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Jemand unterzieht sich einem Experiment: Traum, Raum und Zwischenraum auszuloten. Die Realität wird in Frage gestellt, Antwort nur spärlich gegeben. Das Experiment wird abgebrochen. Irgendwer, mit gehörigem Abstand, schreibt ein Nachwort.
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Seitenzahl: 463
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Protokoll (1997)
Nacht zum 1. Januar
Nacht zum 2. Januar
Nacht zum 3. Januar
Nacht zum 4. Januar
Nacht zum 5. Januar
Nacht zum 6. Januar
Nacht zum 7. Januar
Nacht zum 8. Januar
Nacht zum 9. Januar
Nacht zum 10. Januar
Nacht zum 11. Januar
Nacht zum 12. Januar
Nacht zum 13. Januar
Nacht zum 14. Januar
Nacht zum 15. Januar
Nacht zum 16. Januar
Nacht zum 17. Januar
Nacht zum 18. Januar
Nacht zum 19. Januar
Nacht zum 20. Januar
Nacht zum 21. Januar
Nacht zum 22. Januar
Nacht zum 23. Januar
Nacht zum 24. Januar
Nacht zum 25. Januar
Nacht zum 26. Januar
Nacht zum 27. Januar
Nacht zum 28. Januar
Nacht zum 29. Januar
Nacht zum 30. Januar
Nacht zum 31. Januar
Nacht zum 1. Februar
Nacht zum 2. Februar
Nacht zum 3. Februar
Nacht zum 4. Februar
Nacht zum 5. Februar
Nacht zum 6. Februar
Nacht zum 7. Februar
Nacht zum 8. Februar
Nacht zum 9. Februar
Nacht zum 10. Februar
Nacht zum 11. Februar
Nacht zum 12. Februar
Nacht zum 13. Februar
Nacht zum 14. Februar
Nacht zum 15. Februar
Nacht zum 16. Februar
Nacht zum 17. Februar
Nacht zum 18. Februar
Nacht zum 19. Februar
Nacht zum 20. Februar
Nacht zum 21. Februar
Nacht zum 22. Februar
Nacht zum 23. Februar
Nacht zum 24. Februar
Nacht zum 25. Februar
Nacht zum 26. Februar
Nacht zum 27. Februar
Nacht zum 28. Februar
Nacht zum 1. März
Nacht zum 2. März
Nacht zum 3. März
Nacht zum 4. März
Nacht zum 5. März
Nacht zum 6. März
Nacht zum 7. März
Nacht zum 8. März
Nacht zum 9. März
Nacht zum 10. März
Nacht zum 11. März
Nacht zum 12. März
Nacht zum 13. März
Nacht zum 14. März
Nacht zum 15. März
Nacht zum 16. März
Nacht zum 17. März
Nacht zum 18. März
Nacht zum 19. März
Nacht zum 20. März
Nacht zum 21. März
Nacht zum 22. März
Nacht zum 23. März
Nacht zum 24. März
Nacht zum 25. März
Nacht zum 26. März
Nacht zum 27. März
Nacht zum 28. März
Nacht zum 29. März
Nacht zum 30. März
Nacht zum 31. März
Immer das gleiche: man steht am Fluss, will irgendwie hinüber, meint keine andere Möglichkeit zu haben, da man sich auf das Schwimmen nicht verlassen kann, wobei die Sachen vorher abzulegen wären, als auf schwankem Boot, das da per Zufall liegt, das andere Ufer zu erreichen.
Dort wartet eine Frau.
Sie ruft?
Viel zu spät bemerkt man die bequeme Brücke, sie taucht im Augenwinkel auf, da steht man schon im Kahn, der sinkt, Ruder gibt es nicht, ein Strudel öffnet sich, man gleitet hinein.
So betont langsam!
Unter Wasser schon. Noch wird die Luft nicht knapp.
Ich, ja, ich hätte mich ewig drehen können. Die Frau, ich weiß nicht wer sie ist, kommt, geht über die Brücke.
In diesem Moment erwache ich.
Ich weiß nicht, wo ich bin.
Scheint eine Werkhalle zu sein. Ungeheure Dimensionen. Einzelteilfertigung, aufwendig, langwierig. Ja, es ist so. Aber die Einzelteile sehe ich nie, das Gefühl, von ihnen zu wissen, reicht aus.
Eine Kollegin bittet mich, mitzukommen. Irgendein Treff, erzählt sie kurz, zu viert.
Wir sind unterwegs. Die Halle ist lang.
Was erzählt die Kollegin noch? Etwas von einem Badeausflug. Sie strauchelte im flachen Wasser.
Ich überlege, ihr zu erzählen, was mir vorhin, im Wasser doch auch, passierte. Dazu kommt es nicht, weil ihr Gesicht verblasst, wie alles was uns umgibt.
Moment! Sie hält mir noch einen Zettel hin, vier Namen stehen darauf. Ich kann die Namen nicht ins Wachsein retten.
Der Transport eines Gerätes über längere Strecke.
Etwa handkoffergroß, ziemlich schwer, Metall.
Ein Herr ist dabei, der so pfiffig war, einen Rollenuntersatz zu bauen. Oder er zaubert ihn einfach herbei.
Wir bewegen uns in abschüssiger Gegend. Der Herr, wie selbstverständlich, bleibt an meiner Seite. Kurven sind.
„Du merkst deutlich die Zwischensteigungen“, sagt mein Begleiter.
Wie einen Handwagen lenken wir das Gerät, auf dem wir sitzen. Zugegeben: eigentlich lenkt es nur der Herr. Das Ziel ist zu ahnen.
Die vorletzte Kurve. Nicht einsehbar die letzte.
Ich springe doch lieber ab. Das ging noch mal gut. Jedenfalls für mich.
Entweder, das ist nicht so klar, wird nun das aufmontierte Gerät zur Puppe, oder mein Fahrer verwandelt sich. Der Wagen rollt langsam weiter. Hinter der Biegung taucht ein Zug auf. Plötzlich.
Oder doch nur eine einzelne Lok. Unaufhaltsam, selbstzerstörerisch, schiebt sich der Wagen in sie hinein. Die Vollbremsung hilft auch nicht.
Ich höre mich lachen. „Ha, ist doch nur eine Puppe!“
Da nehmen sie uns fest, und fangen an uns auszufragen.
Der Herr, in seiner ursprünglichen Gestalt, ist wieder an meiner Seite.
Von den Fragen weiß ich keine mehr, als ich erwache.
Was ist das nun? Eine Futtermischanlage? Allerdings, es darf kein Fremdstoff hinein geraten. Überlastung, Überhitzung sonst. Dummerweise passiert es mir doch. Empor brodelnd: weißer Schaum. Die Apparatur, sie gleicht einer Kernspaltanlage, ist außer Betrieb.
Die Kollegen, ja, zumeist Männer, stammen aus der Landwirtschaft. Die Scheiße, in der man dort wühlte und niemals vorankam, ist veredelt: zu dem weißen Zeug, das sich um alles legt.
Nebenan gleich, ist ein Kuhstall. „Wir müssen“, sagt jemand zu mir, „noch Schrot schütten.“
Ich schnappe mir einen von den bereit stehenden Säcken. Sind wohl insgesamt zehn.
Aber noch ehe ich ihn auf den Schultern habe, lassen die anderen die Leitung herunter, das Melken beginnt, die Pumpen arbeiten. Ich gehe trotzdem, pflichtbewusst, den Futtergang entlang, das Schrot zu schütten. Zu beiden Seiten Scheren-Fanggitter.
Bin ich überflüssig? Einer der Melker sagt: „Wenn das mal nicht zu viel wird!“ Ich beruhige ihn, das Schrot weiter in die Krippe kippend: „Ein bisschen mehr macht nichts.“
Nun fällt mir auf, es stehen auch Kälber zwischen den Kühen, haben eigene Plätze.
Sonst sind sie separat, nebenan im Kälberstall!
Ah, da kommt jemand nach. Der häufelt weißes Zeug auf das Schrot. Sieht aus wie Leim.
Merkwürdige Silage! So denke ich.
Der Traum bricht ab.
Wie ein Schal schmiegt sich
um deine Schultern Schweigen.
Die Worte sind verborgen
im Gewand reiner Kälte.
Nach den bittren Nächten
zögert noch das Licht,
dann, in andern Stunden,
überwölben deinen Weg,
geboren aus Verlangen,
die Gespräche, während ich…
Alles so weit entfernt. Leise Geräusche, diffuse Bilder. Dass man sich nichts merken kann.
Dann ein Schrank. Eher ein Fahrstuhl, eng gebaut, ein Elevator.
Ich kauere im oberen Fach. Da passt aber allerhand hinein. Verstreut: erotische Magazine.
Ich blättere in ihnen.
Eine Frau, seitwärts von mir. Ich versuche, die Bilder aus den Magazinen zum Bewegen zu bringen. Diesmal misslingt es.
Die Frau zu berühren, wage ich nicht.
Was ich auf den Bildern sehe, scheint anregend genug zu sein. Mein Glied ist stark erigiert, ich kann mich des Hinweises, an die Dame gerichtet, nicht enthalten: „Schau nur, wie er wächst!“
In diesem Moment erwache ich.
Wieder im Stall. Alles ist korrekt. Die Schrot-Säcke stehen parat. Seitwärts der Wagen, der nachher die Silage bringen wird, leer: er muss noch beladen werden.
Ich wuchte einen Sack, mit Umsetzen auf dem Knie rechts, auf die Schulter.
Ziemlich schwer. Keine Übung mehr darin?
Parallel zum Futtergang, geht eine junge Frau. Kleinere Statur.
Sie ruft, und sieht wohl meine Unbeholfenheit nicht: „Du schaffst es?“
„Ja“, antworte ich, „aber besser, besser ist es immer zu zweit.“
Darüber nachzudenken, erwache ich.
Da ist sie wieder, die Frau.
Diesmal sind wir in der Bäderabteilung einer Klinik.
Prüfungen? Zwischenprüfungen? Wir stehen zu dritt herum. Im Gang, zwischen den Räumen der Vollbäderabteilung. Zwei Männer, eine Frau.
Der Chefarzt will die Prüfung abnehmen. Zuvor aber muss er noch prüfen, ob wir seelisch gut drauf sind. Der jungen Frau blickt er, minutenlang, tief in die Augen. Sie scheint in Ordnung zu sein.
Ich bin der nächste, dem der Arzt sich zuwendet. Das können wir uns sparen, denke ich.
Und gleite in die Wirklichkeit.
Wir leben nur am Rand der Zeiten,
wir dringen nicht ins Zentrum ein;
der Weg, den wir in Angst beschreiten,
wird immer fern dem Heute sein.
Wir pendeln zwischen dunkler Kälte
(Vergangenheit, zu Eis gemacht)
und Zukunft, die uns nicht bestellte;
wir sind nie um das Jetzt bedacht.
Wir brennen in Erwartungshitze.
Wir frieren, wenn wir rückwärts schaun.
So übersehen wir die Blitze
der Gegenwart. Am Gartenzaun,
an den gelehnt wir müde stehen,
erbetteln unser Gnadenbrot:
die wir noch laut um Hoffnung flehen –
und sind, in Wirklichkeit, schon tot.
Pastellen, unentschlossen, zäh. Als wäre, was Konzentration betrifft, noch viel nachzuholen.
Aus nebelfädig besponnener Gegend löst sich ein Boot. Schwer zu erkennen, ob darin und mit mir Verfolger sitzen oder Verfolgte.
Kein Blick zurück!
Das Boot, ein Luftgleiter nun, der über Asphalt schwebt, von wattiger Stille behaucht, verschwindet.
Ich halte die Augen noch eine Weile geschlossen. Öffnete ich die Lider, unterbräche ich das zarte Licht, über mich gestreut. Da ich aber weiß, dass ich die Augen geschlossen halten muss, weiß ich auch, dass ich erwacht bin.
Nun werden, das ist gewiss, wir verfolgt. Wir! In Erfüllung eines Auftrags. Der muss schon sehr brisant sein, denn wir sitzen in einem gepanzerten Wagen.
Der Fahrer lenkt stur geradeaus.
Wir werden, aus allen Richtungen, angegriffen. Ich sitze auf dem Rücksitz, rechts. Warum nicht vorn, neben dem Fahrer, der Platz ist doch frei? Wir sind zu zweit, die Gegner ungleich mehr. Einschüsse zu beiden Seiten, Sprengschläge von vorn, einer erwischt, auf die Straße geworfene Granate, das Auto unter den Vorderrädern.
Zwar durchgeschüttelt, fahren wir trotzdem, wie unbehelligt, weiter. Die Einfahrt vor dem Haus, in dem ich wohne, ist erreicht.
Ich erwache.
Schlief ich nicht wieder ein? War erst eine Stunde vergangen?
„Du hast noch viel Zeit, ist erst ein Uhr“, höre ich. Ein Blick auf die Armbanduhr, sie liegt auf dem Tisch, bestätigt mir das.
Ich habe das Gefühl, ich müsste jemandem helfen. Ist irgendwer, ein Fahrer vielleicht, verletzt?
Zwei Listen, die ich nacheinander zur Hand nehme.
Lagen sie schon die ganze Zeit auf dem Tisch?
Die erste Liste beschreibt pathologischen Verlauf. Eine Triade. Perforation des Darms.
Ich werde später genauer lesen. Mir läuft ja nichts weg.
So brauche ich mir also auch die zweite Liste nicht zu merken, ich lege sie achtlos beiseite.
Ein drittes Blatt taucht auf, versehen mit Zeilen von unterschiedlicher Länge. Aha, ein Gedicht!
Schwierig, noch während ich es lese, mir wenigstens das Ende einzuprägen. Mir wird klar: weit öfter, als dass ich träume, zu träumen, träume ich, wach zu sein. Auch diesmal. Erwacht, blicke ich traurig zur Armbanduhr. Da bin ich wieder gefoppt worden.
Denn freilich ist es schon fünf.
Die Treppen hinunter, ich steige tief hinab.
Jemand ist gefangen, den muss ich befreien! Ein junger Mann. Mit mir verwandt?
Also in den Keller. Der Blick in die Treppenflucht.
Man zeigte mir die Tür, erinnere ich mich, die ich zu benutzen hätte, die ich nicht gleich fand.
Erst als ich die Gummistiefel, die da standen, über meine Füße streifte, erst als mir das gelang, sah ich die Tür und öffnete sie.
Die Socken waren verrutscht, das Gehen unbequem.
Ich erblicke einen riesenhaften Raum. Wie ein Opferaltar, rotglühend, beherrscht eine umzäunte Erhebung den Vordergrund. Dahinter dehnt sich die Weite.
Der junge Mann, gefesselt, liegt seitwärts, bewacht von einem vierschrötigen Kerl, und sieht nun, wie ein anderer, drahtiger Bursche, sich mir zum Kampf stellt.
Mehr als diese vier Personen sind nicht im Raum.
Ich greife eine Eisenstange, dränge meinen Gegner damit zurück.
Der taumelt, stolpert über die Absperrung, landet auf dem erhitzten Altar. Ja, da ist es heiß. Die unmenschlichen Schreie, die jener dort ausstößt, verraten mir das. Er liegt auf dem Rücken, vergeblich bemüht, empor zu kommen, es scheint, als wäre seine Haut mit dem Untergrund verbacken.
Der große Kerl verlässt den Jungen, kommt auf mich zu, der ich, mehr von den Schreien meines Opfers, als von meiner Tat, erschreckt zurück gewichen bin.
Mit bloßen Fäusten stelle ich mich. Der Große, höhnisch lachend, fängt meine Schläge leicht mit den Handinnenflächen ab.
Mein erster Gegner, ich sehe es am Rande meines Blickfeldes, hat sich aufgerappelt.
Verzweifelt blicke ich nach rechts. Dort ist noch immer der Junge. Aber nicht er, der jetzt mit glasklarer, schneidender Stimme sagt: „Wir müssen das Tier, das in uns lebt, besiegen.“
Und ich bin wach.
[ Ich verschenke, was ich schreibe. Ich habe es doch selbst nur geliehen! Für die Weile, die ich bin auf dieser Welt. Für den Moment. Der wird für mich länger: wenn ich verschenke, was ich schrieb. An diese Frau im Zug. Täglich fährt sie zur Arbeit. Ich weiß, sie hat es mir gesagt: dass sie eigentlich nur Krimis liest. Da komme ich mit Gedichten! Aber nach Tagen sehe ich so ein Leuchten auf ihrem Gesicht. Mit welcher Zeile traf ich sie? Welcher Vers hat sie gewärmt?
Manche, denen ich Gedichte gab, geben auch gleich Fersengeld. Ich sehe die Leute nicht wieder. Aber möglich, sie verstehen und sehen sich selbst besser. Jetzt. Immer dies ist der Anspruch, dem ich unterworfen bin.
Andere, die es doch versprachen, melden sich nicht. So soll es auch sein. Man mag das einen Zufall nennen, treffe ich nach Jahresfrist den einen oder die andere. Ich sehe es ihnen an: sie haben mit den Gedichten gelebt, sie haben sich, so selten nicht, dagegen gewehrt.
Ich verschenke, was ich schreibe. Hunderte von Seiten. Dutzenden Seelen schenke ich mein Leben. Ich sterbe nicht, nicht in diesen Momenten. ]
Was der Vorhang mir verbirgt,
den ich auf meine Seele werfe,
ist nur die müde Existenz
abgetauchter Bilderschatten.
Ohnehin am Boden liegt,
gewaltbefreit, das kurze Leben,
gefesselt an die spröde Nacht;
ich will mich hier nicht wiederfinden.
Keine Macht der Erde soll,
vertraut mit unbekanntem Fühlen
im Licht des hoffnungsvollen Tags,
das Leid geschönt erglänzen lassen.
Wuchert wild Vergessen mir,
mit vielen kleinen Trauerblüten,
so schneide ich's
nicht ab.
Die Straße lang.
Zwei Männer gehen
noch acht
Kilometer.
Zwei Männer gehen
die Straße lang
noch sieben Kilometer.
Die Straße lang.
Zwei Männer gehen
noch sechs
Kilometer.
Zwei Männer gehen
die Straße lang
noch fünf
Kilometer.
Die Straße lang.
Zwei Männer gehen
noch vier
Kilometer.
Zwei Männer gehen
die Straße lang
noch drei
Kilometer.
Die Straße lang.
Zwei Männer gehen
noch zwei
Kilometer.
Zwei Männer gehen
die Straße lang
noch einen
Kilometer.
Jetzt sind sie
angelangt,
am neuen
Obdachlosenheim.
Altstadt. Nachtjackenviertel. Das Haus. Das Zimmer.
Ich kenne die Anordnung, die Unordnung der Möbel. Die Lampe auf dem Tisch. Schrank und Bett. Alles am rechten Ort.
Ich suche etwas, ich bin allein.
Die Stubentür hatte ich geschlossen, vorhin? Nun steht sie einen Spaltbreit offen.
Sturm kommt auf, drückt sich gegen die Fensterladen.
Zwei Fenster sind. Am rechten rollen sich die Scheiben hoch, das Fensterkreuz zerfließt. Ich kann es nicht verhindern.
Außenwelt dringt ein. Ich blicke nach links.
Ich öffne die Augen.
Auf der Straße. Kopfsteinpflaster.
Gegenüber: die Druckerei.
Sonne blendet ungeheuer.
Von links bringt man ein Kind. Es blutet an der Schläfe. Das Kind gehört zu mir.
Wie ich es nun trösten will, und auf den Arm nehme, wird es kleiner, vom Kleinkind zum Baby.
Die Wunde bleibt. Ungeschickt, wohl zu derb, berühre ich sie, spüre den Schmerz in mir.
Das Kind blickt zögernd.
In diesem Moment erwache ich.
Eine Wohnung. Zwei Zimmer. In einem bin ich. Allein.
In das andere Zimmer, das weiß ich, gelangt man nur, geht man ein Stück durch den Zwischenflur, der das Bad und die Küche von den Wohnzimmern trennt.
Dort aber, im anderen Zimmer, sind eine ältere Frau und ein Kind. Beide schlafen.
Das Kind liegt in einem normalen Bett.
Gefahr lauert im Flur. Bereits dort, oder noch vor der Haustür.
Ein gedungener Mörder, ich weiß es.
Das Kind, sollte es aus dem Schlaf gerissen werden, darf nicht schreien!
Der Mörder war, vorhin, schon einmal hier. Und er hat mich gewarnt: „Mache nicht den Fernseher aus, schlafe nicht ein!“
So sitze ich die ganze Zeit in meinem Zimmer, lauere.
Es ist so dunkel.
Die Stubentür öffnet sich, vom Flur her fällt Licht in das Zimmer. Die Gestalt eines Mannes als Schattenbild im Türrahmen.
„Der Fernseher ist aus“, sagt der Mörder.
„Nein“, rufe ich, „nur ein Bildausfall.“
Der Bildschirm wird wieder hell. Der Mann jedoch, der Mörder, ist bereits unterwegs zum anderen Zimmer.
Ich erwache.
Die Küche. Ich will Milch aufkochen, im gläsernen Gefäß.
Es ist hier sehr kalt. Die Milch ist gefroren.
Ich sehe genauer hin. Geteilt in Wasser und in goldgelbe Butterstückchen ist nun die Milch, eine Fliege schwimmt darauf.
Ich kippe ein wenig Flüssigkeit in das Spülbecken ab, stelle das Gefäß wieder hin.
Eine Wespe löst sich leichthin von der Wasseroberfläche.
Wie kann es im Sommer so kalt sein? Und wäre Winter, wo kämen Fliegen und Wespen her?
Ich grübele darüber nach, bis ich ratlos erwache.
[ Von Schönheit zerrissen, manisch besessen von ihr zu künden, suche ich Harmonie auch im Verfall. Mir genügt nicht das zärtliche Lamentieren über Monduntergänge und lichte Sonnentage. Das reicht nicht aus.
Aber dass es so weit geht: Ruinen zu dienen!
Ich las in der lokalen Zeitung von 60 verfallenen Häusern, allesamt befinden sie sich in meiner Stadt. Lange bevor ich das las, trug ich mich bereits mit dem Gedanken, all die Ruinen lebendig werden zu lassen. Das GEMÄUER, ja. Mit wenigstens zwei Dutzend potentiellen Ruinen habe ich, in meinem bisherigen Leben, Bekanntschaft geschlossen. Da gab es noch Bewegung in ihnen. Nur die dort wohnten waren, damals, vom Gott des Verfalls schon gebrandmarkt. Und später, später zerfielen auch die Häuser.
Der eigentliche Aspekt, den ich zwei Dutzendmal hätte darstellen müssen, wäre gewesen: mich zu zeigen, als Katalysator (Gottes Beisitzer?) des Verfalls. Nur einen Fuß in ein Haus zu setzen! Mehr war nicht zu tun. Unweigerlich, ab diesem schnöden Augenblick, begann sich in allen Ritzen des Gebäudes die Ahnung kommender Zerstörung einzunisten.
Das wäre zu dokumentieren. ]
Was glitzert auf den Wegen?
Ein Stern, der fiel herab
und legte seinen Segen
in Splitterform aufs Grab
der sommerfernen Erde
als herbe Winterkost.
Für uns am warmen Herde,
heißt er hingegen: Frost.
Die Kälte dechiffrieren
wollen wir,
dass Wärmereste
uns erblühen
blauer
Billigsterne
hier.
Eine Wandertruppe zieht zum Horizont. Ich bin mittendrin, bei den Leuten. Man sollte mich aber besser nicht fragen, ob ich jemanden kenne. Es reicht ja, das gleiche Ziel zu haben, oder?
Bevor wir mit dem Horizont verschmelzen, sind genügend Serpentinen zu bewältigen.
Ich denke an Eselskarren.
Zeit zur Rast. Am Abhang klebt eine Schenke. Als wir hinein gehen, verliert sie das Alltägliche, das Bäuerliche, wird zum Freizeitzentrum.
Billardtische.
Ein Mädchen, eine junge Frau, spricht mich an. Ich möge mich doch an ihren Tisch setzen.
Da liegt so ein Spiel. Ich blicke mich fragend nach meinen Begleitern um.
„Na, mach nur“, sagt einer von denen.
Das Brettspiel ist keines von den Arten, die ich kenne. Zusätzlich zu Figuren sind Worte zu setzen.
Ich weiß, ich sollte lieber die Dame genauer besehen. Sie ist hübsch genug, dass auch ein zweiter und dritter Blick sich noch lohnten. Doch weil sie nun das Spiel erklärt, versuche ich die Regeln zu begreifen.
Noch während sie erklärt, verblasst ihr Gesicht. Der Raum verblasst. Ich bin wach.
„Gut, dass du dich erinnert hast! Wir hätten sonst noch länger warten müssen.“
Wer sprach die Worte aus, wo bin ich gelandet?
Ringsum Land. Land. Vereinzelt Bauernhäuser, erbaut vor Jahrzehnten.
Ich muss zum Dienst. Irgend etwas habe ich zuhause vergessen.
Den Schlüssel, den für die Haustür, habe ich nicht dabei.
Meine Arbeitssachen fehlen. Was soll ich ohne sie im Stall beginnen?
„Seh bloß zu!“ sagen die beiden Kollegen. Sie warteten auf mich. Aber jetzt, ungeduldig, brettern sie, auf Motorrädern, davon.
Ich sehe an mir herunter. Ich habe nicht nur keine Stallsachen, in die ich nachher hätte steigen können, ich habe überhaupt nichts an. Stört aber keinen, dass ich hier nackt herumlaufe.
Ich klopfe an die Tür, zu der ich keinen Schlüssel habe.
Nach langer Zeit öffnet sie sich. Ein Herr redet mürrisch mit mir.
Ich vergesse, dass ich hier eigentlich zuhause bin, und trete ergeben ein.
Die Arbeitssachen sind unwichtig. Wir reden.
Der Herr breitet, auf einem Tisch in der Veranda, eine Karte aus.
Eine technische Zeichnung, der Aufriss einer Anlage. Das hat mit dem Stall zu tun.
Der Architekt, der das Objekt entwarf, ist aus Schweden. Der Herr macht es mir klar.
Jetzt sagt er: „Hab ich gleich gemerkt, dass da was nicht stimmt!“
Er weist auf eine bestimmte Stelle des Risses: „Als ich das hier gesehen habe.“ Ich kenne mich mit solchen Zeichnungen nicht aus. Immerhin, ich tue so, als ob ich alles begriffe.
Aber länger kann ich mit diesem Zwiespalt nicht leben.
Der Herr sieht mich bedenklich an.
Ich erwache.
Ein Kino. Zwei Säle. Das weiß ich von vornherein.
Ich habe auch schon Karten gekauft. Für mich allein.
Dunkel erinnere ich mich einer Dame, der an der Kasse. Ich will also hinein. Da ist der Film schon gelaufen. Zwei Frauen stehen im Foyer. Eine ruft mir verschmitzt zu: „Wer so absolut spät kommt, für den zeigen wir den Film extra. Und um dreißig Prozent ermäßigt.“
Ich nehme das für bare Münze, lenke meine Schritte zum Kinosaal linkerhand.
Geräusche höre ich, noch bevor ich die Tür öffne!
Sollte der Film, der ursprüngliche, doch noch am Laufen sein?
Oder wäre das bereits die Extravorstellung, von der die Rede war?
Wäre ich auch für die zu spät dran?
Ich öffne die Tür. Zwei Reinigungskräfte säubern den Saal.
„Gehen Sie doch auf die andere Seite!“ ruft mir eine kittelbeschürzte Dame zu.
Ich steuere den Saal rechterhand an, öffne die Tür, bin auf der Straße.
Und wieder wach.
Hinabgewelkt und staubverloren
trösten uns die Blumen noch,
da sie aus Erde sind geboren,
zeitbehütet unterm Joch
der Wiederkehr verschwiegner Jahre
stillen Friedens überm Land;
es weist hinauf ins Wunderbare,
wolkenwärts, die Blütenhand.
Und wenn sie dann am Boden sterben,
bleiben sie dabei doch stolz;
wir könnten ihre Schönheit erben,
wäre unser Herz aus Holz.
Die Vorhalle eines Hotels? Ein Flughafenrestaurant?
Leicht erhöht, wie auf einem Podest, stehen wir, zwei Damen und ich, inmitten der Menge.
Gelöste Stimmung, fast heiter zu nennen. Geplauder ringsum.
Einige Treppenstufen weiter, unten: ein Wasserbecken mit Fontäne.
Für einen Moment wird die Halle zum Stall. Jemand läuft mit einem Sack Schrot, dem letzten der benötigt wird, durch den Raum.
Also, denke ich, diesmal bin ich nicht so blöd, das Schrot allein zu schütten!
Der Raum wird zur Manege, zum Zirkusrund. Keine Tiere, nur Akrobaten.
Ich warte.
Die Damen sind nicht mehr zu sehen. Trotzdem bin ich in ausgelassener Stimmung, führe mit einem Artisten, der nicht unbedingt stärker als ich zu nennen ist, einen Scheinkampf.
Ein anderer Herr beginnt Kunststücke, schwingt sich, ich leiste Hilfestellung, empor am Reck.
Felgaufschwung, Felgumschwung, Riesenwelle. Dass mir vom Zusehen schwindlig wird.
Ich erwache.
Das Zimmer. Es wird zur kompletten Wohnung, groß, vielräumig.
Aber nun weiß ich nicht mehr, welches mein Zimmer gewesen war, und wie das überhaupt aussah.
Zwei vage Gedanken: Das Zimmer wird jetzt von einem Mädchen bewohnt, es kam wohl zu Besuch, und ich werde das Zimmer als meines erkennen, sobald ich weiß was in den Schubladen ist.
Die Suche, es sind so viele Zimmer, wird einige Zeit in Anspruch nehmen.
Über das zweite Zimmer komme ich nicht hinaus. Weil es jetzt klingelt. An der Flurtür.
So rasch komme ich gar nicht hin.
Auch ist da eine Stimme, die mir bedeutet, ich solle noch warten.
Die Tür, aus massivem Holz und undurchsichtig, wird zu Glas.
Ich sehe zwei Frauen. Aber für sie ist die Tür nicht zu durchschauen. Sie klingelten sonst nicht mehrmals, und hefteten nicht, wie sie es nun tun, einen Zettel an, und sie gingen nicht.
Auf dem Zettel steht, dessen bin ich mir sicher, sie hätten mich leider nicht angetroffen, würden später wiederkommen.
Ich öffne die Tür, stehe mit freiem Oberkörper da. Wenigstens, ich blicke an mir herunter, trage ich eine Trainingshose.
Die Frauen sind noch da. Wir kennen uns gut. Ich versuche, mein verspätetes Erscheinen zu erklären: „Ich komme gerade aus dem Bad.“
Ich bin doch auf der Suche nach dem Zimmer!
Die Frauen lasse ich allein, sie kennen sich hier aus, sie wissen wo die Küche ist, sie können für sich sorgen.
Hinaus!
Der Markt. Jahrmarktsbuden. Ich stehe auf einem flachen Schuppen, Werbematerial liegt da herum, ich passe auf, dass ich nicht drauftrete. Wahlen stehen ins Haus, das Schuppendach wird von den zwei größten Parteien, die es hierzulande gibt, gemeinsam zu Reklamezwecken genutzt.
Die Straße befindet sich zwei, drei Meter unterhalb der Dachkante.
Leute flanieren.
Zwei Mädchen betrachte ich genauer. Hübsch sind sie zwar beide, doch das eine ist nicht ernsthaft genug, kichert andauernd. Gleichwohl bin ich gereizt, nun gleichfalls zu lachen.
„Was machst du dort oben?“ fragt das Mädchen, das nicht gelacht hat.
„Na“, antworte ich, „ein paar Übungen nur.“ Schon habe ich mich halb herab geschwungen, hänge mit einer Hand noch am Dachrand, mache drei, vier einarmige Klimmzüge, bevor ich abspringe.
Ein drittes Mädchen kommt heran und fragt nach ihrem Zimmer.
„Ich weiß nicht“, sage ich, „wo es ist, ich war schon lange nicht mehr darin.“
Ich wage es, meine Hand auf ihre Schulter zu legen.
Ich weiß nicht zu sagen, ob sie sich meiner Berührung entzogen hat, da mich der Traum in diesem Moment entlässt.
Der Weihnachtsmarkt, im Zentrum der Altstadt.
Ein Gläschen Glühwein trinke ich, am Stand.
Da spaziert doch der Chefarzt über das Gelände! Hat er nichts in der Klinik zu tun?
Der wird bestimmt, denke ich, nach der Berufsanerkennung fragen. Ich hatte versprochen, sie ihm zu senden, spätestens in vier Wochen.
Besser, ich verstecke mich, tauche ab, unter den Tisch.
Er sieht mich trotzdem, kommt näher. Ich tue so, als ob ich mir die Schnürsenkel bände, was, ich trage Sandalen, merkwürdig anmuten muss.
Gut, wir reden miteinander!
„Wie geht es denn so, was machen die Herren Doktoren, grüßen Sie sie.“ Nun gehen wir eine Anhöhe hinauf. Dort ist ein Dom, eine Kathedrale, in den Erdboden gewaltig eingelassen, die Spitzen nach innen gerichtet, wie umgestülpt, unermesslich gefüllt mit Zeitungspacken und Stapeln gebündelter Bücher. Wir sitzen am Rand. Ein Wächter taucht auf und verkündet: „Wer hier Zigaretten raucht, muss zehn Mark Strafe zahlen, wer aber unerlaubt Schokolade isst, zahlt fünfzig!“
In einer Ecke liegt, zusammengeknüllt, Schokoladenpapier.
Ich stelle mich schlafend. Der Wächter macht den Chefarzt verantwortlich. Der muss blechen.
Ich tue so, als erwachte ich wieder, sage in harmlosem Ton zum Wächter: „Ich bin gern hier und sehe hinab.“
Ich erwache wirklich.
Amöbenhaft
umtanzen weitgesteckte Ziele
unser Sein.
Unendlichkeit ist angesagt.
Kürzer indes
gleitet der Gedanken allzu geringe
Spanne
auf dem Weg zur Ewigkeit
ins Nichts.
Amöbengleich:
Immer doch der
mögliche
Ruhm.
Die Jahre, ledern,
ziehn vorbei,
die Stunden federn:
Zäher Brei.
Auf stillem Wege
Frau und Mann.
Das Boot am Stege
legt nicht an.
Die Trauer schattet.
Sie verbirgt:
Am Rand, ermattet,
Lachen wirkt.
Im Umkleideraum der Bäderabteilung, nahe den Massagekabinen, innerhalb der Klinik.
Ich will mich nicht umziehen. Ist nur ein Besuch.
Die kleine Frau steht neben mir, lehnt an ihrem Schrank.
Sind wir nicht im gleichen Ort geboren?
An die Außenseite des Schranks sind, immer noch, zwei Bilder gepinnt, die hatte ich gezeichnet, sie der kleinen Frau, vor langem schon, gegeben. Ach, dass sie die aufgehoben hat! Das erwärmt mein Herz.
Jetzt aber bin ich bei den Vollbädern, spaziere durch die Kabinen.
Ich muss ja nicht arbeiten.
Doch wie von ungefähr drehe ich einen Wasserhahn auf.
Ein Masseur kommt vorbei. „Du“, sagt er, „ich soll dich von einem Patienten grüßen.“
Ich nenne einen Namen.
„Nein, der nicht, der ist schon abgereist.“
Was ist das hier? Eine Drehbühne?
Jahresabschlussball, die ganze Belegschaft ist versammelt.
Ich halte mich aus dem Feiern heraus. Mir fällt ein, dass ich mich eigentlich umziehen müsste.
Eine Sekretärin, dort am Tisch, sagt: „Aber das ist doch kein Problem! Wir stellen nur die Gläser beiseite.“
Da stehen so viele Gläser, auf dem Boden herum. Die Tische sind leergeräumt. Ich weiß nicht zu sagen, ob ich mich an- oder ausziehe. Ist auch nicht so wichtig. Denn ich nehme, sie lagen auf dem Boden, drei oder vier geheftete Blätter auf, ich lese die erste Seite. Ein Brief, an mich gerichtet: ein Doktor dankt mir für die Abschrift von Gedichten.
Verständnis und lobende Worte.
Hier passiert nichts. Ich erwache.
Brigadeausflug, im Bus über Land.
Ein Tunnel. Der Bus wird zum Zug. Überquert wird ein Fluss.
Der Zug wird zum Schiff. Ich stehe an der Reling.
Die Brücke bricht zusammen. Ich kann mich nicht halten, stürze hinunter.
Das Schiff wird zum Zug, taucht in den nächsten Tunnel.
Ich bin wieder bei den Kollegen. Als hätten wir nur kurz unser Gespräch unterbrochen.
Wir halten.
Ein Hotel. Keine Zeit zum Abendessen. Wir suchen gleich unsere Zimmer auf. „Aber nicht bei den Damen!“ wird mir zugerufen. Schräg über den Flur, da wäre meine Unterkunft!
„Nicht schon wieder!“ sagt eine Frau, deren Zimmer ich angesteuert hatte. Ich zucke die Achseln, bewege mich auf die Tür zu, die uns allen bedrohlich erscheint.
Ich weiß, dass ich leise sein muss, den Schlafenden, der so lange schon ruht, nicht zu stören.
Also ich schleiche mich in das Zimmer.
Zwei Betten. In einem, der Tür zunächst, ein Mensch, dessen Umrisse, vom Federbezug verdeckt, nur zu ahnen sind. Auf dem anderen Bett sind Pillen, Kapseln, Schächtelchen abgelegt. Die muss ich entfernen.
So viele Medikamente!
Ich bin vorsichtig. Aber die Pillen rollen, fallen laut und klappernd zu Boden. Der Krach macht wach: den anderen Herrn.
Er schält sich, ein ungeschlachter Typ, aus dem Bett, überragt mich um einiges, hebt mich, ich trage ein altmodisches Nachthemd, am Schlafittchen empor, schleudert mich, selbst sich höher reckend, auf sein Bett, verlässt den Raum, fürchterlich fluchend.
Mit einem letzten Blick auf mich, dabei sardonisch grinsend, fügt er die Bemerkung an: „Es macht übrigens nichts aus, wenn man nichts an hat.“
Hat es das Hotel je gegeben? Da ich doch nun auf der Straße stehe, vor dem Betriebstor, und nichts besseres zu tun habe, als aus dem Stegreif Reime zu entwerfen.
Ich murmele vor mich hin: „Die Jugend richtet sich auf Rente ein…“
Darauf fällt mir kein Reim ein. Und ich erwache.
[ Ein neuer Trick der Traumzentrale. Das fiel bereits gestern auf. Sie schickt mir, in kurzer Folge, Sequenzen die ich nicht mehr durch ein Zwischenwachsein trennen kann; Überlappungen sind es, Parallelentwürfe. Dies spricht der geordneten Normalität des Lebens, so wie es uns am Tage erscheint, Hohn. Für mich, jedenfalls für mein gegenwärtiges Verständnis, sind Träume nichts anderes als logische Fortführungen meiner wachen Phasen. Da ärgert es mich schon ungemein, der Unübersichtlichkeit ausgeliefert zu sein, zu sehen, dass Erscheinung und Wesen vertauscht werden. Und weiter: seit zwei, drei Nächten ist es, als ob ich nach dem jeweiligen Erwachen erst eine Wand zerschlagen müsste, um an den soeben gehabten Traum zu gelangen; das dauert Minuten, bis der Nebel, gelegt um Gegenstände und Personen, sich lichtet. ]
Ich schreibe, denk ich, neue Zeilen,
und setze Verse, Block für Block,
die unbekannt mir bislang waren,
ich schneide sie aus Luft heraus.
So denke ich; am Tag hingegen,
der wieder diesem Tage folgt,
befinden sich, worin ich lese
(in einem Buch, das mir bislang
vollkommen unbekannt gewesen)
die gleichen Zeilen, selben Verse stets!
Ich bin nur groß im Worte ahnen –
das ist betrüblich, aber stimmt.
Die ganze Zeit schon stehe ich hier draußen, als hielte ich Wache.
Abend war. Jetzt ist es dunkel geworden.
Unterhalb meines Standortes, gleich dort, befindet sich die Schlachthofruine, vor mir führt die Straße hinan zur Altstadt. Auf der rechten Seite, im einzelnen Haus, das den Blick auf weitere Ruinen verdeckt, sind Menschen fieberhaft tätig, zu sehen durch große hell erleuchtete Fenster.
Womit die Leute eigentlich beschäftigt sind, ist nicht erkennbar.
Jemand, der eben vorbeikommt, fragt mich: „Was stellen die da her?“
Ich weiß es doch nicht!
Ich spaziere ein wenig die untere Straße entlang. Sie ist zur oberen im rechten Winkel gelegen. Mein Weg führt mich zurück.
Erneut durch ein Fenster, anderen Hauses, sehe ich streitende Leute. Sind aber die selben, die grade noch oben, im einzelnen Haus, tätig waren.
Sternschnuppen kratzen den Himmel auf. Ich weiß, dass ich mir etwas wünschen muss.
Obwohl die Schnuppen, im Schwarm, lange Bahnen ziehen, bevor sie verlöschen, sind meine Wünsche noch länger. Und ich darf sie ja nur denken, nicht aussprechen, schon gar nicht meinem Gegenüber anvertrauen, dem Mann der sagt, er freue sich einfach über die Schönheit der blitzenden Sterne.
Endlich, die letzte Sternschnuppe verglimmt, gelingt es mir, ein Wunschwort zu formulieren. Friede!
Ein zweiter Mann, älteres Semester, taucht auf, wartet wie ich.
Es ist heller geworden, die Sterne sind verschwunden.
Ein dritter Mann, ein sehr alter, fährt vorbei, bremst sein Fahrrad kurz ab.
Nur ich bleibe jung, denke ich.
Dunkelheit herrscht, als ich erwache.
Mich hat es in das Futterhaus verschlagen. Unbeteiligt sehe ich einer Frau zu, sie rührt, wohl für den Kälberstall, Milch an. Aus zwei anderen Kannen gießt sie die Milch in eine dritte.
Zwei Brüder stehen daneben, sagen unisono: „Du musst auch Magermilch daran tun!“
Die Frau ist gegangen, nun will ich die Mischung bereiten.
Die Brüder sehen unbeteiligt zu.
Wie ich mich anschicke, die Milch anzurühren, stelle ich fest: sie ist, in allen Kannen, geronnen, klumpig, alt.
Biestmilch! denke ich.
Zentral im Futterhaus, finde ich einen Schrot-Haufen vor, dem ich nun meine ganze Aufmerksamkeit widme. Ja, der muss hoch geschippt werden! Ich gebe mir diesen Befehl.
Und ich greife zur Schaufel.
Nach drei, vier Schippen erwache ich.
Die Klinik. Der Inhalation-Raum. Eine Labordame bringt, wie üblich, Geräte die wir in unserer Spezialwaschmaschine sterilisieren. Sie legt alles auf einen runden Tisch, der von Medikamentenfeinverneblern umkränzt wird.
Leicht erstaunt, frage ich: „Was ist das denn?“ Die Laborantin, sie ist schon gegangen, brachte metallene Schalen, montierbar auf Heringsköpfmaschinen. Da bin ich mit dem ganzen Kram allein!
Nun kommt noch, aus einem Nebenraum, die Diensthabende herbei.
„Ich räume das gleich weg“, sage ich schuldbewusst. Denn die Schalen liegen genau auf der Patienten-Tagesliste.
Nicht mal ein Brauenzucken! Die gute Ute schweigt.
An der Fensterseite schälen sich Werkbänke aus dem Nichts. Schraubstöcke. Ein Herr aus der Krankengymnastik spannt ein matt glänzendes Metallstück ein, bearbeitet es mit einer Feile.
Was hat der Kerl in der Inhalation zu suchen, dies ist der Bereich der Masseure!
Ich stelle mir vor, damit es so wird, in der Trockenschleiferei, am Schwabbel zu sitzen, das matt glänzende Metallstück auf Hochglanz zu polieren. Welche Poliermasse ist nun zu nehmen? Die rote, runde? War das die für den Nesselfilz?
Oder zieht man damit nur die Schleifscheiben ab?
Bevor sich in einer Ecke, schattenhaft noch, die Trockenschleiferei manifestiert, zerbricht der Traum an meinen Fragen. Ich erwache.
Dunkelheit, wie sie hinter geschlossenen Lidern herrscht, wird aufgelichtet, von innen her, durch Milchglasscheiben. Das Muster der Netzhaut erscheint, darauf flirren, ziehen darüber hinweg, geometrische Figuren: Dreiecke, Rhomben, Quadrate.
Eine Gestalt, angekleidet, liegt auf dem Bett.
Die Zeit, Stunden um Stunden vergehen, dehnt sich. Die Gestalt liegt reglos: Ich.
Licht umflutet mich.
Dinge bilden sich, gewinnen Konsistenz, verblassen wieder, gewinnen Konsistenz, verblassen erneut.
Die Probe. Einen Handlungsraum zu erschaffen, eine Situation.
Kein Weg dorthin. Ich erwache.
Ziemlicher Lärm.
Ich bin unterwegs. Das Gebäude dort: das Kino der Stadt.
Prominententreff. Man hat mich eingeladen.
Der Seiteneingang. Der Saal mit den Sitzen. Niemand zu sehen, der Vorhang ist vor die Leinwand gezogen. Nachdem ich ihn gelüftet habe, öffnet sich dahinter ein Raum.
Das kalte Büfett ist längst aufgebaut. Noch kommen Gäste. Ein Herr, den ich mit Handschlag begrüße: „Tag, Boris!“
Ich will mich nicht mit allen unterhalten.
Wie ich ihn betreten hatte, so verlasse ich den Raum. Durch die Leinwand. Im Kinosaal sind jetzt ein paar Leute. Sie starren auf ein etwa metergroßes Quadrat, das sich rechts von der Leinwand befindet. Als liefe da der Film ab.
Ich aber, so krampfhaft ich mich auch bemühe etwas zu entdecken, sehe nur eine erhabene dunkle Fläche.
Der Traum endet hier.
Die Werkhalle. Hat es eine Havarie gegeben?
Weshalb haben wir den Motorblock, woran noch Kabelschnüre hängen, herausgerissen?
Drei Männer, in blauer Montur, gehen los. Zwei tragen den Block, einer geht seitlich.
Ich spüre das Gewicht des Blockes, ich trage ihn mit.
Jemand ruft: „Einer muss zurück!“ Soll irgendwas überwachen. Wir sind uns nicht einig, und die Zeit läuft davon.
Wir müssen den Block zum Ende der Halle bringen, in den Keller, zur Reparatur!
Ich lasse nicht los, wir gehen weiter, immer noch zu dritt.
Wir kommen an, haben den Block noch nicht abgesetzt.
Rußverschmiert tauchen, wie aus einem Kohlenbunker, zwei Hausmeister auf. Das sind die Fachleute!
Meine bisherigen Begleiter sind verschwunden. Dafür ist eine Frau erschienen.
Ich höre die Gedanken der Kellerspezialisten.
Der Preis für die Reparatur sei die Frau.
„Halt“, sage ich, „das kann ich selbst!“
Statt aber mit der Reparatur zu beginnen, knöpfe ich mir die Frau vor, die nichts dagegen zu haben scheint, von mir genommen zu werden. Ich beuge mich herab.
Und ich erwache.
Ich sage zu meiner Frau: „Du, ich hab was vergessen, muss noch mal zurück. Geh doch schon nach Haus.“ Die Frau, wir gehören eindeutig zusammen, verschwindet.
Wir waren auf dem Markt gewesen, an den Gemüsestand kann ich mich erinnern.
Jetzt habe ich vergessen, was ich auf dem Markt vergaß. Ein Hungergefühl überwältigt mich.
Zum Glück sind hier Imbissbuden, an denen entlang ich gehe. Sprachfetzen höre ich.
Russisch? Rumänisch?
Ein Budenbesitzer, der da spricht. „Denunskaja“, meine ich zu verstehen.
Ach, denke ich, dies Wort gibt es wohl in allen Sprachen.
Schon etwas weiter, schnappe ich mir einen Cheeseburger.
Ich muss wirklich sehr hungrig sein! Ich kaue. „Na, schmeckt es?“ fragt der Verkäufer.
„Ja, gut“, sage ich zögernd, widerstrebend fast, und mache mich davon.
An der fremdländischen Bude komme ich wieder vorbei, will höflich sein und winke mit der freien Hand. Den Cheeseburger halte ich, immer noch, in der anderen.
„Denunskaja“, sage ich. Die Leute grinsen. Das stört mich nicht.
„La revedere!“ verabschiede ich mich, auf rumänisch.
„La revedere!“ sagt der Budenbesitzer.
Einer von den Leuten, die grinsten, stiefelt mir nach, überschüttet mich mit einem Wortschwall.
Ich kann nichts verstehen. Der andere begreift mein Unverständnis, redet deutsch weiter.
Doch hat er eine feuchte Aussprache, was mir die Unterhaltung verleidet. So wende ich mich ab.
Ich merke, dass ich den Cheeseburger immer noch halte. Entgeistert werfe ich ihn weg.
Seitwärts, rechts, eine Kreuzung, etwa zwanzig Meter entfernt. Die Grünphase der Ampel hat eben begonnen.
Ich eile über die Kreuzung, ich renne, die Straße ist lang, auf dem Bürgersteig. Ich muss mich doch beeilen! Jemand wartet auf mich!
Eine Frau? Ein vager Gedanke.
Hinter mir ein alter Herr, den kann ich nicht abschütteln. Um das zu wissen, brauche ich mich nicht umzudrehen.
Ein Junge taucht neben mir auf, hält das Tempo.
Ich kann mir beide nicht vom Leibe halten.
Wir laufen. Wir laufen aus dem Traum heraus.
Das Wasser, das ich eingelassen hatte, war der Patientin zu heiß. Sie rief mich.
Ich drehte den Kaltwasserhahn auf, war ihr noch beim Aussteigen behilflich.
Ich befinde mich in meiner alten Wohnung. Da ist es eiskalt.
Der Kachelofen, ich mache Feuer, wird Wärme spenden!
In der Röhre stehen Lebensmittel, haben sich im Kalten gut gehalten. Jetzt aber müssen sie schleunigst verbraucht werden. Ich nehme sie heraus, ein alter Brief liegt darunter, den ich überfliege. Der Brief, von einer Frau vor zehn Jahren geschrieben, ist an mich gerichtet, und zitiert ein Gedicht, eine Strophe die ich mir nicht merken kann.
Auf eine Seitenzahl wird verwiesen.
Zweiunddreißig.
Unmöglich, genauer zu lesen, den Brief mitzunehmen. Ich erwache.
Die Monster träumen, dass sie Engel waren,
wenn Kälte nachts um ihre Schenkel zuckt –
sie tanzen wild, mit silberhellen Haaren,
im Licht, vom Monde spöttisch hin gespuckt.
Allein, der Anblick ihrer tugendhaften,
im Wirbelschritt verrenkten Glieder trügt:
Womit sie immer auch Verwandlung schafften,
ist nur aus deiner Lebensangst gefügt.
Errate schnell, was ich dir jetzt empfehle;
ansonsten sind, wenn Schlaf dich hart bedrängt,
in deiner nimmermüden Zitterseele
die Widerhaken tief hinabgesenkt.
Der Frost frisst Löcher in die Beine.
Gedanken werden stumpfe Klingen.
Der Herrgott gibt und nimmt das Seine.
Die Sternenkinder aber singen.
Die Obdachlosen säumen Gassen.
Geträumte Wärme wird zerspringen.
Gevatter Tod kennt keine Rassen.
Die Sternenkinder aber singen.
Aus einem dunklen Raum, worin ich mich, ständig auf unerklärliche Geräusche lauschend, aufhielt, werde ich auf das Katzenkopfpflaster einer Straße geschleudert.
Ich vermag nicht zu sagen, wo sich die Straße befindet, in welchem Viertel, in welcher Stadt.
Aus einem Bretterschuppen, der ist notdürftig zusammengenagelt, hole ich ein Fahrrad.
Das taugt auch nicht viel.
Auf der anderen Straßenseite materialisiert ein Masseur, er trägt zivile Kleidung und will wohl ebenfalls zum Dienst. Er sagt: „Du hast doch ein Auto, pack das Rad da rein!“
Seinen eigenen Wagen hat er am Straßenrand geparkt. Er hilft mir, das Rad im Kofferraum zu verstauen. Und fährt davon, in entgegengesetzter Richtung. Ich stecke in der Bredouille! Nämlich, ich habe nicht die geringste Ahnung vom Autofahren.
Gang reinlegen, Kupplung ziehen, oder so, oder wie?
Was für ein Schlamassel! Ich probiere herum. Aha, vor dem Fahrersitz ist eine Tretkurbel, die läßt sich vielleicht benutzen. Ja!
Irgendwie schaffe ich es. Wenigstens bereitet mir das Lenken keine Schwierigkeiten.
Die Straße ist abschüssig. Ich muss auf die rechte Fahrspur wechseln, um später, die Kreuzung kommt schon in Sicht, abzubiegen. Andauernd kommen mir Autos entgegen, sie schneiden meinen Weg. Auch weiß ich nicht mehr, wo die Bremse ist, rutsche in voller Fahrt zwischen zwei Autos durch, gerate von rechts in die Mitte der Straße.
Ich habe die Bremse gefunden, bin aber nun auf dem Mittelstreifen eingeklemmt. Rechts tut sich keine Lücke auf, in die ich, das Lenkrad verreißend, preschen könnte.
Ich überquere die Kreuzung, fahre weiter geradeaus. Ein gutes Stück dahinter erst, ergibt sich die Möglichkeit, rechts abzubiegen. Zwei Wege sind dort, nicht Straßen zu nennen, die beide steil bergan führen. Ich nehme gleich den hier, den ersten Weg.
Das Auto quält sich durch große Pfützen. Keine Bodenhaftung.
Ich strampele mich ab, trete die Kurbel. Das hilft alles nichts, über den nächsten Hügel werde ich nicht gelangen, ich rutsche zurück. Zu steil!
Ich erwache.
Ich hatte eine Ausstellung besucht. Auf Schautafeln war alles dokumentiert, was man über das Skispringen weiß und wissen sollte.
Auf der Straße nun, redet mich jemand an, quatscht, ich kann es anders nicht bezeichnen, auf mich ein, verwickelt mich in ein Fachgespräch.
Es geht um die Stützmuskulatur des Halses.
Also, das interessiert mich schon! Ich rede vom Halshautmuskel Platysma. Den aber tut der andere als unwichtig ab, spricht über eine muskel-spezielle Untersuchung, vor zwanzig Jahren angestellt, für die damals etwa dreitausend Versuchstiere geopfert wurden. Doch, so sagt er, man habe dabei neue Erkenntnisse zur menschlichen Muskulatur im Nackenbereich gewonnen.
Und auch im Gesicht! Ja, er zeigt es mir genau, er fährt mit den Händen, von der Stirn aus, die äußeren Augenwinkel entlang, zum Kinn. Dort sind neue, entscheidende Muskeln entdeckt worden.
Wir steigen eine breite Treppe empor. Musik klingt uns entgegen.
Im Vestibül, ich ziehe meinen Mantel aus, spüre ich ein Jucken unter dem Hemd auf der Haut.
Ich zerre das Hemd über den Hosenbund, schüttele mich.
Ein Käfer landet auf dem Fußboden. „Schnell, bring dich in Sicherheit!“ rufe ich.
Der Käfer beherzigt das, krabbelt zur Wand.
Nebenan wird gefeiert, gesungen. Ich könnte, meine Stimme ist glasklar, jedes dieser Lieder mitsingen! Ich tue es. Die Leute verstummen.
Nur meine Stimme noch, die durch die Oktaven gleitet. Diese Leichtigkeit, sie macht mich schaudern, drängt mich aus dem Traum.
[ Passus „neue, entscheidende Muskeln“; Nachtrag:
Tele-Prisma vom 13. Mai 1997 (Heft 20/97, Seite 46):
Neuer Muskel entdeckt
Wer da glaubt, im menschlichen Körper gebe es nichts Neues mehr zu entdecken, liegt falsch.
Zwei US-Zahnärzte haben einen vier Zentimeter großen Muskel zwischen den Augenhöhlen und dem Kiefer entdeckt. Nun wird eifrig geforscht, was er bewirkt. ]
Du hattest, spätsommerabends, am Schreibtisch gesessen.
Vom Kellerbereich des Hauses her ertönte ein Maunzen.
Du gingst der Sache nach. Und die Treppen hinunter.
Zwischen den Aufgängen, im tunnelnden Zwischenraum, fandest du das getigerte Kätzchen.
Die Tür zu deinem Block war nun offen, das Kätzchen lief die Treppe hoch.
Du öffnetest die Stubentür, das Kätzchen kam in deine Wohnung.
Du hast Milch in eine gläserne Schale getan.
Das Kätzchen hat aus der Schale getrunken.
Mehrmals. Weil es zwischendurch immer wieder aus der Küche zu dir in die
Wohnstube kam, dein Bein berührte und schnurrte.
Du hast – erinnerst du dich? – auch hingenommen, dass das getigerte Kätzchen seine Krallen an den Polstern wetzte.
Du wurdest müde, hast dich auf das Bett gelegt.
Das Kätzchen wolltest du noch nicht zurück zum Nachbarblock bringen. (Wohin es gehörte.) Du hattest ihm Milch gegeben. Es war dankbar und schnurrte.
Auch noch, als du das Licht löschtest.
Und als du auf dem Bett gelegen hast, kam es im Dunkeln zu dir, kletterte auf deine Brust.
Dort lag das getigerte Kätzchen. Und schlief dann wohl ein.
Du hast versucht, dich nicht zu bewegen.
Am frühen Morgen – du musstest aus dem Haus – hast du dem Kätzchen alle Türen geöffnet, auch die zum Nachbarblock.
In der Schale war noch ein wenig Milch.
Denkst du noch an das getigerte Kätzchen?
Du hast es nie wiedergesehen.
Das Lichtquadrat,
an einem Wintertag
geworfen auf Tapeten
durchs Fenster
von draußen her:
betrachte ich.
Die Schatten
der Vögel,
die darüber gleiten,
genügen mir
zum Weiterleben.
Die Dämmerstunde findet
mich erneut bereit,
und wiederum verbindet
sich mit mir die Zeit:
dass meine Worte stimmen,
die ich niederschreib –
und nicht am Rand nur glimmen
kalt und ohne Leib.
Rundgang durch die Bäderabteilung. Ich will die Massagekabinen aufsuchen. Der Gang dorthin, ist schmal. Linkerhand, kurz vor der Fango-Küche, steht eine junge Frau, eine Praktikantin.
Sie heißt Sabine.
Ich frage: „Warst du schon mal hier?“
Sie antwortet: „Ja, vor zwei Wochen.“
Auf der anderen Seite, rechts von mir, sind acht Kabinen, voll belegt. Sogar immer zwei in einer Kabine. Kaum noch Platz für die Masseure.
Der Kampf um die Patienten im Zuge der Gesundheitsreform!
Hier liegen sie, mit den Köpfen zum Gang hin.
Der achten, der letzten Kabine, ich versuchte vergeblich mich hinein zu quetschen, schließt sich eine weitere an, die tief in den Raum reicht. Man hat wohl angebaut.
Die Disposition hat sich hier eingenistet. Damen sitzen vor Computern, erstellen Patientenpläne und dergleichen. Auch noch bei lauter Musik!
Ich bin entrüstet, verlasse die Klinik, finde mich, da ist es Abend geworden, vor dem Kino wieder. Grelle Plakate. Ein Remake, Neuauflage eines Klassikers.
Im Vorraum liegen, schlafend auf tischähnlichen Gegenständen, vier Menschen.
Mir ist klar, dass ich für alle die Karten habe.
Ich rüttele an Schultern, rufe dabei: „He, kommt mit, ihr Engfacharbeiter!“
Sie sind wach. Wir lachen über die Bezeichnung, die ich ihnen verpasste. So lange, bis auch ich wieder wach bin.
[ Interludium: Unzufriedenheit. Der Schläfer muss sich mit dem Wachsein zufrieden geben.
Nur die Perspektive vor Augen, als blasse Möglichkeit, dass die Träume, nach dem Zufallsprinzip abgemischt, gleichwohl in nur wenig voneinander verschiedenen Schemata und Varianten den Schläfer überraschen wollen. Das Ärgernis der schweren Lesbarkeit der Träume steht im Raum; und wäre doch wenigstens, wenn überwindbar, ein Äquivalent, ein Ausgleichswert für das ebenso schwierige Lenken des Wachseins; das Leben, hinwiederum, entgegen aller Konvention gelebt, wäre ein Ausgleich für den misslungenen weil nur zufälligen Traum; nichts wird gelingen, gelingt beides nicht…
Auch in dieser Nacht revoltierte ich – oder „ich“– gegen den öden Absud, der da bereitet wurde aus den immer gleichen Substanzen, so dass ich mir nichts merken wollte und jene Mauer, von der ich bereits sprach, nicht sonderlich wichtig nahm. Mir blieb egal, was hinter ihr passierte. Schon im ersten Traum, vor dem ersten Erwachen, wurde erneut das alte Bild des Etwas-tragen-müssens bemüht. Ein Mann und eine Frau – die Begleiter, geschlechtsspezifisch, variieren zuzeiten – helfen mir, was ist es diesmal – eine Schweinehälfte etwa? – beim Tragen, beim Transport hinein in das Haus, zu dessen Tür – wie langweilig wieder! – der Schlüssel fehlt und nimmer gefunden wird; ich erwache, verärgert ob der Schusseligkeit des Schlüsselverlusts. Der nächste Traum, und die Nacht ist noch lang, bringt auch nichts neues. Ich finde mich vor dem Inhalation-Raum wieder, da sitzen, zur Genüge, wartende Patienten; jeder von denen will – aber sofort! – dran genommen werden.
„Na, kommen Sie schon rein“, sage ich zu irgendwem. Die eigentlichen Therapeuten haben wohl Frühstückspause; sie kommen, jedenfalls im Traum, sowieso immer später, so dass man sich, als Traum-Ich, in die Pflicht genommen fühlt, auszuhelfen/einzuspringen, und in eigener Verantwortung zu handeln.
Dann aber läuft wenig zusammen. Die Patienten erhalten falsche Medikamente, Berodual statt Emser Sole; oder es wird vergessen, den verordneten Flutter zu geben. Zum Traumschluss hin, ist man des Gewimmels im Inhalation-Raum einigermaßen Herr geworden, wird urplötzlich ein Blatt Papier eingeblendet, wird zu einer Art Standbild; auf dem Blatt – immerhin das ist ein Witz! – befinden sich, freilich schwer entzifferbar, die Stichpunkte des nächstfolgenden Traums. Und ist man dann, nach dem zweiten Erwachen, zum dritten mal eingeschlafen, betrachtet man, über die gesamte Traumdauer, nur noch ein Blatt.
Zwar ein anderes als im vorigen Traum.
Man nimmt schon an, gewitzt durch Erfahrung, dass man, was geschrieben steht, sich nicht merken kann; das „Dahinter schieben“ von Traumbildern gelingt auch nicht; so gerät man darüber ins Ärgern – und ärgert sich solange, bis man, erleichtert, erwacht… ]
Nun bin ich doch hinausgegangen,
bin unterwegs zum weißen Wald.
Der Winter hat längst angefangen.
Ich wusste das. Doch mir war kalt,
solang ich in der Stube saß,
wo, grinsend aus den trüben Spiegeln,
die Einsamkeit nur an mir fraß
und streng beschloss, mich abzuriegeln.
Die Katze, dort im Schrebergarten,
betrachtet mich, sie weiß Bescheid –
die andern Tiere auch, sie warten:
dass von mir fällt das stumme Leid.
Der Schnee auf meinen Augenbrauen
zerschmilzt, er wird zur warmen Träne –
daraus kann ich die Hoffnung bauen
und frühlingshafte neue Pläne.
Ein Specht hat diesen Baum gepachtet,
hämmert seine Mahlzeit frei.
Ich geh vorbei
und bleibe unbeachtet.
Das lag wohl dran:
Ich hielt für eine
kleine
Weile meinen Atem an.
Von den Hügeln her, sie umbrandeten die Stadt, war ich gekommen.
Deutlich ein Weg, braune Erde. Umging ich die Stadt, am Ufer zu landen?
Der Fluss. Die Wiese, die sich an das Wasser schmiegt.
Ich bin es, der da geht. Es ist hier so friedlich, alles atmet Frühling.
Aber das dumme Gefühl, verfolgt zu werden!
Was passiert? Ein Kerl kommt mir entgegen, fängt zu streiten an. Ich lasse mir das nicht bieten.
Wir greifen, dem Faustkampf aus dem Wege zu gehen, zu faustgroßen Steinen, uns damit zu bewerfen.
Jeder von uns wirft einen Schatten, der seinerseits mit dem Schatten des anderen kämpft.
Das sind zu viele Steine, es wäre einfacher, nur mit einem zu kämpfen!
So werfen wir wechselweise den Stein. Mein Schatten versucht, den anderen Kerl zu treffen, dessen Schatten den Stein aufnimmt, der ihn verfehlte, und ihn zu mir wirft, der ich mich gerade noch wegducken kann.
Schließlich, ich weiß nicht wer, wird jemand getroffen.
Während ich noch überlege, ob ich Schmerzen verspüre, ob es mich erwischt hat, erwache ich.
Wir sitzen, auf den hinteren Plätzen, im geräumigen Auto.
Vorn sitzt niemand. Das Auto fährt. Mein Reisegefährte hat ein Äffchen auf den Knien.
Die wir nichts sagen, uns unterhält es mit Geistreicheleien: weise, witzig und blöd.
„Wo dreie nicht sind, ist einer zu viel.“ So faselt das Äffchen.
Da hilft auch nicht, dass wir nun in den vorderen Teil des Autos überwechseln.
Nein, das Äffchen redet munter weiter. „An den Kühen erkennt ihr die Welt“, vermeldet es.
Und lässt sich zu einem Kommentar herab: „Der ist nur Melker im Sommer.“
Ich habe die Tür aufgestoßen, springe aus dem Auto.
Am Boden liegt eine Brille. Das kann meine nicht sein. Überhaupt: ich brauche keine Brille, kann ohne Brille sehr gut sehen, ich hatte nie eine!
Zu Fuß also weiter, ich gehe einen Feldweg entlang. Seitwärts taucht ein Arbeitskollege auf.
Ich kenne ihn gut, noch von früher her. Wir waren Stadtarbeiter, haben Müllplätze beräumt, Bänke angestrichen, Straßen ausgebessert, waren im Winter beim Streudienst dabei.
Ein Stück Landschaft. Wir wandern. Autos hätten auf dem Pfad keinen Platz.
Regen setzt ein. Wir spannen Schirme auf. Oder wir haben nur einen davon.
Wir kommen zur Stadt, sind gleich am Markt. Es regnet nicht mehr.
Mein Begleiter sagt: „Den braucht man nur, solange es regnet!“
Er klappt seinen Schirm zusammen. Ich hatte keinen.
Ein Getränkestand, markisenbewehrt, mit Stehpulten davor.
Ich rede von Bier, aber der Kollege meint: „Ich spendiere zwei Eschtaler.“
Was ist das denn für ein Gebräu? Ich grübele. Kräuterlikör?
Keinem von uns gelingt es, etwas zu trinken.
Jedenfalls mir nicht. Weil ich erwache.
Die Montagehalle, unterirdisch gelegen. Riesige Teile werden hier verschweißt, Funken sprühen. An der Wand entlang, drücke ich mich vorbei.
Das fehlte noch, denke ich, dass die mich einspannen!
Außerdem ist mein Schweißerpass nicht erneuert, seit Jahrzehnten ungültig.
Eine Treppe. Das Erdgeschoss. Der Fahrstuhl, zentral.
Nichts wie hinein!
Ich wohne im vierten Stock, drücke den entsprechenden Knopf. Der blinkt kurz auf, verlischt.
Ich ahne eine Fehlfunktion.
Die Tür, die sich noch nicht ganz geschlossen hatte, geht auf. Zwei, drei Leute drängen in den Lift. Jemand drückt einen Knopf, für den zehnten Stock. Diesmal bleibt das Licht beständig, der Knopf leuchtet, der Fahrstuhl, rasend schnell, setzt sich in Bewegung.
Mir wird, überlege ich, nichts anderes übrig bleiben, als nachher zu versuchen, vom zehnten wieder in den vierten Stock zu gelangen.
Der Fahrstuhl, gläsern, jagt an der Außenwand des Gebäudes empor.
Ob ich im vierten Stock ausstieg, oder doch schon im zehnten, weiß ich nicht zu sagen.
Der Lift muss angelangt sein, ich muss ihn verlassen haben, ich muss in ein Zimmer gegangen sein.
Zuerst allein im Raum, sehe ich nun einen Kater. Ich nenne ihn Purzel. Er starb vor zehn Jahren, ich freue mich, ihn wiederzusehen.
Ein junger Mann ist außerdem im Zimmer, er bleibt ziemlich blass. Doch hindert seine nur schemenhafte Erscheinung uns nicht, gemeinsam giftige Käfer zu jagen.
Ein Projektor läuft, ein mendelscher Film wird gezeigt.
Also sind die Käfer eigentlich Kreuzungen, Käfer und Spinne zugleich. Der Biss absolut tödlich!
Das erste Tier haben wir, mit Hammerschlag, erledigt. Der Kater stürzt vor, frisst die hülsenhaften Überreste. Das Gift der Käferspinne sollte ihm nichts ausmachen. Der zweite Käfer, hoffentlich werden es nicht noch mehr, stellt sich, als mein Stiefel über ihm schwebt, einfach tot. Darauf wäre ich jetzt fast hereingefallen. Er hätte mich nicht verschont! Ich trete mehrmals zu, zermalme das Tier, kicke die Mutanten-Leiche unter den Schrank.
Purzel angelt mit der Pfote, er wird sich die Käferspinne schmecken lassen.
Das weiß ich.
Noch in diesem Moment, als ich wach werde.
Du musst deine Sorgen den anderen mitteilen.
Auch wenn keiner darauf zu hören scheint, teile sie mit.
Halte dich fern
dem eigenen Sachverstand,
den du als solchen zu erkennen vermeinst.
Er täuscht dich, bewegt nur die Schatten
der Blätter im Baum
ein wenig.
Aber du musst deine Sorgen mitteilen.
Denen, die dich nicht sofort verstehen werden.
Sie hungern gleich dir. Und Gleichnisse fordern sie ein.