Gastfreundschaft – Pilgerherbergen – Hospitalwesen -  - E-Book

Gastfreundschaft – Pilgerherbergen – Hospitalwesen E-Book

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Beschreibung

Dieser Tagungsband untersucht Konzepte und Praktiken christlicher Mildtätigkeit sowie der Armen- und Krankenfürsorge im Zusammenhang mit der Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Vorgestellt werden historische Ausprägungen von Gastfreundschaft am Jakobsweg, wie etwa die monastische (bzw. benediktinische) Aufnahme von Kranken und Fremden oder das Aufkommen von Spitälern und Herbergen in den Randgebieten europäischer Städte im Hochmittelalter. Zudem werden literarische und kunsthistorische Quellen, die diese Thematik behandeln, zusammengestellt und aus ästhetischer wie aus anthropologischer Sicht analysiert. Reichlich bebildert und mit einer Vielzahl an Quellenauszügen unterstützt, wird hier die bis in unsere Zeit währende Bedeutung der Gastfreundschaft am Jakobsweg eindrücklich illustriert.

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Javier Gómez-Montero / Florian Weber (Hrsg.)

Gastfreundschaft – Pilgerherbergen – Hospitalwesen

Umschlagabbildung: Ausschnitt Fischeraltar in der Hauptkirche St. Jacobi Hamburg, © Denkmalschutzamt Bildarchiv/Nikolai Wieckmann

 

DOI: https://doi.org/10.24053/9783381125425

 

© 2024 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich.

 

Internet: www.narr.deeMail: [email protected]

 

ISSN 0934-8611

ISBN 978-3-381-12541-8 (Print)

ISBN 978-3-381-12543-2 (ePub)

Inhalt

Gastfreundschaft – Pilgerherbergen – Hospitalwesen. Zur EinführungLiteraturverzeichnisGastfreundschaft und Pilgerfürsorge im Liber Sancti JacobiI. EinleitungII. Zur Entwicklung christlicher GastlichkeitIII. Mirakel und Predigt – gegen böse und unrechte WirteIV. Gastfreundschaft und BarmherzigkeitV. SchlussQuellen- und LiteraturverzeichnisZur monastischen Gastfreundschaft bei den BenediktinernI. HinführungII. Die Gastfreundschaft nach der BenediktsregelIII. Benediktinertum in der Entfaltung und Aufgipfelung: Cluny und der KlösterverbandIV. Cluny als europäischer Reformmittelpunkt im 11. JahrhundertV. Verzahnung von Armensorge und LiturgieVI. SchlussbemerkungenQuellen- und LiteraturverzeichnisDie Darstellung der Reisevorbereitungen in deutschen Pilgerberichten des SpätmittelaltersQuellen- und LiteraturverzeichnisDie christliche Prägung mittelalterlicher Städte durch Hospitäler und Hôtels-DieuQuellen- und LiteraturverzeichnisVon heiligen Orten und bösen Wirten. Städte und Gastlichkeit im Liber Sancti JacobiQuellen- und LiteraturverzeichnisJakobus auf dem Weg – Hamburger und Lübecker Pilgeransichten um 1500 und die Ikonographie der Armen- und KrankenfürsorgeI. Pilgern und in die Fußstapfen des Christophorus treten …II. Pilgern und von Gertrud beherbergt werdenIII. Pilgern und mit Lukas das Brot brechen – Christus als PilgerQuellen- und LiteraturverzeichnisDie Gastfreundschaft als eines der sieben leiblichen Werke der Barmherzigkeit im Wandel der Jahrhunderte und verschiedener visueller MedienQuellen- und LiteraturverzeichnisZur Ikonographie der GastfreundschaftI. Die Gastfreundschaft Abrahams und Saras im Alten TestamentII. Die Gastfreundschaft im Evangelium nach MatthäusIII. Die Regel des heiligen Benedikt von NursiaQuellen- und LiteraturverzeichnisZur Kultur der Gastfreundschaft am Jakobsweg im Spiegel normativer und narrativer TexteI. Hospitalitas: Gastlichkeit und Beherbergung – einige mittelalterliche RegulierungsansätzeII. Mittelalterliche Unterkünfte und Herbergen im Spiegel der unterhaltenden Erzählliteratur der GegenwartIII. Gastfreundschaft und Unterkünfte im Spiegel heutiger Pilgerberichte: Laurie Dennetts Unha aperta ó Apóstolo (1987/1995)Quellen- und LiteraturverzeichnisResúmenes / AbstractsKlaus Herbers: Gastfreundschaft und Pilgerfürsorge im Liber Sancti JacobiAndreas Sohn: Zur monastischen Gastfreundschaft bei den BenediktinernVolker Honemann: Die Darstellung der Reisevorbereitungen in deutschen Pilgerberichten des SpätmittelaltersCatherine Geleyn: Die christliche Prägung mittelalterlicher Städte durch Hospitäler und Hôtels-DieuFlorian Weber: Von heiligen Orten und bösen Wirten. Städte und Gastlichkeit im Liber Sancti JacobiMartina Sitt: Jakobus auf dem Weg – Hamburger und Lübecker Pilgeransichten um 1500 und die Ikonographie der Armen- und KrankenfürsorgeMichael Scholz-Hänsel: Die Gastfreundschaft als eines der sieben leiblichen Werke der Barmherzigkeit im Wandel der Jahrhunderte und verschiedener visueller MedienMiguel Ángel González García: Zur Ikonographie der GastfreundschaftJavier Gómez-Montero: Zur Kultur der Gastfreundschaft am Jakobsweg im Spiegel normativer und narrativer TexteAbbildungsverzeichnisCatherine Geleyn: Die christliche Prägung mittelalterlicher Städte durch Hospitäler und Hôtels-DieuMartina Sitt: Jakobus auf dem Weg – Hamburger und Lübecker Pilgeransichten um 1500 und die Ikonographie der Armen- und KrankenfürsorgeMichael Scholz-Hänsel: Die Gastfreundschaft als eines der sieben leiblichen Werke der Barmherzigkeit im Wandel der Jahrhunderte und verschiedener visueller MedienMiguel Ángel González García: Zur Ikonographie der GastfreundschaftRegister der Orts- und PersonennamenAbkürzungs- und Siglenverzeichnis

Gastfreundschaft – Pilgerherbergen – Hospitalwesen

Zur Einführung

Javier Gómez-Montero

Paradigmatische Szenen der Gastfreundschaft und des Pilgerns finden wir schon in der Bibel. Vielleicht ist AbrahamAbraham, bibl. Gestalt, der jene drei Fremden in sein Zelt aufnahm (Gen 18,1-16), so etwas wie der Urvater der Gastfreundschaft. In der Apostelgeschichte zum anderen wird von den EmmausjüngernEmmaus, bibl. Ort berichtet, die Jesus unterwegs als ihren Begleiter nicht erkannten (Lk 24,13-35). Doch entscheidend für die christliche Vormoderne sollten die verschiedenen Regulierungsschübe sein, die die Schutzwürdigkeit des Pilgers und den besonderen Wert der Gastfreundschaft unterstreichen, und zwar im Sinne sowohl einer moralischen Übung als auch einer kulturellen Praxis, die auf dem Land ebenso wie in den Städten verbreitet ist. Mit dieser Regulierung in moralphilosophischer, liturgischer oder juristischer Hinsicht beschäftigen sich in diesem Band vor allem Klaus Herbers anhand der Predigt Veneranda dies aus dem Codex Calixtinus und ich selbst am Beispiel der Siete Partidas, der Gesetzbücher des kastilischen Königs Alfons X. des WeisenAlfons X. der Weise, Kg. von Kastilien und León (1252-1284) aus der Mitte des 13. Jahrhunderts. Nicht zuletzt aber wird Gastfreundschaft in den verschiedensten Schriften auch als ganz pragmatische Angelegenheit im Hinblick auf die materielle, mithin wirtschaftliche Komponente der Versorgung von Pilgern und Fremden thematisiert und natürlich als Quelle von Konflikten (Raub, Betrug usw.), wie Florian Weber in seinem Beitrag u. a. an der Figur des malus hospes, des bösen Gastwirtes, im Codex Calixtinus illustriert.

Bezeichnend ist, dass das Mönchtum des Frühen Mittelalters die erste kirchliche Institution war, die sich dank der Regel des hl. BenediktBenedikt von Nursia, Ordensgründer († 547), aber auch derjenigen des hl. FructuosusFructuosus von Braga, hl. († 665) und des hl. IsidorIsidor, Ebf. von Sevilla (600-636) bis in die Frühe Neuzeit der Aufgabe einer kostenlosen Versorgung von Pilgern, Armen und Kranken im Zeichen christlicher caritas annahm. Erst später, im Zuge der zunehmenden Urbanisierung Westeuropas, entstand im christlichen Raum, häufig im Zusammenhang mit Pilgerwegen, ein dichtes Netz von Institutionen und Strukturen auch weltlicher Natur, die sich ebenfalls der Versorgung dieser bedürftigen Gruppen widmeten1. Insofern waren neben Städten auch Bischofssitze, auf dem Land gelegene Klöster und Kirchen (oft unter dem Patronat des hl. Jakobus) Orte der Pilgeraufnahme, ebenso wie der Adel, Bruderschaften, Gilden und sonstige bürgerliche Mäzene als Stifter solcher Anstalten fungierten.

Im Geiste christlicher Barmherzigkeit entstand im Mittelalter also für die materielle und spirituelle Versorgung der Pilger ein dichtes Netz an Betreuungsstellen, die oftmals in Städten angesiedelt waren, aber auch – darauf geht Volker Honemann in diesem Band ein – bei der Vorbereitung auf einen beschwerlichen Wegabschnitt mit besonders schwierigen geographischen Bedingungen (Bergpässe, Flüsse usw.) oder bei der Erholung davon eine Rolle spielten. Auf dem Camino Francés haben sich gerade dort häufig große Spitäler, aber auch kleinere von Ritterorden wie dem Santiago-Orden, dem Templerorden, dem Johanniterorden und dem Altopascio-Orden niedergelassen, wie Gregoria Cavero Domínguez und María Josefa Sanz Fuentes insbesondere für den Nordwesten SpaniensSpanien hinlänglich untersucht und anschaulich dargestellt haben2.

Auch weitere Studien zur Baugeschichte bzw. Verwaltungs- und Versorgungsgeschichte, d. h. zur Sozial-, Wirtschafts- und Medizingeschichte liefern uns gesicherte Erkenntnisse über Alltagsleben und Strukturen solcher karitativen Einrichtungen bis in die Frühe Neuzeit3. In unserem Zusammenhang spielen diese Arbeiten eine wichtige Rolle, weil sie sich mit den ersten Spitalgründungen in AsturienAsturien, etwa in OviedoOviedo (Spanien) oder in Cerredo de TineoCerredo de Tineo (Spanien) am Camino Primitivo (das sogenannte Hospital de la EspinaCerredo de Tineo (Spanien)Hospital de la Espina, das 883 von Alfons III. dem GroßenAlfons III. der Große, Kg. von Asturien (866-910) gegründet wurde), mit dem Hospital de Santa MaríaRoncesvalles (Spanien)Hospital de Santa María in RoncesvallesRoncesvalles (Spanien), das 1127 von Sancho de LarrosaSancho de Larrosa, Bf. von Pamplona (1122-1142), Bischof von Pamplona (1122-1142), gegründet wurde, oder auch mit anderen bischöflichen Stiftungen wie dem in der Mitte des 12. Jahrhunderts entstandenen Kloster und HospitalBenevívere (Spanien)Hospital von BenevívereBenevívere (Spanien) befassen. Exemplarisch sei auch auf das für uns besonders interessante feinmaschige Netz der Pilgerversorgung in der Provinz LeónLeón (Spanien) hingewiesen, beispielsweise in Hospital de ÓrbigoHospital de Órbigo (Spanien) zwischen LeónLeón (Spanien) und AstorgaAstorga (Spanien), wo sich im Mittelalter die genannten Orden niedergelassen und Spitäler betrieben haben. Zur Armen- und Krankenversorgung, die nicht zuletzt auch Pilgern offenstand, hat Catherine Geleyn zuletzt interessante Erkenntnisse vorgelegt4, die sie auch in diesem Band dokumentiert.

 

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In jüngster Zeit sind nicht nur aus der Religionssoziologie, sondern auch aus der Philosophie und insbesondere aus der philosophischen Hermeneutik in der Nachfolge Paul RicœursRicœur, Paul, Philosoph († 2005) originelle Ansätze zur Weiterführung unserer Fragestellung, auch im Zusammenhang mit dem Jakobsweg, entwickelt worden. Ich beziehe mich vor allem auf den von Marcelino Agís Villaverde und Jesús Palmou Lorenzo herausgegebenen Band Camino, luego existo. Die Konzeptualisierung des Symbols im Sinne der RicœurschenRicœur, Paul, Philosoph († 2005) HeideggerHeidegger, Martin, Philosoph († 1976)-Lektüre erlaubt hier, einen Begriff des Camino als fusión de horizontes zu profilieren; der Weg bildet demnach einen Rahmen für die Konvergenz verschiedener Sichtweisen, insbesondere des Selbst und des Anderen5. Maria Luísa Portocarrero Ferreira da Silva weist auf kommunikative Möglichkeiten der Begegnung hin, die zweifellos auch für den Jakobsweg nutzbar gemacht werden können6. Eingedenk dessen, dass dem Camino m. E. der Status einer Heterotopie bzw. Heterochronie zugesprochen werden kann7, besitzt er ein ganz besonderes Potenzial zur Vermittlung bei Konflikten und Krisen in Bezug zum Selbst oder zur Welt bzw. zum Anderen. Einer Haltung des Argwohns (sospecha) könne dadurch, wie Portocarrero Ferreira da Silva unterstreicht, eine Haltung des Vertrauens (confianza) entgegengestellt, Vorurteile in der Kommunikation überwunden werden.

So lassen sich die Konzepte der Gastfreundschaft und Feindseligkeit, hospitalidad und hostilidad, in eine produktive Gegenüberstellung setzen, die Marcelino Agís ebendort durch die Strategie des Dialogs zwischen konträren Haltungen in die Dynamik eines Verwandlungsprozesses überführt8. Zweifellos lassen sich die vorangehenden Überlegungen mit Paul RicœursRicœur, Paul, Philosoph († 2005) Schrift Parcours de la reconnaissance weiterführen9. Ricœur situiert die angesprochene Begegnung in einem Spannungsverhältnis zwischen der reconnaissance à soi-même und der reconnaissance mutuelle, also zwischen einer Wiedererkennung des Selbst und einer Wiedererkennung des Anderen bzw. einer gegenseitigen Wiedererkennung. So hat im Anschluss daran Marcelino Agís im selben Band die Dynamik innerweltlicher und zwischenmenschlicher Begegnungen auf dem Jakobsweg in einer dreifachen Hinsicht folgendermaßen zugespitzt: „En el Camino se produce un triple encuentro con uno mismo, con el otro con el que compartimos un tramo del camino y con Dios, finalidad última de toda peregrinación religiosa.“10 Dies ist für uns ein äußerst interessanter Ansatz, denn der Jakobsweg profiliert sich auf diese Weise als Medium, in dem sich die hospitalidad auch als eine virtud cívica, also als eine staatsbürgerliche Tugend, erfassen lässt, die es erlaubt, die razones del otro im eigenen Denken mit einzubeziehen, d. h. das Kulturelle und den Denkhorizont des Anderen im Selbst zu beherbergen. Daraus ergibt sich der besondere Status dessen, was Agís vocación peregrina, Pilgerberufung, nennt, was ich aber anderswo auch als identidad peregrina bezeichnet habe und was nun im Lichte der angeführten Überlegungen philosophisch auch als razón compartida begriffen werden könnte, wenn man Agís’ Konzept eines logos vagabundo unter dem Eindruck dieses dialogischen Dispositivs der Vernunft erfassen darf11. In jedem Falle erlauben mir solche philosophischen Überlegungen auch zu unterstreichen, dass diese dialektische Überwindung der hostilidad, der Fremdenfeindlichkeit, durch praktizierte Gastfreundschaft auf dem Jakobsweg es ermöglicht, eine Wiedervereinigung von Selbst- und Welterkenntnis in diesem Erlebnis der Kommunikation und Einheit mit Selbst und Welt beim Pilgern zu erfahren, wovon insbesondere viele zeitgenössische Pilgerberichte und Autofiktionen, auf die ich auch in meinem eigenen Beitrag eingehe, künden.

 

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Ein weiterer für uns maßgeblicher Aspekt ist die Bedeutung der Gastfreundschaft und des Pilgerns für die Stadtgestaltung und das Stadtleben sowohl materiell, d. h. städtebaulich, als auch performativ im Sinne der Lebensgestaltung im Jahresverlauf. Dies betrifft sowohl Sakrales wie auch Profanes, denn beides kann als Ausdruck von Urbanität verstanden werden. Die reich bebilderten Beiträge zur ikonographischen Darstellung der Gastfreundschaft von Martina Sitt, Michael Scholz-Hänsel und Miguel Ángel González García veranschaulichen diese Verknüpfung geradezu exemplarisch anhand unterschiedlicher Orte und Zeiten. Interessant dabei ist für uns, dass die Imagination beide Ebenen, Sakral und Profan, Weltliches und Transzendentales der Pilgerfahrt, miteinander verbindet. Insbesondere ist die Verknüpfung im Stadtraum zu betonen, die die rituelle Struktur liturgischer Handlungen und die Stationen im Ablauf der Tagesgestaltung eines Pilgers am Pilgerziel oder auf dem Weg dorthin grundiert und die man auch ohne Weiteres in Santiago de CompostelaSantiago de Compostela (Spanien) darstellen könnte, wie z. B. Gonzalo Torrente BallesterTorrente Ballester, Gonzalo, Schriftsteller († 1999) im fünften Kapitel von Compostela y su ángel zeigt, einem Essay, der anlässlich des Heiligen Compostelanischen Jahres 1948 erschien und für den KielerKiel (Deutschland) Verlag Ludwig unter dem Titel Santiago de Compostela. Ein Pilgerlesebuch ins Deutsche übersetzt wurde12.

Insofern ist Pilgern in einer doppelten Hinsicht eine Kulturpraxis, die als urban bezeichnet werden kann: einerseits als Kulturpraxis in der Stadt, aber andererseits auch in Anbetracht der Tatsache, dass der Pilgerweg verschiedene heilige Stätten verbindet und darunter oftmals auch Städte, die ein Grab im Mittelpunkt bergen oder sogar um ein Grab herum entstanden sind. Der Aspekt der Urbanität betrifft dabei auch die Konzepte der Gastfreundschaft, seien sie religiös inspiriert, zwischenmenschlich artikuliert oder sogar kommerziell begründet, weil die sozialen Praktiken rund um Gastfreundschaft an Pilgerwegen sowohl auf die Gestaltung des äußeren Raumes, d. h. des heiligen Ortes, als auch auf die innerweltliche Gestaltung des Pilgers Einfluss haben. Deshalb kann das Pilgern heute als ein urbanes Phänomen betrachtet werden, das immer noch auf Transzendenz ausgerichtet ist. Auf der anderen Seite kann darüber hinaus die kollektive Identität des Pilgerortes nicht nur konstitutiv für die Stadtgemeinschaft wirken, sondern auch ein Dispositiv urbaner Resilienz in sich bergen – Resilienz im Sinne einer immer wieder aufs Neue sich erfindenden Selbstbehauptungs- und Selbstgestaltungskraft und Resilienz auch im Sinne eines Vermögens, Katastrophen, Schwierigkeiten und Konflikten (Pest, Krieg, Wirtschaftskrisen usw.) zu trotzen13. Vielleicht könnte man dieses Konzept sogar ganz besonders auf Santiago de CompostelaSantiago de Compostela (Spanien) und auf die Höhen und Tiefen der historisch unterschiedlichen Akzeptanz bzw. Nutzung des Jakobsweges übertragen.

 

***

 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Urbanität an Pilgerstätten in einer doppelten Dimension von Sakral und Profan eingebettet ist, dass sie an die sakralen Bauten und die damit verbundenen liturgischen Handlungen angebunden ist und sich zugleich in einer technisch-profanen Dimension äußert. Zugleich existiert auch ein religiös-symbolisch strukturiertes Imaginarium, das in der Transzendenz verankert ist und nicht nur von Theologen oder kirchlichen Amtsträgern getragen wird, sondern auch von Moralphilosophen, Literaten und schreibenden Pilgern. Dabei ist besonders die systematische Orientierung von Handlung und Reflexion auf eine symbolische Totalität hin maßgeblich. Andererseits ist diese profane materielle Achse, die auf Funktionalität bzw. Nutzen ausgerichtet ist, aber eng mit der sakralen symbolischen Ebene verbunden. Man könnte sagen, dass Reflexion und Handlung in dieser besonderen Form an Pilgerorten städtischen Ausmaßes geradezu strukturbildend wirken, und zwar früher ebenso wie heute. Sowohl in theologischer oder religionswissenschaftlicher Hinsicht als auch in anthropologischer und soziologischer Hinsicht geben sich diese beiden Ebenen die Hand und sind für die diskursive Beschreibung von Pilgerorten und die Rolle, die der Gastfreundschaft dabei zukommt, konstitutiv. Denn spirituelle Aspekte und natürlich ein moralisches und von christlichen Überzeugungen getragenes Fundament einerseits und materielle, funktionale Aspekte, etwa in der Beurteilung der Herbergen und der materiellen Versorgung oder in der Bereitstellung medizinischer Mittel, andererseits hängen oft miteinander zusammen. In diesem Sinne fügt sich der vorliegende Band in die Reihe von Arbeiten ein, die die Jakobswege als eine eminent anthropologisch ausgerichtete Kulturtopografie beschreiben, wie beispielsweise der 2016 erschienene Band Topografías culturales del Camino de Santiago/Kulturelle Topographien des Jakobsweges14.

Dies alles macht die Fragestellung dieses Bandes, die Gastfreundschaft in einem breit erfassten Sinne, so interessant für den Wissenschaftler wie auch für den Pilger bzw. Reisenden. Und zum Schluss darf man aus gegebenem Anlass die Aktualität der Frage noch einmal dadurch bestätigt sehen, dass die groß angelegten Ausstellungen der Landesstiftung von KastilienKastilien (Spanien) und LeónLeón (Spanien)Las Edades del Hombre in diesem Jahr unserem Thema gewidmet sind: „Hospitalitas“, kuriert von Miguel Ángel González García. Sie finden von Mitte Juni bis Ende November an zwei Veranstaltungsorten statt, einerseits in Villafranca del BierzoVillafranca del Bierzo (Spanien) im westlichen LeónLeón (Spanien), andererseits aber auch in Santiago de CompostelaSantiago de Compostela (Spanien). Und nicht zuletzt hat im vorigen Jahr 2023 das spanische Kulturministerium die acogida tradicional, also die historischen Formen der Pilgeraufnahmen auf dem Jakobsweg und darüber hinaus, als immaterielles Kulturerbe (patrimonio inmaterial) anerkannt. Damit ist auch die wichtige ehrenamtliche Arbeit der hospitaleros auf dem Jakobsweg gesellschaftlich und kulturell gewürdigt worden.

Die meisten der in diesem Band versammelten Beiträge gehen auf die Jahrestagung der Deutschen St. Jakobus-Gesellschaft in Essen-Werden im Herbst 2018 zurück, auf der Andreas Sohn, Klaus Herbers, Michael Scholz-Hänsel und Javier Gómez-Montero ihre Beiträge vorstellten. Später vertieften weitere Aufsätze, wie die von Mitherausgeber Florian Weber, von Martina Sitt, Volker Honemann, Catherine Geleyn und Miguel Ángel González García, die entworfenen Fluchtlinien. Allen Beteiligten sei herzlich gedankt. Mein besonderer Dank gilt dabei Florian Weber, der sowohl die editorische Vorbereitung des Bandes als auch die Koredaktion dieses Einleitungsbeitrages übernommen hat.

Literaturverzeichnis

Marcelino AGÍS VILLAVERDE/Jesús PALMOU LORENZO (Hg.), Camino, luego existo. Pensar el camino en clave cosmopolita, Vigo 2017; darin: Maria Luísa PORTOCARRERO FERREIRA DA SILVA, Balizas del camino hermenéutico en un mundo cambiante, S. 285-298.Marcelino AGÍS VILLAVERDE, El diálogo como hospitalidad lingüística, S. 299-321.Marcelino AGÍS VILLAVERDE, No sin el otro: caminos del reconocimiento, S. 131-142.

César ÁLVAREZ ÁLVAREZ/Gregoria CAVERO DOMÍNGUEZ, Peregrinación y hospitalidad, in: Los constructores de catedrales. El Camino de Santiago, Bd. 1, hg. von Manuel Abilio RABANAL ALONSO, León 1993, S. 127-152.

José Manuel GARCÍA IGLESIAS (Hg.), El Hospital Real de Santiago de Compostela y la hospitalidad en el Camino de Peregrinación, Santiago de Compostela 2004.

Catherine GELEYN, La grande hospitalité médiévale. Hôpitaux et hôtels-Dieu du Moyen Âge central, Arles 2023.

Javier GÓMEZ-MONTERO, El Camino de Santiago hoy, territorio metropolitano y espacio antropológico (Conceptos. Relatos testimoniales y ficciones), in: DERS./Antonio COLINAS/Miguel Ángel GONZÁLEZ GARCÍA/José Luis PUERTO/John RUTHERFORD (Hg.), El Camino de Santiago en la literatura (Lecciones jacobeas 2010), Astorga 2011, S. 81-120.

Javier GÓMEZ-MONTERO, Le chemin de Saint-Jacques, territoire métropolitain, in: Urbes Europaeae II. Ciudades europeas: Imaginarios culturales ante la globalización/Europäische Städte im Zeichen der Globalisierung, hg. von Javier GÓMEZ-MONTERO/Christina BISCHOFF/Anxo ABUIN, Kiel 2012, S. 149-172.

Javier GÓMEZ-MONTERO (Hg.), Topografías culturales del Camino de Santiago/Kulturelle Topographien des Jakobsweges, Frankfurt a. M. 2016.

Luciano HUIDOBRO Y SERNA, Las peregrinaciones jacobeas, Madrid 1950.

Luis MARTÍNEZ GARCÍA, Comer y beber en el Camino de Santiago. La alimentación en el Hospital del Rey de Burgos a finales de la Edad Media, in: IV Congreso internacional de Asociaciones Jacobeas: actas, Carrión de los Condes (Palencia), 19-22 de septiembre de 1996, Valladolid 1997, S. 153-160.

Alfredo MARTÍN GARCÍA/María José PÉREZ ÁLVAREZ, Hospitalidad y asistencia en la provincia de León a finales del Antiguo Régimen (1728-1896), in: Dynamis. Acta Hispanica ad Medicinae Scientiarumque Historiam Illustrandam 27 (2007), S. 157-185.

María José PÉREZ ÁLVAREZ, Enfermedad y caridad en la provincia de León durante la Edad Moderna: el Hospital de las Cinco Llagas de la ciudad de Astorga, in: Hispania Sacra 63 (2011), S. 75-102.

Laureano RUBIO PÉREZ (Hg.), Pobreza, marginación y asistencia en la Península Ibérica (siglos XVI-XIX), León 2009.

Juan Ignacio RUIZ DE LA PEÑA SOLAR, Las peregrinaciones a Santiago de Compostela, cauce de transformaciones sociales y reactivación económica en la Edad Media peninsular, in: Cuadernos del CEMYR 6 (1998), S. 13-26.

Jörg RÜPKE, Urban Religion. A Historical Approach to Urban Growth and Religious Change, Berlin/Boston 2020.

Horacio SANTIAGO-OTERO (Hg.), El Camino de Santiago. La hospitalidad monástica y las peregrinaciones, Valladolid 1992.

María Josefa SANZ FUENTES/Gregoria CAVERO DOMÍNGUEZ, El hospedaje y la alimentación en los caminos Jacobeos, in: Crónica de un peregrino singular, hg. von Marcelino AGÍS VILLAVERDE/Jesús PALMOU LORENZO/Ulises BÉRTOLO GARCÍA, Santiago de Compostela 2021, S. 129-156.

Gonzalo TORRENTE BALLESTER, Santiago de Compostela. Ein Pilgerlesebuch, hg. von Javier GÓMEZ-MONTERO, Kiel 2007.

Luis VÁZQUEZ DE PARGA/José María LACARRA/Juan URÍA RÍU, Las peregrinaciones a Santiago de Compostela, Bd. 1, Madrid 1948; darin:Juan URÍA RÍU, La hospitalidad con los peregrinos y el hospedaje, S. 281-399.

Jürgen WENZEL, Armut und Armenfürsorge in Spanien in der Frühen Neuzeit. Studien zur Sozialgeschichte Pamplonas im 16. Jahrhundert, Kiel 2012.

Gastfreundschaft und Pilgerfürsorge im Liber Sancti Jacobi*

Klaus Herbers

I. Einleitung

Der Pilgerführer des Liber Sancti Jacobi schreibt in Kapitel 11 unter der Überschrift Weshalb die Pilger des hl. Jakobus aufgenommen werden müssen Folgendes:

Die Pilger, seien sie nun arm oder reich, die vom Grab des hl. Jakobus zurückkehren oder dorthin unterwegs sind, müssen von allen Menschen barmherzig aufgenommen und hochgeachtet werden. Denn wer jene aufnimmt und mit Eifer beherbergt, wird nicht nur den hl. Jakobus, sondern den Herrn selbst als Gast haben, wie es der Herr selbst im Evangelium sagt: „Wer euch aufnimmt, nimmt mich auf.“

Es gab einst viele, die sich den Zorn Gottes zuzogen, weil sie Pilger des hl. Jakobus und Bedürftige nicht aufnehmen wollten. In NantuaNantua (Frankreich), einer Stadt zwischen GenfGenf (Schweiz) und LyonLyon (Frankreich), verweigerte ein Weber einem Pilger des hl. Jakobus das Brot, das dieser für sich erbat; plötzlich fiel der Webstoff, in der Mitte entzweigerissen, auf den Boden.

In VilleneuveVilleneuve (Frankreich) bat ein armer Pilger des hl. Jakobus eine Frau, die unter heißer Asche Brot hatte, um ein Almosen aus Liebe zu Gott und dem seligen Jakobus. Sie antwortete, daß sie kein Brot habe; darauf sprach der Pilger: Wolle Gott, das Brot, das du hast, werde zu Stein! Als der Pilger jenes Haus verlassen hatte und schon weit entfernt war, ging die nichtswürdige Frau zur Asche in der Absicht, das Brot zu holen; an Stelle des Brotes fand sie einen runden Stein. Mit reumütigem Herzen eilte sie sofort dem Pilger nach, fand ihn aber nicht.

Bei der Stadt PoitiersPoitiers (Frankreich) baten zwei französische Herren, die einst ohne jede Habe vom hl. Jakobus zurückkehrten, vom Hause des Johannes Gautier bis zur Kirche St-PorchairePoitiers (Frankreich)St-Porchaire, Kirche um Gastfreundschaft aus Liebe zu Gott und dem hl. Jakobus, fanden jedoch keine. Als sie im letzten Haus jener Straße, neben der Basilika des hl. PorcariusPorcarius, hl. († ca. 600), schließlich bei einem Armen Aufnahme fanden, trat die Strafe Gottes ein: Ein rasendes Feuer brannte die ganze Straße in jener Nacht nieder, beginnend bei jenem Haus, in dem sie zuerst um Gastfreundschaft gebeten hatten; bis zu dem Haus, in dem sie bewirtet worden waren. Es waren ungefähr tausend Häuser. Jenes Haus aber, in dem die Diener Gottes aufgenommen worden waren, blieb durch Gottes Gnade unversehrt.

Deshalb sollte man wissen, daß die Jakobspilger, seien sie arm oder reich, zu Recht aufgenommen und gewissenhaft umsorgt werden müssen1.

Es ist das letzte Kapitel dieses Schlüsseldokumentes zum Jakobuskult, das insgesamt aus fünf Teilen besteht2. Die Ermahnung steht wohl nicht ganz ohne Absicht am Ende des gesamten Buches aus dem 12. Jahrhundert, denn damit wird ein zentrales Thema dieser Zeit angeschlagen.

Auf welche Gastfreundschaft konnten denn die Pilger dieser Zeit bauen? Gab es gleichsam so etwas wie einen Anspruch darauf, angemessen beherbergt zu werden? In jedem Fall besteht eine enge Beziehung zwischen Gastfreundschaft und Barmherzigkeit3. Weitere Facetten des Themas spielen in den anderen Beiträgen dieses Bandes eine Rolle. Ich möchte mich deshalb zunächst auf eine kurze Skizze zur christlichen Gastlichkeit beschränken (II), dann weitere Belege des Jakobsbuches in den Mittelpunkt rücken (III), um schließlich nach dem Verhältnis von Gastlichkeit und allgemeiner Pilgerfürsorge zu fragen (IV).

II. Zur Entwicklung christlicher Gastlichkeit

Gastlichkeit, Armen- und Fremdenfürsorge gehören zu den christlichen Grundtugenden, denn: Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan (Mt 25,40), oder – das schon aus dem Jakobusbuch evozierte Zitat –: Wer euch aufnimmt, nimmt mich auf (Mt 10,40) – dieser Christusbezug dürfte christliche Gastlichkeit durchaus von Vorstellungen zur Gastlichkeit in anderen Religionen unterscheiden.

Trotz dieser häufig wiederholten Grundforderung der christlichen Lehre gab es spezielle Ausprägungen. Zentral ist der enge Zusammenhang mit der Armenfürsorge. Bernhard Schneider hat die Vielschichtigkeit des Helfens insgesamt in ihrer historischen Tiefendimension zusammengefasst1. Ich möchte drei Aspekte in den Vordergrund rücken, die sich mit den Begriffen Xenodochium, Kloster und Hospital verbinden.

Besonders im oströmischen Reich hatten sich die aus der Spätantike bekannten Formen der Armenfürsorge weiterentwickelt. Auch im Westen waren die staatlichen Aufgaben wie die Armenspeisung an kirchliche Institutionen und Bischöfe übergegangen. Eine Möglichkeit war es, Arme in Listen zu erfassen (Matrikel), die häufig beim Kirchgang versorgt wurden. So wissen wir davon, dass es auch bei den römischen Päpsten Matrikel gab, um Arme zu speisen, die beispielsweise im 9. Jahrhundert belegt sind2. Im Osten werden die Institutionen der Armenfürsorge meist als Xenodochium bezeichnet. Was ist aber darunter zu verstehen? „Der Begriff Xenodochium wird als Sammelbegriff für Institutionen verwendet, die, in der Gastfreundschaft wurzelnd, Armen und Pilgern jedweder Art Obdach boten und sich zu Armenfürsorgeeinrichtungen entwickelten, die mit der Versorgung Notleidender ebenso wie mit der Pflege Kranker beschäftigt waren“3. Hospitäler sind im Westen in GallienGallien und ItalienItalien häufig nachgewiesen, besonders an kritischen Stellen der Wege, so in den Alpen (Großer Sankt BernhardGroßer Sankt Bernhard, Berg). In diesen Institutionen wurden Fremde beherbergt, Pilger gehörten dazu. Ein Beleg aus LuccaLucca (Italien) von 720 besagt, dass dort peregrini, Arme, Witwen und Waisen aufgenommen wurden4.

Diese Hilfe war aber temporär, also zeitlich befristet, ganz anders als beispielsweise die Armenspeisung, die wir aus den Armenmatrikeln kennen5. Und es gab manchmal Beschränkungen durch die Stifter, gerne begrenzte man zum Beispiel die Zahl der Begünstigten auf zwölf nach dem Beispiel der Apostelzahl.

Alles dies hatte auch einen theologischen Hintergrund, der nicht nur in gelehrten Abhandlungen, sondern auch räumlich ausgedrückt wurde: Xenodochium und das Oratorium im Kirchenraum lagen oft beieinander oder das Xenodochium war mit dem Oratorium verbunden: „Letzteres diente der religiösen ‚Versorgung‘ der Pilger, Armen und Kranken, war aber auch umgekehrt der Ort, wo diese für ihre Wohltäter beten und deren Gedächtnis (memoria) fürbittend pflegen konnten“6. Die Verbreitung dieser Institutionen in GallienGallien und ItalienItalien ist inzwischen aufgearbeitet; für GallienGallien sind bis in die Mitte des 8. Jahrhunderts Belege für 34 Orte gesichert worden7.

Inwieweit waren aber die Klöster im lateinischen Westen zur Beherbergung Fremder verpflichtet?8 Ohne die verschiedenen Mönchsregeln einzeln sichten zu können, sei nur kurz der erste Satz aus der im Westen prägenden BenediktsregelBenedikt von Nursia, Ordensgründer († 547), Kapitel 53 zitiert: Alle Fremden, die kommen, sollen aufgenommen werden wie Christus, denn er wird sagen: „Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen“9. Die Anspielung auf das Neue Testament (Mt 10,40) verwies offensichtlich auf das zentrale Zitat, das ja auch im Pilgerführer aus dem Liber Sancti Jacobi erscheint10. Das Kapitel schildert dann eingehend, wie die Aufnahme vonstattengehen soll: gemeinsames Gebet, Friedenskuss, Essen, Fußwaschung und weiteres mehr11. Wie sehr aber das Bibelzitat prägend war, zeigt der 15. Abschnitt, in dem es nochmals heißt: Vor allem bei der Aufnahme von Armen und Pilgern zeige man Eifer und Sorge, denn besondersin ihnen wird Christus aufgenommen12. Andere Regeln und Regelkommentar sowie Synodalbeschlüsse haben das weiterentwickelt und differenziert. Ob dabei die häufige Wiederholung der Bestimmungen darauf deutet, dass die Bestimmungen nicht eingehalten wurden, könnte zumindest teilweise zutreffen.

Im Kloster war Gastfreundschaft gefordert, aber es gab auch Grenzen: So schrieb Theodulf von OrléansTheodulf, Bf. von Orléans (798-813), ein bedeutender Gelehrter aus dem Westgotenreich am Hof Karls des GroßenKarl der Große, Kg. des Fränkischen Reichs (768-814) im frühen 9. Jahrhundert von Andrang und Überforderung: Bei Gott, wenn der heilige BenediktBenedikt von Nursia, Ordensgründer († 547) heute da wäre, er würde sie [gemeint: die Pförtner] heißen die Pforten zu schließen13.

Neben den Xenodochien und Klöstern sei kurz die dritte Säule der christlichen Gastfreundschaft genannt, die Hospitäler. Dabei ist die Terminologie von Hospiz zu Hospital unscharf. Bernhard Schneider unterscheidet in Anlehnung an Holger Stunz vier Typen, vor allem nach Größe und Finanzierung. Zunächst gab es Kleinhospitäler mit etwa 15 bis 20 Personen, die Pfründner aufnehmen konnten, aber nicht mussten. Insgesamt reichte ein relativ geringes Stiftungsaufkommen. Der zweite Typus war ähnlich, rechnete aber mit einer höheren Zahl von Pfründnern und hatte ein höheres Vermögen. Der dritte Typus mit etwa 30 bis 60 Personen wurde meist in Mittelstädten angetroffen, auch hier stellten die Pfründner mit ihrem eingebrachten Kapital eine wichtige ökonomische Basis sicher. Unter dem Einfluss von Kommunen ist diese Form des Hospitals erst ab dem 14. Jahrhundert häufiger anzutreffen. Der letzte Typus betrifft Großspitäler, die meist durch eine Großstiftung ins Leben gerufen wurden, die zwar ähnlich arbeiteten, nun aber auch wichtige ökonomische Verpflichtungen eingehen konnten14. Großinstitutionen wie das in SantiagoSantiago de Compostela (Spanien) seit dem 15./16. Jahrhundert bedeutsame Hostal de los Reyes CatólicosSantiago de Compostela (Spanien)Hostal de los Reyes Católicos, Hospital seien hier ausgespart.

Wie es zu diesen Hospitalgründungen kam, ist unterschiedlich. Ab dem 12./13. Jahrhundert waren vielfach Klöster und Kirchen verantwortlich, aber nicht nur, denn dazu traten ab dem 13. Jahrhundert Bruderschaften, die ebenfalls Hospitäler gründeten und oft auch über einen längeren Zeitraum verwalteten. Manche Bruderschaften übernahmen hingegen die Betreuung schon bestehender Institutionen oder sie unterstützten die Insassen von Hospitälern, die in der Obhut anderer Institutionen lagen15.

Mit dem Hospital wurden die anderen Formen der Gastfreundschaft und -pflege nicht überflüssig. Es gab offensichtlich eine Vielfalt. Auch die persönliche Verantwortung – wie das Eingangszitat belegt – war nicht einfach abgeschafft. In die Umbruchszeit des 12. Jahrhunderts gehören aber auch die weiteren Bemerkungen des Liber Sancti Jacobi, zu dem ich nun in meinem dritten Abschnitt zurückkehre.

III. Mirakel und Predigt – gegen böse und unrechte Wirte

Das Jakobusbuch bietet nicht nur in dem zitierten Abschlusskapitel Bemerkungen zur Gastlichkeit. Allerdings werden die Fragen in anderen Teilen des Buches anders eingeführt. Denken wir nur an das berühmte Galgen- oder Hühnerwunder, das in der deutschen Fassung folgendermaßen lautet:

Von dem gehängten Pilger, den der selige Apostel nach dreißig Tagen am Galgen vom Tode erlöste. Ein Exemplum vom hl. Jacobus, aufgezeichnet durch Papst CalixtusCalixt II., Papst (1119-1124).

Es ist zu berichten, daß im Jahre 1090 nach Christi Geburt einige Deutsche im Pilgergewand zum Grabe des seligen Jacobus unterwegs waren1. Sie kamen mit großen Reichtümern bis zur Stadt ToulouseToulouse (Frankreich)2 und fanden dort bei einem reichen Manne Unterkunft. Dieser aber heuchelte hinterlistig, wie ein Wolf im Schafspelz, große Harmlosigkeit, nahm sie geziemend auf, machte sie dann jedoch, scheinbar als Zeichen der Gastfreundschaft, mit verschiedenen Getränken in betrügerischer Absicht betrunken. Welch blinde Habgier, welch nichtswürdige Neigung des Menschen zum Bösen! Schließlich waren die Pilger von Schlaf und Rausch völlig übermannt. Der falsche Gastgeber aber, von Habgier angestachelt, steckte heimlich einen silbernen Becher in das Gepäck der Schlafenden. Er wollte sie damit als des Diebstahls schuldig überführen und dann ihr Geld einheimsen. Nach dem ersten Hahnenschrei verfolgte der ungetreue Gastgeber mit einer Handvoll bewaffneter Männer die Pilger, mit dem Ruf: „Gebt mir meine gestohlene Habe wieder!“ Darauf erhielt er von ihnen als Antwort: „Wenn du das Gestohlene bei einem findest, soll er nach deinem Gutdünken verurteilt werden.“

Es fand also eine Durchsuchung statt, und bei zweien, Vater und Sohn, fand er in ihrem Gepäck den Becher. Widerrechtlich beschlagnahmte er ihre Habe und schleppte sie vor das öffentliche Gericht. Der Richter aber war von Mitleid gerührt und verurteilte einen zur Todesstrafe, der andere sollte frei sein. O ergreifende Vater- und Kindesliebe! Der Vater wollte, daß sein Sohn freigesprochen werde und daß man ihm das Todesurteil zuspreche. Der Sohn dagegen sagte: „Es ist unbillig, daß der Vater an Stelle des Sohnes dem Tode ausgeliefert wird. Vielmehr muß der Sohn für den Vater die verhängte Strafe erleiden.“ Ein bewundernswertes Beispiel gegenseitiger Hingabe! Schließlich wurde der Sohn nach seinem Wunsch, zur Befreiung des geliebten Vaters, erhängt. Der Vater aber setzte weinend und trauernd seinen Weg zum hl. Jacobus fort.

Nachdem er den ehrwürdigen Altar des Apostels besucht hatte, kehrte der Vater nach 36 Tagen zurück und machte einen Umweg zu dem noch immer am Galgen hängenden Leichnam seines Sohnes. Er rief unter Tränen und Seufzern und mitleiderregendem Stöhnen: „Weh mir, mein Sohn, wozu habe ich dich gezeugt, warum dich aufgezogen, den ich jetzt dort hängen sehe?“ Aber wie großartig sind deine Werke, o Herr! Der Gehängte tröstete seinen Vater und sprach: „Trauere nicht, herzgeliebter Vater, über meine Qual, die keine ist, sondern freue dich lieber, denn es geht mir jetzt besser als bisher in meinem vergangenen Leben. Der selige Jacobus hat mich mit seinen Händen gestützt und wärmt mich voller Milde.“ Auf diese Worte hin eilte der Vater in die Stadt und rief das Volk auf, dieses Gotteswunder zu schauen. Sie kamen herbei, sahen, daß der Gehängte nach so langer Zeit noch lebte und erkannten jetzt, daß er wegen der unersättlichen Gier des Wirtes angeklagt worden war, durch Gottes Erbarmen aber gerettet. Dieses ist vom Herrn geschehen und ist ein Wunder in unseren Augen. Sie nahmen ihn also unter großem Jubel vom Galgen ab. Den Wirt aber verurteilten sie verdientermaßen zum Tode und hängten ihn auf der Stelle auf3.

Auffällig ist, dass erst ganz am Schluss, in einer Art Moralisierung, deutlich wird, worauf es dem Autor ankommt:

Demzufolge sollen alle, die als Christen gelten wollen, mit großer Sorgfalt darauf bedacht sein, niemals ihren Gästen oder überhaupt ihren Nächsten gegenüber einen solchen Betrug zu begehen. Sie sollen vielmehr den Pilgern Mitgefühl und freundliche Zuneigung erweisen, auf daß sie den Lohn der ewigen Glorie von dem empfangen, der als Gott lebt und regiert in alle Ewigkeit. Amen4.

Hier ist von misericordia („Mitgefühl“ oder „Barmherzigkeit“) die Rede. Auch in der bekannten Predigt Veneranda dies, in Kapitel 17 des ersten Buches, wird ähnlich argumentiert:

Was soll ich aber von den schlechten Wirten erzählen, welche die Pilger mit zahllosen Betrügereien täuschen? Wie JudasJudas Iskariot, Apostel († ca. 30) die Strafe seiner Schuld und der SchächerDismas, bibl. Gestalt den Lohn für sein Bekenntnis vom Herrn Jesus Christus während seiner Passion empfing, so werden die schlechten Gastgeber die Strafen für ihre Missetaten in der Hölle, die wahren Pilger jedoch den Lohn ihrer Werke und Mühen im Himmel ernten. Verdammt sind also die bösartigen Wirte des Jakobsweges, die durch zahllose Betrügereien die Pilger ausnehmen. Manche gehen ihnen am Stadtrand entgegen und küssen sie, so als ob sie ihre von weit angereisten Verwandten seien. Was tun sie weiterhin? Sie führen sie in ihre Häuser, versprechen ihnen alle guten Dinge und handeln schlecht. Wem gleichen sie, wenn nicht JudasJudas Iskariot, Apostel († ca. 30), der den Herrn mit einem Kuß verriet (Mt 26,49)? Sie reichen ihnen zuerst zum Kosten den besten Wein und verkaufen dann, wenn sie können, den schlechten. Manche verkaufen Apfelwein als Wein, wieder andere verdorbenen als guten Wein. Weitere verkaufen Fische oder gegartes Fleisch, die zwei oder drei Tage alt sind und die die Pilger krank machen. Wieder andere zeigen ein großes Maß und messen, wenn möglich, mit einem kleinen. Einer hat betrügerische Wein- und Hafermaße: außen riesig, innen jedoch klein, schmal und unzureichend ausgehöhlt, man nennt sie volkssprachlich marsiciae. Über solch unrechten Wirt klagt JesajaJesaja, Prophet (8. Jh. v. Chr.) mit den Worten: „Die Waffen des Arglistigen sind schlecht, denn er schmiedet schlimme Pläne, die Armen durch Lügenreden zu verderben.“ Ein anderer gibt, wenn möglich, Wasser ins Glas, während er den Wein vom Faß zapft. Andere versprechen den Pilgern beste Betten und geben schlechte. Manche lassen beim Eintreffen neuer Gäste die alten bezahlen und vertreiben sie dann. Der schlechte Wirt macht seinen Pilgergästen kein gutes Bett, wenn diese ihm nicht Nahrung oder eine Münze geben. Wenn das Geldstück des Pilgers in der Stadt, wo er essen möchte, zwei Geldstücke wert ist, so wertet es der schlechte Wirt nur wie ein einziges oder ist es nur eines wert, nimmt er es nur als einen Obolus. Der schlechte Wirt gibt seinen Gästen besten Wein, um sie betrunken zu machen und um dann während ihres Schlafes von ihnen Geldbeutel, Tasche oder etwas anderes zu stehlen. Der schlechte Wirt reicht ihnen todbringende Getränke, um sich ihrer Habe zu bemächtigen. Ebenso werden jene bestraft werden, die ein Faß unterteilen und es mit zwei verschiedenen Weinen füllen, von denen sie zunächst den besseren den Pilgern zur Probe anbieten, dann jedoch nach dem Essen den schlechteren aus dem zweiten Teil des Fasses servieren. Andere haben Gerste- oder Hafermaße, die auf Spanisch cafhit oder aroa heißen und die etwa einen Inhalt im ortsüblichen Wert von sechs Münzen fassen, jedoch verkaufen sie diesen den Pilgern wenn nicht für zwölf, so doch mindestens für zehn Münzen. Bei einem üblichen Preis von zwölf Geldstücken nehmen sie von Pilgern 20 oder gar zwei Schillinge. Ebenso wird der sextarius Wein, wenn er im Ort normalerweise für zwölf Münzen verkauft wird, jenen für zwei Schillinge feilgeboten.

Was soll ich jedoch von der Dienerin sagen, die auf Geheiß der Herrin abends das Wasser im Haus vergießt, damit die dürstenden Pilger in der Nacht kein Wasser zum Trinken finden und den Wein des Wirtes kaufen? Was ist mit jener, die nachts mit Zustimmung des Wirtes Hafer oder Gerste aus den Futterkrippen stiehlt? Sie sind verdammt! Ebenso treffe der Bann die Wirtsmägde, die sich aus Hurerei und Geldgier auf teuflisches Geheiß nachts den Pilgerbetten zu nähern pflegen. Die Dirnen, die aus diesem Grund zwischen der MiñobrückeMiño, Fluss und Palas del ReyPalas de Rei (Spanien) in waldreicher Gegend den Pilgern häufig entgegentreten, müssen nicht nur exkommuniziert, sondern von allen geplündert und durch Rümpfen der Nase öffentlich geächtet werden. Einzeln pflegen sie sich immer einem einzelnen darzubieten. Geliebte Brüder! Auf welche Art der Teufel seine unrechten Netze auswirft und den Jakobspilgern die Höhle des Verderbens öffnet, vermag ich nicht zu beschreiben.

Was soll ich andererseits über die schlechten Wirte sagen, die das Geld der Pilger, die in ihrem Haus sterben, begierig behalten, anstatt es den Klerikern und Armen als Almosen pflichtgemäß zu geben; sie seien wahrhaft verdammt! Die schlechten Gastgeber der Stadt Santiago geben den Gästen die erste Mahlzeit gratis und verkaufen ihnen dafür Kerzen oder Wachs. Welch vorgetäuschte Barmherzigkeit, welch falsche Frömmigkeit und welch vollkommen betrügerische Großzügigkeit! Wenn an einem Datum zwölf Pilger da sind, spendiert der unfreundliche Wirt als erstes ein Fleisch- oder Fischgericht, das auf dem städtischen Fleischmarkt acht Münzen kostet, um ihnen dann zwölf Kerzen, die er auf dem städtischen Markt für insgesamt vier Schillinge – jede einzelne für vier Geldstücke – erworben hat, zum Preis von sechs Schillingen zu verkaufen, also jede für sechs Geldstücke. So gibt er das Wachs, das vier Geldstücke wert ist, für sechs Münzen ab und Wachs im Wert von vier Schillingen für sechs Schillinge, damit hat er ihnen heimtückisch das Essen verkauft. Was noch? Fleisch und Fisch im Wert von acht Münzen, die er ihnen zum Essen „schenkte“ verkauft er ihnen in Wirklichkeit betrügerisch zu einem Preis von zwei Schillingen. Oh, welch ruchlose Macht, welch verächtlicher Wucher! […]

Andere erzählen auf die Fragen der Pilger hin die erwähnten Lügenmärchen statt der wahren und ehrbaren Taten des hl. Jakobus. Ein anderer schlauer Wirt schickt seinen Gefolgsmann von Santiago de CompostelaSantiago de Compostela (Spanien) bis zur MiñobrückeMiño, Fluss den Pilgern entgegen, der diese dann folgendermaßen anspricht: „Meine Brüder und Freunde: Ich bin Bürger der Stadt des hl. Jakobus; ich bin nicht wegen der Beherbergung hierhergekommen, sondern hüte ein krankes Maultier meines Herrn aus jener Stadt; geht zu dessen Haus und meldet jenem bitte, sein Maultier werde schnell geheilt werden. Nehmt auch dort Quartier, denn mir zuliebe gewährt er euch als Boten dieser Nachricht alles Gute.“ Jedoch finden die Pilger, wenn sie dorthin gelangen, alles Schlechte.

Ein anderer geht ihnen nach BarbadeloBarbadelo (Spanien) oder TriacastelaTriacastela (Spanien) entgegen, und wenn er Pilger trifft, grüßt er und redet schlau zunächst über andere Dinge, um ihnen schließlich zu sagen: „Meine Brüder, die ihr nach SantiagoSantiago de Compostela (Spanien) unterwegs seid, ich bin ein glücklicher Bürger dieser Stadt und bin nicht gekommen, um mir Kunden zu verschaffen, sondern um mit einem meiner Brüder zu sprechen, der in dieser Stadt wohnt. Wenn ihr eine gute Herberge in SantiagoSantiago de Compostela (Spanien) haben wollt, quartiert euch in meinem Haus ein. Sagt meiner Frau und meiner Familie, sie mögen euch mir zuliebe gut versorgen. Ich gebe euch ein Erkennungszeichen mit, das ihr ihnen zeigen sollt.“ Mit diesen Worten gibt er als Symbol einigen sein Messer, anderen einen Gürtel, wieder anderen einen Schlüssel, weiteren einen Riemen, einen Ring, einen Hut oder einen Handschuh und schickt sie zu seinem Haus. Nachdem jene zu dessen Haus gekommen sind, sich einquartiert haben und ihnen die Frau dieses Wirtes das erste Gericht gebracht hat, verkauft sie Wachs im Wert von vier Münzen zu einem Preis von acht oder zehn. So werden die Jakobspilger von den Wirten betrogen5.

Diese Zitate sind vielen bekannt und zeichnen ein negatives Bild. Die Kritik unterstreicht aber, was erwünscht ist. Der Liber Sancti Jacobi erschließt aber etwas Weiteres. Die Pilger nahmen nicht nur die Infrastruktur von Klöstern, Hospizen oder anderen Einrichtungen in Anspruch. Nicht zuletzt mit den Beispielen aus dem Jakobsbuch haben Hans Conrad Peyer6 und Ludwig Schmugge7 von der Entstehung der kommerziellen Gastlichkeit an den Pilgerwegen gesprochen: Von der Gastfreundschaft zum Gasthaus. Und in der Tat: Wir treffen in der Zukunft beides an: Noch bei Hermann Künig von VachHermann Künig von Vach, Servitenmönch († nach 1495) werden christliche Gastungseinrichtungen ebenso genannt wie die Gasthäuser, von denen manche empfohlen, vor manchen gewarnt wird. Dieser deutsche Pilgerführer kritisiert vor allem den Spitalmeister von BurgosBurgos (Spanien), der den Deutschen nicht zugetan sei8, eine Kritik, die auch das Pilgerlied Wer das elent bawen will aufgreift9.

IV. Gastfreundschaft und Barmherzigkeit

Der Liber Sancti Jacobi bietet also vor allem im Pilgerführer, in den Mirakeln sowie in der Predigt Veneranda dies wichtige Hinweise zur Gastfreundschaft bezüglich der Pilger. Vielfach werden aber die Missstände einer nicht angemessenen Gastfreundschaft gegeißelt; auch das Kapitel 11 am Schluss erhebt ja den Zeigefinger. Will man es positiv formulieren, so müssen wir in die liturgischen Teile des Liber Sancti Jacobi schauen und den Blick weiten und nicht nur die materielle, sondern auch die spirituelle Achtsamkeit für die Pilgerbedürfnisse in den Blick rücken. Im Einleitungsbrief wird auf eine Oration verwiesen, die im 27. Kapitel erneut erscheint: Pateant aures misericordie tue, quesumus, Domine, precibus supplicantum beati Iacobi peregrinorum, et ut petentibus desiderata concedas, fac tibi eos que sunt placita postulare, per …1. („Die Ohren Deiner Barmherzigkeit mögen, so bitten wir, Herr, offenstehen für die Bitten der Pilger zum seligen Jakobus …“)

Dieser Text ist seit der Karolingerzeit bekannt2 und findet sich bereits im gregorianischen Sakramentar: als oratio super populum an der feria quarta der vierten Fastenwoche3. Hier fehlt nur der Zusatz beati Iacobi peregrinorum. Dies zeigt deutlich, wie eine spezielle Pilgerliturgie im Liber Sancti Jacobi zusammengestellt wurde, es verweist aber auch darauf – und hier ist nicht nur die materielle Barmherzigkeit gemeint –, dass letztlich die göttliche Barmherzigkeit hinter den menschlichen Bitten steht.

Barmherzigkeit bleibt aber keine Einbahnstraße, sondern brauchte auch den aktiven Geist der Pilgerschaft, das heißt die Buße. Obwohl Barmherzigkeit als Gnade gewährt wird, so sind Reue und Buße notwendig. Pilgern bleibt eben auch im Liber Sancti Jacobi ein Weg der Buße.

Thomas von AquinThomas von Aquin, Theologe († 1274) sollte hundert Jahre später als der Liber Sancti Jacobi in seiner Summa in einer quaestio davon handeln, dass misericordia an die justitia gebunden ist, denn beides wird hier zusammen abgehandelt, wie Artikel 4 erkennen lässt. Dort unterscheidet er, dass manche Werke dem Recht, der justitia, manche der Barmherzigkeit, der misericordia, zugerechnet werden.

Ad primum ergo dicendum quod quaedam opera attribuuntur iustitiae, et quaedam misericordiae, quia in quibusdam vehementius apparet iustitia, in quibusdam misericordia. Das wichtigste Beispiel der Barmherzigkeit ist für Thomas von AquinThomas von Aquin, Theologe († 1274) aber das Handeln der Maria MagdalenaMaria Magdalena, bibl. Gestalt (Lk 7,47): dimissa sunt ei peccata multa, quoniam dilexit multum: ihr wurden viele Sünden vergeben, weil sie viel geliebt hat4.

Maria MagdalenaMaria Magdalena, bibl. Gestalt wird ganz ähnlich schon im Pilgerführer des Liber Sancti Jacobi bei der Beschreibung von VézelayVézelay (Frankreich), ihrer Ruhestätte, hervorgehoben: Ihr wurden zahlreiche Sünden vergeben, weil sie Jesus Christus, ihren Retter, der alle Menschen liebt, so sehr liebte5. Gastfreundschaft, Gerechtigkeit und Buße sowie die Liebe kommen hier zusammen.

V. Schluss

Die im Jakobsbuch immer wieder geforderte christliche Gastfreundschaft und die Barmherzigkeit blieben auch – was heute zuweilen übersehen wird – an Buße und Bußgesinnung des Pilgers gebunden. Insofern schuf der Bezug zu Christus, der hinter dem Pilger steht, eine Form von Geben und Nehmen. Das Thema besitzt nicht nur eine historische Dimension. Es bleibt zu diskutieren, was dies auch für heutige Pilger, Herbergseltern und Refugios bedeuten könnte.

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Elisardo TEMPERÁN VILLAVERDE, La liturgia propia de Santiago en el Códice Calixtino, Santiago de Compostela 1997.

Zur monastischen Gastfreundschaft bei den Benediktinern*

Andreas Sohn

I. Hinführung

Für Pilger und Besucher, die sich zum Wallfahrtsort AndechsAndechs (Deutschland) in BayernBayern (Deutschland) aufmachen, findet sich im Internet der Hinweis: Zur benediktinischen Gastfreundschaft gehört das AndechserAndechs (Deutschland) Bräustüberl. Auf seinen großen Terrassen lädt es zu einer zünftigen Brotzeit ein. Hier erhalten Sie Schmankerl aus der Klostermetzgerei, unsere Frischkäse-Zubereitungen und natürlich dazu ein frischgezapftes süffiges Andechser Klosterbier, aber auch die Andechser alkoholfreien Getränke1. Damit wird Bezug genommen auf das benediktinische Kloster, das hier oberhalb des AmmerseesAmmersee im Jahre 1455 von Herzog Albrecht III. von BayernAlbrecht III. der Fromme, Hzg. von Bayern (1438-1460) (mit Mönchen aus der AbteiTegernsee (Deutschland)Benediktinerabtei TegernseeTegernsee (Deutschland)) gegründet worden ist2. Stärkeren Zuspruches erfreute sich in den letzten Jahren der „Heilige Berg“ (mons sanctus) bei den Jakobspilgern, die sich von MünchenMünchen (Deutschland) aus auf den Wallfahrtsweg nach LindauLindau (Deutschland) und weiter gen Santiago de CompostelaSantiago de Compostela (Spanien) begaben. Der MünchnerMünchen (Deutschland) Jakobsweg besteht indes erst seit 20033.

Im Heiligen LandPalästina ziehen die benediktinische AbteiJerusalem (Palästina)Dormitio-Benediktinerabtei „Dormitio“ (seit 1926) auf dem JerusalemerJerusalem (Palästina) ZionsbergJerusalem (Palästina)Zionsberg, die aus einer 1898 vollzogenen Landschenkung Kaiser Wilhelms II.Wilhelm II., Kaiser des Deutschen Reiches (1888-1918) und einem aus BeuronerBeuron (Deutschland) Mönchen zusammengesetzten Gründungskonvent – die Besiedlung erfolgte 1906 – hervorgegangen ist, und das PrioratTabgha (Palästina)Priorat TabghaTabgha (Palästina) am See GenesarethGenesareth, See Pilger und Gäste an4. Dort hat die wunderbare Brotvermehrung stattgefunden. Das JerusalemerJerusalem (Palästina) Patrozinium bezieht sich auf Mariä Heimgang. Beide monastischen Stätten sind in jüngerer Zeit von Brandanschlägen aus extremistischen jüdischen Kreisen betroffen gewesen. Unter den Theologiestudierenden in DeutschlandDeutschland ist die „Dormitio“ bekannter, weil hier ein theologisches Studienjahr in ökumenischer Perspektive verbracht werden kann, das gerne nachgefragt wird5. Abt Laurentius KleinKlein, Laurentius, Abt der Dormitio-Abtei auf dem Zionsberg (1969-1979), verstorben im Jahre 2002, hat dieses 1973 ins Leben gerufen; die akademische Schirmherrschaft liegt bei der Benediktinerhochschule Sant’AnselmoRom (Italien)Sant’Anselmo, päpstl. Athenaeum in RomRom (Italien).

In schwierigen Jahren, als das nationalsozialistische Gewaltregime Angst und Schrecken in Deutschland und Europa brachte, fanden zwei Gründergestalten der europäischen Einigung nach dem Zweiten Weltkrieg Schutz und Sicherheit hinter Klostermauern. Konrad AdenauerAdenauer, Konrad, Kanzler der Bundesrepublik Deutschland (1949-1963) (1876-1967), der nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 zunächst als Oberbürgermeister von KölnKöln (Deutschland) – etwas später auch als Präsident des Preußischen Staatsrates – abgesetzt worden war, fand heimlich Aufnahme im Eifelkloster Maria LaachGlees (Deutschland)Maria Laach, Benediktinerabtei, bei seinem Schulfreund Abt Ildefons HerwegenHerwegen, Ildefons, Abt von Maria Laach (1913-1946) (1913-1946)6. Beide hatten das KölnerKöln (Deutschland) Apostelgymnasium besucht. Konrad AdenauerAdenauer, Konrad, Kanzler der Bundesrepublik Deutschland (1949-1963) verbrachte mehr als ein Jahr in Maria LaachGlees (Deutschland)Maria Laach, Benediktinerabtei, nahm am monastischen Leben teil und konnte nur einmal während dieser Zeit mit seiner Ehefrau und seinen Kindern in Maria LaachGlees (Deutschland)Maria Laach, Benediktinerabtei zusammentreffen. Es war zu Weihnachten 1933.

Auf der Flucht konnte Robert SchumanSchuman, Robert, frz. Politiker und Mitbegründer der Europäischen Union († 1963) (1886-1963) im August des Jahres 1942 Unterschlupf im altehrwürdigen KlosterLigugé (Frankreich)St-Martin, Benediktinerabtei LigugéLigugé (Frankreich) bei PoitiersPoitiers (Frankreich) finden, das vom heiligen MartinMartin von Tours, hl. († 397) von ToursTours (Frankreich) 361 gegründet worden war7. Abt Pierre BassetBasset, Pierre, Abt von St-Martin de Ligugé (1936-1953) (1937-1954) nahm ihn auf und verhalf ihm so dazu, die Demarkationslinie zum nicht von deutschen Truppen besetzten Teil FrankreichsFrankreich zu überwinden. Robert SchumanSchuman, Robert, frz. Politiker und Mitbegründer der Europäischen Union († 1963) als französischer Ministerpräsident und Außenminister und Konrad AdenauerAdenauer, Konrad, Kanzler der Bundesrepublik Deutschland (1949-1963) als Bundeskanzler trieben in den Nachkriegsjahren das europäische Einigungswerk energisch voran8.

Die benediktinische Gastfreundschaft entdecken auch stressgeplagte Manager und Politiker, die sich gerne zu „Klausurtagungen“ – ein schönes Wort – in Klöster zurückziehen. Und selbst Päpste zog es an die Quellgründe benediktinischer Spiritualität: Joseph RatzingerBenedikt XVI., Papst (2005-2013) schon als Priester, Theologieprofessor, Münchner Erzbischof und Kardinal in die bayerische AbteiScheyern (Deutschland)Benediktinerabtei ScheyernScheyern (Deutschland), Paul VI.Paul VI., Papst (1963-1978) (1963-1978) – am 14. Oktober 2018 von Papst FranziskusFranziskus, Papst (seit 2013) heiliggesprochen – in das schweizerische Kloster EngelbergEngelberg, Franziskanerkloster und nach MontecassinoMontecassino, Benediktinerabtei (ebenfalls Benedikt XVI.Benedikt XVI., Papst (2005-2013)), der Benedikt von NursiaBenedikt von Nursia, Ordensgründer († 547) am 24. Oktober 1964 ebendort zum Patron Europas erhob9.

Um den Blick auf das Kardinal-Hengsbach-HausEssen (Deutschland)Kardinal-Hengsbach-Haus in EssenEssen (Deutschland)-WerdenEssen (Deutschland)Werden, Stadtteil, wo diese Tagung stattfindet, und seinen Namensgeber zu richten: Kardinal Franz HengsbachHengsbach, Franz, Bf. von Essen (1958-1991), der erste Bischof des ‚Ruhrbistums‘ Essen (1958-1991), hat 1988 ein nicht weit von hier entferntes KlosterStiepel (Deutschland)Zisterzienserkloster im Marienwallfahrtsort StiepelStiepel (Deutschland) gegründet, wo er in der Folgezeit gerne einkehrte. Dorthin hat er zisterziensische MöncheHeiligenkreuz im Wienerwald (Österreich)Zisterzienserabtei aus Heiligenkreuz im WienerwaldHeiligenkreuz im Wienerwald (Österreich) gerufen, die bekanntlich die BenediktsregelBenedikt von Nursia, Ordensgründer († 547) befolgen10. Das Kloster StiepelStiepel (Deutschland)Zisterzienserkloster ist ein Priorat der Abtei HeiligenkreuzHeiligenkreuz im Wienerwald (Österreich)Zisterzienserabtei.

Wenn Sie mir noch eine persönliche Bemerkung in diesem Zusammenhang gestatten, die ich hier in aller Bescheidenheit vortragen möchte: Ich selbst durfte die Gastfreundschaft des KonventsLigugé (Frankreich)St-Martin, Benediktinerabtei in LigugéLigugé (Frankreich) erfahren, als mich die dortigen Benediktiner dankenswerterweise mehrmals in der Abtei aufnahmen und mich so bei meinen wissenschaftlichen Forschungen und der Vorbereitung meiner Dissertation über die cluniacensische Reformbewegung im LimousinLimousin (Frankreich) unterstützten11. Die Klosterbibliothek ist damals – in den 80er Jahren – auch dank des Einsatzes von Dom Jean BecquetBecquet, Jean, Benediktiner und Historiker († 2003) (1917-2003), des langjährigen Schriftleiters der Revue Mabillon, die am besten ausgestattete Bibliothek zur monastischen und regionalen Geschichte des mittelalterlichen LimousinLimousin (Frankreich), der Region um LimogesLimoges (Frankreich), gewesen12.

II. Die Gastfreundschaft nach der BenediktsregelBenedikt von Nursia, Ordensgründer († 547)

Ohne die Beispiele benediktinischer Gastfreundschaft weiter zu verlängern, was ein Leichtes wäre, ist nach dem Verständnis derselbigen in der benediktinischen Ordensfamilie zu fragen. Das führt uns zur Regula Benedicti, die Benedikt von NursiaBenedikt von Nursia, Ordensgründer († 547) (NorciaNorcia (Italien) im Apenninengebirge) im sechsten Jahrhundert verfasst und damit dem aus bescheidenen Anfängen gewachsenen monastischen Leben in ItalienItalien Weg und Ziel gewiesen hat1. BenediktBenedikt von Nursia, Ordensgründer († 547) hat diese Regel zuvörderst für das von ihm 529 gegründete Kloster MontecassinoMontecassino, Benediktinerabtei geschrieben, also für das gemeinschaftliche, sprich koinobitische Leben des Mönchtums2. MontecassinoMontecassino, Benediktinerabtei, auf einem 516 m hohen felsigen Hügel gelegen, befindet sich zwischen RomRom (Italien) und NeapelNeapel (Italien). Angesichts des benediktinischen Mönchtums, das sich seit dem frühen Mittelalter in überaus zahlreichen Klöstern für Männer und Frauen in ganz Europa ausgebreitet hat, gilt die BenediktsregelBenedikt von Nursia, Ordensgründer († 547) als die bedeutendste monastische regula in der Geschichte3.

In der BenediktsregelBenedikt von Nursia, Ordensgründer († 547) wird in mehreren der insgesamt 73 Kapitel Bezug auf die Aufnahme von Gästen im Kloster genommen. Das 53. Kapitel stellt den Kern und die umfassendste Darlegung hierzu im Regelwerk dar. Dieses Kapitel trägt den Titel De hospitibus suscipiendis, „Die Aufnahme der Gäste“. Ich zitiere den Anfang: Alle Fremden, die kommen, sollen aufgenommen werden wie Christus; denn er wird sagen: „Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen.“ Allen erweise man die angemessene Ehre, besonders den Brüden im Glauben und den Pilgern4. Die in der Antike und im Mittelmeerraum allgemein geschätzte Gastfreundschaft findet hier ihre genuin christliche Fundierung, Sinnprägung und eschatologische Ausrichtung5. Mit der Identitätsaussage nach dem Matthäusevangelium 25,35 (innerhalb der großen Gerichtsrede Jesu) wird die Gastfreundschaft christologisch begründet und akzentuiert sowie ins Ekklesiologische und Eschatologische gewendet. Damit erfährt die Gastfreundschaft ihre unüberbietbare Wertschätzung. Jene ist eingebettet in die Barmherzigkeit, die – um Walter Kardinal Kasper zu zitieren – „nicht in erster Linie eine Frage der Moral [ist], sondern des Christusglaubens, der Christusnachfolge und der Christusbegegnung“6. Das Leben im Kloster, mag es auch eine fuga mundi sein, heißt keine undurchdringliche Abschließung von der Welt7. Die guten Werke, die sieben leiblichen wie die sieben geistlichen, hat BenediktBenedikt von Nursia, Ordensgründer († 547) im vierten Kapitel um den Zusatz erweitert: Und an Gottes Barmherzigkeit niemals verzweifeln8.

Zur Unterkunft der Gäste heißt es nur recht allgemein, dass es eine cella hospitum im Kloster gibt, angegeben im Kapitel 58, wo von den eintretenden Brüdern die Rede ist, die ebendort zunächst unterzubringen sind – für einige Tage9. Zu den Gästen im Kloster können auch fremde Mönche von weither gehören10. Von den Mönchen soll sich der cellararius, der Cellerar, um die Kranken, Kinder, Gäste und Armen kümmern, und zwar mit großer Sorgfalt (cum omni sollicitudine)11. Hierfür muss er, davon ist BenediktBenedikt von Nursia, Ordensgründer († 547) überzeugt, am Jüngsten Tag Rechenschaft ablegen12. Vom Schweigegebot nach der Komplet kann abgesehen werden, wenn es wegen der Gäste nötig ist13. Welch hoher Stellenwert der Gastfreundschaft im Kloster eingeräumt wird, geht auch daraus hervor, dass dem Abt aufgetragen wird, immer an seinen Tisch Gäste und Pilger zu bitten: Mensa abbatis cum hospitibus et peregrinis sit semper14.

Für die Aufnahme der Gäste gibt BenediktBenedikt von Nursia, Ordensgründer († 547) im Kapitel 53 genauere Anweisungen: Wenn ein Gast im Kloster eintrifft, sollen der Obere oder einer der Brüder ihm entgegeneilen, mit ihm beten und den Friedenskuss austauschen15. Benedikt schärft seinen Mitbrüdern ein: Allen Gästen begegne man bei der Begrüßung und beim Abschied in tiefer Demut: man verneige sich, werfe sich ganz zu Boden und verehre so in ihnen Christus, der in Wahrheit aufgenommen wird16. Zuwendung und eine erbauliche Lesung der Weisung Gottes sind zudem vorgesehen.