Psychologie für den Schulalltag - Gustav Keller - E-Book

Psychologie für den Schulalltag E-Book

Gustav Keller

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Beschreibung

Täglich sind Lehrerinnen und Lehrer in ihrem Alltag mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert. Das reicht von Unterrichtsstörungen durch Gewalt oder Konzentrationsschwächen bis hin zu akuten psychischen Krisensituationen bei einzelnen Schülern. Themen wie Magersucht oder Depressionen, Mobbing oder Amokdrohungen treten inzwischen immer öfter im direkten oder weiteren Umfeld der Schule auf. Die Lehrenden und Betreuer müssen in diesen Situation oft schnell Entscheidungen aufgrund weniger Informationen treffen. Umso dringender benötigen sie im Schulalltag ein fundiertes Grundwissen über die wichtigsten psychologischen Problemsituationen – und die geeigneten Maßnahmen, die sie dagegen ergreifen können.

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Keller

Verlag Hans Huber

Psychologie

Programmbereich Psychologie

für den Schullalltag

Sachbuch

Wissenschaftlicher Beirat:

Prof. Dr. Dieter Frey, München

Prof. Dr. Lutz Jäncke, Zürich

Prof. Dr. Meinrad Perrez, Freiburg i. Ue.

Prof. Dr. Franz Petermann, Bremen

Prof. Dr. Hans Spada, Freiburg i. Br.

Gustav Keller

Psychologie für den Schulalltag

Prävention und Erste Hilfe

Verlag Hans Huber

Anschrift des Autors:

Dr. Gustav Keller

Eberhardtstraße 26/2

D-89073 Ulm

[email protected]

Programmleitung: Tino Heeg

Lektorat: Lisa Binse, Rheda-Wiedenbrück

Herstellung: Daniel Berger

Umschlaggestaltung: Claude Borer, Basel

Druckvorstufe: Claudia Wild, Konstanz

Druck und buchbinderische Verarbeitung: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Printed in Germany

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen oder Warenbezeichnungen in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen-Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen.

Anregungen und Zuschriften bitte an:

Verlag Hans Huber

Lektorat Psychologie

Länggass-Strasse 76

CH-3000 Bern 9

Tel: 0041 (0)31 300 4500

Fax: 0041 (0)31 300 4593

[email protected]

www.verlag-hanshuber.com

1. Auflage 2011

© 2012 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern

(E-Book-ISBN 978-3-456-94982-6)

ISBN 978-3-456-84982-9

eBook-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheimwww.brocom.de

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Erste pädagogisch-psychologische Hilfe

Aggression & Gewalt

Amok

Angstprobleme

Hochbegabtenprobleme

Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen

Lese-Rechtschreibschwäche

Missbrauch

Misshandlung

Motivationsstörungen

Rechenschwäche

Schulschwänzen

Selbstverletzendes Verhalten

Sitzenbleiben

Suchtgefährdung

Suizidgefährdung

Unterrichtsstörungen

2. Primäre pädagogisch-psychologische Prävention

Förderung des Lernverhaltens

– Mehrkanaliges Lernen

– Aktives Lesen

– Rechtshirniges Lernen

– Regelmäßiges Wiederholungslernen

– Systematisches Problemlösen

– Lernorganisation

– Konzentrationssteuerung

– Selbststeuerung

– Gemeinsames Förderprogramm

Förderung des Sozialverhaltens

– Sozialer Verhaltenskodex

– Übertragung von Verantwortung

– Klassenrat

– Soziale Lernübungen

– Schüler-Streitschlichtung

– Gemeinsames Förderprogramm

3. Pädagogisch-psychologischer Werkzeugkasten

Allgemeine Problemberatung

Spezielle Lernberatung

Konfliktgespräche mit Schülern

Konfliktgespräche mit Eltern

4. Pädagogisch-psychologisches Hilfesystem

Beratungslehrer

Erziehungsberatung

Schulpsychologischer Dienst

Allgemeiner Sozialer Dienst

5. Pädagogisches Stressmanagement

Positives Denken

Zeitmanagement

Schreibtischmanagement

Systematische Entspannung

Planvolles Unterrichten

Seelisch-soziales Stützsystem

Der Stresstest für Lehrerinnen und Lehrer

Anti-Stress-Tipps für Lehrerinnen und Lehrer

6. Literaturverzeichnis

Einleitung

Es kann nun einmal keine Pädagogik ohne Psychologie existieren.

Heinrich Roth

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden in Europa und in den USA die ersten Schulpsychologischen Dienste eingerichtet. Seither hat sich die Schulpsychologie im System Schule in vielen Ländern als unterstützender Service etabliert.

Schulpsychologische Beratungsangebote dürfen nicht so verstanden werden, als könnte und müsste die Schule möglichst viele Probleme an die Schulpsychologie delegieren. Täte sie dies, würden selbst in Ländern mit hervorragender schulpsychologischer Versorgung, wie zum Beispiel in Finnland, die Personalressourcen bei weitem nicht ausreichen.

Wenn im Schulalltag Probleme auftreten, ist zunächst einmal die Lehrperson gefordert, im Rahmen ihrer Möglichkeiten Erste Hilfe zu leisten. Diese individuelle Unterstützung kann bewirken, dass das Problem gemindert oder gar gelöst wird. Erweist sich das Problem als zu kompliziert, besteht die Hilfe darin, für die Lösung eine kompetente Fachperson oder Fachinstitution zu finden (vgl. Kap. 4). Darüber hinaus besteht immer auch die Chance, durch einen präventiv ausgerichteten Unterricht Probleme erst gar nicht entstehen zu lassen.

Um im Rahmen ihrer Erziehungs- und Unterrichtsarbeit helfend und vorbeugend tätig werden zu können, braucht die Lehrperson professionelles Know-how. Das hierfür notwendige Erklärungs- und Handlungswissen kann vor allem die Schulpsychologie liefern, weil sie in enger Tuchfühlung mit der Schule arbeitet und über viele praktische Erfahrungen verfügt. Zum Zwecke dieses Wissenstransfers habe ich «Psychologie für den Schulalltag» verfasst. Es ist ein Vademecum für die Lehrertasche, das auf vier Jahrzehnten schulpsychologischer Berufspraxis basiert. Auf jene Fragen, die sich im schulischen Problem- und Konfliktfeld dem Pädagogen stellen, möchte es hilfreiche Antworten geben.

Der Leitfaden wird beschlossen mit Anregungen und Anleitungen zur Bewältigung von Lehrerstress. Denn Lehrertätigkeit, nimmt man sie ernst, ist seelische Schwerarbeit, die viel Kraft und Energie kostet.

Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wünsche ich viel Motivation, Konzentration und Gewinn bei der Lektüre meines Buches.

1Erste pädagogisch-psychologische Hilfe

Wehe dem Einzelnen, wenn er fällt und kein anderer da ist, ihm aufzuhelfen.

Altes Testament

Der Entwicklungsweg vom Schulanfänger zum Schulabgänger ist lang und kompliziert. Auf dieser lebenswichtigen Wegstrecke geraten Schülerinnen und Schüler immer wieder in Problemsituationen. Vor dem Hintergrund epidemiologischer Studien kann davon ausgegangen werden, dass davon 20–25 Prozent der schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen betroffen sind (Esser, 2008; Bos/Vaughn, 2011).

Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, dass die Schule die Individualität der Schülerinnen und Schüler sorgsam in den Blick nimmt und sich trotz der primären Fürsorgepflicht der Eltern für die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler mitverantwortlich fühlt. Denn nur so können Entwicklungsprobleme frühzeitig erkannt und durch Erste Hilfe sowie durch richtige Weiterverweisung wirksam bewältigt werden. Letzteres ist nur möglich, wenn sich jede Schule mit dem schulnahen psychosozialen Stützsystem (Kliniken, Ambulanzen, Beratungsstellen, Praxen) vernetzt (vgl. Kap. 4).

Wie sich Entwicklungsprobleme im Schulalter konkret äußern, welche Ursachen ihnen zugrunde liegen und welche Hilfe- und Fördermaßnahmen möglich sind, ist Inhalt der folgenden Teilkapitel.

Aggression & Gewalt

Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Artikel 1 des Grundgesetzes

Gewalt in der Schule tritt unterschiedlich in Erscheinung. Am sichtbarsten ist die physische Gewalt. Diese äußert sich vor allem dadurch, dass man sich gegenseitig und absichtlich mit körperlicher Gewalt schädigt. Das Spektrum reicht von leichten Varianten (Schubsen, Treten), über das Verprügeln bis hin zu Attacken mit gefährlichen Gegenständen und Waffen. Als physische Gewalt wird auch bezeichnet, wenn Schüler Gegenstände von Mitschülern wegnehmen, beschädigen oder zerstören. Und schließlich zeigt sie sich in Form vandalistischer Handlungen gegen das Schuleigentum.

Nicht immer so sichtbar wie die physische ist die psychische Gewalt, die unter den Gewaltformen quantitativ am stärksten vertreten ist (Schubarth, 2010). Hierzu gehören Handlungen wie

Hänseln

Verspotten

Beschimpfen

Bloßstellen

Beleidigen

Belästigen

Drohen

Demütigen

Diskriminieren

Nötigen.

Wenn Gewalt ausgeübt wird, um Mitschüler oder eine Schülergruppe über einen längeren Zeitraum mit dem Ziel der Ausgrenzung zu schikanieren, spricht man von Mobbing – bisweilen auch von Bullying. Die schädigenden Handlungen geschehen sowohl psychisch als auch psychisch. Häufig werden sie von mehreren Schülerinnen und Schülern verübt.

Gemobbt wird nicht nur direkt, sondern auch mithilfe elektronischer Kommunikationsmittel. Für diese neue Gewaltform wurde der Begriff Cybermobbing geprägt. Eine besonders üble Variante ist das Happy Slapping (engl. lustiges Schlagen). Es läuft meist so ab, dass die Täter das Opfer schlagen oder sexuell nötigen und das Tatgeschehen mit einer Handy- oder Videokamera aufnehmen. Der Film wird danach per Internet oder Mobiltelefon verbreitet.

Wer als Kind oder Jugendlicher Opfer solcher Formen von Schülergewalt ist, tut sich schwer, sich Eltern oder Lehrpersonen anzuvertrauen. Hauptgrund hierfür ist die Angst, als Petzer etikettiert oder weiterer Gewalt ausgesetzt zu werden. Olweus (2006, S. 60 ff.) hat Warnzeichen definiert, an denen für Lehrpersonen und Eltern eine Opfersituation erkenntlich wird.

Aus den Daten der schulbezogenen Aggressions- und Gewaltforschung (Baier et al., 2009; Dollase, 2010; Schubarth 2010) lassen sich folgende Erkenntnisse ableiten:

Der Anteil besonders gewaltaktiver Schülerinnen und Schüler beträgt 5–7 Prozent. Ähnlich groß ist der Anteil von Schülerinnen und Schülern, die immer wieder in die Opferrolle geraten.Mehr als die Hälfte der Gewalttäterinnen und Gewalttäter sind gleichzeitig Opfer und Täter.Die meisten Gewaltprobleme gibt es in der Altersgruppe der 12- bis 15-Jährigen bzw. in den Jahrgangsstufen 7–9. Der Kulminationspunkt ist die Jahrgangsstufe 8.Schulartenspezifisch betrachtet ist die Gewaltbelastung in der Förderschule am höchsten. Danach folgen die Hauptschule, die Berufsschule und die Realschule. Am geringsten belastet ist das Gymnasium.Physische Gewalt ereignet sich in der Förderschule (Schule für Erziehungshilfe) am häufigsten. Bezüglich der psychischen Gewalt gibt es zwischen den Schularten keine besonderen Unterschiede.Nicht nur zwischen den Schularten, sondern auch zwischen den einzelnen Schulen innerhalb einer Schulart variiert das Gewaltausmaß teilweise beträchtlich, was vor allem mit der Schulqualität und Schulkultur zusammenhängt.Jungen sind aggressiver und gewalttätiger als Mädchen. Besonders signifikant ist der Unterschied im Bereich der physischen Gewalt. Nicht so auffallend ist er bei der psychischen Gewalt, aber auch hier sind die Jungen gewaltbereiter.Schülerinnen und Schüler mit Leistungsproblemen tendieren verstärkt zu physischer und psychischer Gewalt.Der Pausenhof ist jener Ort, an dem Gewalthandlungen am häufigsten vorkommen.In Schulen, deren Einzugsgebiet ein sozialer Brennpunkt ist, steigt die Wahrscheinlichkeit von Schülergewalt.Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund sind dann gewaltbelasteter, wenn ihre Integration misslungen ist.Schulische Gewalttäterinnen und Gewalttäter fallen größtenteils auch außerhalb der Schulen durch antisoziales Verhalten auf.

Von einer epidemischen Gewaltzunahme kann nicht gesprochen werden, auch wenn dieser Eindruck in der Berichterstattung der Medien immer wieder erzeugt wird. Aus den empirischen Analysen geht eindeutig hervor, dass die große Mehrheit der Schülerinnen und Schüler friedfertig ist und Gewalt ablehnt. Ebenso augenfällig ist jedoch, dass bei einer Minderheit (5–10 Prozent) die Gewaltintensität angestiegen ist und das Gewaltverhalten sich immer mehr den Formen der Erwachsenenkriminalität annähert.

Aggressives und antisoziales Verhalten lässt sich kaum mit einem einzigen Ursachenfaktor erklären. Die kinder- und jugendpsychiatrischen Studien, die sozialwissenschaftlichen Befragungen und die schulpsychologischen Fallanalysen weisen auf ein sehr vielschichtiges Ursachenbild hin. Es ist zusammengesetzt aus entwicklungspsychologischen, familiären, schulischen und gesellschaftliche Faktoren, die in einem komplizierten Zusammenwirken das individuelle Problemverhalten erzeugen. Typische Ursachen sind:

frühkindliche Entwicklungsverletzungen (Ablehnung, Misshandlung, Verstoßung)

familiäre Erziehungsfehler (Inkonsequenz, Dissens, Laisser-faire)

familiäre Zerrüttung/chronische Beziehungskriege

entwicklungsbedingte Frustrationen (zum Beispiel Selbst- und Sinnfindungsprobleme)

negative Gruppen- und Subkultureinflüsse

Minderwertigkeitsgefühle aufgrund von Schulversagen

schulische Erziehungs- und Kommunikationsfehler (pädagogischer Dissens, zu wenig Grenzziehung, Inkonsequenz, Kränkungen)

reale Gewaltmodelle (gewalttätige Eltern, Geschwister, Freunde, Schulkameraden)

mediale Gewaltmodelle (Fernsehfilme, Videofilme, Computerspiele)

gesellschaftliche Faktoren (mangelnde berufliche Perspektiven, soziale Benachteiligung, Sündenbockdenken).

Wo durch aggressives und gewalttätiges Verhalten Grenzen gravierend verletzt werden, muss in Familie und Schule konsequent reagiert werden. Konsequenz beinhaltet in diesem Fall auch Strafen, wozu erzieherischer Mut erforderlich ist. Die Strafe muss dem Fehlverhalten angemessen sein. Sie sollte ihm unmittelbar folgen, sie darf die Würde der Person nicht verletzten und sie sollte nach dem Prinzip der natürlichen Konsequenzen gehandhabt werden. Letzteres bedeutet: Entzug von Belohnungen und Vergünstigungen, Wiedergutmachung von Schäden, Übernahme gemeinnütziger Aufgaben. Strafen sind auch zu begründen und zu erläutern. Dies fördert die Einsicht in den Sinn von Verhaltensregeln. Bei sehr schweren Vorfällen ist ein sofortiger Ausschluss notwendig. Es ist alles zu vermeiden, was bei den Tätern das Gefühl erzeugt, dass sie mit ihrem Fehlverhalten Erfolg haben.

Je häufiger Konsequenzen ausbleiben, desto stärker breiten sich in einer Schule Fehlverhaltensweisen aus und desto mehr wird Unrecht zum selbstdefinierten Recht. Konsequent sein setzt voraus, dass die Lehrpersonen im Schulgeschehen präsent sind.

Obwohl auf solche repressiven Maßnahmen zum Schutz der körperlichen und seelischen Unversehrtheit nicht verzichtet werden kann, muss die Schule ihr Hauptaugenmerk auf die Gewaltprävention legen. Und dies bedeutet letztlich eine systematische Förderung des Sozialverhaltens (vgl. Kap. 2) durch die Anwendung der von Olweus (2006) entwickelten Anti-Mobbing-Strategien:

Maßnahmen auf der Schulebene

Ist-Analyse des Sozialverhaltens mithilfe einer Fragebogenuntersuchung

pädagogischer Tag zur Entwicklung eines pädagogischen Konzepts gegen Mobbing

Diskussion des Konzepts im Elternbeirat/Änderung und Ergänzung des Konzepts

Schulkonferenz zur Beschlussfassung eines gemeinsamen Maßnahmenkatalogs

Normverdeutlichung/unmissverständliche Botschaft an alle: «Wir dulden keine Gewalt!»

Veränderung/Verstärkung der Pausenaufsicht

Veränderung/Verstärkung der Busaufsicht

Ausbildung und Einsatz von Schüler-Streit-Schlichtern

Kummerkasten/Ansprechperson für tyrannisierte Schüler.

Maßnahmen auf der Klassenebene

pädagogischer Konsens im Klassen-Lehrerteam

Entwicklung sozialer Verhaltensregeln mit der Klasse (Klassenkodex)

Behandlung des Gewaltproblems im Unterricht mit dem Ziel, das Mitgefühl für Opfer sowie die Hilfsbereitschaft zu fördern

Rollenspiele zur Einübung prosozialer Verhaltensweisen

Änderung des Begriffes «Petzen» (Recht auf Selbstschutz)

Würdigung prosozialer Verhaltensweisen

regelmäßige Klassengespräche/«Wetterberichte»

häufigere Anwendung kooperativer Unterrichtsformen

regelmäßiger Austausch Klassenlehrer-Klassenelternvertretung über das Sozialverhalten der Klasse

Elternabend zum Thema «Mobbing»/Entwicklung eines Anti-Mobbing-Konzepts.

Gezielte Vorbeugung bewirkt eine Verminderung oder Verhinderung von Gewalt und Aggression (Schick, 2010; Schubarth, 2010). Die Wirkungschance ist umso größer, je früher die Präventionsarbeit einsetzt und je stärker sich die Schulakteure mit dem Präventionskonzept identifizieren.

Anti-Gewalt-Tipps für Schülerinnen und Schüler

Halte dich von gewaltbereiten Jugendlichen fern. Gehe nicht darauf ein, wenn sie dich provozieren.Wirst du innerhalb oder außerhalb der Schule ernsthaft bedroht oder gar erpresst, sage dies deinen Lehrern, Eltern und Freunden.Wenn du deinen Lehrern Drohungen und Gewalttaten mitteilst, so betrachte dies nicht als Petzen, sondern als notwendigen Selbstschutz.Hast du Angst davor, mit jemandem über Drohungen und erlittene Gewalt zu sprechen, schreibe ihm einen Brief oder eine E-Mail.Wirst du körperlich angegriffen, sprich andere direkt an oder rufe laut um Hilfe.Ist niemand in der Nähe, versuche dich zu schützen bzw. zu verteidigen, schlage aber nicht brutal zurück.Bist du Opfer von Gewalt geworden, so fordere zusammen mit deinen Eltern Klärung, Ahndung, Entschuldigung und gegebenenfalls Wiedergutmachung.Verzichte darauf, dich zum Zweck der Selbstverteidigung zu bewaffnen.Beteilige dich nicht am Mobben von Mitschülerinnen und Mitschülern. Empfinde es als deine menschliche Pflicht, ihnen zu helfen.Überlege zusammen mit deinen Mitschülerinnen und Mitschülern, wie ihr Gewalt verhindern könnt. Bittet euren Klassenlehrer darum, die Vorbeugung von Gewalt zum Thema eines Klassengesprächs zu machen.

Mobbing-Warnzeichen (nach Olweus 2006): Primäre Warnzeichen in der Schule

Das Opfer wird gehänselt, lächerlich gemacht, eingeschüchtert, bedroht, unterdrückt.

Das Opfer wird gestoßen, geschubst, getreten, geschlagen.

Das Opfer wird in Streitigkeiten und Kämpfe verwickelt.

Besitzgegenstände des Opfers werden weggenommen, beschädigt oder verstreut.

Das Opfer hat Verletzungsmerkmale (zum Beispiel Prellungen, Schnitte) oder zerrissene Kleidungsstücke.

Sekundäre Warnzeichen in der Schule

Das Opfer ist häufig allein und ausgeschlossen.

Das Opfer wird bei Mannschaftsspielen zuletzt ausgewählt.

Das Opfer sucht während der Pausen die Nähe von Lehrpersonen.

Das Opfer ist sehr ängstlich.

Das Opfer traut sich kaum, vor der Klasse etwas zu sagen.

Das Opfer scheint hilflos und unglücklich.

Die Schulleistungen fallen plötzlich oder allmählich ab.

Primäre Warnzeichen zu Hause

Das Opfer kommt mit beschädigten Besitzgegenständen sowie zerrissenen oder unordentlichen Kleidern nach Hause.

Das Opfer hat körperliche Verletzungen, für die es keine natürliche Erklärung gibt.

Sekundäre Warnzeichen zu Hause

Das Opfer hat keine außerschulischen Kontakte mit Klassenkameraden oder anderen Gleichaltrigen.

Das Opfer hat keinen Freund oder Freundin.

Das Opfer ist sehr ängstlich.

Das Opfer geht ungern zur Schule.

Das Opfer hat morgens keinen Appetit.

Das Opfer hat vor allem morgens häufig Kopf- und/oder Magenschmerzen.

Das Opfer geht auf Umwegen zur Schule.

Das Opfer schläft schlecht und hat Angstträume.

Die Lernmotivation des Opfers fällt ab.

Die Schulleistungen des Opfers verschlechtern sich.

Das Opfer scheint hilflos und unglücklich.

Das Opfer klaut auf Druck der Täter Geld.

Amok

Die meisten Schul-Amokläufer hatten eine so schwache Ich-Identität, dass sie auf jedes Vorkommnis, das ihre Stabilität bedrohte, extrem reagierten.

Peter Langman

Seit Beginn der 2000er Jahre ist weltweit eine Zunahme in Schulen verübter Amokläufe und schwerer Gewalttaten festzustellen. In Deutschland sieht die Chronologie dieser Ereignisse folgendermaßen aus:

16.  März 2000: Weil er am Vortag von seinem Realschulinternat in Brannenburg (Bayern) verwiesen wurde, schießt ein 16-jähriger Schüler dem Heimleiter in den Kopf und fügt sich dann selbst schwere Verletzungen zu. Das 57-jährige Opfer der Straftat stirbt sechs Tage später.

19.  Februar 2002: Ein mit zwei Pistolen, drei Rohrbomben und einer Handgranate bewaffneter 22-Jähriger tötet bei einem in Eching bei München begonnenen und in Freising fortgesetzten Amoklauf drei Menschen, darunter den Rektor seiner früheren Wirtschaftsschule.

26.  April 2002: In einem Gymnasium in Erfurt (Thüringen) richtet ein Ex-Schüler ein beispielloses Blutbad an. Schwarz vermummt und schwer bewaffnet zieht der 19-Jährige durch das Gebäude und erschießt 16 Menschen – acht Lehrerinnen, vier Lehrer, eine Schülerin, einen Schüler, die Sekretärin und einen Polizisten. Dann tötet er sich selbst.

2.  Juli 2003: Ein 16-jähriger Realschüler schießt im fränkischen Coburg während des Unterrichts auf seine Klassenlehrerin und verletzt anschließend eine Schulpsychologin. Danach tötet sich der Jugendliche. Die 41 Jahre alte Lehrerin bleibt unverletzt.

20.  November 2006: Mit Gewehren, Sprengfallen und Rauchbomben überfällt ein 18-Jähriger im westfälischen Emsdetten seine frühere Schule, verletzt 37 Menschen und erschießt sich danach.

11.  März 2009: Ein 17-Jähriger erschießt an seiner ehemaligen Realschule in Winnenden zwölf Menschen (acht Schülerinnen, einen Schüler, drei Lehrerinnen) und in einem Industriegebiet in Wendlingen zwei Menschen. Anschließend tötet er sich selbst.

17.  September 2009: Ein 18-jähriger Schüler des Gymnasiums Carolinum in Ansbach verletzt mit Brandbomben und Axthieben zehn Schüler und einen Lehrer, zwei davon schwer. Er wird von der Polizei durch Kugeln gestoppt und dabei schwer verletzt.

18.  Februar 2010: Ein 23-Jähriger dringt in Ludwigshafen in seine ehemalige Berufschule ein und tötet einen Lehrer mit Messerstichen aus Rache für schlechte Noten. Ein internes Handy-Alarmsystem verhindert weitere Opfer.

Aus der Analyse der Amokereignisse geht hervor, dass die überwiegende Mehrheit der Täter dem männlichen Geschlecht angehört und ein Durchschnittsalter von knapp 16 Jahren aufweist (Robertz/Wickenhäuser, 2010). Des Weiteren fallen folgende Merkmale auf:

persönliche Niederlage (zum Beispiel Schulversagen)

Depressivität

schwache soziale Bindung

Affinität und Zugang zu Waffen.

Pro Schul-Amoklauf gab es durchschnittlich 1,3 Tote und 3,2 Verletzte. Opfer waren Lehrpersonen, Schülerinnen und Schüler sowie Schulpersonal. In den meisten Fällen tötete sich der Täter nach dem Ende der Tat selbst.

Amoktaten werden in den meisten Fällen längerfristig geplant und vorbereitet, sehr selten handelt es sich um eine Impulstat. Sie vollziehen sich in Form einer Schritt-für-Schritt-Entwicklung:

Misserfolg/Kränkung: Es wächst der Wunsch nach Rache.

Kompensation: Eine Rache-Idee entsteht.

Planung: Es wird ein Tatszenario entworfen.

Vorbereitung: Es wird ein Termin ins Auge gefasst, Tatwerkzeug beschafft, Transport organisiert.

Vorstoß: Es findet eine verdeckte oder offensive Annäherung an den Tatort statt.

Angriff: Die Tat wird ausgeführt.

Im Werdeprozess einer Amoktat gibt es Warnzeichen, die für die Früherkennung und Frühintervention genutzt werden können:

sozialer Rückzug

depressive Äußerungen

Beschäftigung mit Waffen

martialische Kleidung

übermäßiger Gewaltmedienkonsum

Gewaltfantasien in Aufsätzen und Zeichnungen.

Zusätzlich zu diesen ersten Warnzeichen findet häufig ein «Leaking» (engl. = durchsickern, leckschlagen) statt. Konkret bedeutet dies, dass die geplante Tat angedeutet wird. Und zwar durch deutliche Drohungen im direkten Gespräch, in Graffitis, in E-Mails oder in Chatroom-Mitteilungen.

Wenn die Warnzeichen noch sehr diffus sind und hauptsächlich auf eine seelische Notlage hindeuten, ist ein vom Klassenlehrer oder Beratungslehrer durchgeführtes Gespräch der erste Schritt. Man erkundigt sich mit Fingerspitzengefühl nach dem Befinden des Schülers. Signalisiert er seelische Nöte, sollten der Schüler und seine Eltern zur Konsultation einer psychologischen oder medizinischen Fachkraft motiviert werden. Wichtig ist, zu einem späteren Zeitpunkt nachzufragen, ob diese auch tatsächlich erfolgt ist.

Liegen Hinweise vor, aus denen eine konkrete und substanzielle Drohung hervorgeht, muss die Polizei informiert werden. Diese nimmt eine Gefährderansprache vor mit dem Ziel einer fundierten Gefährdungsanalyse und Gefährdungsbewertung. Bestätigt sich der Verdacht einer Tatplanung, wird die Polizei alles unternehmen, um die Sicherheit der Schüler und Lehrer zu gewährleisten.

Weil eine Amoktat nie ganz verhindert werden kann, muss sich eine Schule auf den schlimmsten Fall einstellen. Um in einer solchen Extremsituation handlungsfähig zu sein, bedarf es eines Notfallplans und eines gut funktionierenden Krisenteams. Alle Akteure müssen wissen, was zu tun ist und wie schnellstmöglich Hilfe angefordert werden kann. Soweit die Gefahrenlage es erlaubt, gehört zum Krisenmanagement auch die Unterstützung der Polizei und der Rettungskräfte.

Sobald der Polizei- und Rettungseinsatz beendet ist, beginnt die Organisation der ersten seelischen Hilfe. Hierfür stehen sowohl Notfallseelsorger als auch Schulpsychologen zur Verfügung. Hauptaufgabe der Schulpsychologen ist es vor allem, mit den betroffenen Schulklassen sowie einzelnen Schülerinnen und Schülern Nachsorgegespräche zu führen und auch abzuklären, wer einer zusätzlichen psychotraumatologischen Behandlung bedarf.

Bei schwerstgradigen Amokläufen wie denen in Erfurt und Winnenden dauert es Jahre, bis die individuelle und kollektive Seelenlage wieder in eine relative Balance zurückgekehrt ist.

Tipps zur schulischen Amokprävention

Gehen Sie davon aus, dass in den meisten Fällen ein Amoklauf keine spontane Tat ist, sondern das Ergebnis einer längeren Handlungskette, die präventiv gestoppt werden kann.Beobachten Sie aufmerksam das Verhalten Ihrer Schülerinnen und Schüler. Tauschen Sie mit Ihren Kolleginnen und Kollegen Ihre Wahrnehmungen aus.Bewerten Sie es als ernst, wenn Schülerinnen und Schüler in Aufsätzen und Zeichnungen Gewaltfantasien äußern oder Gewalttaten und Gewalttäter verherrlichen.Achten Sie auf Schülerinnen und Schüler, die sich zurückziehen, in sich gekehrt sind und in psychischen Sackgassen stecken. Sprechen Sie diese an und erkundigen Sie sich einfühlsam nach Ihrem Befinden.Wird im Gespräch eine seelische Notlage deutlich, bieten Sie dem Schüler an, ihn bei der Suche nach Beratung und Therapie zu unterstützen. Beziehen Sie in die Hilfsaktion seine Eltern ein.Kümmern Sie sich um Schülerinnen und Schüler, die momentan offensichtlich gemobbt werden. Ziehen Sie den Mobbern klare und unmissverständliche Grenzen. Lassen Sie sich dabei von der Schulleitung unterstützen.Veranlassen Sie ein Konfliktgespräch, zu dem der Mobber zusammen mit seinen Eltern eingeladen wird. Schließen Sie einen Anti-Mobbing-Kontrakt mit der Unterschrift der Beteiligten, dessen Einhaltung konsequent kontrolliert wird.Machen Sie Ihren Schülerinnen und Schülern klar, dass jede Mitteilung, die zur Verhinderung einer schweren Gewalttat führt, unbedingte Pflicht und auf keinen Fall eine «Petze» ist.Sorgen Sie dafür, dass Schülerinnen und Schüler, die aufgrund der Versetzungsordnung oder wegen Normverletzungen die Schule verlassen müssen, eine Alternative finden. Es besteht ansonsten die Gefahr, dass ein nicht mehr kontrollierbares Rachepotenzial entsteht.

Angstprobleme

Man schafft die Angst nicht ab. Denn die Angst ist existenziell und kann nicht verhindert werden.

Paul Tillich

Angst ist ein emotional unangenehmer Zustand. Wenn jemand Angst hat, äußert sich diese aber nicht nur emotional, sondern auch kognitiv (Angstvorstellungen), körperlich (Zittern, Schwitzen, Übelkeit) und verhaltensmäßig (zum Beispiel Vermeidung Angst auslösender Situationen). Angst kann zum einen Ausdruck eines überdauernden Persönlichkeitsmerkmals sein, das man als Ängstlichkeit bezeichnet (Woolfolk, 2008). Zum anderen gibt es auch die Angst als eine kurzzeitige, vorübergehende Reaktion in einer Gefahrensituation.

Nach Auffassung der klassischen Lerntheorie sind viele Angstreaktionen erlernt, und zwar durch Konditionierungsvorgänge. Wird ein Kind in der ersten Schulwoche von einem Mitschüler geschlagen (unkonditionierter Reiz), kann es sein, dass bisher neutrale Reize (Schulklasse, Lehrer, Schulgebäude) mit dem ursprünglichen Ereignis assoziiert werden und ebenfalls Angstreaktionen auslösen, sodass schließlich eine allgemeine Schulangst entsteht. Wenn die familiäre Umwelt die Meidung des Angstobjekts «Schule» unterstützt, indem sie beispielsweise laufend Entschuldigungen schreibt (operante Konditionierung), ist das Reiz-Reaktions-Muster perfekt.

Für die kognitive Lerntheorie spielen im Prozess des Angst-Lernens auch Wahrnehmungen, Bewertungen und Einstellungen eine bedeutsame Rolle. So kann die erworbene Einstellung, dass Prüfungen immer