19,99 €
Soziale Gerechtigkeit einlösen Die Menschenrechte sind das Fundament sozialer Gerechtigkeit und Rahmen der Sozialen Arbeit, denn: Soziale Arbeit ist eine Menschenrechtsprofession. Die moderne Soziale Arbeit ist eng mit der Sozialpolitik verbunden. Immer wieder fordern gesellschaftliche Umbrüche die Profession dazu auf, sich anzupassen und diese Veränderung aktiv mitzugestalten. Der Wandel vom Wohlfahrtsstaat zum aktivierenden Staat hat zu einer Neuausrichtung der Sozialen Arbeit geführt. Diese Veränderungen drohen, die Profession als Ganzes zu gefährden. Sozialarbeiter:innen kommt die Aufgabe zu, die Idee der sozialen Gerechtigkeit in die aktuellen Entwicklungen einzubinden und für eine gerechte Praxis Sorge zu tragen. Dieses Buch unterstützt bei der Aneignung von Gerechtigkeitskompetenzen. Diese Kompetenzen sind unerlässlich für eine gerechte Praxis der Sozialen Arbeit – und damit ein Muss für Sozialarbeiter:innen in Studium und Beruf.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 154
Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage
Brill | Schöningh – Fink · Paderborn
Brill | Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen – Böhlau · Wien · Köln
Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto
facultas · Wien
Haupt Verlag · Bern
Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn
Mohr Siebeck · Tübingen
Narr Francke Attempto Verlag – expert verlag · Tübingen
Psychiatrie Verlag · Köln
Ernst Reinhardt Verlag · München
transcript Verlag · Bielefeld
Verlag Eugen Ulmer · Stuttgart
UVK Verlag · München
Waxmann · Münster · New York
wbv Publikation · Bielefeld
Wochenschau Verlag · Frankfurt am Main
Sabrina Amanda Hancken
Vandenhoeck & Ruprecht
Dr. Sabrina Amanda Hancken, Diplom-Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin, M. A. Soziale Arbeit, Sozialtherapeutin, ist Professorin für Sozialarbeitswissenschaften an der Hochschule Merseburg.
Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb.de
Mit 4 Abbildungen und 3 Tabellen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.
© 2023 Vandenhoeck & Ruprecht, Robert-Bosch-Breite 10, D-37079 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe
(Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Osterreich GmbH, Wien, Osterreich)
Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schoningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Bohlau, V&R unipress und Wageningen Academic.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.
Umschlagabbildung: © Bruno Bleu/Adobe Stock
Umschlaggestaltung: siegel konzeption | gestaltung, Stuttgart
Satz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Erstellung: Lumina Datamatics, Griesheim
Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com
UTB-Band-Nr. 6137
ISBN 978-3-8463-6137-5
1 Einleitung
2 Grundlagen der Sozialen Arbeit – eine Einführung
3 Menschenrechte, Gerechtigkeit, Soziale Arbeit und Sozialstaat
3.1 Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit
3.1.1 Menschenrechte
3.1.2 Menschenrechtsverletzungen durch Machtstrukturen
3.1.3 Soziale Gerechtigkeit
3.2 Aktivierender Sozialstaat und Soziale Arbeit
3.2.1 Soziale (Un-)Gleichheit und (Un-)Gerechtigkeit
3.2.2 Vom Welfare zum Workfare: Wer entscheidet über (Un-)Gerechtigkeit?
3.3 Aktivierende Maßnahmen für vulnerable Zielgruppen
3.3.1 Jugendsozialarbeit – Förderung von schwer zu erreichenden jungen Menschen (U25) nach § 16h SGB II
3.3.2 Wohnungslosenhilfe – berufliche Eingliederung nach § 45 SGB III
3.4 Auf den Punkt gebracht
4 Soziale Gerechtigkeit als Leitmotiv der Sozialen Arbeit
4.1 Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit
4.2 Theoretische Grundlegungen der Sozialen Arbeit
4.2.1 Rawls’ Gerechtigkeitstheorie
4.2.2 Sens und Nussbaums Capability Approach
4.2.3 Thiersch: Soziale Arbeit als Repräsentantin sozialer Gerechtigkeit
4.2.4 Staub-Bernasconi: Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession
4.2.5 Röh: Soziale Arbeit, Gerechtigkeit und das gute Leben
4.3 Zusammenfassende Betrachtung
5 Gerechtigkeitskompetenzen als Fundament der Sozialen Arbeit
5.1 Aneignung von Gerechtigkeitskompetenzen
5.1.1 Fallvignette Sascha: geschlossener Heimbereich
5.1.2 Fallvignette Bianca: ambulant betreutes Wohnen
5.2 Einflussgrößen auf die sozialarbeiterischen Gerechtigkeitskompetenzen
5.2.1 Demokratieverständnis und Soziale Arbeit
5.2.2 Menschenbild im aktivierenden Staat
5.2.3 Helfende Arbeitsbeziehungen demokratisch gestalten
5.2.4 Zum Umgang mit Macht in der Arbeitsbeziehung
5.2.5 Abhängigkeitsverhältnisse
5.3 Gerechtigkeitskompetenz durch Reflexivität fördern
6 Sozialen Ungleichheiten begegnen – partizipative Praxis gestalten
6.1 Aktuelle, durch die Pandemie bedingte Ungleichheitsentwicklungen in der Sozialen Arbeit
6.2 Spezialisierung als Antwort auf spezifische Ungleichheiten
6.2.1 Gesundheitsbezogene Soziale Arbeit
6.2.2 Bildungsbezogene Soziale Arbeit
6.2.3 Interkulturelle Soziale Arbeit
6.3 Partizipation von Adressat*innen der Sozialen Arbeit
6.3.1 Jugendliche mit Fluchthintergrund im Hilfesystem
6.3.2 Menschen mit einer schweren psychischen Erkrankung
6.3.3 Menschen im höheren Alter
7 Perspektiven der (Teilhabe-)Gerechtigkeit in der Sozialen Arbeit
Literatur
Obwohl die Soziale Arbeit seit ihren Anfängen Menschen, die sich am Rande der Gesellschaft befinden, unterstützt und versucht, ihre Lebensverhältnisse zu verbessern, sind vor allem seit den 1970er Jahren verstärkte Professionalisierungstendenzen festzustellen. Ihr Erfolg ist sichtbar: Soziale Arbeit ist gesellschaftsfähig geworden! Sie hat sich nicht nur zu einem gesellschaftsfähigen Allgemeinangebot entwickelt, sondern sie fängt auch nach wie vor gesellschaftlich verursachte Desintegrationsfälle ab (vgl. Füssenhäuser/Thiersch 2018). Parallel hierzu hat sich die sozialarbeitswissenschaftliche Theoriebildung weiterentwickelt. Dabei kommt dem Gerechtigkeitsbezug zunehmend eine zentrale Position zu. Denn im Verständnis von Sozialer Arbeit als Gerechtigkeitsprofession bildet das Kernprinzip der sozialen Gerechtigkeit die Legitimation für ihr berufliches Handeln. Unterschiedliche Theoretiker*innen (wie J. Rawls, A. Sen, M. Nussbaum und D. Röh) haben gerechtigkeitsorientierte Ansätze begründet, die als Bezugsrahmen für Sozialarbeitende genutzt werden können. Es bleibt die Frage, wie angesichts der politischen Entwicklungen der Einbezug der Gerechtigkeitsperspektive auch in Zukunft in der Praxis der Sozialen Arbeit sichergestellt werden kann.
Aktuelle Kontroversen um soziale Gerechtigkeit beziehen sich auf Erwartungen an die Selbstverantwortung der Bürger*innen und die Rolle des Staates bei der Herstellung gerechter Verhältnisse. Die Entwicklungen des Wohlfahrtsstaats der letzten zwei Jahrzehnte lassen sich mit den Stichworten Deregulierung, Privatisierung, Ökonomisierung und Destabilisierung zusammenfassen. Unter dem Label der „Aktivierung“ zeigt sich in den letzten Jahren eine Entwicklung von Welfare zum Workfare, welche die Verwertung von Arbeit als Humankapital in den Mittelpunkt stellt. Sozialleistungen werden beispielsweise nur unter dem Grundsatz des „Förderns und Forderns“ gewährt. Vor diesem Hintergrund gerät die Soziale Arbeit selbst immer mehr in Not. Gleichzeitig ist sie aufgefordert, gesellschaftliche Entwicklungen kritisch und im Hinblick auf soziale Ungleichheit produzierende Mechanismen unter Einbezug von Fragen der sozialen Gerechtigkeit infrage zu stellen. Auf diese Entwicklungen möchte dieses Buch eine Antwort finden und danach fragen, wie sich Sozialarbeitende Gerechtigkeitskompetenzen bewusst aneignen können.
Das Arbeitsbuch richtet sich besonderes an Studierende der Sozialen Arbeit und an alle theoretisch interessierten Praktiker*innen in psychosozialen Handlungsfeldern. Unterschiedliche Fallvignetten, bei denen es sich überwiegend um tatsächlich zugetragene Fälle handelt, runden die einzelnen Kapitel ab und laden die Leser*innen zur Auseinandersetzung mit dem eigenen Gerechtigkeitsverständnis sowie entsprechenden Handlungsweisen ein.
Zum Inhalt und Aufbau des Buches
Obwohl die einzelnen Kapitel des Buches aufeinander aufbauen, können sie auch einzeln gelesen werden, da es sich um abgeschlossene Sinneinheiten handelt. Unterschiedliche Fall-, Übungs- und Reflexionsaufgaben laden zum Mit- und Darüber-hinaus-Denken ein und möchten selbstreflexive Prozesse eröffnen.
Nach der Einleitung folgt Kapitel 2. Es umfasst eine Einführung in die Grundlagen der Sozialen Arbeit. Diese sind Dreh- und Angelpunkt, um zu verstehen, dass Soziale Arbeit ohne die Verfolgung der Idee der sozialen Gerechtigkeit ihre Existenzberechtigung verlieren würde.
Kapitel 3 setzt sich mit den drei großen Themen Gerechtigkeit, Soziale Arbeit und Sozialstaat auseinander und zeigt auf, wie diese Bereiche zusammenhängen und sich gegenseitig beeinflussen. Dabei bilden die Menschenrechte den Ausgangspunkt der weiterführenden Ausführungen.
Das Kapitel 4 beschäftigt sich mit zentralen Gerechtigkeitstheorien. Insgesamt werden fünf Ansätze in ihren Grundzügen skizziert. Sie bilden die Grundlage zur Auseinandersetzung mit dem Thema Gerechtigkeitskompetenz im professionellen Kontext.
Kapitel 5 widmet sich der Aneignung von Gerechtigkeitskompetenz. Es wird mit zwei Fallvignetten gearbeitet. Daran anknüpfend werden potenzielle Einflussgrößen auf das sozialarbeiterische Gerechtigkeitsverständnis aufgezeigt.
In Kapitel 6 finden sich Ideen zur Gestaltung einer partizipativen Praxis. Dafür werden drei Spezialisierungen der Sozialen Arbeit genannt, die sich schwerpunktmäßig mit Gesundheit, Bildung oder Interkulturalität beschäftigen. Hierbei handelt es sich gleichzeitig um zentrale Bereiche, die von sozialer Ungleichheit betroffen sind. Anschließend wird auf eine partizipative Praxis mit drei verschiedenen Zielgruppen der Sozialen Arbeit eingegangen.
Das Buch endet mit einem Ausblick auf Perspektiven der (Teilhabe-)Gerechtigkeit in der sozialarbeiterischen Praxis.
Bevor wir zu den gegenwärtigen unterschiedlichen Einflussgrößen auf die Praxis der Sozialen Arbeit kommen, ist es zunächst von Bedeutung, sich mit den Grundlagen und den Besonderheiten der Sozialen Arbeit zu beschäftigen. Dies hilft dabei, ein Verständnis für den Gerechtigkeitsgedanken, der die Soziale Arbeit seit ihren Anfängen durchzieht, zu entwickeln.
Soziale Arbeit ist die Profession, die aus der Verbindung von Sozialarbeit und Sozialpädagogik hervorgegangen ist. Wurde ursprünglich davon ausgegangen, dass die Sozialarbeit Ersatz für schwindende familiäre Sicherungsleistungen bietet, fühlte sich die Sozialpädagogik für die Kompensation fehlender familiärer Erziehungsleistungen zuständig. Heute ist eine Unterscheidung zwischen diesen beiden Bezeichnungen kaum noch möglich, sodass das Berufsfeld immer häufiger unter dem Begriff Soziale Arbeit zusammengefasst wird. Dabei ist die moderne professionelle Soziale Arbeit eng mit der Entwicklung der Sozialpolitik, wenngleich aus einer anderen Tradition stammend, verbandelt. Nach Hamburger (2003, S. 151) verdanke die Soziale Arbeit ihre Eigenständigkeit dem Umstand, dass „Recht und Geld als sozialpolitische Leistungen lebensweltliche Zusammenhänge nicht sichern“ können. Mennicke, Schroer und Böhnisch (Böhnisch 2002, S. 199–200) unterstreichen dieses, indem aus ihrer Sicht die moderne professionelle Soziale Arbeit auch erst mit der Entwicklung der Sozialpolitik als „historisch unterschiedlich gewordene aber gleichermaßen gesellschaftlich institutionalisierte Reaktionen auf typisch psychosoziale Bewältigungsprobleme in der Folge gesellschaftlich bedingter Desintegration“ entstanden ist. So verwundert es nicht, dass sich die Soziale Arbeit seit jeher auf die menschlichen Bedürfnisse konzentriert. Grundpfeiler sozialarbeiterischen Handelns bilden die Menschenrechte und die Orientierung an sozialen Gerechtigkeitsverhältnissen. Dieses spiegelt sich auch in der weitverbreiteten Definition von Sozialer Arbeit wider, die sich auf den Seiten des Deutschen Berufsverbandes für Soziale Arbeit und Heilberufe (DBSH 2017) findet:
„Soziale Arbeit fördert als praxisorientierte Profession und wissenschaftliche Disziplin gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen. Die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, die Menschenrechte, die gemeinsame Verantwortung und die Achtung der Vielfalt bilden die Grundlage der Sozialen Arbeit. Dabei stützt sie sich auf Theorien der Sozialen Arbeit, der Human- und Sozialwissenschaften und auf indigenes Wissen. Soziale Arbeit befähigt und ermutigt Menschen so, dass sie die Herausforderungen des Lebens bewältigen und das Wohlergehen verbessern, dabei bindet sie Strukturen ein. Diese Definition kann auf nationaler und/oder regionaler Ebene weiter ausgeführt werden.“
Soziale Arbeit lässt sich in Praxis (Profession Soziale Arbeit) und Wissenschaft (Disziplin Soziale Arbeit, Sozialarbeitswissenschaft) unterscheiden. Dabei generiert die Praxis Sozialer Arbeit genauso neue Wissens- und Handlungsbestände wie auch in der Disziplin professionell gehandelt wird.
Auf der Suche nach dem Gegenstand der Sozialen Arbeit sind unterschiedlichste Theorien entstanden. Zu den Klassikern gehören u. a. Soziale Arbeit als reflexive Profession von Bernd Dewe und Hans-Uwe Otto, lebensweltorientierte Soziale Arbeit von Hans Thiersch sowie Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession von Silvia Staub-Bernasconi. Weitestgehend besteht Einigkeit in der Wissensgemeinschaft darüber, dass der Gegenstand der Sozialen Arbeit die Bearbeitung von gesellschaftlich und professionell als relevant angesehenen Problemlagen ist.
Weiterhin lassen sich unabhängig vom Handlungsfeld unterschiedliche Strukturmerkmale ausfindig machen:
– Hilfe und Kontrolle,
– Handeln in bürokratischen Abläufen,
– zwei Interventionsebenen,
– interdisziplinäre Kooperation.
Die beiden Begriffe Hilfe und Kontrolle, besser bekannt unter der Bezeichnung des „Doppelten Mandates“ der Sozialen Arbeit, bringen zum Ausdruck, dass Soziale Arbeit einen doppelten Auftrag zu erfüllen hat: Zum einen orientiert sie sich an den Bedürfnissen und Wünschen ihrer Adressat*innen, zum anderen handelt sie aber auch im Auftrag des Staates bzw. der Gesellschaft. Dass es zwischen diesen beiden Polen immer wieder zu Spannungen kommen kann, verwundert nicht. Daneben findet sozialarbeiterisches Handeln stets in bürokratischen Abläufen statt. So gehören beispielsweise das Dokumentieren, das Erstellen von Entwicklungsberichten sowie die Teilnahme an Entwicklungsgesprächen heute selbstverständlich zum Berufsalltag von Sozialarbeiter*innen und verdeutlichen damit auch die Abhängigkeit von der öffentlichen Hand. Damit spiegeln sich auch die zwei Interventionsebenen wider, die sich auf die individuelle und die politische/strukturelle Ebene mit dem Ziel, die soziale Umwelt mitzugestalten, beziehen. Entsprechend findet Soziale Arbeit nicht nur im direkten Kontakt mit den Adressat*innen statt, sondern hat sogleich auch immer eine politische Komponente.
Die interdisziplinäre Kooperation zeigt sich sowohl in der Vernetzung mit den an einem Fall beteiligten Akteur*innen als auch in Zusammenschlüssen in unterschiedlichen Settings, wie es beispielsweise im Rahmen von Arbeitsgemeinschaften, Qualitätszirkeln und Verbünden der Fall ist. Die nachfolgende Grafik verdeutlicht nochmals die prägenden Strukturelemente der Sozialen Arbeit, zwischen denen sie sich bewegt und die sie mitgestaltet.
Abb. 1: Strukturelemente der Sozialen Arbeit
Nachdem Sie nun einige wesentliche Aspekte über die Soziale Arbeit erfahren haben, beantworten Sie sich bitte folgende Frage: Wie gestaltet sich Ihrer Meinung nach das Aufgabenspektrum der Sozialen Arbeit?
Zu den Aufgaben von Sozialarbeiter*innen gehören Hilfe und Unterstützung bei der Bewältigung problembelasteter und krisenhafter Lebenslagen. Sie findet somit Lösungen für gesellschaftlich verursachte Probleme, wie Wohnen, Arbeit, Gesundheit, die im Rahmen gesellschaftlicher Sozialpolitik dazu beitragen, die Chancengleichheit benachteiligter und ausgegrenzter sozialer Gruppen in der Gesellschaft zu erhöhen.
Sozialarbeiter*innen können je nach Fall und Situation auf unterschiedliche Methoden zurückgreifen.
Abb. 2: Arbeitsformen und Methoden
Zunächst kann zwischen den Arbeitsformen Einzelfallhilfe, soziale Gruppenarbeit und Gemeinwesenarbeit unterschieden werden. Hierbei handelt es sich um das klassische „Dreigestirn“ der Sozialen Arbeit, dem wiederum bestimmte Methoden, wie Beratung oder Mediation, zugeordnet werden können:
– Die Einzelfallhilfe orientiert sich vor allem an den Besonderheiten und Bedürfnissen des einzelnen Falls und unterstützt, fördert, begleitet und befähigt Kinder, Jugendliche und Erwachsene in herausfordernden Lebenssituationen.
– Bei der sozialen Gruppenarbeit handelt es sich um eine Arbeitsform der Sozialen Arbeit, die dem einzelnen Gruppenmitglied durch „sinnvolles“ Gruppenerleben hilft, die soziale Funktionsfähigkeit zu verbessern und Problemen des öffentlichen Lebens besser gewachsen zu sein (vgl. Konopka 1971). Diese Methode erkennt die sozialen Kräfte, die in einer Gruppe entstehen, und versucht diese Kräfte im Interesse der Veränderung der Adressat*innen zu nutzen. Dazu gehört zunächst, dass die Gruppe nicht Selbstzweck, sondern zugleich Ort und Medium des „Miteinanders“ ist, in deren Zentrum das Wachstum, die Bildung und die Eingliederung des jeweiligen Gruppenmitglieds stehen.
– Die Gemeinwesenarbeit bezeichnet hingegen einen Prozess, in dessen Verlauf ein Gemeinwesen seine Bedürfnisse und Ziele feststellt, sie ordnet oder in eine Rangfolge bringt. Dabei geht es um die Entwicklung von Vertrauen und den Willen, etwas dafür zu tun, dass innere und äußere Quellen mobilisiert werden, um die Bedürfnisse zu befriedigen. Die Gemeinwesenarbeit wird also in dieser Richtung aktiv und fördert dadurch die Haltung von Kooperation und Zusammenarbeit und ihr tätiges Praktizieren (vgl. Ross 1968).
Genauso vielfältig, wie sich der Einsatz von Arbeitsformen und Methoden gestaltet, um in der Praxis multifaktorielle und systemübergreifende soziale Probleme zu lösen, sind auch die verschiedenen Arbeitsfelder. Sie verdeutlichen einmal mehr die Komplexität der Tätigkeiten für die Sozialarbeitende zuständig sein können. Dabei können die Arbeitsfelder nach Zielgruppen, Auftraggeber*innen/Rechtsgrundlagen und Arbeitsfeldtypen unterschieden werden. Nachfolgend ein exemplarischer Überblick über sozialarbeiterische Handlungsfelder, der sich an Arbeitsfeldtypen orientiert.
Abb. 3: Arbeitsfelder
Denken Sie einmal an Ihre letzten Praxiserfahrungen zurück. In welchem Handlungsfeld waren Sie aktiv? Welche Berührungspunkte hatten Sie mit dem Thema Gerechtigkeit?
Das Thema Gerechtigkeit nimmt gerade in Zeiten wirtschaftlicher Engpässe der öffentlichen Hand eine bedeutende Stellung – nicht nur, aber vor allem – für die Soziale Arbeit ein. Soziale Ungleichheiten verstärken die Forderung nach gerechteren Lebensverhältnissen und sollten somit Dreh- und Angelpunkt für die Praxis und Theorie der Sozialen Arbeit sein.
Zunehmend finden sich seit den 1970er Jahren Bemühungen um eine sozialarbeitswissenschaftliche Theoriebildung. Dabei kommt dem Gerechtigkeitsbezug zunehmend eine zentrale Position zu. Denn im Verständnis von Sozialer Arbeit als Gerechtigkeitsprofession bildet die Orientierung am Gerechtigkeitsprinzip die Legitimation für ihr berufliches Handeln, wie es auch aus den unterschiedlichen sozialarbeitswissenschaftlichen Theorien hervorgeht. Dabei agiert die Soziale Arbeit nicht autonom, sondern ist eng mit den Prinzipien des Sozialstaates verbunden: Ging es viele Jahrzehnte um das Versorgen und Betreuen von Menschen in Problemlagen, auch bekannt unter dem Begriff der „fürsorglichen Vernachlässigung“ (Nolte 2006), steht heutzutage die Selbstverantwortung der Bürger*innen im Mittelpunkt des Geschehens. Unter dem Label der „Aktivierung“ zeigt sich in den letzten Jahren eine Entwicklung von Welfare zum Workfare, die die Verwertung von Arbeit als Humankapital in den Mittelpunkt stellt. Dies hat enorme Auswirkungen auf die Soziale Arbeit. Mit dem Grundgedanken der Aktivierungspolitik verdichtet und reduziert sich ihr Professionsverständnis. Adressat*innen werden vermehrt zu einer Änderung von Verhaltensmustern und Lebensmotiven animiert, die sich am Normalitätsprinzip orientiert. Erst ein Defizit geht mit staatlichen Unterstützungsleistungen einher. Dabei ist es der Sozialen Arbeit ein zentrales Anliegen, auf soziale Ungleichheit produzierende Mechanismen hinzuweisen und für soziale Gerechtigkeit einzustehen.
Menschenrechte und das Verständnis von sozialer Gerechtigkeit stellen einen zentralen Bezugsrahmen für die Soziale Arbeit dar. Soziale Arbeit als eine Menschenrechtsprofession zu verstehen, ist spätestens seit der Idee von Silvia Staub-Bernasconi in den 1990er Jahren von zentraler Bedeutung. Was sind nun aber Menschenrechte? Wo sind sie festgelegt? Welche Verbindung besteht zur sozialen Gerechtigkeit? In welcher Beziehung steht die Soziale Arbeit zu den Menschenrechten? Diese Fragen werden wir im weiteren Verlauf näher beleuchten.
Voraussetzung für eine menschenrechtsorientierte Soziale Arbeit ist zunächst eine gute Kenntnis der Menschenrechte bzw. der entsprechenden Artikel des Grundgesetzes. Reine Wissensbestände allein reichen allerdings oft nicht aus, sondern sie sollten von einer entsprechenden Haltung und Berufsethik begleitet werden.
Um Ihr Vorwissen zu aktivieren, beantworten Sie bitte die beiden nachfolgenden Fragen:
1. Seit wann gibt es die Menschenrechte?
(A) 1921
(B) 1948
(C) 1962
2. Wie viele Artikel umfasst die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte?
(A) 10
(B) 20
(C) 30
Lösungen: 1. (B), 2. (C)
Eine verbindliche und international gültige Menschenrechtsordnung wurde im Jahr 1948 als Reaktion auf den Zweiten Weltkrieg formuliert. Die Idee von Grundrechten, die ohne Einschränkung für jede Person gelten, ist weitaus älter. Jedoch besteht der entscheidende Unterschied zwischen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) und ihren Vorgängerschriften darin, dass Voraussetzung der „universelle[n] Gleichheit aller Menschen als Rechtssubjekte […] die Inklusivität des Schutzanspruchs und Verankerung in verbindlichem Völkerrecht“ ist (Eberlei/Neuhoff/Riekenbrauk 2018, S. 155). Allgemein gesagt, gelten als Menschenrechte die Rechte, die jedem Menschen von Geburt an zustehen. Sie werden nicht erworben und können auch nicht entzogen werden. Menschenrechte sind als Bestandteil des internationalen Rechts von zentraler Bedeutung.
Insgesamt umfasst die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte dreißig Artikel, die in nachfolgender Tabelle komprimiert dargestellt sind.
Art. 1: Alle Menschen sind gleich und frei an Würde geboren
Art. 16: Das Recht zu heiraten und eine Familie zu gründen
Art. 2: Niemand darf diskriminiert werden
Art. 17: Jeder hat ein Recht auf Eigentum
Art. 3: Jeder hat das Recht auf Leben
Art. 18: Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit
Art. 4: Keine Sklaverei
Art. 19: Recht auf freie Meinungsäußerung
Art. 5: Niemand darf gefoltert werden
Art. 20: Recht zur friedlichen Versammlung
Art. 6: Jeder wird überall als Rechtsperson anerkannt
Art. 21: Recht auf Demokratie und freie Wahlen
Art. 7: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich
Art. 22: Recht auf soziale Sicherheit
Art. 8: Jeder hat Anspruch auf Rechtsschutz
Art. 23: Recht auf Arbeit und Schutz der Arbeiter
Art. 9: Niemand darf willkürlich inhaftiert werden
Art. 24: Recht auf Erholung und Freizeit
Art. 10: Jeder hat das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren
Art. 25: Recht auf Essen, Unterkunft und ärztliche Versorgung
Art. 11: Jeder ist unschuldig, solange nicht das Gegenteil bewiesen wurde
Art. 26: Jeder hat ein Recht auf Bildung
Art. 12: Jeder hat ein Recht auf Privatleben
Art. 27: Kultur und Urheberrecht
Art. 13: Jeder darf sich frei bewegen
Art. 28: Gerechte soziale und internationale Ordnung
Art. 14: Recht auf Asyl
Art. 29: Wir alle tragen Verantwortung gegenüber anderen
Art. 15: Jeder hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit
Art. 30: Niemand kann dir die Menschenrechte wegnehmen
Tab. 1: Menschenrechte im Überblick
Nach dem Deutschen Institut für Menschenrechte (2022) gelten diese Rechte für alle Menschen – einfach weil sie Menschen sind, jederzeit und überall, „ohne irgendeinen Unterschied, etwa aufgrund rassistischer Zuschreibungen, nach Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeu