Geflecht - Kurt Scharf - E-Book

Geflecht E-Book

Kurt Scharf

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Beschreibung

Geflecht: Zwischen Wurzeln und Wipfeln, in Schatten getaucht, ins Licht erhoben, Gehölz und Gespür, bei Frühling und Frost den Worten ergeben, dem Wunder zu folgen, Leben genannt.

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Inhaltsverzeichnis

Kahnfahrt [1969]

Lebenslauf

Die Frau gegenüber

Spuk [1969]

Was Kirchendogmen anbelangt

Trampelpfad

Religionsunterricht

Logisch

Abstand

Kassandra

Sterbend leben [1969]

Postskriptum

Zärtlicher Weg

Martins Mantel

Federndes All

Barbaratag

Andreastag

Toccata und Fuge d-moll

Februar

Ungesungen

Wir

Magisches Auge

Trennung [1969]

Was einem nach einem Monat ABM einfallen kann

Später mal

Kleinigkeiten [1969]

Neue Verse zum alten Tanz

Zu den Gedichten der Sibylla Schwarz

Kleine Ermunterung

Die weiße Gefahr

Handauflegen

Müde

Anklang

Lürisch

Hingesprochen

Blitze [1969]

Gedichte!

Löst die Asche

Übersicht

Schlupfwinkel strandwärts

Schau!

Good night!

Die Zeit

Sonntag

Niemand hörte

Erscheinung der Liebe [1969]

Nur wenn

Nur wer euch liebt [1969]

Aus dem Notizbuch [1969]

Vergessen

Frohes Fest, karger Rest

Spaziergang

Besuch aus dem All

Future-Story

Moment

Noch

Schon verschwimmt das Licht [1969]

Geständnis [1969]

Schreibbefund

Ich will heraustreten [1969]

Dann [1969]

Jahreszeiten [1969]

Alte Ziegelei

Mittags [1969]

Sonnenuntergang [1969]

Im Schrank versteckt

Motto

Zu den Tieren, den zahmen

Sonnenaufgang [1969]

Report vom Dort

Sieh dort [1969]

Die Straßenfegerin hieß Grete

Wir führen ein

Es hauste einst am Bauerberg

Es steht auf der Veranda

Jeden Tag [1969]

Frühe Gedichte

Sie waren beide

An die Natur [1969]

Es erklingen wie im Nebel Schritte

Exhibitionisten

Danksagung

Am Morgen geschrieben [1967]

Später...

Am Rand

Geflecht

Kahnfahrt

Die Sonne ist noch rot,

das Wasser scheint zu brennen.

Das Licht vertreibt den Tod,

es will nur Leben kennen.

Im Gleichmaß tauchen Riemen,

sie saugen gurgelnd ein

den See mit Ruderkiemen.

Ich bin im Boot allein.

Doch wäre Selbstbetrug,

wenn ich nun sagen würde:

Mein Leben ist genug

und einzig meine Bürde.

Im See, sehr tief, am Grunde,

treibt auch Getier umher.

Und blick ich die Runde,

dann bildet sich ein Speer

heraus, ein Sonnenpfeil:

Die Wandergänse weisen

den Weg empor zum Heil,

wenn mit dem Licht sie reisen.

Und auf des Sees Mitte,

am Rand, am Ufersaum,

wird offenbar der dritte

Überlebensraum:

Ein Schwanenpaar zieht Schleifen

und sendet Glück zu mir.

Ich kann hier gut begreifen

die Welt und das Revier.

Die Sonne ist noch rot,

das Wasser scheint zu brennen.

Das Licht vertreibt den Tod,

es will nur Leben kennen.

Lebenslauf

Verregneter Morgen.

Aufheiterungen sind aber angesagt.

Um die Mittagszeit plötzliche Schläfrigkeit.

Keine Pläne mehr.

Unverhoffte Begegnung am Nachmittag.

Es nieselt wieder.

Gespräche, die nicht aufgeschoben werden können.

Entdeckungen am frühen Abend.

Letztes Licht über den Bäumen.

Nacht.

Kein Erwachen.

Die Frau gegenüber

Langsam schweben ihre Worte,

leichte Netze, durch den Raum,

binden Trauer hier am Orte,

sind vergessen bald, ein Traum.

Zögernd setzt sie Nebelzeichen,

sagt von aller Last sich los.

Wenn die Nebel wieder weichen,

bleibt die Sonne nur, sehr groß.

Spuk

Es gehen Legenden um

von grausamen Taten,

von Räubern und Piraten.

Man lauscht gespannt, ist stumm.

Geschichte Nummer Acht...

Zwölf dumpfe Schläge hallen

über dem Wind und verfallen.

Es ist Mitternacht.

Um Mitternacht

ist, erstaunlich schnell,

die Farbe dunkel, dann wieder hell,

es donnert und kracht.

Als ob sich Welten stürzen

in ein riesiges Gefecht,

auszurotten das Geschlecht,

die Qual, die Freude zu verkürzen.

Um Mitternacht,

wenn der Tag anbricht,

versammelt sich ein Hohes Gericht,

das klagt an und lacht,

lacht unheimlich kalt,

verlacht das, was da sitzt

und das, was immerzu Papier nur ritzt.

Das Lachen ist Gewalt!

In meine Stube tritt

ein das himmlische Gelichter,

tausendfach verzerrte Gesichter,

mit höllischem Schritt.

Lächelnd stehen sie hinter meinem Rücken,

neigen sich tonlos vor,

wie Schatten von welkem Trauerflor,

sie bedecken alle Lücken.

Und sie schreien beim Lesen,

durch des Raumes säuselnden Wind,

entsetzt: „Bannsprüche sind...

Herr, hilf, sonst sind wir gewesen!“

Ein neues Rumoren und Toben beginnt.

Ich hör nur noch ein ängstliches Gelächter.

Mir scheint, das waren jene Geschlechter,

die schon verloren – und doch – – – sind.

Was Kirchendogmen anbelangt,

hab ich vieles einzuwenden,

und komme trotzdem nicht umhin,

als bedeutend zu benennen:

Dass im Mittelpunkt des Alls

der Mensch, entsprechend dieser Lehre,

allein sich zu befinden hat,

der aber, dort heraus getrieben

(dank Heliozentrismus),

verliert die Achtung vor der Erde,

ist nurmehr noch bestrebt,

ihr Demut aufzuzwingen.

Was ihn letztlich dazu bringt,

das Leben zu vernichten.

(Globaler Masochismus,

bedauerliche Schlusspassage

des modernen Atheismus.)

Wenn wer denkt, ich mache Witze,

kann der glauben was er will –

ich schimpf ihn einen Optimisten.

Trampelpfad

Sind aber lichte Momente, vorerst

unbegriffne, die mich aufsuchen:

Schritt für Schritt hinein

gedrängt auf Wiesenwege,

Spuren aller Menschen.

Die gingen doch stets

im selben Raum, auch wenn

sie standen oder tanzten, die liefen

in gleicher Richtung los, bis

übertüncht der Pfad

von Alleinseins Summe.

Ich glaub das schon: niemals

gab es einen Ersten, der gottähnlich

unbekümmert ihn beschritt,

im Kopf den Plan

der spätren Wege.

Möglich auch: der hatte

einfach Angst, lief über

Land gehetzt. Heute

lieben wir den Trampelpfad,

er gibt uns

Sicherheit.

Religionsunterricht

Der Junge hat gehört:

„Gott ist groß.

Und doch

ruht er in dir!“

Der Junge hat geträumt:

Ein Läufer hetzt

lange durch das All –

bekommt er Durst

bei seiner Jagd,

greift er sich Planeten,

schlürft Ozeane leer!

Der Junge hat gedacht:

Wenn ich mal wieder

von ihm träume,

dann lass ich Gott,

er hat's verdient,

für alle Zeiten

ruhn.

Logisch

Sobald

der Mensch sich seiner Unzulänglichkeit

bewusst wird, fleht er

zu Gott, als dem

übergeordneten Menschen.

Nur

der Drang nach Vollkommenheit

hält den Götterglauben

aufrecht und

am Leben.

Also:

Nur der Glaube an die Unzulänglichkeit

des Menschen

erweckt den Glauben

an Gott.

Abstand

In Gottes Angesicht

verblasst, reicht er

zu dicht

heran,

der Mensch.

Kassandra

Von einem Gott

verdammt zu schauen

und zu sehen was geschieht.

Sie beklagt

was kommen wird

und schwiege lieber

statt sie spricht

sie stürbe eher

statt sie lebt

verlassen

bis sie stirbt.

Sterbend leben

Wir sind keine Herren, Diener nur

unserer selbst. Uns wählt man nicht. Wir

wählen unser Herz zum Herrscher

über uns, machen es zum Knecht.

Regiert ein einziger Gedanke! Es glänzt

kein Glorienschein. Gedanken schmutzig,

die Worte rein. Wir geben Tod und schenken

Leben. Wir geben. Wir haben nur

das eine Ziel: Geben und warten nicht,

bis man uns wiedergibt. Keine Zeit

wird uns gelassen. Wir lassen uns

keine Zeit! Eh sich wird besonnen,

hat ein neues Geben, kalt und ausgelassen,

schon begonnen. Endet als ein Spiel!

Ein immer größres Geben

ist unser ganzes Streben. Doch

wir nehmen...

Geschmückt mit Wasserpflanzen

(gebettet in strähniges Haar),

sind eine Gefahr,

sanft und gefährlich

wie das Leben,

die Lebenden,

Nachfahren der klugen, dummen Toten.

Postskriptum

Du suchst auf deinen Wegen

jemand der dich liebt du wirst

vergeblich warten von Gott

den du nicht findest wirst du

bedenkenlos geliebt du musst

nicht länger suchen was uns

am Leben lässt ist selbst

zu lieben Gott findet sich

Zärtlicher Weg

Die Physiker eigentlich sind Gott

am nächsten, da sie beständig

untersuchen Inkarnationen

göttlichen Sächlichseins.

Gottes dunkle Augen nennen sie

black holes,

die Blutkörperchen

Mesonen. Zärtlich geben sie

den Ringstrukturen der Apparate,

die Kilometer weit sich dehnen,

Frauennamen (die sie als Kürzel

tarnen der Befindlichkeiten

ihres Weges,

der sie führt

zu Gott).

Martins Mantel

Wir sind doch alle

Herzgenossen,

Martins Mantel

schlagen wir,

gegen den Wind,

um uns;

was vergießen

wir an Tränen,

aber bleibt

umsonst?

Federndes All

Eines Tages

wird die Welt

verschwinden,

wird nichts sein,

wie wir es kennen,

Nichts

wird sein.

Dann wird das Nichts verschwinden,

und später wieder

Welt wohl sein,

wie wir sie kennen.

Barbaratag

Vergeblich

wirst du

neue Zweige

(Hoffnung,

vasenversenkt)

suchen

hier im Zimmer.

Doch wenn

du sehen kannst,

wirst du

vielleicht,

was uns

blühen wird,

finden heut

und immer.

Andreastag

Im Sold der Träume auch,

die uns am Tage sanft

begleiten, stehe ich.

Und immer den Kontrakt

dafür verlängre ich.

Dass auch im nächsten Jahr,

was unzumutbar scheint,

uns leichter noch berührt

und stärker wieder macht

für unsern Dienst erneut.

Toccata und Fuge d-moll (BWV 565)

Kommt her! So kommt! Kommt her zu mir!

Ich will euch zeigen: Menschengröße.

In jeden Laut ist sie gebannt.

Kommt her! So kommt! Kommt her zu mir!

Bewegt euch! Schwingt! Trinkt herbes Lied!

Im Wechsel findet ihr die Süße.

Den Wald. Den Fluss. Das Tor. Die Wand.

Bewegt euch! Schwingt! Trinkt herbes Lied!

Oh bleibt! Verweilt! Und zieht dahin!

Versteckt euch nie vor eigner Größe.

Begreift. Und setzt Gefühl in Brand.

Oh bleibt! Verweilt! Und zieht dahin!

Februar

Im Walde ist es eisig,

der Wind weht kühl aus Ost,

im Baume sitzt ein Zeisig

und singt sein Lied dem Frost.

Die Wege sind verwoben

in helles Schneegeflecht,

der Nebel ist enthoben,

das Weiß behält noch recht.

Die Wiesen aber träumen

die Wärme schon herbei,

wenn hier die Blumen säumen

als buntes Vielerlei.

Ungesungen

Sorgennebelstundenleise

flieht

straßenschwergewölbt

regengrau

ein Lied

richtungslos

im Raum.

Wir

Wir verbuchen,

was wir suchen.