Genderbewusste Pädagogik in der Kita - Petra Focks - E-Book

Genderbewusste Pädagogik in der Kita E-Book

Petra Focks

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Beschreibung

Die vollständig überarbeitet Neuausgabe zum Thema Gender in der Kita: Nicht erst durch die Diskusssion um die  Schulleistungen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine geschlechterbewusste Pädagogik notwendig ist, um Kinder in ihren individuellen Interessen, Fähigkeiten und in ihrer Vielfalt zu fördern und gleiche Chancen herzustellen. Petra Focks stellt die Erkenntnisse aus Theorie und Praxis geschlechterbewusster Pädagogik verständlich und praxisorientiert für den Alltag in der Kita dar. Es geht darum, eine eigene Haltung zu entwickeln und geschlechterbewusste Pädagogik umzusetzen. In allen Teilen des Buches gibt es Materialien für Studium, Fortbildung und Umsetzung in der eigenen Einrichtung. Mit vielen konkreten Übungen, Spielen und Materialien für die Umsetzung in die Praxis. 

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Völlig überarbeitete Neuausgabe von »Starke Mädchen, starke Jungen« 2024

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2016

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlagmotiv: Klara Killeit, © Charunee Yodbun / shutterstock

Autorinnenfoto auf dem Umschlag: Marion Hunger, Berlin

Satz und Gesamtgestaltung: Sabine Hanel, Gestaltungssaal, Rohrdorf

E-Book-Konvertierung: Newgen Publishing Europe

ISBN (Print) 978-3-451-39771-4

ISBN EBook (EPUB) 978-3-451-83227-7

ISBN EBook (PDF) 978-3-451-83218-5

Inhalt

Einleitung

1. Geschlechtersymbolik – Stereotype und tatsächliche Vielfalt

1.1 Wie die Geschlechtersymbolik unsere Wahrnehmung beeinflusst

1.2 Wie Geschlechterstereotype erworben werden und die (kindliche) Entwicklung einschränken

1.3 Empfehlungen zur Verankerung einer genderbewussten Pädagogik

1.4 Anregungen zur Sensibilisierung (Selbst- und Teamreflexion)

2. Geschlecht als gesellschaftliches Strukturprinzip

2.1 Wie Geschlecht als Ordnungsprinzip für die gesellschaftliche Arbeits(ver)teilung wirkt

2.2 Wie soziale Ungleichheiten im Elementarbereich sichtbar werden

2.3 Empfehlungen zur Verankerung einer genderbewussten Pädagogik

2.4 Fragebogen zum Gender-Wissen

3. Individuelle Geschlechtsidentitätskonstruktionen

3.1 Risiken von »doing gender«-Prozessen für Kinder

3.2 »Doing gender«-Prozesse auf der Ebene der pädagogischen Fachkräfte

3.3 Empfehlungen zur Verankerung einer genderbewussten Pädagogik

4. Rechtliche Grundlagen

4.1 Internationale Rechte

4.2 Nationale Rechtsgrundlagen

4.3 Zusammenfassung rechtlicher Grundlagen für eine genderbewusste Pädagogik

5. Geschlecht im Spiegel der Kulturen, Epochen und Diskurse

5.1 Vielfältige Geschlechter im Wandel der Zeit und der Kulturen

5.2 Die Trennung von biologischem und sozialem Geschlecht

5.3 Wechselwirkungen zwischen Natur und Kultur

5.4 Anregungen für die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen theoretischen Perspektiven

6. Geschlecht im Spiegel der individuellen Entwicklung von Kindern

6.1 Sozialisation und Habitus

6.2 Chancen und Risiken einer geschlechtstypischen Entwicklung

6.3 Anregungen zur Selbst- und Gruppenreflexion

7. Fachliche Orientierungen genderbewusster Pädagogik

7.1 Ebenen und Ziele genderbewusster Pädagogik

7.2 Gender- und Inklusionskompetenz als Querschnittsaufgabe

7.3 Inhalte für Ausbildung, Studium, Fort- und Weiterbildung

7.4 Gender-Mainstreaming

7.5 Leitfaden zur Umsetzung genderbewusster Pädagogik

8. Genderbewusste Pädagogik als Chance für Bildungsprozesse in der Kindheit

8.1 Bildung als lebenslanges Lernen und Entwicklung von Lebenskompetenzen

8.2 Bildung als Voraussetzung für Teilhabe und Inklusion

8.3 Genderbewusste Begleitung von (Selbst-)Bildungsprozessen der Kinder

8.4 Empfehlungen zur Reflexion, um Bildungsprozesse für alle Kinder zu fördern

9. Bildungsbereich Partizipation

9.1 Ziele, Voraussetzungen und Stufen von Partizipation

9.2 Leitfaden für die Umsetzung einer genderbewussten und inklusiven Partizipation im Kita-Alltag

9.3 Empfehlungen zur Umsetzung von genderbewusster Partizipation in der Einrichtung

10. Bildungsbereich Konfliktlernen

10.1 Mädchen streiten anders und Jungen auch

10.2 Leitfaden zum Umgang mit Konflikten unter Kindern als Chance für soziales Lernen

10.3 Empfehlungen, Aktionen und Projekte zur Umsetzung genderbewussten Konfliktlernens

11. Bildungsbereich Sexualität und sexuelle Bildung

11.1 Entwicklungsphasen kindlicher Sexualitäten

11.2 Konstruktion von Sexualitäten

11.3 Leitfaden für eine genderbewusste sexuelle Bildung

11.4 Praktische Anregungen für eine genderbewusste sexuelle Bildung in der Kita

12. Bildungsbereich Körper und Bewegung

12.1 Körper, Geschlecht und Kultur: Wie der Körper sich entwickelt und geformt wird

12.2 Jungen dürfen wild sein und Mädchen auch

12.3 Leitfaden für eine genderbewusste Körperwahrnehmung und Bewegungserziehung

12.4 Praktische Anregungen, Aktionen und Spiele

13. Bildungsbereich Naturwissenschaften, Technik und Mathematik

13.1 »Mathematik ist männlich und Lesen weiblich«?

13.2 Prinzipien und Empfehlungen für eine genderbewusste und inklusive MINT-Bildungsarbeit

13.3 Anregungen zur genderbewussten Förderung von Bildungsprozessen im Bereich Mathematik und Technik

Literaturverzeichnis

Einleitung

Warum wird ein durch die Räume tobendes Kind auf den ersten Blick oft für einen Jungen gehalten? Warum statten Eltern ihre Kinder in aller Regel mit geschlechtstypischer Kleidung, Spielwaren für Jungen oder Mädchen aus? Warum zeigen Kinder gerade im Kindergartenalter ein betont geschlechtstypisches Verhalten? Warum gibt es nach wie vor weniger Frauen in Führungspositionen als Männer, warum so wenige Männer als Erzieher in Kitas?

Geschlecht ist verwoben mit allen Lebensbereichen. Wir finden Geschlechtersymbole und Geschlechterstereotype überall. Sie sind in gesellschaftliche Strukturen und in Organisationen eingeschrieben und beeinflussen maßgeblich die Geschlechtsidentitätsentwicklung von Kindern. Wenngleich viele Eltern ihre Kinder heutzutage nicht geschlechtstypisch erziehen und pädagogische Fachkräfte Mädchen und Jungen gleich behandeln wollen, zeigen Studien, dass Erwachsene sich vielfach in ihrem Erziehungsverhalten an tradierten Geschlechterbildern orientieren. Wie ist dies zu erklären?

Alle Menschen, die in einer bestimmten Kultur aufgewachsen sind und leben, sind beeinflusst und geprägt von den allgegenwärtigen Symbolen, Strukturen und Identitätskonstruktionen von Geschlecht, die dort gelten. Wie eine Gesellschaft aufgebaut und strukturiert ist, Verhaltensweisen, Gefühlsäußerungen, Spielmaterial – alles scheint »vergeschlechtlicht«. Auch Geschlechterstereotype sind allgegenwärtig und halten sich hartnäckig sowohl in der Sprache als auch in den Medien, wie zum Beispiel in Büchern und Filmen. Dies zeigen aktuelle empirische Untersuchungen sehr deutlich (Charlesworth u. a. 2021, S. 219).

Wer sich nicht bewusst und reflektiert damit auseinandersetzt, reproduziert meist die vorherrschenden Geschlechterverhältnisse. Dies führt jedoch unter anderem zu einer Einschränkung der Entfaltungsmöglichkeiten der Kinder im Hinblick auf das, was jeweils als »weiblich« oder als »männlich« gilt, und behindert individuelle Bildungsprozesse in der frühen Kindheit. Außerdem führen die herrschenden Geschlechterverhältnisse immer wieder zur Ausgrenzung von Kindern, die den geschlechtstypischen Vorgaben nicht entsprechen. Und Kinder, die geschlechtlich nicht einfach als entweder »weiblich« oder »männlich« verortet sind, stehen vor außerordentlichen Herausforderungen, ihren Platz in einer zweigeschlechtlich strukturierten Gesellschaft zu finden. Die vorherrschende Geschlechterkonstruktion birgt außerdem soziale Ungleichheiten wie zum Beispiel die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern und die Abwertung sozialer Berufe, in denen Frauen überrepräsentiert sind. So wird auch in nationalen und internationalen empirischen Studien übereinstimmend deutlich, dass die Betonung von Geschlecht bzw. das Gendern von Lebensbereichen sowie vorherrschende Geschlechterstereotype Kinder in ihrer kognitiven und sozio-emotionalen Entwicklung beeinträchtigen (vgl. dazu u. a. die Zusammenfassung verschiedener Studien von Heisig 2019, S. 12ff.).

Die Entwicklung von Kindern und ihre Fähigkeit, mit den jeweiligen lebensweltlichen Herausforderungen umzugehen, hängt maßgeblich davon ab, ob sie in ihren Entfaltungsmöglichketen gefördert werden (unabhängig von Geschlechtszugehörigkeit und/oder sozialer und ethnischer Herkunft), ob sie geschützt werden (u. a. vor sexualisierter Gewalt oder Diskriminierung) und ob sie beteiligt werden (genderbewusst und inklusiv). Daher hat sich immer mehr die Erkenntnis durchgesetzt, dass bereits im Elementarbereich eine genderbewusste Pädagogik notwendig ist. Denn in dieser Zeit werden wesentliche Impulse für den Erwerb der geschlechtlichen Identitäten gegeben. Hier werden die Weichen dafür gestellt, ob Kinder ihre Geschlechtsidentitäten auf eine Weise ausgestalten können, die ihren individuellen Bedürfnissen, Fähigkeiten und Interessen entspricht.

Kinder experimentieren gerade im Kindergartenalter mit den Präsentationsweisen von »Weiblichkeit« und »Männlichkeit« in unserer Kultur und setzen diese zu sich selbst in Beziehung. Wenn Kinder nicht darin bestärkt werden, ihr So-Sein auszuleben, wie es ihnen entspricht, wenn ihnen keine Spielräume in der Identitätsentwicklung ermöglicht werden und die Erwachsenen nicht reflektiert mit Geschlechterstereotypen umgehen, orientieren sich Kinder häufig an den traditionellen Geschlechterkonstruktionen. Dies führt zu Einschränkungen der Entfaltungsmöglichkeiten von Kindern und wirkt sich oft negativ auf die Entwicklung aus. Grundlage einer geschlechterreflektierten bzw. genderbewussten Pädagogik ist es, Kinder – unabhängig von Geschlechterstereotypen – in ihrer Individualität zu fördern und die Prozesse des »doing gender« (das bedeutet, wie Menschen jeweils »Männlichkeiten« und »Weiblichkeiten« im Alltag aktiv herstellen) kritisch zu begleiten. So zeigen aktuelle Forschungsergebnisse, dass es positive Auswirkungen auf die kognitive und sozio-emotionale Entwicklung von Kindern hat, wenn sie jenseits von Geschlechterstereotypen in ihren individuellen Interessen und Fähigkeiten gefördert und gleich behandelt werden (vgl. dazu Heisig 2019, S. 12ff.).

Das Geschlechter-Dreieck

Dabei ist der Einfluss der Geschlechterkonstrukte oft nicht leicht zu durchschauen, weil sie auf unterschiedlichen Ebenen wirken, die miteinander verknüpft sind und einander wechselseitig durchdringen. Veränderungsansätze und pädagogische Konzepte wirken daher wenig nachhaltig, wenn sie nur auf einzelnen Ebenen ansetzen. Die Wirkmacht der herrschenden Geschlechterverhältnisse ist nur zu verstehen (Analyseebene) und zu beeinflussen (Veränderungsebene), wenn wir die verschiedenen Ebenen zugleich beachten. Es sind vor allem drei Ebenen, die hier eine wesentliche Rolle spielen: Neben der »Geschlechtersymbolik« (für Kinder über Symbole zu »Männlichkeit« und »Weiblichkeit« und Geschlechterstereotype erlebbar) und dem »Geschlecht als Strukturprinzip« (für Kinder vor allem über die Arbeitsteilung der Geschlechter und ein Modelllernen erlebbar) sind hier als dritte Ebene die individuellen Geschlechtsidentitätskonstruktionen und die Prozesse des »doing gender« zu nennen.

Ebenen des Geschlechter-Dreiecks

Vor allem die Ebene der individuellen Geschlechtsidentitätskonstruktionen (»doing gender«) wird leicht vernachlässigt. So zeigen Kinder nicht nur ihre Spielinteressen, wenn sie mit Autos oder mit Puppen spielen, sondern konstruieren zugleich »Männlichkeit« und »Weiblichkeit«.

Geschlecht ist jedoch nur ein Merkmal der individuellen Identitätskonstruktionen von Kindern. Sie unterscheiden sich zum Beispiel in Bezug auf das Lebensalter, die soziale Herkunft, Sprache, Rassismuserfahrungen, Be-Hinderung, religiöse oder weltanschauliche Prägungen. Die Lebenswelten von Kindern sind also immer auch beeinflusst durch unterschiedliche Gruppenzugehörigkeiten. »Weiblichkeit« oder »Männlichkeit« wird in verschiedenen Altersgruppen, Kulturen oder sozialen Milieus unterschiedlich definiert. Es ist daher notwendig, das Thema Geschlecht weder zu banalisieren noch zu dramatisieren. Geschlecht ist eines von verschiedenen Aspekten der Identitätskonstruktion von Kindern und ungleichheitsrelevanter Faktoren. Um allen Kindern die gleichen Bildungschancen zu ermöglichen, um Kinderschutz und Partizipation zu gewährleisten und somit Inklusion zu fördern, müssen die unterschiedlichen Faktoren immer in Verknüpfung miteinander betrachtet werden.1 Eine solche verknüpfende (intersektionale) Betrachtungsweise kann dabei helfen, Kinder in ihrer Vielfalt wahrzunehmen, Zuschreibungen aufgrund des Geschlechts, der sozialen oder ethnischen Herkunft zu vermeiden und individuelle Diskriminierungserfahrungen anzuerkennen und zu thematisieren.

Was meint genderbewusste Pädagogik?

Genderbewusste Pädagogik ist der Oberbegriff für einen reflektierten Umgang mit Geschlecht und Geschlechterkonstruktionen auf der Ebene der Kinder, der Erziehungsberechtigten, der pädagogischen Fachkräfte und der Einrichtung. Grundlage ist die Wertschätzung der tatsächlichen (geschlechtlichen) Vielfalt und Individualität von Kindern unter Berücksichtigung vorhandener sozialer Ungleichheiten in den Geschlechterverhältnissen. Diese doppelte Blickrichtung, Kinder sowohl als Angehörige ihrer Geschlechtergruppe als auch in ihrer Einzigartigkeit mit ihren individuellen Stärken und Interessen zugleich zu betrachten, ist grundlegend für eine genderbewusste Pädagogik. Dabei geht es nicht nur um mehr oder gleiche Chancen, sondern immer auch um soziale Gerechtigkeit, Inklusion und die Umsetzung der Kinderrechte.

DEFINITION

Genderbewusste Pädagogik

Das Ziel genderbewusster Pädagogik ist es, Kinder – jenseits von Geschlechterstereotypen – in ihren individuellen Interessen und Fähigkeiten zu fördern. Es geht darum, sie bei der Ausgestaltung ihrer individuellen Geschlechtsidentitäten zu unterstützen, unabhängig von den jeweils herrschenden Vorstellungen vom »richtigen Mädchen« und »richtigen Jungen«. Kinder werden in ihren Entfaltungsmöglichkeiten gefördert, genderbewusst und inklusiv beteiligt und geschützt (u. a. vor sexualisierter Gewalt und vor Diskriminierung). Genderbewusste Pädagogik beruht auf einer Haltung, die auf der Anerkennung vielfältiger Lebensweisen basiert und Chancengerechtigkeit, Kinderrechte und Inklusion betont.

Der Aufbau des Buches

Da Geschlecht unser (gesellschaftliches) Leben strukturiert und Geschlechterstereotype allgegenwärtig sind, erscheinen uns die herrschenden Geschlechterverhältnisse als natürlich, selbstverständlich und normal (vgl. auch Focks 2022, S. 75). Und auch die Darstellung von »Männlichkeit« und »Weiblichkeit« erfolgt so routiniert, dass diese für die Beteiligten und für Beobachter*innen selbst als solche meist unerkannt bleibt. Daher geht es in den ersten drei Kapiteln des Buches darum, die Konstruktion der Geschlechterverhältnisse auf allen Ebenen als solche sichtbar zu machen (zu rekonstruieren) und anzuregen, wie eine geschlechterreflektierte Pädagogik umgesetzt werden kann (zu dekonstruieren).

Im ersten Kapitel erfahren Sie, welchen Einfluss Geschlechterstereotype haben und wie sie die Entfaltungsmöglichkeiten und die Entwicklung von Kindern beeinflussen. Sie erhalten Anregungen zur Sensibilisierung und konkrete Empfehlungen, wie eine genderbewusste Pädagogik zur Vermeidung von Geschlechterzuschreibungen umgesetzt werden kann.

Im zweiten Kapitel geht es darum, wie das soziale Leben auf der Grundlage der Geschlechterverhältnisse organisiert und strukturiert ist und welche sozialen Ungleichheiten sich daraus für den Kita-Bereich ergeben. Sie erhalten dazu eine Handreichung zur Sensibilisierung für die herrschenden Geschlechterverhältnisse in den unterschiedlichen Lebens- und Arbeitsbereichen (Gender-Quiz mit vielen statistischen Daten und Zahlen zum Einstieg in das Thema).

Darauf aufbauend widmet sich das dritte Kapitel der dritten Ebene des Geschlechter-Dreiecks, das heißt, wie »Männlichkeiten« und »Weiblichkeiten in der alltäglichen Interaktion aktiv hergestellt werden. Dabei werden sowohl die Phasen der individuellen Geschlechtsidentitätsentwicklung dargestellt als auch die unterschiedlichen Geschlechtsidentitäten. Sie erfahren, welche Risiken es birgt, wenn Kindern keine Spielräume in der Geschlechtsidentitätsentwicklung eingeräumt werden, und Sie erhalten Empfehlungen zur Verankerung einer genderbewussten Pädagogik.

Im vierten Kapitel erfahren Sie, welche gesetzlichen Grundlagen zu einer genderbewussten Pädagogik verpflichten und was die gesetzlichen Grundlagen für Kindertageseinrichtungen und die pädagogische Arbeit mit Kindern bedeuten. Dazu erhalten Sie einen Überblick zu den rechtlichen Grundlagen und Hinweise auf weiterführende Literatur sowie methodische Anregungen zum Thema Menschen- und Kinderrechte.

Jegliches pädagogisches Handeln wird von unseren theoretischen Vorannahmen mitbestimmt. Je nachdem, welches Bild wir von »Männlichkeit« und »Weiblichkeit« und den Geschlechterverhältnissen haben, werden wir unterschiedliche Akzente in unseren pädagogischen Herangehensweisen setzen.

Aus diesem Grund widmet sich das fünfte Kapitel der Frage, wie sich Geschlecht in den Vorstellungen, den Strukturen und dem Erleben von Menschen im Wandel der Zeit verändert hat und welche Vorstellungen es in verschiedenen Kulturen gibt. Sie erfahren, welche theoretischen Annahmen und Diskurse zu Geschlecht vorherrschen und was diese jeweils für die pädagogische Praxis bedeuten. Denn nur so ist es möglich, eine eigene reflektierte pädagogische Haltung zu entwickeln.

Im sechsten Kapitel erfahren Sie, wie sich Kinder geschlechtstypische soziale Praktiken aktiv aneignen und welche Gewinn- und Verlustseiten eine geschlechtstypische Sozialisation birgt. Zugleich erfahren Sie, wie eine geschlechtstypische Sozialisation Entfaltungsmöglichkeiten einschränkt sowie zu sozialen Problemen und zu Ausgrenzung von Kindern führen kann.

Im siebten Kapitel geht es um die fachlichen Orientierungen einer genderbewussten Pädagogik; es geht um die Ebenen der Umsetzung, die Ziele, Haltungen und Arbeitsformen. Sie erfahren, was Genderkompetenz ist, welche Rolle das Geschlecht der pädagogischen Fachkräfte spielt und wie eine geschlechterbewusste Pädagogik im Berufsalltag umgesetzt werden kann. Eine genderbewusste Pädagogik basiert auf einer Haltung der Chancengerechtigkeit, der Inklusion und der Kinderrechte. Im Leitfaden für die Umsetzung einer genderbewussten Pädagogik geht es daher darum, wie Kinder in ihren Entfaltungsmöglichketen gefördert, geschützt sowie genderbewusst und inklusiv beteiligt werden.

Im achten Kapitel erfahren Sie, wie Bildungsprozesse durch soziale Ungleichheiten und Diskriminierungen (u. a. aufgrund von Geschlecht) behindert werden. Darauf aufbauend geht es darum, wie in Kindertageseinrichtungen (Selbst-)Bildungsprozesse und die selbsttätige Aneignung von Welt gefördert werden können. Sie erfahren außerdem, wie in den Bildungsplänen der Länder für Kita und Kindertagespflege genderbewusste Pädagogik thematisiert wird, und erhalten Empfehlungen, um Bildungsprozesse für alle Kinder zu fördern.

Genderbewusste Pädagogik ist eine Querschnittsaufgabe für alle Bildungsbereiche. Dabei geht es nicht darum, spezifische Angebote für jeden Bildungsbereich zu entwickeln; dies birgt eher die Gefahr der Dramatisierung von Geschlecht. Die Herausforderung ist vielmehr, alle Bildungsbereiche daraufhin zu betrachten, inwiefern sie einschränkende Geschlechterkonstruktionen eher stabilisieren oder aber eine kritische Auseinandersetzung und Veränderung fördern. Da es in den Bildungsplänen der Länder eher allgemeine Formulierungen gibt, die kaum für die Praxis konkretisiert werden, und es häufig unscharf bleibt, wie sich genderbewusste Pädagogik für die spezifischen Bildungsbereiche umsetzen lässt (vgl. auch Rohrmann 2022), werden in den folgenden Kapiteln ausgewählte Bildungsbereiche in dieser Weise genderbewusst reflektiert. Sie erhalten für jeden Bildungsbereich jeweils einen Leitfaden zur Umsetzung und zusätzlich konkrete Anregungen für Aktionen, Spiele und Projekte für die Praxis in Kita und Hort sowie für Ausbildung und Studium, Fort- und Weiterbildung.

1 In Anlehnung an Sandra Harding (1991, S. 53ff.) haben Nina Degele und Gabriele Winker (2007, S. 3ff.) Intersektionalität als Mehrebenenanalyse entwickelt.

1.

Geschlechtersymbolik – Stereotype und tatsächliche Vielfalt

Die Themen in diesem Kapitel sind

→ Wie beeinflussen Geschlechterstereotype und Alltagstheorien unsere Wahrnehmung?

→ Warum können Geschlechterstereotype Bildungsprozesse einschränken und zu sozialen Ungleichheiten führen?

→ Wie werden Geschlechterstereotype erworben?

→ Wie kann eine genderbewusste Pädagogik in Bezug auf Stereotype umgesetzt werden?

Geschlechtersymbolik erklärt, wie »Männlichkeit« und Weiblichkeit« bzw. Geschlechterverhältnisse in der jeweiligen Gesellschaft definiert werden. Kinder sind in ihren Lebenswelten von Anfang an mit Stereotypen konfrontiert: in der Familie, in der Kindertagesstätte, im Kontakt mit anderen, über Spielwaren, Kinderbücher und weitere mediale Einflüsse. Vielfach unbemerkt filtern Kinder so tagtäglich Informationen über »Männlichkeit«, Weiblichkeit« und die Geschlechterverhältnisse aus ihrer Umwelt heraus.

Doch nehmen Kinder Stereotype anders wahr als Erwachsene, sie können die Verallgemeinerungen und Verzerrungen noch nicht erkennen und binden die Stereotype aktiv in ihre Wirklichkeitskonstruktionen ein. Sie konstruieren Geschlecht anhand der Geschlechterstereotype und Verhaltenstypisierungen und lernen dabei, dass es beim Geschlecht nur ein »Entweder-oder« gibt. Und sie erfahren, was beim jeweiligen Geschlecht überwiegend als »normal« oder als »abweichend« bewertet wird. Diese frühen Botschaften über Geschlecht und andere soziale Gruppenzugehörigkeiten, wie etwa (zugeschriebene) ethnische oder soziale Herkunft, fördern oder behindern die Entfaltungsmöglichkeiten und frühe Bildungsprozesse von Kindern.

Da Geschlechterstereotype vielfach unbewusst und mehrgleisig wirken, sind sie besonders prägend: Wenn Kinder den Stereotypen entsprechen, werden sie sozial anerkannt, belohnt oder sogar bewundert, sodass sich das Verhalten häufig verstärkt (vgl. Elsen 2020, S. 107). Können Kinder in einigen Bereichen, die den jeweiligen Geschlechterstereotypen entsprechen, ihre Fähigkeiten erproben, erwerben sie in diesen Bereichen auch mehr Kompetenzen. Denn durch die physiologische und anatomische Plastizität entwickeln sich die körperlichen Strukturen mit den Erfahrungen, die die Kinder machen. Jene Regionen, die Kinder verstärkt nutzen, entwickeln sich stärker. So wird zum Beispiel die Synapsenbildung im Gehirn entscheidend gefördert durch geistiges und körperliches Training (vgl. Focks 2022, S. 63). Haben Kinder in bestimmten Bereichen mehr Kompetenzen entwickelt, erhalten sie vielfach Anerkennung von anderen, was wiederum das Interesse an diesen Bereichen verstärkt (vgl. ebd.).

1.1 Wie die Geschlechtersymbolik unsere Wahrnehmung beeinflusst

Die Wahrnehmung, was »typisch weiblich« oder »typisch männlich« ist, ist – mehr oder weniger unbewusst – im Denken verankert. Dass wir bestimmte Eigenschaften bei Kindern als typisch für Mädchen oder Jungen einstufen, hat Auswirkungen auf deren weitere Entwicklung. Bereits bei Säuglingen und Kleinkindern werden bestimmte Verhaltensmuster dieser Geschlechterdualität zugeordnet. Dies zeigen verschiedene Experimente, die seit den 1980er Jahren immer wieder durchgeführt werden.

FORSCHUNG

Die Baby-X-Experimente

Bei den sogenannten »Baby-X-Experimenten« wurde Versuchspersonen ein und dasselbe Baby gezeigt. Beide Gruppen wurden gebeten, Verhaltensweisen und Eigenschaften des Kindes zu beschreiben. Dabei wurde der einen Gruppe die Information gegeben, bei dem Kind handle es sich um ein Mädchen, der anderen wurde gesagt, dass es ein Junge sei. In den anschließenden Beschreibungen der Gruppen ergaben sich große Unterschiede. Während die eine Gruppe das Kind (»Mädchen«) als fröhlich und ruhig beschrieb, empfand die andere Gruppe dasselbe Kind (»Junge«) als zornig und eher unruhig (Seavy, Katz & Rosenberg 1975, S. 103ff.).2

Diese und viele weitere Studien zeigen, wie Erwachsene ein Kind wahrnehmen, abhängig davon, ob sie es für ein Mädchen oder einen Jungen halten. Es wird deutlich, dass Geschlechterstereotype nicht nur unser Verhalten, sondern bereits unsere Wahrnehmung beeinflussen. Wie ist dies zu erklären?

Stereotype sind kognitive Schemata, die mental abgespeichert und automatisch aktiviert und angewendet werden können. Diese Annahme über vorreflexive quasi automatische Informationsverarbeitung ist besonders relevant, wenn neue Informationen eintreffen. Das Schema steuert gewissermaßen die Verarbeitung von neuen Informationen und ist somit entscheidend dafür, ob diese überhaupt wahrgenommen und wie sie interpretiert werden. Fehlende Informationen über Menschen oder Gruppen werden aus dem mental abgelegten Schema ergänzt. Dieser Prozess führt dazu, dass sich Schemata in der Regel sehr lange halten (Geschlechterschema-Theorie, nach Wolter 2020, S. 5). Das Schema der Geschlechterstereotype verstellt den Blick für das wirkliche Verhalten von Kindern in ihrer Einmaligkeit und tatsächlichen Vielfalt. Im Alltag werden die angenommenen Geschlechterunterschiede vielfach zum Anlass genommen, an das Verhalten von Kindern unterschiedliche Erwartungen zu stellen und sie unterschiedlich zu erziehen. Jeweils herrschende Klischeevorstellungen vom »typischen Mädchen« und vom »typischen Jungen« werden bestätigt und sogar verstärkt (vgl. Focks 2011, S. 74). Die eindimensionale Betrachtung von »den Jungen« oder »den Mädchen« verhindert den Blick auf die tatsächliche Vielfalt und Unterschiedlichkeit von Kindern.

Je nach Perspektive sind Jungen entweder aktiv und durchsetzungsfähig oder laut, wild und rücksichtslos. Mädchen sind entsprechend einfühlsam und sozial kompetent oder eben »zickig« und passiv. Indem wir vor allem die Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen wahrnehmen, sehen wir nicht, wie groß die Unterschiede unter Mädchen oder wie unterschiedlich Jungen sind (ebd.). Wir sind nicht »neutral« oder »objektiv« als Wahrnehmende und Handelnde. Den Boden für unsere Wahrnehmung und unser Handeln bilden Geschlechterstereotype, gesellschaftliche Normen, soziale Praktiken (Verhaltenstypisierungen) und Alltagstheorien3. Diese sozialen Konzepte sind zeit- und kulturtypisch und leiten unsere Wahrnehmung und die Interpretation dessen, was in uns und um uns herum geschieht. Wie wandelbar unsere Vorstellungen von »Weiblichkeit« und »Männlichkeit« sind, zeigt ein Blick in die Geschichte und in andere Kulturen (siehe Kapitel 5). Soziale Konzepte werden gesellschaftlich vermittelt und im Laufe der Sozialisation aktiv angeeignet. In der alltäglichen Interaktion werden Stereotype und Alltagstheorien häufig reproduziert und verstärkt. Auf diese Weise werden sie verinnerlicht und wirken »naturgegeben« – das heißt, sie werden nicht mehr als Stereotype, sondern als Fakten wahrgenommen.

Die wichtigste Funktion sozialer Konzepte besteht darin, nicht jede Situation neu interpretieren und eine geeignete Reaktion finden zu müssen. Sie erleichtern die Einordnung von Erlebnissen und helfen, komplexe Zusammenhänge und Situationen zu vereinfachen und zu vereinheitlichen. Anders ausgedrückt: Soziale Konzepte und Verhaltenstypisierungen erleichtern uns unseren Alltag – zugleich aber schränken sie die Wahrnehmung und das Spektrum möglicher Verhaltensweisen stark ein. Häufig geschieht das vorbewusst und unreflektiert: ob es die medizinische Koryphäe ist, die mit einer männlichen Person assoziiert wird, oder das durch die Räume der Kita rennende, laute Kind, das zuerst einmal für einen Jungen gehalten wird.

Alltagstheorien und Stereotype helfen uns zwar, die Vielzahl von Informationen, mit denen wir täglich konfrontiert werden, schnell einzuordnen und rasch Entscheidungen zu treffen. Allerdings sind mit diesen automatisch angewendeten Zuordnungen auch Risiken verbunden, wenn zum Beispiel Stereotype über Mitglieder einer bestimmten Gruppe hinsichtlich unbekannter Personen verallgemeinert werden. Dies kann dazu führen, dass wir Kinder in ihren Entfaltungsmöglichkeiten einschränken oder sogar ausgrenzen. Wenn etwa als Jungen identifizierte Kinder Verhaltensweisen zeigen, die als »typisch weiblich« gelten oder sich mit »Weiblichkeit« verbundene Symbole aneignen, zeigt sich, wie wichtig in unserer »Kultur der Zweigeschlechtlichkeit« nicht nur eine eindeutige Zuordnung ist. Es zeigt sich vor allem auch, dass die Differenzen bewertet, also direkt mit der Hierarchisierung der Geschlechter verbunden werden. So wird »Weiblichkeit« nicht nur als etwas eindeutig anderes als »Männlichkeit« angesehen, sondern dieses Andere wird auch geringer bewertet.

Diese Sichtweise entspricht der Logik der »instrumentellen Vernunft«. Die instrumentelle Vernunft ist eine bestimmte Art zu denken, zu fühlen und zu handeln, die sich in Europa mit der Aufklärung zunehmend durchgesetzt und andere frühere Formen des Denkens verdrängt hat. Diese Form der Vernunft basiert auf einem »Entweder-oder«-Denken, das keine Gleichzeitigkeiten oder Wechselseitigkeiten kennt und kein »Sowohl-als-auch« duldet. Ein zentraler Aspekt dieses Denkens ist die Einteilung in »normal« und »abweichend«, in »Wir« und »die Anderen«. Dieses Denken basiert immer auch auf Bewertungen von Differenzen. Birgit Rommelspacher (1992) beschreibt daher unter anderem Europa und Nordamerika als sogenannte »Dominanzkulturen«.

DEFINITION

Dominanzkultur

Dominanzkultur bedeutet, »dass unsere ganze Lebensweise, unsere Selbstinterpretationen sowie die Bilder, die wir von anderen entwerfen, in Kategorien der Über- und Unterordnung gefasst sind« (Rommelspacher 1992, S. 22).

Solche Kategorien der »Über- und Unterordnung« finden wir in Dominanzkulturen jedoch nicht nur im Zusammenhang mit Zuordnungen zum Geschlecht, sondern ebenso in Bezug auf (zugeschriebene) kulturelle oder ethnische Zuordnungen, auf körperliche Verfasstheit, auf Lebensalter ... Diese Kategorien werden häufig unreflektiert und ungewollt immer wieder bestätigt und reproduziert, etwa wenn Schwarze Menschen oder als muslimisch wahrgenommene Menschen in Kinderliedern, Büchern oder Fernsehserien bestimmte Eigenschaften und Rollen zugewiesen werden (vgl. Hasters 2020). In der gesellschaftlichen Wahrnehmung erweisen sich zum Beispiel Jungen mit türkischem oder arabischem Migrationshintergrund besonders häufig als »auffällig« oder unangepasst. Dagegen werden Mädchen in der stereotypen Wahrnehmung in diesem Fall eher als »unterdrückt« und/oder »passiv« betrachtet (vgl. Focks 2013b, S. 72).

Auch pädagogische Fachkräfte bringen geschlechtstypisches Verhalten von Kindern mit deren (zugeschriebenem) kulturellem Hintergrund in Verbindung. So ist das Stereotyp vom »kleinen türkischen Macho« oder vom Mädchen, das seinem Bruder »hinterherräumt«, weit verbreitet (Rohrmann & Wanzeck-Sielert 2014, S. 55f.). Viele dieser Stereotype und Alltagstheorien basieren auf Vorurteilen und Verallgemeinerungen.

So zeigen auch die Ergebnisse der aktuellen Studie der Harvard und Yale Universität, dass Stereotype in unserer Sprache allgegenwärtig sind und die Art und Weise beeinflussen können, wie wir soziale Gruppen wahrnehmen, über sie denken und mit ihnen umgehen (vgl. Charlesworth u. a. 2021, S. 238). Die Ergebnisse der Studie machen deutlich, wie omnipräsent Stereotype sind. Deshalb ist davon auszugehen, dass Symbole und Stereotype uns in unserer Wahrnehmung und unserem Verhalten beeinflussen, wenn wir uns nicht reflektiert und bewusst damit auseinandersetzen. Stereotype und Diskriminierungen sind immer auch Repräsentationen kollektiven Wissens und Denkens. Stereotype können, unabhängig davon, ob es eine diskriminierende Absicht gibt, negative Auswirkungen auf Kinder haben.

1.2 Wie Geschlechterstereotype erworben werden und die (kindliche) Entwicklung einschränken

Kinder werden in ihrem Alltag unausweichlich mit Geschlechterstereotypen konfrontiert. Nach der sozial-kognitiven Lerntheorie (Bussy & Bandura 1999) sind es verschiedene Mechanismen, durch die Geschlechterstereotype von der sozialen Umwelt vermittelt und von den Kindern aktiv angeeignet werden. Dabei werden bereits im Kindesalter Geschlechterstereotype gefestigt, indem typisches Verhalten durch Nachahmung und Modelllernen erworben wird. Außerdem können Geschlechterstereotype auch direkt vermittelt werden, wie zum Beispiel in der konkreten Interaktion mit anderen Kindern oder auch durch die Darstellung in Medien, wie etwa in Kinderbüchern. Zudem erlernen Kinder Geschlechterstereotype durch Erfahrungen und Reaktionen auf das eigene Verhalten, wie etwa die Bestärkung von geschlechtstypischen sozialen Praktiken oder die fehlende Reaktion auf geschlechterstereotype Äußerungen von Kindern; zum Beispiel, dass Jungen stärker sind als Mädchen. Sowohl bei der Bewertung des eigenen Verhaltens als auch des Verhaltens anderer wenden Kinder Geschlechterstereotype in der Regel bis zum Schulalter sehr rigide an (vgl. Wolter 2020, S. 6).

WISSEN

Übernahme von Geschlechterstereotypen in Selbst- und Fremdzuschreibungen

Es gibt viele Belege dafür, dass Geschlechterstereotype nicht nur auf Verallgemeinerungen von Gemeinsamkeiten und Unterschieden von Gruppen basieren, sondern Unterschiede zwischen den Geschlechtern erzeugen, indem sie etwa die Entwicklung von Geschlechtsidentitäten beeinflussen. So meinen zum Beispiel viele Kinder im Kindergarten, dass Jungen stärker sind oder schneller Roller fahren, obwohl es in diesem Alter keine relevanten körperlichen Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen gibt. Die Kinder können zu dieser Einschätzung also nicht aufgrund eigener Erfahrung bzw. aufgrund von Beobachtungen gelangt sein (vgl. u. a. Elsen 2020, S. 107).

Bei der Annäherung an die Frage, wie Stereotype sich auswirken, beschreibt Ilka Wolter (2020) einen weiteren Mechanismus: Sie weist darauf hin, dass Geschlechterstereotype wie Erwartungen oder sich selbsterfüllende Prophezeiungen wirken (ebd., S. 7). Mit der Theorie der Stereotypen-Bedrohung beschreiben Steele und Arnson (1995) einen weiteren Mechanismus, wie Geschlechterstereotype nicht nur die Fremd-, sondern auch die Selbstwahrnehmung von Menschen und sogar ihre Leistungsfähigkeit beeinflussen. In Leistungssituationen, in denen Menschen mit Stereotypen konfrontiert bzw. durch Stereotype bedroht werden, schneiden sie häufig schlechter ab, als es ihnen aufgrund ihrer tatsächlichen Fähigkeiten möglich wäre, und bestätigen dadurch das zugrunde liegende diskriminierende Stereotyp, etwa über Schwarze Menschen oder über Frauen.

FORSCHUNG

Experimente zum Einfluss von Geschlechterstereotypen

Wissenschaftler von der Stanford University wiesen in mehreren Experimenten nach, dass Schwarze Collegestudent*innen in Tests schlechter abschnitten, wenn sie vorab auf ihre Hautfarbe hingewiesen wurden (Steele & Aronson 1995). Andere Experimente von Steele (1997) zeigten, dass auch Geschlechterstereotype Einfluss auf die Leistungsfähigkeit haben. So teilte Steele Testpersonen in zwei Gruppen auf, die in ihren mathematischen Leistungen vergleichbar waren. Der einen Gruppe wurde gesagt, dass Männer und Frauen in diesem Test immer sehr unterschiedlich abgeschnitten hätten. In dieser Gruppe fiel das Ergebnis des Mathetests bei den Frauen deutlich schlechter aus als bei der Gruppe ohne diesen Hinweis (ebd.).

Untersuchungen zu den Auswirkungen von Stereotypen und Verhaltenstypisierungen zeigen zudem, wie wichtig es ist, die Differenzkategorien in ihrer Verwobenheit und ihren Wechselwirkungen, also »intersektional«, zu betrachten.4

FORSCHUNG

Experimente zur Verknüpfung von Stereotypen

Besonders eindrücklich ist in diesem Zusammenhang die Untersuchung von Margaret Shih (1999) von der Harvard University. Im Mittelpunkt standen dabei zwei in den USA weitverbreitete Vorurteile, nämlich, dass Menschen asiatischer Herkunft über besonders gute mathematische Kenntnisse verfügen und Frauen schlechter in Mathematik sind als Männer. In diesen Experimenten schnitten Studentinnen asiatischer Herkunft besser ab als die Kontrollgruppe, wenn sie vorab auf ihre ethnische Herkunft hingewiesen wurden. Wenn sie jedoch auf ihr Geschlecht hingewiesen wurden, waren die Ergebnisse deutlich schlechter (vgl. Shih nach: Schnerring & Verlan 2014, S. 24).

Forschungsergebnisse zeigen zudem, wie kulturtypisch Stereotype und Verhaltenstypisierungen sind. So assoziieren Menschen in Nordamerika und Europa mit dem »Alter« eher »Vergesslichkeit«. Dagegen gelten ältere Menschen in vielen Ländern Asiens als weise, wichtig und aktiv. Und auch hier hat die Erwartungshaltung Einfluss auf die Leistung der einzelnen: »Alte Amerikaner schneiden in Gedächtnistests weitaus schlechter ab als junge Amerikaner. Alte Chinesen hingegen nicht. Die Gedächtnisleistungen von jungen und alten Chinesen unterscheiden sich in diesen Studien tatsächlich kaum« (Förster zit. nach: Schnerring & Verlan 2014, S. 24).

Stereotype sind jedoch nicht nur kultur-, sondern auch zeittypisch. So finden sich gegenwärtig – bedingt durch gesellschaftliche Wandlungsprozesse – in Deutschland modifizierte Geschlechterstereotype und Verhaltenstypisierungen. Mädchen erscheinen selbstbewusst, ohne Probleme und als die Gewinnerinnen im Bildungsbereich. Das öffentlich vermittelte Bild von Jungen ist in den letzten Jahren geprägt von Defiziten; Jungen gelten aktuell als die Verlierer im Bildungssystem und schon im Kindergartenalter als unkonzentriert, laut, wild und schwer zu bändigen. Es wird immer wieder auf den durchschnittlich erhöhten Anteil von Jungen mit sonderpädagogischem Förderbedarf und mit einer Lernbehinderung hingewiesen. Die Fokussierung auf solche Unterschiede fördert eine geschlechterstereotype Betrachtung und hat eine nicht zu unterschätzende Wirkung auf die Fremd- und Selbstwahrnehmung von Kindern (vgl. Focks 2014a, S. 160). So weist Hannelore Faulstich-Wieland (2010) nach, dass unsere gesellschaftliche Vorstellung von »Männlichkeit« erheblich dazu beiträgt, dass manche Jungen in der Schule schlechter abschneiden:

FORSCHUNG

Geschlechterstereotype im Bildungsbereich

»Aus unserer eigenen Forschung wissen wir, dass von Jungen eher erwartet wird, dass sie unangepasst und widerständig sind […], dass Jungen sich gern in den Mittelpunkt stellen, dabei aber von Lehrkräften unterstützt werden. Zugleich begeben sie sich damit auf einen schmalen Grat zwischen bewundert werden und nerven. Dies kann sie schnell zu ausgegrenzten Störenfrieden machen – und zu solchen, die im Unterricht mit Bluff durchkommen, aber dadurch auch letztlich weniger lernen« (ebd., S. 9).

Wenngleich sich Eltern und pädagogische Fachkräfte im normativen Diskurs an Werten wie Gleichbehandlung und Individualität orientieren, zeigen wissenschaftliche Studien, dass sie sich im konkreten Alltagshandeln dennoch an traditionellen Geschlechterbildern orientieren (vgl. u. a. Hunger 2014, S. 15ff.). So zeigt eine Studie zur Körper- und Bewegungssozialisation, dass Kinder rein äußerlich auf generalisierte Zuschreibungen hin klar geschlechtstypisierend ausgestattet werden; Kleidung, Spielsachen, Abbildungen auf Brotdosen, Getränkeflaschen, Hausschuhen etc. werden geschlechtstypisch ausgewählt (ebd., S. 17).

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Orientierung an traditionellen Geschlechterbildern

»Die allgegenwärtige Symbolik realisiert sich bei Jungen – neben klassischen Motiven wie Fußball, Feuerwehr etc. – in Form von (als Markenzeichen geschützten und unter Lizenz auf zahlreichen Produkten vertriebenen) Figuren, wie Lightning McQueen (erfolgreicher Rennwagen) und Spider-Man (Actionheld) sowie Motiven aus Star Wars (Heldenepos), die jeweils Actionbereitschaft und Stärke, Raumexploration und Wettbewerbsbereitschaft, Technik und Angriff symbolisieren. Bei Mädchen dominieren derzeit im späten Kindergartenalter abgebildete Motive wie Prinzessin Lillifee (kleine Blütenfee), Hello Kitty (backende Katze), Filly (königliche, elfenartige Minipferde bzw. Einhörner) etc., die in ihren prägenden Eigenschaften jeweils Harmonie, Ästhetik und Phantasie verkörpern« (Hunger 2014, S. 17f.).

Dabei nehmen die Eltern – milieuübergreifend – den Widerspruch zwischen den von ihnen formulierten geschlechtsunabhängigen Erziehungsvorstellungen und der alltäglichen Handlungspraxis, der alte Geschlechterbilder innewohnen, kaum wahr. Widerspricht ein kleiner Junge den geschlechtstypischen Vorstellungen, indem er zum Beispiel als ängstlich-unsicher wahrgenommen wird oder bei ihm ästhetisch konnotierte Bewegungshandlungen dominieren, erhält das Kind besondere Aufmerksamkeit. »Darüber hinaus ist teilweise auch eine unterschwellige (und durchaus homophobe) Form der Sexualisierung des Jungenverhaltens zu konstatieren« (ebd., S. 18). Das heißt, dass aus einem geschlechtsuntypischen Bewegungsverhalten eines Jungen Rückschlüsse auf seine sexuelle Orientierung gezogen werden.

In zahlreichen empirischen nationalen und internationalen Studien wird deutlich, dass Kinder, die sich nicht den Geschlechterstereotypen entsprechend verhalten, aus dem sozialen Umfeld heraus sanktioniert werden (vgl. dazu Heisig 2019, S. 12ff.). Jungen, die von anderen für feminin und unmännlich gehalten werden, und Mädchen, die als jungenhaft gelten, müssen häufig schon auf dem Spielplatz Hänseleien aushalten (vgl. UNESCO 2011). Auch Kinder aus sogenannten Regenbogenfamilien, also Familien, in denen mindestens ein Elternteil lesbisch, schwul, bisexuell oder trans lebt, sind Diskriminierungen ausgesetzt (u. a. Streib-Brzic & Quadflieg 2011).

1.3 Empfehlungen zur Verankerung einer genderbewussten Pädagogik

Das Ziel genderbewusster Pädagogik ist es, Kinder – jenseits von Symbolen und Stereotypen vom »richtigen Mädchen« und »richtigen Jungen« – ihren individuellen Interessen, Stärken und Fähigkeiten entsprechend zu fördern. Es geht darum, Geschlechterstereotype und Vorurteile zu erkennen und zu meiden, weil sie Kinder einschränken, Bildungsprozesse behindern und zu sozialen Ungleichheiten führen. Erst durch eine genderbewusste Erziehung wird dem Kind die Möglichkeit gegeben, sich zu dem Individuum zu entwickeln, das es sein könnte – ohne Einschränkungen oder Verstärkungen in Bereichen, die für das Kind als unpassend oder passend eingeschätzt werden.

Genderbewusstes Handeln auf der Ebene der Symbole und Stereotype

• Alle Kinder finden sich in der Ausstattung und den Spielangeboten wieder, die Lernumgebung der Kinder wird möglichst frei von Geschlechterstereotypen und vorurteilsbewusst gestaltet.

• Alle Kinder finden sich in der Kita wieder (sind repräsentiert), ohne dabei besonders betrachtet zu werden (Othering). Es gibt vielfältige Identifikationsfiguren und Themen in Büchern und Spielangeboten. Dies trägt dazu bei, dass die Lebenswelten aller Kinder Bestandteil des Kita-Alltags sind.

• Die pädagogischen Fachkräfte verzichten auf das Gendern (von Lebensbereichen, Verhaltensweisen, Berufen etc.); das heißt, sie verzichten auf die Zuordnung von Spielen, Farben, Verhaltensweisen, Kleidung als »männlich« oder »weiblich« (z. B. können geschlechtstypische Räume und Spielbereiche vermieden und/oder verstärkt Spielmaterialien und Spiele angeschafft werden, die geschlechtsneutral sind).

• Die Räumlichkeiten und Materialien bieten den Kindern sowohl die Möglichkeit, zu toben und zu klettern als auch zu entspannen und sich einzufühlen.

• Gruppenbezogene Einteilungen, wie »Die Jungen können jetzt mal rausgehen zum Toben«, können diskriminierende Ausschlüsse und Zuschreibungen produzieren und sollten daher vermieden werden. Denn: Nicht alle Jungen toben gerne, und manche Kinder können oder wollen sich nicht zuordnen.

• Medien sollten klischeefrei sein und geschlechtsuntypische Symbole angeboten werden.

• Viele Kinderbücher bilden die Vielfalt der Kinder und ihrer Lebenswelten nicht ab, sondern sind häufig einseitig ausgerichtet: Die Personen sind weiß, heißen Lena oder Lovis, haben viele Spielsachen, ein eigenes Kinderzimmer. Die Mütter sind häufig zu Hause, arbeiten Teilzeit und kümmern sich um den Haushalt. Die Männer gehen arbeiten, und die Eltern sind heterosexuell. In der Kindertageseinrichtung gibt es dagegen Bilder und Kinderbücher, die die Vielfalt geschlechtlicher Lebensweisen und Familienformen zeigen (z. B. Väter, die auch ihre Babys wickeln; Frauen, die Polizistinnen sind; Familien mit zwei Müttern; Menschen, die nicht gleich einem Geschlecht zugeordnet werden können; auch Familien, die in beengten Verhältnissen leben und von Armut betroffen sind; Kinder mit Fluchterfahrung etc.).

• Kinderbücher sind teilweise voller stereotyper Darstellungen, die verallgemeinern, wie Menschen über bestimmte gesellschaftliche Gruppen denken und was sie ihnen zuschreiben. Solche Zuschreibungen sind teilweise diskriminierend und schmerzhaft für diejenigen Kinder, die davon betroffen sind (vgl. Fragner 2018, S. 9). Bücher mit Stereotypen und diskriminierenden Abbildungen und Inhalten werden entfernt oder die stereotypen Inhalte mit den Kindern thematisiert (z. B. könnte ein Märchen auch einmal mit vertauschtem Geschlecht vorgelesen werden, sodass der Prinz gerettet wird oder die Prinzessin in die Welt hinausreitet).

• Wenn Kinder Spielzeug mitbringen, mit dem Geschlechterstereotype transportiert werden, wird dies nicht abgelehnt, sondern als Chance genutzt, mit den Kindern über Geschlechterbilder ins Gespräch zu kommen.

• Kinder erleben und erfahren auch Menschen mit geschlechtsuntypischen Berufen (z. B. Eltern mit geschlechtsuntypischen Berufen einladen, Bücher, Bilder, Plakate, Lieder, in/auf denen Pilotinnen oder Krankenpfleger dargestellt werden).

• Damit Kinder gar nicht erst in Kategorien wie »geschlechtstypisch« und »geschlechtsuntypisch« denken lernen, erleben sie in der Einrichtung auch geschlechtsuntypisches Verhalten der pädagogischen Fachkräften (z. B. spielt die Erzieherin mit den Kindern Fußball und der Erzieher bastelt mit ihnen gemeinsam).

• Informationen zum Thema Stereotype und Vorurteile werden angeboten. In der Kindertageseinrichtung gibt es Bücher, die dazu anregen, kritisch über Stereotype und Vorurteile nachzudenken, und die Beispiele enthalten, die Mut machen. Eine Liste mit geeigneten Kinderbüchern finden Sie unter https://situationsansatz.de/fachstelle-kinderwelten/.

• Es werden Bücher und Spielmaterialien angeboten, die den Horizont erweitern und die Vielfalt von Geschlechtern, Lebensgewohnheiten, Kulturen und sexuellen Orientierungen erfahrbar machen: zum Beispiel Puppen aus unterschiedlichen Kulturen der Kinder, mit unterschiedlichem Geschlecht, oder »Wimmelbilderbücher«, in denen Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen, Schwarze, Indigene, People of Color5 (B(I)PoC)6, alte und junge Menschen etc. bei den verschiedensten Tätigkeiten in einem Haus dargestellt werden.

• Eltern und Kolleg*innen werden »ins Boot geholt« und sensibilisiert für Geschlechterstereotype und -symbole im Alltag und deren Wirkung auf die Kinder. Dabei wird stets auch die Verknüpfung von Stereotypen zu verschiedenen Gruppenzugehörigkeiten reflektiert.

• Pädagogische Fachkräfte schreiten ein, wenn Kinder herabgewürdigt werden, und weisen darauf hin, dass auch Worte verletzend sein können (z. B., wenn ein Kind von einem anderen als »Heulsuse« bezeichnet wird).

• Kinder mit erhöhtem Diskriminierungsrisiko (z. B. Kinder in Armutslagen, Kinder mit Beeinträchtigung, Kinder, die sich nicht geschlechtsrollenkonform verhalten) sollten unterstützt, aber nicht besonders behandelt oder herausgestellt werden.

Zu Beginn ist eine Bestandsaufnahme sinnvoll: Was ist an Material (Büchern, Medien, Spielangeboten) in der Kita vorhanden? Welche Klischees werden von den vorhandenen Bilderbüchern bedient? Wer spielt in den Büchern eine aktive Rolle? Wer kommt weniger vor oder wird besonders betrachtet? Wie sehen die Spielfiguren und Puppen aus? Welche Kinder können sich in den Büchern und Spielen leicht wiederfinden, welche weniger und welche gar nicht? Sicherlich lassen sich einige Bücher leicht austauschen und durch neue ergänzen. Suggeriert die Raumaufteilung oder -nutzung geschlechtstypische Verhaltensmuster? Lässt sich die Dekoration oder Farbwahl ohne großen Aufwand ändern, um dem entgegenzuwirken? Sind alle Kinder und ihre Familien in ihrer Vielfalt und Unterschiedlichkeit in den Bilderbüchern, in Medien, auf Fotos und Plakaten angemessen repräsentiert?

Es geht darum, ganz selbstverständlich die unterschiedlichen Kinder und Familien in ihrer Vielfalt einzubeziehen, ohne sie »besonders« hervorzuheben oder »anders« zu machen (Othering).

Außerdem sollten die Kolleg*innen befragt werden. Vielleicht haben sie sich schon Gedanken gemacht oder ihnen ist etwas aufgefallen, das geändert werden sollte.

1.4 Anregungen zur Sensibilisierung (Selbst- und Teamreflexion)

Selbst- und Teamreflexion sind eine Voraussetzung für die Umsetzung einer geschlechterbewussten Pädagogik. Sie bieten den Raum, persönliche und berufliche Erfahrungen und die eigene Eingebundenheit in Geschlechterverhältnisse und soziale Ungleichheiten zu reflektieren. Auf allen drei Ebenen des Geschlechter-Dreiecks (siehe Einleitung) ist Selbstreflexion sinnvoll. Die Sensibilisierung für die eigene Sozialisation und Situation kann durch leitende Fragen erfolgen, die die pädagogischen Fachkräfte in Zweiergesprächen beantworten.

CHECKLISTE

Anregungen zur Selbstreflexion

Als ich ein Kind war

• Wie sah ich damals aus? Wie habe ich mich gefühlt? Welche Spiele habe ich wo und mit wem gespielt?

• War ich ein eher »wildes« oder eher ein »braves« Kind?

• Passte ich in die geschlechtstypischen Vorgaben? Musste ich mich einem Geschlecht zuordnen? Hätte ich gerne einem anderen Geschlecht angehört?

• Was durfte ich? Was durfte ich nicht? Was hatte das mit meiner Geschlechtszugehörigkeit zu tun?

• Welche Aufgaben und Pflichten hatte ich als Kind, gab es geschlechtstypische Erwartungen?

• Welche Privilegien hatte ich aufgrund meiner Geschlechtszugehörigkeit?

• Wie wäre ich gerne gewesen? Was hätte ich gerne anders gemacht?

• Gab es Bemerkungen oder Anforderungen an mich aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit, die mich verletzt oder wütend gemacht bzw. eingeschränkt haben?

• Wann war ich traurig und habe mich klein und verletzbar gefühlt?

Meine Situation heute

• Was wollte ich immer schon einmal ausprobieren und habe es im Laufe der Zeit vergessen?

• Wie sieht mein Tagesablauf aus? Welche Aufgaben und Pflichten habe ich? Hier ist es sinnvoll, zum Beispiel in einem Kreis die jeweiligen Anteile der Tätigkeiten pro Tag oder Woche als unterschiedlich große Tortenstücke aufzumalen: Erwerbsarbeit, Hausarbeit, Kindererziehung, Betreuung von pflegebedürftigen Angehörigen, gemeinnützige ehrenamtlich geleistete Arbeit etc. Auch die Freizeit gilt es, genauer zu betrachten: Wie viel Zeit habe ich für mich?

• Welche Privilegien habe ich aufgrund meines Geschlechts?

• Wie wäre ich gerne? Was täte ich dann?

• Gibt es Gefühle, die ich weniger spüre bzw. ausdrücken kann? Welche?

• In welchen Situationen verhalte ich mich »typisch weiblich« bzw. »typisch männlich«? Gibt es Situationen, in denen ich »Weiblichkeit« oder »Männlichkeit« besonders zeige?