Reite weiter, kleiner Graf - Regine König - E-Book

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Regine König

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Beschreibung

In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkinder" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Ihre Lebensschicksale gehen zu Herzen, ihre erstaunliche Jugend, ihre erste Liebe – ein Leben in Reichtum, in Saus und Braus, aber oft auch in großer, verletzender Einsamkeit. Große Gefühle, zauberhafte Prinzessinnen, edle Prinzen begeistern die Leserinnen dieser einzigartigen Romane und ziehen sie in ihren Bann. »Bist du glücklich, Marianne?« forschte die ein wenig harte Männerstimme. »Unermeßlich, Richard! Niemals habe ich mir träumen lassen, so glücklich sein zu können. Die Liebe ist eben doch das höchste auf dieser Erde!« Die hochgewachsene junge Frau mit dem weizenblonden vollen Haar unter dem Brautschleier lehnte sich an die breite Brust des Mannes. »Du solltest es auch einmal mit der Liebe versuchen, Richard! Mit der echten Liebe, nicht mit dem Flirt!« »Mädchen, du bist sehr klug!« Richard Graf von Plettenberg legte den Arm um die Schwester, mit der er so manche schöne Jugendstunde verlebt hatte, in Westfalen, auf den weiten Besitzungen des Vaters, der jetzt dort drüben im Mittelpunkt eines Kreises von Hochzeitsgästen war. »Daß du einen Wiener hast heiraten können!« Richard Graf Plettenberg schüttelte den Kopf. »Es ist ein so gänzlich anderer Menschenschlag, als wir Westfalen es sind.« »Ein zauberhafter Menschenschlag!« flüsterte die junge Braut und schaute hinüber zu Josef Graf Kagler, dem sie vor wenigen Stunden im Stephansdom ihr Jawort gegeben hatte. Oh, wie sie ihn liebte, den zwar viel älteren, aber so bezaubernden, charmanten Grafen Kagler, der ihr gewiß das Paradies auf Erden bereiten würde! »Du solltest dich einmal unter den Wienerinnen umsehen!« Marianne hob die hellen blauen Augen auf zu dem Bruder, dessen hohe, kraftvoll-schlanke Gestalt sie noch überragte. Seltsamerweise waren seine Augen dunkel wie sein Haar. »Willst du mich verkuppeln?«

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Fürstenkinder – 40 –

Reite weiter, kleiner Graf

Er sehnte sich so sehr nach seinem Vati!

Regine König

»Bist du glücklich, Marianne?« forschte die ein wenig harte Männerstimme.

»Unermeßlich, Richard! Niemals habe ich mir träumen lassen, so glücklich sein zu können. Die Liebe ist eben doch das höchste auf dieser Erde!«

Die hochgewachsene junge Frau mit dem weizenblonden vollen Haar unter dem Brautschleier lehnte sich an die breite Brust des Mannes.

»Du solltest es auch einmal mit der Liebe versuchen, Richard! Mit der echten Liebe, nicht mit dem Flirt!«

»Mädchen, du bist sehr klug!«

Richard Graf von Plettenberg legte den Arm um die Schwester, mit der er so manche schöne Jugendstunde verlebt hatte, in Westfalen, auf den weiten Besitzungen des Vaters, der jetzt dort drüben im Mittelpunkt eines Kreises von Hochzeitsgästen war.

»Daß du einen Wiener hast heiraten können!« Richard Graf Plettenberg schüttelte den Kopf. »Es ist ein so gänzlich anderer Menschenschlag, als wir Westfalen es sind.«

»Ein zauberhafter Menschenschlag!« flüsterte die junge Braut und schaute hinüber zu Josef Graf Kagler, dem sie vor wenigen Stunden im Stephansdom ihr Jawort gegeben hatte.

Oh, wie sie ihn liebte, den zwar viel älteren, aber so bezaubernden, charmanten Grafen Kagler, der ihr gewiß das Paradies auf Erden bereiten würde!

»Du solltest dich einmal unter den Wienerinnen umsehen!«

Marianne hob die hellen blauen Augen auf zu dem Bruder, dessen hohe, kraftvoll-schlanke Gestalt sie noch überragte. Seltsamerweise waren seine Augen dunkel wie sein Haar.

»Willst du mich verkuppeln?«

Der Mann legte den Arm um die Schwester.

Im Saal erklang ein beseligender Walzer. Er lachte, während er die Schwester im Dreivierteltakt herumwirbelte.

Marianne bat um eine Atempause. Sie lachte genau wie die ein wenig spöttischen dunklen Augen des Bruders, den sie abgöttisch liebte.

»Was heißt verkuppeln? Umschauen sollst du dich. Hier unter all den vielen zauberhaften jungen Mädchen. Aber du denkst höchstwahrscheinlich nur an deine Lipizzaner und die Reitschule. Wetten?«

Richard Graf Plettenberg lachte ein wenig verlegen.

»Schlimm, wenn einen jemand so kennt wie du, Schwesterlein!« sagte er.

Richard Graf Plettenberg war nicht nur ein bekannter Pferdezüchter, er hatte sich auch als Wissenschaftler einen Namen gemacht.

Unmittelbar nach der Hochzeit der Schwester wollte er mit einer Expedition nach Asien aufbrechen. In jedem Erdteil gab es ein anderes Pferdematerial.

»Brüderlein, du solltest auch einmal für Menschen Augen haben, nicht nur für Pferde!« bemerkte Marianne. »Josefs Schwester hast du noch gar nicht beachtet!«

»Wie kann man Frauen beachten, die so viel weniger schön sind als die Braut!« lachte der Mann. Er hatte beobachtet, daß die junge Komteß Kagler, Mariannes Schwägerin, ihn unausgesetzt mit Blicken zu bannen versuchte. Aber sie war nicht sein Typ. Irgendwie kam ein ungutes Gefühl in ihm auf, wenn er mit ihr tanzte.

Sie war eine Frau, die nur an sich selbst zu denken schien, nur daran, wie sie sich selbst am besten zur Geltung bringen konnte.

»Ich verabscheue Pflichttänze!« behauptete er. Als er aber das ein wenig unglückliche Gesicht der Schwester sah, beugte er sich zu ihr hinab und flüsterte ihr zu: »Schwesterlein, kein griesgrämiges Gesicht am Hochzeitstag! Ich verspreche dir, den Debütantinnenball in der Oper mache ich noch mit, und ich werde dabei gewiß nicht an die Lipizzaner denken!«

Josef Graf Kagler trat zu seiner jungen Frau.

»Ehrenwalzer!« flüsterte er zärtlich. »Kaiserwalzer von unserem Strauß!«

Beseligend schluchzten die Geigen. Man konnte so süß dabei träumen…

*

Der Ball der Debütantinnen in der Großen Oper war ein glanzvolles gesellschaftliches Ereignis.

Richard Graf Plettenberg setzte ein mokantes Lächeln auf, als Marianne ihm zunickte und mit den Augen auf ihre Schwägerin Helena wies. Natürlich, der Anstand mußte gewahrt werden!

Der Mann verneigte sich vor der beinahe schwarzhaarigen Komteß Kagler, der man nachsagte, daß sie in dieser Ballsaison unbedingt einen Ehemann finden wollte.

Helena Komteß Kagler war nicht gerade hübsch, aber interessant mit ihrem olivfarbenen Teint, der an italienisches Blut erinnerte, das in der Familie der Kaglers fließen sollte.

»Ein schönes Fest, finden S’ nicht auch?« fragte Komteß Kagler, die sich auf den ersten Blick in den hochgewachsenen Grafen Plettenberg verliebt hatte, gerade weil er weder charmant noch weichherzig war. Ein Mann, ein echter Mann war er!

Ja, ein schönes Fest! durchfuhr es Richard Graf Plettenberg.

Im Wirbel einer Straußschen Polka begegnete sein Blick dem jener kleinen, an einen fliegenden Schwan erinnernden Debütantin in der ersten Reihe.

Ihre blauen Augen bildeten einen reizvollen Kontrast zu den ein wenig rötlich schimmernden braunen Locken.

Blau wie Kornblumen in Westfalen! dachte der Mann, der Komteß Helena jetzt in ihre Loge zurückführte.

Und als die Geigen wieder zu singen begannen, in den Zauberweisen der »G’schichten aus dem Wienerwald«, verneigte sich Richard Graf Plettenberg vor diesem blutjungen Geschöpf mit den tiefblauen Augen und der zerbrechlich scheinenden Figur.

»Darf ich bitten?«

Maria-Josefa Komteß Wronsky knickste fast kleinmädchenhaft.

Es war ihr erster Ball. Ihr Herz klopfte jetzt noch ganz aufgeregt, weil sie vorhin beim Schautanz der Debütantinnen ein paar falsche Schritte gemacht hatte. Der Tanzmeister hatte sie gescholten. Sie hatte beinahe geweint.

Wäre nicht der Vetter, der junge Graf Ferry Lichtenfels gewesen, sie wäre davongelaufen, hätte haltlos geschluchzt. Ferry aber verzieh ihr den schlechten Auftritt.

»Du bist doch die Allersüßeste!« hatte er ihr zugeflüstert. Das hatte Maria-Josefa wieder Mut gemacht, so daß sie jetzt ganz selbstbewußt mit diesem großgewachsenen Mann tanzte, dem sie gerade bis zur Brust reichte.

»Zauberhaft tanzen Sie!« sagte Graf Richard.

»Ich… aber ich…«, stotterte Maria-Josefa. »Ich hab’ doch halt ein paar falsche Schritte gemacht!«

»Keiner hat’s gesehen!« erklärte er. »Mein Gott, wie süß war dieses Mädchen! Eigentlich war es wohl noch ein Kind.

Der Atem des Mannes ging schwer. Er glaubte, noch niemals ein zauberhafteres Geschöpf im Arm gehalten zu haben.

Richard Graf Plettenberg hatte viele Frauen kennengelernt. Er hatte manchen Flirt gehabt, manche Liebelei, denn er war kein Kostverächter. Niemals aber war sein Herz beteiligt gewesen.

Nun aber kam diese kleine Debütantin, und sie erweckte in ihm ein eigenartiges, nie gekanntes Gefühl. Sein Blut geriet in Wallung, sein Herz pochte ungestüm.

»Sie sind zauberhaft!« flüsterte er, während er das süße Geschöpf in dem langen weißen Organzakleid fester an sich zog.

Dann war der Tanz beendet. Und als die Geigen erneut ansetzten, war Richard Graf Plettenberg nicht schnell genug, um sich der kleinen, bezaubernden Debütantin zu versichern. Ein anderer war ihm zuvorgekommen.

»Ferry!« flüsterte Komteß Maria-Josefa. »Gut, daß du mich holst! War doch eine Blamage. Ich schäm’ mich!«

»Brauchst dich nicht zu schämen!« behauptete der junge Graf Ferry Lichtenfels, Vetter Maria-Josefas. »Die Theres ist noch ein viel größeres Tschapperl als du.«

»Glaubst?« Maria-Josefa schaute zweifelnd zum Vetter empor.

»Weiß ich!« erklärte der. »Und zudem ist ohnehin schon alles gleich, denn ich hab’ dich lieb, Seferl, schrecklich lieb!«

Maria-Josefa senkte die Augen. Dicht und dunkel ruhten die sehr langen Wimpern auf dem blütenzarten kleinen Gesicht.

Weshalb nur sagte sie jetzt nichts? Der Ferry war doch ein fescher Tänzer, sie kannte ihn von Kindesbeinen an.

Aber da war etwas… Maria-Josefa fuhr sich mit der zarten Kinderhand über die Augen. Da war dieser andere Mann, hochgewachsen und stattlich. Und er hatte gesagt: zauberhaftes Komtesserl!

Maria-Josefa schlug plötzlich die blauen, goldbepunkteten, noch so kindlich-unschuldigen Augen zu dem Vetter auf, dem alle Mädchenherzen zuflogen, weil er über einen gewinnenden, unwiderstehlichen Charme verfügte.

»Ferry, gut, daß du heute hier bist!« erklärte die kleine Komteß Wronsky. »Ein Mauerblümerl möcht’ ich grad net sein!«

»Du und ein Mauerblümerl!« protestierte Graf Ferry. »Da schau her, da müßt’ man doch lachen! Die Allerschönste bist du, Seferl, mindest heut abend!« Graf Ferry lachte übermütig.

»Und weißt du was, Seferl, morgen geht’s per Schlitten in den Wienerwald. Da schweigen alle komischen Gefühle.«

»Mit dem Schlitten?« fragte Maria-Josefa, während ihre blauen Augen immer dunkler wurden. »Schlitten fahr ich halt gern!«

Die Geigen schluchzten süß und wehmütig zugleich.

Der junge Graf Ferry verneigte sich vor seiner Tänzerin.

Er hatte neue Verpflichtungen. Man nannte seinen Namen in jedem Wiener Palais. Er galt als tollkühner Reiter, als Pferdekenner, dem keiner etwas vormachen konnte.

»Schlittenfahren! O mei!« flüsterte Josefa leise vor sich hin, als der nächste Tanz begann.

Sie stand ganz still und erschrak, als sich wieder diese hochgewachsene Männergestalt vor ihr verneigte.

»Graf Plettenberg!« stammelte sie.

»Immer noch der gleiche!«

Der Mann lachte ein wenig überlegen. Er legte fest und sicher seine Hand um die zerbrechlich-zarte Taille seiner Tänzerin.

Süß ist sie, süß! dachte er. Und dabei mache ich mir sonst so gar nichts aus süßen, kindhaften Geschöpfen. Aber dieses Mädchen…

Maria-Josefa hob die Augen zu ihm auf.

»Haben Sie schon mal eine Schlittenfahrt in den Wienerwald gemacht, Graf?« fragte sie.

Graf Plettenberg verneinte.

»Das sollten Sie aber tun!« behauptete Josefa.

*

Marianne Gräfin Kagler hatte vor einem Jahr den Gatten auf einer Schlittenfahrt kennengelernt.

»Mach so etwas auch einmal mit!« riet sie dem Bruder, als er ihr erzählte, daß etliche aus dem Kreis der Debütantinnen eine Partie in den tiefverschneiten Wienerwald planten. »Hübsch ist es auf jeden Fall. Na, und die Pferde! Du wirst als Pferdenarr deine helle Freude daran haben. Das schönste Gespann für Schlittenfahrten haben die Grafen Lichtenfels. Wenn du dort mitfahren könntest… Na, ich werde das schon vermitteln. Graf Ferry ist zudem ein toller Fahrer. Der übertrifft dich noch, Bruderherz! Und wie du ist er ein Pferdenarr.«

Ferry, Graf Ferry! Richard erinnerte sich an den Vetter der jungen Maria-Josefa, der auf jenem Ball der Debütantinnen die meisten Tänze mit ihr getanzt hatte. Er brachte ihm ausgesprochene Abneigung entgegen. Weshalb, gestand er sich selber nicht ein.

Seine Schwester hatte inzwischen das Zimmer verlassen. Wenig später kam sie zurück. Sie berichtete, daß der Schlitten der Kaglers nicht intakt sei.

»Ich habe Graf Ferry gebeten, dich mitzunehmen«, fuhr sie fort. »Schließlich bist du in drei Tagen nicht mehr hier, siehst keinen Schnee mehr, sondern läßt dir im Orient die Sonne ins Gesicht brennen. Eigentlich beneidenswert!«

»Liebst du Wien denn nicht als deine neue Heimat?«

Der Mann legte der Schwester die kräftigen und dennoch schlanken Hände auf die Schultern.

»Doch, schon, Richard. Nur… ein bißchen fremd ist eben doch alles, weil es so anders ist als bei uns zu Hause!«

»Jetzt schon Heimweh?«

Er beugte sich zu der blühend-schönen Schwester hinab.

»Wien ist nicht Westfalen!« wich Marianne aus.

*

Nein, Wien war nicht Westfalen. Richard Graf Plettenberg stellte es fest, als er, in dicke Pelze gehüllt, neben Komteß Maria-Josefa im Schlitten saß, den der junge Graf Ferry Lichtenfels lenkte. Wien war anders.

Josefa erklärte jedes Bauwerk, an dem sie vorüberfuhren.

Richard von Plettenberg sah aber weder die Burg noch den Stephansdom. Er sah nur das zauberhafte Gesichtchen der Komteß Josefa.

In ihren Augen brannte die Liebe zu ihrer österreichischen Heimat.

»Schön, schön ist alles bei uns!« bemerkte sie schwärmerisch. »Niemals könnte ich weggehen von Wien!«

Der Mann zuckte zusammen. Doch noch ehe er eine Frage stellen konnte, spürte er plötzlich das Schleudern des Schlittens, das Schnauben der Rappenhengste.

Man hatte längst die Stadt verlassen. Der Schlitten glitt bereits unter den im Sonnenschein glitzernden schneeverhangenen Bäumen des Wienerwaldes dahin.

Ein Forsthaus wollte man erreichen, eine nette Wirtschaft, in der man sich aufwärmen und gemütlich Kaffee trinken konnte.

Aber wir werden gar nicht ankommen, wenn er die Pferde weiterhin so strapaziert! durchfuhr es Richard von Plettenberg plötzlich.

»He, Sie!« wandte er sich an den Grafen Ferry, der die sausenden Hengste zu immer schärferem Galopp antrieb. »So fährt auch kein Einheimischer, der sich in den Wegeverhältnissen auskennt!«

Der junge Graf Ferry wandte sein vom Frost gerötetes Gesicht dem Gast zu. Der bemerkte jetzt eine jähe Leidenschaft in den sonst so sanften braunen Augen.

»Ich will Ihnen doch zeigen, was österreichische Pferde zu leisten vermögen. Sie werden staunen!«

Dabei schlug er mit der Peitsche sausend durch die Luft. Die Rappen bäumten sich wild auf.

»Schinder!« schrie Richard Graf Plettenberg. Im gleichen Augenblick erkannte er, daß der andere die Gewalt über die Rappen verloren hatte. Sie rasten dahin, bogen vom Weg ab, Schaum flockte an ihren Mäulern. Wie konnte man nur so rücksichtslos mit solch edlen Pferden umgehen!

Aber dann erkannte Plettenberg, daß es nicht nur um die Pferde ging. Nein, der andere hatte völlig die Gewalt über sie verloren. Sein Gesicht war jetzt schneeweiß. Er schrie, er zog an den Zügeln. Die Rappen jagten blindlings vorwärts. Jeden Moment konnte der Schlitten umkippen.

Da schlug er kurz entschlossen den anderen nieder, daß dieser jäh in sich zusammensank, und ergriff mit fester Hand die Zügel.

Oh, wie die kleine Komteß Wronsky sich fürchtete!

Noch niemals hatte ihr Herz so ungestüm geschlagen!

Würde dieser Graf Plettenberg es schaffen, die Pferde wieder zu beruhigen?

Tatsächlich, es gelang! Maria-Josefa atmete erleichtert auf.

Wenig später tauchte das Forsthaus vor ihnen auf.

Die Rappen standen, wenn auch noch zitternd und schnaubend.

Graf Richard verlor kein Wort, als er vom Schlitten sprang, vor die edlen Tiere trat und ihren schweißbedeckten Hals klopfte.

Dann schaute er sich um. Sie hockten reglos nebeneinander: die kleine Komteß und der Vetter, der immer noch nicht zu sich gekommen war.

»Schlagen Sie immer so hart zu?«

Josefa deutete auf den Grafen Ferry, um den sie jetzt den Arm gelegt hatte. Ihre Stimme war ein einziger Vorwurf wie auch die großen, nun voll aufgeschlagenen Augen.

»Ja, das tu’ ich!« erklärte der Mann. »Aber nicht aus Roheit, sondern nur dann, wenn es um das Leben anderer Menschen geht.«

Er warf einem hinzueilenden Bediensteten aus der Försterei die Zügel zu.

»Sorgfältig abreiben!« befahl er. Dann wandte er sich wieder Josefa zu. »Wenn Ihr Vetter auch nur eine Minute länger die Zügel in der Hand gehalten hätte, lebten wir jetzt wahrscheinlich alle drei nicht mehr. Solchen Menschen dürfte man überhaupt keine solch edlen Tiere anvertrauen.«

Graf Plettenberg urteilte hart. Er sah nur die Schinderei, zu der sich Graf Ferry eigentlich eher aus Leichtsinn und nicht aus Tierquälerei hatte hinreißen lassen.

»Er liebt Pferde!« verteidigte die kleine Komteß den Vetter.

»Dann zeigt er es aber nicht!« behauptete der hochgewachsene Mann, der jetzt die federleichte Gestalt Josefas aus dem Schlitten hob.

Und dann kümmerte er sich auch um den noch immer ein wenig betäubten Grafen Ferry.

»Das machen Sie nicht wieder!« erklärte er barsch, als er neben dem Grafen Lichtenfels der Eingangstür des Forsthauses entgegenschritt.

Der Schnee knirschte unter den Füßen. Aus dem Haus aber strömte den Ankommenden gemütliche Wärme entgegen.

Im Forsthaus war man wie zu Hause. Das lag schon an der mütterlich-charmanten Förstersfrau, bei der man sich angemeldet hatte.

Im Wohnzimmer mit den vielen Geweihen war der Tisch gedeckt. Es duftete nach süßem Kuchen und frischem Kaffee.

Graf Ferry hatte eine blutende Schramme an der Stirn.

»O mei, das wollen wir gerade verbinden!«

Die Försterin legte den Arm um den Grafen Ferry. Als er Josefa zunickte, war es Graf Plettenberg, als gehörten die beiden wie Geschwister zueinander.

Es überkam ihn ein ungutes Gefühl. Geschwister gehörten zusammen, waren eins in ihrem Denken und Empfinden.

Bestand ein erstes, zartes Liebesgespinst zwischen diesen beiden so blutjungen Menschen?

»Schauen S’, es schneit wieder!«

Maria-Josefa stand jetzt am Fenster, ihre zarte Hand wies nach draußen.

»Die armen Rehe! Die finden jetzt kein Futter. Da, sehen Sie!« Sie wurde ganz aufgeregt. »Die Rehe kommen bis in den Hof!«