Geschichten, die das JobCenter schrieb - James Miller - E-Book

Geschichten, die das JobCenter schrieb E-Book

James Miller

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Beschreibung

"Geschichten, die das JobCenter schrieb (zweite Auflage)" ist eine Sammlung von Kurzgeschichten aus Sicht eines Behördenmitarbeiters. Hier beschreibt der Autor belastende, lustige oder zum Nachdenken animierende Situationen aus mehr als elf Jahren Berufserfahrung, in diesem einzigartigen Berufsfeld. Die passende Lektüre, um die eigene Sichtweise auf die Arbeit von JobCentern und Agentur für Arbeit etwas zu verändern. Die zweite Auflage beinhaltet (fast) alle Geschichten aus der ersten Auflage, sowie einige zusätzliche Situationen.

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Seitenzahl: 169

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Es ist überhaupt nicht meine Art mich despektierlich über andere Menschen zu äußern, die folgenden Formulierungen sind an einigen wenigen Stellen überspitzt ausgedrückt und dienen lediglich der Veranschaulichung.

Alles was als Zitat zu erkennen ist, ist unverändert. ALLE (!) Namen sind geändert, teilweise auch Geschlecht, Jahr und Ort.

Wer bin ich? Und warum mache ich das Ganze?

Ich komme aus dem Herzen des Ruhrgebietes und habe vor ein paar Jahren die 30 überschritten. Sicherlich nicht sonderlich viel Lebenserfahrung, dennoch bin ich mittlerweile seit 11 Jahren für meinen derzeitigen Arbeitgeber tätig und habe dort diverse Stationen durchlaufen.

Da die Arbeit die dort geleistet wird, mal zu Recht, häufig aber zu Unrecht schlecht geschrieben wird, möchte ich Ihnen einfach einmal einen Einblick in einige Erlebnisse aus dem Lebensalltag eines Job-Center bzw. Agentur für Arbeit Mitarbeiters liefern.

Diese sind grundsätzlich so formuliert, dass keine Rückschlüsse auf die Einzelperson möglich sind.

Geschlechter, Alter, Nationalität, Schuhgröße oder was auch immer können in einigen Fällen stark verändert sein – spielt aber meistens sowieso keine Rolle.

Alle Erfahrungen die hier geschildert werden, ob schöne, lustige, beängstigende oder absurde sind tatsächlich in der Form erlebt worden, das schreiben dient mir in erster Linie als Ventil und Art Selbsttherapie, denn dieser Beruf ist tatsächlich nicht immer leicht (dazu am Ende mehr).

Wer stehts überkorrekt formulierte, humor- und sarkasmusfreie Schilderungen sucht, der lege dieses Machwerk jetzt bitte zur Seite und bediene sich anderer Lektüren.

Die Reihenfolge der Erzählungen ist rein zufällig und entspricht eher dem Funddatum meiner Notizen, denn ich hatte so etwas wie das hier schon lange vor…. Zum Teil sind auch die Orte, an denen etwas passiert ist, aus anonymisierungsgründen vertauscht.

Ergänzung 2024:

Es geht wieder los…

Als ich mich hingesetzt habe, um diese Zeilen zu schreiben, oder besser gesagt: um ein weiteres Buch zu schreiben, war ich mir nicht sicher ob ich mich zunächst entschuldigen muss. Oder mit großen Worten Eindruck schinden sollte, um vorherige Fehler zu überdecken. Ich beginne mit einer Entschuldigung.

Einer Entschuldigung an alle die ich bei der Danksagung vergessen habe. Insbesondere bei meiner Herzdame Steffi und meiner Familie.

Sorry!!!! Da war man so sehr damit beschäftigt bloß alle Kolleginnen und Kollegen, sowie die kleinen und großen Helferlein nicht zu vergessen, dass man die wichtigsten Personen im Leben vergessen hat.

Den Katzen danke ich nicht, warum auch?

Das ständige über die Tastatur laufen hat beim Schreiben doch irgendwie gestört.

Auch muss ich mir eingestehen, dass „Geschichten, die das JobCenter schrieb“ (ohne Komma) am Ende doch ein paar Wochen zu früh das Licht der Welt erblickte. Da ist mein Ehrgeiz mit mir durchgegangen. Ein professionelles Lektorat gab mein Budget nicht her (das hat sich bis heute nicht geändert) und so muss man sich ganz selbstkritisch eingestehen, dass am Ende doch einige Fehler zu viel enthalten waren. So konnte ich auch meinem eigenen Anspruch nicht gerecht zu werden. Hier wird es sich auch nicht verhindern lassen, dass ein paar Fehler am Ende unbemerkt bleiben. Aber ich versuche sie stark einzudämmen.

Gleichwohl muss ich mich aber auch bedanken.

Bei allen, wirklich allen, die Band I gelesen haben. Ich sehe es nicht als Selbstverständlichkeit an, dass sich jemand für meine geistigen Ausgüsse interessiert. Auch bin ich dankbar für all das Feedback, die zum Weitermachen animierenden Worte und auch für all die kleinen Tipps welche Situationen alle nicht in der ersten Auflage aufgetaucht sind. Bei mittlerweile über fünfzehn Jahren bleibt dann doch einiges auf der Strecke.

Auflage II wird auch zunächst einmal das letzte Buch aus beruflicher Sicht sein. Aber das Leben besteht ja nicht nur aus Arbeit.

Auch kann ich dem geneigten Leser versichern: Die Entstehung dieser Version hat mehr Zeit in Anspruch genommen und am Ende dann doch etwas mehr Sorgfalt bekommen als das erste Buch. Vom Stil bleibe ich mir treu und genieße meine künstlerische Freiheit und serviere euch unverschämt unreflektierte Situationen aus dem Berufalltag dieser obskuren Behörde.

Mein Dank gilt übrigens dem Menschen, welcher diese wundervolle Rezension geschrieben hat und mir mehr oder weniger stumpfes hinterherrennen und Fake-Geschichten unterstellt hat. An der Stelle der nette Hinweis:

Ich bin kein stumpfer Befehlsempfänger und bin deutlich reflektierter, aber auch realistischer, als man mir das vorwirft. Alles was in „Geschichten, die das Jobcenter schrieb“ (egal ob erste oder zweite Version) vorkommt hat sich wirklich ereignet.

Da ist deutlich mehr Realität drin und dran als man es beim lesen (als außenstehende Person) vermuten mag.

Auch wenn es verrückt und unglaubwürdig erscheinen mag. Aber genau so ist diese Welt. Unglaublich verrückt.

Danke für euer Vertrauen. Ich wünsche gute Unterhaltung.

Inhaltsverzeichnis

1. Verachtung

2. Der Archivvorfall

3. Aus dem Knast in’s JobCenter…

4. Die Hände gebunden…

5. Fanpost I

6. Abrechnung

7. Dreist…

8. Arbeitsverweigerung….

9. Der Monitorvorfall

10. Brandschutzschulung

11. Beim Einschlafen helfen…

12. Das Erbe der Maya…

13. Fanpost II

14. Dankbarkeit

15. Fanpost III

16. Der Lokführer

17. John und Eve

18. Nachbarn

19. Alternative Formen der Geldbeschaffung

20. Nur am Weihnachtsbaum brennt noch Licht

21. Mythos Sanktion

22. Heimreise und ein Studium in London

23. Oder wie – oder was?

24. Der Imbisswagen

25. Blühende Geschäfte

26. Schuhe

27. Geisterbeschwörung

28. Voll motiviert

29. Fünf Sterne Bewertung

30. CIA / NSA / Freimaurer

31. Wenn Unverschämtheit eine Grube wäre…

32. Fassungslos

33. Fanpost IV

34. Ein paar Worte zur Integrationsquote

35. Zeichen von Respekt

Ein paar Worte zum Schluss

1. Verachtung

Dass dieser Job nicht immer einfach wird, war mir von Anfang bewusst. Auch mit gesellschaftlicher Achtung habe ich eher nicht gerechnet. In meinem Familienkreis war ich der erste der überhaupt einen Bürojob ausübte. Klar klassische Arbeiterfamilie aus dem Ruhrpott halt.

Ja genau da komme ich her. Eine völlig überstilisierte Welt aus Kohle, Stahl und großer Schnauze. Hier ist man direkt, meistens unvorteilhaft ehrlich und Fußballbesessen. Man liebt Currywurst, harte Arbeit und ein gutes Pils. Ähm ja oder so ähnlich. Zumindest ist das so, wenn man einschlägigen Komikern und Fernsehberichten glauben darf. In Wirklichkeit ist es dort eigentlich noch viel besser. Leider führt mich die direkte Art meiner Mitmenschen auch direkt zu einem Punkt, der mit Sicherheit auch in der erlebten Form woanders hätte passiert können, aber im eher kühl distanzierterem Norden ist sowas dann doch deutlich unwahrscheinlicher ist als bei mir „zu Hause“…

Als im Jahre 2007 meine Laufbahn bei der Agentur für Arbeit - sorry aber ein Arbeitsamt gibt es nicht mehr - als einfacher Auszubildender begann habe ich mir die Welt ehrlich gesagt noch etwas anders vorgestellt.

Naiv und blauäugig ging ich davon aus, du bleibst bei der Agentur für Arbeit und zeigst den Menschen den richtigen Pfad in einen ordentlichen Job und rettest sie so vor dem bösen JobCenter.

Ja ich dachte tatsächlich im JobCenter sitzen nur personifizierte Teufel am Schreibtisch und sanktionieren jeden dessen Nase nicht passt. Für mich war das JobCenter eine Institution, die geschaffen wurde um Menschen in schlecht bezahlte Arbeitsverhältnisse zu zwingen. Wie sollte man sich auch ein anderes Bild machen, wenn dieses sogar durch einige Medien vertreten wird?

Grundsätzlich hörte man immer nur wie ungerecht das JobCenter ist und jeder der sanktioniert wurde war sowieso unschuldig und darüber hinaus… die schmeißen ja auch täglich ihre Post weg. Ist ja schließlich auch deutlich bequemer als das Abarbeiten der Poststücke.

Immer muss man jeden Brief zehn Mal einreichen, telefonisch erreichen kann man da sowieso niemanden und am Ende wird man, wenn der Sachbearbeiter so gnädig war jemanden persönlich zu empfangen, unverschämt behandelt.

Joa… Gut… Wenn das so viele erzählen muss ja was dran sein.

Die Erkenntnis, dass selbst im Knast nur unschuldig Verurteilte sitzen und Menschen häufig nicht dazu neigen die eigenen Taten zu reflektieren war bei mir auch eher nicht vorhanden. Ja, man könnte sagen: Grundsätzlich war ich genauso unreflektiert was die Wahrnehmung meines zukünftigen Arbeitsplatzes angeht.

Man war, so kann man das heute durchaus sagen, dumm, kurzsichtig und naiv.

Aber das war sicherlich gut. Hätte ich mich wahrscheinlich sonst eher für einen anderen Ausbildungsplatz entschieden und wirklich etwas verpasst. Denn heute kann ich das so sagen, es war die beste Entscheidung meines Lebens meinen beruflichen Werdegang hier zu starten.

Die ersten Tage vergingen eher unaufgeregt. Erstmal ankommen war das Motto und dennoch wurde einem die Ernsthaftigkeit spätestens in dem Moment bewusst, in dem einem die Ausbilder das Gesetzbuch auf den Tisch donnerten. Sozialgesetzbuch III (SGB III) mit angrenzenden Gesetzen.

Format und Druckqualität entsprachen der eines Telefonbuchs und da wurde einem schon bewusst… Fuck… Jura wollte ich eigentlich nicht studieren, aber aufgeben geht jetzt auch nicht mehr.

Wie weit war es da also mit der Willkür, wenn man ein solches Telefonbuch direkt zum Einstieg um die Ohren gehauen bekommt?

Ok zugegeben Agentur für Arbeit ist nicht das JobCenter, vielleicht arbeiten die ja anders. Dachte ich… Und vor allem passte es nicht so hundert Prozentig in mein Weltbild, dass alle wahnsinnig freundlich waren und das nicht nur untereinander. Man wurde gut aufgenommen, nicht von oben herab behandelt und ich kann nach vielen Jahren immer noch behaupten: Ich habe noch nie für jemanden Kaffee gekocht. Völlig überraschend verbringt man auch nicht 90% des Arbeitstages mit Kaffeetrinken und Zeitunglesen. Letztendlich ein glücklicher Umstand, denn mit Kaffee kann ich so gar nichts anfangen.

So vergingen die Tage der Ausbildung, zwischen Praxiseinsätzen, nicht enden wollenden Theoriestunden in denen man erstmal lernen musste wie man die Texte in diesem ominösen Gesetzbuch eigentlich versteht.

Sollte dies hier irgendein Politiker lesen:

Ihr macht es der Welt nicht leichter indem die Gesetztestexte so formuliert werden, dass sie jeder anders interpretieren kann.

In Zukunft bitte: einfache Sprache und ohne Umschweife auf den Punkt kommen. Danke!

Recht schnell wurde mir klar wie antiquiert eigentlich mein Eindruck des „Arbeitsamtes“ war. Einen Automaten wo man Nummern ziehen musste gab es nicht, der Umgang am Empfang war ziemlich höflich und respektvoll. Beiderseitig.

Wenn man im Eingangsbereich Pöbeleien vernahm, kam der meistens aus dem angrenzenden JobCenter. Die armen Menschen dort, dachte ich oft.

Auch waren die Flure immer nur im Eingangsbereich vom JobCenter voll und die Wartezeiten hielten sich bei uns tatsächlich in Grenzen. Dies sollte sich ungefähr ein Jahr später durch eine Wirtschaftskrise schlagartig ändern, aber soweit waren wir damals ja noch nicht.

Darüber hinaus erlebte man keine Kollegen mit der oft zitierten „ABGELEHNT!“ Haltung.

Es mag den einen oder die andere Kollegen/Kollegin gegeben haben, der/die nicht so hundert prozentig feinfühlig war, aber diese Kollegen waren deutlich die Ausnahme und in keinem selbst erlebten Falle reagierten diese von oben herab.

Im Umgang mit Kunden trug ich ständig ein Namensschild, war ja auch nicht schlimm, wenn jemand wusste wie ich heiße. Hier sind alle lieb und nett und keiner will einem was Böses. Die Menschen waren dankbar und erkannten, dass man sich für sie einsetzte.

So tropfte das erste Lehrjahr fröhlich vor sich hin, der Frühling nahte und ich war immer noch froh über meine Entscheidung und allgemein sehr dankbar für die Atmosphäre im Amt.

Die erste Delle in meiner kleinen Wohlfühlwelt folgte an einem ziemlich warmen Tag. Die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr war ziemlich gut und der Fahrweg vom Elternhaus, in dem ich damals noch wohnte, zum Arbeitsplatz tatsächlich mit der Bahn schneller zurückgelegt als mit dem Auto.

Bei den Temperaturen war das dann auch angenehmer als in einem Auto ohne Klimaanlage, das den ganzen Tag in der Sonne stehen musste.

Also war es an sich naheliegend sich morgens in die Bahn zu schwingen, zur Arbeit zu fahren und nachmittags halt wieder zurück.

Und ja entgegen aller Gerüchte dauerte so ein Arbeitstag acht Stunden. Ok, eigentlich sieben Stunden und achtundvierzig Minuten (39 Stunden Woche, zzgl. Pause).

Auch wenn vielleicht nur von 08:00 Uhr bis 12:30 Uhr geöffnet war.

Ich merke ich schweife ab… Der Tag wurde warm. Eine Jacke blieb im heimischen Schrank, man leistete seinen Dienst ab und begab sich gegen halb vier auf den Weg nach Hause.

Kurz nach dem Einsteigen wurde mir schlagartig in Erinnerung gerufen, dass ich doch glatt mein „Agentur für Arbeit“ Namensschild am T-Shirt vergessen habe.

Ein Mittvierziger – welchen ich wirklich noch nie zuvor gesehen habe – der auch irgendwie in diese besondere Welt passte. Kräftiger Typ, dunkle Haare, weißes T-Shirt und Pit Bull Jogginghose gepaart mit Goldkette inklusive Kreuzanhänger. Den Kopf zierte ein bis zur Perfektion durchgestylter Vokuhila. Optisch jemand, der in den Achtzigern hängen geblieben ist oder eben mitten im Ruhrpott zu Hause war. Das Herz hatte er auf der Zunge und so wies er mich doch glatt „höflich“ darauf hin, dass er mir (O-Ton): „JobCenter Wixxer“ das Nasenbein einmal „quer durchs Gesicht ballern will“. wenn ich mich jetzt nicht sofort dazu bequemen würde sein Sichtfeld freizumachen. Nette Menschen im Ruhrgebiet. Frei nach dem Motto „aus dem Herzen in die Fresse“.

Das mit dem „auf die Fresse“ konnte so gerade eben noch einmal abgewendet werden, dennoch wurde einem in diesem Moment bewusst: Kacke, das könnte nicht immer alles so rosa bleiben wie meine derzeitige heile Ausbildungswelt war. Und gegen diesen Vogel hätte ich auf jeden Fall den Kürzeren gezogen.

In der brechend vollen U-Bahn erntete der nette Herr tatsächlich sogar noch von einigen Menschen Verständnis, die sich in die Pöbelei einmischten.

Durch einen Zufall hatte ich direkt hinter der Fahrerkabine Platz genommen, was wohl dazu führte, dass an der nächsten Haltestelle schon der Sicherheitsdienst der örtlichen Verkehrsbetriebe wartete und den netten Herrn, der mich ja nur auf mein Namensschild hinweisen wollte, aus der U-Bahn entfernte. Hätte auch in die Hose gehen können.

Glücklicherweise sollte dies meine einzige Erfahrung in dieser Hinsicht bleiben. Man wurde dennoch vorsichtiger.

2. Der Archivvorfall

Wo und wann sich das Ganze zugetragen hat spielt nun erst einmal keine Rolle. Dennoch war die Situation, höflich ausgedrückt, etwas verwirrend.

Jeder kennt irgendwoher lange Amtsflure, vergleichbar mit denen eines Krankenhauses. Es ist ruhig, hier und da sind ein paar Sitzgelegenheiten an die Wand geschraubt. In der Regel sind alle Türen geschlossen. Kaum jemand redet, und Wartende gucken meistens einfach nur zum Boden oder starren in ihre Unterlagen, in der Hoffnung, dass sich diese in interessanten Lesestoff verwandeln. Da zu diesem Zeitpunkt dieses Buch aber noch nicht fertig war wurde das wohl nichts. Wenn eine Tür aufgeht wurde hoffnungsvoll nach oben geblickt und es wurden Stoßgebete zum Himmel geschickt, dass man endlich aufgerufen wird. Alles in allem keine wirklich glückliche Atmosphäre, aber meistens sehr ruhig.

Der Tag begann, für mich, sogar ein wenig besser als jeder andere, die Sonne schien. Ja, es war wirklich ein schöner Tag. Die Temperaturen bewegten sich in meinem Wohlfühlbereich. Also irgendwo um die zwanzig Grad.

Durch einen Nebenjob wurde mir für diesen Tag ein Cabrio zur Verfügung gestellt. Also ging es morgens gut gelaunt mit dem säuseln eines 6 Zylinders im Rücken zur Arbeit und man freute sich beim Abstellen schon auf den Heimweg. So etwas fährt man schließlich auch eher selten.

Wenn der Tag schon so begann, was sollte da schief gehen?

Zu dieser Zeit zählte die Bearbeitung von Arbeitslosengeldanträgen zu meinen Aufgaben.

Das Procedere war eigentlich immer das Gleiche: Der/die Antragsteller/in (ich weigere mich diese Kunden zu nennen) bringt dir den Antrag mit den geforderten Nachweisen. Diese wurden tatsächlich vor der Terminbuchung schon auf Vollständigkeit geprüft. Anschließend klimpert man als Mitarbeiter klimpert Ruhe alle Daten in den Computer, schaut noch mal ob es irgendwelche besonderen Dinge zu beachten gibt, klärt offene Fragen und wenn alles plausibel ist, gibt man den Fall zur Kontrolle an einen weiteren Kollegen, der diesen dann freigibt. Im Anschluss bekommt (in diesem Falle) der Antragsteller den Bescheid in die Hand gedrückt mit der Information wie viel Geld er denn für welchen Zeitraum zu erwarten hat.

Da wir beim ersten Kapitel ja beim Willkürgedanken waren, dieser lässt sich hier schlecht aufrechterhalten. Jeder Fall wurde von zwei Kollegen bearbeitet, damit sich eben keine Fehler oder im schlimmsten Falle absichtliche Benachteiligung einschleichen konnten.

In diesem Falle hatten wir leider einen Menschen zu Gast, welcher für seine Situation selbst verantwortlich war, indem er den Job hingeschmissen hat. Er hatte Stress mit dem Chef und das rechtfertigte schon eine Kündigung. Für ihn ja – für uns nicht. Dies hatte zur Folge, dass zwölf Wochen kein Arbeitslosengeld gezahlt werden durfte. Eine Sperrzeit trat also ein. In dieser Zeit kann beim JobCenter Unterstützung beantragt werden, also verhungern würde er nicht, auch wenn es ein paar harte Wochen werden würden. Die vollen Leistungen würde er auch dort nicht erhalten.

Ungewöhnlich war im Laufe des Gespräches schon, dass die betroffene Person die Information nahezu reaktionslos aufnahm.

Großartig Gedanken darüber hat man sich in dieser Situation nicht gemacht, immerhin kann es ja durchaus sein, dass den Antragstellern das vorher schon bewusst war.

Wobei unser Antragsteller hier eher nicht den Eindruck vermittelte sein Handeln intensiv reflektiert zu haben.

Die Verabschiedung war relativ kühl, aber das war nun mal zu erwarten. Zuletzt erwähnte der Herr noch beiläufig, dass er noch einmal mit seinem Bruder wiederkommen würde.

Auch sowas kann in solchen Situationen schon einmal vorkommen. Mal war es die Verwandtschaft, gelegentlich auch der Anwalt.

In der Regel sind solche Aussagen dem Frust geschuldet und leere Drohungen.

Das Gespräch war zu Ende, der nächste Antrag auf dem Tisch und eine nette, ältere Dame wartete auf ihren Arbeitslosengeldbescheid. Es knallt und scheppert auf dem Flur.

Wohlwollend könnte man dem Herrn jetzt zugutehalten: Er hat sein Wort gehalten. Wenn man böse ist könnte man sagen: Er kann nicht zählen. Ja, er war wieder da. Er war nicht alleine, statt zu zweit waren sie zu viert.

Die glorreichen Vier begannen auf dem Weg zu meinem Büro gegen jede Tür zu treten. Einen Sicherheitsdienst gab es damals in unserem Amt nicht. Nach und nach sprangen alle Türen auf, der erste Kollege telefonierte schon einmal die Polizei herbei. Auf dem Gang wurde es relativ voll und hektisch. Ein wartendes Pärchen ergriff die Flucht. So richtig wusste aber niemand wie man reagieren sollte. Solche Situationen sind tatsächlich die absolute Ausnahme.

Ein Kollege, der sich eigentlich um die Archivakten kümmert und zugegeben der wahrscheinlich netteste Mensch auf Erden ist nahm sich völlig überraschend der vier Herren an.

Nennen wir unseren Archivmenschen mal Volker. Volker konnte keiner Fliege etwas zu leide tun, sagt man Volker: „Spring aus dem Fenster“, so fragt dieser nur nach der Etage und setzt zum Sprung an. Auf Grund einiger körperlicher Einschränkungen sieht Volker darüber hinaus alles andere als einschüchternd aus. An sich der perfekte Kollege in so einer Situation. Wer könnte Volker etwas antun?

Im Nachhinein muss man sagen: Mut hatte er auf jeden Fall oder etwas umgangssprachlicher; dicke Eier hat er bewiesen.

So stellt er sich den wütenden Herren in den Weg und sagt:

(O-Ton) „Naja wir können uns das Ganze ja noch mal ansehen, folgen Sie mir mal, dann holen wir mal die Akte aus dem Archiv.“

Und ab geht’s Richtung Keller. Dort befindet sich ein ehemaliger Luftschutzbunker in dem man tatsächlich einige Altfälle aufbewahrte.

Volker geht vor, die Herren folgen und natürlich ungefähr 10 Kollegen, die sich in dem Moment, nicht unerhebliche, Sorgen um die Gesundheit unseres Aktenhalters machten. Zu unserer aller Überraschung war die erste Aggression tatsächlich schlagartig verschwunden.

Das Archiv ist erreicht, Volker, höflich wie er ist, lässt den Herren den Vortritt und schließt hinter diesen die Tür, um dann breit grinsend zu sagen:

„Dann warten wir mal auf die Polizei, das ging ja jetzt besser als gedacht.“

Einige Minuten später traf dann die Polizei mit etlichen Beamten ein und beförderte die (wie sich später herausstellte, polizeibekannten) Herren zu Boden und anschließend aus dem Gebäude.

Für Volker hatte seine Reaktion leider noch ein dienstliches Nachspiel. Seine Reaktion kam bei den Vorgesetzt nicht ganz so gut an, wie beim Rest des Teams. Man hätte den Herren die Möglichkeit zur Flucht lassen sollen.

Von mir gab es für diese Reaktion meinen vollsten Respekt und ein ordentliches Mittagessen.

Volker hat in der Situation keine Gefahr für sich erkannt und würde nach eigener Aussage wieder so handeln.

„Watt soll da schon passieren? Wer so einen Krawall veranstaltet will nur Angst machen und haut dir keine auf’s Maul…“

Die Polizei sah das übrigens anders und warnte davor so etwas noch einmal zu machen…

3. Aus dem Knast ins JobCenter…