Gäste in meinem Haus - Lise Gast - E-Book

Gäste in meinem Haus E-Book

Lise Gast

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Beschreibung

Eigentlich liebt Susanne es, wenn sie Besuch hat. Sie ist ein geselliger Mensch und in ihrem Haus ist genügend Platz für Gäste. Doch derzeit wird ihre Geduld ein wenig strapaziert. Denn ihre kleine Schwester Elmi wohnt übergangsweise bei ihr, weil sie ein wenig Abstand von ihrem Mann braucht. Elmi hat auch ihre beiden pubertären Kinder Sybille und Dominik mitgebracht. Die drei fühlen sich ganz wohl bei Susanne – nur, dass es keinen Fernseher gibt, darüber beklagen die Kinder sich sehr. Susanne versteht die jungen Leute von heute nicht. Und wenn sie ehrlich ist, dann muss sie auch zugeben, dass sie die Erziehung von heute nicht versteht. Elmi ist ihrer Meinung nach viel zu weich zu ihren Kindern und lässt viel zu viel durchgehen. Trotzdem – Susanne hat sich fest vorgenommen, sich in Erziehungsfragen nicht einzumischen. Sie will ihre Schwester unterstützen, das ist das einzige, was Elmi jetzt braucht. Und eigentlich gefällt sich Susanne ganz gut in ihrer Rolle als Gastgeberin. Im Geheimen plant sie schon, wie die Weihnachtstage verlaufen werden, wenn im Garten Schnee liegt...GÄSTE IN MEINEM HAUS ist ein heiteres Buch über Generationskonflikte und über die kleinen Freuden des Alltags. -

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Lise Gast

Gäste in meinem Haus

Saga

Gäste in meinem Haus

© 1979 Lise Gast

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711509395

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

„Nanu? Niemand da? So was!“

Susanne, durchgepustet vom heftigen Herbstwind, hatte die Haustür aufgeschoben und stand horchend im Flur. Wirklich keiner zu Hause? Ihre frohe Heimkehrstimmung wollte verfliegen. Sie war auf ein fröhliches „Guten Abend!“ eingestellt gewesen, so sehr hatte sie sich beeilt. Sie stellte die Einkauftasche ab und rief noch einmal, eigentlich mehr gewohnheitsmäßig: „Hallo?“

Doch, da war jemand in der Küche. Susanne atmete tief und trat dann leise ein. Es war, als hätte sie es geahnt: Elmi, weinend. Elmi weinte leicht, das wußte Susanne, trotzdem fiel es ihr aufs Herz. Es sah so betrübend aus, den ein wenig strubbeligen Lockenkopf in die Armbeuge gedrückt, hockte die jüngere Schwester da am Tisch, schnupfend, mit zuckenden Schultern. Susanne legte ihr die Hand auf den Kopf und setzte sich auf den zweiten Küchenstuhl. „Aber Elmi. Was ist denn.“

Und dann tröstend: „Elmi. Wird doch alles wieder gut.“

„Meinst du?“ Elmi stieß die zwei Worte heraus, ohne den Kopf zu heben, wie ein Kind, das lange geweint hat und nun von der Mutter angesprochen wird. Susanne mußte ein wenig lachen. Ein Kind war Elmi wahrhaftig nicht mehr. Sie war Mitte vierzig und hatte selbst zwei Kinder, fast so groß wie sie selbst.

Für sie, die zehn Jahre ältere Schwester Susanne, blieb Elmi immer ein Kind, in gewisser Beziehung jedenfalls. Ein Kind, um das man sich kümmert, das man tröstet, auch manchmal ermahnt. Ein großes Kind, für das man da ist.

„Komm. Jetzt kochen wir uns einen ordentlichen Kaffee, einen doppelten Rudolf“, vor Jahrzehnten hatte irgend jemand aus der Bekanntschaft einen starken Kaffee so genannt, ewig hatte man nicht daran gedacht, plötzlich war der Ausdruck wieder da. „Dann sollst du mal sehen.“

Elmi hob den Kopf ein wenig. „Einen doppelten ...“, sie lachte, gleich darauf schluchzte sie wieder. Susanne nahm ihren Kopf an ihre Brust.

„Na na. Nun weine mal tüchtig, damit du dann wieder lachen kannst. War was Besonderes?“

Elmi schüttelte den Kopf, rückte näher an sie heran. „Nichts. Er will nichts mehr von uns wissen ...“, wieder Tränen. Susanne streichelte und streichelte. „Eines Tages will er. Er braucht dich, Elmi. Aber es dauert, bis ihm das klar wird. Männer sind so.“ „Meinst du?“

„Klar. Nun trink. Komm, hier ist Milch. Keine? Wegen der Linie? Bravo, auch wenn man unglücklich ist, soll man sich nicht gehen lassen.“

Sie kämpften beide mit den „Hüften“, wie Susanne es grimmig nannte. Immerzu und immerfort: Darf ich nicht, macht dick. Elmi wischte sich das Gesicht ab und nahm einen Schluck Kaffee. Susanne nickte ihr beifällig zu.

„Siehst du, das bringt dich wieder in Ordnung. Und die Kinder? Wo stecken sie wieder mal?“ Sie fragte das, um abzulenken. Elmis Gesicht verschattete sich wieder.

„Sie wollten ... es war etwas im Fernsehen, da sind sie zu Helga gelaufen.“

Bei Susanne gab es kein Fernsehen. Sie hatte es sich selbst untersagt, als sie das Haus kaufte. Nein, wenn schon ein eigenes Haus in ihrem Alter — sonst baute oder kaufte man wahrhaftig eher, nicht erst als Großmutter —, auch noch Fernsehen, das wäre zu viel. Da kam ihr spartanischer Vater durch. Gab es etwas Wichtiges, wirklich Interessantes auf dem Flimmerschirm, dann konnte man immer noch zu Nachbars gehen. Nachbars — wie Elmi sagte — freuten sich immer, wenn man kam.

„Und der Garten? Hat Dominik ...“

„Dazu ist er nicht mehr gekommen. Bis drei Uhr nachmittags darf man nicht brummen, sagt er, eben, um Nachbars nicht zu verärgern, und dann lohnte es nicht mehr anzufangen.“

Susanne ärgerte sich. Das einzige, was sie mitunter von Elmis Kindern erbat, war den Rasen zu mähen, den kleinen Rasen vor und hinter dem Haus. Das war nicht viel verlangt fand sie. Die Kinder, Sybille und Dominik, fünfzehn und dreizehn Jahre alt, taten sonst nichts, nicht Abtrocknen und nicht Tischdecken, nicht einmal die eigenen Betten machten sie. „Man darf Kinder nicht überfordern, sie werden sonst frustriert“, hatte Elmi entschuldigend gesagt, als Susanne danach fragte. Na schön, machte man eben die Betten selbst. Aber einmal in zehn Tagen den Rasen schneiden, noch dazu mit dem elektrischen Mäher, also nicht mit Muskelkraft, sondern nur mit etwas Geduld, das war wahrhaftig nicht zuviel verlangt. Sie sah aus dem Fenster, gleich würde es regnen. Dann blieb der Rasen also wieder bis morgen.

Nein, nichts sagen. Nicht nörgeln. Immerhin war Elmi ihr Besuch. Freundlich bleiben, nicht schelten ...

„Dann gehe ich. Bleib du nur hier drin, es ist kalt draußen, und du erkältest dich schnell. Bleib hier, nimm die Zeitung“, sie hielt ihr eine Illustrierte hin und lächelte dabei, aufmunternd, herzlich. „Vielleicht findest du ein schönes Rezept, das schlank macht.“

Als der Rasenmäher brummte, fühlte sie, wie ihre ärgerliche Stimmung verflog. Beinahe freute sie sich jetzt, daß Dominik sich wieder mal mit Erfolg gedrückt hatte. Es tat so gut, auf dem Rasen hin und her zu gehen und den Mäher zu führen, langsam dort, wo das Gras dick und üppig stand, schneller an den Stellen, über die man öfter lief, zum Wäscheaufhängen, zum Blumengießen, zum Wegwerfen der verblühten Blumen, zum Kompost. Rasenmähen ist eben auch etwas Individuelles, dachte sie, still in sich hineinlachend, jetzt gleich werde ich wissen, ob es im Winter Schnee gibt. Hier stand eine Eiche, die Eiche des Gartens. Wenn dieser Baum viele kleine Früchte herunterwarf, bedeutete das einen strengen Winter. Susanne liebte Schnee, und sie lächelte befreit, als der Rasenmäher zu knattern begann. Viele Eicheln, viel Schnee. Wurde man eigentlich nie erwachsen? Sie freute sich schon drauf, Elmi und erst recht Elmis Kinder mit dem Ruf wecken zu können: „Es hat geschneit! Nein, seht doch, alles ist weiß!“

Noch war es nicht so weit. Später Oktober, Herbst, sie fand nicht, wie viele andere, daß der Herbst eine traurige Jahreszeit sei. Sie liebte das lodernde Rot des Waldes, der gleich hinter ihrem Garten den Hang emporstieg, sie liebte die kalten Morgen und die klaren, herrlichen Sonnenstunden am Mittag, auch jetzt blickte sie ihr Haus zärtlich an. Der wilde Wein, vorsichtig und liebevoll hochgezogen, leuchtete purpurn, nächstes Jahr würde er schon das halbe Haus emporgeklommen sein. Im Garten ist es immer nächstes Jahr ...

Ihr Haus. Sie hatte keines bauen wollen — wer baut, ergraut, sagt man. Nicht, daß sie sich vor dem Alter fürchtete, aber sie hatte sich in ihrer Wohnung wohlgefühlt, wenn sie auch die Vorteile eines eigenen Hauses jetzt sehr wohl wahrnahm. Vor allem genoß sie, daß sie jederzeit Besuch haben konnte. O ja, sie liebte ihr Haus, jedes Jahr mehr, jedes Jahr inniger. Wie es da stand im weichen Herbstlicht, die Glastür offen, auf dem hölzernen Geländer der Veranda die Kästen mit Geranien und Petunien in satten Farben — liebes, liebes Haus! Und immer Besuch darin. Wie lange war Elmi nun schon da?

Sie konnte bleiben, so lange sie wollte. Natürlich war sie ein wenig schwierig zu behandeln, dennoch blieb sie für Susanne die geliebte kleine Schwester, der sie früher das Radfahren und Schwimmen beibrachte, die sie tröstete, wenn sie Liebeskummer hatte, und deren Haushalt sie führte, solange sie im Wochenbett lag. Elmi hatte spät geheiratet, als sie, Susanne schon Witwe war, doch den Mann, den sie sich herzlich gewünscht hatte. Insofern sollte sie nun zu ihrem Leben Ja sagen, was für Schwierigkeiten es auch in der Ehe gab. Susanne fragte nicht, aber da Elmi sogar die Kinder in die Schulen hierher umgemeldet hatte, konnte man annehmen, daß sie länger bleiben wollte. Erst hatte es Widerspruch und Empörung bei den Kindern gegeben, vor allem bei Sybille, bis sie sich dadurch aussöhnte, daß sie in eine Jungenschule kam. Sybille war aufsässig und schnippisch ihrer Mutter gegenüber, Susanne sah das wohl, versuchte aber, sich nichts merken zu lassen. Kinder erziehen ist heute schwerer als früher. Und Elmi hatte keine feste Hand ihnen gegenüber und verwöhnte sie viel zu sehr.

Das alles ging Susanne durch den Kopf, während sie mähte. Sie selbst hatte ihre Kinder auch ohne Vater großziehen müssen, damals war aber der Wohlstand noch nicht so beherrschend. Und im Grunde war es schön, wieder Kinder im Haus zu haben, auch wenn sie etwas anmaßend waren in ihrem Benehmen. Dafür war sie, Susanne, nicht allein. Sie lachte. Es war also eine Fügung, daß sie gerade dies Haus bekam, in dem Gäste gut Platz hatten. Liebes, liebes Haus.

Sie war fertig, putzte den Rasenmäher aus und stellte ihn in den Schuppen. Dabei fiel ihr ein, daß sie noch ein paar Lärchenbäumchen setzen wollte, dafür war es gut, wenn es ordentlich regnete. Jetzt, da der Rasen gemäht war, konnte es ruhig regnen. Vergnügt wischte sie sich die Hände ab und lief die Treppe hinauf.

Elmi hatte ‚fertig geweint‘, als sie hereinkam. Bei Elmi kamen und gingen die Tränen schnell, wie bei Kindern. Jetzt strahlte sie die Schwester an.

„Hier sind schon Rezepte für Weihnachtsbäckereien drin, jedenfalls für solche, die man aufheben muß“, sagte sie eifrig. „Dies Jahr machen wir alles zusammen. Weißt du noch, Mutters Zimtsterne? Und die Bärentatzen und ...“

„Ich weiß alles noch“, sagte Susanne und setzte sich. Gleich darauf wurde stürmisch geläutet: die Kinder kamen zurück.

„Putzt euch die Schuhe ab“, Susanne hatte ihnen geöffnet. Sybille sah aus wie der Struwwelpeter persönlich, fand sie, das halblange Haar feucht und strähnig in die Stirne fallend. Gepflegt war es nicht, das sah man. Auch Dominik trug sein Haar lang, was Susanne nicht ausstehen konnte. Sie schluckte wieder einmal herunter, was sie sagen wollte, fremde Kinder ermahnt man nicht, und ging zu Elmi zurück.

Natürlich dachten die beiden nicht daran, sich die Schuhe abzuputzen. Wenn der Rasen frisch gemäht war, trug man das kurzgeschnittene Gras in Mengen herein, wenn man nicht achtgab. Wie aber sollte man achtgeben, wenn man vom Fernsehen kam!

„Blöd war es“, berichtete Dominik, abgrundtief verächtlich, „alles Liebesquatsch. Aber Bille sieht so was ja gern.“

„Und du? Du willst immer Krimis, möglichst blutige“, konterte Sybille. „Gottlob kommen die erst abends, wenn Kinder im Bett sein müssen“, sie wußte, daß ihn das traf. Er fauchte auch entsprechend los.

Geschwisterkämpfe sind Wachstumskämpfe, Susanne wußte und sagte sich das. „Die Diamantenschleiferei ist wieder mal im Gange“, so hatte Mutter manchmal gesagt, wenn ihre, Susannes Kinder sich in den Haaren hatten. Alle Geschwister zanken sich, Sybille und Dominik vielleicht ein wenig mehr als andere.

„Jetzt gebt Ruhe, kommt, wir wollen Abendbrot essen“, sagte sie möglichst freundlich und nahm das Brot aus dem Kasten, „hier habe ich auch frische Bauernwurst dazu. Oder wollt ihr lieber Käse?“

„Ich habe keinen Hunger“, sagte Sybille schnippisch, und auch Dominik wollte nichts. „Ich habe bei Helga gegessen.“

Susanne liebte das nicht. Die Kinder futterten sich bei Nachbars durch, aßen nichts zu den Mahlzeiten und gingen abends an den Kühlschrank, und sie nahmen sich heraus, was ihnen paßte. Zwingen aber mochte sie sie nicht.

„Komm, wir laufen noch ein Stück“, sagte sie also zu Elmi, „Es regnet noch nicht. Laufen tut immer gut.“

Sie zogen die Regenjacken über. Als Susanne ihr Kopftuch umband, hörte sie ein gellendes Geräusch aus Sybilles Kassettenrekorder, ein Geräusch, das die Jugend heute Musik nennt. Es setzte in voller Lautstärke ein.

„Nichts wie fort“, sie zog die Haustür lachend hinter sich zu. „Klingt doch schrecklich, was finden sie nur dran?“

„Es ist eben modern. Heutig.“ Elmis Stimme klang beleidigt. Susanne merkte, daß sie ihre Worte als Kritik aufgefaßt hatte. So empfindlich brauchte sie ja auch nicht zu sein! Aber bei allem, was die Kinder betraf, fühlte sich Elmi angegriffen.