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Zwischenmenschliche Kommunikation ist für das gesellschaftliche Miteinander unverzichtbar und ein allgegenwärtiges Thema wissenschaftlicher und nicht-wissenschaftlicher Überlegungen. Viele der in diversen Ratgebern und Studien vertretenen Theorien beginnen ihre Ausführungen mit der Übertragung des informationstheoretischen Sender-Empfänger-Modells auf den Prozess der zwischenmenschlichen Verständigung. Dieses sehr populäre Modell weist aber nach Ansicht von Henrik Dindas gravierende Mängel auf. Der Autor stellt daher dessen (unbedachte) Übertragung in der vorliegenden Studie umfassend in Frage. Er stützt sich dabei auf semiotische Ansätze von Charles Sanders Peirce sowie der Würzburger Schule der Denkpsychologie – mit besonderem Fokus auf das Werk Karl Bühlers. Sprache avanciert dabei zum Medium der Selbsterfahrung des Menschen und veranschaulicht die Absurdität der bekannten Aussage, man könne "nicht nicht kommunizieren". Dindas diskutiert prominente Kommunikationsmodelle und vergleicht diese mit dem Semiotik-Verständnis des irischen Schriftstellers Samuel Beckett, für den Kommunikation ein zentraler Aspekt in seinem Werk war.
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Dissertation zum Erwerb des Doktorgrades (Dr. phil.) an der Fakultät für Geisteswissenschaften (Kommunikationswissenschaft) der Universität Duisburg-Essen vorgelegt von Henrik Dindas (geb. in Neuss)
Gutachter: Prof. (em.) Dr. Achim Eschbach, Prof. Dr. Raymond Hickey Datum der Disputation: 14.09.2016
Dank
Einführung
1.1 Warum Beckett?
1.2 Die Methode
1.3 Formalia
1.4 Ziele der Arbeit
1.5 Kriterien der Textauswahl
Modelle von Information, Kommunikation und Zeichen
Die Würzburger Schule der Denkpsychologie
3.1 Aristoteles
3.2 Franz Brentano
3.3 Carl Stumpf
3.4 Oswald Külpe
3.5 Karl Marbe
3.6 Henry Jackson Watt
3.7 Narziß Kaspar Ach
3.8 August Messer
Karl Bühler
4.1 Bühlers
Sprachtheorie
und die Entwicklung der heutigen Sprachwissenschaft
4.2 Bühlers
Axiomatik der Sprachwissenschaften
4.3 Bühlers Organonmodell
Bühlers Wirken an der Würzburger Schule
5.1 Bühlers erste Versuchsreihen
5.2 Die Auswertung der Selbstbeobachtungsprotokolle
5.3 Bühlers Untersuchungen zu den Gedankenverbindungen
5.4 Bühlers Erinnerungsversuche
5.5 Die fünf parallelen methodischen Schritte der Würzburger Schule
Die Semiotik von Charles Sanders Peirce
6.1 Peirce und Kant
6.2 Der Zeichenbegriff bei Peirce
6.3 Peirce und Bühler
6.4 Wahrnehmung und Wahrnehmungsurteile
6.5 Peirce und Beckett
Samuel Beckett
7.1 Becketts Theaterverständnis
7.2 Beckett und die Psychologie
7.3 Murphy
7.4
Murphy,
Beckett und die Würzburger Schule
Eine (Beckett‘sche) Theorie über das Gelingen und Scheitern von Kommunikation
8.1 Das Vico-Axiom
8.2 Becketts theoretische Schriften
8.3 Becketts Dekonstruktion von Kommunikation
8.4 Der Zusammenbruch von Kommunikation
8.5 Die Entwicklung zur Nicht-Kommunikation
8.6 Der innere und äußere Kreis der Kommunikation
8.7 Scheiternsbedingungen von Kommunikation
Samuel Becketts Semiotik-Verständnis
Fazit
Literatur
Mein ganz besonderer und tiefer Dank gilt meinem Doktorvater, Achim Eschbach, der mich nicht nur im Rahmen dieser Arbeit immer wieder aufs Neue für die Semiotik begeistern konnte, sondern mich mein gesamtes Studium inspiriert und tatkräftig unterstützt hat. Danke für die unermüdlichen Diskussionen, Ideenanregungen und unsere unersetzbaren „absurden“ Gespräche.
Gewidmet ist dieses Buch meiner Familie – Claudia, Iska, Mama und Vadda – die mit mir intensiv Inhalte diskutierten, Korrektur lasen und mir zahlreiche und wertvolle Anregungen gaben und mich immer unterstützt haben.
Des Weiteren bedanke ich mich bei Herrn Professor Raymond Hickey für die anregende, hilfsbereite und wissenschaftliche Betreuung als Zweitgutachter, sowie bei Frau Professorin Stephanie Bung für den ruhigen Ablauf meiner Disputation und für die wertvollen Hinweise zur Publikation.
In ganz besonderem Maße möchte ich meiner Freundin und Lebenspartnerin Denise danken, die mir nicht nur die wunderbaren Abbildungen anfertigte, sondern mir auch mit mühevoller Geduld und liebevollem Verständnis Tag für Tag und Nacht für Nacht zur Seite stand und steht.
Zuletzt gilt mein Dank allen Freunden und Bekannten, die mir stets Rückhalt gaben und mich immer wieder aufs Neue motivierten.
Mit einem abschließenden Zitat möchte ich meinen Dank posthum an Samuel Beckett zum Ausdruck bringen, den ich im Rahmen meiner Dissertation von einer ganz neuen und faszinierenden Seite kennen lernen durfte:
„Man muß versuchen, bis zum Äußersten ins Innere zu gehen. Der Feind des Menschen ist die Oberfläche.“ (Samuel Beckett)
Essen, im November 2016
Henrik Dindas
Kommunikation findet permanent und uns allumgebend in den unterschiedlichsten Formen und Arten statt. Da eine Verständigung ohne Kommunikation ebenso wenig möglich ist wie das gesellschaftliche Miteinander, ist die zwischenmenschliche Kommunikation, sei sie verbal oder auch nonverbal, ein ebenso allgegenwärtiges Thema wissenschaftlicher und nicht-wissenschaftlicher Überlegungen.
Bereits 1753 merkte der französische Schriftsteller und Philosoph Denis Diderot in seiner Encyclopédie ou Dictionaire raisonné des sciences, des arts et des métiers zu dem Stichwort „Kommunikation“ an, es handele sich um einen „Ausdruck mit einer großen Anzahl von Bedeutungen“ (vgl. Diderot in Nothdurft, 2007: 34). Diese Definition wurde im Laufe der Jahre immer wieder aufs Neue verworfen, modifiziert und doch immer wieder verifiziert. Auch Thomas Luckmann bestätigte in den 1980er Jahren diese Hypothese, indem er hervorhob, „Kommunikation kann heute alles heißen“ (Luckmann, 1980: 28). Aus dieser Feststellung resultiert unweigerlich die Frage, ob der Begriff Kommunikation überhaupt noch etwas heißt, da er sich „in den Humanwissenschaften und vor allem den Sozialwissenschaften, aber auch in den verschiedenen Welt- und Selbstdarstellungen moderner Intellektueller im Kulturbetrieb“ (Luckmann, 1980: 28) als Generalmetapher verbreitet hat und darüber hinaus in etlichen außerwissenschaftlichen und anwendungsorientierten Bereichen – wie beispielsweise der Personalführung oder des Human Ressources Development – eine kontinuierliche Verwendung findet.
„Kommunikation ist das Zauberwort der Postmoderne geworden, das in vielerlei modischen Schattierungen den Blick für die Komplexität des Objektes offensichtlich flächendeckend verstellt hat“ (Merten, 1993: 188). Auch wenn der Begriff „Kommunikationswissenschaft“ im normalen kommunikativen Miteinander nur selten verwendet wird, begegnet die „Kommunikation“ uns heute in der Sprache der Medien, Wirtschaft, Pädagogik, Wissenschaft, Rechtsprechung und in der Politik (vgl. Maletzke, 1998: 37). Dabei ist allein schon der Begriff so vieldeutig, – in einer begriffskritischen Studie erhob Klaus Merten 160 Definitionen und definitorische Ansätze, die er einer systematischen Begriffs- und Prozessanalyse unterzog – dass eine eineindeutige Definition zu finden ein fast unmögliches Unterfangen darstellt und folglich, so Jo Reichertz, ein allgemein akzeptierter Kommunikationsbegriff (noch) nicht generiert werden konnte (vgl. Reichertz, 2009: 82). Klaus Merten, Kommunikationswissenschaftler und Luhmann-Schüler, extrahierte in seiner Studie neun unterschiedliche Typen – Kommunikation als Transmission, Reiz-Reaktions-Handlung, Interpretation, Verständigung, Austausch, Teilhabe, Beziehung, Verhalten oder Interaktion (vgl. Merten, 1977: 38) – und betont in diesem Zusammenhang das bedeutungstragende Synonym der „Interaktion“ (Merten, 1977: 88) als die von ihm besonders konsensfähig eingeschätzte Definition (vgl. Rau, 2013: 30), die auch in der vorliegenden Arbeit eine große Rolle spielen wird.
Allein die Vielseitigkeit des Begriffs und dessen Interpretationsvarianz reichen aus um zu verdeutlichen, dass wenn der Gegenstand „Kommunikation“ zum Objekt wissenschaftlicher Untersuchungen avanciert, eine klare Aussage über dessen Gebrauch und Kontext vollzogen werden muss. Zwar konstatieren Helmut Richter und H. Walter Schmitz in dem Dokumentationsband der Ergebnisse ihrer kommunikationswissenschaftlichen Konferenz vom 11.-13. Mai 2000 an der Universität Essen unter dem Titel Kommunikation – ein Schlüsselbegriff der Humanwissenschaften?, dass sich heute bezüglich des Begriffskonflikts gegenüber den späten sechziger und frühen siebziger Jahren „wesentliches geändert“ (Richter/Schmitz, 2003: 12) habe, diese Feststellung soll in der vorliegenden Arbeit jedoch erneut in Frage gestellt werden, da sich die dort konstatierte Wende erneut umgekehrt hat und entgegen der Darstellung in Richters und Schmitz Ausführungen eine inflationäre Verwendung des Kommunikationsbegriffs erneuten Einzug in etliche wissenschaftliche, pseudowissenschaftliche und populärwissenschaftliche Abhandlungen gefunden hat.
Der Begriff „Kommunikation“ und seine strategische An- und Verwendung und damit die Erforschung und Begehung dieses Gegenstandes haben zudem im wirtschaftlichen Sektor eine immer größere Bedeutung erhalten.1 Im Rahmen dieses, durch die Stiftung Warentest deklarierten, wirtschaftlichen Coaching-Trends veröffentlichte auch Friedemann Schulz von Thun, zusammen mit Bernhard Pörksen, ein Buch mit dem Titel Kommunikation als Lebenskunst (2014), in welchem die beiden Autoren konkrete berufliche Anwendungen zur Kommunikation für Führungskräfte darzulegen versuchen. Das (wiederentdeckte) Interesse an der Kommunikationswissenschaft unterstreicht in gleichem Maße der Artikel Gut kommunizieren macht glücklich,2 veröffentlicht in der Zeit Online, in dem betont wird, dass der Druck auf Manager in den vergangenen Jahren stetig gewachsen sei, da sie ständig ansprechbar sein müssen, Mitarbeitern empathisches Feedback geben und zeitgleich sekundenschnelle Entscheidungen treffen sollen: „Kein Wunder, dass der Beratungs- und Coachingbedarf unter Führungskräften so enorm hoch ist“ (Groll, 2014) und eine den Buchmarkt beherrschende Konzentration auf entsprechende kommunikationstheoretische Aspekte nur erwartungskonforme Konsequenz dieser Trendwende ist.
Der stetige Bedarf an kommunikationstheoretischen Auseinandersetzungen ist daher ein entscheidender Grund, weshalb die Kommunikationswissenschaft, wie aber auch jede andere empirische Wissenschaft, für ihren systematischen Aufbau einer Klärung der Frage bedarf, welche raum-zeitlich abgrenzbaren, der direkten oder indirekten Beobachtung zugänglichen Geschehensausschnitte und Aspekte als von ihr zu untersuchende Ereignisse als kommunikative Ereignisse gelten sollen (vgl. Schmitz, 2003: 197). Hierbei sollen mehrere Faktoren eine wichtige Rolle spielen, die für den Gegenstand notwendigerweise und richtungsweisend darzulegen vermögen, wie innerhalb eines Forschungsansatzes im Einzelnen bestimmt wird, was überhaupt als kommunikatives Ereignis bezeichnet werden kann und was nicht. Folglich ist diese Bestimmung abhängig von dem in der zu behandelnden Wissenschaft entsprechend vertretendem Kommunikationsbegriff und von den darin zwingend notwendig enthaltenen „Vor-Urteilen“ (Schmitz, 2003: 197), die einem Theorieaufbau unabdingbar vorgelagert sind. Sie entscheiden nämlich einerseits darüber, was als empirische Basis einer Theorie zugelassen sein soll und was andererseits aufgrund defizitärer Grundlagen und Vorgehensweisen in dieser auszuführenden Theorie keinen Platz findet. Diese umfassende Bestimmung und Entfaltung eines allgemeinen Kommunikationsbegriffs kann allerdings nicht schon Ausgangspunkt oder Vorbedingung kommunikationswissenschaftlicher Forschung, sondern gemeinsam mit einer allgemeinen Kommunikationstheorie erst deren Ergebnis sein. Dies ist mitunter ein Grund, weshalb sich im Zuge der Forschung Empirie, Begriff und Theorie der Kommunikation in vertrauter Abhängigkeit voneinander verändern (vgl. Schmitz, 2003: 197).
Nicht nur in geisteswissenschaftlichen Auseinandersetzungen, sondern auch in den Naturwissenschaften kommt dem Kommunikationsbegriff eine besondere Schlüsselrolle zu, der auch in diesem Gebiet einem ständigen Wandel unterliegt. Während der Begriff „Kommunikation“ noch vor einigen Jahren für bestimmte Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Individuen oder Gruppen vorgemerkt war, wird er heute zunehmend häufiger auch auf physisch wahrnehmbare und messbare Prozesse angewendet, die innerhalb eines Individuums stattfinden und zwischen bestimmten Zellverbänden ablaufen, wie beispielsweise den Nervensystemen (vgl. Carmignoto in Todt/Kipper, 2003: 29). Die dabei ausmachbaren Wechselwirkungen werden größtenteils als „intra-organismische Kommunikationsformen“ (Todt/Kipper, 2003: 29) zusammengefasst und dabei den „interorganischen Kommunikationsformen“ gegenübergestellt. Beginge man den Gegenstand „Kommunikation“ also in einer naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise, würde eine Beschreibung des Kommunikations-Vorgangs nach Neurowissenschaftler Zack Lynch folgendermaßen funktionieren:
„Der erste Schritt der Kettenreaktion ist die Antwort des Neurons auf ein Eingangssignal: Es feuert. Meist rührt das stimulierende Signal von der Neurotransmitterausschüttung eines anderen Neurons her. Die Neuronen der Sinnesorgane, auch sensorische Neuronen genannt, empfangen dagegen direkt von ihrer Umgebung Signale. Die Nervenzellen der Haut reagieren auf Druck, die der Netzhaut auf Licht. Ganz gleich, woher das Signal kommt, das Neuron feuert und ein elektrischer Impuls läuft das Axon entlang bis zu seinem Ende – einer Sackgasse, die man das Endknöpfchen nennt –, wo die Vesikel, kleine, mit Neurotransmitter gefüllte Bläschen, zum Platzen gebracht werden. Die freigesetzte Neurotransmittersubstanz wird in die Synapse ausgeschüttet und verbindet sich mit den Rezeptoren des Dendriten auf der anderen Seite des Spalts. Durch diese Verbindung wird das empfangende Neuron stimuliert. Dabei öffnen sich in seiner Membran Kanäle, durch die positiv geladene Natrium- oder Calciumionen in die Zelle gelangen können.“ (Lynch in Johnson, 1991: 75)
Ein Ion ist dabei nichts anderes als ein in Lösung befindliches Atom oder Molekül, welches eine elektrische Ladung beinhaltet und damit im selben Augenblick auch Ladungsträger ist. Gleichzeitig mit diesem Prozess übermitteln noch andere Neuronen über andere Synapsen Signale an diesen Dendriten. Hierdurch öffnen sich noch mehr Ionenkanäle:
„Stück für Stück baut sich durch den Zufluß einer ständig wachsenden Zahl von Ionen eine positive Ladung im Dendriten auf. Wenn der Ladungsüberschuß groß genug ist, feuert das Neuron und sendet seinen eigenen Impuls zur nächsten Ansammlung von synaptischen Vesikeln. Diese Summierung von Signalen ist abhängig von den Faktoren Ort und Zeit. Treffen gleichzeitig genug Signale von anderen Neuronen ein, kann das die Zelle zum Feuern bringen; das gilt aber auch, wenn viele Signale von einem einzigen Neuron rasch hintereinander eintreffen, so daß der Ladungsüberschuß das Aktionspotential auflösen kann.“ (Lynch in Johnson, 1991: 75)
Wichtige Kernelemente bei der Erörterung des Gegenstandes Kommunikation in der zuvor dargestellten naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise sind demnach die Merkmale der 1) Kettenreaktion auf ein 2) Eingangssignal. Dabei muss ein Vorgang des 3) Empfangens gewährleistet sein, welches einen reaktiven 4) Impuls auslöst. Infolgedessen 5) verbinden sich diese freigesetzten Signale und 6) stimulieren einen weiteren Vorgang, welcher bis zu einem 7) Überschuss dieser Reize ein weiteres 8) Signal sendet.
Somit ist Kommunikation – aus zuvor beschriebener naturwissenschaftlicher Perspektive von Zack Lynch – eine „interaktive Verhaltensleistung, die ein gegebenes Problem durch den Einsatz von Signalen löst oder lösen soll“ (Todt/Kipper, 2003: 30). Dabei findet im typischen Fall zwischen zwei dynamischen Systemen ein Austausch von Informationen statt, bei dem die beiden kommunizierenden Systeme oder Individuen verschiedene Einzelleistungen erbringen. Zack Lynchs kommunikationstheoretischer Fokus liegt also darauf, wie das Agieren und Reagieren der Systeme in uns in Verbindung mit einer Gehirnleistung gelingt. Folglich liegt das kommunikationswissenschaftliche Interesse auf den Prozessen, die sich innerhalb des menschlichen Körpers abspielen. Diesem, auf das Innere fokussierte Vorgehen, stellen Dietmar Todt und Silke Kipper einen exemplarischen Ablaufplan einer (naturwissenschaftlichen) Kommunikationshandlung gegenüber, die außerhalb des Individuums – hier konkret auf tierische Handlungen bezogen – vollzogen wird:
Die erste Schrittfolge in ihrem kommunikativen Ablaufplan beginnt zunächst damit, dass eines der Systeme, in diesem Fall personifiziert durch ein Tier A, eine Nachricht entwickelt (1), welche einem anderen System vermittelt werden soll. Dafür muss A diese Nachricht (2) verschlüsseln und damit ein Signalmuster aufprägen. Anschließend muss dieses produzierte Muster (3) möglichst so versendet werden, dass es (4) unverzerrt ein Überträgermedium passieren und zu dem adressierten System, Tier B, gelangen kann. Sollte Tier B dieses Signal (5) wahrnehmen, ist dies nur der erste Teil einer vollzogenen Kommunikationshandlung, da es hierbei zwingend erforderlich ist, dass Tier B das Signal nicht nur erkennen, sondern auch schließlich entschlüsseln (6) muss. Zudem muss dieses Entschlüsselungsergebnis darauf folgend bewertet (7) werden. Auf dessen Basis muss Tier B sich entscheiden (8), ob und wie auf dieses Signal reagiert werden soll (vgl. Todt/Kipper, 2003: 30). Kommt es zu keiner Re-Aktion, bleibt der aktive Part dieser Kommunikationshandlung unidirektional bzw. monodirektional, da hiermit die gesamte Handlung als abgeschlossen gilt. Fällt die Entscheidung des anderen Systems darauf, ob und wie auf das Signal reagiert (8) werden soll, so übernimmt Tier B (9) mit der Entwicklung eines Antwort-Signals eine ähnliche proaktive Rolle, die zu Beginn der skizzierten Abfolge von Tier A eingenommen wurde. Kommunikation vollzieht sich folglich bidirektional bzw. multidirektional und ein längerer kommunikativer Prozess kann eingeleitet werden, bei dem die beiden Systeme wechselseitig mitwirken. Einigkeit besteht in diesen Vorstellungen folglich darüber, dass es sich bei Kommunikation um einen Prozess handele (vgl. Alder/Rodman, 2009; Burkart, 2002; Schulz, 2009) und damit nicht nur ein singuläres Ereignis beschrieben wird.
Kommunizieren kann im Sinne des hier dargestellten Sprachgebrauchs der Naturwissenschaften folglich all das, „was allgemein in eine naturwissenschaftlich beschriebene Wechselwirkung treten kann“, darunter Elementarteilchen, Atome, Moleküle, Zellen, Organe, Tiere und Menschen (vgl. Janich, 2003: 65). Solch eine Funktionsweise von Kommunikation dürfte folglich auch bei nichtlebendigen Einheiten vorliegen, die einem jeden Leser direkt durch das folgende Beispiel aus dem Physikunterricht in der Schule bekannt sind: In benanntem Unterricht wurde anhand des hydrostatischen Paradoxons an „kommunizierenden“ Röhren erläutert, dass sich in allen aufrecht stehenden Röhren durch eine Querverbindung an ihrem Fuß eine gleiche Flüssigkeitshöhe einstellt, unabhängig von Durchmesser und räumlicher Form (vgl. Janich, 2003: 65). Damit steht Röhre A in einer Wechselwirkung zu Röhre B. Beide Röhren, so die physikalische Erklärung, „kommunizieren“, da sie in eine Wechselbeziehung treten.
Dieser zuvor dargestellte, auf Wechselwirkungen basierende Vorgang von (naturwissenschaftlich betrachteter) Kommunikation, ist den Darstellungsweisen und Erörterungen erstaunlich ähnlich, die in vielen (populärwissenschaftlichen) Ratgebern und Abhandlungen zur zwischenmenschlichen Verständigung dargelegt werden und dabei einen Bezug zwischen eben diesen informationstheoretischen Theorien und der zwischenmenschlichen Kommunikation herstellen, da „[…] alles das, was die Beziehung zwischen zwei Substanzen betrifft, […] als kommunikationsverdächtig angesehen werden“ (Merten, 1977: 94) kann. Trotz deutlicher Kritik an einer derart breiten Auslegung und Vermischung von informationstheoretischen Überlegungen und kommunikationswissenschaftlichen Betrachtungsweisen (vgl. Beck, 2006; Eschbach, 1980; Krotz, 2008; Loenhoff, 2010; Müller, 1996; Schulz, 2009; Strohner, 2006; Ungeheuer, 1987), ist die Popularität und die Verwendung des informationstheoretischen Sende-Empfänger-Modells noch immer ungebrochen. Sucht man beispielsweise bei dem Internethändler Amazon nach einem Buch mit dem Begriff „Kommunikation“, so erscheinen als erste (meistverkaufte) Vorschläge die Bücher: Miteinander reden: Störungen und Klärungen (2010) von Friedemann Schulz von Thun, Menschliche Kommunikation: Formen, Störungen, Paradoxien (2011) von Paul Watzlawick und Warum ich fühle, was du fühlst: Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneurone (2008) von Joachim Bauer. Interessanterweise weisen die in diesen drei Büchern dargelegten Begegnungen mit Kommunikation deutliche Übereinstimmungen mit dem zuvor beschriebenen naturwissenschaftlich erhobenen Informationsbegriff auf.
Trotz des immensen (auch monetären) Erfolges dieser Bücher, soll an dieser Stelle bereits darauf hingewiesen werden, dass sich eine Vielzahl dieser Untersuchungen der Kommunikationsprozesse bei dessen Beschreibung auf die Benutzung eines Interaktionsmodells beschränken, welches die zuvor skizzierten naturwissenschaftlich erörterten Teilleistungen nur bis zum Schritt 7) betrachtet. Die vermittelte Nachricht steht dabei für sich als solche und die Modelle erörtern (lediglich) eine monodirektionale Übermittlung einer Botschaft von Signalen eines Senders A zu einem Empfänger B. Kommt das von A übermittelte Signal bei B an, so gilt in dieser Theorie die Kommunikationshandlung als vollendet und damit geglückt – ist die Kommunikationshandlung und damit kommunikative Praxis schließlich erfolgreich erforscht und vollends erfasst? Die Antwort müsste an dieser Stelle bereits „nein“ heißen, doch woran liegt diese mehrfach verwendete und übereinstimmende Beschreibung zwischenmenschlicher Kommunikation unter Verwendung eines Sender-Empfänger-Modells?
Der Soziologe Richard Münch vermutet diesbezüglich, dass die deutliche Vermehrung von Kommunikationshandlungen, wie beispielsweise die mitunter alltägliche Verwendung von Facebook, Twitter oder WhatsApp, zu einer ebenso vermehrten Beschäftigung mit Kommunikation an sich und einer daraus resultierenden Erklärungsnotwendigkeit in Form von Ratgebern, Essays und wissenschaftlichen Abhandlungen geführt habe:
„Durch die Steigerung von Kommunikation wird die Gesellschaft in einem Maße bewegt, wie niemals zuvor. Es wird immer mehr Wissen gesammelt und in Umlauf gebracht. Es wird dadurch immer mehr Aufmerksamkeit für das erzeugt, was bisher falsch gemacht wurde und in Zukunft besser gemacht werden sollte. Der permanente Umbau der Gesellschaft ist die Konsequenz dieser gesteigerten Kommunikation. In einer Gesellschaft, in der alles durch Kommunikation bewegt wird, kann sich niemand mehr dem Zwang zur Erzielung von öffentlicher Aufmerksamkeit entziehen. Anderenfalls ist man vergessen und verloren. Wer sich nicht gut darstellen kann, hat in dieser Gesellschaft keine Chance.“ (Münch, 1991: 17)
Interessanterweise basieren die in den vielen Arbeiten vorliegenden monodirektionalen Deutungsweisen mitunter nicht selten auf dem vielfach rezensiert, rezipiert und rezitierten Modell von Claude E. Shannon und Warren Weaver (1949), die ihr Sender-Empfänger-Modell aus informationstheoretischer Sicht und für Anwendungen in der Nachrichtentechnik entwickelt haben (vgl. Todt/Kipper, 2003: 31). Obwohl der Erfolg der Rezeptionsgeschichte nicht zu verbergen ist und das Sender-Empfänger-Modell „seit Jahrzehnten in der gymnasialen Oberstufe gelehrt, in Seminaren auf dem freien Markt unterrichtet und von Beratern und zunehmend auch Psychotherapeuten verwendet“ (Pörksen/Schulz von Thun, 2014: 9) wird, ist es umso verwunderlicher, dass Shannon selbst den nur informationstheoretischen Charakter seines Modells unterstreicht und überdies noch betont, dass eine Anwendbarkeit des Modells auf die menschliche und interpersonale Kommunikation mit äußerster Vorsicht zu vollziehen sei (vgl. Loenhoff, 2010). An dieser Stelle kann mitunter die Frage gestellt werden, warum ein auf den ersten Anschein sehr logisch erscheinendes und leicht verständliches Informationsmodell, auf welches an so vielen Stellen verwiesen wird, nicht auch geeignet ist, den Vorgang der menschlichen Kommunikation abzubilden? Auch Vilém Flusser stellt in diesem Zusammenhang in seinem Werk über die Kommunikologie (1998) fest, dass „die menschliche Kommunikation ein künstlicher Vorgang“ (Flusser, 1998: 9) sei, da sie unter anderem auf Kunstgriffen, Erfindungen, Werkzeugen und Instrumenten beruht. Genau wie in der zuvor beschriebenen, dem Körper innerlich stattfindenden Signalübertragung und der durch das Tierreich beschriebenen Übermittlung von Signalen, ist unsere menschliche Verständigung auf den ersten Blick damit nichts anderes als eine Übertragung einer Nachricht, sei es verbal oder nonverbal, zu einer anderen Person.
Wenn das Sender-Empfänger-Modell nur hinreichend den Kommunikationsprozess zu beschreiben vermag, warum haben dann so viele sich mit Kommunikation beschäftigenden erfolgreichen Wissenschaftler, wie beispielsweise Paul Watzlawick oder Friedemann Schulz von Thun, auf dem Informationsmodell basierende Kommunikationstheorien entfaltet und andere vergleichbare moderne Theorien Einzug in Schul- und Universitätsbücher gefunden? Warum sonst wurde Paul Watzlawicks Menschliche Kommunikation: Formen, Störungen, Paradoxien bereits in viele Sprachen übersetzt und „gilt als eine Ausnahmeerscheinung auf dem Buchmarkt“ (Schaden, 2003: 1), das bereits in der zwölften Auflage herausgegeben wurde?
Als ersten Erklärungsansatz mag an dieser Stelle vermutet werden, dass sich Watzlawicks Buch mitunter dadurch auszeichnet, dass es kommunikationstheoretische Überlegungen und Modelle als Gegenstand alltagsgegenständlicher und alltäglicher Diskussion vergegenständlicht. Diese „neue“ Art Wissenschaft zu begegnen versucht dabei jenseits alter disziplinärer Grenzen eine Art „Dritte Kultur“ (Brockmann, 1996: 15) zu etablieren, in der sich Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften zu einer neuen Generalwissenschaft vereinigen. Dabei zeichnen sich die Schreiber dieser neuen Wissenschaftskultur vor allem durch ihr Sendungsbewusstsein aus, indem ihre Texte sich gleichermaßen an die Fachwelt wie auch an ein Massenpublikum richten (vgl. Schaden, 2003: 2). Watzlawick, Schulz von Thun und Bauer verzichten in ihren Werken auf ausschweifenden Fachjargon und im Gegensatz zu vielen ihren Fachkollegen schreiben sie in einer anschaulichen und bildhaften Sprache, welche ihre Thesen durch einen mannigfachen Gebrauch lebhafter Beispiele in Alltagssprache illustrieren. Allein dies führt schon dazu, dass viele Leser sich dem Stoff näher fühlen können, als die Rezipienten „alter“ philosophischer Auseinandersetzungen mit Sprache und Kommunikation. Hierbei hat, so Schaden, der in den geisteswissenschaftlichen Abhandlungen verwendete, höchst abstrakte und oft terminologisch überfrachtete Schreibstil, sicherlich seinen Teil dazu beigetragen, den fachlich nicht vorgebildeten Leser davon abzuschrecken oder gar einzuschüchtern, sich mit Kommunikation auf einer abstrakteren Ebene zu beschäftigen (vgl. Schaden, 2003: 2).
Obwohl es den Wissenschaftlern Watzlawick, Schulz von Thun und weiteren, die mit ihren Theorien auf das Sender-Empfänger-Modell verweisen, mehr als deutlich gelungen zu sein scheint, einige zentrale Ideen und Erkenntnisse der Kommunikationswissenschaft einer breiteren Öffentlichkeit nahezubringen, so muss an dieser Stelle betont werden, dass die menschliche Kommunikation nur im Rahmen einer zeichentheoretisch fundierten Betrachtungsweise angegangen werden sollte. Dies lässt sich damit begründen, dass ein zeichentheoretisches Vorgehen seinen Begriff nicht allein in den Naturwissenschaften oder nur in den Geisteswissenschaften versucht zu erschließen – sondern im Sinne eines Ausgangspunktes aller Wissenschaften – die Erschließung der Elemente der facettenreichen Gestalt der Kommunikationswissenschaft fachübergreifend betrachtet (vgl. Eschbach, 2011: 7). Eine rein naturwissenschaftliche Betrachtungsweise ist dahingehend zu kritisieren, dass beim Sprechen keine „natürlichen“ Töne herauskommen und das Schreiben keine „natürliche“ Geste ist. Diese Tatsache ist dem Menschen nicht immer voll bewusst, da er proaktiv in den durch ihn geschaffenen Codes oder Zeichen lebt und agiert, sie ihm gewissermaßen selbstverständlich begegnen:
„Hat man den Code der Gesten gelernt, denkt man nicht mehr daran, daß Kopfnicken für jene Ja bedeutet, welche sich dieses Codes bedienen. Die Codes und die Symbole, aus denen sie bestehen, werden zu einer Art zweiter Natur, und die kodifizierte Welt, in der wir leben – die Welt der bedeutenden Phänomene wie Kopfnicken, Verkehrszeichen und Möbel – läßt uns die Welt der ersten Natur (die bedeutende Welt) vergessen.“ (Flusser, 1998: 10)
Dabei ist genau dies auch der Zweck der uns umgebenen kodifizierten Welt. Wir wollen geradezu vergessen, dass sie ein verzeichnetes3 Konstrukt ist, das die an und für sich bedeutungslose und unbedeutende Natur dieser Welt mit Bedeutungen füllt. Allerdings hat der Mensch einen nicht unterdrückbaren Drang, seiner Welt und sich unentwegt Bedeutung zuzuschreiben. Woher sonst stammen all die philosophischen Fragen nach dem „Sinn des Lebens“? Er, der Mensch, kann sich nicht einfach damit abfinden, nur Produkt der Natur zu sein, „da er sich zu höherem berufen fühlt“ (Flusser, 1998: 10). Flusser argumentiert in diesem Zusammenhang, dass es daher auch Zweck der menschlichen Kommunikation sei, uns den bedeutungslosen Kontext vergessen zu lassen, in dem der Mensch vollständig einsam und incommunicado existiert (vgl. Flusser, 1998: 10). Kommunikation ist folglich ein Kunstgriff des Menschen, der ihn die „brutale Sinnlosigkeit eines zum Tode verurteilten Lebens vergessen lässt, bis er schlussendlich einsam und allein im Tod sein Ende findet“ (Flusser, 1998: 10). Kommunikation hat demnach neben der Vermittlung von Informationen einen weiteren Zweck, der eine Beschäftigung mit ihrem Gegenstand zum Interesse eines jeden Forschers oder auch Künstlers werden lässt.
Kommunikationswissenschaft hat folglich zum Ziel, eine mit Worten, Signalen, Symbolen, Gesten, Mimikry und allen anderen begrifflichen Metaphern ausgestattete Welt zu erfassen, also eine aus geordneten und ungeordneten Zeichen beschaffene Welt, in der sich erworbene Informationen internieren können, zu verzeichnen. Doch was soll in diesem Zusammenhang unter einem „Zeichen“ verstanden werden? Schon bei Leibniz findet sich eine nachdrückliche Erinnerung daran, dass „die Worte nicht nur der Gedanken, sondern auch der Dinge Zeichen seien, und dass wir Zeichen nötig haben, nicht nur unsere Meinung anderen anzudeuten, sondern auch unseren Gedanken selbst zu helfen“ (Leibniz in Hartmann, 2000: 117). Leibniz untermauert dabei die Bedeutung von Zeichen in Bezug zu ihrer Stellung und ihrem Verhältnis zur Sprache. Sprachzeichen sind folglich Teil einer Ansammlung von Symbolen, aus denen sich die kulturelle Welt der Bedeutungen zusammensetzt und gleichsam zusammen gehalten wird. Hierbei können Zeichen und das Bezeichnete stark divergieren, was allein durch die Mannigfaltigkeit der verschiedenen Sprachen und kultureller und symbolischer Systeme dargelegt werden kann: „Jedes davon besitzt eine eigene Medialität, Kunst etwa vermittelt uns die Welt anders, als es eine wissenschaftliche Formel tut oder der umgangssprachliche Ausdruck“ (Hartmann, 2000: 117).
Durch eine Beschäftigung mit der Setzung konventioneller Zeichen erschließen wir uns allerdings weniger die uns umgebene objektive Realität, sondern vielmehr eine durch uns selbst konstruierte Wirklichkeit. Ein Zeichen ist folglich als ein Glied in der Kette der Kommunikation oder aber als Element eines Regelkreises zu verstehen, im Sinne einer sinnzuschreibenden Vermittlungsinstanz. Dabei befasst sich die Kommunikationstheorie mit jedwedem informationellen Kontakt zwischen Menschen, Tieren oder auch Maschinen. Ein solcher in seiner Globalität bedenklich weite Begriff hat jedoch solange als unbrauchbar zu gelten, wie nicht alle in ihm beinhalteten spezifischen Parameter benannt sind, Kommunikation von Nicht-Kommunikation und Gelingen von Scheitern zu unterscheiden und damit erst eine Differenzierung spezifischer Kommunikationsformen zu ermöglichen (vgl. Eschbach, 1980: 42).
Die Kommunikationstheorie, so wie sie in der vorliegenden Arbeit besprochen und erarbeitet werden soll, befasst sich folglich mit einem nur für Menschen spezifischen Vorgang der zeichenvermittelten Übertragung von Signalen als Zeichen. In diesem Zusammenhang müssen allerdings zwei Gegenstandsbereiche, die einer solchen Betrachtungsweise einhergehen, bewusst ausgeschlossen werden. Zum einen wäre das die Auseinandersetzung mit der Frage, ob und wie weit andere, außermenschliche Spezies über ähnliche Symbole verfügen und zum anderen die Beantwortung der Fragestellung, welche relative Rolle symbolische und nicht-symbolische Übertragungen von Botschaften bei Menschen spielen (vgl. Flusser, 1998: 244).
Da die menschliche Kommunikation ein Gegenstand ist, der alltäglich stattfindet und das menschliche Zusammensein unabwendbar von innen heraus bedingt, ist es umso schwieriger, eine Ebene zu finden, in der man sich diesem Gegenstand nähern könnte, um ihn hinreichend begreifbar zu machen. Viele wissenschaftliche Abhandlungen, Bücherwerke und wissenschaftsjournalistische Essays haben sich bereits mit dem Thema Kommunikation befasst. Sucht man nur beispielsweise den Begriff „Kommunikation“ in einer der zahlreichen Online-Suchmaschinen, so ergeben sich unzählige Definitionen, Betrachtungsweisen und Buchvorschläge, wie sie bereits genannt wurden. In diesen Abhandlungen werden zahlreiche Modelle über den Prozess der Kommunikation abgebildet, die sich mit Hinblick auf ihre wissenschaftliche Tradition, Komplexität und inhaltlichen Schwerpunkte spürbar und durchgreifend scharf unterscheiden. In den Modellen werden, je nach wissenschaftlicher Ausrichtung, Tradition, aber auch von jeweiligen monetären Interessen geleitet, in ganz unterschiedlichen Denk- und Herangehensweisen und mit daraus resultierenden von Grund auf unterschiedlichen Ergebnissen, zwischen allgemeinen bzw. interdisziplinären und psychologischen, biologischen und philosophischen Kommunikationstheorien unterschieden.
Um dieser Problematik zu begegnen, soll in der vorliegenden Arbeit stets der Grundsatz gelten, dass es eine nicht durch Zeichen vermittelte Kommunikation weder in theoretischer noch in praktischer Hinsicht geben kann (vgl. Eschbach, 2003: 372) und folglich die Kommunikationswissenschaft als zeichentheoretische Wissenschaft angegangen werden soll. Nicht erst seit der Formulierung einer Zeichentheorie im eigentlichen Sinne gibt es Untersuchungen zu der Konstitution und Funktion von Zeichen. Ähnlich wie die Lehre von den Krankheitssymptomen schon einen signifikanten Beitrag in der klassischen griechischen Medizin leistete, basieren die platonischen und aristotelischen sprachphilosophischen Reflexionen an wesentlichen Basis-Elementen auf zeichentheoretischen Argumenten. So kann beispielsweise die stoische Logik bereits zu weiten Teilen als eine Logik der Zeichen begriffen werden (vgl. Eschbach, 1980: 43), auch wenn diese Tatsache mitnichten zur Folge hat, dass jeder Theoretiker, der den Terminus „Zeichen“ in seinen Ausführungen verwendet, rückwirkend als Semiotiker zu bestimmen gilt, zumal eine derartige retrospektive Zuordnung zu dem Ergebnis führen würde, dass „nahezu die gesamte Sprach- und Philosophiegeschichte als Geschichte der Semiotik zu betrachten“ (Eschbach, 1980: 43) wäre. Folglich bildet die Semiotik, als die Wissenschaft von Zeichen, einen ausschlaggebenden und entscheidenden Teil der kommunikationswissenschaftlichen Forschung, da beide Arbeitsbereiche und Gegenstände maßgebliche Berührungspunkte aufweisen.
Semiotik ist dabei aber weder „nur“ Wissenschaft noch Lehre oder Doktrin, sondern vielmehr antidogmatische „kritische Theorie der Zeichen in Aktion“ (Eschbach, 1981: 57). Sie darf dabei nicht im Sinne einer reinen Methode oder eines eineindeutigen Analyseinstrumentes begriffen werden, sondern sie ist als eine metatheoretische Logik der Forschung zu charakterisieren. Da es, so Charles Sanders Peirce, so etwas wie eine unmittelbare, intuitive, nicht durch Zeichen vermittelte Form des Denkens und Erkennens prinzipiell nicht geben kann, ist hieraus zu schließen, dass alles Denken ein Denken in Zeichen ist (vgl. Peirce, 1960). Diese Erkenntnis hat zur Folge, dass somit jeder Gedanke in einem anderen Gedanken aufgehoben ist und zur Bestimmung eines weiteren Gedankens führt schließlich nur das, was aus dem Wesen eines Zeichens folgt, um letztlich eine Beziehungsfunktion auszuüben (Eschbach, 1981: 57). Insofern also alles Denken ein Denken in Zeichen ist, erweist sich die Theorie der Zeichen als ein antiintuitionistisches System, da Intuition als unvermitteltes zeichenloses Denken schlichtweg nicht existieren kann. Folglich basiert die Theorie der Zeichen auf einem Modell deduktiv-hypothetischer Urteile, zumal der Prozess der kontinuierlichen Zeicheninterpretation ein „quasi-notwendiges“ (Eschbach, 1981: 57) Verfahren darstellt. Schlussendlich soll Semiotik in der vorliegenden Arbeit als die Modal-Logik der Zeichen angesehen werden, denn jeder Wahrnehmungsprozess eines Menschen stellt als Formulierung eines Wahrnehmungsurteils und jedes Wahrnehmungsurteil letztendlich einen Extremfall abduktiven4 Schließens dar. Semiotik soll in diesem Zusammenhang und in weiterer Betrachtung im Sinne Achim Eschbachs aufgefasst werden:
„Semiotik als Wissenschaft von den Zeichen befaßt sich mit der Konstitution, Funktion und Analyse von Zeichen im sozialen Kontext. Soziale Handlungssysteme, d.h. Erkenntnis- und Interaktionssysteme, die auf der notwendigen Anwesenheit von Zeichen beruhen, werden semiotische Systeme genannt. Charakteristischer Untersuchungsgegenstand der Zeichentheorie sind Zeichen- und Bedeutungssituationen, in denen ein Zeichenbenutzer etwas als Zeichen für irgendetwas anderes begründet, auffaßt und mitteilt.“ (Eschbach, 1979: 9)
Zwar mangelt es nicht an Bemühungen, weitere Konzepte und Begriffe der Semiotik interdisziplinär zu verbreiten (vgl. Smith, 1968; Tembrock, 1971; Trojan/Schendl, 1975; Todt, 1974; Bellugi et al., 1980; Meggle, 1981), hervorzuheben sind hier vor allem Thomas Sebeoks Ausführungen seiner Zoosemiotik (1968, 1977), weitgehend kann jedoch die Annahme geäußert werden, dass die Mehrheit der Versuche nicht von Erfolg gekrönt waren (vgl. Todt/Kipper, 2003: 36). Denn gerade in den Naturwissenschaften wird die Semiotik weiterhin als Wissenschaft angesehen, die bekannte Phänomene „nur“ neu ordnet und oft auch „bloß“ neu benennt, jedoch kaum oder zu selten zu wirklich neuen Fragen, geschweige denn zu unerwarteten und wichtigen Erkenntnissen führt (vgl. Todt/Kipper, 2003: 36).
Wenn nun im Folgenden von Semiotik die Rede ist, so wird dieser Terminus synonym zur Zeichentheorie verwendet werden. Dabei ist die Semiotik stets deutlich von den Interessen und Möglichkeiten der Informationstheorie und der Interaktionstheorie abzugrenzen, die fatalerweise immer wieder aufs Neue vermischt und zusammengesetzt werden, wie es beispielsweise auch Pörksen und Schulz von Thun in ihrem aktuellen Buch Kommunikation als Lebenskunst vollziehen.
In der vorliegenden Arbeit soll folglich von einer allgemeinen Zeichentheorie ausgegangen werden, die nachfolgend näher umrissen werden soll. Kennzeichnendes Merkmal einer zeichentheoretischen Betrachtungsweise ist die Anwendung semiotischer Mittel, d.h. ein Vorgehen unter Anwendung eines wie folgend dargestellten Vermittlungskonzeptes: Ein Zeichen ist ein sich ständig optimierendes und adaptierendes System, welches es unter der Perspektive dieses Vermittlungskonzeptes systemisch zu bestimmen gilt. Bei Charles Sanders Peirce existiert das Zeichen stets als eine Triade zwischen einem Zeichen-Objekt, einem Repräsentamen und einem Interpretanten.5 Es steht in einem kontinuierlichen semiotischen Prozess des permanenten Vermittelns und Vergleichens von bereits Bekanntem und dem Schluss auf noch Unbekanntes (vgl. Eschbach, 1981: 58).
Jedoch kann dieser triadische Zeichenbegriff einer pragmatizistisch integrierten Semiotik noch immer nicht als die allgemein anerkannte Grundlage zeichentheoretischer Forschungsarbeit seine ihm gebührende Achtung genießen, noch ließe sich die Geschichte der Semiotik als Geschichte des triadischen Zeichenbegriffs schriftlich fixieren. In starker Übereinstimmung mit John Deweys Art as Experience formulierte Charles W. Morris die Auffassung:
„Das Kunstwerk im strengen Sinne (d.h. das ästhetische Zeichen) existierte nur in einem Interpretationsprozeß, den man ästhetische Wahrnehmung nennen kann; daher lässt sich das zentrale Problem der Ästhetik auch als die Frage nach den besonderen Merkmalen der ästhetischen Wahrnehmung formulieren.“ (Morris, 1975: 92)
In diesem Zusammenhang erweist sich die Geschichte der Semiotik in einer weitaus logischeren Betrachtungsweise als „kontinuierliche Kritik spezieller Zeichenmodelle im Interesse der Formulierung eines allgemeinen Zeichenbegriffs“ (Eschbach, 1980: 44), da auch diese Begehung des Gegenstandes einem ständigen neu-auszuhandelnden Interpretationsprozess unterliegt. Der explikatorische Wert des triadischen Modells ist allerdings nicht allein aus sich selbst heraus verstehbar, auch wenn im Laufe des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts diese kritische Bewegung mit der Erarbeitung des qualitativ neuartigen triadischen Zeichenbergriffs einen vorläufigen Abschluss erreichte. Die vorliegende Arbeit hat folglich zum Ziel, diesen zuvor beschriebenen (vorläufigen Abschluss) wiederaufzunehmen und weiterzuführen. Zurückgreifend auf die Erkenntnisse und Errungenschaften einer zeichentheoretisch fundierten Kommunikationswissenschaft soll die Arbeit zum Ziel haben, die Kongenialität und in gleichem Maße die Notwendigkeit eines zeichentheoretischen Vorgehens in historisch-systematischer Herleitung zu verdeutlichen.
Um diesem Bestreben gerecht zu werden soll der Gegenstand Kommunikation in einer zeichentheoretisch fundierten Herangehensweise erarbeitet und anschließend der Versuch unternommen werden, das aus den vorherigen Überlegungen resultierende semiotische Zeichenmodell anhand des Beckettschen Theater des Absurden begreifbar zu machen. Die Bezugnahme auf theatrale Zeichen ist damit zu begründen, dass das Kunstwerk, wie es Morris zuvor darlegte, im strengen Sinne, genau wie die Kommunikation, nur in einem Interpretationsprozess existiert und folglich auch nur durch Mittel der ästhetischen Wahrnehmung zu erschließen gilt.
Warum Samuel Beckett? Es ließe sich sehr leicht argumentieren, dass mehr als genug Bücher, Essays und wissenschaftliche Abhandlungen über den erfolgreichen irischen Schriftsteller und seine generationsübergreifenden Werke verfasst wurden. Die Kongenialität Becketts attestieren unter anderem auch Dirk van Hulle und Mark Nixon in ihrem Werk Samuel Beckett‘s Library (2013) indem sie herausstellen, dass Beckett „a multilingual reader“ war (van Hulle/Nixon, 2013: XVI) und Anne Atik schreibt in ihrem Buch Wie es war – Erinnerungen an Samuel Beckett (2003), „daß dieser eigenwillige, unbeirrbare, hochgebildete, leidenschaftliche und zutiefst wahrheitsliebende Mann mit der eindrucksvollen Physiognomie belebt war von einem Atem, den man früher göttliche Eingebung nannte“ (Atik, 2003: 7). Zu seiner Person, seinem Leben und seinem literarischen Wirken gibt es bereits zahlreiche Ausführungen, die bis ins kleinste Detail den Mann begutachten, der 1969 mit dem Literaturnobelpreis „für eine Dichtung, die in neuen Formen des Romans und des Dramas, die künstlerische Aufrichtung des Menschen aus seiner Verlassenheit erreicht“6 geehrt wurde. Die nicht weniger mannigfachen Huldigungen und Lobpreisungen sind gleichsam Zeugnis für die Bedeutung seines Werkes und Wirkens. Das intensive Interesse der Forschung gilt dabei allerdings überwiegend den philosophischen Weltansichten sowie den literaturwissenschaftlich fokussierten und inhaltlichen Aspekten des dramatischen Geschehens. Aber auch die Struktur des Dramas und die Technik des Schweigens gehören zu den wiederholt fokussierten und behandelten Gesichtspunkten.
Eine wissenschaftliche Abhandlung über den bereits verstorbenen irischen Autoren zu verfassen, dessen Werke derart bekannt und verbreitet sind, ist folglich ein nicht ganz unproblematisches Unterfangen. So bestehen bereits große Möglichkeiten und damit auch Schwierigkeiten in der Auswahl der Literatur und Werke Becketts, die zudem in den unterschiedlichsten Sprachen vorliegen: „An urgent need exists for a solid, thorough, definitive study of Beckett’s bilingualism and his actvity as a self-translator […]“ (St. John Butler, 1994: 115). Diese Schwierigkeiten bestätigt auch Ann Beer indem sie schreibt:
„In the context of this linguistic to-and-fro movement, some of the issues inherent in Beckett’s mature bilingualism become apparent. But the person whose special interest lies in a particular period of Beckett’s work needs to be cautious about discussing what his self-translation ‚proves‘, since, as should now be clear, his bilingualism is never static. Any generalization from one period can be misleading.“ (Beer, 1994: 214)
Bereits zu Becketts Lebzeiten begründete sich eine umfassende Beckett-Forschung, die mitunter in die Beckett-Collection an der Universität Reading und dem Journal of Beckett Studies resultierte (vgl. Voigt, 2006: 18). In diesem Zusammenhang wurden viele Schriften publiziert, die den ebenso mannigfachen Arbeiten von Beckett auf den Grund zu gehen versuchen und es umso schwieriger machen, eine wissenschaftlich adäquate und fundierte Auswahl zu rechtfertigen.
Becketts Bedeutung für die moderne Literatur wird von vielen Kritikern übereinstimmend darin gesehen, so auch durch Henner Laass und Wolfgang Schröder, dass er, wie kaum ein anderer Autor sonst, „die Grenzen traditioneller Schreibweisen sehr weit verschoben hat“ (vgl. Laass/Schröder, 1984: 9). So sind Becketts Dramen, Gedichte und vielseitige Prosa als ein Eingeständnis einer künstlerischen Ohnmacht angesichts der Unverfügbarkeit zu verstehen. Sie verweisen dabei unentwegt auf ein Problem, welches bei der Untersuchung seiner Texte mitbedacht werden sollte – Becketts Gedichte, Theater- und Prosatexte sind als Kristallisationspunkte zu verstehen, die in einem die europäischen Nationalliteraturen übergreifenden Auflösungsprozess der Kunstformen und Gattungen in der Moderne auf sich aufmerksam machen wollen (vgl. Laass/Schröder, 1984: 10). Um diesen Themen proaktiv zu begegnen, lässt Samuel Beckett seine Protagonisten, Romanfiguren und wortlosen Pantomime ihre eigene sinnlose Wirklichkeit erfahren und hält dem Zuschauer damit einen Spiegel vor. Becketts Welt ist oft bitter und grausam und dabei zutiefst ernst (vgl. Schoell, 2008: 46). Seine Romane und Theaterstücke zeigen oftmals alte Menschen und Krüppel, die unbeweglich oder von Krankheit gezeichnet ihrem Ende entgegensehen. Protagonisten und Charaktere wie der im Bett liegende Malone, der mühsam Rad fahrende Molloy, welcher sich in seiner Entwicklung nur noch kriechend fortbewegt und schlussendlich im Bett seiner eigenen Mutter endet und die blinden Pozzo und Ham und die verkrüppelten Nagg und Nell in Mülltonnen, stehen für die Reduktion und Aufspaltung des Menschen, die Beckett bei seinen Rezipienten im Gedächtnis verankert. Interessanterweise werden aber auch bedeutsame Themen des Kommunizierens und des Versagens von Kommunikation von Beckett in seinen Stücken ausdrücklich aufgegriffen und beispielsweise durch die unbeweglich in ihren Urnen sitzenden drei Figuren in Play (1962) und That Time (1975) und den allein sichtbaren Mund in Not I (1972) zur Sprache gebracht. Beckett spiegelt schlussendlich eine Welt wider, in der Mythen des Wartens, des Endzustands, der Verfolgung und der Tortur, der Infragestellung der Identität, des Todes und der Erinnerung, des Nicht-Enden Könnens und der ständigen Wiederholung im kommunikativen Miteinander durchlebt und repräsentiert werden (vgl. Schoell, 2008: 46). Gelingen und Scheitern sind folglich die zwei bedeutungsvollsten Elemente des Beckettschen Werkes. Sie werden durch Beckett in mehrmalig wiederkehrenden und sich wiederholenden Hinweisen und thematischen Bezügen zu den menschlichen Kommunikationsmöglichkeiten angesprochen und dem Rezipienten vorgeführt.
Becketts allgemeine Anerkennung und Bewunderung begründet sich vor allem durch die Tatsache, dass sich seine Texte dem Verständnis vieler Leser, Hörer oder Zuschauer anhaltend zu verschließen scheinen und damit stets neue Möglichkeiten der Blickweisen und Interpretationen auf und zu Beckett ermöglichen. Zwar haben die zahlreichen Interpretationen Beträchtliches zur Erschließung und zum Verständnis Becketts Texte geleistet, dennoch, so Laass und Schröder, „dauert eine gewisse Fremdheit fort“ (Laass/Schröder, 1984: 10). Genau diese Thematik kommt in den vorliegenden Untersuchungen zum Ausdruck, welche anhand der Interpretation von Einzelaspekten des Beckettschen Werkes ausdrücklich die Möglichkeit der Ersetzbarkeit traditioneller Verstehenskategorien thematisiert. Schon Adorno schrieb, das Dilemma jeder Interpretation zeichne sich durch folgendes aus:
„[…] daß sie genötigt ist, Befremdendes, indem sie es auf den Begriff bringt, durch bereits Vertrautes auszudrücken und dadurch wegzuerklären, was einzig der Erklärung bedürfte.“ (Adorno, 1958: 101)
Ganz im Sinne von Charles Sanders Peirce Aussage zur Metasprache7 betont Adorno hier die Schwierigkeit, die Wirklichkeit durch abstrakte und durch Konvention erschaffene Begriffe dieser Wirklichkeit zu erklären. Die angesprochene Problematik der Interpretation wird auch in besonderem Maße bei dem Versuch verdeutlicht, Becketts Werk in bestimmte Gattungen der Literatur einzuordnen: „Nowadays many may well be surprised […] and may even question whether ‚understanding‘ Beckett’s drama is really the issue“ (Campbell, 2007: 253). Becketts Werke untermauern dabei Wolfgang Isers Idee von einem Textverständnis, bei dem sich der Leser seine ganz eigene und individuelle Interpretation entwirft, indem er die im Text vorhandenen Leerstellen8 selber füllt (vgl. Iser, 1975).
Auch Becketts Texte weisen solche Leerstellen auf und eröffnen dem Leser eine Vielfalt von Deutungsvariationen, die auch Beckett selbst immer wieder in Frage stellt – auch die für sein Werk geläufigen Gattungsbegriffe theatre of the absurd9 und nouveau roman hat Beckett stets zurückgewiesen (vgl. Laass/Schröder, 1984: 10). Folglich hat Beckett die Deutungsmöglichkeiten seiner eigenen Literatur erweitert, indem er paradoxerweise ihre eigenen Bedingungen in Frage stellt:
„Beckett is a great writer because he is a great moralist who is concerned with how one is to live. Beckett’s writings are not therefore by any means sui generis: his originality lies in his appropriation and reworking of the tradition so that his own beginning was possible. This is the truly reactionary aspect of his revolutionary experiments with language.“ (Murphy, 1990: 171)
Genau hier liegt der unmittelbare Bezug zu einer semiotisch fundierten Vorgehensweise und damit zur vorliegenden Arbeit. Beckett stellt mit seinem Werk und der darin liegenden Theatersemiotik Bedingungen von Kommunikation und Verstehen in Frage, indem er diese bis ins Scheitern dekonstruiert.
Die Wahl der Semiotik als Basis des Betrachtungsgegenstandes „Beckett“ ist damit zu rechtfertigen, dass eine Zuordnung in ein einziges, bestimmtes Feld der Wissenschaft, wie z.B. die Literaturwissenschaft, Medienwissenschaft oder Kunstwissenschaft, nicht, wie im vorherigen Abschnitt erklärt, Sinn und Zweck eines ganzheitlichen Vorgehens sein kann. Dieser Tatsache Tribut zollend soll die vorliegende Arbeit dies auch nicht im Schatten einer festgelegten Disziplin versuchen. Im Sinne von Karl Bühlers Überlegungen zur Sprache, Phonetik und Phonologie und zum Ausdruck sollen in einer Art „Prinzip der abstraktiven Relevanz“10 verschiedenartige Betrachtungsweisen gewählt und folglich eine zeichenbezogene Ansicht ermöglicht werden:
„Mit den Zeichen, die eine Bedeutung tragen, ist es also so bestellt, daß das Sinnending, dies wahrnehmbare Etwas hic et nunc nicht in der ganzen Fülle seiner konkreten Eigenschaften in die semantische Funktion eingehen muss. Vielmehr kann es sein, daß nur dies oder jenes abstrakte Moment für seinen Beruf, als Zeichen zu fungieren, relevant wird.“ (Bühler, 1931: 38)
Diesem Verständnis Folge leistend soll erst unter Einbezug der Semiotik eine bestimmte kategoriale Einordnung implementiert werden. Die Wahl der Semiotik als einzige konkret zugeordnete Wissenschaft ist damit zu begründen, dass die Semiotik als ein wichtiger Grundbaustein11 aller Wissenschaften zu gelten hat.
Methodologisch bedeutet ein solches Vorgehen, sich dem Gegenstand mit einer bewusst wissenschaftsübergreifenden Perspektive zu nähern. Dies soll im Folgenden kurz begründet werden:
Gegen Ende des 19. Jahrhundert galt die Annahme, dass Naturwissenschaften Phänomene erklären und die Geisteswissenschaften diese interpretieren. Somit wurde beispielsweise eine Wolke erklärt, indem man einzig und allein auf ihre Ursachen hinwies. Ein Buch wurde interpretiert, indem einzig und allein auf seine Bedeutung hingewiesen wurde. Eine Verbindung, im Sinne einer Ursachen-Wirkungs-Forschung wurde erst viel später etabliert. Folglich war eine Kommunikationstheorie „nur“ eine interpretierende Disziplin, da sie Bedeutung erst versucht zu erklären, nachdem etwas an jemanden übermittelt wurde. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch klar, dass Phänomene nicht einfach in einem dualistisch geprägten Weltbild entweder nur erklärt oder nur interpretiert werden können. Wolken können durchaus interpretiert und Bücher erklärt werden. Zwar scheint es auf den ersten Blick logisch, dass eine Sache zur Natur wird, sobald man diese erklärt und zu Geist, sobald diese interpretiert wird. Dies hätte jedoch zur Konsequenz, dass für einen Christen überhaupt alles Kunst und für einen Philosophen des 18. Jahrhunderts letztlich alles Natur wäre und somit wären Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft nicht auf die Sache, sondern auf die Einstellung des Forschers zurückzuführen (vgl. Flusser, 1998: 11). Dass eine solche Auffassung von Wissenschaft aber völlig der tatsächlichen Lage der Dinge widerspricht zeigt bereits, dass bei jeder dieser zuvor benannten Vorgehensweisen das untersuchte Phänomen andere Aspekte aufweist. Eine gedeutete Wolke ist aber weder nur die Wolke der Meteorologen, noch hat ein erklärtes Buch nichts mit seinem Erschaffer zu tun. Wendet man diese Erkenntnis auf das Phänomen der menschlichen Kommunikation an, dann wird ein methodologisches Problem erkennbar: Bei dem Versuch, menschliche Kommunikation zu erklären, beispielsweise als Weiterentwicklung von Säugetierkommunikation als Konsequenz der menschlichen Anomalie oder Methode, wird deutlich, dass dabei mithin auch ein anderes Phänomen fokussiert wird und vice versa. Die menschliche Kommunikation ist so komplex und vielseitig, dass eine ganzheitliche Betrachtungsweise nur logische Konsequenz sein kann.
Diese Erkenntnis soll in der vorliegenden Arbeit stets als Basis der weiteren Betrachtungen erachtet werden. Kommunikationswissenschaft wird folglich als Ausübung einer interpretativen Disziplin definiert, in der die menschliche Kommunikation als ein bedeutendes und zu deutendes Phänomen betrachtet wird.
Bei einer solchen Herangehensweise hat Karl Bühlers Zeichentheorie eine bedeutende Relevanz, da sie durch ihren übergeordneten und grundlegenden Charakter jegliche Disziplinen betrifft, die etwas über intersubjektive Prozesse des Zeichengebrauchs sagen wollen und sich mit korrespondierenden Phänomenen beschäftigen:
„Karl Bühler hat der Forschergemeinschaft durch seinen pragmatischen Zeichenbegriff, der sich in seinen konstitutiven Facetten erst erschließt, wenn man seine nicht als Monographie oder anderweitig geschlossen ausformulierte Zeichentheorie einer konsequenten Analyse unterzieht, die inhaltlichen Anhaltspunkte hinterlassen, die den Vorgängen des zwischenmenschlichen Zeichenverkehrs und den sozialen Bedingungen der Zeichenkonstitution ein Profil geben.“ (Wallat, 2013: V)
Folglich soll, basierend auf der Darlegung der Bühlerschen Axiomatik in Kapitel 4, anschließend dargelegt werden, dass alltägliche Interpretationskategorien an ihre Grenzen stoßen, wenn Becketts vielschichtiges und zum Teil rätselhaftes literarisches Wirken näher betrachtet wird, was in Kapitel 8 vollzogen werden soll.
Ein Gespräch über Literatur, will es wissenschaftlichem Anspruch genügen, ist daher zugleich ein Gespräch über die Möglichkeiten ihrer Interpretation (vgl. Laass, 1978: 1). Mit diesen Fragen der Bedeutungszuweisung, Darstellung und Deutungsnuancen beschäftigte sich auch der US-amerikanische Mathematiker, Philosoph, Logiker und Semiotiker Charles Sanders Peirce, welcher neben William James und John Dewey zu den maßgeblichen Denkern des Pragmatismus gehört. In gleichem Maße ist Peirce, neben Ferdinand de Saussure und Karl Bühler, als einer der wichtigsten Denkanreger der modernen Zeichentheorie zu nennen, da er, entgegen den vielen alternativen zeichentheoretischen Ansätzen, einen ganzheitlichen Zeichenbegriff entwickelte und weitreichend forderte.
Somit greift die vorliegende Arbeit auf die semiotische Logik zurück, die Peirce in seiner Auseinandersetzung mit der Darstellungsproblematik, in der er Zeichenwirklichkeit in ihrem Eigentlichen adäquat abzubilden versucht, entwickelte. Diese semiotische Logik und der daraus resultierende Zeichenbegriff sollen in Kapitel 6 erörtert werden. Die Wahl des Werkes von Peirce ist dadurch zu begründen, dass die Peircesche Semiotik mit ihrer relationslogischen Begründung als die allgemeinste und universellste Zeichentheorie zu gelten hat (vgl. Feldmann, 1988: 43) und somit dem ästhetischen Gegenstand in seiner Komplexität besonders angemessen erscheint. Die Semiotik von Peirce bietet eine umfassende Begrifflichkeit, mit der die Zeichenhaftigkeit der Vielzahl von Konzepten einer Zeichentheorie differenziert werden kann. Eine zeichentheoretische Herangehensweise ist erforderlich, um zwischenmenschliche Kommunikation überhaupt erst zu verstehen. Nur sie bietet einen ganzheitlichen Ansatz, der eine Verbindung von Bildern, Sehen, Erfahren und Sprache detailliert aufzeigen kann. Parenthetisch soll daher in Kapitel 6.5 herausgearbeitet werden, dass eine semiotische Herangehensweise als Grundgerüst zu einem umfangreichen Verständnis des Werkes von Samuel Beckett als unabdingbar zu gelten hat.
Bei der semiotischen Vorgehensweise ist dabei stets zu beachten, dass eine Selbstbeschränkung auf die Oberfläche, Struktur und die Syntaktik der zu analysierenden Gegenstände oder Sachverhalte vermieden wird (vgl. Eschbach, 2003: 372), da ein Vorgehen mit einem reinen Fokus auf die Erfassung einer Typologie schlichtweg nicht ausreichen kann, um den Gegenstand in seiner Gesamtheit zu erfassen. Ein Typologe befindet sich folglich bereits zu Beginn seiner Untersuchungen im Besitz seines Erkenntnisgegenstandes und ordnet ihn nur im Kontext seines nomenklatorischen Zugriffs an der für ihn vorgesehenen Systemstelle ein. Eine derartig monokausale Vorgehensweise ermöglicht jedoch keine Erkenntniserweiterung, da die Kenntnis der allgemeinen Regel die Kenntnis des Einzelfalls unweigerlich bereits impliziert. Ein semiotisch fundiertes Vorgehen hat schließlich drei wichtige Funktionen zu erfüllen, um den Gegenstand in seiner ganzen Fülle erschließen zu können. Somit soll die vorliegende Analyse von einer Erkenntnisfunktion (Kapitel 2 – 6), einer Relationsfunktion (Kapitel 7) und einer Interpretationsfunktion (Kapitel 8) geleitet sein, um somit theoretische als auch praktische Relevanz (Kapitel 9 und 10) zu erlangen (vgl. Eschbach, 2003: 373).
In der vorliegenden Arbeit tauchen dabei zunächst Begriffe wie Code oder Kodierung auf. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Verwendung einer Kommunikationstheorie, die auf einem Code-Modell basiert, nicht ohne ein gewisses Vorverständnis geschehen sollte. Daher soll kurz dargelegt werden, in welchem Rahmen die Verwendung des Begriffs Code oder Kodierung verstanden werden soll:
Unter dem Begriff Code, der sich von Kodex, Gesetz und der Übereinkunft eines Normenschlüssels herleitet, sollen relational invariante Informations- und Zeichenstrukturen verstanden werden, die verhältnismäßig regelhafte Produktions- und Reproduktionsabläufe von Informationen, Nachrichten und Zeichen erwarten lassen.12 Ein Code entsteht somit aus der Konstruktion einer Regel, welche ausschließlich von Kollektiven konstruiert wird. Ein Code beinhaltet eine äußerst variante Zuordnungsvorschrift, die angibt, welche zeichenhafte Einheit in welcher Relation zu etwas anderem steht und regelt – wie Zeichen in Beziehung zu Zeichen gleicher Art stehen (vgl. Schelske, 1997). So sei bemerkt, dass der Begriff Kodierung oder Code im Rahmen einer Kommunikationstheorie nicht auf ein simples Sender-Empfänger-Code-Modell zu beschränken ist. Hier und im Folgenden soll unter Code oder Kodierung, im Sinne von Erika Fischer-Lichte (2007), zudem folgendes verstanden werden: Ein Code regelt, 1. welche immateriellen Hervorbringungen als bedeutungstragende Einheiten, also als Zeichen gelten sollen, 2. welche dieser Zeichen auf welche Weise und unter welchen Umständen miteinander kombiniert werden können und 3. welche Bedeutungen diesen Zeichen a) in bestimmten Syntagmen und b) eventuell auch isoliert beigelegt werden können.
An dieser Stelle sei ebenfalls angedeutet, dass entgegen eines weitverbreiteten Verständnisses von Kommunikation, Worte nicht die einzigen Zeichen sind, denen soziale Relevanz zukommt, da gerade die Zeichenverständigungen, die außerhalb von Worten stattfindet, von immanenter Bedeutung beim Verstehensprozess sind. Die ästhetische Dimension des Performativen ist nur als Zeichen (als Ton, Geschmack, Geruch oder Tastempfindung) gegeben und nur als solches erfassbar. Sie kann nicht in Sprache transformiert und daher nicht auf Sprache reduziert werden (vgl. Wulf, 2005: 35).
Somit soll in der vorliegenden Arbeit der Grundsatz gelten, dass der Mensch ohne die Vermittlung von Zeichen, welcher Art auch immer, zur Erledigung seiner vielfältigen sozialen Aufgaben und Verpflichtungen nicht im Stande ist. Dies hat zur Folge, dass der Mensch tagtäglich mit einem relativ wirkmächtigen Zeicheninventar hantiert, welches sich nachhaltig in dessen Art und Weise manifestiert, Ordnung in die Dinge zu bringen. Ganz im Sinne von Jürgen Habermas eingebrachter Formulierung eines unter Bezugnahme auf Charles Sanders Peirce und George Herbert Mead erkenntnisleitenden Interesses – Berger/Luckmann sprechen mit vergleichbarer Intention von der gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit (vgl. Eschbach, 2003: 374). Zentraler Ausgangspunkt George Herbert Meads ist dabei, ähnlich zu Beckett, die menschliche Handlung, die er stets in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen stellt und das Individuum letztlich als unabwendbare Variable der Gesellschaft fokussiert. Einen Zugang zu innerindividuellen Momenten, wie beispielsweise Motivation und Wahrnehmung, sichert er durch eine weitgefasste Handlungsdefinition, welche bereits innerindividuelle Faktoren berücksichtigt und letztlich Erklärungsansätze für Wahrnehmung, Hypothesen und Anpassungen in aktuellen Situationen enthalten (vgl. Schneider, 1998: 23).
Im Sinne eines „Verzeichnens“ der menschlichen Wirklichkeit (Eschbach, 2003: 374) hat somit die Bedingung zu gelten, dass die Objektkonstitution nicht voraussetzungslos, sondern in einem diakritischen Prozess stattfindet. Dies bedeutet also, dass wenn wir neue Dinge erschließen, dies in ständiger Abgrenzung von bereits früher erzielten Objektivationen vollziehen. Dabei sortiert unser Gehirn stets und ständig die Reize, die auf welche Art und Weise auch immer auf uns einwirken. Nicht jedes Moment findet dabei Eingang in unsere Objektkonstitution, sondern nur dasjenige, was für unsere aktuellen Handlungsgewohnheiten eine Relevanz aufweist. Unter dieser Prämisse wird deutlich, dass in einer solchen Betrachtungsweise nur das ein Zeichen ist und sein kann, was als Zeichen interpretiert wird. So einfach und banal dies auch klingen mag, so weitreichend sind die Folgen dieser Forderung, was im Laufe der vorliegenden Arbeit dargelegt werden soll. Folglich unterliegt die Bedeutung eines Zeichens in einer ununterbrochenen Interpretantenrelation einem ständigen Wandel (vgl. Eschbach, 2003: 374).
Als Verfahren soll zunächst in Kapitel 2 ein Schwerpunkt auf die Herleitung und Erarbeitung informations-, kommunikations- und zeichentheoretischer Grundlagen gelegt werden, bevor diese Modelle schließlich theorievergleichend gegenübergestellt und modifiziert werden sollen. Neben den zuvor dargelegten offensichtlichen strukturellen Gemeinsamkeiten der Menschen- und Tierkommunikation ist an dieser Stelle jedoch deutlich im Sinne Achim Eschbachs zu betonen, dass im Interesse einer Analyse, die zu tragfähigen Ergebnissen gelangen will, es dringend erforderlich scheint, die unterscheidenden Merkmale sorgfältig herauszuarbeiten (vgl. Eschbach, 1980: 43).
In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass die dargelegten Ansätze und Überlegungen auf der kommunikationstheoretischen Bonner Prägung fundieren, wie sie sich im Institut für Kommunikationsforschung und Phonetik der Universität Bonn unter der Leitung Gerold Ungeheuers entwickelt hat und an der Universität Duisburg-Essen unter der Leitung von Professor Jens Loenhoff durch Professor H. Walter Schmitz und Professor Achim Eschbach fortgeführt wurde. Eine in dieser Art und Betrachtungsweise angegangene Kommunikationswissenschaft geht von einer strukturellen Einheit ihres Gegenstandes aus. In deutlicher Abgrenzung zu einer auf massenkommunikativen Phänomenen basierenden Herangehensweise, wie es beispielsweise die Zeitungswissenschaften und die Massenkommunikationsforschung angehen, sollen Besonderheiten der direkten, unmittelbaren und interpersonalen Kommunikation (vgl. Richter/Schmitz, 2003: 14) Gegenstand der vorliegenden Arbeit darstellen.
Wie es der Kommunikationswissenschaftler Friedrich Krotz von seiner Disziplin einfordert, hat sich „die sozialwissenschaftlich orientierte Kommunikationswissenschaft […] in den letzten Jahren viel zu sehr auf einen zu engen Kommunikationsbegriff konzentriert“ (Krotz, 2006: 127). Dabei wird nach wie vor die Frage diskutiert, ob es außer dem Kernbereich der öffentlichen Kommunikation und seiner Bedeutung für die Formen des menschlichen Zusammenlebens tatsächlich noch „andere, gleichwertige Fragen für sie geben kann“ (Krotz, 2006: 127). So sehen beispielsweise die aus der Zeitungswissenschaft hervorgegangene Fachrichtung und gleichsam das Programm der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft im Fokus des Fachs die Aufklärung indirekter, durch Massenmedien vermittelter, öffentlicher Kommunikation (vgl. Gries, 2008: 48). Immer noch bilden die damit verbundenen Produktions-, Verarbeitungs- und Rezeptionsprozesse den Mittelpunkt des Fachinteresses und die klassischen Medien genießen demzufolge besondere Aufmerksamkeit. Damit einhergehend wird die reine interpersonale Kommunikation als Basisphänomen höchstens insoweit fokussiert, als diese an öffentliche Kommunikationsprozesse gebunden wird, was beispielsweise auch das aktuelle Buch von Schulz von Thun mitunter belegt.
Bei der Betrachtung vergleichbarer Differenzierungen der Untersuchungsbereiche von Informations-, Kommunikations- und Zeichentheorie wird also deutlich, dass als genus proximum dieser drei Theorie-Konstrukte die Verwendung des Zeichen-Begriffs als unabdingbar zu gelten hat. Hingegen stellt sich als differentia specifica heraus, dass die Anwendung unterschiedlicher Zeichenarten äußerst variabel und nie eineindeutig ihre Verwendung findet. Folglich wird in der Informationstheorie von Signalen, in der Kommunikationstheorie von Symbolen und in der Zeichentheorie von Zeichen aller Art gesprochen, ohne jedoch eine deutliche Abgrenzung der Nicht-Bedeutungen herauszustellen. Diese auf den ersten Blick konsequent logisch geschlussfolgerte Unterscheidung erweist sich bei näherer Betrachtung jedoch als wenig sachgemäß, denn die Informationstheorie befasst sich weder mit Signalen noch mit sonstigen Zeichen. Vielmehr sind es Informationseinheiten, die mitnichten die konstituierenden Bedingungen von Zeichen erfüllen, wie auch, mit verändertem Vorzeichen, die Kommunikationstheorie (vgl. Eschbach, 1980: 43). Auch wenn es sich bestätigt, dass Kommunikation nur als zeichenvermittelte Etablierung interaktionaler Beziehungen möglich ist, so sind diese Wechselwirkungen weder auf spezifische Zeichen reduzierbar noch ausschließlich dadurch zu verstehen.