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Am 24. April 1945 wurde im Gardeleger Ortsteil Hottendorf der SS-General Heinz Jost, einst Leiter des SD-Amtes Ausland, verhaftet. Zehn Jahre später wurden im Bunker Hottendorf Papiere aus der NS-Zeit gefunden, die den Hottendorfer Gastwirt Erwin Wedekind als SS-Offizier und Angehörigen jenes Sicherheitsdienstes (SD) entlarvten. Wedekind wurde daraufhin von der Staatssicherheit zur Mitarbeit als IM „Rolf“ gepresst. „Rolf“ wurde nach West-Berlin geschickt, um den, von der CIA gesteuerten, Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen zu infiltrieren. Später, während eines inszenierten Kuraufenthaltes, sollte Wedekind einen mutmaßlichen SS-Mann des KZ Auschwitz entlarven. „Rolf“ erfüllte seine Aufträge stets „ordnungsgemäß“, aber ohne Ergebnisse für das MfS. Konnten sie einem SD-Offizier vertrauen? War er in West-Berlin von der CIA angeworben worden? Diese spannende, mit zahlreichen Originaldokumenten aus der Zeit von 1939 bis 1977 untermauerte, Dokumentation entlarvt zugleich die Verbrechen des Nationalsozialismus, als auch die ungenierte Zusammenarbeit des MfS mit solchen Tätern.
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Seitenzahl: 94
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Impressum
Torsten Haarseim, »In Himmlers SS-Sicherheitsdienst und Mielkes Staatssicherheit«
www.edition-winterwork.de
© 2015 edition winterwork
Alle Rechte vorbehalten.
Umschlag: Torsten Haarseim
Druck/E-BOOK: winterwork Borsdorf
ISBN Print 978-3-86468-911-6
In Himmlers SS-Sicherheitsdienst und Mielkes Staatssicherheit
Torsten Haarseim
Die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts ist auch eine Geschichte von Kriegen, von Leid und dem Elend vieler Menschen, aber auch von Treue und von Verrat, von Macht und Karrieren, von Aufstieg und Fall.
Am Beispiel eines Mannes werden Facetten dieser Geschichte erzählt. Dieser Mann war Erwin Rogalsky. Später trug er den Namen Erwin Wedekind. Er lebte von 1909 bis 1983 und steht beispielhaft für viele Menschen dieser Generation. Anhand zahlreicher Dokumente werden die Stationen seines bewegten Lebens dargestellt und beschrieben. Wedekind hat individuelle Schuld auf sich geladen, er hat sogar gemordet. Es ist jedoch nicht Ziel der vorliegenden Dokumentation darüber zu richten. Ziel ist es vielmehr am Beispiel des Erwin Wedekind-Rogalsky Geschichte zu erfahren, Geschichte zu begreifen und aus der Geschichte zu lernen.
Im Frühjahr 1945 stand das Dritte Reich kurz vor seinem Zusammenbruch. Der Zweite Weltkrieg näherte sich dem Ende.
Die Stadt Gardelegen in der Altmark liegt zirka sechzig Kilometer nördlich Magdeburgs und damit in der Mitte des damaligen Deutschen Reiches. Bis auf einen Bombenangriff am 15. März 1945 gab es kaum größere Zerstörungen in der Region rund um Gardelegen. Im Zusammenhang mit dem Vorrücken der Alliierten wurden Häftlinge aus den Konzentrationslagern auf sogenannte Todesmärsche geschickt. Die Arbeitskräfte sollten dem Reich erhalten bleiben. Mitte April 1945 endeten mehrere Todesmärsche in der Region. Über 3.000 KZ-Häftlinge waren mit Güterzügen in Mieste und Letzlingen angekommen. Sie stammten aus den Außenlagern desKonzentrationslagersDora-Mittelbau bei Nordhausen und aus dem KonzentrationslagerHannover-Stöcken. Von Mieste und Letzlingen mussten die Häftlinge dann zu Fuß nach Gardelegen marschieren. Wenige Stunden bevor amerikanische Soldaten die Stadt erreichten, wurden viele von ihnen am13. April1945 in der Feldscheune Isenschnibbe bestialisch ermordet.[1]Am 14. April erreichte das 2. Bataillon des 405. Infanterie-Regiments der 102. US-Infanterie-Division die Stadt Gardelegen.[2]
Den Vormarsch der regulären US-Truppen begleitend, rückten auch Spionageabwehr-Teams des CIC, des Counter Intelligence Corps,[3]vor. Das Counter Intelligence Corps arbeitete während des Krieges in sogenannten Detachements[4]. Das waren Teams mit jeweils fünf Offizieren und bis zu achtzehn Soldaten. Sie waren den einzelnen US-Divisionen oder Armeekorps unterstellt und hatten die Aufgaben die militärischen Verbände mit wichtigen Informationen zu versorgen und den schnell vorstoßenden Kampftruppen den Rücken freizuhalten. Dazu kontrollierten sie die Nachschubwege und versuchten deutsche Kampfverbände, welche sich noch versteckt hielten, aufzuspüren und zu melden.[5]
Die Aufklärung von Kriegsverbrechen und die Suche nach den Tätern gehörten ebenfalls zu den Aufgaben der CIC-Ermittler. So wurde zum Beispiel Gerhard Thiele, der mit der Leitung beauftragte NSDAP-Kreisleiter von Gardelegen, gesucht. Er war für das Massaker in der Gardeleger Feldscheune Isenschnibbe verantwortlich.[6]
Im Kreis Gardelegen war das 35. CIC-Detachement im Einsatz. Während die CIC-Agenten nach deutschen Wehrmachtsgruppen und Reichsbeamten suchten, die sich im Kreis Gardelegen versteckt hielten und Überfälle auf Konvois und rückwärtige Militärinstallationen verübten, gelang ihnen die Festnahme zweier hochrangiger Generäle.[7]Am 24. April 1945 wurden bei Wannefeld, zwölf Kilometer südlich Gardelegens, der Generalleutnant Martin Unrein, vormals Kommandeur der Panzer-Division „Clausewitz“[8]und in Hottendorf, zehn Kilometer östlich der Stadt, der SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei Heinz Jost verhaftet.[9]
Bild 1: SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei Heinz Jost, 1941/1942, Foto: Dürr Quelle: BArch, Bild 10IIII Duerr 055-12
Der SS-General Heinz Jost, der ehemalige Leiter des SD-Amtes Ausland,[10] hatte seit Januar 1945 in Hottendorf gelebt. Himmler hatte den SD bereits 1931 als „Sicherheitsdienst des Reichsführers SS“ geschaffen.[11] Im Frühjahr 1933 erhielt der SD ein eigenes Zentralamt und eine eigene Organisation im gesamten Reichsgebiet.[12]
Dokument 1: Einschreiben an Heinz Jost mit Wohnanschrift Luthäne/Altmark vom 11.01.1945 Quelle: BArch, 2009/D-3874, BDC, SSO, SS-Führerpersonalakte Heinz Jost, Blatt 58
Als Leiter des SD-Amtes Ausland war der SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei Jost einer der ranghöchsten Repräsentanten im SS-Sicherheitsdienst, dem NS-Unterdrückungs- und Vernichtungsapparat, der für die Ermordung von Millionen Menschen in den besetzten Gebieten verantwortlich war. Heinz Jost wohnte in seinem Haus Luthäne abgelegen im Wald. Das Haus befand sich zwei Kilometer nördlich Hottendorfs.
Bereits seit 1927 Mitglied der NSDAP, wurde Jost im März 1933 Polizeipräsident in Worms und im September 1933 Polizeidirektor in Gießen. Seit Juli 1934 war Heinz Jost hauptamtlich im Sicherheitsdienst tätig und von 1939 bis 1941 Amtschef des SD-Amtes Ausland im Reichssicherheitshauptamt.[13] Das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) war, kurz nach dem Überfall auf Polen, am 27. September 1939 als Zusammenschluss des Hauptamtes Sicherheitspolizei, dem die Kriminalpolizei und auch die Gestapo unterstellt waren und des Hauptamtes Sicherheitsdienst gegründet worden.[14] Reinhard Heydrich wurde von Himmler zum Leiter des RSHA und Chef der Sicherheitspolizei und des SD ernannt.[15]
Im August 1939 hatte SS-Brigadeführer Heinz Jost von Reinhard Heydrich den Auftrag erhalten, polnische Uniformen für den Überfall auf den Sender Gleiwitz und weitere Grenzobjekte zu beschaffen und in die SD-Schule Bernau zu bringen. Dort wurden die ausgewählten Männer für den Überfall ausgerüstet und vorbereitet.[16]Im März 1942 wurde Jost Leiter der Einsatzgruppe A und Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD Ostland in Riga.[17]
Dokument 2: Dankesbrief von Heinz Jost an Heinrich Himmler vom 23.07.1942 Quelle: BArch, 2009/D-3874, BDC, SSO, SS-Führerpersonalakte Heinz Jost, Blatt 35
Dokument 3: Abschrift eines Schreibens über Josts Pensionierung vom 21.01.1945 Quelle: BArch, 2009/D-3874, BDC, SSO, SS-Führerpersonalakte Heinz Jost, Blatt 5
Jost, Träger zahlreicher Auszeichnungen, unter anderem des goldenen NSDAP-Parteiabzeichens, des SS-Ehrendegens, des Julleuchters[18], der Erinnerungsmedaille Memelland und des von Himmler verliehenen SS-Totenkopfringes, gehörte zum engsten Führungskreis des NS-Regimes. Heinrich Himmler gratulierte ihm persönlich zum Geburtstag.
Im Januar 1945 ist Heinz Jost vom Reichsführer SS pensioniert worden.
Jost lebte mit seiner Tochter und einer Frau[19] im Haus Luthäne im Wald nördlich Hottendorfs relativ abseits, dennoch hatte er Kontakt zu den örtlichen NS-Funktionären. Zwei Kilometer nordöstlich seines Hauses lag, über einen Waldweg direkt erreichbar, das Hospital Wilhelmshof, eine Außenstelle der Nervenheilanstalt Uchtspringe. Hier in Wilhelmshof trafen sich in den letzten Tagen und Stunden vor der Einnahme der Region durch die US-Truppen mehrere NS-Funktionäre.
Einer von ihnen war Rudolf Kampe, der Kommandeur des 2. Volkssturmbataillons Gardelegen. Er fuhr am 13. April 1945 gegen 8:30 Uhr von seinem Gardeleger Wohnhaus nach Jävenitz und später weiter nach Luthäne. Dort sprach Kampe mit dem SS-General. Dann fuhr er zum Hospital Wilhelmshof, wo er acht Tage blieb.[20]
Einen Tag später, am Sonnabend, den 14. April 1945, kamen der mit der Leitung beauftragte NSDAP-Kreisleiter Gerhard Thiele und der SA-Standartenführer Bernsdorf in Wilhelmshof an.[21] Am gleichen Tag wurde Gardelegen um 19:00 Uhr kampflos an die US-Army übergeben. Einen Tag später erreichten die US-Soldaten die Feldscheune Isenschnibbe und entdeckten die Opfer des Massakers.[22] Thiele, der Hauptverantwortliche für das bestialische Massaker, blieb bis zum Montag, den 16. April, in Wilhelmshof, bevor er sich, bekleidet mit einem schwarzen Anzug, leichter Oberjacke und einem leichten Hut im bayerischen Stil, auf einem Fahrrad nach Wannefeld und dann weiter nach Uthmöden davon machte.[23]
Am 24. April 1945 wurde Heinz Jost in seinem Haus Luthäne von amerikanischen Soldaten verhaftet.[24] Der SS-Brigadeführer und Generalmajor Jost stand, ebenso wie der am gleichen Tag verhaftete Generalleutnant Martin Unrein, auf der Fahndungsliste „Who`s Who in Nazi Germany“ des SHAEF.[25]
Nachdem der CIC einen Hinweis auf den SS-General erhalten hatte, fuhren zwei Angehörige des 35. Detachements, der Second lieutenant[26] Darrel Droslem und der Staff sergeant[27] A. Rohleder, zum Haus Luthäne.[28] Als die beiden Amerikaner das Haus im Wald erreichten, stand eine Frau vor dem Haus. Nach Jost befragt antwortete sie, dass sie hier allein mit dem Mädchen wohnt. Die CIC-Agenten drangen in das Haus ein und fanden den SS-General. Jost war gerade damit fertig Dokumente und Papiere zu verbrennen. Er wurde nach seinem Namen befragt und in Gewahrsam genommen. Heinz Jost bestätigte den US-Soldaten seine Identität und räumte ein, als ehemaliger Leiter des SD-Amtes Ausland in der SS-Hierarchie des Sicherheitsdienstes der dritte Mann nach Himmler und Heydrich gewesen zu sein.[29]
Nach seiner Verhaftung und ersten Vernehmungen wurde Jost nach Großbritannien verlegt. Am 24. Mai 1945 traf er in Richmond im Camp 0.20, einem Sonderlager des britischen Geheimdienstes MI5[30], ein. Das Lager diente ausschließlich dazu, Angehörige der gegnerischen Geheimdienste zu inhaftieren. Hier wurde Jost mehrere Monate lang ausführlich verhört.[31]
Bild 2: Erkennungsdienstfoto Heinz Jost für den Nürnberger Einsatzgruppenprozess, 1947, Foto: Unknown U.S. Signal Corps Photographer Quelle: United States Holocaust Memorial Museum, photo 09936
Vom 15. September 1947 bis zum 10. April 1948 wurde im Schwurgerichtssaal 600 des NürnbergerJustizpalastes der Einsatzgruppen-Prozess, der neunte von zwölf Nürnberger Nachfolgeprozessen, durchgeführt. Angeklagt waren vierundzwanzig ehemalige SS-Führer, die als Kommandeure der Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD die Verantwortung für die Verbrechen der Einsatzgruppen in der besetzten Sowjetunion trugen. Einer der Angeklagten war der SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei Heinz Jost.
Bild 3: Einsatzgruppenprozess Nürnberg, 1947, Heinz Jost, zweiter von rechts in der Mittelreihe Foto: U.S. Army Photographer, Quelle: Yad Vashem Photo Archive, Archival Signature 149EO2
Am 10. April 1948 wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt.[32]Später wurde seine Haftzeit auf zehn Jahre reduziert. Am 15. Dezember 1951 wurde er aus dem Kriegsverbrechergefängnis Landsberg entlassen. Danach arbeitete Jost in Düsseldorf als Immobilienmakler.
Die Ortschaft Hottendorf liegt an der ehemaligen ReichsstraßeR 188, zehn Kilometeröstlichder Stadt Gardelegen. Südlich angrenzend befindet sich die Colbitz-Letzlinger Heide, ein großes zusammenhängendes Waldgebiet. Das Waldgebiet wurde durch die Heeresversuchsstelle Hillersleben militärisch genutzt. Am Ostrand Hottendorfs standen Gebäude sowie eine Nachrichtenzentrale, die zur einen Kilometer südlich gelegenen Prüfabteilung Befestigungswesen des Heereswaffenamtes (Wa Prüf Fest Hottendorf) gehörten. Unter diesen Gebäuden befand sich ein Bunkersystem.
Das Heereswaffenamt war die Zentralstelle für die technische Gestaltung und die Fertigung von Waffen, Gerät und Munition der Wehrmacht.[33] Auf dem Gelände der südlich Hottendorfs gelegenen Heeresversuchsstelle Hillersleben befanden sich neben der Wa Prüf Fest mehrere Prüfabteilungen des Heereswaffenamtes.[34]
Im April 1945 erreichte die US-Army die Ortschaft. Nach dem Ende des Krieges, im Juni 1945, verließen die amerikanischen Truppen die Region wieder. Am 4. Juni übernahmen britische Truppen das Kommando. Die hier stationierten schottischen Soldaten waren Angehörige der 52. Lowland-Infanterie-Division.[35]Am 1. Juli 1945 wurde die Altmark Bestandteil der sowjetischen Besatzungszone. Die Truppen der Roten Armee erreichten die Region Gardelegen am 3. Juli 1945.[36]Die Colbitz-LetzlingerHeide, Standort der ehemaligen Heeresversuchsstelle Hillersleben, wurde ebenso sowjetische Garnison wie der ehemalige Fliegerhorst der Luftwaffe und die Wehrkreis- Reit- und Fahrschule XI in Gardelegen.