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Dieses E-Book enthält komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen. Das Lernen ist dem Gehirn ein echtes Bedürfnis. Es arbeitet ganz von selbst, wenn wir es nur lassen. Wir stören es im Lernprozess, wenn wir endlos Vokabeln pauken und uns dann vom geringen Lernerfolg frustrieren lassen. Lernen wir eine Sprache hingegen gehirn-gerecht, ist dies viel wirkungsvoller und nachhaltiger. Sprachenlernen kann Freude bereiten - auch in der Schule. Erfahren Sie in diesem Buch, wie das geht. Karin Holenstein erklärt gut verständlich die neurobiologischen Grundlagen des Lernens und erläutert Schritt für Schritt die gehirn-gerechte Lernmethode nach Vera F. Birkenbihl. Die Autorin zeigt, wie die Methode im Fremdsprachenunterricht einfach eingesetzt werden kann, wie sie in Kombination mit jedem Sprachlehrmittel funktioniert und dadurch allen Lernenden zu Erfolgserlebnissen verhilft. Das Buch richtet sich an Sprachlehrpersonen jeder Schulstufe und an Jugendliche wie Erwachsene, die ihre Fremdsprachenkenntnisse selbstständig verbessern oder eine Sprache neu lernen möchten.
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Seitenzahl: 191
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Karin Holenstein
Gehirn-gerechtes Sprachenlernen
Die Birkenbihl-Methode im Sprachunterricht
ISBN Print: 978-3-0355-1221-2
ISBN E-Book: 978-3-0355-1222-9
2. Auflage 2018
Alle Rechte vorbehalten
© 2018 hep verlag ag, Bern
www.hep-verlag.com
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einleitung
Gehirn-gerechtes LernenGrundlagen der Birkenbihl-Methode
Der Unterschied
Wissen und Können
Modell des Lernpythagoras
Intelligenz
Die Neuro-Mechanismen
Die Birkenbihl-Methode im Unterricht Eine Anleitung
Voraussetzungen für einen gelungenen Unterricht
Schritt für Schritt zum Lernerfolg
Weitere gehirn-gerechte – Methoden für das Sprachenlernen
Die Birkenbihl-Methode konkret
Die Birkenbihl-Methode in der Praxis Warum und wie sich die Methode bewährt
Stimmen aus der Praxis
Acht Argumente für den kombinierten Unterricht
Nachwort
Dank
Fragen und Antworten
Literaturverzeichnis
Sachregister
Vorwort
»Mühsam gelernt – kurz gemerkt – schnell vergessen!«Geht es auch anders? Eine fremde Sprache lernen – und das noch mit Spaß!
Wie lernt ein Kind? Wie lernt ein Erwachsener? Wie lernt man Fremdsprachen? Wissenschaftlich gesehen lassen sich viele Lerntheorien anführen, die in die eine oder andere Richtung weisen. In Bibliotheken und im Internet finden sich Standardwerke, Praxisführer und Lernplattformen, die Tipps oder gar Lernweisheiten anpreisen. So geht der Behaviorismus von Lernreizen aus, die, mechanistisch konditioniert oder operant formuliert, zu einem angestrebten Verhalten bzw. Lernerfolg führen sollen. Angeboren oder gelenkt (mittels Versuch und Irrtum, mit oder ohne Belohnung/Bestrafung) folgt der Lernerfolg. Im Gegensatz dazu stellt der Kognitivismus das bewusste und aktive Denken, die Auseinandersetzung mit der eigenen Umwelt in den Vordergrund. Lernen entwickelt sich danach durch selbstgesteuertes Denken und Einsicht. Der Konstruktivismus – und damit sind wir schon nahe an der heutigen Zeit angelangt – wiederum betont die individuelle Wahrnehmung. Der Lernende muss das Problem und die angemessenen Lösungswege selbst finden, selbst konstruieren. Kinder und Erwachsene unterscheiden sich danach in ihrem Lernverhalten, zumal sie jeweils über individuelle Bedingungen, über eigene Vorerfahrungen und über mehr oder weniger reiches Vorwissen und eigene Erfahrungswelten verfügen.
Ohne weitere Exkurse auszuführen, lässt sich festhalten: Lernen ist individuell. Lernen hängt vom Lerntypus, von gemachten Lernerfahrungen und Lernwelten ab. Lernen kann aber jede und jeder! Fremdsprachen sind lernbar! Auch wenn es am Anfang etwas schwerfällt. Das vorliegende Werk Karin Holensteins führt den Leser auf Lernwege zur Fremdsprache. Getreu dem Credo von Vera F. Birkenbihl, dass sich Lernen unbewusst ergibt bzw. ergeben kann, dass Lernen auch passiv möglich ist und dass Lernen – insbesondere das Lernen von Fremdsprachen – Spaß macht, werden konkrete Anwendungsbeispiele vorgestellt. Der Lernende selbst steht immer im Zentrum! Die Lehrende, der Lehrende rundet nur das Arrangement ab. Sicherlich beeinflusst sie/er das Lernen, fördert oder hemmt es. Ob aber schnell und eingängig gelernt wird, liegt beim Lernenden, bestimmt von seiner Motivation, seiner Einstellung und seinem Willen.
Vera F. Birkenbihl, ohne Zweifel die Doyenne der Bildungswelt der Neuzeit, entwickelte und sammelte wertvolle Ansätze und vor allem einfach umsetzbare Lerninstrumente. Ihre dezidierte – vielleicht da und dort etwas zu kritische – Haltung bewegte das klassische Schulsystem. Ihre Empfehlungen zur Gestaltung des Lernkonzepts, ihre sehr anschaulichen und im Lernalltag sehr eingängigen Neuro-Mechanismen (einfach gesagt: die Grundbedürfnisse des Lernens) sowie ihre Non-Learning Learning Strategies (einfach gesagt: Lernwege) leisten einen wesentlichen Beitrag zur Lerneffizienz und zum Lernerfolg insgesamt. Zudem kann man Vera F. Birkenbihl im Kern beipflichten: Lernen macht Spaß! Lernen kann jede und jeder! Und dies unabhängig von Alter und Herkunft.
Karin Holenstein steht in der Nachfolge von Vera F. Birkenbihl. Sie übersetzt die Neuro-Mechanismen für das Lernen von Fremdsprachen. Praktikable Vorschläge, die sie sich aus ihrer langjährigen Erfahrung als Lehrerin und Sprachcoach erworben hat, sind das Ergebnis. Das vorliegende Werk verdeutlicht, wie »gehirngerecht« einfach gelernt werden kann. Der »Viersprung« von Dekodieren, aktivem Hören, passivem Hören und Aktivitäten ist pragmatisch. Die vorgestellten Instrumente, wie Begriffe erklären, Kategorisieren, Lückentexte, eignen sich nicht nur für den Einzellernenden, sondern auch für Gruppen. Karin Holenstein beschreibt viele Beispiele aus dem Schulalltag. Sie lässt Lernende, Kinder wie ältere Lernende, und weitere Lehrpersonen zu Wort kommen. Ihre Lerntipps liefern Ansatzpunkte und Anregungen für Lehrpersonen, die wiederum ihren Schülerinnen und Schülern das Lernen erleichtern. Besonders erwähnenswert ist in ihrem Buch, dass sie die Birkenbihl-Methode auf die jeweilig in einer Schule eingesetzten Lehrmittel anwendet. Sie erbringt damit den Beleg, dass bestehende Lehrmittel angereichert werden können. Dies erlaubt effektiveres Sprachenlernen. Lernerfolg sowie ökonomische Rahmenzwänge lassen sich so in Einklang bringen.
Abschließend noch ein inniger Wunsch aus meiner Sicht: Die Sprache des anderen zu verstehen, diese gar zu sprechen, bietet Austausch, Dialog und Einsicht in die Kultur des Gegenübers. Eine fremde Sprache zu lernen, zeugt von Weitsicht und Empathie. Es braucht dazu sicherlich Durchhaltevermögen. Wenn man dann den »Lernberg« erklommen hat, eröffnen sich neue Horizonte.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen den Mut, diese Lernchance anzupacken! Es liegt nur an Ihnen.
St. Gallen, Januar 2013
Prof. Dr. oec. HSG Lukas Scherer, Fachhochschule St.Gallen
Einleitung
Seit bald dreissig Jahren bin ich in drei wesentlichen Rollen des Lernens und Lehrens tätig: als Lehrerin (Lernbegleiterin, Kursleiterin und Coach), als Mutter von drei inzwischen erwachsenen Kindern und auch immer wieder als Selbstlernerin. Ich kenne das Thema Lernen und insbesondere das Sprachenlernen daher aus verschiedenen Perspektiven, also auch aus Ihrer, liebe Lehrerinnen und Lehrer, liebe Eltern.
In den letzten Jahren durfte ich viele Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene (die bisher älteste Kursteilnehmerin war über 80 Jahre alt) in der Birkenbihl-Methode anleiten und in ihrem Lernen begleiten. Lehrpersonen, vor denen ich regelmäßig über die Methode referiere, stellt sich nach einem ersten Einblick jeweils sofort die Frage, wie sie im Unterricht damit arbeiten können. Die Birkenbihl-Methode lässt sich mit jedem Schullehrmittel und vor allem auch mit bisher praktizierten Lehr- und Lernmethoden kombinieren. Sie eignet sich für Schülerinnen und Schüler aller Schulstufen wie für die Erwachsenenbildung. Ich zeige Ihnen in diesem Buch, wie das möglich ist. Es soll dazu beitragen, dass in möglichst vielen Schulen Sprachen gehirn-gerecht gelernt werden können. Durch meine jahrelange Auseinandersetzung mit der Birkenbihl-Methode verfüge ich über fundiertes Hintergrundwissen und eine große Erfahrung, die ich gerne weitergebe.
Die Grundlage zu der in diesem Buch beschriebenen Sprachlernmethode in vier einfachen Schritten wurde von Vera F. Birkenbihl vor vielen Jahren aufgrund ihrer eigenen Lernerfahrungen und der Beobachtung von Lernenden entwickelt. Unter Einbezug der neuesten Erkenntnisse aus der Gehirnforschung und mit weiteren »gehirn-gerechten« (oder englisch »brain friendly«) Lernmethoden angereichert, ermöglicht die Methode der vier Lernschritte eine erfolgreiche Form des Sprachenlernens beziehungsweise Sprachenlehrens in der Schule. Im Rahmen meiner Ausführungen habe ich vor allem das Sprachenlernen im Schulumfeld beschrieben und als Beispielsprache vorwiegend Englisch verwendet. Selbstverständlich ist das beschriebene Vorgehen auch in jeder anderen Sprache anwendbar.
Als Lehrperson erreichen Sie durch die Birkenbihl-Methode mehr Wirksamkeit und Nachhaltigkeit im Lernprozess. Sie werden in Zukunft das ganze Potenzial Ihrer Schülerinnen und Schüler ausschöpfen können. Als Mutter oder Vater nutzen Sie dieses Buch, um Ihr Kind zu Hause erfolgreich zu unterstützen und ihm zu positiven Lernerfahrungen zu verhelfen. Als Selbstlernerin oder Selbstlerner lesen Sie mein Buch wie einen Reiseführer, der Sie auf Ihrem Lernweg begleitet.
Ich lade Sie herzlich dazu ein, von meiner langjährigen Praxiserfahrung zu profitieren. Begeben Sie sich mit mir auf eine spannende Reise zu einem wirkungsvolleren und damit erfolgreicheren Sprachenlernen.
Karin Holenstein
Frühjahr 2018
Aufbau und Inhalt
Mein Buch ist als Handbuch konzipiert. Es gliedert sich in drei Hauptkapitel. Eigentlicher Kern ist der mittlere Teil, wo ich die vier Lernschritte der Birkenbihl-Methode erläutere und zu jedem Schritt konkrete Hinweise zur Umsetzung im Sprachunterricht liefere, die Sie nachschlagen können. Da die Lernmethode auf Erkenntnissen der Gehirnforschung beruht, beginne ich das Buch mit einem Hauptkapitel zu den Grundsätzen des Lernens, zum Begriff der Intelligenz und zu den Neuro-Mechanismen des Gehirns, die beim gehirn-gerechten Lernen angesprochen werden. Selbstverständlich können Sie aber auch direkt bei den vier Lernschritten einsteigen.
Die Neuro-Mechanismen werden im Buch symbolisch dargestellt. Hier eine Übersicht über die verwendeten Symbolbilder:
Ich habe für dieses Buch Lernende und Lehrpersonen zu ihren Erfahrungen mit der Birkenbihl-Methode befragt. Die Interviews befinden sich im dritten Teil des Buches.
Im Laufe der Jahre habe ich viele Lehrpersonen, Eltern und weitere an der Methode interessierte Personen gecoacht. Dabei sind immer wieder ähnliche Fragen aufgetaucht. Ich liste die häufig gestellten Fragen zu bestimmten Themen in den entsprechenden Kapitel auf und beantworte sie ebenfalls im dritten Teil. Sie können auch direkt dort stöbern und in den Antworten lesen, wenn Sie schon vor der Lektüre dringend etwas geklärt haben möchten. Die aufgelisteten Fragen sind mit dem Fragezeichen-Symbol markiert.
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Über meinen Youtube-Kanal finden Sie einige Kurzfilme, die Ihnen einen Einblick in meinen Unterricht nach der Birkenbihl-Methode gewähren: www.youtube.com/c/KarinHolenstein
Gehirn-gerechtes Lernen Grundlagen der Birkenbihl-Methode
Der Unterschied
Der wohl augenfälligste Unterschied zwischen der herkömmlichen Sprachlernmethode und jener nach Vera F. Birkenbihl ist, dass letztere einen wesentlichen Bestandteil der traditionellen Methode verbietet: das Pauken von Vokabeln und Grammatikregeln. Darüber mögen Sie sich wundern. Bitte stellen Sie das »Ja, aber …« zurück. Sie werden die Idee dahinter bald nachvollziehen können und wissen, dass Sie beziehungsweise Ihre Schülerinnen und Schüler trotzdem (oder erst recht) einen umfangreichen, aktiven und jederzeit nutzbaren Wortschatz aufbauen können. Birkenbihl stellt dem traditionellen Pauken das Können beziehungsweise Wissen (siehe auch folgendes Kapitel) gegenüber. Der Unterschied lässt sich mit folgenden gegenläufigen Kurven illustrieren.
Pauken wir, mögen Inhalte zwar kurzfristig abrufbar sein. Die Kurve zeigt aber, dass wir den größten Teil schon bald wieder vergessen. Lernen wir jedoch nachhaltig, dann bauen wir laufend auf dem Gelernten auf (kumulierendes Lernen) und die Kurve verläuft nach oben, was auf Nachhaltigkeit und damit auch echte Kompetenz hindeutet. Remo Largo, Kinderarzt und über lange Jahre Leiter der Abteilung Wachstum und Entwicklung des Universitäts-Kinderspitals Zürich, schreibt:
Ein wesentliches Merkmal von Kompetenz jedoch ist Nachhaltigkeit – was weiß der Schüler noch Wochen, Monate und Jahre später? Wenn ein ehemaliger Gymnasialschüler mit 6 Jahren Lateinunterricht nicht fähig ist, bei einem Besuch in Rom die Inschriften an den antiken Denkmälern zu entziffern, zeugt das nicht von einem nachhaltigen Wissen, und damit ist etwas gründlich schiefgelaufen in seiner Schulzeit. (Largo, 2009, S. 244 f.)
Die Birkenbihl-Methode unterscheidet sich in weiteren Punkten von anderen Lernmethoden. Hier eine Übersicht über die wesentlichen Unterschiede, die ich in diesem Buch noch weiter erklären werde.
Traditionelle Vorgehensweise
Birkenbihl-Methode
Es werden ausgewählte und isolierte Vokabeln auswendig gelernt und bestimmte Grammatikregeln gepaukt, besonders im Hinblick auf bevorstehende Tests.
Vokabeln werden nicht gepaukt, sondern immer im Kontext eines Satzes innerhalb eines vollständigen Textes gelernt. Die Grammatikregeln werden unbewusst abstrahiert.
Es wird fast ausschließlich bewusst gelernt.
Es wird bewusst und unbewusst gelernt. Der Lernprozess spielt sich so oft wie möglich nebenbei ab (passives Hören).
Es wird sehr früh, oft schon zu Beginn einer neuen thematischen Einheit, gelesen, geschrieben und gesprochen.
Aktivitäten – also Lesen, Schreiben und verschiedene Übungen – sind Teil des letzten von insgesamt vier klar vorgegebenen Lernschritten.
Schülerinnen und Schüler von heute sind gleichzeitig mit diversen anspruchsvollen Schulfächern konfrontiert und viele sehen im Sprachenlernen mehr Last als Lust. Die Fremdsprache nebenbei und ohne zusätzlichen Zeitaufwand zu lernen (in anderen Fächern, während der Busfahrt zur Schule, bei den Hausaufgaben oder in der Freizeit), ist auch für die Lernenden ein verlockendes Angebot. Die Birkenbihl-Methode setzt gerade dort ein, wo wir mit dem traditionellen Schullernen an Grenzen stoßen. Sie ist eine wunderbare Ergänzung und bewirkt, dass diejenigen Aktivitäten, welche in den Schulzimmern bereits ausgeübt werden, auch zu nachhaltigem Lernerfolg führen. Es braucht keine großen Veränderungen, um diese Wirkung zu erzielen. Die Lehrperson braucht nur genau zu wissen, was sie wann wie tut und warum sie es so und nicht anders tut.
Die Birkenbihl-Methode beruht auf vier Lernschritten. Ich gebe im Folgenden einen Überblick über die einzelnen Schritte. Später werde ich selbstverständlich wesentlich tiefer darauf eingehen und Ihnen für jeden Schritt erprobte Praxistipps anbieten.
Erster Schritt: Dekodierung
Einsteiger: Ein Text, der auch als Hörtext vorhanden ist, wird fertig dekodiert (wortwörtlich übersetzt) abgegeben. Die Lernenden markieren die für sie neuen Wörter. Fortgeschrittene: Der fremdsprachliche Text wird selbstständig wortwörtlich übersetzt.
Zweiter Schritt: Aktives Hören
Die Lernenden haben die Dekodierung vor sich. Sie hören den Text in der Zielsprache und lesen gleichzeitig die Zeile in ihrer Muttersprache, in unserem Fall also die deutschsprachige Zeile. So können die Lernenden den Klang der Wörter mit deren Bedeutung verbinden. Einziges Ziel dieses Lernschrittes ist das Verstehen des Textes auch ohne Dekodierung. Um dies zu erreichen, hören die Lernenden den Text mehrmals. Am Ende dieses Lernschrittes macht es für sie keinen Unterschied mehr, ob der Text in der Zielsprache oder in der Muttersprache gehört wird. Beides wird gleich gut verstanden.
Dritter Schritt: Passives Hören
Der Hörtext, den die Lernenden schon verstehen, wird nun passiv gehört. Der Hörtext läuft in einer Endlosschleife leise im Hintergrund. Bewusst sind die Lernenden mit etwas ganz anderem beschäftigt. In dieser Phase werden die Nervenbahnen gefestigt. Durch die vielen unbewussten Wiederholungen verinnerlichen die Lernenden den Wortschatz, die Aussprache, die Satzmelodie und abstrahieren ganz nebenbei die Grammatikregeln.
Vierter Schritt: Aktivitäten
Jetzt sind im Gehirn die erforderlichen Nervenbahnen für die Aktivitäten bereit. In diesen letzten Lernschritt fallen alle Aktivitäten, also Lesen, Schreiben, Sprechen. Zu den Aktivitäten gehören auch Übungen aus dem Schulbuch (Texte, Arbeitsblätter, Übungen etc.).
Wenn Sie die Birkenbihl-Methode im Unterricht (oder zu Hause) ergänzend einsetzen, leisten Sie Vor- statt Nachhilfe. Sie durchlaufen Schritt eins bis drei, bevor der Text mit dem dazugehörigen Wortschatz im Lehrmittel auftaucht. Zu diesem Zeitpunkt sind die Lernenden bereits beim vierten Schritt angelangt und haben garantiert ein Erfolgserlebnis. Die Übungen im Schullehrmittel fallen ihnen leicht, sie können sich aktiv an der Lektion beteiligen und werden von ihrem eigenen Erfolg stets aufs Neue motiviert. Erreicht haben Sie dies als Lehrperson durch die Kombination der Inhalte des Schullehrmittels mit dem strukturierten Vorgehen nach der Birkenbihl-Methode.
1. Frage:
Gibt es Studien, welche belegen, dass die Birkenbihl-Methode funktioniert?
2. Frage:
Wer hat eigentlich die herkömmliche Art des Sprachenlernens erfunden?
Schlagen Sie die Antworten hinten im Buch nach (ab hier)
Wissen und Können
Sprachenlernen wird im Laufe der obligatorischen Schuljahre zur »Pflicht«, leider schnell zu einer »lästigen Pflicht«. Doch woher kommt es, dass so viele Schülerinnen und Schüler nach einigen hundert Lektionen voller Vokabeln und Grammatikregeln die Zielsprache in der Praxis kaum anwenden können? Die Antwort ist einfach und kurz: (Auswendig) gelerntes Wissen hat mit Können direkt nichts zu tun. Unser Gehirn verarbeitet die Lernbereiche des Wissens und Könnens völlig unterschiedlich. Ich erkläre Ihnen wie:
Wissen
Wissen heißt, im Gehirn zu einem Thema oder Fachgebiet spezifische Informationen gespeichert zu haben. Zum Bereich des Wissens gehört alles, was Sie in folgenden Satz einfügen können: »Ich weiß Bescheid über …«. Zum Beispiel: Ich weiß Bescheid über ein Volk, ein Land, eine Tierart, eine Theorie oder über ein geschichtliches Ereignis. Wissen eignen Sie sich mit Büchern, Zeitschriften, Internet und an Vorträgen an. Dabei spinnen Sie ein »Wissensnetz«. Je mehr Fäden Sie zu einem Thema bereits im Netz haben, desto leichter fällt es Ihnen, neue Fäden daran anzuknüpfen. Je mehr Sie also bereits wissen, umso einfacher ist es, neues Wissen damit zu verbinden.
Deshalb ist der Lernkurvenverlauf hier exponentiell. Zu Beginn (dort, wo die Kurve noch flach ist) ist das Lernen ganz neuer Inhalte noch schwer, denn Sie haben erst wenige Fäden zum Thema in Ihrem Wissensnetz. Je mehr Sie aber zum Thema wissen, desto leichter fällt es Ihnen, an das bestehende Wissen anzuknüpfen. Länger an einem Thema dranzubleiben, lässt die Lernenden erfahren, dass eben nur der Anfang schwer ist und das Lernen schon bald leichter wird!
Können
Können heißt, eine Tätigkeit gut ausüben zu können. In den Lernbereich des Könnens gehören all jene Tätigkeiten, die Sie in den folgenden Satz einfügen können: »Ich kann …«. Zum Beispiel: Ich kann Klavier spielen, Fußball spielen, Haare schneiden … und ich kann Texte mit dem Zehnfingersystem tippen. Auch zu diesem Bereich gibt es eine schöne Metapher. Sie stammt von Manfred Spitzer, Hirnforscher am Universitätsklinikum in Ulm. Er spricht von Trampelpfad und Autobahn. Wenn Sie auf einem beliebigen Musikinstrument zum ersten Mal einige neue Takte eines Musikstückes üben, dann sind Sie noch langsam und haben erst einen Trampelpfad zur Verfügung. Im Gehirn existiert erst eine sehr schmale neuronale Verbindung. Üben Sie nun weiter, dann wird dieser Pfad immer breiter. Wenn die eingeübte Sequenz dann ganz automatisch läuft, haben Sie sinnbildlich eine Autobahn gebaut.
Die Lernkurve des Könnens unterscheidet sich von jener des Wissens maßgeblich. Beim Zuwachs von Können haben wir jeweils einen steilen Anstieg, dann einen kleinen Abfall und schließlich eine längere Plateau-Phase. Georg Leonard rät uns, das Plateau – also genau die Phase, in der wir den Eindruck haben, dass es nicht weitergeht und dass das Lernen stillzustehen scheint – zu lieben (Leonard 2006, S. 47). Eines Tages wird kontinuierliches Training mit einem weiteren steilen Anstieg belohnt.
Wie kommt es zu diesen Plateau-Phasen? Wenn Sie eine Tätigkeit trainieren, werden die bestehenden neuronalen Verbindungen im Gehirn immer stärker gefordert. Irgendwann sind die Trampelpfade aber für den Verkehr, der hier durch soll, zu schmal. Wenn dies über einen größeren Zeitraum der Fall ist (konsequentes und wiederholtes Training), wird gewissermaßen eine Baustelle eröffnet. Die metaphorische Straße wird verbreitert, planiert und mit einem frischen Belag versehen. Während der Bauphase scheint das Lernen stillzustehen. Die Plateau-Phase wird spürbar. Sobald jedoch die neue, nun breitere Straße eröffnet wird, geht es plötzlich wieder merklich besser vorwärts. Es gibt den erwähnten steilen Anstieg auf der Lernkurve des Könnens, denn jetzt passt dank der verbesserten Verbindungen natürlich wieder mehr Verkehr hindurch.
Die Plateauphasen und die steilen Anstiege wechseln sich immer wieder ab. Mal sind die Kurven steiler – manchmal sind die Plateaus länger – dies verändert sich immer etwas. Wichtig ist: Sie müssen auch in der Plateau-Phase weiter trainieren, um den Lernreiz aufrechtzuerhalten und dadurch einen neuen steilen Anstieg zu erreichen. Wenn nicht mehr geübt wird, wachsen die Pfade bald wieder zu. Das Gehirn funktioniert nach dem bekannten Prinzip: »Use it or lose it.« Jeder und jede wird hierzu passende Beispiele aus dem eigenen Erfahrungsschatz beisteuern können.
Dank bildgebender Verfahren können Hirnforscher heute darstellen, welche Gehirnregionen bei bestimmten Tätigkeiten besonders aktiv sind und dass verschiedene Regionen bei derselben Tätigkeit aktiv sein können. Ebenso offensichtlich ist, dass Können und Wissen im Gehirn völlig unterschiedlich verarbeitet und gespeichert werden. Dies bemerken Sie rasch, wenn Sie jemandem, der noch nie ein Fahrrad gesehen hat, alles nachlesbare Wissen zum Thema Fahrradfahren vermitteln: Die verschiedenen Typen und Größen von Fahrrädern, die Namen der einzelnen Teile, die Berechnung der Übersetzung, die Statik des Rahmens, den Reifendruck und den daraus resultierenden Abrollwiderstand, die Materialeigenschaften der eingesetzten Werkstoffe, die Hebelwirkung der Bremsgriffe und die Kraft, welche die Bremsbacken dadurch ausüben, sowie die daraus resultierende Bremswirkung, den optimalen Neigungswinkel beim Fahren von Kurven mit unterschiedlichen Radien bei verschiedenen und so weiter. Der Lernende weiß vielleicht bald alles über Fahrräder – aber wird er auch Fahrradfahren können? Kreuzen Sie die richtige Antwort an.
◽Ja
◽Nein
Sollten Sie auf diese Frage mit einem überzeugten »Ja« geantwortet haben, sind Sie vielleicht davon ausgegangen, dass unser Musterschüler heimlich Fahrradfahren geübt hat. Freuen Sie sich: Sie sind auf dem richtigen Weg. Wenn Sie jedoch tatsächlich davon ausgegangen sind, dass unser Proband sich ohne zu üben auf das Fahrrad gesetzt hat und sofort hervorragend fahren konnte: Suchen Sie sich doch vielleicht eine der obigen Beschreibung entsprechende Versuchsperson, führen Sie den beschriebenen Versuch durch und lesen Sie hier unbedingt weiter.
Die richtige Antwort lautet nein. Stellen Sie sich vor, dass unser ganzes Wissen im Gehirn auf dem »Dachboden« abgelegt wird. Dort stapeln sich die Kisten, Truhen und Schubladen. Und stellen Sie sich nun vor, dass alles, was das Können (also Tätigkeiten) betrifft, im Keller unseres Gehirns erarbeitet und aufbewahrt wird, denn da stehen unsere Trainingsgeräte. Wie Sie vielleicht schon wissen, werden Tätigkeiten durch Training gelernt und schließlich perfektioniert. Dies betrifft die Fußballspielerin ebenso wie den Klaviervirtuosen.
Beantworten Sie bitte die folgende Frage, bevor Sie weiterlesen: In welchen Bereich gehört das Sprachenlernen vor allem? Wissen oder Können?
◽Wissen
◽Können
Der folgende Hinweis wird Ihnen sofort Klarheit verschaffen: Sagen Sie üblicherweise »Ich weiß Englisch« oder doch eher »Ich kann Englisch«?
Sprache wird jedoch häufig so vermittelt und gelernt, als ginge es um das reine Wissen zu einem Thema. Deshalb werden Vokabeln gebüffelt und das Anwenden bestimmter Grammatikregeln für die Prüfung gelernt. Es ist kein Zufall, dass in Internetforen gefragt wird, ob und wie man 1000 Vokabeln in einer Woche lernen kann. Und all die auswendig gelernten Vokabeln landen – bildlich gesprochen – auf dem Dachboden und setzen dort recht schnell Staub an. So wissen wir dann vielleicht gerade noch, dass Tisch »table« heißt. Da wir dieses Wort aber erst bewusst vom Dachboden holen müssen (was hieß noch gleich Dachboden auf Englisch?), ist eine bestimmte und vielleicht sehr wichtige Situation schon längst vorbei, bis wir uns dazu hätten äußern können. Denn wir stehen im Keller bei den unbenutzten Trainingsgeräten – aber da ist nichts. Wir haben alle Wörter einzeln abgepackt und in Schubladen auf dem Dachboden eingelagert. Remo Largo schreibt in seinem Buch »Wie Kinder lernen«:
Kindgerechtes Lernen, das zu nachhaltigem Begreifen führt, wird in der Schule leider zu wenig gefördert. Hier wird viel zu viel auswendig gelernt und innerhalb kürzester Zeit auch wieder entsorgt, wodurch der Unterrichtsstoff nie wirklich als bleibendes Wissen verinnerlicht wird. Viele Eltern und Lehrer glauben irrtümlicherweise, Auswendiglernen führe zu guten Noten und bestandene Prüfungen garantierten Kompetenzen. Nachhaltiges Lernen besteht jedoch darin, dass durch eigenständige Erfahrungen neues Wissen und neue Fähigkeiten mit vorhandenem Wissen und vorhandenen Fähigkeiten verknüpft werden. (Largo 2010, S. 65)
Ich selbst hatte immer gute Noten in Französisch und Englisch. Ich erinnere mich aber auch noch sehr gut an meine Ängste im Schulzimmer. Im Französischunterricht haben wir alle jeweils die Sätze abgezählt, damit wir rechtzeitig wussten, mit welchem Satz der Grammatikübung wir später an der Reihe waren, um bloß keinen Fehler zu machen. Die übrigen Sätze hatten wir in der Anspannung dann vollständig ausgeblendet. Ich konnte sehr gut Vokabeln auswendig lernen und schnitt in Prüfungen auch bei der Anwendung der prüfungsrelevanten Grammatikregeln stets gut ab. Doch die Sprache sprechen konnte ich trotzdem nicht. In meinem Zwischenjahr in Lausanne habe ich wochenlang kaum gesprochen. Ich wusste, dass ich kaum Französisch sprechen konnte und war während der Schulzeit in der Ansicht bestärkt worden, dass ich keine Fehler machen darf. Lag der Fehler bei meinen Lehrern? Als ausgebildete Lehrerin sehe ich dies heute folgendermaßen: Wir Lehrpersonen lehren so, wie wir es selbst in unserer Schulzeit erfahren haben und wie es uns während unserer Ausbildung gezeigt wurde. Wir imitieren das, was wir in unserer eigenen Schulzeit im Klassenzimmer erlebt haben. Und als Lehrpersonen sind wir sogar besonders lange zur Schule gegangen. »Studenten werden später so Schule halten, wie sie unterrichtet worden sind« (Largo 2010, S. 153). Seit Konfuzius wissen wir: »Wer einen Fehler gemacht hat und ihn nicht korrigiert, begeht einen zweiten.«Wer also überzeugt am Irrtum des sinnvollen Paukens festhält, verbreitet ihn weiter. Lassen Sie uns aus diesem Teufelskreis ausbrechen und endlich gehirn-gerecht lernen!
3. Frage:
Warum verbietet die Birkenbihl-Methode das Pauken von Vokabeln?
Schlagen Sie die Antwort hinten im Buch nach (S. 143)