Gebirgswandern - Reinhard, Eberhard Rosenke - E-Book

Gebirgswandern E-Book

Reinhard, Eberhard Rosenke

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Beschreibung

Das Buch besteht aus 156 Seiten, davon 56 farbig. Es hat zwei Teile. Teil 1: Reinhard Rosenke wanderte von Oslo nach Trondheim auf dem Olavsweg. Zurückgelegte Strecke: 670 km, eingeschlossen: 22.000 Höhenmeter Steigungen. Der Weg ist von sehr unterschiedlicher Beschaffenheit, die Markierungen oft nicht leicht zu finden. Es regnete häufig, aber für die Nächte standen stets gemütliche Hütten bereit. Teil2: Reinhard und Eberhard Rosenke nehmen an einer Trekking-Tour teil, zuerst eine Woche im Mt. Kenia-Massiv, dann - mit Zwischenstation im Amboseli-Nationalpark, eine zweite Woche im Kilimandscharo-Gebirge. In einem knappen Rückblick wird die Kolonialpolitik beschrieben. Höhepunkt der zweiten Woche war die Besteigung des Kibo (5896 m). Die Trekking-Gruppe bestand aus 15 Personen, geschlafen wurde in Zelten, die eine Begleitmannschaft aus Einheimischen transportierte (dazu die Lebensmittel, sogar Camping-Möbel).

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Seitenzahl: 184

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Inhalt

Von Oslo nach Trondheim auf dem Olavsweg

Mühsamer Anfang

König Olav

Raus aus Oslo

Pilger oder Wanderer?

Peinlichkeit am ersten Wanderabend

Eingeschränkte Wanderfreude

Ein wichtiger Ort für Norwegens Geschichte

Von Eidsvoll nach Hamar

Jetzt geht’s richtig los

Wo man noch den Nachttopf kennt

Hüttenidylle

Hier gibt’s noch Wikinger

Von Hamar nach Lillehammer

Wenn Frauen wandern

Wandern ist Philosophieren mit den Füßen

Küchenbekanntschaften

Im Gudbrandsdal

Am Fluß

Lagen

Kunstwerke aus Holz

Alte Höfe - hautnah

Henrik Ibsen und Edward Grieg

Kristin Lavranstochter

Das Dovrefjell

Der

Aufstieg

Der Troll gehört zu Norwegen

Auf Moschus-Pirsch

Der Härtetest

Von Oppdal nach Trondheim

Ein Tag wie Sonntag

Ich – allein mit mir

Das Team

Moor und Heide nur ringsum

Vorbei ist's mit der Abendstille

40 km till Nidaros

Das letzte Mal

Kristin Lavranstochter erreicht Nidaros

Es ist vollbracht

Mt.Kenia-Massiv und Kilimandscharo

Anreise

Vorher

Das Mt.Kenia-Massiv

Autofahrt nach Nanyuki

Von Timau (2900 m) zum Marania-Camp (3300 m)

Aufstieg zum Major's Camp (4000 m)

Aufstieg zum Shipton's Camp (4200 m)

Über den Hausberg-Paß zur Teleki-Hütte (4200 m)

Austrian Hütte - Lenana (4985 m) – Lake Michaelson (3700 m)

Auf und Ab nach Meru Mt.Kenia Bandas

Nachlese: Das Mount-Kenia-Massiv

Nairobi

Trekken

Im Amboseli-Nationalpark

Kolonialer Rückblick

Die Erkundung Ostafrikas

Koloniale Interessen

Deutsch-Ostafrika

Vier Akteure

„Ein Schiff wird kommen“

Kenia und Tansania heute

Im Kilimandscharo-Gebirge

Aufstieg zum Sekimba-Camp (2800 m)

Die Kikeleva-Höhlen (3600 m)

Mawenzi-Tarn-Hütte (4330 m)

School Hütte (4770 m)

Gipfelsturm: Gilman's Point (5685 m) und Uhuru Peak (5896 m)

Abstieg zur Horombo Hütte (3700 m)

Über die Mandara-Hütte (2700 m) zum Marangu Gate (1800 m)

Nachlese: Das Kilimandscharo-Gebirge

Abgang

Rückreise

Nachlese: Urlaubsreise

Von Oslo nach Trondheim auf dem Olavsweg
Von Reinhard Rosenke

Mühsamer Anfang

König Olav

Der Zufall wollte es, dass ich im vergangenem Jahr im Fernsehen eine Kurzpräsentation des norwegischen Olavsweges anschauen konnte. Landschaften, Bauernhöfe, Städtchen und Siedlungen erschienen mir nicht unbekannt, war ich doch mit dem Fahrrad mehrmals in Norwegen gewesen. Aber eine Wanderstrecke von ausgewiesenen 670 Kilometern durchs Gebirge, vielfach auf schmalen, einsamen Pfaden – das weckte meine Wanderlust und lockte als große physische Herausforderung meinen Sportsgeist. Ich kaufte mir einen Wanderführer, legte einen Zeitplan fest und machte mich bereit, als es soweit war.

Eine Frage gibt es vorher zu klären: Was hat der Name „Olav“ mit dem Weg zu tun? Wer war Olav? Nun, jedes Wanderbuch mit seinem Namen bringt uns zurück ins 9. Jahrhundert, in die Zeit der Wikinger. Olav (*995) ist der Urenkel von Harald Halfagre (Schönhaar), dem es gelungen war, große Teile Norwegens zu vereinen. In Olavs Jugendzeit war das Land politisch und religiös gespalten. Als Jugendlicher gelangte Olav nach Rouen, an den Hof Richards II, des Herzogs der Normandie. Olav ließ sich hier taufen. Der Zwanzigjährige sah es als seine Berufung an, sein Land, das unter mehreren Kleinkönigen aufgeteilt war, unter dem Schirm der christlichen Lehre zu vereinen. 1015 kehrte er nach Norwegen zurück. Mit Redekunst und Schwert gelang es ihm, zum Oberkönig gewählt zu werden und das Heidentum aus Norwegen zu verdrängen.

Aber die Macht wurde ihm streitig gemacht. 1030 fiel Olav in der Schlacht von Stiklestad gegen ein Bauernaufgebot. Ob er ein guter oder grausamer König war, ist nicht bekannt. Jedenfalls kam es zur Mythenbildung über Wunder am Ort seines Todes und seines Grabes in Nidaros. Olav wurde heilig gesprochen. Über dem Grab „Olavs des Heiligen“ errichtete man den Nidarosdom. Pilger aus ganz Europa strömten seitdem nach Nidaros, dem heutigen Trondheim.

Der Olavsweg folgt heute, nach seiner Wiederbelebung 2010, in großen Teilen dem Verlauf des mittelalterlichen Pilgerweges von Oslo nach Trondheim. An seinem Anfang verkündet ein Stein: „670 km till (bis nach) Nidaros“, an seinem Ende ein ebensolcher Stein: „0 km till Nidaros“.

Raus aus Oslo

Frisch von Bord der Colour-Line“ die mich in 20 Stunden von Kiel nach Oslo befördert hatte, tue ich meine ersten Schritte mit der 12-kg-Last auf dem Rücken. Das Zentrum der Stadt ist nur wenige Minuten entfernt, ihre Sehenswürdigkeiten hatte ich bereits vor drei Jahren kennengelernt. Ich habe nur einen Wunsch: so schnell wie möglich dem Getriebe Oslos zu entgehen. Als mein erstes Nachtlager habe ich das Quality-Hotel im nördlichen Außenbereich gewählt. Morgen soll es dann weniger luxuriös weitergehen.

Und schon in der ersten Stunde meines Weges werde ich für meine Nachlässigkeit bei der Planung bestraft. Warum hatte ich mich mit einem veralteten Wanderführer zufrieden gegeben und mich nicht, wie meine späteren Pilgerfreunde, um einen aktuellen bemüht?

Die großen Baustellen nahe dem Hauptbahnhof erschweren mir schon mal das Auffinden des „Startpunktes“, der bei den Resten der mittelalterlichen Clemenskirke aus dem Jahre 1100 und der Mariakirke im Middelalderparken zu finden ist. Neue Industrieansiedlungen und ausgedehnte Neubaugebiete mit entsprechenden Straßenanbindungen auf meinem Weg nach Norden existierten 2013, dem Erscheinungsjahr meines Wanderführers, noch nicht. Weitere Markierungen für den Olavsweg sind nicht aufzufinden.

Welch mieser Start: Asphalt, Abgase, Lärm und die Masse Mensch im Freitagnachmittags-Verkehr. Wie eine Witzfigur komme ich mir vor, mit Stock und Hut, dickem Alaska-Hemd, dickledrigen Bergschuhen mit harter Sohle. Tap, tap, tap und tack, tack, tack - so irre ich schwitzend und das unerbittliche Gewicht schleppend gen Norden, meist bergauf., weg vom Meeresspiegelniveau.

Je weiter ich die nördlichen Bezirke durchschreite, desto seltener begegne ich dem „nordischen Menschentyp“. Hier muss ein Hauptansiedlungsgebiet für Immigranten sein. Menschen, Straßen und Häuser machen einen auffallend guten Eindruck. Kein Zeichen von Verwahrlosung und Schmutz. Viel Grün. Schulen, Kindergärten, freundliche Gesichter, vorwiegend Frauen und Mädchen.

Sieben Stunden bin ich schon auf den Beinen, bin total fertig. Ich folge dem Radweg neben einer breiten Straße. Das Hotel kann nicht mehr weit sein. Keine Menschenseele zum Fragen. Oder doch - auf der anderen Straßenseite nähert sich ein Mann mit einem Yorkshire-Terrier! Bevor er wieder abbiegt, kann ich ihn erreichen und stelle meine Frage. Aha, er weiß Bescheid! Weit ausholend beginnt er mit der Erklärung. Währenddessen taucht in ziemlicher Entfernung ein weiterer Hundegänger auf. Das bringt das kleine Terrierbiest dazu, bellend loszurasen, hin zum anderen Hund. Herrchen reagiert fast panisch, ist nur noch auf seinen Hund fixiert. Schreiend spurtet er seinem Hund hinterher – und kommt nicht mehr zurück. Da steh ich nun, ich armer Tor und bin so klug als wie zuvor...

Die Straße ist wenig befahren. Umso glücklicher bin ich über ein vorbeikommendes Taxi. Der Fahrer, ein Schwarzer, hält kurz, ruft mir zu, ich solle warten, er käme zurück, und saust davon. Das Warten wird zur Geduldsprobe, aber der Mann lässt mich nicht im Stich. Er rettet mich vor den letzten Asphalt-Kilometern, bringt mich zum Quality Hotel, dem Ausgangspunkt für die zweite Etappe.

Bei einem guten Dinner, einem freundlichen, deutsch sprechendem Kellner und einer fröhlichen Tischgesellschaft nebenan verarbeite ich diesen Tag Nummer eins mit dem Vorsatz : Morgen wird's besser!

Pilger oder Wanderer?

Kann man pilgern, ohne einer Kirche anzugehören? Schließt das Pilgern einen religiösen Hintergrund ein? Was müsste ich, der getaufte Abtrünnige, aufweisen, um dem Begriff „Pilger“ gerecht zu werden? Sinngebende Gedanken zu einer höheren Macht? Eine Zwiesprache mit ihr? Ein Monolog, vielleicht ein Dialog über mich, über „Gott und die Welt“? In meiner Vorstellung soll das Pilgern zum Abladen bedrückenden, sündhaften Ballasts beitragen: Pilgern als seelischer Reinigungsprozess; hinterher fühlt man sich wohler; der Weg hat gut getan wie eine erfolgreiche Psychotherapie.

Von all dem bin ich entfernt. Mein Herz ist unbeschwert, meine Seele ist frei, meine Schwachstellen stören höchstens mich selbst und schaden keinem anderen. Dass mich mein Dasein als Teil einer „Gottes Schöpfung“ zerstörenden Menschheit mitschuldig macht, ist mir auch ohne Pilgern bewusst. Daher unterstütze ich lieber mit meinen Spenden Organisationen, die sich für den Naturschutz einsetzen. So erkaufe ich mir meinen Seelenfrieden...

Aber nun zum Wandern: Ich bin empfindsam für Stimmungen, wie sie Theodor Fontane in seinem Gedicht Guter Rat beschreibt:

An einem Sommermorgen da nimm den Wanderstab. Es fallen deine Sorgen Wie Nebel von dir ab. Des Himmels heitere Bläue lacht dir ins Herz hinein, und schließt ,wie Gottes Treue, mit seinem Dach dich ein. ………... So heimisch alles klinget als wie im Vaterhaus. Und über die Lerchen schwinget die Seele sich hinaus.

Man muss nicht unbedingt ein Romantiker sein, wenn man im Kontakt mit der Natur eine solche erhabene, vielleicht auch heilige Stimmung verspürt.

Mich hat von Kindheit an die Natur angezogen, die fast vor der Haustür begann. Jeden Tag war ich im Wald, am Wasser, beim Ziegenhüten, Angeln, beim Umherstreifen mit dem Hund, beim Lesen der Abenteuerbücher hoch oben in den Astgabeln ehrwürdiger Eichen. Kaum ein Sonntag damals ohne Wanderausflug der Familie zu einem See in der Umgebung Berlins, begleitet von Vaters fachkundigen Hinweisen zu den Phänomenen der Natur. Im Jugendalter folgten viele Radtouren mit Freunden. Bis heute locken mich die kleinen wie die großen Landschaften, die ich mit dem Fahrrad durchstreife.

Aber nicht nur „des Himmels Bläue“ lockt mich hinaus. Des Wanderers und Dichters Hermann Hesse melancholisches Gedicht Im Nebel spricht mich mit zunehmendem Alter ebenso an wie Fontanes Lyrik:

Seltsam im Nebel zu wandern! Einsam ist jeder Busch und Stein. Kein Baum sieht den andern, jeder ist allein. ……….. Wahrlich, keiner ist weise, der nicht das Dunkel kennt, das unentrinnbar und leise von allen ihn trennt. Seltsam im Nebel zu wandern Leben ist Einsamsein. Kein Mensch kennt den andern. Jeder ist allein.

Es sind die Gedanken über das Leben, über den Tod, über das Schicksal, über den kleinen Erdenwurm, der ich bin… Trotz solcher tiefsinnigen Gedanken weiß ich, dass ich den Pilgerweg als Wanderweg ansehe. Er ist eine sportliche Herausforderung. Er gibt mir die Chance, 670 Kilometer weit durch eine norwegische Kernlandschaft zu gehen. Das kann gelingen, weil er markiert ist und weil die Tagesetappen jeweils mit einer Übernachtungsmöglichkeit enden.

Zweifel kann es lediglich darüber geben, ob ich eine so lange Gebirgstour konditionell durchhalten werde. Meine physische Kraft resultiert aus regelmäßigem Joggen und der täglichen Verwendung des Fahrrades anstelle des Autos. Ich habe meine mentale Stärke bei langen, einsamen Radreisen und Fußtouren erprobt und kann meine Bedürfnisse auf das Notwendigste zurückschrauben...

Peinlichkeit am ersten Wanderabend

Schon am zweiten Wandertag – heute ist der 3. Juni 2017 - dämmert mir, dass mein Wanderbuch von 2013 nicht nur um einige Jahre zurück liegt, sondern auch, dass es unübersichtlich ist. So beginne ich an meinem Verstand zu zweifeln, als mir zwei Stunden, nachdem ich das Hotel verlassen habe, ein Wanderer mit Lederhut, Rucksack und Walking-Stöcken entgegenkommt:

„Hallo, where do you come from?“ - „Germany, Berlin.“ - „Na, das ist'n Ding, ick ooch!“ - „Olavsweg?“ - „Klar“! - „Wat, in dieser Richtung?“ - „Du weest doch, viele Wege führen nach Rom.“ - „Na denn tschüss, guten Weg!“ Zwei Tage später trafen wir uns auf einem Friedhof wieder, wo wir unsere Wasserflaschen auffüllten. Der Regen trieb uns auseinander. Weitere drei Wochen später hatte er sein Zelt neben meiner Herberge aufgestellt. Er war mit seiner erheblichen Last am Tag vorher vom Pfad abgekommen und war bis um Mitternacht auf einem steilen, dicht bewaldeten Hang umhergeirrt. „Meen Körper steckt det weg, ick bin wie'n Traktor...“

Nass von Regen und Schweiß stehe ich abends vor meinem Ziel, der Pilgerherberge Vestre Arteil. Es ist ein großer Bauernhof mit imposanter Scheune, mit Stallungen und schweren Arbeitsgerätschaften und einem kleinen Holzhaus in der typischen roten Farbe. Das weiße Wohnhaus hat große einladende Buchstaben über der Eingangstür. Ich deute das Wort als „Eingang“ oder „Herein“. Es regnet. Die Tür lässt sich öffnen. Im Flur liegt bunt durcheinander ein Haufen Wanderschuhe, Regenjacken hängen am Haken. Ich rufe „hallo“ - keine Antwort. Schnell entledige ich mich meiner schweren Schuhe und der nassen Jacke. Vom Korridor gehen mehrere Zimmer mit Betten und ein warmer Trockenraum ab. Eine gemütliche Ecke mit Ledercouch, Sesseln und schönem Blick aus dem Panoramafenster suggeriert mir: Laß dich nieder. Hungrig esse ich den Rest meiner mageren Wegzehrung. Da fährt ein Auto vor, eine junge blonde Frau mit Hund steigt aus, geht zur Eingangstür, kommt herein.

Sie erblickt den nassen Rucksack, Stock, Schuhe und – mich. Schreck, Unsicherheit, Empörung liegen in ihren Blicken. Ich merke, da kann was nicht stimmen. „Ist das nicht die Pilgerherberge?“ Ich zeige auf die Abbildung im Buch. Sofort wird ihr mein Irrtum klar. Gequält lächelnd zeigt sie durch das Fenster auf ein kleines, rotes Holzhaus: „Dorthin müssen Sie!“ Oh, wie peinlich!

Beladen mit meinen schnell zusammengerafften Sachen stolpere ich zu dem ungewöhnlich geformten, fensterlosen Häuschen. Ein zierlicher Jagdhund kommt bellend die steilen Holzstiegen herunter. Oben, in dem breiteren Teil der Unterkunft, trete ich in einen Raum, der größer ist, als ich vermutet hätte. Wände, Boden und Decke sind aus dicken Holzstämmen gezimmert. Zwei ältere Herren begrüßen mich freundlich. Der eine mit holländischem, der andere mit bayerischem Akzent, Bernd mit seinem Hund Meis und Robert. Schnell wissen wir, hier sitzt ein kleines Lehrerkollegium am wuchtigen Holztisch. Schon wird mir eine Tasse Kaffee vorgesetzt. Beide hatten sich innerhalb dieser Wände erst kürzlich kennengelernt.

Urgemütlich ist es hier. WC und Wasser gibt es in einem Verschlag, 40 Meter entfernt. Der Wohnraum enthält einen Herd, eine angemessene Küchenausstattung, Tisch, Stühle und vier Bettstellen mit Matratze. Jeder ist mit ähnlichen Aktivitäten beschäftigt: Essen zubereiten, Tagebuch schreiben, den Guide für die morgige Etappe studieren, die nassen Sachen zum

Der Wanderer

Das Wanderzeichen

Die erste Wanderherberge: ein Stabbur

Der Wanderweg

Meine Lieblingshütte Lysjohimet

Eine Brücke. Links das Wanderzeichen

Bernd hat mit seinem Wagen Schwierigkeiten

Es grünt so grün...

Marianne, Reinhard

Bernd, Hundedame Meis, Marianne

Trocknen aufhängen, das Schlaflager vorbereiten und den weiteren Abend still oder plaudernd mit Teetrinken verbringen. Ich erfahre, dass unsere Herberge ein „Stabbur“ ist, ein ehemaliges Vorratshaus für den Bauernhof. Er hat etwa 220 Jahre auf dem Buckel. Solche Vorratshäuser gehören zum Bestand alter Bauernhöfe. Bernd geht sehr liebevoll mit seinem 17 Monate alten französischen Cockerspaniel um, einem niedlichen Hundchen, das schnell mit mir Freundschaft schließt. Robert aus Bayern geht früh zu Bett. Er will morgen sehr zeitig aufbrechen. Bernd spricht gut deutsch, so plaudern wir noch ein Weilchen. Über eine Leiter steige ich hoch zu meiner Bettstatt unterm Dach, wo ein ausgestopfter Bussard im fahlen Licht doppelt groß erscheint.

Eingeschränkte Wanderfreude

Hauptstädte sind wie Kraken, die ihre Fangarme nach allen Seiten hin ausstrecken. Oslo mag sich da noch nicht so gefräßig in die Landschaft gefressen haben wie andere Städte, aber mit dem Netz hinein- und herausführender Autostraßen und deren Abzweigungen macht der Wanderer noch zwei bis drei Tagestouren hindurch störende Bekanntschaft. Meinem Wanderbüchlein vertraute ich so sehr, dass ich auf jedes Kartenmaterial verzichtete. Nur ist es nicht mehr „up to date“. Bedenklich! Auch trage ich kein „Phone“ bei mir, dessen GPS mir manchen Irrweg ersparen könnte. „Selber schuld!“ wird jeder denken und denke ich mit etwas Trotz auch.

Am dritten Tag beschert mir der Pfad den ersten Vorgeschmack auf alle möglichen Wegvarianten. Ich laufe durch landwirtschaftlich genutzte Räume. Der Pfad führt, um Straßen möglichst zu meiden, durch nasse Wiesen, hohe Brennnesseln streicheln mir die nackten Hände. Gepflügte Äcker erschweren den Schritt mit einer klebrig-lehmigen Haftschicht an den Schuhsohlen. Es geht auch mal durch ein grünes Getreidefeld, das man auf einer Traktorenspur durchqueren muss. Zwischendurch – wir befinden uns ja im Gebirge – gibt es Einsprengsel von Wald und steilen, rutschigen Anstiegen.

In einem Abschnitt des Wanderbuches lautet die Überschrift: „Gardermoen muss man nicht fürchten.“ Das bezieht sich auf Oslos Flughafen, 50 Kilometer vom Zentrum entfernt. Ist damit der Fluglärm gemeint, das hektische Drum und Dran eines Flugplatzes? Schon der Gedanke daran macht mich missmutig.

Nachdem ich mich mit Hilfe eines zufällig entdeckten Markierungsrestes noch auf dem rechten Pfad wusste, ist es damit später in einer ausgedehnten, neuen BungalowSiedlung vorbei. Es ist Sonntagnachmittag tief hängen die Wolken über dieser Monotonie gleicher Häuser und dem Gitternetz der menschenleeren Sträßchen. Ich muss wissen, wie das Nest heißt! Endlich nähert sich eine Frau mit Hund. Ich erfahre, dass diese Siedlung, wie einige andere ringsum, den Namen des Flughafens – Gardermoen – tragen. Während ich der Frau mein heutiges Ziel beschreibe, öffnet der Himmel seine Schleusen. Aber diese Frau lässt sich nass regnen, obwohl ich sie bitte, sich in Sicherheit zu bringen. Sie führt mich minutenlang weiter bis an eine Kreuzung, um mir einen Hinweis zu geben.

Ich muss in die Nähe des Flugfeldes, mich an den Geräuschen orientieren. Mein Waldweg verschwindet vor einem stillgelegten Rollfeld abrupt in einem frisch aufgewühlten Gelände. Keine Chance auf die Wegmarkierung, das Olavskreuz. Auf der alten Betonpiste gelange ich zu einer improvisierten Auto-Rennstrecke.

Acht Stunden bin ich mittlerweile unterwegs, nass geregnet, nassgeschwitzt, kalt, müde und hungrig. Mein Ein-Mann-Zelt kann mir hier nicht helfen. Da entdeckt mein schweifender Blick ein winziges, nach vorn offenes Streckenwärterhäuschen mit einem Bündel Flaggen für die Autorennen. Kein Mensch ist zu sehen. Ich nehme den Holzverschlag in Besitz. Die Grundfläche reicht gerade mal zum Ausstrecken. Trotz scheußlicher Umgebung freue ich mich über diese Bleibe. Schnell etwas Warmes anziehen, die Luftmatratze aufblasen und den Schlafsack als ein großes Kissen zurecht legen! Genüsslich verzehre ich mein Lunchpaket vom Pilgerhof. Der Abend ist gerettet, eine trockene Nacht ist mir sicher. Das E˗Book schenkt mir Lektüre.

Zufrieden versinke ich in Morpheus Armen - bis mich morgens um vier Uhr ein höllisch dröhnendes „Wum Wum“ erbarmungslos aus den Träumen reißt. Was zum Teufel ist hier los? Die Quelle des Lärms muss ein Riesenlautsprecher hinter der kleinen Tribüne sein, also hausen dort Menschen! Die Verrücktheit nimmt ihren Lauf, als plötzlich mit heulenden Motoren zwei Landrover, dann noch ein dritter, hinter der Pistenkrümmung auftauchen, vorbeirasen und wieder verschwinden. Der Lautsprecher schweigt, es herrscht Stille. Jetzt stört mich nur noch die grelle Morgensonne. An Schlaf ist nicht mehr zu denken. Um sieben Uhr bin ich abmarschbereit.

Mit Kompass und den Informationen meines Reiseführers unterwegs, sagt mir nach einer Stunde ein Aufkleber mit Olavskreuz an einem Baum: „Du bist auf dem rechten Weg.“ „Schnipseljagd“ nenne ich in Zukunft das Entlanghangeln von einem zum nächsten Kreuz. Taucht es vor mir auf, freue ich mich, und mein Kraftstrom fließt. Bleibt es für längere Zeit aus, so habe ich es entweder „verträumt“ oder übersehen, weil es von Zweigen und Halmen verdeckt war.

Eineinhalb Stunden hätte ich gestern Abend noch laufen müssen, um nicht an der elenden Betonpiste die Nacht zu verbringen. Dann wären mir Abend- und Nachtstunden in der Pilgerhütte vom Risebru Hof sicher gewesen. Jetzt liegt der Bauernhof Risebru vor meinen Augen. Meine beiden Gefährten der vorletzten Nacht machen sich gerade zum Abmarsch bereit, sie hatten nur dank GPS, wie sie zugeben, den Weg hierher gefunden. Hundefräulein Meis begrüßt mich stürmisch, das ist Balsam für meine Seele, die sich das üppige Frühstück und das kräftige Abendbrot von gestern vorstellt. Doch ehe das Selbstmitleid mir zusetzen kann, tröstet mich ein freundlich gereichter Becher Kaffee. „Also bis heute Abend in Eidsvoll!“ Sie ziehen los, ich hänge von hohem Gras pitschnass gewordene Schuhe, Strümpfe und Hose in die Sonne.

Ein wichtiger Ort für Norwegens Geschichte

Mein anhaltender Ärger über den Guide wird nicht nur bei der umständlichen Wegweisung entfacht. Warum verliert der Autor keinen Satz über den norwegischen Dichter, politischen Publizisten und Nationalisten Henrik Arnold Wergeland (1808–1845)? Dieser gilt als der Begründer der norwegischen Nationalliteratur, kämpfte für die sprachliche und kulturelle Unabhängigkeit von Dänemark, schrieb Gedichte, Erzählungen, Theaterstücke, Lehrbücher, ein Lesebuch für Kinder und noch vieles mehr. Der Olavsweg führt direkt am Wergelandhus und am Eidsvoll-Infocenter vorbei, wunderbar gelegen am Fluss Andelva, wo in einem Park ein Denkmal Wergelands steht, und wo ein großes Wandbild an die erste norwegische Verfassung von 1814 erinnert, die hier beschlossen wurde. Darüber beim Weiterpilgern ein wenig nachzudenken, wäre dieses Mannes würdig und minderte vielleicht die nächste körperliche Anstrengung...

Der Weg an der Andelva entlang zieht auch Spaziergänger an. Eine Frau kommt mir mit ihrem sibirischen Husky entgegen. Sie bemerkt wohl meinen aufmerksamen Blick auf das Tier und spricht mich an: „Kommen Sie aus Deutschland?“ Sie hatte als Krankenschwester in Berlin gearbeitet. Meinem Vorhaben zollt sie Sympathie und Respekt. Einige Berg- und Chausseekilometer weiter ruft mir in Eidsvoll eine Frau von ihrem Balkon aus einige aufmunternde deutsche Worte hinterher. Woher weiß sie, dass ich Deutscher bin? Gilt das Wandern hier als deutsche Nationaleigenschaft? In der Tat überwiegt bei den Eintragungen in den Hüttenbüchern des Olavsweges die deutsche Sprache. Immerhin müssen wir uns dieser Eigenschaft nicht schämen. Überhaupt: Die Freundlichkeit, mit der man mir als Rucksackträger überall begegnet, zaubert die Last auf dem Rücken sogleich um einige Kilo leichter.

Den spitzen Kirchturm von Eidsvoll habe ich auf der eintönigen Landstraße schon längst gesehen. Jetzt stehe ich daneben und weiß, dass ich die Herberge Gamlet Prestergards in unmittelbarer Nähe finden werde. Das ehemalige Pfarrhaus, stattlich, weiß und aus Holz, liegt in einem parkähnlichen Garten. Für uns drei Pilger mit Hundchen ist viel Platz, denn wir sind die einzigen Gäste. Jeder hat ein großes Zimmer. Die Küche ist riesig. Wer kochen will, entbehrt nichts.

Wer Unterzeug und Kleidung aus Gewichtsgründen einschränken will, der muss jede Gelegenheit zur Wäsche nutzen. Das gehört zur Freizeitbeschäftigung des Wanderers. Wir vertrauen dem guten Wetter, doch ein kurzer, kräftiger Schauer macht unsere Hoffnung zunichte. Pech gehabt! Wir müssen auf eine weitere Trockenpause vertrauen.

Von Eidsvoll nach Hamar

Jetzt geht’s richtig los

Fünfter Tag. Jeder von uns drei Gästen in Gamlet Prestergards startet nach dem gemeinsamen Frühstück früh, aber nach eigenem Gutdünken. Robert legt, wie er sagt, wenig Wert aufs Essen. Er gibt sich mit kalorienhaltiger Trockennahrung zufrieden. So spart er Zeit und ist morgens immer schnell weg. Ich darf nicht zu früh aufbrechen, weil die Läden noch nicht aufgemacht haben. Erst um 7:30 Uhr sage ich Bernd ade. Der braucht länger zum Packen seines Wanderwägelchens, das er im Brustgeschirr hinter sich her zieht. Grund dafür ist seine kleine Hundedame, die gut versorgt sein soll, die er vielleicht auch mal draufsetzen muss.