Geliebtes Glückskind Florian - Regine König - E-Book

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Regine König

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Beschreibung

In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkinder" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Ihre Lebensschicksale gehen zu Herzen, ihre erstaunliche Jugend, ihre erste Liebe – ein Leben in Reichtum, in Saus und Braus, aber oft auch in großer, verletzender Einsamkeit. Große Gefühle, zauberhafte Prinzessinnen, edle Prinzen begeistern die Leserinnen dieser einzigartigen Romane und ziehen sie in ihren Bann. »Wenn daraus nichts wird, Karl, dann kenne ich mich nicht mehr auf dieser Erde aus!« Die grauhaarige Anna, langjährige Beschließerin bei der Gräfin Birkenbach, wiegte den Kopf bedächtig hin und her. »Es wäre ein Segen, ein Gottesgeschenk!« Sie faltete ganz fromm die Hände. »Der liebe Gott macht auch manchmal wieder etwas gut.« »Pst, Frau Anna!« Karl flüsterte es beinahe erschrocken. Er war der Meinung, man solle den lieben Gott nicht gleich ins Gespräch bringen. ER führte so seltsame Wege. Und manchmal – ja, manchmal war man als so ein ganz einfacher Diener, wie es Karl war, nicht ganz zufrieden mit Ihm. Weshalb zum Beispiel ließ ER es zu, daß vor Jahren die Eltern der kleinen Komteß Marianne von Birkenbach bei einem Flugzeugunglück ums Leben kamen? Gewiß, das Mariannchen besaß eine Großmutter, wie es selten Großmütter gab. Aber – darauf versteifte sich Karl immer wieder – Eltern waren noch besser als die besten Großmütter. Mochten die Leute sagen, was sie wollten. »Na«, erklärte in diesem Augenblick Frau Anna, »man wird doch noch sagen dürfen, was man meint. Und es wäre wirklich ein Glück für unser Mariannchen, wenn es sich glücklich verheiratete.« Sie ist erst siebzehn Jahre. Sie ist noch ein Kind, wollte Karl sagen. Sieh sie dir an, wie sie tanzt, lacht und singt.

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Fürstenkinder – 20 –

Geliebtes Glückskind Florian

Er sucht sich seinen neuen Papi selbst aus

Regine König

»Wenn daraus nichts wird, Karl, dann kenne ich mich nicht mehr auf dieser Erde aus!«

Die grauhaarige Anna, langjährige Beschließerin bei der Gräfin Birkenbach, wiegte den Kopf bedächtig hin und her.

»Es wäre ein Segen, ein Gottesgeschenk!« Sie faltete ganz fromm die Hände.

»Der liebe Gott macht auch manchmal wieder etwas gut.«

»Pst, Frau Anna!«

Karl flüsterte es beinahe erschrocken. Er war der Meinung, man solle den lieben Gott nicht gleich ins Gespräch bringen. ER führte so seltsame Wege. Und manchmal – ja, manchmal war man als so ein ganz einfacher Diener, wie es Karl war, nicht ganz zufrieden mit Ihm. Weshalb zum Beispiel ließ ER es zu, daß vor Jahren die Eltern der kleinen Komteß Marianne von Birkenbach bei einem Flugzeugunglück ums Leben kamen? Gewiß, das Mariannchen besaß eine Großmutter, wie es selten Großmütter gab. Aber – darauf versteifte sich Karl immer wieder – Eltern waren noch besser als die besten Großmütter. Mochten die Leute sagen, was sie wollten.

»Na«, erklärte in diesem Augenblick Frau Anna, »man wird doch noch sagen dürfen, was man meint. Und es wäre wirklich ein Glück für unser Mariannchen, wenn es sich glücklich verheiratete.«

Sie ist erst siebzehn Jahre. Sie ist noch ein Kind, wollte Karl sagen. Sieh sie dir an, wie sie tanzt, lacht und singt. Ein süßes Geschöpf, gewiß! Jeder Mann könnte ihr nachschauen. Aber zum Heiraten ist sie zu jung, ganz einfach zu jung!

Marianne von Birkenbach feierte ihren Geburtstag. Und die alte Gräfin Birkenbach, ihre Großmutter, bei der sie aufgewachsen war, gab der kleinen Enkelin zu Ehren ein Fest.

Ein Zufall mochte es sein, daß der Wiener Vetter Ludolf Graf von Tarzky anwesend war. Oder glaubte die alte Gräfin Birkenbach, daß sie ein wenig schützend die Hand legen müßte über diese Kinderfreundschaft, die Marianne und Ludolf verband? Manches Frühjahr hatte Marianne in Wien verbracht. Manchen Sommer der heranwachsende Ludolf am Niederrhein im Haus der Großtante.

Sie hatten miteinander gespielt, sie hatten in einem Winter gemeinsam Tanzstunde genommen. Auch Ludolf war Waise wie Marianne. Sie hatten sich geneckt, sie hatten gemeinsame Streiche ausgeheckt. Und niemand war ihnen je gram gewesen. Man respektierte die kleine, zarte Marianne, und vor dem charmanten Lachen des jungen Ludolf wurden alle Herzen weich.

Glückskinder! urteilten die Bedächtigen in der international versippten Familie.

Man muß das Glück hegen und pflegen bis zum richtigen Zeitpunkt. Alles muß reifen! dachte in diesen Jahren, in denen aus der kindlichen Marianne ein junges Mädchen wurde, die alte Gräfin Birkenbach.

Oder war sie noch immer ein Kind geblieben?

»Luderl, los, fang mich!« Marianne schlug dem Vetter herausfordernd auf die Schultern.

Sie hatte mit ihm schon den vierten Tanz nacheinander getanzt. Er tanzte gut, verstand auch zu führen. In seinem Arm glitt man dahin, als gehörte man für immer zusammen. Es gab keine Hindernisse.

»Langweilt’s dich auch hier, Spatzerl? Was die sich nur alle denken! Und wie sie gucken!«

»Weshalb gucken sie nur?« Mariannes große blaue Augen hefteten sich auf den lausbübischen Vetter, der sie ganz dicht an sich zog. Ihr sehr schmales und zartes Gesichtchen färbte sich ein wenig rot.

»Weißt du’s nicht, Schatzerl?« Ludolf neigte sein heißes Gesicht zu der kleinen Base. »Die erwarten doch alle etwas von uns!«

»Was denn?« Marianne schaute völlig unschuldig in das Gesicht über ihr. Es war nicht das Gesicht eines erwachsenen Mannes, sondern das eines Lausbuben, mit dem man Streiche bestehen konnte, aber kein Leben.

»Das sag ich dir draußen, drunten am Strom!«

Ludolf von Tarzky fühlte sich plötzlich erhaben über die unschuldige Base, deren rechte Hand nur wie die einer kleinen Tanzstundenfreundin in seinen Fingern lag.

»Mariandl – etwas sagen möchte ich dir. Nur nicht hier auf der Terrasse, wo alle tanzen und wo jeder uns sieht. Mariandl, kommst du mit mir? Es ist auch so heiß hier. Drunten in den Wiesen am Strom ist’s kühler. Vom Strom steigt immer ein wenig Kühle auf.«

»Kühle?« Marianne lachte. Ihr kleines Gesicht war lebendig in einem kindlichen Übermut.

»Fang mich, Luderl! Ich bin doch schneller unten am Strom als du.«

Bei diesen Worten nahm sie die hochhackigen winzigen Goldbrokatschuhe in die Hand. O je über diese Hacken! Marianne trug sie nur, weil Großmama gepredigt hatte, daß man mit 17 endlich einmal loskommen mußte von den flachen Sandaletten. Aber sie drücken mich, diese Schuhe! dachte Marianne, während sie davonlief.

Die schloßähnliche Villa der Gräfin Birkenbach öffnete den riesigen gepflegten Garten zu den Wiesen am Strom. Zweimal klappte das Törchen, das den Garten von den Wiesen trennte.

»Fang mich!« Kindlich klang die Stimme der kleinen Marianne.

Ludolf von Tarzky begann zu keuchen. Nicht, weil er nicht Schritt halten konnte mit der kindlich Entfliehenden, sondern weil etwas in ihm aufbegehrte, das über Jugendfreundschaft hinauswuchs.

Der kleine, blondlockenschopfige Graf aus Österreich wuchs in diesen Minuten, in denen er Marianne nachlief, zum Mann.

Nur, daß die kindliche Marianne es nicht wußte, auch nicht wahrnahm, als er jetzt endlich keuchend neben ihr in den Rheinwiesen niedersank, sie neben sich zog.

»Mariandl – lieb hab ich dich! Und ich kann nicht ohne dich leben.«

»Kannst du nicht?!« wollte sie kindlich spotten. Aber Ludolf küßte ihr jedes Wort von den Lippen.

»Schatzerl, Süßes! Mach keine Sperenzien!«

»Sperenzien? Welche?« Mariannes große blaue, noch so kindliche Augen waren auf den Vetter gerichtet. Sie verstand dies alles nicht. Weshalb nur streichelte der Lui, der Luderl, sie plötzlich?«

»Du, so darf man das nicht machen!« wehrte sie sich.

»Doch, man macht’s, wenn man sich liebt!« antwortete Ludolf. »Weißt du, Schatzerl, ich hab dich so lieb. Und, nicht wahr, du heiratest mich? Wir haben doch seit eh und je zusammengehört.«

Marianne nickte. Ein Leben ohne den Vetter aus Wien konnte sie sich wirklich nicht vorstellen.

»Schatzerl, Süßes!«

Marianne fühlte jäh, wie ihr der Atem ausging. Oh, sie konnte erneut laufen! Aber da war dies andere. Eine ganz verrückte, herzklopfende Angst.

Oder war es nicht Angst?

War es etwas anderes? Etwas, das plötzlich erregte, etwas, das noch keinen Namen besaß?

»Luderl!« Marianne sank vorn am Strom auf einem großen Stein zusammen. »Luderl, ich muß Atem schöpfen!«

»Schöpf nicht Atem, Mariandl. Mariandl, süßes Mariandl!«

Ludolf kannte sich selbst nicht mehr. Er hatte viele Mädchen geküßt. Oh, er war kein Heiliger! Sein Blut war heiß. Niemals aber hatte er ein Mädchen geliebt wie diese kleine Base vom Niederrhein, mit der er die schönsten Kinder- und Jugendtage verlebt hatte.

»Mariandl, ich liebe dich. Immer wollen wir zusammengehören!«

Das Mädchen fühlte die Worte über sich hinauswachsen. Sie wußte selber nicht, wie ihr geschah. Alles schien wie ein Spiel. War nicht das ganze Leben ein Spiel?

»Luderl!« flüsterte die kleine Marianne in den Wiesen des Niederrheins. »Wir gehören zusammen!«

»Für ewig!« sagte der Mann mit dem blonden Lockenschopf, während er sich über das Mädchen mit dem kindlich auf die Schultern fallenden Goldhaar neigte.

Später wußte Marianne nicht zu sagen, wie das Unglück geschah. Sie wußte nur, daß drunten in den Rheinwiesen ein Fischerboot lag. Und es war Vollmond.

»Bei Vollmond muß man aufs Wasser fahren!« hatte Luderl gesagt. »Auf dem Wasser ist es schön. Auf dem Wasser leben noch die Märchen!«

Marianne war wie betäubt gewesen. Sie war in den schweren Nachen eingestiegen, den ein Fischer am steinigen Ufer vertäut hatte.

Und dann war die Strömung gekommen, diese unbekannte Strömung. Der Kahn war umgeschlagen. Und der kleine Graf aus Wien war untergetaucht in dem gewaltigen Strom des Rheins.

Marianne konnte schwimmen.

Hatte man die Kunst des Schwimmens einem Wiener nicht beigebracht?

»Luderl!« flüsterte Marianne nur, als sie, am Ufer hockend, endlich den Körper des Vetters auftauchen sah. »Luderl!«

Sie dachte dabei an des blondlockigen Vetters Umarmung. Es war so zauberhaft gewesen. Ein Spiel! Spiel galt für Kinder. Nichts Böses konnte daraus entstehen.

Oh, Luderl!

Die kleine Komteß Birkenbach weinte, als man den ertrunkenen Vetter bestattete. Sie trug sich schwarz. Sie war sehr blaß. Und nicht nur Frau Anna und Karl wiegten mitleidig, bedauernd die Köpfe. Jeder hatte Mitleid.

*

Die alte Gräfin Birkenbach war eine kluge Frau. Sie wußte, daß die Zeit auch Vergessen bringen kann. Sie sprach nicht davon, wenn sie Marianne betrachtete. Sie glaubte nur an die Zeit, die heilte.

»Kleines Mädchen«, sagte sie einmal, »du mußt dies alles vergessen. Keiner kann auf dieser Erde leben, wenn er nicht vergessen kann!«

Das klang ein wenig frivol, war aber von Herzen gut gemeint. Das Leben ging nun einmal weiter. Keiner konnte sich in die Speichen des dahinrollenden Lebensrades werfen.

»Vergessen?« Marianne schaute zu der Frau auf, die ihr eine unbeschwerte Kindheit gewährt hatte. »Großmama – was soll ich denn vergessen?«

»Den Luderl!« erklärte die alte Gräfin Birkenbach streng. »Es gibt auch noch andere Männer. Und du bist siebzehn Jahre alt. Du bist noch ein Kind!«

Bin ich noch ein Kind?

Viele Nächte lang lag Marianne wach. Sie dachte an jenen Abend in den Rheinwiesen. Sie dachte an Ludi. Und sie dachte an das, was sie bis auf den heutigen Tag nicht recht verstand. Sie dachte an jenes Gefühl, das sie durchströmt hatte. Sie dachte auch an den Luderl, der sie küßte und an all das, was den Küssen gefolgt war.

Lieber Gott – das ist doch das, was man mit Verurteilung bestraft. Lieber Gott – führ mich heraus aus all dem! Ich weiß doch selber nicht, was damals mit mir geschah. Nur Angst habe ich, schreckliche Angst! Was ist nur mit mir?

*

»Meine Ruh, meine Ruh ist hin…«

Wie oft hatte sie nun diese Worte schon wiederholen müssen? Marianne schaute von der kleinen Liebhaberbühne in der riesigen Birkenbachschen Villa in den Saal hinab.

Wer war nur auf diese unselige Idee gekommen, zu Großmamas Geburtstag lebende Bilder aus klassischen Theaterstücken zu stellen? Nein, eben nicht nur Bilder, sondern Bilder mit Worten.

Marianne wußte es selber nicht mehr. Sie wußte nur, daß man sofort nach Großmamas Abfahrt einen Rat im Bekannten- und Freundeskreis gehalten hatte. Man sprach von Feuerwerk und einer Beleuchtung der Rheinwiesen, die unmittelbar an das Birkenbachsche Grundstück stießen.

»Nicht die Wiesen beleuchten!« flüsterte Marianne in die allgemeine Beratung. Keiner aber hörte sie. Alle lauschten nur den Worten dieses jungen Malers, der bereits Weltruf besaß.

Renzo Graf von Hattenbroech war weitläufig versippt mit den Birkenbachs, aber so entfernt, daß man ihn nicht mehr duzte.

Man hielt es allgemein für einen besonderen Glücksfall, daß dieser Mann mit den dunklen Augen und dem noch viel dunkleren Haar gerade jetzt aufgetaucht war. Denn er gab sich nicht nur als geschickter Bühnenmaler, sondern auch als talentierter Regisseur.

»Und wenn’s so weitergeht«, erklärte er in diesem Augenblick, »habe ich nicht eine einzige Stunde Zeit für meinen Auftrag.«

Er sollte für die benachbarte große Stadt einen Festsaal ausschmücken.

»Und nun komme ich zu keinem einzigen Pinselstrich wegen dieses Gejammers!« Er wies ungeniert auf die Bühne, auf der Marianne sich mit dem Monolog des Gretchens aus »Faust« nun schon seit einer halben Stunde quälte.

»Meine Ruh ist hin… hin… meine Ruhe…«

»Maleficio! Zum Teufel!« Renzo von Hattenbroech fluchte plötzlich. »Meine Ruhe ist auch hin! Kann man denn nicht ein anderes Gretchen finden? Komteß – allen Respekt vor Ihrem schönen Goldhaar und den Veilchenaugen –«, seine Stimme klang scharf, ausfallend und spöttisch –, »aber das Gretchen hab ich mir anders vorgestellt. Mädchen, beim Himmel, versuchen Sie sich doch einmal in Gretchens Lage zu versetzen.« Aber Graf Renzo winkte plötzlich ab. »Dazu ist die so schrecklich behütete hochwohlgeborene Komteß Marianne von Birkenbach wohl nicht fähig.«

Der Mann war mit einem Satz auf die Bühne gesprungen, stand jetzt ganz nahe vor dem zitternden Mädchen, das ein paar Schritte zurückgewichen war. »Ich glaube, kleine Gans, Sie müßten mal erst selber verführt werden, um mit Anstand die großen Worte von der dahingeschwundenen Ruhe sprechen zu können. Am liebsten würde ich… ja, nachhelfen möchte ich!«

Da brach sie zusammen. Hätte Graf Renzo sie nicht in seinen Armen aufgefangen, wäre sie zu Boden gestürzt.

»Graf!« erklärte die alte Baronin Grevenstrahl. »Ich denke, wir sollten Marianne eine Ruhepause gönnen. Sie ist ja völlig erschöpft.«

Die Baronin gehörte dem kleinen Ausschuß an, den man für die Vorbereitungen zu der Geburtstagsfeier zusammengerufen hatte. »Oder was meinen Sie, Doktor?«

Bis jetzt hatte Prof. Richard Graf von Hattenbroech ganz ruhig, beinahe unbemerkt, in der Ecke des Saales gesessen, in die kein Licht einfiel. Er hatte den Vetter, der sich

als Regisseur erregte, beobachtet, wie auch das Mädchen auf der Bühne.

Ein paarmal hatte er aufspringen wollen, um Graf Renzo zu beruhigen. Welch Hitzkopf der Jüngere doch war! Aber so verhielt er sich ja stets. Richard von Hattenbroech hatte so manche Urlaubswoche mit dem anderen im Tessin verbracht. Dort war Renzo zu Hause, dort gehörte er hin. Hier am Niederrhein fiel sein ungezügeltes Temperament auf. Die Baronin Grevenstrahl war nicht die einzige im Festausschuß, die manchmal Einhalt gebot.

Und dabei ist er nicht zu übertreffen! durchfuhr es den ruhigen Richard von Hattenbroech, der gegen die Überlieferung der Familie aus Leidenschaft Medizin studiert hatte und schon in verhältnismäßig jungen Jahren Professor geworden war. Im vergangenen Jahr hatte er, der als Frauenarzt bereits einen internationalen Namen besaß, eine eigene Klinik eröffnet.

»Na bitte!« Droben auf der Bühne hielt Graf Renzo noch immer die wie leblose Marianne im Arm.

»Das Gretchen ist ohnmächtig geworden.«

»Wahrscheinlich hat ihr selbst der Teufel ein freundlicheres Gesicht gemacht als du!«

Richard von Hattenbroech stand nun neben dem Vetter. »Übrigens – Ohnmächtige hält man nicht so wie du!«

»Teufel auch!« Der andere fluchte temperamentvoll. »Schließlich bin ich ja kein Krankenträger und Sanitäter. Ich bin gewohnt, Frauen anders im Arm zu halten.«

Er kam in seinen Ausführungen, deren Ausmaße die Baronin Grevenstrahl bereits fürchtete, da ja junge Mädchen im Saal waren, nicht weiter.

Prof. Richard Graf von Hattenbroech hatte selber Marianne auf den Arm gehoben.

Eine wirklich tiefe Ohnmacht! Prüfend schaute der Mann in dieses Gesichtchen, das jetzt gegen seine Brust gebettet lag. Ein zauberhaft süßes Gesichtchen, trotz der namenlosen Angst, die es auch in der Bewußtlosigkeit zeichnete.

Der Mann wehrte alle weitere Hilfsbereitschaft ab. »Weiterproben!« erklärte er nur kurz. »Nur kein Aufsehen!«

»Eine verrückte kleine Gans ist sie!« Graf Renzo knurrte wütend. »Also dann… weitermachen!«

*

Nachdenklich schaute Prof. Richard von Hattenbroech auf das Mädchen hinab, das er auf eine Couch gebettet hatte. Er lebte sich förmlich hinein in dies schneeweiße kleine Gesicht. Er sah auch das unruhige Zucken der lose am Körper herabhängenden Hände. Und – er stellte noch etwas anderes fest, etwas, was ihn zutiefst erschütterte.

Mein Gott –, weshalb hast ausgerechnet du diese Gretchen-Szene spielen müssen! Und dann hat Renzo dich auch noch als unfähig beschimpft. Wahrscheinlich konnte niemand diese Szene innerlicher spielen als du. Auch wenn du um deinen Zustand nicht weißt.

Graf Richard nahm seine Wanderung durch den Raum erneut auf, während Marianne auf der Couch müde die Augenlider hob. So schwindlig war ihr! Was bedeutete dies nur alles?

Mühsam richtete sie sich auf, und als sie die Augen hob, schaute sie unmittelbar in die dunklen grauen des Mannes, der ihrem Blick nicht auswich. Gütig waren diese Augen, sehr nachdenklich und ernst. Plötzlich durchflutete Marianne ein Gefühl der Geborgenheit. Auf diesen Mann konnte man sich verlassen. Er war nicht spöttisch wie Graf Renzo, er schalt sie nicht, er setzte sich sogar jetzt neben ihr auf das Ruhebett und nahm ihre kleinen, eiskalten Finger in seine großen, warmen Hände.

»Na, sind wir wieder bei uns?« fragte eine melodische Stimme.

Marianne nickte. »Ja, aber… wie bin ich denn hierhergekommen?«

»Trauen Sie mir nicht zu, daß ich Sie hierhergetragen habe?« Der Mann lächelte ein wenig belustigt.

Sie muß erst ein wenig Boden unter die Füße bekommen, bevor ich sie mit den harten, nüchternen Tatsachen konfrontiere. Sonst bricht sie mir zusammen.

Aber wie –, wie soll ich es ihr schonend beibringen? Gerade jetzt, da ich weiß, daß ich sie liebe, gleich, was vorher mit ihr gewesen ist, fällt mir jedes Wort so schwer.