hannover-Stöcken grenzte unmittelbar an die Akkumulatorenfabrik AFA des Wehrwirtschaftsführers Günther Quandt. Hier mussten KZ-Häftlinge unter unmenschlichen Bedingungen U-Boot-Batterien herstellen.[7]

In den frühen Morgenstunden des 6. April 1945 überschritten die Amerikaner die Weser und würden am Abend Bückeburg, knapp vierzig Kilometer westlich von Hannover, erreichen. Um 7 Uhr erschien ein SS-Offizier im KZ Hannover-Stöcken und übergab dem Lagerkommandanten, SS-Hauptsturmführer Kurt Klebeck, den Räumungsbefehl. Es war der SS-Obersturmführer Stöhr, welcher vom Neuengammer Außenlager Watenstedt-Salzgitter kam und das Stichwort „NACHTEULE“ übermittelte. Nach Aussage des SS-Obersturmführers Stöhr wurde dieser konkrete Räumungsbefehl vom territorial zuständigen HSSPF Mitte im Wehrkreis XI, SS-Obergruppenführer sowie General der Waffen-SS und Polizei Ernst Rudolf Querner, mit Dienstsitz in Braunschweig ausgegeben.[8]

Gemäß den Anweisungen im „SS-Fall“ sollte das Lager nach Ausgabe des Stichwortes „NACHTEULE“ unmittelbar in Marsch gesetzt werden. Im Laufe des Tages wurde Proviant an die Häftlinge ausgegeben. Am 7. April, morgens um 3 Uhr, ging es los. Alle marschfähigen Häftlinge, über 1.300 Menschen, mussten ein letztes Mal auf dem Appellplatz antreten. Der Rapportführer, SS-Untersturmführer Paul Maas, brüllte über den Platz, dass alle Fluchtversuche während des Marsches mit der sofortigen Erschießung geahndet würden. Maas gab dem Lagerältesten weiße Armbinden aus, die dieser an alle Kapos und einige andere Deutsche weitergab. Sie sollten einen Ordnungsdienst während des Marsches durchführen. Dann setzte sich die Kolonne in Bewegung. Langsam bewegten sich die unterernährten, erschöpften Häftlinge vom Lagerplatz.[9]

Wenige Tage zuvor waren aus dem Hauptlager Neuengamme mit weißen Bussen vom Schwedischen Roten Kreuz mehrere hundert kranke KZ-Häftlinge in das Außenlager Hannover-Stöcken gebracht worden. 

Bild 3: Weißer Bus des Schwedischen Roten Kreuzes 

Quelle: http://ww2gravestone.com/general/bernadotte-folke 

Hintergrund dieser Transporte war die sogenannte „Aktion Weiße Busse“. Heinrich Himmler hatte mit Graf Bernadotte vom Schwedischen Roten Kreuz eine Geheimvereinbarung zur Ausfuhr schwedischer und dänischer KZ-Häftlinge nach Dänemark getroffen. Zunächst wurden die skandinavischen Häftlinge mit den weißen Bussen nach Neuengamme geholt. Auf den Fahrten in die Außenlager und die anderen Konzentrationslager mussten die Schweden kranke und schwache Häftlinge vom KZ Neuengamme mitführen. Viele dieser Häftlinge starben.[10]

Bild 4: die „Aktion Weiße Busse“ 

Quelle: http://media.offenes-archiv.de/zeitspuren-sam-fotorettungweissebusse.pdf 

Auf diese Weise kamen im März 1945 zirka 400 bis 450 kranke Häftlinge nach Hannover-Stöcken.[11] Insgesamt waren nach dem Abmarsch der dazu noch fähigen Häftlinge jetzt noch 568 Kranke im Lager.  

Gemäß den Anweisungen im „SS-Fall“: „[…]sollten die kranken, marschunfähigen KZ-Häftlinge nach Möglichkeit mit der Eisenbahn oder Kraftfahrzeugen in die als Sammellager bestimmten Plätze überführt werden. Sofern dies nicht möglich sei, sollten sie den örtlichen Polizeidienststellen übergeben werden.“ Der Lagerkommandant des Konzentrationslagers Hannover-Stöcken, SS-Hauptsturmführer Kurt Klebeck, hatte sich am 6. und 7. April vergeblich bei verschiedenen Dienststellen um Fahrzeuge für den Abtransport der kranken Häftlinge bemüht. Schließlich setzte er sich dann mit dem Polizeirevier in Stöcken in Verbindung, woraufhin am 8. April 1945 mehrere Luftschutz-Polizisten zur Bewachung in das Außenlager geschickt wurden.  

Dann wurde auf dem Werksgleis der AFA, auf Betreiben der Geschäftsführung der Akkumulatorenfabrik, wie Kurt Klebeck der Lagerkommandant später aussagte, ein Güterzug bereitgestellt.  

Die Polizisten begannen die Häftlinge in die acht Güterwaggons zu treiben. Viele waren halb nackt, sie hatten nur Krankenhemden an. Einige blieben tot liegen. Jeweils siebzig Kranke wurden in einen Waggon gepfercht. Vierundzwanzig Häftlinge waren schon so schwach, dass sie auf Bahren in die Waggons gehoben wurden. Dann warf man noch drei bis vier Laibe Brot in jeden Waggon geworfen. Die stärkeren KZ-Häftlinge kämpften um das Brot. Seit dem 6. April hatten sie nichts mehr zu essen und zu trinken bekommen. Wasser gab es nicht. Dann verschloss man die Waggons. Am Abend setzte sich der Zug in Bewegung und verließ das Lager in Richtung Osten.  

Im Lager fand man nach der Abfahrt des Zuges etwa 180 Tote vor, die auf dem Seelhorster Friedhof verbrannt wurden. 

Der Zug fuhr nur ein paar Minuten, dann hielt er auf dem Bahnhof Hannover-Herrenhausen schon wieder an. In der Nacht ging der Bahntransport weiter. Er kam durch Fallersleben und Wolfsburg und fuhr immer weiter in Richtung Osten.  

Am Morgen des 9. April um 6 Uhr hielt der Zug erneut. Er hielt auf dem kleinen Bahnhof der Ortschaft Mieste, achtzehn Kilometer westlich der Stadt Gardelegen, zum Stehen gekommen.[12] Auf dem Bahnhofsgelände standen bereits mehrere Güterwaggons, die von einem Häftlingstransport aus dem Konzentrationslager Mittelbau-Dora bei Nordhausen und den Außenlagern stammten. Die Waggons aus Hannover wurden hinter den Mittelbau-Dora-Zug geschoben. Insgesamt standen jetzt vierundfünfzig Waggons auf dem Bahnhof.  

Bild 5: der Anfang dieses Güterzuges mit offenen und geschlossenen Waggons auf dem Bahnhof Mieste, von US-Soldaten inspiziert Quelle: NIOD instituut voor oorlogs-, holocaust- en genocidestudies, Archiefkelder 2, Kast 13.2, Element 5, ex 203 

Als die Türen der Waggons aus Hannover-Stöcken geöffnet wurden, bot sich den Wachen ein grauenvoller Anblick. Kranke und völlig entkräftete Häftlinge lagen auf dem Boden der Waggons, ohne sich rühren zu können. Einige waren kaum bekleidet, lagen mit Exkrementen beschmiert auf dem Boden und waren kaum von den vielen Totenunter ihnen zu unterscheiden.[13]

Bild 6: Blick in einen der offenen Waggons auf dem Bahnhof Mieste Quelle: Quelle: NIOD instituut voor oorlogs-, holocaust- en genocidestudies, Archiefkelder 2, Kast 13.2, Element 5, ex 204 

Kapital 2 Die Mittelbau-Dora Transporte 

Das Konzentrationslager Mittelbau-Dora bei Nordhausen war das letzte von den Nationalsozialisten gegründete KZ-Hauptlager.[14]Mittelbau-Dora wurde im August 1943 als Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald mit der Tarnbezeichnung Arbeitslager Dora am Südhang des Kohnsteins nördlich der Kreisstadt Nordhausen errichtet. Die KZ-Häftlinge wurden von der SS hauptsächlich im Stollenvortrieb und in den Untertage gelegenen Werksanlagen zur Produktion der sogenannten Vergeltungswaffen, der als V1 bezeichneten Flugbombe Fieseler Fi 103 und der als V2 bezeichneten Rakete A4, eingesetzt. Ab Oktober 1944 wurde das Lager mit dem Status eines eigenständigen Konzentrationslagers geführt.[15]

Bild 8: eine der Einfahrten in das Höhlensystem des KZ, links am Eingang kugelförmige Druckluftbehälter für die V1 Quelle: Gedenkstätte Mittelbau-Dora, Fotoarchiv, Bild 020-20.008 

Bild 9: einer der Stollen im Höhlensystem mit vormontierten V1, die hier von KZ-Häftlingen produziert wurden Quelle: Gedenkstätte Mittelbau-Dora, Fotoarchiv, Bild 089.008 

Ende 1944 begann die SS, als Reaktion auf das schnelle Vorrücken der Roten Armee, die Konzentrationslager im Osten zu räumen. Viele dieser Transporte erreichten das KZ Mittelbau-Dora, so auch Transporte aus dem Konzentrationslager Auschwitz.  

Mit den Häftlingen aus Auschwitz kamen, im Januar 1945, auch rund 1.000 SS-Angehörige in den Südharz, darunter der gesamte Auschwitzer Kommandanturstab. Neuer Kommandant des KZ Mittelbau-Dora wurde am 1. Februar 1945 der SS-Sturmbannführer Richard Baer, der bisherige Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz. Baer ersetzte alle wichtigen Positionen in der Verwaltung des KZ Mittelbau-Dora mit Vertrauten aus Auschwitz und trug damit wesentlich zur Verschärfung des Terrors im Lager bei.[16]

Bild 10: SS-Sturmbannführer Richard Baer, Auschwitz, 21.6.44 

Quelle: United States Holocaust Memorial Museum, Photo Archives, Photo: 34579 

SS-Sturmbannführer Baer und die anderen Angehörigen der Lager-SS, die mit ihm von Auschwitz nach Mittelbau-Dora gekommen waren, hatten bereits Erfahrungen bei der Räumung eines Konzentrationslagers gesammelt.  

Zur Vorbereitung der Lagerräumung von Mittelbau-Dora trennten sie die arbeitsfähigen von den kranken Häftlingen. Am 8. März selektierte man im KZ Mittelbau-Dora und den Außenlagern insgesamt 2.250 kranke Häftlinge und transportierte diese mit einem Sondertransport in das Konzentrationslager Bergen-Belsen. Ein weiterer Transport nach Bergen-Belsen, mit zirka 800 Häftlingen, verließ Mittelbau-Dora am 21. März 1945. 

Die Situation im Lagerverbund Mittelbau-Dora veränderte sich dramatisch,als dann weitere KZ-Häftlinge aus den Konzentrationslagern im Osten, allein 10.000 aus dem KZ Groß-Rosen, ankamen. Die Platznot erreichte ein erschreckendes Ausmaß. Über 5.000 Häftlingen starben in diesen letzten Wochen im Lager.[17]

Zwei massive britische Luftangriffe am 3. und 4. April 1945 auf Nordhausen, bei denen auch Häftlingsunterkünfte getroffen wurden, leiteten das Ende des KZ Mittelbau-Dora ein. Die Luftangriffe waren zwar nicht der Auslöser für die Evakuierungen, beschleunigten diese aber erheblich. [18]

In den Morgenstunden des 4. April 1945 gab SS-Sturmbannführer Richard Baer den Befehl zur Räumung der insgesamt 36 Lager von Mittelbau-Dora.[19]

Die Transporte gingen in drei Hauptrichtungen: 

Transporte in Richtung Nordwesten, die zwischen dem 9. und 12. April 1945 in Bergen-Belsen ankamen,  Transporte in Richtung Nordosten, die ihr Ende Mitte April in Sachsenhausen oder Ravensbrück, zum Teil aber bereits unterwegs in Letzlingen, Mieste und Gardelegen fanden und  Transporte in Richtung Südosten, die in der zweiten Aprilhälfte 1945 im Sudetenland ankamen und meist in den Alpenraum weitergeleitet wurden.[20]

Gemäß dem Befehl Baers ließ der Kommandant der Außenlager Rottleberode A5 und Stempeda B4, SS-Hauptscharführer Erhard Brauny, die 1.400 Häftlinge dieser Außenlager am Abend des 4. April 1945 gegen 20:30 Uhr zu einem letzten Appell antreten. Die Häftlinge wurden aufgeteilt, wobei der erste Block, mit zirka 400 KZ-Häftlingen, von Brauny selbst und der zweite Block, mit rund 1.000 Häftlingen, von seinem Stellvertreter SS-Unterscharführer Hermann Lamp geführt werden sollte. Das Marschziel der beiden Häftlingsgruppen war die, achtzehn Kilometer entfernte, Ortschaft Niedersachswerfen. SS-Unterscharführer Lamp brach mit seiner Gruppe gegen 21:00 Uhr auf, Brauny etwa zwei Stunden später.[21]

In den frühen Morgenstunden des 5. April 1945 erreichte die Gruppe des SS-Hauptscharführers Brauny den Bahnhof von Niedersachswerfen. Lamp, der offenbar mit seinen Häftlingen eine andere Route gewählt hatte, kam dort nicht an.  

Gegen Mittag wurde auf dem Bahnhof ein Zug mit fünfzehn offenen Güterwaggons bereitgestellt. In zehn der Waggons befanden sich bereits 500 bis 600 KZ-Häftlinge in sehr schlechter körperlicher Verfassung. Sie stammten aus dem Hauptlager Mittelbau-Dora und der Boelcke-Kaserne in Nordhausen, in der ebenfalls Häftlinge untergebracht waren. Die Häftlinge aus Rottleberode und Stempeda wurden ebenfalls in diese Waggons gepfercht. Brauny hatte jetzt wieder die Verantwortung für über 1.000 KZ-Häftlinge.  

In den Mittagsstunden des 6. April 1945 fuhr dieser Zug ab. Das erste Mal hielt der Zug im Außenlager Ellrich-Bürgerpark, in dem 1.000 Häftlinge der SS-Baubrigade IV untergebracht waren. Etwa 350 dieser Häftlinge, es waren 150 kranke und 200 jüdische KZ-Häftlinge, wurden zusätzlich in die Waggons gedrängt und dadurch in SS-Hauptscharführer Braunys Transport eingegliedert.[22]Zu diesem Zeitpunkt hatte die Zahl der überwiegend kranken und schwachen Häftlinge, für die Erhard Brauny verantwortlich war, bereits 1.400 erreicht.  

Am Morgen des 7. April 1945 fuhr der Transport nach Osterrode weiter. Auf dem dortigen Bahnhof standen bereits sechs Waggons mit etwa 300 KZ-Häftlingen aus dem Mittelbau-Dora-Außenlager Ilfeld.[23]