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Geheimbünde erregen seit Jahrhunderten die Phantasie der Menschen. Gerade durch ihr geheimes und nach außen abgeschlossenes Auftreten wecken sie einerseits die Neugier und schüren andererseits tief verwurzelte Ängste vor dem Okkulten oder einer groß angelegten Weltverschwörung. Der Hype, der nicht erst seit Dan Browns Bestsellern um die prominenten Gruppierungen der Illuminati und der Freimaurer entstanden ist, ist sicherlich das prägnanteste Beispiel... Doch sowohl bei den Illuminati und Freimaurern als auch bei allen anderen bekannteren Geheimbünden handelt es sich um reine Männerkreise. Das weite und breit gefächerte Feld der weiblichen Geheimbünde ist bisher dagegen nicht ins Bewusstsein der Gesellschaft vorgedrungen. Dieser Missstand wird mit Helmut Werners Buch nun endlich behoben. In einem detaillierten Überblick schildert Werner die facettenreiche Geschichte der weiblichen Geheimgesellschaften vom berühmten Mädchenclub der griechischen Dichterin Sappho auf Lesbos über die antikirchlichen Beghinen des Mittelalters bis hin zum modernen Hexenwesen. Auf diese Weise wird der Leser auf eine Reise in die bisher unentdeckte Geschichte der Frau entführt...
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Seitenzahl: 357
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HELMUT WERNER
VON DER ANTIKEBIS INDIE NEUZEIT
IMPRESSUM
Mathias Lempertz GmbHHauptstr. 35453639 KönigswinterTel.: 02223 / 900036Fax: 02223 / [email protected]
© 2011 Mathias Lempertz GmbH
Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus zu vervielfältigen oder auf Datenträger aufzuzeichnen.
Umschlagentwurf und Layout: Ralph HandmannAbbildung, „Das Fräulein von Waldenburg“ (2002), Heinz ZanderSatz und Layout: Hilga PauliLektorat: Kristina de Giorgi und Thorsten TrederDruck und Bindung: CPI books GmbH, UlmPrinted in GermanyISBN: 978-3-939284-09-3
I.
WAS IST EIN GEHEIMBUND bzw. EINE GEHEIMGESELLSCHAFT?
Definition, die wichtigsten Merkmale und Formen
II.
VOM URSPRUNG DER WEIBLICHEN GEHEIMBÜNDE
Gab es zuerst Frauen- oder Männerbünde?
Wer war die Große Göttin?
III.
DIE FRAUEN DER GROSSEN GÖTTIN ASCHTORETH
Ein Geheimkult in Palästina
Die kanaanäische Göttin Aschthoreth
Jüdische Frauen werden grausam von den Leviten verfolgt
IV.
FRAUENBÜNDE IM ALTEN GRIECHENLAND
Wer waren die Mänaden und Bacchantinnen?
Die römischen Bacchanalien?
Die Bienen der Demeter - Geheime Fruchtbarkeitskulte der Frauen
Der Mädchenclub der Dichterin Sappho auf Lesbos
Geheimsymbol Phallus: Ein Bericht über einen Lesberinnenclub
V.
FRAUENVEREINIGUNGEN IM ALTEN ROM
Frauenkonvent und -senat
Die Vestalinnen: Die Hüterinnen des heiligen Feuers
Nur für Frauen zugänglich: Der Kult der Bona Dea
Der Hellfire Club: Die Abtei der Wollust
VI.
EINE FRÜHCHRISTLICHE FRAUENSEKTE
Die Kollyridianerinnen: Maria ist eine Göttin!
VII.
VERSCHWIEGEN, VERFEMT UND GRAUSAM VERFOLGT:FRAUEN IM CHRISTLICHEN UNTERGRUND
Die Beginen - Ein antikirchlicher Geheimbund
Die Vilemiten - Eine radikalfeministische Sekte
Die Verehrerinnen der „Madonna Oriente“
Gab es im Mittelalter eine Hexensekte?
Die wilden Nonnen von Frankreich
VIII.
DIE „ROTTE DER EVA VON BUTTLAR“
Ein sexualmagischer Geheimbund im Pietismus
IX.
GEHEIME CLUBS UND FRAUENLOGEN
Die Pariser Lesberinnenclubs im 18. Jh.
Die Loge der schönen Lorenza
Der Mopsorden
X.
HEILEN UND TÖTEN
Die Medizinbünde der Indianer
Weibliche Ku-Klux-Klane
XI.
BESCHNEIDUNG IM GEHEIMBUND
Frauengeheimbünde in Westafrika
XII.
DAS MODERNE HEXENWESEN
Die Töchter der Aradia
Der Wiccakult
XIII.
NACHWORT
XIV.
BIBLIOGRAFIE
Unter einem Geheimbund oder - in der heutigen Ausdrucksweise - einer Geheimgesellschaft versteht man eine Organisation, die ihre innere Struktur und ihre Ziele vor der Öffentlichkeit verbirgt. Aus diesem Grund sind solche Gruppen streng darauf bedacht, dass das Wissen um ihre Existenz nicht bekannt wird. Diese Form der Organisation wird absolut notwendig, wenn man Ziele verfolgt, die den Normen der Gesellschaft zuwiderlaufen oder sogar strikt verboten sind. Echte Geheimgesellschaften können religiöse Sekten, aber auch kriminelle Banden sein. Von diesen echten Geheimorganisationen unterscheiden sich die sogenannten diskreten Gesellschaften, die zwar auch die Öffentlichkeit meiden, aber doch einen gewissen Bekanntheitsgrad besitzen. Ursprünglich waren auch diese Organisationen, z. B. die heutigen Freimaurer oder andere esoterische Gruppen, echte Geheimorganisationen. Ihre Ziele bzw. Lehren werden daher nur eingeweihten Mitgliedern offenbart. Wie in den echten Geheimbünden gibt es auch in den diskreten Gesellschaften eine Rangordnung. Die geheimen Lehren werden dabei nur an die Inhaber bestimmter Grade weitergegeben.
Vermutlich setzt die Existenz von Geheimbünden die nicht geheime Vergesellschaftung voraus. Aber in jeder Gruppenbildung innerhalb eines Stammes oder einer Gesellschaft ist die Tendenz zur Geheimhaltung im Keim bereits angelegt, da man andere Stammesmitglieder oder Mitmenschen ausschließt, weil sie die Voraussetzungen wie Alter, Geschlecht oder Herkunft, Vermögen usw. nicht erfüllen. Von diesen geheimen Vergesellschaftungen sollte man alle Organisationen abgrenzen, die nur zeitweise bestanden, um politische und soziale Aufgaben zu erfüllen, auch wenn sie sich mit geheimnisvollen Zügen umgeben. Hierzu gehören z.B. die geheimen Organisationen, die in den Kolonien gegründet wurden, um die Vorherrschaft der fremden Kolonialherren zu beseitigen.
Von einem Geheimbund im strengen Sinne kann man nur sprechen, wenn ihm nicht sämtliche Männer oder Frauen eines Stammes angehören oder ab einem gewissen Alter in besonderen Einweihungszeremonien aufgenommen werden.
Zu den wesentlichsten Merkmalen einer echten Geheimgesellschaft gehört daher die Geheimhaltung (Arkandisziplin) ihrer Existenz und Lehren (Mysterium) sowie die besondere Aufnahme (Initiation) neuer Mitglieder nach einer Prüfungszeit in einem besonderen Ritual.
Im Regelfall wird die Einweihung stufenweise vollzogen, indem sich die Mitglieder bewähren und die einzelnen Rangstufen erarbeiten müssen. Solche Einweihungsprüfungen können sich oft über viele Jahre erstrecken. Schon hieraus ergibt sich, dass geheime Gesellschaften nur einen kleinen Kreis von Mitgliedern haben konnten. Tatbestand ist, dass es eine nicht geringe Zahl solcher echter Geheimbünde gibt bzw. in der Vergangenheit gegeben hat, was durch zahlreiche historische Quellen belegt ist.
In diesem Zusammenhang muss auf das Problem eingegangen werden, dass unstrittig zahlreiche Geheimbünde eine sehr enge Verbindung mit den Pubertätsriten eingegangen sind, denen sich der junge Mann oder das junge Mädchen unterziehen muss, sobald er das Erwachsenenalter erreicht. Vieles spricht dafür, dass diese Pubertätsriten in einen bestehenden Geheimbund einverleibt wurden. Bei der Lockerung und Auflösung der festen Strukturen der Sippen (Klane) eines Stammes schlossen sich die Angehörigen aus verschiedenen Sippen (Klane) zu exklusiven Gruppen zusammen, die als Machtzentren oder eine Art Exekutive von wichtigen Personen, z.B. Oberhäupter der Klane, der Priester, der Zauberer und Medizinmänner eines Stammes dafür sorgten, dass das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben eines Stammes nicht abebbte. Zur Aufrechterhaltung der Autorität gegenüber den Nichtmitgliedern und vielleicht auch gegenüber den Frauen umgaben sich diese Bünde mit dem Schleier des Geheimnisvollen. Die bestehenden Stammesriten bei der Aufnahme in der Erwachsenenwelt wurden dabei in den Geheimbund integriert.
Für die Bildung von Geheimbünden hat man auch die Existenz des Männerhauses verantwortlich gemacht, das sich auf der ganzen Erde bei zahlreichen Naturvölkern bis in die Gegenwart nachweisen lässt. Bei den Bantustämmen am Tanganjikasee in Afrika besteht dieses Haus beispielsweise aus einem großen Raum, wo sich alle männlichen Stammesmitglieder ab dem achten Lebensjahr tagsüber oder abends versammeln, um sich nach Arbeit oder Jagd zu entspannen. Dieser Treffpunkt der Männerwelt eines Stammes, der selbstverständlich für alle Frauen tabu ist, ist der Mittelpunkt des dörflichen Lebens und der Ort, wo sich die religiösen Kulte - wie zum Beispiel die Ahnenverehrung in Melanesien - abspielen. Frauen wird der Zugang zu diesen Häusern strikt verwehrt, da hier auch die Geräte und Masken für die rituellen Handlungen aufbewahrt werden. Wenn die Männer einer Sippe die Kulthandlungen, die wie ein Geheimnis vor den Frauen gehütet werden, durchführen, so ist es den Frauen bestenfalls erlaubt, draußen vor dem Männerhaus zu lauschen. Vermutlich wurden diese Männerhäuser zunächst gegründet, um die Gefahren, die sich aus dem Kontakt mit Frauen ergeben, zu vermeiden. Ausgangspunkt wäre demnach die uralte Angst vor der Frau, besonders der menstruierenden und der schwangeren Frau. Dem Blut, besonders aber dem Menstruationsblut, wird dabei eine unheilvolle Wirkung zugeschrieben. Bei fast allen Naturvölkern wird die Frau daher gezwungen, sich während ihrer Periode abseits zu halten oder sogar außerhalb der Gemeinschaft zu leben. Bei den nomadisierenden Jäger- und Hirtenvölkern, also in Gesellschaften, deren Wirtschaft auf Tieren und ihren Erzeugnissen wie Fleisch und Milch beruht, wird das Menstruationsblut als Unglück bringend angesehen, so dass bei diesen Völkern eine monatliche Isolierung Brauch ist. Auch Schwangerschaft und Geburt sind im Glauben dieser Völker mit Angstgefühlen verbunden. Schon allein, dass eine Frau über die Fähigkeit verfügt, in ihrem Körper ein neues Wesen zu bilden, muss in den Augen dieser Völker bedeuten, dass sie über geheimnisvolle magische Kräfte verfügen muss. So glauben die in Kapstadt (Südafrika) lebenden Bantus, dass man im Kampf den Tod findet, wenn man eine Frau im Kindbett gesehen hat. Bei den Inkas war es sogar ausdrücklich verboten, einer Frau bei der Niederkunft zu helfen.
Manche Forscher verweisen im Hinblick auf die Entstehung der Männerhäuser auch auf den angeborenen Geselligkeitstrieb der Männer und das natürliche Verlangen der Jäger nach einer Bruderschaft, wo sie ihre Erlebnisse und Erfahrungen austauschen und neue Jagdtechniken besprechen konnten. Dabei dürfte es sich um eine Tradition handeln, die schon auf die Sitten und Gebräuche der eiszeitlichen Jäger zurückgeht. In diesen Häusern finden auch die Einweihung der männlichen Mitglieder einer Sippe oder eines Stammes statt.
Wenn man die männlichen Bünde als ursprünglich ansieht, was aber noch einer eingehenden Prüfung unterzogen werden muss, wären Frauenbünde nur Nachahmungen nach dem Muster der Geheimbünde der Männer. Der Ursprung dürften demnach gewisse geheime Rituale bei der Niederkunft einer Frau gewesen sein. Diese geheimnisvollen Bräuche haben sich sogar in Europa bis ins letzte Jahrhundert erhalten. Wenn beispielsweise in Schleswig - Holstein eine Frau ein Kind gebar, zogen alle Frauen des Dorfes schreiend und tanzend zu dem Haus der Wöchnerin. Männern, denen sie unterwegs begegneten, rissen sie die Hüte vom Kopf und füllten sie mit Pferdemist. Wagen, die ihnen begegneten, wurden zerstört und die Pferde ausgespannt. Nach der Zusammenkunft am Haus der Wöchnerin zogen sie weiterhin wild schreiend durchs Dorf und stahlen in den Häusern Getränke und Speisen. Falls ihnen dabei ein Mann über den Weg lief, zwangen sie ihn zum Tanzen. Ähnliche uralte Bräuche, bei denen die Geheimbündelei eine wichtige Rolle spielt, finden sich auch im dänischen Brauchtum. Grundlage dieser Bräuche ist, dass ein Mann alle Rechte verliert, wenn die Niederkunft einer Frau herannaht. Die Nachbarinnen - meist 12 bis 14 Frauen - übernehmen das Kommando und helfen der Wöchnerin. Der Mann muss diese Frauen bedienen und darf das Zimmer seiner Frau nur nach einem Opfer an die Frauen betreten. Am Abend nach der Geburt wird ein Fest abgehalten, das alle Frauen des Dorfes vereint und mit der Taufe im christlichen Sinn nichts zu tun hat. Die Frauen essen süße Grütze und trinken Bier, bis sie berauscht sind. Die Wildeste unter ihnen wird schließlich zur Wöchnerin geschickt und wünscht ihr alles Gute. Danach ziehen sie durchs Dorf und machen allerlei Streiche, wie zeitgenössische Quellen berichten. Die Vereinigung der Frauen in geschlossenen Kreisen ist somit sicherlich nicht nur eine Nachahmung der Geheimbündelei der Männer. Dahinter steht das Verlangen, unter sich zu sein, wenn es um die Geheimnisse der Empfängnis, der Geburt und der Fruchtbarkeit geht. Natürlich verleiht die Geheimbündelei den Frauen zudem Ansehen und Respekt gegenüber den Männern.
Auf die enge Verbindung der Einweihungszeremonien in einen Geheimbund und den über die ganze Erde bei den Naturvölkern verbreiteten Ritualen beim Übergang der Jugendlichen in das Erwachsenenalter wurde schon hingewiesen. Hinter diesen Einweihungszeremonien der jungen Männer und auch der Mädchen steht der Wunsch, die jungen Menschen in die Welt der Erwachsenen einzuführen. Reste dieses uralten Rituals finden sich auch in unserem christlich geprägten Kulturkreis und sind dort als Taufe sowie als Kommunion bei den Katholiken und Konfirmation bei den Protestanten bekannt. Bei der nicht religiösen Bevölkerung gibt es für diese christlichen Rituale eine pseudoreligiöse Ersatzhandlung unter dem Namen Jugendweihe. Allgemein kann man diese Initiationsrituale zu den Feierlichkeiten zählen, die bei wichtigen Durchgangsstadien im Menschenleben - wie Geburtstagsfeiern, Hochzeiten und Totenfesten - vollzogen werden. Da diese feierliche Hinführung der Jugendlichen in die Erwachsenenwelt bei den Naturvölern auch eine tiefere religiöse Bedeutung hat, nämlich den jungen Menschen mit den Ahnen oder dem Stammesgeist bekannt zu machen, hat sie dort einen höheren Stellenwert als beispielsweise die Heirat. Diese einschneidende Veränderung im Leben eines Jungen oder Mädchens, die beim Eintritt in das neue Dasein alles, was ihnen in ihrer Jugend wichtig und lieb war, zurücklassen müssen, wird durch das Sinnbild des Todes und der Wiedergeburt verdeutlicht: Nach dem symbolischen Untergang ihrer Kindheit erleben sie eine Wiedergeburt in der Welt der Erwachsenen. Aus diesem Grund ist es auch möglich, die Initiationsweihen auf ein einheitliches Muster zurückzuführen, das hinter der Mannigfaltigkeit und dem Formenreichtum sichtbar ist. Eine echte Einweihung ist niemals nur die Angelegenheit eines Einzelnen, sondern hat stets auch Bedeutung für die ganze Sippe bzw. den ganzen Stamm. Auch wird selten ein einzelner junger Mann oder ein einzelnes Mädchen diesem Ritual unterworfen, sondern man wartet, bis eine genügende Anzahl von Anwärtern das entsprechende Alter erreicht hat. Knaben nehmen in der Regel zwischen dem 10. und dem 16. Lebensjahr und Mädchen bei der ersten Menstruation an dem Einweihungsritual teil, das mit der Isolierung von der Gemeinschaft beginnt. Die Isolierung der Mädchen hat man aus der natürlichen Angst vor dem Menstruationsblut zu erklären versucht. Von einem Kulturkreis zum anderen hat diese Loslösung von der Gemeinschaft eine unterschiedliche Länge, die von drei Tagen bis zu mehreren Jahren dauern kann. Der Verkehr mit der Umwelt beschränkt sich während dieser Zeit auf wenige eingeweihte und kundige Personen. Seinen Aufenthaltsort, der meistens eine Hütte in einer einsamen Gegend ist, darf der Junge bzw. das Mädchen nicht verlassen und muss mit großer Sorgfalt die ihm oder ihr auferlegten Pflichten und Verbote beachten. Die Absonderung aus der gewohnten Umgebung ist jedoch nicht das einzige Ziel dieses Rituals. Sie werden mit den Geheimnissen ihres Stammes, besonders dem religiösen Kultleben, den Sitten und Gebräuchen, bekannt gemacht und in die Sexualität - gleichsam als Vorbereitung auf die Ehe - eingeführt. Den Neulingen werden auch die Mythologie des Stammes und besonders die Taten der Ahnen vorgestellt, die sie während ihrer Anwesenheit auf Erden vollbracht haben. Weiterhin werden ihnen für das Leben in der Gemeinschaft wichtige Fertigkeiten beigebracht wie das Tanzen, das Musizieren, das Anfertigen von Masken oder der Fang und das Zurichten von Opfertieren. Zu diesem praktischen Unterricht gehört außerdem die Vermittlung von handwerklichen Kenntnissen. Zum Abschluss der Isolierung aus der Gemeinschaft wird ein großes Fest gefeiert, das zugleich Höhepunkt und Ende der Einweihung ist. An diesen Tagen müssen die neuen Mitglieder in der Gesellschaft der Erwachsenen Prüfungen bestehen, die nicht selten mit schweren Qualen und großen Schmerzen verbunden sind. Hierbei werden die Neulinge von der ganzen Sippe bzw. dem Stamm beobachtet. Wer den Anforderungen nicht genügt, ungeschickt ist oder über Schmerzen klagt, wird verspottet oder sogar bestraft, weil er die Vorschriften und Verbote während der Isolierung missachtet habe. Den eigentlichen Mittelpunkt dieses Abschlussfestes bildet die Beschneidung der Genitalorgane. Auch das Durchbohren der Ohrläppchen, das Ausschlagen oder Abfeilen der Zähne können bei diesen Riten durchgeführt werden. Wenn der Neuling diese oft mit grausamen Verstümmelungen der Genitalorgane verbundenen Operationen überstanden hat, ist er ein vollwertiges Mitglied der Stammesgesellschaft, dem oft auch ein neuer Name gegeben wird. Man glaubt, dass dieser junge Mensch nach seinem symbolischen Tod in der Absonderung sowie dem Ertragen und Erdulden der grausamen Prüfungen gleichsam neu geboren wurde. Es ist außerdem der Glaube verbreitet, dass ein Neuling in der Abgeschiedenheit von Geistern oder Ahnen verschlungen und gefressen wird. Dies wird drastisch dargestellt, indem man ihn in den Rachen eines künstlichen wilden Tieres steigen lässt. Auch kommt es bei den Prüfungen vor, dass man ihn scheinbar mit einer Waffe erschlägt und dann zur Andeutung des Blutes mit roter Farbe bemalt. Das Aussteigen aus dem Schlund eines wilden Tieres bzw. die Abwaschung der roten Farbe symbolisieren seine Wiedergeburt. Diese dramatische Einweihungsfeier soll dem jungen Menschen das religiöse Erlebnis vermitteln, dass auf den Tod immer die Wiedergeburt folgt. Dies bedeutet auch, dass die Ahnen immer wiederkehren und aus diesem Grund eine besondere Ehrung verdienen. Da in zahlreichen Stämmen der Glaube besteht, man könne die Geheimnisse des Stammes nicht mit einem Mal kennenlernen und begreifen, besteht die Einweihung bei diesen aus getrennten Ritualen, die sich über mehrere Jahre erstrecken und vom Ansehen und den geistigen Fähigkeiten des Neulings abhängig gemacht werden. Diese eben beschriebenen Einweihungsformen könnte man als Kollektivrituale bezeichnen, die beim Übergang von der Kindheit und Jugendzeit zum Erwachsenen vollzogen werden. Sie sind unbedingte Pflicht aller Jungen und Mädchen des Stammes. Hiervon müssen solche Einweihungen unterschieden werden, denen sich Personen unterziehen müssen, die das Amt eines Schamanen oder Medizinmannes ausüben wollen. Diese Ämter sind nicht allen Stammesmitgliedern zugänglich, da ihre Ausübung eine vertiefte religiöse Erfahrung und Kenntnis der Stammesgeheimnisse erforderlich macht. Eingeweiht werden daher nur Personen mit einer besonderen Berufung, außergewöhnlicher Willenskraft und der nötigen geistigen Befähigung.
Bei dieser äußerlichen Beschreibung der Geheimbünde wurde bewusst darauf verzichtet, auf die inhaltliche Seite und die Funktion dieser Organisationen einzugehen. Sicherlich ist es zutreffend, dass man bei einem großen Teil dieser Geheimbünde so etwas wie eine religiöse Basis entdecken kann. Das religiöse Element spielt mehr oder weniger offen oder in versteckter bzw. entstellter Form eine nicht unbedeutende Rolle (insofern es sich um Geheimbünde bei den Naturvölkern handelt). Die Rituale sind aus den Einweihungsriten, dem Totenkult sowie den Tänzen und Maskeraden der Stammesreligion entlehnt.
Falls diese Organisationen eine wirklich lebendige Kraft in einem Stamm oder einer Gesellschaft sind, stellen sie eine Art religiöser Einrichtung dar, die den Mitgliedern eine religiöse Erfahrung oder ein übersinnliches Erlebnis vermitteln will. Allen Geheimbünden ist daher die Einweihung eigen, die den Mitgliedern den heiligen Charakter verleiht und ihnen hierdurch den Zugang zu der übernatürlichen Welt und ihren Kräften ermöglicht. Selbst bei Bünden, bei denen die praktischen Zwecke im Vordergrund stehen, bedient man sich religiöser Rituale, um diese Ziele zu erreichen. Vielleicht waren die Geheimbünde ursprünglich auch Kulte, die entstanden, als sich - wie schon dargestellt wurde - die Gemeinschaft in kleinere Menschengruppen auflöste. Man schloss sich auf diese Weise durch die Geheimnistuerei von den Mitgliedern der anderen Kulte ab. Auch wenn die gemeinsame Stammesreligion noch lose weiter bestand und praktiziert wurde, verschafften die Kulte der Geheimbünde ihren Mitgliedern eine höhere oder besser: feinere Form von Religiosität.
In älteren Büchern über geheime Gesellschaften findet man am Anfang oft die Feststellung, nur Männer besäßen von Natur aus eine besondere Veranlagung, sich in Gruppen zusammenzuschließen. Bei Frauen sei eine solche Vergesellschaftung nicht oder nur in geringem Umfang festzustellen. Wenn es Frauenbünde gebe, so seien sie mehr oder weniger nur eine Nachahmung entsprechender gesellschaftlicher Formen der Männer. Dahinter steht die richtige Beobachtung, dass Männerbünde bei Weitem stärker verbreitet sind als die entsprechenden Frauenbünde. Weibliche Geheimbünde, besonders wenn es sich um echte geheime Organisationen handelt, werden in der Männergesellschaft gefürchtet und verteufelt, wie das Beispiel der mittelalterlichen Hexen eindrucksvoll lehrt. Zahlreiche Riten von Männerbünden, zum Beispiel die Maskierung und furchterregende Maskentänze haben bei den Naturvölkern nachweislich den Zweck, die Frauen eines Stammes einzuschüchtern und zu verängstigen. Dies wirft die Frage auf, ob es einmal Perioden in der Menschheitsgeschichte gab, in der die Frauen eine wichtige oder vielleicht sogar die dominierende Rolle in der Stammesgesellschaft spielten und ihre Bünde von den männlichen Stammesangehörigen so sehr gefürchtet wurden, dass sie sich in geheimen Bünden gegen die Frauen zusammenschlossen.
Die natürlichen Unterschiede der Geschlechter führten nicht nur dazu, dass Männer und Frauen verschiedene Funktionen in der Gesellschaft wahrnehmen, sondern sie sind auch die Ursache für eine unterschiedliche Wertschätzung und Rangordnung der Geschlechter. Hieraus entstehen sowohl Spannungen, die letztlich auch für die soziale Benachteiligung der Frauen verantwortlich sind, als auch eine gegenseitige Anziehung und Bewunderung. Auf einer uralten Kulturstufe sind die Männer von der geheimen Macht der Frauen fasziniert, da diese Kinder zur Welt bringen können. Aber dasselbe gilt auch für die Frauen in Bezug auf die Männer, weil diese die Technik der Jagd beherrschen und allein das Wissen um die geheimen Jagdrituale besitzen. Es ist deshalb wahrscheinlich, dass beide Geschlechter unabhängig voneinander Bünde bildeten, um die Erfahrung und das Wissen des eigenen Geschlechts zu vertiefen und darauf bedacht zu sein, das andere Geschlecht fernzuhalten. Vielleicht suchten gerade Frauen solche Vereinigungen auf, um die Freiheit zu haben, die ihnen aufgrund ihrer körperlichen Unterlegenheit gegenüber dem Mann vorenthalten oder doch zumindest eingeschränkt wurde. Diese Distanz zwischen den Geschlechtern veranschaulicht ein Mythos der afrikanischen Buschmänner, die eines der ältesten Völker der Erde sind und noch am ehesten die uralte Kulturstufe der Menschheit bewahrt haben. So beschaffen sie sich ihren Lebensunterhalt wie die eiszeitlichen Jäger und Sammler im Europa der jüngeren Altsteinzeit (35000 - 10000 v. u. Z): durch die Jagd und das Einsammeln von Beeren, Blättern und Wurzeln. In ihren grob aus Zweigen und Gräsern zusammengefügten Behausungen sitzen Männer und Frauen stets getrennt. Ein Mann, der sich auf den Platz einer Frau setzt, wird impotent. Diese Trennung wird in ihrem Glauben so begründet:
Mann und Frau gehörten ursprünglich verschiedenen Stämmen an und lebten getrennt voneinander. Die Männer waren immer auf der Jagd und die Frauen ernährten sich durch das Einsammeln von Pflanzen. Eines Tages jedoch ließen fünf Männer, die unterwegs waren, aus Nachlässigkeit ihr Feuer ausgehen. Die Frauen aber, die immer sorgsam und ordentlich waren, hielten ihr Feuer ständig in Brand. Als diese fünf Männer nun einen Springbock erlegt hatten, wussten sie nicht, wie sie ihn braten sollten. Einer von ihnen begab sich daher auf die Suche nach einem Feuer und begegnete unterwegs einer Frau beim Sammeln von Körnern. Diese Frau lud den Jäger ein, in ihr Lager zu kommen, wo sie ihm ein Mahl zubereitete. Da ihm das Essen schmeckte, entschied er sich, bei ihr zu bleiben. Seine Genossen warteten vergeblich auf seine Rückkehr. Ein zweiter Jäger ging weg und wurde ebenfalls von den Frauen bewirtet. Dasselbe Schicksal ereilte auch den dritten und vierten Jäger. Nur der fünfte Mann blieb bei dem inzwischen verwesten Springbock zurück. Panikartig rannte er davon.
In der Sprache des Mythos werden zwei wichtige Elemente der vorzeitlichen Jäger- und Sammlergesellschaft beschrieben: Auf der einen Seite die Distanz der Geschlechter, die durch die unterschiedlichen Arbeiten und den Zwang bedingt ist und auf der anderen Seite die Notwendigkeit zu kooperieren, nicht nur aufgrund der Zeugung der für den Weiterbestand des Stammes erforderlichen Nachkommenschaft, sondern auch aufgrund der täglichen Sorge um die Lebensmittel. Zu den Aufgaben der Frauen gehörte unter anderem das Hüten und Bewahren des Herdfeuers, dessen Wichtigkeit in der Erzählung der Buschmänner anschaulich geschildert wird. In der Mythologie vieler Naturvölker wird berichtet, dass das Feuer weiblichen Ursprungs sei, da eine Frau das erste Feuer machte, indem sie an ihren Genitalien rieb.
Aufgrund zahlreicher archäologischer Funde lassen sich die Lebensumstände der Menschen in diesen Jäger- und Sammlergesellschaften näher beschreiben. Die Menschen lebten in Horden von zwanzig bis einhundert Menschen zusammen, die auf der Suche nach Nahrung häufig den Ort wechselten. Es ist jedoch ein Vorurteil, wenn man glaubt, die von den Jägern erlegte Beute habe den Hauptteil der Nahrung ausgemacht. Man nimmt heute stattdessen an, dass Fleisch nur 40% der Nahrung ausmachte. Der Rest bestand aus pflanzlicher Nahrung, die von den Frauen mit ihren Kindern gesammelt wurde. Zu den Aufgaben der Frauen gehörten auch die Haustechniken wie die Herstellung von Körben oder Kleidung. Die Gleichheit in diesen eiszeitlichen Stämmen war sehr groß, besonders unter den Männern. Um erfolgreich zu jagen, mussten sie eng miteinander kooperieren, während auch das Sammeln von Nahrung im Kollektiv erfolgen musste. Was die Verwandtschaftsstruktur anbelangt, so waren sie in Sippen oder Verbänden von Blutsverwandten gegliedert. Die Kinder waren vermutlich nur mit der Familie ihrer Mutter verwandt, da der Begriff der Vaterschaft in diesen ältesten Gesellschaften noch weitestgehend unbekannt war. Man besaß noch kein Verständnis für die Beziehung zwischen Sexualität und Fortpflanzung. Die Mutter wurde als alleinige Erzeugerin der Nachkommenschaft angesehen. Deshalb war auch der Begriff der Vaterschaft unbekannt, wenngleich es sicherlich wie in der überlieferten Mythologie der Naturvölker Erklärungen gab, doch letztlich wurde ein Kind einfach von der Frau geboren. Manche Naturvölker glaubten daher, die einzige Aufgabe des Mannes bestünde darin, das Jungfernhäutchen zu zerreißen und die Vagina zu öffnen.
Die Angehörigen einer Sippe durften untereinander nicht heiraten, vielmehr galt das strenge Prinzip der Außenheirat. Zu einer Sippe gehörten die durch gemeinsame Abstammung verwandten Mütter und ihre Nachkommenschaft, während die Väter aus einer anderen Sippe stammten. Die männlichen Nachkommen mussten wiederum ihren Ehepartner außerhalb der Sippe suchen, ohne dass sie dadurch jedoch ihre Sippenzugehörigkeit verloren. So bildete sich eine größere gesellschaftliche Einheit, die aus mindestens zwei Sippen bestand, die durch Heiratsbeziehungen eng verbunden waren. Die archäologische Untersuchung der Wohnplätze nach Größe, Anlage und Bebauung ergab, dass sich die Sippen wiederum in Familienverbände gliederten, die zumindest zeitweilig auch ökonomische Einheiten bildeten. Der Mythos der Buschmänner beschreibt diese Familienstruktur. Wegen der strikten Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau kann weder ein Mann ohne Frau noch eine Frau ohne Mann existieren. Die Familie ist somit die wichtigste ökonomische Einheit, arbeitsteilig und mit gemeinsamem Konsum.
Grabfunde und zahlreiche Denkmäler der bildenden Kunst - Skulpturen und Höhlenmalerei - in den Kältesteppen Europas erlauben Rückschlüsse auf die oben skizzierte Gesellschaftsstruktur, doch insbesondere geben sie auch tiefe Einblicke in die religiöse Gedankenwelt dieser eiszeitlichen Menschen. In den Gemälden und Gravierungen in Höhlen und Grotten sowie an Felswänden, die teils mehrfarbig sind, den Kleinstkunstwerken - Gravierungen auf zentimetergroßen Felsplatten, Ritzungen in Knochen und Statuetten - Schnitzereien aus Mammutelfenbein, Knochen, Geweih oder Felsgestein, Tierplastiken aus Elfenbein, Knochen, Geweih, Stein oder Ton und den über 150 Frauenstatuen, die über eine Distanz von über 10.000 km von Südfrankreich bis nach Sibirien entdeckt wurden, werden zwei Leitmotive sichtbar. Zum einen stellen sie gefährliche Tiere wie das Mammut, den Bison, das Rentier, den Höhlenbären und den Elch dar, die von den eiszeitlichen Jägern mit einem hohen Blutzoll gejagt wurden. Diese Tier- und Jagddarstellungen zeigen auch menschliche Gestalten mit Tiermasken - phantastische Tier - Menschwesen - und gehören vermutlich zu dem Jagd- oder Tötungszauber, mit dem man diese Tiere bannen wollte, um einen Jagderfolg zu erzielen. Im scharfen Gegensatz zu dieser Angst der Jäger stehen die Frauenstatuetten, die unter dem Namen „Venusfigürchen“ die Fantasie der Forscher und Laien zu immer neuen Deutungen anregten. Als man 1908 bei Ausgrabungen in Krems (Niederösterreich) eine 11 cm große Kalksteinplastik aus der Zeit zwischen 35000-22000 v.u.Z. entdeckte, die in der Folgezeit als die „Venus von Willendorf“ als Urbild dieser Venusfigürchen behandelt wurde, war man zunächst überrascht, dass die Menschen in dieser frühen Zeit die sexuelle Seite der Frau so sehr betonten. Man sprach von eiszeitlicher Pornografie und animalischer Wollust, als man die nackten, dickleibigen Frauengestalten sah, bei denen die Brüste, der Beckenbereich und die Vagina auffällig betont sind. Die Hände ruhen wie Bänder auf den Brüsten, während das Gesicht fehlt oder von Haaren oder Masken verdeckt wird. Diese Statuetten haben statt einer Standfläche ein zugespitztes Fußende, was vermuten lässt, dass man sie entweder in die Erde oder in ein Gestell steckte. Da sie durch ihren ellipsoiden Umriss geradezu für die Hand geschaffen sind, ist der Gedanke nicht abwegig, dass sie in bestimmten, vielleicht gefährlichen Lebenssituationen in die Hand genommen wurden. Zum besseren Verständnis dieser Figürchen ist es sicher angebracht, einige Deutungen, die seit ihrer Entdeckung immer wieder vorgebracht wurden, kurz darzustellen. Zunächst sah man in ihnen den Ausdruck der sexuellen Begierde der Jäger, die oft lange von ihren Frauen getrennt waren, wenn sie den Herden der Jagdtiere nachstellten. Man könnte sie daher während der frauenlosen Zeit bei der Masturbation benutzt haben. Bei den Naturvölkern in Zentralaustralien gibt es zahlreiche Belege für eine - sogar gemeinschaftlich ausgeführte - Masturbation, die auch den Zweck verfolgt, sich in Kampfstimmung zu versetzen.
Man brachte die Erfindung solcher Figürchen auch mit einer Verstärkung des Geschlechtstriebes in Zusammenhang, für den man die Zunahme der Fleischkost ansah. Der einzige Zweck ihrer Herstellung sei der Wunsch gewesen, ein erotisches Ideal darzustellen. Die Frauen der jüngeren Altsteinzeit wären nach dieser Theorie eben „mit einem Fettsteiß durchs Leben gewackelt“. Da die Frauen in dieser Periode möglichst wenige Kinder bekommen durften, da diese bei den häufigen Wanderungen ein Hindernis waren, waren den sexuellen Aktivitäten der Männer Grenzen gesetzt. Da die Männer daher ihren Trieb nicht frei ausleben konnten, verfiel dieser auf die Herstellung solcher Frauengestalten mit einer Betonung der erogenen Zonen, um durch deren Anblick den Triebstau zu lindern. So gesehen wären die Venusstatuetten nichts anderes als „Pin Ups“ aus der jüngeren Altsteinzeit. Bei diesen Überlegungen wird zudem noch häufig hinzugefügt, dass man aufgrund der rauen klimatischen Verhältnisse nur sehr selten einen nackten weiblichen Körper habe sehen können.
In diesem Zusammenhang wird oft auch auf die Vulva-Symbole an den Felswänden verwiesen, bei denen es sich um stilisierte Wiedergaben der weiblichen Genitalorgane handelt. Vielleicht sind diese Zeichnungen jedoch das Werk von Außenseitern, die das ihnen verwehrte Objekt ihrer geheimen Sehnsüchten an die Felswände kritzelten.
Denkbar ist auch, dass die prallen Frauengestalten Gegenstand eines Sexkultes waren, der bei den antiken Völkern auch als sakrale Sexorgie bekannt war. So fanden für die Fruchtbarkeitsgöttinnen Vorderasiens, z. B. der babylonischen Ischtar, oft tagelange Feiern statt, bei denen in streng geregelter Form die sexuellen Begierden befriedigt wurden.
Die Hervorhebung der Körperfülle dieser Frauengestalten legt den Schluss nahe, dass es sich um hochschwangere Frauen handelt, welche die Fruchtbarkeit und die Gebärfähigkeit des weiblichen Geschlechts darstellen sollten. Demnach wären sie keine Lustobjekte, die ihren Ursprung den geheimen Wünschen der Jäger verdanken, sondern wirklich Schwangere, deren vergrößerte Vagina und der weit geöffnete Muttermund den Augenblick der Geburt darstellt. Die bloße Erotik würde bei einer solchen Sichtweise zugunsten einer kultischen Bedeutung aufgegeben. Gegen eine solche Deutung spricht allerdings die Tatsache, dass in der Wirtschaftsstufe der jüngeren Altsteinzeit Kinder eine schwere Belastung waren, die die jägerische Lebensweise stark behinderten. Die Völkerkunde kennt genug Beispiele, dass Naturvölker auf einer solchen Wirtschaftsstufe große Fruchtbarkeit durch den Kindsmord regeln. Deshalb ist es wenig überzeugend, diese Figürchen mit dem Gedanken an Mutterschaft und Fruchtbarkeit in Verbindung zu bringen.
Die gegenteilige Meinung, die bei diesen Frauendarstellungen ein Sinnbild der Fruchtbarkeit sieht, verweist jedoch darauf, dass es in der Jägergesellschaft der jüngeren Altsteinzeit bedingt durch den Klimawandel eine Tendenz zur Sesshaftigkeit gab. Mit der Klimaerwärmung ging die Vereisung in Nordeuropa allmählich zurück und das Klima wurde im Süden trockener. Da die Jagdtiere dem kälteren Klima der Eismassen folgten, mussten auch die Jäger ihren gewohnten Lebensraum immer weiter nach Norden verschieben. Da die Jagdergiebigkeit stark sank, kam der Sammlertätigkeit der Frauen eine immer wichtigere Bedeutung zu. Das Wachstum und die Fruchtbarkeit der Erde war für das Überleben damit von größter Wichtigkeit. Wenn ein Gebiet ausreichend pflanzliche Nahrung bot, blieb man länger in diesem Raum und wurde dort vielleicht sogar sesshaft. Da für das Sammeln der Nahrung ebenso wie für den späteren Ackerbau viele Hände gebraucht wurden, war auch Kindersegen nicht mehr länger unerwünscht. Von den nordamerikanischen Jägern weiß man, dass sie immer dort sesshaft wurden, wo es genügend Wild, Fische und pflanzliche Nahrung gab. Für diese Annahme spricht auch, dass man zahlreiche Venusfigürchen in Wohnbauten, meistens nicht weit von einer Hüttenwand oder in Nischen und Vertiefungen fand. Bedingt durch diese wirtschaftliche Zwangslage, welche die Jägertätigkeit erheblich einschränkte, und die Tatsache, dass der Fortbestand des Stammes nur gesichert war, wenn die Frauen möglichst haushälterisch die geringe Menge an Jagdbeute und die eingesammelte pflanzliche Nahrung auswertete, gewann die Frau sicherlich an Bedeutung. In der Vorstellungswelt dieser Menschen war die Frau zum Inbegriff des Lebens geworden. Durch die Überbetonung der weiblichen Merkmale sollte diese Bedeutung der Frau hervorgehoben werden, da ihre Fruchtbarkeit genauso wichtig wie die der Erde war. Wenn diese Frauengestalten ein Gesicht gehabt hätten, wäre es nach unten auf die Erde gerichtet gewesen, die gleichsam die Urmutter darstellte. Wenn man solche, doch recht abstrakte, Vorstellungen für diese Zeit ablehnt, so konnte man doch in jeder Frau eine Ahnmutter sehen, da jedes Kind mit seiner Mutter, seiner Großmutter, seiner Urgroßmutter usw, verwandt war. Am Ende dieser Kette stand eine Stammmutter, mit der alle Sippenmitglieder durch Blutsverwandtschaft verbunden waren. Für diese Deutung spricht auch der Umstand, dass diese Statuetten fast ausschließlich Frauengestalten verkörpern. Es ist deshalb auch sehr wahrscheinlich, dass jede Sippe einer Ahnmutter ihre Verehrung im Einklang mit den Jahreszeiten entgegenbrachte.
In Laussel (Dordogne) in Frankreich entdeckte man vier Menschendarstellungen, die in eine Felsenwand unter einem Felsvorsprung geritzt waren, der über viele Jahrtausende als Wohnplatz genutzt wurde, wie die Begleitfunde ergaben. Es fanden sich drei Frauengestalten, die alle geschlechtsbetonten Merkmale der Venusfigürchen aufweisen sowie eine schlanke Gestalt, bei der es sich vermutlich um einen Jäger handelt, weil er seinen Speer auf ein Tier schleudert. Zwei der Frauengestalten halten ein Bisonhorn für Trankopfer in den Händen. Vermutlich handelt es sich bei den drei Frauen um eine Gruppe von Priesterinnen, die eine Art jagdmagischer Handlung durchführen. Diese Felszeichnung stellt auch sehr anschaulich die strikte Trennung der beiden Lebensbereiche in der Jäger- und Sammlergesellschaft dar, die sich aber im religiös-kultischen Leben gegenseitig ergänzten. Vielleicht stellte man sich die Ahnmütter als Herrinnen der Tiere vor oder zumindest gehörte zum Komplex der Fruchtbarkeit, Zeugung und Geburt auch die Vermehrung der Tiere, deren Erbeutung einen Teil der Lebensgrundlage bildete. Dass die Frauen bei den jagdmagischen Riten der Männer keine Außenseiterrolle spielten, zeigen auch zahlreiche Darstellungen, bei denen Frauen offensichtlich Geschlechtsverkehr mit Tieren haben. Mit Tieren geschlechtlich zu verkehren wirkt auf den heutigen Menschen abstoßend, aber in der Frühzeit der Menschheit war dies im kultischen Bereich kein Tabu. So berichtet der griechische Historiker (484-425 v.u.Z.) von einem kultischen Brauch in der altägyptischen Stadt Mendes, demzufolge die Bewohner einen Ziegenbock verehrten, mit dem die Frauen der Stadt sexuell verkehrten. Aus dem alten Indien ist außerdem das Ritual eines Pferdeopfers überliefert, das folgendermaßen vollzogen wurde: Das Pferd wurde getötet, mit kostbaren Stoffen geschmückt und dann schritten die Frauen des Königs dreimal rechts und ebenso oft links um den toten Kadaver herum. Nach dieser Prozession trat die erste Frau des Königs an das tote Tier heran, nahm sein Geschlechtsteil und steckte es in ihre Vagina.
Aus der Völkerkunde ist bekannt, dass bis in die Gegenwart durchaus auch Frauen an Ritualen von Jägerstämmen wie den sibirischen Rentierjäger teilnehmen. So werden noch heute bei diesen sibirischen Rentierjägern Frauenfigürchen aus Lärchen- oder Espenholz geschnitzt, die man Dzuli nennt. In ihrer religiösen Vorstellungswelt sind diese Dzuli der menschliche Anfang, aus der der ganze Stamm hervorgegangen ist. Sie sind Schutzgeister der einzelnen Familien und der Sippe, die von Geschlecht zu Geschlecht übergehen. Dem Dzuli wird die Hütte anvertraut, wenn man zur Jagd auszieht. Bei der Heimkehr füttert man ihn mit Grütze und Fett und spricht dabei: „Mach, dass wir gesund bleiben, mach, dass wir viele Tiere erschlagen.“ Eine solche Funktion wie diese Ahnmütter könnten auch die Venusstatuetten gehabt haben, die man wegen ihrer handlichen Form als „tragbare Heiligtümer“ bezeichnete, die denselben Symbolcharakter wie die Felszeichnungen und Höhlenbilder haben. Unter einem Felsüberhang in Alpera, das zwischen Alicante und Alipacte in Ostspanien liegt, entdeckte man eine Wandmalerei, auf der männliche und weibliche Tanzfiguren dargestellt sind. Es handelt sich um eine Jagdszene mit über 30 Ziegen oder Antilopen, 26 Hirschen, Kühen, Elchen, Steinböcken, Wildpferden, Wölfen und Vögeln in Verbindung mit mehr als 70 menschlichen, meist männlichen Gestalten, von denen viele beim Bogenschießen gezeigt werden. Zwei Männer sind unverkennbar beim Tanzen mit gespreizten Beinen dargestellt, so dass die Geschlechtsteile deutlich sichtbar sind. Zwei der Frauengestalten sind bekleidet, während eine nackt und sehr korpulent dargestellt wird. Eine dieser Frauen hält einen Gegenstand in der Hand, den man als eine Venusstatuette deuten kann.
Drei Frauen bei einem Fruchtbarkeitsritual. Abbildung unter dem Feslüberhang von La Vieja bei Alpera (Spanien)
Den Figürchen und Felsbildern, die ja keine „Inschriften“ haben, können durch den Vergleich mit bekannten Sitten und Gebräuchen anderer Naturvölker, die auf einer vergleichbaren Wirtschaftsstufe lebten und eine ähnliche Gesellschaftsform hatten, ein religiöser Sinn beigelegt werden. Ähnliche Vermutungen können auch über die mögliche Kultform angestellt werden. Für unser Thema ist natürlich eine Beantwortung der Frage wichtig, ob es getrennte Kulte von Männern und Frauen gab oder beide Geschlechter gemeinsam an den Kulthandlungen teilnahmen. Der Umstand, dass die Figürchen fast ausschließlich Frauen und die Felszeichnung von Laussel drei „Priesterinnen“ darstellen, lassen sich als Äußerungen des religiösen Lebens von Frauen deuten, in dem die Jäger keine dominante Rolle gespielt haben. In zahlreichen Abbildungen aus der Jungsteinzeit (ab 10000 v.u.Z.) werden Frauengruppen dargestellt, die in Begleitung von Kindern und Tieren wilde Tänze aufführen. Über 300 Ritzzeichnungen auf Steinplatten, die man in Gönnersdorf bei Neuwied am Rhein gefunden hat, stellen nackte Frauen dar, die einzeln, in Paaren oder Gruppen Tänze aufführen. Aufschlussreich ist bei diesen Funden, dass sich keine Abbildungen von Männern finden lassen. Vermutlich handelt es sich um einen ausschließlich von Frauen vollzogenen Kult.
Als mögliche Erklärung für diese Kultform bieten sich die Initiationsriten an, bei denen die Geschlechter unter sich blieben. Dass es sich bei den Tanzgruppen und den Paaren um die auf der ganzen Erde bei den Naturvölkern verbreiteten Einweihungsriten handelt, erscheint auch aufgrund der Funde von Nachbildungen männlicher Geschlechtsteile in Höhlen und Grotten wahrscheinlich. Einige der nackten Paare von Gönnersdorf könnte man als Darstellung einer rituellen Entjungferung junger Mädchen anlässlich einer Einweihungsfeier deuten. Da einige der Venusstatuetten eine auffällig spitz zulaufende Kopfform haben, könnten solche Figuren die Funktion eines künstlichen Penis gehabt haben. Dass die rituelle Entjungferung junger Mädchen von Frauen oder weiblichen Priesterinnen ausgeführt wurde, ist aus zahlreichen Berichten über Sitten und Gebräuche verschiedene Naturvölkern hinreichend bekannt. Eine Mutter im alten Peru hat ihre Tochter sogar öffentlich entjungfert. Auf den Philippinen und in Zentralafrika wird ein Mädchen im Kindesalter von älteren Frauen entjungfert und anschließend ihre Vagina verbreitert. Zahlreiche der gefundenen Venusstatuetten könnten aufgrund ihrer handlichen Form auch für eine Verbreiterung der Vagina benutzt worden sein.
Die tanzenden Frauen von Gönnersdorf haben möglicherweise auch ein Fruchtbarkeitsritual vollzogen, das in abgewandelter Form auch heute noch als Tanz um den Maienbaum bekannt ist. Der englische Ethnologe Frazer berichtet in seinem monumentalen Werk The Golden Bough (Der Goldene Zweig) über diese Fruchtbarkeitstänze der Naturvölker:
Im alten Mexiko wurde zu Ehren der Maisgöttin ein Fest gefeiert. Es begann, wenn die Pflanze ihre volle Größe erreicht hatte. Während dieses Festes trugen die Frauen ihr langes Haar aufgelöst und schüttelten und warfen sich bei den Tänzen umher, welche den wichtigsten Moment der Zeremonie bildeten. Dadurch sollten die Maiskörner wachsen und die Menschen eine reiche Ernte haben. In vielen Teilen Europas ist das Tanzen und Hochspringen ein bewährtes Mittel der nachahmenden Magie, um zu bewirken, dass das Korn hoch wachse. Hinter dieser Form der Magie steht die uralte Vorstellung, dass Gleiches wieder Gleiches hervorbringt. Durch die wilden Tänze, bei denen die Beine, Arme und Haare hochgeworfen werden, soll das Wachstum der Pflanzen veranlasst werden. Auf Felszeichnungen in Spanien und Frankreich werden tanzende Menschen mit Tiermasken oder -köpfen dargestellt, so dass solche Fruchtbarkeitsrituale auch zur Vermehrung des Jagdwildes vollzogen wurden. Die eiszeitlichen Menschen fühlten sich mit den Tieren verbunden, so dass sie sich mit Masken, Tiergeweihen, Tierfellen und Vogelfedern schmückten, um ihre verwandtschaftliche Bindung an die Tierwelt auszudrücken. Auf diese Weise wurde ein Gefühl der Einheit mit der Tierwelt, die ihnen als Nahrungsspender dienten, hergestellt. Aus diesem Zusammengehörigkeitsgefühl mit den Jagdtieren entwickelte sich später der Totemismus, bei dem die Verbindung mit einem ausgewählten Tier so weit geht, dass dieses Tier nicht getötet und auch nicht als Nahrung verwendet werden darf. Überliefert sind auch Ausnahmen von diesem strengen Verbot der Tötung und des Verzehrs des Totemtiers. So ist es bei zentralaustralischen Stämmen nicht nur erlaubt, sondern sogar vorgeschrieben bei den Ritualen von dem Fleisch des Totemtiers zu essen. Dabei wird aber streng darauf geachtet, dass man nicht zu viel davon isst, weil sonst die Verbindung zu dem Totemtier schwindet. Wahrscheinlich war der Totemismus in der Altsteinzeit nur in Vorformen, die sich durch ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl mit den Jagdtieren ausdrückte, entwickelt. Im fortgeschrittenen Stadium führt der Totemismus dazu, dass ein von der Sippe ausgewähltes Tier zum Symbol wird, mit dem sich die Sippenmitglieder identifizieren und von den anderen Sippen unterscheiden. Bei zahlreichen Naturvölkern gibt es die uralte Sitte, dass die Verwandtschaftsrechnung und Weitergabe dieses Totems nach der mütterlichen Linie erfolgt. Es ist grundsätzlich verboten, dass Angehörige derselben Totemgruppe untereinander heiraten. Dieses weist auf eine enge Verbindung - auch der Frauen - zu den jagdmagischen Ritualen hin, die eben nur einen Teil des weiblichen Fruchtbarkeitskultes ausmachten.
Frazer erwähnt noch eine weitere Form des uralten Frauentanzes, der stattfand, wenn die Männer sich im Krieg befanden. So tanzten bei Stämmen auf Madagaskar die Frauen Tag und Nacht, ohne zu schlafen und zu essen, wenn ihre Männer in den Kampf gezogen sind. Es herrschte der Glaube, ihre Männer müssten sterben, wenn sie aufhörten zu tanzen. Auf diese Weise würden sie ihnen jedoch Kraft, Mut und Glück geben. Auch bei zahlreichen anderen Naturvölkern besteht dieser Brauch, während ihre Männer auf dem Kriegspfad waren unablässig zu tanzen, weil sie glaubten, nur so könnten sie eine Ermüdung ihrer Männer verhindern.
Die bisher vorgeführten Funde und ihre Deutung berechtigen sicherlich zu der vorsichtigen Vermutung, dass es schon in der jüngeren Altsteinzeit Vergesellschaftungen von Frauen gab, bei denen die Männer offensichtlich ausgeschlossen waren. Aus der Völkerkunde lässt sich ein weiterer Beweis hinzufügen, dem man bisher kaum größere Aufmerksamkeit geschenkt hat. Die Figürchen haben kein Gesicht, da entweder der Kopf fehlt oder dieser so formlos ist, als wäre er durch eine Maske bedeckt. Um das Gesicht unkenntlich zu machen, bedecken die Gestalter dieser Statuetten den Kopf mit herabfallenden Haaren. Der Völkerkundler Leo Frobenius (gest. 1938) hat durch seine Forschungen bei den Naturvölkern Afrikas nachgewiesen, dass zwischen dem Maskengebrauch und der Existenz von Geheimbünden ein enger Zusammenhang besteht. Die Masken sollen nicht so sehr den Träger unkenntlich machen, damit die Teilnehmer geheimer Riten unerkannt bleiben, sondern sie symbolisieren die einsamen Behausungen, in denen man die Jugendlichen beim Eintritt in das Erwachsenenalter einweiht und sie mit dem Ahnenkult vertraut macht.
Der Ahnmütterkult der eiszeitlichen Frauen und die damit verbundene Organisation der Sippen, die auf der mütterlichen Abstammungslinie beruhte, können als Hinweise dafür dienen, dass in dieser Frühzeit Kultgeheimnisse und heilige Objekte ausschließlich im Besitz der Frauen waren. Es gibt in der Mythologie zahlreicher Naturvölker Berichte, dass die Männer den Frauen, die in Bünden organisiert waren, ihre geheimen Rituale gestohlen haben und ihrerseits geheime Bünde gründeten, um diese Kultformen weiter zu praktizieren. Bei den Feuerlandindianern in Südamerika wird erzählt:
Der Stamm der Yamana kennt einen geheimen Männerkult, der Kina genannt wird. Zuerst sollen die Frauen diesen Kult vollzogen haben, weil sie über die Männer herrschten. Die Männer mussten alle Arbeiten nach Anweisung der Frauen verrichten. So kümmerten sich die Männer auch um die Kinder und besorgten die frauenüblichen Hausarbeiten. In den Siedlungen des Stammes gab es eine Kina-Hütte, wo die Frauen die Geister beschworen und den Männern einredeten, in dieser Hütte seien die Geister anwesend. Vermummt, bemalt und mit Masken kamen die Frauen aus der Hütte, so dass sie von ihren Männern nicht wiedererkannt und für lebende Geister gehalten wurden, denen sie höchsten Respekt schuldig waren. Um den Männern noch mehr Angst einzujagen, veranstalteten sie ein fürchterliches Spektakel mit großem Lärm, so dass ihre Männer eiligst davoneilten. Auf diese Weise hielten sich die Frauen an der Macht und die Männer hatten einen untergeordneten Rang in der Stammesgesellschaft. Doch eines Tages beobachtete ein Mann, wie sich zwei Mädchen am Fluss die für die angeblichen Geister typische Bemalung abwuschen. Der Mann zwang die Mädchen, ihm zu erzählen, was in der Geisterhütte vorging. Als er erfuhr, dass es sich bei den Geistern nur um verkleidete Frauen handelte, erzählte er dies den anderen Männern. Sofort stürmten die Männer die Kina-Hütte und im anschließenden Kampf wurde der größte Teil der Frauen getötet. Jetzt übernahmen die Männer den Kult und die Frauen mussten ihnen gehorchen.
Bei dem Stamm der Selk’nam in Feuerland erzählt man sich eine ähnliche Geschichte:
Dort hatten die Frauen eine eigene Hütte für die Einweihung junger Mädchen, der sich kein Mann nähern durfte. Die Frauen unterdrückten ihre Männer, weil nur ihnen die Zauberei bekannt war. Schließlich sahen die Männer keinen anderen Ausweg, um sich von der Unterdrückung und Deklassierung zu befreien, als alle Erwachsenen Frauen zu töten. Da sie auf neue Frauen warten mussten, bis die jungen Mädchen, die bei dem Massaker verschont wurden, herangewachsen waren, fassten sie den Entschluss, einen Geheimbund zu gründen, dessen Rituale absolut tabu für die Frauen waren, damit sich das Ganze nicht wiederholt. Sich dem Kulthaus zu nähern war bei der Todesstrafe verboten.