Und sie wird doch meine Mutti - Regine König - E-Book

Und sie wird doch meine Mutti E-Book

Regine König

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Beschreibung

In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkinder" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Ihre Lebensschicksale gehen zu Herzen, ihre erstaunliche Jugend, ihre erste Liebe – ein Leben in Reichtum, in Saus und Braus, aber oft auch in großer, verletzender Einsamkeit. Große Gefühle, zauberhafte Prinzessinnen, edle Prinzen begeistern die Leserinnen dieser einzigartigen Romane und ziehen sie in ihren Bann. »Melde gehorsamst – angetreten drei Reiter ohne Pferd. Pferde sind unten im Hof vorgeführt. Ausritt ohne Begleitung genehmigt!« »Danke!« Lebrecht Graf von Wetterstein nickte kurz und militärisch. Man merkte ihm den pensionierten General an. Unter seinen weißen, buschigen Augenbrauen blitzten die durchdringend hellen, blauen Augen. »Erbitte mir aber Disziplin. Verstanden?« Ganz dicht trat er jetzt auf den Meldenden zu. Der stand ganz wie Gewehr bei Fuß da, eine ganz schmale, fast zarte Gestalt im Reiteranzug. Beinahe goldenes Haar lag kurz geschnitten um den feinen Kopf. Das kleine Gesicht war beherrscht von großen opalisierenden Augen, von denen noch keiner festgestellt hatte, ob sie blau oder grünlich waren. »Also Disziplin, Nick!« wiederholte die militärische Stimme des alten Generals, der es trotz der metallenen Schärfe nicht an jener verhaltenen Güte mangelte, die ihn bei aller Härte seinen Untergebenen immer wie ein Vater hatte erscheinen lassen. »Zu Befehl!« Der zierliche Kopf mit dem Goldhelm neigte sich. Und hinter ihm gab ein dunkler und ein blondlockiger Kinderkopf ein Echo. »Prachtvoll! Lebrecht Graf von Wetterstein schaute von einem der kindlichen Gesichter zum anderen.

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Fürstenkinder – 24 –

Und sie wird doch meine Mutti

... denn sie heiratet den wilden Jäger!

Regine König

»Melde gehorsamst – angetreten drei Reiter ohne Pferd. Pferde sind unten im Hof vorgeführt. Ausritt ohne Begleitung genehmigt!«

»Danke!«

Lebrecht Graf von Wetterstein nickte kurz und militärisch. Man merkte ihm den pensionierten General an.

Unter seinen weißen, buschigen Augenbrauen blitzten die durchdringend hellen, blauen Augen. »Erbitte mir aber Disziplin. Verstanden?«

Ganz dicht trat er jetzt auf den Meldenden zu.

Der stand ganz wie Gewehr bei Fuß da, eine ganz schmale, fast zarte Gestalt im Reiteranzug. Beinahe goldenes Haar lag kurz geschnitten um den feinen Kopf. Das kleine Gesicht war beherrscht von großen opalisierenden Augen, von denen noch keiner festgestellt hatte, ob sie blau oder grünlich waren.

»Also Disziplin, Nick!« wiederholte die militärische Stimme des alten Generals, der es trotz der metallenen Schärfe nicht an jener verhaltenen Güte mangelte, die ihn bei aller Härte seinen Untergebenen immer wie ein Vater hatte erscheinen lassen.

»Zu Befehl!« Der zierliche Kopf mit dem Goldhelm neigte sich. Und hinter ihm gab ein dunkler und ein blondlockiger Kinderkopf ein Echo.

»Prachtvoll!

Lebrecht Graf von Wetterstein schaute von einem der kindlichen Gesichter zum anderen. Da standen sie vor ihm, im gleichen Reitdreß, seine drei Enkel.

Waisen! sagten die Leute im Dorf mitleidig.

Echte Wettersteiner! verbesserte der alte General stets innerlich.

Weshalb bemitleidete man sie eigentlich, die drei Kinder seines Sohnes? Kam ihnen nicht alles zu, was junge Menschen nötig hatten? Vor allem eine straffe Erziehung?

Da war Nikola, jetzt siebzehn Jahre, dahinter der dunkelschopfige Randolf mit seinen dreizehn Jahren und endlich der blonde Lockenkopf Thomas mit dem noch pausbäckigen Kindergesicht, anzusehen wie ein Engel, wenn man nicht an seine Lausbubenstreiche dachte. Alles echte Wettersteiner! trumpfte Graf Lebrecht auf. Nichts, aber auch gar nichts haben sie geerbt von der Mutter, dieser Plessow, Person ohne Haltung, Person von vollendeter Verweichlichung. Nicht einmal schwimmen hatte sie gekonnt, diese Elisabeth von Plessow. Und diese Verweichlichung hatte jenes entsetzliche Unglück heraufbeschworen, das vor fünf Jahren die kleinen Reiter zu Vollwaisen machte.

Drei Kinder blieben zurück. Und die sollen nicht verweichlichen wie die Mutter! Das hatte sich Graf Lebrecht von Wetterstein geschworen. Auch das Mädchen nicht, dem er jetzt scharf in die opalisierenden Augen blickte.

»Also, Nick, losgeritten! Und präzise zurückgekehrt. Verstanden? Ihr meldet euch eine halbe Stunde vor dem Abendessen!«

»Zu Befehl!« erklärte die schmale Gestalt.

»Abtreten!« befahl Graf Lebrecht. Seine Stimme schnarrte gewollt scharf. Die drei kleinen, schmalen Gestalten wandten sich, jagten endlich nach gemessenem Abstand aus der Halle, die breite Freitreppe hinab, dem Hof zu, auf dem die gesattelten Pferde bereit standen: die kleine Schimmelstute Maja und die beiden ein wenig dickleibigen Islandponys Nordwind und Südwind.

»Prächtige Buben!« lobte Graf Lebrecht. Er stand jetzt am Fenster und beobachtete, wie die Enkel aufsaßen.

»Buben?« Neben die straffe, hünenhafte Gestalt Graf Lebrechts trat eine Frauengestalt.

»Natürlich!« beharrte der Graf eigensinnig. »Prächtige Buben.«

»Und Nick?« Die sanfte Stimme der Baronin Melanie von Holstein, die dem früh verwitweten Grafen von Wetterstein seit Jahrzehnten den Haushalt führte, mahnte vorsichtig.

»Ja, auch Nick!« versteifte sich beinahe grimmig der Mann. »Da, sehen Sie, Frau Baronin, sitzt sie nicht auf wie…«

»Ja, wie ein Junge!« seufzte die Frau leise.

»Die ertrinkt nicht und reißt auch nicht andere noch mit in den Tod!« Graf Lebrecht sah die drei jungen Reiter jetzt wegtraben, die Lindenallee hinab. Nun bogen sie um die Ecke, waren für den Blick verschwunden.

»Nein, sie ertrinkt nicht!« Melanie Baronin von Holstein seufzte trotzdem ein wenig kummervoll. »Herr General, glauben Sie, daß sich das Geschlecht eines Menschen wirklich bis in alle Ewigkeit ausschalten läßt? Nikola ist und bleibt ein Mädchen, und mag sie ausschließlich in Jungenkleidung herumlaufen. Sie ist jetzt siebzehn…«

»Na und…« Über Graf Lebrechts Gesicht zog eine Unmutswolke.

»Nicks Mutter war kaum älter, als sie heiratete.«

»Traurig genug, daß mein Sohn sich so ein Wickelkind geholt hat! Sie kannten Sie doch selbst… rundliches Puppengesicht und schmachtende Augen. Nein, Baronin… da lob ich mir Nick. Sportlich, nichts anderes im Kopf als Pferde, Schwimmen und ein paar verrückte Streiche. Wie ein Bub. Gottlob!«

Melanie von Holstein räusperte sich. Sie wollte etwas sagen, wollte einwenden, daß die Natur sich niemals betrügen ließ.

»Na, Baronin«, Graf Lebrecht wandte sich jetzt vom Fenster ab, klopfte der Frau auf die Schulter, »ich weiß, Frauen wie Sie haben so ihre eigenen Vorstellungen. Mädchen sollen sanft und lieblich sein. Und mit siebzehn sollen sie hold erglühen, wenn sich nur ein Mannsbild von weitem nähert. Wie, ich irre mich doch nicht? Aber Ihr Neffe ist da ganz meiner Meinung. Hart sollen die Kinder heranwachsen. Hart. Und auch Nick…«

Melanie von Holstein schaute an dem alten Grafen vorbei. Sie zögerte, bevor sie es dann doch aussprach:

»Herr Graf, gerade mein Neffe…«

Doch dann brach sie ab. War es bei der vorgefaßten Meinung des alten Herrn nicht überflüssig zu erwähnen, daß auch der Neffe der Baronin, Enno von Holstein, glaubte, Nick sei nun bald dem Bubenleben entwachsen? Weshalb glaubte er es eigentlich? durchfuhr es die Frau am Fenster plötzlich.

Enno von Holstein, von Haus aus wenig begütert, hatte vor drei Jahren die Stelle eines Hauslehrers bei den drei jungen Wettersteinern angenommen. Einesteils, um sich sein weiteres Studium zu verdienen, andererseits aber, um seiner Tante einen Gefallen zu erweisen.

Drei Jahre weilte Enno von Holstein nun schon im Haus. Ihm blieb ausreichend Zeit für eine große, wissenschaftliche Arbeit. Und sein Herz gehörte den drei verwaisten Wettersteinern, denen er Kamerad und großer Bruder bedeutete.

»Da gibt es doch nichts, Baronin?«

Graf Lebrecht trat ganz plötzlich nahe auf die Frau mit dem sanften Gesicht zu. »Wie, da hat doch dieser Kerl, verflixter Kerl, nicht selber entdeckt, daß Nick kein Junge ist?«

Melanie von Holstein lachte ein wenig.

»Er würde es sich nicht erlauben, Herr Graf.«

»Na, Gott sei’s gedankt. Würde auch sonst…« Graf Lebrecht knurrte wie ein gefährlicher Wachhund.

»Trotzdem«, Baronin von Holstein nahm nun allen Mut zusammen –, »sollten Sie Ennos, nun, sagen wir, wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigen. Andere Mädchen in Nicks Alter…«

Da fixierte Graf Lebrecht mit seinen hellen, auf einen ganz schmalen Spalt zusammengezogenen Augen die Frau ganz scharf.

»Ich weiß, andere Mädchen in diesem Alter machen Männern schöne Augen und schreiben Gedichte von liebeskranken Herzen.«

»Ich sagte schon einmal: Die Natur läßt sich nicht verleugnen, Herr Graf!«

Etwas anderes äußerte Melanie von Holstein an diesem späten Mittag nicht mehr, an dem die drei jungen Wettersteiner wie gewöhnlich ins Land hinausgeritten waren.

*

»Hopp, Maja, sei nicht faul!«

Nicks schmales Gesichtchen unter dem wie ein Goldhelm anliegenden Haar glühte. Dicht hatte sie sich über den Pferdehals geneigt.

»Zum alten Flußarm!« Nick wandte sich noch einmal kurz zu den Brüdern um. Sie ritten sonst im gleichen Tempo. Aber heute – heute wollte das Mädchen einmal fliegen, fliegen auf Majas Rücken.

»Hopp, Maja, zeig, was du kannst!«

Und die Schimmelstute jagte dahin. Sie kannte den Weg wie auch das Ziel, das ihre junge Herrin so liebte: den alten, schilfumstandenen Flußarm, in dessen fast silbrig wirkendem Dickicht ungezählte Wasservögel, Hühner, Enten nisteten. Manchmal zog der Fischreiher seine Bahn über dem dunklen Gewässer, in dem die alten Sagen des Landes geheimnisvoll lebendig wurden. Enno von Holstein erzählte gelegentlich von dieser Märchenwelt. Mehr noch aber als sie zog Nick das grün-silbrige Weidengestrüpp an. Aus Weiden konnte eine fachkundige Hand Flöten schneiden, Flöten, denen man einen besonderen, beinahe verzaubernden Ton entlocken konnte.

»Nick, Nick!«

Die beiden Jungen auf den langschweifigen Islandponys strengten ihre Stimme an. Aber sie erreichten die Schwester nicht, die jetzt mit glühendheißem Gesicht am Altwasser stand, bei dem ein wenig morschem Steg, an dem in dem leise plätschernden Wasser ein Kahn befestigt war.

Unser Kahn! durchfuhr es Nick in dem Augenblick, da sie sah, daß ein Fremder in diesem Boot saß.

»Was machst du hier?« fuhr Nick dieses fremde Wesen an. »Das ist unser Kahn!«

Da wandte der kleine unerwartete Gast sein Gesicht, ein böses, kleines Gesicht mit so dunklen Augen, daß keine noch so schwarze Gewitternacht mit ihnen Schritt halten konnte.

»Siehst du das denn nicht?« sagte das Mädchen, das kaum größer als Tom sein mochte.

Nicks Augen folgten der kleinen, mageren Kinderhand, die einen Kreis auf dem Wasser umschrieb.

»Kleine Katzen! Du hast sie ins Wasser geworfen, die Kätzchen, die kleinen, hilflosen Kätzchen?«

Nick schüttelte das Kind im Boot plötzlich heftig an den Schultern. Der Kahn wäre beinahe umgeschlagen. »Du… du… weshalb ertränkst du die Kätzchen?«

»Die sollen fort!« erklärte das Kind mit den nachtschwarzen Augen und einem wilden dunklen Lockengewoge über dem brünetten Gesichtchen.

»Kleine Katzen müssen ertränkt werden.«

»Du… du…« Nick keuchte. Und dann sprang sie mit einem einzigen Satz ins Wasser.

Eins, zwei, drei, vier…

Ein Kätzchen nach dem anderen fischte sie aus dem Wasser heraus, stand dann prustend, keuchend und wasserschnaubend wieder am Steg. Sie sah, daß die jüngeren Brüder inzwischen auch angeritten waren.

»Sie hat die Kätzchen ertränken wollen!« erklärte Nick und wies dann in stummer Anklage gegen das Kind, das aus dem schwankenden Boot auf den Steg getreten war.

»Oh, die armen kleinen Kätzchen!« Der blondschopfige Thomas nahm eines der kleinen Lebewesen nach dem anderen vom Steg, auf den Nick die nassen Tierchen gesetzt hatte, auf und preßte sie an das warme kleine Herz. Leise miauend kamen die Tierchen unter den liebevollen Händen zu sich.

»Du… du Hexe!« stieß Tom plötzlich hervor und betrachtete das fremde kleine Mädchen, das nicht größer war als er selber, feindlich.

»Bin ich auch!« Das fremde, dunkellockige Kind nickte. »Ich bin eine Hexe!«

Hm! Nick räusperte sich jetzt. Das Wasser troff aus ihrer Bluse, die nun sehr eng den zarten Jungmädchenkörper umschloß. Es troff auch aus den Beinen der Reithosen über den hohen Stiefeln.

Das fremde Kind schaute zu Nick auf.

»Ja, eine Hexe bin ich! Der da« – die kleine magere Hand wies auf den rosigen, noch kinderrundlichen Tom – »der da hat recht!«

Randolf hatte bisher dazu geschwiegen. Seine Augen wanderten ein wenig kühl und ruhig abwägend zwischen der großen Schwester, dem kleinen Bruder und dem seltsamen kleinen Mädchen hin und her. Dann meinte er: »Hexen gibt es nicht. Die sind zudem ganz unmodern!«

Da aber lachte das fremde, kleine Mädchen böse auf. »So, das meinst du. Schön dumm bist du. Du weißt natürlich nicht, daß ich meine Mutter umgebracht habe.«

»Deine Mutter?« Randolf trat auf dem morschen Bootssteg jetzt einen Schritt zurück.

»Ja, da fürchtest du dich, wie?« Das fremde Kind lachte wieder schrill.

»Aber es ist wahr. Mama ist gestorben, weil ich geboren wurde.«

Nick wurde ein wenig unsicher. Sie kannte sich nicht aus in dieser Sache Geburt. Keiner hatte sie aufgeklärt. Keiner hatte ihr gesagt, daß eine Mutter bei jeder Geburt ihr Leben einsetzt für das zu erwartende Kind.

»Na, du, das mit der Hexe nehmen wir dir einfach nicht ab!« sagte sie schließlich.

»Aber die nennen mich alle so!« versteifte sich das kleine Mädchen mit den dunklen Locken.

Nachdenklich schaute Randolf auf das fremde Mädchen. »Wenn du kleine Katzen ertränkst, bist du wirklich eine Hexe!« erklärte er ganz ruhig. »Aber die Kätzchen sind nun nicht tot. Du hast es nicht geschafft. Und deshalb bist du eben keine Hexe.«

»Ich heiße aber wirklich Hexe. Ihr könnt es mir glauben, auch mein Papa nennt mich so.«

»Auch dein Papa?« Nick beugte sich ein wenig vor.

»Ja, auch Papa!« bestätigte das fremde Kind.

»Man nennt seine Kinder nicht Hexe!« maßregelte Nick den ihr völlig fremden Papa. »Und du wirst noch einen anderen Namen haben.«

Das Kind, das sich schrecklich einsam vor den drei Geschwistern Wetterstein fühlte, hob das Gesichtchen. »Cornelia heiße ich!« räumte es dann ein.

»Cornelia!« wiederholte Nick. »Ein bißchen lang.«

Der rosige Thomas mit dem blonden Lockenkopf schaute die neue Bekannte beinahe ein wenig kritisch an. »Mit Namen muß das ein bißchen flink gehen!« behauptete er, während er noch immer die Kätzchen an sich drückte. »Großpapa sagt das auch. Der ruft auch nicht Nikola, sondern ganz einfach Nick, und ich bin Tom und heiße auch Thomas. Und Randolf heißt ganz einfach Dolf. Na, und du… du…«

Der blondlockige Thomas rang nach Atem. Sein kleines Hirn konnte nicht den Schlußpunkt unter seine erste große Rede setzen.

Da sagte Nick, während sie sich das Wasser aus den Reithosen ausdrückte: »Na, wir nennen dich Nel. Keine Widerworte, es bleibt dabei. Und niemals ersäufst du kleine hilflose Katzen. Hast du verstanden?«

Das Kind mit dem wirren schwarzen Gelock verschränkte die Hände trotzig hinter den Rücken.

»Und wenn ich es nicht tu? Sagst du dann nicht mehr Hexe wie die anderen? Denn das mit meiner Mama stimmt. Ich habe sie wirklich ermordet.«

Nick war noch immer mit ihrem nassen Anzug beschäftigt.

»Hör auf mit deinen Geschichten, die ich ja doch nicht nachprüfen kann!« erklärte sie energisch. »Für uns bist du Nel. Basta und punktum!« Dann meinte sie zu den Brüdern: »Das Zeug muß trocknen. So am Körper geht es doch nicht. Legt mal zusammen, was ihr entbehren könnt.«

Dolf zog sofort seine Bluse aus. Nick vertauschte sie mit der eigenen. Ein bißchen groß war die Bluse.

»Man sieht eben doch, daß ich schon ein Mann bin!« erklärte der Junge.

»Deshalb kannst du dich wohl auch nicht von deinen Hosen trennen!« Nick fauchte ein wenig.

»Wir wollten doch angeln!« erklärte Dolf jetzt. »Ich habe noch Shorts mit.«

»Natürlich, der erwachsene Herr denkt an alles!« knurrte Nick und verkroch sich hinter das Weidengebüsch, um die Kleider zu wechseln. Nun erinnerte sie wirklich an einen Jungen, als sie sich auch noch mit einem kühnen Schwung das helle Haar ganz glatt zurückstrich.

»Los, Tom, das Angelzeug!« befahl Dolf.

Aber der kleine Bruder schien unabkömmlich bei den Kätzchen. Er hielt sie noch immer im Arm, drückte sein helles kleines Gesicht gegen die in der Sonne trocken und warm werdenden Fellchen.

»Du kannst sie mitnehmen!« erlaubte in diesem Augenblick Nel und hockte sich neben Tom, der auf dem Steg saß und die nackten Füße ins Wasser hängen ließ.

»Darfst du sie denn verschenken?«

Seine großen blauen Augen schauten auf. Sie waren so gut, so kindergläubig. Die kleine Nel hielt sich einen Herzschlag lang die eigenen dunklen zu. Sie hatte niemals Liebe in ihrem Leben erfahren. Niemals hatten Geburtstagslichter auf einem Gabentisch gebrannt oder war ein Weihnachtsbaum aufgestellt. Einmal aber hatte der alte pensionierte Kutscher, dem sie auf ihren regellosen Streifzügen begegnet war, ihr ein Buch gezeigt, ein Buch mit Bildern. Und darin hatte es Lockenköpfe gegeben wie dieser Junge, der kleine Katzen an sein Herz drückte.

»Engel!« hatte der alte Mann gesagt. »Ja, solch goldenes Haar haben die Engel im Himmel!«

Nel hatte die Nase gerümpft. Engel – Himmel – Goldköpfe – das alles waren für sie keine Begriffe. Und nun plötzlich saß dieser Goldschopf vor ihr und hatte Augen wie… ja – wie ein Engel.

»Du bist wohl ein Engel?« fragte sie aus tiefster Überzeugung.

Da lachten die beiden älteren Wettersteiner lauthals heraus. Toms rundes Gesichtchen lief rot an.

»Du hast ja komische Vorstellungen, Nel!« Nick belehrte das Kind, das so seltsam verwildert schien. Denn die zu präziser Ordnung erzogene Nick hatte auf den ersten Blick festgestellt, daß Nels Kleidung völlig verwahrlost war. Knöpfe waren abgerissen, die Ärmel waren schmutzig. Das viel zu kurze Kleid wies schadhafte Stellen auf.

Woher mochte dieses Kind wohl stammen?

Noch ehe sie aber fragen konnte, erklang wütendes Gebell hinter dem Weidengebüsch, das nach einer kurzen Wegstrecke in den Wald führte. Dem Gebell folgte unmittelbar eine Meute von vier riesigen Bluthunden.

Die Islandponys wieherten laut auf, rissen sich los, da sie nur lose angebunden waren. Auch Maja, die kleine Schimmelstute, versuchte sich loszureißen, was ihr aber nicht gelang. Angstvoll bäumte sie sich auf.

»Maja, ruhig, Maja!« Nick war mit einem Sprung bei der treuen Begleiterin ihrer Kinderzeit. Unerschrocken warf sie sich zwischen die edle Schimmelstute und die schaurig bellenden Hunde.

Der kleine Tom, den man vorher für einen Engel gehalten hatte, glitt vom Steg in das Wasser, das ihm bis zu den Hüften reichte. Die Kätzchen aber gab er nicht frei, hielt sie sorgsam über Wasser, damit sie nicht noch einmal mit dem unliebsamen Naß in Berührung kamen. Dolf versuchte, die Schwester zu beschützen. Aber die wie rasenden fremden Hunde verhinderten, daß er bis zu Nick durchdrang.

Nur Nel verhielt sich ganz ruhig.

»Papa!« Nichts weiter sagte das Kind mit den Augen, die zwischen Schwermut und Bosheit irrlichterten. »Das ist Papa!«

»Das sind Hunde!« keuchte der kleine Blondschopf Tom aus dem Wasser am Seg.

Da aber teilte sich das Weidengebüsch, gerade in dem Augenblick, da der rasendste Hund seine Vorderpfoten auf Nicks Schulter legte. Das Mädchen schwankte unter der gewaltigen Last des Tieres. Aber es schien keine Furcht zu verspüren.

»Leg dich, kusch!« befahl Nick. Starr schaute sie den riesigen Hund an. Und das Wunder geschah. Das Tier knurrte zwar noch ein wenig, ließ dann aber ab von der zarten Mädchengestalt, die unter der Wucht des Tieres zu schwanken begonnen hatte.

Nun trat auch der Mann, der durch das Weidengebüsch nicht anders als seine Meute gebrochen war, hinzu. Hochgewachsen war er. Dunkles Haar fiel in die kantige Stirn des schmalen Gesichtes, in dem dunkel, beinahe unheimlich nachtschwarz die Augen glühten. Jetzt zeichnete sich Verwunderung in diesen Augen aus.

»Du kennst dich wohl aus mit Tieren, kleiner Bursche?« fragte eine dunkle Männerstimme. Nick schnaufte.

»Solche Tiere sollten Sie lieber an der Leine halten!« keuchte sie und würgte ihre Angst offensichtlich herunter.

Der Mann lachte. »Solche Hunde braucht man manchmal!« erwiderte er.

»Aber nicht für mich!« schnupfte Nick laut auf. Sie schaute hinab auf die vier riesigen Hunde, die sich nun ganz still zu ihren Füßen niedergelegt hatten.

Plötzlich beugte sie sich hinab, streichelte eines der gewaltigen Tiere nach dem andren.

»Jaja!« sagte sie dabei. »Ihr habt mich wohl nur mit einem Wild verwechselt.«

Die gefährlichen Tiere lagen nun wie gezähmt da.

»Bursche!« sagte dann der Mann. »Du hast eine besondere Hand für Tiere!«

»Ich habe Tiere lieb!« erklärte Nick nur kurz. Sie nestelte das viel zu große Hemd von Dolf zu. »Und schließlich habe ich nichts verbrochen und bin auch kein Wild, auf das Sie Ihre Hunde dressiert haben.«

Völlig unerschrocken sah das Mädchen dem Mann ins Gesicht.

»Schade, daß du nicht mein Sohn bist!« sagte er.