Geschichte der Schulpsychologie - Gustav Keller - E-Book

Geschichte der Schulpsychologie E-Book

Gustav Keller

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Beschreibung

Ausgehend von der Geschichte der Schulprobleme stellt Dr. Gustav Keller die historische Entwicklung der Schulpsychologie kompakt und prägnant dar. Zunächst erschließt er die Wurzeln der Profession - sowohl in Deutschland als auch international. Der Schwerpunkt der weiteren Professionsgeschichte liegt auf Deutschland. Zunächst wird die Aufbauphase erläutert, von der zweiten Hälfte der 1940er Jahre bis Ende der 1980er Jahre. Dann erfahren die Leserinnen und Leser, wie sich die deutsche Schulpsychologie vom Beginn der 1990er Jahre bis heute weiterentwickelt hat. Abschließend wird mit Blick auf die Zukunft ein Fazit gezogen. Im Anhang befinden sich professionsgeschichtliche Synopsen und institutionelle Adressen.

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Dr. phil. Dipl.-Psych. Gustav Keller, geboren 1950, studierte Psychologie an der Universität Freiburg im Breisgau. Nach dem Studium war er vier Jahrzehnte als Schulpsychologe, Psychologischer Schulberater und Lehrerfortbildner tätig. Er ist Autor pädagogischpsychologischer Sach- und Fachbücher, unter anderem: „Lernen will gelernt sein“, „Lerncoaching in der Schule“, „Disziplinmanagement in der Schulklasse“, „Psychologie für den Schulalltag“, „Der Schüler Adolf Hitler“, „Die Schülerschelte“, „Die Lehrerschelte“.

Inhalt

Einleitung

1. Vorzeit der Schulpsychologie

2. Gründung der Schulpsychologie

3. Aufbau der Schulpsychologie

4. Weiterentwicklung der Schulpsychologie

5. Schluss

6. Anhang

Zeitleiste: Geschichte der deutschen Schulpsychologie

Zeitleiste: Geschichte der internationalen Schulpsychologie

Bundeskonferenzen / Bundeskongresse für Schulpsychologie

Schulpsychologische Internetadressen

7. Literatur

Einleitung

„The field of school psychology has emerged from its childhood and now is maturing rapidly.“

THOMAS R. KRATOCHWILL

„Es ist klar, dass die Schulpsychologie eine relativ junge Profession ist. Sie hat eine kurze, aber reichhaltige Geschichte“.

KENNETH W. MERRELL

„The history of school psychology may be approriately described as one of continuous evolution and expansion.“

STEWART W. EHLY AND JOHN A. NORTHUP

Der Entwicklungsweg vom Schulanfänger zum Schulabgänger ist lang und kompliziert. Nicht jedem Kind und jedem Jugendlichen gelingen die entsprechenden Entwicklungsschritte. Auf dieser lebenswichtigen Wegstrecke geraten Schülerinnen und Schüler immer wieder in Probleme. Jede schulische Individualentwicklung ist prinzipiell störbar. Es kann in den kognitiven, emotionalen, motivationalen und sozialen Entwicklungsbereichen zu Verzögerungen und Problemen kommen. Um diese lösen und verhindern zu helfen, ist die Schulpsychologie entstanden.

Die Schulpsychologie ist weltweit zu einem wichtigen Unterstützungssystem der Schule geworden. Laut dem letzten International School Psychology Survey gibt es in 83 der 192 UNO-Mitgliedsstaaten Schulpsychologen und in 51 ein quantitativ erfassbares Beratungsangebot (Jimerson et al. 2008). Im Großteil der Entwicklungs- und Schwellenländer steht der Systemaufbau noch bevor.

Die Schulpsychologie ist keine selbstständige Disziplin der wissenschaftlichen Psychologie, sondern ein Teilgebiet der angewandten Psychologie, wo psychologische Erkenntnisse und Methoden umgesetzt werden. Sie ist der psychologische Fachdienst im System der Schule. Die Schulpsychologinnen und Schulpsychologen haben ein wissenschaftliches Studium absolviert, verfügen in der Regel über arbeitsförderliche Zusatzqualifikationen und besitzen ein spezielles Wissen über das Schulsystem.

Das Arbeitsfeld „Schule“ ist eine komplexe gesellschaftliche Institution, die von 11 Millionen Kindern und Jugendlichen besucht wird. In ihr sind 925 000 Lehrerinnen und Lehrer tätig. Für das Schulwesen werden pro Jahr 110 Milliarden Euro aufgewendet. Es ist menschlich, allzu menschlich, dass es in diesem komplexen psychosozialen Raum immer wieder Probleme, Konflikte und Krisen gibt. Immanuel Kant hat es einmal auf den Nenner gebracht: „Aus so krummem Holz, als woraus der Mensch gemacht ist, kann man kein ganz gerades Ding machen.“ Seine Erkenntnis ist keine Aufforderung zum Defätismus, sondern die Warnung vor einem überperfektionierten Menschen- und Gesellschaftsbild.

Die Schulpsychologie als Profession ist noch sehr jung. Sie ist etwas mehr als 100 Jahre alt. Wesentlich älter ist die Institution „Schule“, die vor 5000 Jahren entstand. Untrennbar mit der Schule verbunden sind von Beginn an die Lern- und Verhaltensprobleme der Schülerinnen und Schüler. Deshalb steht am Anfang dieses Buches die Geschichte der Schulprobleme. Diese generierten letztlich die Institution der Schulpsychologie und die Profession der Schulpsychologinnen und Schulpsychologen.

Ausgangspunkt der Geschichte der Schulpsychologie ist die Gründerzeit, die vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges reicht. Geschildert werden die Wurzeln – sowohl in Deutschland als auch international. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei der ersten deutschen schulpsychologischen Beratungsstelle in Mannheim und derem Leiter Hans Lämmermann.

Der Schwerpunkt der weiteren Professionshistorie liegt auf Deutschland. Zunächst wird die Aufbauphase dargestellt, von der zweiten Hälfte der 1940er Jahre bis Ende der 1980er Jahre. Dann wird aufgezeigt, wie sich die deutsche Schulpsychologie vom Beginn der 1990er Jahre bis heute weiterentwickelt hat. Im letzten Kapitel wird ein Fazit aus der Schulpsychologie-Geschichte gezogen.

Das vorliegende Buch vermittelt den Leserinnen und Lesern in kompakter Form die Entwicklungsgeschichte der Schulpsychologie. Wer die gegenwärtige Situation unserer Profession verstehen möchte, muss wissen, wie sie wurde, was sie ist. Die Kenntnis ihres Werdens trägt zur Bildung der persönlichen und kollektiven Berufsidentität bei.

An dieser Stelle danke ich herzlich meiner Frau Birgit Keller, Oberpsychologierätin a. D., für das gründliche Redigieren des Manuskripts. Ebenso gilt man mein Dank der Sektion Schulpsychologie des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen, die mich 2022 einluden, anlässlich des Festaktes „100 Jahre Schulpsychologie“ über die Geschichte der Schulpsychologie zu referieren.

1. Vorzeit der Schulpsychologie

„Die Vorzeit hatte keine Ahnung von der Psyche des Kindes.“

MAX BAUER

Vor 5000 Jahren ist die Schule als hochkulturelle Institution gegründet worden. Dieser „Schulbeginn“ fand in Sumer statt. Dort wurde ein Schriftsystem entwickelt, das zunächst informell in den Familien vermittelt wurde. Im Lauf der Zeit entdeckte man, dass es rationellere und systematischere Formen der Kulturtechnikvermittlung gibt. Man engagierte schreibkundige Erwachsene, die an einem separaten Ort innerhalb eines bestimmten Tagesabschnitts Kindern Lesen, Schreiben und Rechnen beibrachten.

Nicht nur in der sumerischen, sondern auch in anderen Hochkulturen vollzog sich eine ähnliche Institutionalisierung des Lehrens und Lernens. Die Schule als Ort systematischer Wissensvermittlung wurde zu einer unverzichtbaren Einrichtung des Kulturerhalts und der kulturellen Weiterentwicklung. Mit Hilfe der Schule wurden jene Personen qualifiziert, die Berufe wie die des Verwaltungsbeamten, Kaufmanns, Priesters, Baumeisters oder Arztes ausübten. Je weiter sich die Kultur entwickelte, desto länger wurde die Schulzeit, desto umfangreicher der Schulstoff und desto bedeutsamer das Bildungswesen.

Vom historischen Schulbeginn an taten sich nicht wenige Schülerinnen und Schüler mit dem kognitiven und sozialen Lernen schwer. Es gab in der Schulgeschichte immer eine Problemklientel, deren Symptombild verblüffend aktuell ist. Eine professionelle Hilfe existierte lange Zeit nicht.

Epoche für Epoche wird in diesem Kapitel beschrieben, wie der Schulunterricht in der Vorzeit der Schulpsychologie aussah, welche Schulprobleme augenfällig waren und wie man diese zu beheben versuchte.

Sumer

Das Land der Sumerer lag im südlichen Mesopotamien. Um 3000 v. Chr. erreichte es einen Entwicklungsstand, der uns erlaubt, von der ältesten Hochkultur der Menschheitsgeschichte zu sprechen. Genauso wie das Pflügen, Töpfern und Weben wurden Lesen, Schreiben und Rechnen zu Kulturtechniken. Wer in den sumerischen Städten wohnte und Handel trieb, konnte auf den Gebrauch von Keilschriftzeichen und Zahlen kaum mehr verzichten. Daraus entstand die Notwendigkeit, die neuen Kulturtechniken den sumerischen Kindern und Jugendlichen weiterzugeben. Vermutlich fand dieser „Urunterricht“ zunächst in den Privathäusern der sumerischen Oberschichtfamilien statt. Nach dieser Phase des häuslichen Unterrichtens verlagerte sich die Kulturtechnikvermittlung in die Tempelbezirke. Die Schulen nannte man Tafelhäuser, da man auf Lehmtafeln schrieb, die nach der Beschriftung gebrannt wurden. Dort unterrichteten sumerische Priester Lesen, Schreiben, Rechnen, Vaterlandsliebe und Religion. Besonders begabte Schüler wurden in einer Aufbauschule zu Schriftgelehrten ausgebildet.

Da sowohl die Schüler als auch die Lehrer die oben genannten Lehmtafeln benutzten, überlebten diese Jahrtausende und wurden in unserer Zeit wieder zutage gefördert und entschlüsselt. Somit können wir Einblick nehmen in den sumerischen Schulbetrieb und in die damaligen Schulprobleme. Auf einer Schülertafel steht beispielsweise folgender Lehrerkommentar: „Deine Hand ist unbefriedigend“ (Alt 1960, S. 33). Offensichtlich war es schwierig, den Normen der Schönschrift zu entsprechen. Ein besonderes Schulproblem war die mangelnde Unterrichtsdisziplin, wie aus den Aufzeichnungen der Lehrer hervorgeht. Im Vordergrund standen Aufmerksamkeitsstörungen. Folgendes dokumentierte Fehlverhalten zeugt davon: „Der Schüler ist allzu sehr mit (seinem) Brot (und) seiner Nahrung beschäftigt, auf die Schreibkunst kann er sich nicht konzentrieren“ (Waetzold 1989, S. 38). Wie aus circa 20000 Tontäfelchen hervorgeht, entsprach ein Teil der sumerischen Schülerschaft nicht den Ansprüchen der Erwachsenen. Ihre Defizite äußerten sich in Form von Lernschwierigkeiten und Verhaltensstörungen.

Babylon

Babylon, am Unterlauf des Euphrat und Tigris gelegen, erreichte um 2000 v. Chr. den Stand einer Hochkultur, deren Grundlagen aus Sumer und Akkad stammten. Um die kulturellen Kenntnisse und Fertigkeiten an die nachfolgende Generation zu tradieren, entwickelte sich in Babylon nach sumerischem Vorbild ein Schulwesen.

Genauso wie in Sumer befanden sich die Schulen in den Tempelbezirken. Auch die Bezeichnung „Tafelhäuser“ war dieselbe. Die Schulzeit dauerte von der mittleren Kindheit bis zur Reifezeit. Eine allgemeine Schulpflicht gab es nicht. Zur Schule gingen nur die Knaben höher statuierter Eltern. Genauso wie in Sumer nannten sie ihre Lehrer „Väter des Tafelhauses“, „Schulväter“ oder „Ältere Brüder“. Lernen mussten sie Lesen, Schreiben, Rechnen, Zeichnen, Religion sowie Sumerisch, das Latein der vorderasiatischen Hochkulturen. Den Schulepen, der so genannten Tafelhausliteratur, ist zu entnehmen, dass die Väter des Tafelhauses mit ihren Schülern ihre liebe Not hatten, obwohl sie ein sehr strenges Schulregime führten – mit Sanktionen wie Nachsitzen, Karzer und Prügelstrafe. Zum Erscheinungsbild der von ihnen beklagten Defizite gehörten schlechte Schrift, mangelhafte Lernbereitschaft, Aufmerksamkeitsstörungen, Zuspätkommen, sporadisches Schulschwänzen sowie aggressives Verhalten. Und sie waren auch unzufrieden mit dem Leistungsstand vieler junger Babylonier. Betrachtet man Prüfungs-Tontafeln, die heutzutage als Klassenarbeitshefte bezeichnet würden, steht unter vielen Lehrerfragen folgende Schülerantwort: „Ul idi“ (Eisele 1980, S. 280). Übersetzt heißt dies „weiß ich nicht“.

Altes Ägypten

Wie der Lehre des Cheti zu entnehmen ist, wurde den altägyptischen Schulen eine große Bedeutung beigemessen: „Nützlich ist dir schon ein Tag in der Schule, und eine Ewigkeit hält die in ihr geleistete Arbeit vor wie Berge“ (Brunner 1991, S. 160). Sie standen unter der Aufsicht eines Hohepriesters, der den Titel „Haupt des Königlichen Unterrichtsstalles“ trug. In die Schule gingen die Söhne der wohlhabenden Familien. Auf dem Lehrplan standen Lesen und Schreiben von Hieroglyphen, Mathematik, Geschichte, Geographie, Astronomie, Sport und Kunst. Wer eine Schulbildung absolviert hatte, konnte Schreiber, Beamter, Baumeister, Wissenschaftler oder Priester werden. In den ersten Schuljahren lernten die jungen Ägypter hauptsächlich durch Abschreiben oder Diktate. Geschrieben wurde zunächst auf kleinen Tonscherben, die Ostrakas genannt wurden. In den höheren Klassen wurde das Schreiben auf dem Papyrus geübt.

Die überlieferten altägyptischen Textquellen enthalten auch Informationen über den pharaonischen Schulbetrieb, die Schulleistungen und das Schülerverhalten. Der Tenor der Schülerbilder war eher negativ. An Fehlverhaltensweisen wurden vor allem genannt: Disziplinschwierigkeiten, Gewalt und Aggression sowie das Schulschwänzen. Darüber hinaus wird auch geklagt, dass die Jugendlichen das Bier mehr lieben als die Schulbücher.

Abweichendes Schülerverhalten versuchte man zum einen mit Ermahnungen zu bekämpfen: „Verlier deine Zeit nicht mit Wünschen, sonst wirst du zu einem bösen Ende kommen“ (Durant/Durant, Band 1, 1985, S. 162). Zum anderen wurden Körperstrafen praktiziert. In einem Lehrerleitfaden steht lapidar: „Die Ohren des Jugendlichen sind auf dem Rücken angebracht. Er hört zu, wenn man ihn schlägt“ (Erman 1923, S. 243).

Altes China, Indien, Japan

Nicht nur der Vordere Orient war vor unserer Zeitrechnung hochkulturell entwickelt, sondern auch der Ferne Osten. Hierzu zählt erstens das alte China, dessen Kultur im zweiten vorchristlichen Jahrtausend zu blühen begann. Zweitens ist die altindische Kultur zu nennen, deren Entstehungszeit der chinesischen in etwa entspricht. Schließlich darf auch Japan nicht vergessen werden. Seine Kulturgeschichte begann zwar etwas später, aber es gehört ebenfalls zum altasiatischen Kulturkreis.

Um den Kulturstand zu halten und weiterzugeben, entstand auch im alten China, Indien und Japan ein