Gesellschaftliche Teilhabe - Hildegard Mogge-Grotjahn - E-Book

Gesellschaftliche Teilhabe E-Book

Hildegard Mogge-Grotjahn

0,0

Beschreibung

Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen ermöglichen, das ist das Ziel jeder sozialarbeiterischen Intervention. Doch gerade Teilhabe ist schwer zu fassen. Dieses Buch zeigt auf, welche gesellschaftlichen Phänomene wie z.B. Armut und Bildung Teilhabe behindern oder begünstigen und wie unterschiedliche Theorien und Fachwissenschaften (Armutsforschung, Bildungssoziologie, Demokratietheorien etc.) zum Diskurs beitragen. Anschließend wird das grundlegende sozialarbeiterische Haltungswissen aufbereitet. Dabei erörtert das Buch auch die Widersprüchlichkeiten, die zwischen den Interessen der Adressatinnen und Adressaten, den organisationellen Strukturen Sozialer Arbeit sowie deren Verpflichtung gegenüber dem Staat entstehen können. Abschließend werden Methoden, die Teilhabe fördern, vorgestellt und mithilfe von Best-Practice-Beispielen veranschaulicht.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 246

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Soziale Arbeit in der Gesellschaft

 

Die Reihe »Soziale Arbeit in der Gesellschaft« macht es sich zur Aufgabe, die gesellschaftlichen Themen aufzubereiten, die eine besondere Bedeutung für die Soziale Arbeit haben – vom Recht auf Unterstützung über Teilhabe bis hin zu sozialen Problemlagen wie Armut. Die einzelnen Bände liefern das Grund- und Orientierungswissen, das Studierende und Sozialarbeiter_innen benötigen, um eine professionelle Haltung zu entwickeln und ihren Adressat_innen auf Augenhöhe zu begegnen.

Eine Übersicht aller lieferbaren und im Buchhandel angekündigten Bände der Reihe finden Sie unter:

 https://shop.kohlhammer.de/soziale-arbeit-in-der-gesellschaft.html

Die Autorin

Dr. Hildegard Mogge-Grotjahn, Jg. 1953, war bis 2017 als Professorin für Soziologie an der Evangelischen Hochschule in Bochum tätig. Davor arbeitete sie in wissenschaftlichen Instituten und im Bildungsbereich. Seit 2007 berät sie als Systemischer Coach und Personzentrierte Beraterin Fachkräfte aus pädagogischen und sozialen Berufen sowie kirchlichen Handlungsfeldern.

Ausgewählte Veröffentlichungen

 

Soziale Inklusion. Theorien, Methoden, Kontroversen (gemeinsam mit Carola Kuhlmann und Hans-Jürgen Balz). Kohlhammer Verlag 2018

Handbuch Armut und soziale Ausgrenzung (gemeinsame Herausgeberschaft mit Ernst-Ulrich Huster und Jürgen Boeckh; Autorin mehrerer Beiträge). 3. Auflage, Verlag Springer VS 2018

Hildegard Mogge-Grotjahn

Gesellschaftliche Teilhabe

Grundlagen professioneller Haltung und Handlung

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

Dieses Werk enthält Hinweise/Links zu externen Websites Dritter, auf deren Inhalt der Verlag keinen Einfluss hat und die der Haftung der jeweiligen Seitenanbieter oder -betreiber unterliegen. Zum Zeitpunkt der Verlinkung wurden die externen Websites auf mögliche Rechtsverstöße überprüft und dabei keine Rechtsverletzung festgestellt. Ohne konkrete Hinweise auf eine solche Rechtsverletzung ist eine permanente inhaltliche Kontrolle der verlinkten Seiten nicht zumutbar. Sollten jedoch Rechtsverletzungen bekannt werden, werden die betroffenen externen Links soweit möglich unverzüglich entfernt.

1. Auflage 2022

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-038444-6

E-Book-Formate:

pdf:           ISBN 978-3-17-038445-3

epub:        ISBN 978-3-17-038446-0

Zur Reihe »Soziale Arbeit in der Gesellschaft«

 

 

Unsere Gesellschaft wird immer mehr von inneren Spannungen geprägt: Armut, eingeschränkte Teilhabe, soziale Ungleichheit oder auch Rassismus und Gewalt sind nur einige Themen, die immer wieder hitzig diskutiert werden. In diesem Debattenklima ist es schwierig zu einer faktenbasierten Bewertung dieser Problemlagen zu kommen, die einer sorgfältigen und nachprüfbaren theoretischen Begründung nicht entbehren. Gerade Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sind auf solche wissenschaftliche Analysen angewiesen – schließlich sind sie es, die täglich in ihrer Arbeitspraxis mit diesen Problemen und Debatten konfrontiert werden.

Solche Analysen bietet die Reihe »Soziale Arbeit in der Gesellschaft«. In klarer, verständlicher Sprache beantworten die einzelnen Bände für die Soziale Arbeit grundlegende Fragen: Welche Bedeutung haben die Problemlagen für die Gesellschaft und welche Herausforderungen sind damit für die Soziale Arbeit verbunden? In welchen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit spielen sie eine Rolle? Welche Kompetenzen benötigen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter und wie können sie diese entwickeln? Und: Wie kann die Soziale Arbeit unterstützen, welche gesellschaftlichen Ziele verfolgt sie dabei und welche Handlungsansätze haben sich dafür bewährt oder müssen noch erarbeitet werden?

Die einzelnen Bände basieren auf einem breiten sozialwissenschaftlichen Fundament. Sie wollen dazu beitragen, Studierende und Fachkräfte der Sozialen Arbeit zu einer kritischen Auseinandersetzung mit einschlägigen Handlungsfeldern und Arbeitsansätzen einschließlich ihrer professionellen Haltung anzuregen.

Vorwort

 

 

Teilhabe in Zeiten von Klimawandel und Flüchtlingselend, Corona und Trumpismus, oder: Plädoyer für ein inhaltlich qualifiziertes Teilhabe-Verständnis

Dieses Buch handelt von Teilhabe und Sozialer Arbeit. Es beruht auf einem umfassenden Verständnis von Teilhabe als einem Menschenrecht, dessen Verwirklichung zu einem »guten Leben« für alle in einer demokratischen und gerechten Gesellschaft beitragen kann.

Teilhabe in diesem Verständnis ist voraussetzungsvoll. Sie bedarf der politischen und sozialen Strukturen, die Teilhabe ermöglichen, und die Einzelnen müssen befähigt sein oder werden, sich aktiv an der Gestaltung der sozialen Welt zu beteiligen. Zudem ist Teilhabe folgenreich. Sie verändert nicht nur die Einzelnen durch die Erfahrung der Selbstwirksamkeit und der Gestaltungsmöglichkeiten, sondern auch die Gesellschaft – sei es in Teilbereichen oder auch in ihrer Gesamtheit.

Um die politischen und sozialen Strukturen, Herausforderungen und Gestaltungsperspektiven verstehen und beeinflussen zu können, müssen die Einzelnen über eine Fülle von Informationen verfügen, sie überprüfen, gewichten und bewerten. Sie müssen Gelegenheiten haben und in der Lage sein, sich an argumentativen und fairen Prozessen der Meinungsbildung und der Entscheidungsfindung zu beteiligen. Und sie brauchen einen positiven emotionalen Bezug zu den gemeinsamen Grundwerten der Freiheit, der Demokratie und der Menschenwürde. Dies alles ist den Einzelnen nicht ›in die Wiege gelegt‹, sondern entsteht durch Interaktion und Kommunikation, durch Erfahrungen der Wertschätzung und Anerkennung, durch das Verfügen über die nötigen Ressourcen, sowie durch die Chance, tatsächlich teilhaben und gesellschaftliche Wirklichkeiten ändern und Entwicklungen beeinflussen zu können.

Was nicht mit einem demokratischen Verständnis von Teilhabe verwechselt werden darf, sind das Verbreiten von »alternativen Fakten« oder »Fake News«, Hass und Hetze und das Sich-Berauschen an der eigenen ›Stärke‹, die auf Gewalt beruht. Solche Aktionsformen und Handlungsweisen sind weder an demokratischen Werten noch an Menschenwürde und Gerechtigkeit orientiert, sondern zielen auf die Zerstörung von Demokratie.

Zwar ist es legitim, für die eigenen Interessen zu kämpfen und unterschiedliche Ziele der gesellschaftlichen Entwicklung zu verfolgen. Aber die Veränderung des gesellschaftlichen Ist-Zustandes kann nicht losgelöst von inhaltlichen Kriterien als von Vornherein ›gut‹ betrachtet werden, und »Teilhabe«, »Selbstwirksamkeit« sowie »Empowerment« im Sinne von »Bemächtigung« müssen sich ebenso an inhaltlichen Kriterien messen lassen. Im jeweiligen Kontext geht es darum, auf der Basis von Erfahrungs- und auch von Sachwissen in demokratischen Verfahren dazu beizutragen, dass Menschenwürde und ein »gutes Leben« nicht nur für die Privilegierten dieser Erde realisiert werden können. Das schließt auch die globale Herausforderung ein, den Klimawandel zu bekämpfen und eine lebensfreundliche Umwelt zu bewahren oder wiederherzustellen.

Seit der Zeit, in der ich die Schule beendete und anfing zu studieren, also seit etwa 50 Jahren, gehört es zu meinem Selbstverständnis, mich politisch und sozial zu engagieren. Als ich mit den Vorarbeiten für dieses Buch begann, beschäftigten mich viele Aspekte der Teilhabe-Thematik ganz persönlich – allen voran der Klimawandel, die Verletzung der Menschenwürde von geflüchteten Menschen und der (wieder) erstarkende politische Populismus. Während der Arbeit am Manuskript brach die Corona-Pandemie über die Menschheit herein, und ihr Ende ist jetzt, zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Buches, noch nicht abzusehen. Oft habe ich mich gefragt, wozu ich in solchen Zeiten ausgerechnet ein Buch über »Teilhabe« schreiben sollte – schließlich ist es eine prägende Erfahrung, die diese Pandemie mit sich bringt, dass die Möglichkeiten politischer Teilhabe erschwert sind und viele Menschen sich in radikaler Weise in der Gestaltung eines »guten Lebens« für sich, ihre Familien und ihre Mitmenschen einschränken müssen. In besonderer Weise gilt dies für Menschen, die in Pflegeheimen und anderen stationären Einrichtungen leben und arbeiten sowie ihre Angehörigen. Den extremsten Ausschluss von Teilhabe erfahren diejenigen, die ohne Beistand durch ihre Nächsten sterben.

Inzwischen bin ich der Auffassung, dass gerade in diesen Zeiten das Thema »Teilhabe« von zentraler Bedeutung ist. Denn die Erfahrungen der Pandemie nötigen uns zur Besinnung auf die Grundwerte von Demokratie und Menschenrechten. Es muss immer wieder neu darüber nachgedacht und diskutiert werden, in welchem Verhältnis persönliche Freiheiten und die solidarische Rücksichtnahme zueinanderstehen. Warum und wie lange ist es gerechtfertigt, persönliche Freiheitsrechte einzuschränken, um die Menschen vor den gesundheitlichen Risiken der Pandemie und das Gesundheitswesen vor dem Kollaps zu bewahren? Über Jahrzehnte bewährte politische Strukturen wie der Föderalismus offenbaren ihre Schwachstellen. Die Bekämpfung populistischer Kampagnen in den Sozialen Medien mit ihrer Verleugnung von Realitäten einerseits, das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie der Schutz freier und unabhängiger Medien andererseits müssen neu miteinander in Beziehung gesetzt werden. Der globale Kapitalismus beweist einmal mehr, dass die ökonomischen Prozesse politisch gesteuert werden müssen und dass ›starke‹ und ›schwache‹ Interessen nicht nur ein Thema der Sozialen Arbeit sind, sondern ein Zukunftsthema für die Staaten der Welt.

Nicht zuletzt hat es mich erschreckt, wie schnell für mich persönlich ebenso wie für die politische Öffentlichkeit die Themen des Klimawandels und der Flüchtlingspolitik aus dem Fokus der Aufmerksamkeit geraten können.

Die Antworten auf alle diese Fragen können nur mit Hilfe von Demokratie und nicht etwa gegen demokratische Grundrechte und Prinzipien gefunden werden. Das hat die Erstürmung des Weißen Hauses, dem Regierungssitz der Vereinigten Staaten von Amerika, durch gewalttätige Verächter und Verächterinnen der Demokratie Anfang Januar 2021 – den so genannten »Trumpisten« – überdeutlich gemacht.

»Teilhabe« ist auch und gerade in Zeiten der Pandemie und der globalen ökonomischen und politischen Verwerfungen kein Luxusthema, sondern von existenzieller Bedeutung für die Einzelnen wie für die Gesellschaften insgesamt. Soziale Arbeit kann einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass Teilhabe auch denjenigen Personen und Gruppen ermöglicht wird, die nicht von vorneherein dazu privilegiert und motiviert sind. Und vielleicht, so ist meine Hoffnung, kann dieses Buch etwas dazu beitragen, die Teilhabe-Orientierung in der und für die Soziale Arbeit zu stärken.

Von der ›Rohfassung‹ bis zur hier vorliegenden Druckfassung ist das vorliegende Buch umfassend überarbeitet worden. Wesentliche Impulse und zahlreiche Anregungen hierfür verdanke ich Carola Kuhlmann und Kerstin Walther.

Weitere wichtige Hinweise kamen von Benjamin Benz, Vera Dittmar, Lilo Dorschky und Kristin Sonnenberg.

Euch allen gilt mein großer Dank!

Bochum, im März 2021Hildegard Mogge-Grotjahn

Inhalt

 

 

Zur Reihe »Soziale Arbeit in der Gesellschaft«

Vorwort

1   Einführung

1.1   Zu den Begriffen Partizipation, Teilhabe und Inklusion

1.1.1   Partizipation

1.1.2   Teilhabe

1.1.3   Inklusion

1.2   Zu diesem Buch

2   Theoretische Grundlagen der Teilhabe-Thematik

2.1   Gesellschaftstheoretische Grundlagen

2.2   Politik- und demokratietheoretische Grundlagen

2.3   Kommunikation und Öffentlichkeit und die besondere Rolle der Medien in modernen Gesellschaften

2.4   Engagement und Teilhabe und die Theorie des Sozialkapitals

Studienhilfen

3   Übergänge zur Sozialen Arbeit

3.1   Entstehung des Sozialstaates und der Sozialen Arbeit

3.2   Konzepte des liberalen und des sozialen Rechtsstaates

3.3   Soziale Bewegungen, die Weiterentwicklung Sozialer Arbeit in Westdeutschland und ihr Verhältnis zur Sozialpolitik

3.4   Anwaltschaftlich orientierte Soziale Arbeit (Starke und schwache Interessen)

Studienhilfen

4   Teilhabe-orientierte Haltung Sozialer Arbeit

4.1.   Die Makro-Ebene

4.1.1   Soziale Arbeit als Profession

4.1.2   Politische und rechtliche Rahmenbedingungen der Sozialen Arbeit

4.1.3   Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession

4.2   Die Meso-Ebene

4.2.1   Das Partizipationsdilemma und seine Ursachen

4.2.2   Vertretung eigener Interessen der Sozialen Arbeit

4.2.3   Teilhaberechte und partizipative Strukturen

4.2.4   Teilhabe-förderliche Konzepte Sozialer Arbeit

4.3   Die Mikro-Ebene

4.3.1   Adressat_innen der Sozialen Arbeit

4.3.2   Fachkräfte der Sozialen Arbeit

4.3.3   Beziehungen zwischen Fachkräften und Adressat_innen

Studienhilfen

5   Teilhabe-orientiertes Handeln in der Sozialen Arbeit

5.1   Eckpunkte des Teilhabe-orientierten Handelns

5.2   Das Modell der Partizipationspyramide

5.3   Ausprägung und Reflexion einer Teilhabe-orientierten Haltung der Fachkräfte sowie Implementierung von Teilhabe-Strukturen bei Trägern Sozialer Arbeit

5.4   Teilhabeförderung durch Sozialraumorientierte Soziale Arbeit, Ressourcenorientierung und Empowerment

5.5   Teilhabe von Menschen in Armutslagen

5.6   Förderung medialer Kompetenz als Aufgabe Teilhabe-orientierter Sozialer Arbeit

5.7   Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund

5.8   Teilhabe von Kindern und Jugendlichen

5.9   Teilhabe von Menschen im höheren Lebensalter

5.10 Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen

Studienhilfen

Abkürzungsverzeichnis

Literatur- und Quellenverzeichnis

1          Einführung

 

 

Kapitelüberblick

In diesem Kapitel werden zunächst die Begriffe »Partizipation«, »Teilhabe« und »Inklusion« sowie ihre jeweiligen Entstehungsgeschichten erläutert. Da die Abgrenzung dieser Begriffe nicht immer eindeutig ist, wird auch auf ihre Schnittmengen eingegangen. Daran anschließend werden die inhaltlichen Schwerpunkte der folgenden Kapitel vorgestellt.

1.1       Zu den Begriffen Partizipation, Teilhabe und Inklusion

Auch wenn »Teilhabe« das zentrale Thema dieses Buches ist, beginnt die Darstellung mit dem Begriff der Partizipation. Der Teilhabe-Begriff wird erst danach erläutert, und es folgt der Begriff der Inklusion. Diese Reihenfolge orientiert sich an der Abfolge, in der die Begriffe in der fachlichen und politischen Öffentlichkeit besonders intensiv diskutiert wurden.

Allerdings werden die Begriffe »Teilhabe« und »Partizipation« im alltäglichen, politischen und auch im wissenschaftlichen Bereich oft synonym verwendet oder auch mit dem Begriff »Inklusion« gleichgesetzt. Häufig wird bei der Übersetzung von internationalen Dokumenten – z. B. der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) (Vereinte Nationen 2008) – der englische Begriff »participation« mit dem deutschen Begriff »Teilhabe« übersetzt. »Teilhabe« wiederum wird in vielen Veröffentlichungen als »zentrale(r) Anspruch von ›Inklusion‹« verstanden (vgl. Spatschek, Thiessen 2017, S. 11).

Weitere verwandte, aber nicht in gleichem Maße gehaltvolle Begriffe sind die der »Teilnahme«, »Mitbestimmung« oder »Mitsprache«. Auch der Begriff »Engagement« wird häufig in ähnlichen Zusammenhängen verwendet.

Trotz der Überschneidungen in der Bedeutung der Begriffe Partizipation, Teilhabe und Inklusion können und sollten sie unterschieden werden. Denn zum einen haben sie unterschiedliche theoretische Herkünfte, und zum anderen sind sie in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten entstanden. Dieses Buch geht davon aus, dass der Begriff der Teilhabe am umfassendsten ist und deshalb als Bezeichnung für eine generelle Ausrichtung der Sozialen Arbeit an den Bedürfnissen und Interessen ihrer Adressat_innen gewählt werden sollte.

Um den vielfältigen Aspekten des Themas gerecht werden zu können, wird nicht nur auf soziologische, sondern auch auf politikwissenschaftliche sowie sozialarbeitswissenschaftliche und sozialpädagogische Quellen zurückgegriffen. Auch das Spezialgebiet der politischen Soziologie trägt zur fundierten Auseinandersetzung mit dem Thema Teilhabe bei. Ferner gibt es inhaltliche Schnittmengen mit den Gesundheitswissenschaften und der Psychologie.

In den folgenden Abschnitten werden die Begriffe »Partizipation«, »Teilhabe« und »Inklusion« ausführlich dargestellt und miteinander in Beziehung gesetzt.

1.1.1     Partizipation

Der Begriff der Partizipation wird in erster Linie in der Politikwissenschaft, der politischen Soziologie und in politischen Zusammenhängen verwendet. Dabei geht es zunächst ganz allgemein um die Möglichkeiten von Bürger_innen, auf politische Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Mit dem Hinweis auf die Entscheidungen ist der Begriff Partizipation bereits abgegrenzt von anderen Formen von Beteiligung, »bei denen die Meinung der Mitwirkenden keine Auswirkung auf das Ergebnis hat oder bei denen nicht sicher ist, dass ihre Meinung in den Entscheidungsprozess einfließt« (Straßburger, Rieger 2014c, S. 230).

Politische Partizipation

Formen politischer Partizipation sind zum einen die Mitarbeit in politischen Parteien oder die Teilnahme an Wahlen auf allen politischen Ebenen (vgl. Wimmer 2014, S. 56). Zum anderen gilt auch die aktive Beteiligung an Bürgerinitiativen, Demonstrationen, Unterschriftensammlungen oder Online-Petitionen zu politischen Entscheidungen als politische Partizipation (vgl. Steinbrecher 2016, S. 313).

Wenn Menschen sich einfach ›nur‹ für Politik interessieren und sich über politische Vorgänge informieren, gilt dies jedoch nicht als Partizipation, da Partizipation ein aktives Verhalten erfordert (vgl. van Deth 2009, S. 141).

Partizipation stellt zum einen das Recht jedes und jeder Einzelnen dar, sich frei und gleichberechtigt an kollektiven und öffentlichen Entscheidungsprozessen zu beteiligen, zum anderen ist sie aber auch ein Weg, eigene Interessen zu erkennen und zu verfolgen (vgl. Evers, Hirschfeld 2011, S. 190). In jedem Fall geschieht politische Partizipation als freiwillige Aktivität.

In den 1960er und 1970er Jahren setzten sich in Westdeutschland soziale Bewegungen wie die Studenten- und die Frauenbewegung für eine Demokratisierung der Gesellschaft ein. Ihre Forderungen nach mehr Demokratie bezogen sich auf so gut wie alle gesellschaftlichen Bereiche. Mehr und mehr wurde der Begriff der politischen Partizipation um den der sozialen Partizipation erweitert.

Soziale Partizipation

Während mit politischer Partizipation vorrangig die Möglichkeiten von Mitbestimmung und Mitwirkung in den vorhandenen politischen Institutionen, Organisationen und Gremien gemeint ist, bezieht sich der Begriff der sozialen Partizipation auf alle Lebensbereiche, z. B. die Institutionen und Organisationen des Sozial-, Gesundheits- oder Bildungswesens oder auch den gesamten Bereich der Kultur (vgl. Wesselmann 2019, S. 99).

Die Unterscheidung von »Partizipation« und »sozialer Partizipation« grenzt zudem den traditionellen Bereich der Politik von der so genannten Zivilgesellschaft ab. Mit diesem Begriff wird darauf verwiesen, dass es außer den Einzelnen und dem politisch-öffentlichen Bereich und staatlichen Institutionen ein breites Feld der Selbstorganisation und Selbstverwaltung von Bürger_innen gibt – einen staatsfreien, dennoch aber nicht einfach privaten Bereich. Als zivilgesellschaftliche Organisationen gelten z. B. Sportvereine, Umweltorganisationen, Bürger_inneninitiativen, die Freiwillige Feuerwehr, Nachbarschaftsprojekte, Chöre oder Vereine aller Art. »Soziale Partizipation ist somit ein Sammelbegriff für eine Beteiligungsform, die in der Regel öffentliches, kollektives Handeln ohne direkte politische Motivation beschreibt, aber immer über die private Sphäre hinausreicht« (Roßteutscher 2009, S. 163).

Die Grenzen zwischen politischer und sozialer Partizipation sind oft fließend. Beispielsweise ist das Engagement für geflüchtete Menschen, etwa durch das Sammeln und Verteilen von Kleidung oder Spielsachen, zunächst einmal ein zivilgesellschaftliches, jenseits der politischen Institutionen. Es führt aber fast zwangsläufig auch dazu, sich an politische Institutionen, z. B. die Kommunen zu wenden und politische Forderungen zu vertreten, etwa für eine Unterbringung der Geflüchteten in Wohnungen anstatt in Containern oder für Sprach- und Integrationskurse.

1.1.2     Teilhabe

Auch die Übergänge vom erweiterten Begriff der politischen und sozialen Partizipation zu dem der Teilhabe sind fließend. Die Teilhabe-Thematik hat zum einen eine sozialpolitische und rechtliche Bedeutung. Zum anderen berührt sie grundlegende Fragen nach den gesellschaftlichen Werten. Auch für die theoretische Begründung und Entwicklung (sozial-)pädagogischer Konzepte ist das Teilhabe-Verständnis zentral.

Juristisch geht es darum, allen Bürger_innen einer Gesellschaft das Recht auf die Gestaltung des eigenen Lebens und die Mitgestaltung der allgemeinen Lebensverhältnisse einzuräumen und zu garantieren. Da hierfür sowohl materielle als auch immaterielle Ressourcen nötig sind, wird dem Staat die Aufgabe zugeordnet, die Voraussetzungen für soziale Teilhabe zu schaffen, in erster Linie für die Adressat_innen wohlfahrtsstaatlicher Leistungen.

Seit den 1930er Jahren wurde – u. a. von dem Juristen Ernst Forsthoff (1902–1974) – immer wieder neu definiert, was konkret als Rechtsanspruch im Sinne von Mindeststandards für Teilhabe verstanden werden soll. Daran schließt sich die Frage an, welche Aufgaben bei der Gewährleistung dieser Mindeststandards der Ökonomie, der Politik, dem Sozialstaat und den Einzelnen zukommen und wessen Interessen besondere Berücksichtigung finden sollen. Je nach den politischen Verhältnissen – in Deutschland die Weimarer Republik, der Nationalsozialismus, die Bundesrepublik Deutschland (BRD) und die Deutsche Demokratische Republik (DDR) nach 1945 – wurden unterschiedliche, weltanschaulich geprägte Konzeptionen hierzu entwickelt (vgl. Huster 2018a). Hierauf wird in Kapitel 3.1 näher eingegangen (Kap. 3.1).

Seit den 1950er Jahren setzte sich ein Verständnis von Teilhabe als »Kernbegriff des bundesrepublikanischen Sozialstaats« (Wesselmann 2019, S. 95) durch. Die Sozialgesetzgebung hat diesen Leitgedanken im Laufe der Jahrzehnte immer wieder modifiziert und weiterentwickelt.

Beispielsweise trug das neunte Sozialgesetzbuch (SGB IX) von 2001 den Titel »Rehabilitation und Teilhabe«, und in der Fassung von 2018 bestimmte der § 1 die »Selbstbestimmung und … volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft« als Ziel der Unterstützungsleistungen für Menschen mit Behinderungen (vgl. Wesselmann 2019, S. 95f). Seit dem 1. Januar 2020 ist das Bundesteilhabegesetz (BTHG) in Kraft, das umfangreiche Verbesserungen zur Unterstützung der Autonomie von Menschen mit Behinderungen regelt.

Ähnliche Zielsetzungen sind auch für andere Bereiche des Sozialstaats und der Sozialen Arbeit gesetzlich fixiert, z. B. im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe und im »Bildungs- und Teilhabe-Paket« (BUT) für Kinder und Jugendliche.

Bildungs- und Teilhabe-Paket (BUT)

Das BUT trat 2011 in Kraft und wurde 2019 reformiert. Es soll Kindern und Jugendlichen durch zusätzliche finanzielle Leistungen die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft ermöglichen, etwa durch die Mitgliedschaft in Vereinen oder durch ihre musikalische Förderung in Musikschulen.

Allerdings kritisieren Expert_innen, dass auch das geänderte Bildungs- und Teilhabepaket viel zu niedrige Beträge umfasst, hohe Verwaltungshürden aufrichtet und bei weitem nicht von allen berechtigten Familien in Anspruch genommen wird (vgl. DPWV 2019).1

Die inhaltliche Bestimmung von Teilhabe in den unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft reicht vom schlichten Dabei-sein-Können in allen möglichen Zusammenhängen bis hin zur substanziellen Mitbestimmung in Institutionen, Organisationen und politischen Gremien. Je nach Perspektive stehen die Handlungschancen der beteiligten Individuen oder der Nutzen sozialer Teilhabe für das Gemeinwohl im Mittelpunkt des Interesses (vgl. Kümpers, Alisch 2018, S. 602). Immer aber geht es um die Ursachen und um die mögliche Überwindung sozialer Ungleichheiten.

Soziale Ungleichheit

Unter sozialer Ungleichheit wird nicht nur die materielle Besser- oder Schlechterstellung von Personengruppen in der Gesellschaft verstanden, sondern auch die größeren oder geringeren Chancen, das eigene Leben zu gestalten und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

Durch sozialstaatliche Leistungen soll deshalb der Schutz vor materieller Armut, aber auch das oben schon erwähnte »Mindestmaß an Teilhabe« garantiert werden. Über die Frage, was als dieses »Mindestmaß« gelten soll hinaus, geht es ganz grundsätzlich um das Verhältnis von Individuum und Staat sowie den ›Zwischenraum‹ des Sozialen2 im Sinne der oben schon erwähnten Zivilgesellschaft. Zu klären ist, welche Ansprüche die Einzelnen geltend machen können und welche Anforderungen des Staates an die Einzelnen dem gegenüberstehen.

Das markanteste Stichwort in diesem Zusammenhang ist die Rede vom »aktivierenden Sozialstaat«, der die Adressat_innen sozialstaatlicher und auch sozialarbeiterischer Leistungen »fördern und fordern« soll. Dieses Begriffspaar wurde 2005 mit der so genannten Hartz-IV-Gesetzgebung als Leitlinie sozialstaatlichen Handelns, zunächst vor allem mit Blick auf Erwerbslose, etabliert. Gemeint ist, dass die Unterstützung durch Transferleistungen daran geknüpft ist, dass die Einzelnen umfassende Mitwirkungspflichten erfüllen und ihre »Arbeitswilligkeit« unter Beweis stellen müssen (vgl. Böhmer 2013, S. 249ff).3

Noch umfassender als das Verständnis von Teilhabe im rechtlichen und sozialstaatlichen Kontext ist die Definition von Teilhabe als einem Menschenrecht. Lob-Hüdepohl spricht in diesem Zusammenhang von der »Hochform moderner politischer Herrschaft« (Lob-Hüdepohl 2013, S. 89). In der bereits erwähnten Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen wird der Gedanke von Teilhabe als einem Menschenrecht konkretisiert. Demnach ist der Staat verpflichtet, den Bürger_innen nicht nur das erwähnte Mindestmaß an materieller und immaterieller Teilhabe zu gewährleisten, sondern für die politischen Rahmenbedingungen zu sorgen, die es allen Menschen ermöglichen, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten, Zugang zu allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zu erhalten und sich an allen Entscheidungs- und Gestaltungsprozessen beteiligen zu können. »Teilhabe als Menschenrecht bedeutet, einen individuellen Anspruch darauf zu haben, aber nicht dazu verpflichtet zu sein, an allen Lebensbereichen teilzuhaben« (Wesselmann 2019, S. 98). – Um dieses Menschenrecht für alle Menschen verwirklichen zu können, müssen strukturelle Benachteiligungen in allen gesellschaftlichen Bereichen abgebaut werden.

1.1.3     Inklusion

»Partizipation« und »Teilhabe« weisen eine enge inhaltliche Verwandtschaft zum Thema »Inklusion« auf. Begriff und Verständnis von Inklusion (und ihrem Gegensatz, der Exklusion) wurden lange in zwei verschiedenen wissenschaftlichen und politischen Kontexten diskutiert, die erst in den letzten Jahren systematisch miteinander verknüpft wurden. Der eine Kontext ist geprägt von der Behindertenrechtsbewegung, durch die die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) vorangetrieben und politisch durchgesetzt wurde. Der Behinderungsdiskurs ist wiederum eingebettet in den größeren Zusammenhang der Diversity-Thematik4. Den anderen Kontext bilden die Armutsforschung und die politische Bekämpfung von Armut, im größeren Zusammenhang mit Fragen von Gesundheit, Bildung und Migration (zu beiden Diskursen und ihrem Zusammenhang vgl. Degener, Mogge-Grotjahn 2012).

In der UN-BRK wird Inklusion als Menschenrecht verstanden, das auf die Überwindung aller in Blick auf Behinderungen5 diskriminierenden Sichtweisen und ausschließenden Strukturen zielt. Dabei geht es um den barrierefreien Zugang zu Ämtern und Behörden und Einrichtungen des Gesundheitswesens ebenso wie um das gemeinsame Leben und Lernen von Menschen mit und ohne Behinderungen – sei es im Schul- und Bildungssystem, auf dem Arbeits- oder dem Wohnungsmarkt, im Bereich von Freizeit, Kultur und Sport.

Im Kontext der Bekämpfung von Armut und Ungleichheit geht es um die strukturellen Mechanismen, die bestimmte Bevölkerungsgruppen benachteiligen und sie von der Verfügung über materielle und immaterielle Ressourcen ausschließen oder ihnen zumindest den Zugang zu den allgemeinen Ressourcen erschweren.

Das Verbindende beider Stränge der Inklusionsbewegung ist das Ziel, die gesellschaftlichen Verhältnisse so zu gestalten, dass die sehr unterschiedlichen und vielfältigen Lebenslagen aller Menschen berücksichtigt und die Voraussetzungen für eine gleichberechtigte Teilhabe geschaffen werden (vgl. Bleck, van Rießen, Deinet 2017, S. 92).

Inklusion ist deshalb eine zentrale Forderung zur Überwindung einer Vielzahl von sozialen Problemen. Diese sind dadurch verursacht, dass Menschen mit Beeinträchtigungen, und/oder Menschen, die in Armut leben, und/oder Menschen, deren Lebenslagen von Krankheit oder Erwerbslosigkeit oder Migration oder Flucht gekennzeichnet sind, strukturell benachteiligt werden. Deshalb geht es bei der Umsetzung von Inklusion darum, über die Möglichkeiten zur Teilhabe hinaus diese Strukturen zu überwinden und dafür zu sorgen, dass »möglichst alle Menschen in einer Gesellschaft das eigene Leben aktiv gestalten und ein ›gutes Leben‹ führen können« (Kuhlmann, Mogge-Grotjahn, Balz 2018, S. 12).

Soziale Zugehörigkeit wird in modernen Gesellschaften vor allem durch die Teilhabe an (Erwerbs-)Arbeit, durch verfügbares Einkommen, durch Bildung, durch verwandtschaftliche Beziehungen, durch Freundschaften und soziale Netzwerke und auch durch die Gewährleistung aller Bürgerrechte hergestellt. So scheint es zur Verwirklichung von Inklusion zunächst einmal naheliegend und wünschenswert, den Zugang zum Bildungssystem, zur Erwerbsarbeit und zum Wohnungsmarkt sowie alle weiteren Institutionen für alle gesellschaftlichen Gruppen zu gewährleisten. Dadurch sollen auch soziale Netzwerke gestärkt und die Chancen, Bürgerrechte wahrzunehmen, erweitert werden. Tatsächlich entspricht die Wirklichkeit auf dem Arbeits- oder Wohnungsmarkt oder im Bildungswesen aber nicht immer den Wünschen und Vorstellungen der Menschen vom »guten Leben«, sodass der Zugang zu diesen Bereichen allein noch nichts über die tatsächliche Qualität der gesellschaftlichen Verhältnisse aussagt. Wenn die Forderung nach Inklusion nicht zur Anpassung an durchaus kritikwürdige Ist-Zustände verkürzt werden soll, muss sie über die soziale Zugehörigkeit zum Bestehenden hinaus auch auf die demokratischen und sozialen Qualitäten einer Gesellschaft zielen (vgl. Kronauer 2010, S. 17). Ein inhaltlich qualifiziertes Verständnis von Inklusion führt deshalb in eine gesellschaftskritische Perspektive und erfordert entsprechende Positionierungen. Ein solches Verständnis zielt über die soziale Zugehörigkeit zum Bestehenden hinaus und in umfassender Weise auch auf die demokratischen und sozialen Qualitäten einer Gesellschaft (vgl. Kronauer 2010, S. 17).

1.2       Zu diesem Buch

Im weiteren Verlauf dieses Buches kann die Unterscheidung zwischen »Partizipation«, »Teilhabe« und »Inklusion« nicht immer eingehalten werden. Viele der herangezogenen Quellen verwenden diese Begriffe mehr oder weniger synonym oder akzentuieren sie recht unterschiedlich. Insgesamt muss man sich damit abfinden, dass die Begriffe Partizipation, Teilhabe und Inklusion nicht ganz trennscharf sind, und dass alle drei sich auf schwer überschaubare Weise auf alle Ebenen der Gesellschaft beziehen. Sie werden in großen gesellschafts- und demokratietheoretischen Zusammenhängen ebenso verwendet wie in Bezug auf konkrete Handlungbereiche, z. B. denen der Bildung, der Sozialen Arbeit oder der Medienpädagogik.

Die Ausführungen dieses Buches orientieren sich möglichst konsequent an einem umfassenden Teilhabe-Begriff. Dieser umfasst neben der Teilhabe an Entscheidungsprozessen aller Art auch den Zugang der Individuen zu den verfügbaren Ressourcen und Möglichkeiten der Gesellschaft, um die eigenen Lebensentwürfe realisieren zu können (vgl. Wesselmann 2019, S. 99, unter Bezug auf Schnurr 2018, S. 634),

Wo eine Verwendung dieses Teilhabe-Begriffes wegen der Quellenlage nicht möglich ist, werden die Begriffe so verwendet wie in den jeweils herangezogenen Quellen.

Das Thema »Teilhabe« erfordert eine intensive Beschäftigung mit historischen Entwicklungen, ohne deren Kenntnis sich die gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Bedingungen von Teilhabe nicht verstehen lassen. Die Teilhabe-Orientierung in der Sozialen Arbeit ist zudem mit vielen weitergehenden Fragen zum Selbstverständnis und zu den Methoden der Sozialen Arbeit verknüpft. Damit die Leser_innen sich in dem komplexen Geflecht der verschiedenen historischen, theoretischen und praktischen Aspekte des Themas orientieren können, werden an vielen Stellen Querverweise zu vorausgegangenen oder noch kommenden Abschnitten gegeben.

Insgesamt folgt das vorliegende Buch einer Systematik, die von den großen Zusammenhängen über mehrere Zwischenschritte bis zu konkreten Handlungsweisen und Praxisbeispielen führt. Die gleichen Themen tauchen also wie in konzentrischen Kreisen immer wieder auf, aber die jeweilige Darstellung weist unterschiedliche Abstraktionsniveaus auf.

Dieses Vorgehen spiegelt sich auch in der Gliederung des Textes: Die Kapitel 2 und 3 sind in größere Sinnzusammenhänge unterteilt, die Kapitel 4 und 5 kleinschrittiger gegliedert.

Im zweiten Kapitel dieses Buches geht es um die theoretische Fundierung der Teilhabe-Thematik. Dazu gehören gesellschaftstheoretische Grundfragen sowie Teilhabe-bezogenes Grundlagenwissen aus Politik- und Demokratietheorien sowie der Politischen Soziologie. Ausführlich wird sodann auf den für Teilhabe zentralen Bereich der Kommunikation und Öffentlichkeit und die besondere Rolle der Medien in modernen Gesellschaften eingegangen. Den Abschluss dieses Kapitels bilden ausgewählte Aspekte aus der Forschung zu Engagement und Teilhabe und die Theorie des Sozialkapitals (Kap. 2).

Das dritte Kapitel nimmt zunächst eine historische Perspektive ein und fragt, wie die heutigen Strukturen des politischen Systems, des Sozialstaates und der Sozialen Arbeit entstanden sind. Eine wichtige Rolle spielten dabei soziale Bewegungen, in deren Zusammenhang auch die Vorläufer der heutigen Sozialen Arbeit entstanden sind. Die unterschiedlichen Konzepte des »liberalen« und des »sozialen« Rechtsstaates werden dargestellt. Für Deutschland ist eine starke Stellung der Wohlfahrtsverbände charakteristisch, woraus die Soziale Arbeit für lange Zeit ein Selbstverständnis als »Anwältin schwacher Interessen« abgeleitet hat. Dieses Verständnis hat sich zunehmend mit einer deutlicheren Teilhabe-Orientierung verbunden (Kap. 3).

Im vierten Kapitel werden die gesellschaftstheoretischen Grundlagen und die historisch-systematischen Erkenntnisse mit Blick auf eine Teilhabe-orientierte Soziale Arbeit verdichtet. Auf der Makro-Ebene geht es um die Soziale Arbeit als Profession und ihre politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen. Auf der Meso-Ebene geht es um das so genannte »Partizipationsdilemma«, um die Interessensvertretung und institutionellen Strukturen der Sozialen Arbeit sowie Teilhabe-förderliche Konzepte. Auf der Mikro-Ebene geht es um die Adressat_innen und die Fachkräfte der Sozialen Arbeit und ihre Beziehungen zueinander (Kap. 4).

Das fünfte Kapitel konkretisiert und bündelt die Themen und Aussagen der vorhergegangenen Kapitel mit Blick auf das konkrete Handeln der Sozialen Arbeit. Zunächst wird das Modell der »Partizipationspyramide« vorgestellt. Es folgen Ausführungen zur Förderung einer Teilhabe-orientierten Haltung von Fachkräften und der Implementierung entsprechender Strukturen in den Einrichtungen und Organisationen der Sozialen Arbeit. Daran schließen sich Hinweise und Beispiele für die Konzepte der Sozialraumorientierung, der Ressourcenorientierung und des Empowerments sowie für die Teilhabe-orientierte Arbeit mit Menschen in Armutslagen an. Die Bedeutung der (digitalen) Medien für die Eröffnung von Teilhabechancen wird im nächsten Abschnitt unterstrichen. Abschließend werden Teilhabe-Konzepte für bestimmte Zielgruppen der Sozialen Arbeit vorgestellt: Menschen mit Migrationsgeschichte, Kinder und Jugendliche, Menschen im höheren Lebensalter sowie Menschen mit Beeinträchtigungen (Kap. 5).

Noch einige weitere Hinweise

Das Buch verwendet den »Unterstrich« als eine von mehreren Möglichkeiten der geschlechtersensiblen Sprache, also beispielsweise: Leser_innen. Gemeint sind über weibliche und männliche Personen hinaus auch alle Personen, die sich entweder anderen geschlechtlichen Identitäten oder gar keiner geschlechtlichen Identität zuordnen. Wenn in zitierten Quellen andere Möglichkeiten genutzt wurden oder ganz auf eine geschlechtersensible Schreibweise verzichtet wurde, so wird dies in den Zitaten originalgetreu übernommen.

Kürzere Zitate sind durch An- und Abführungszeichen im laufenden Text gekennzeichnet. Zitate, die vier oder mehr als vier Zeilen umfassen, sind im Layout hervorgehoben.

Die Quellenangaben zur wörtlich oder sinngemäß zitierten Literatur finden sich jeweils an entsprechender Stelle in Klammern im Text. In einigen Fußnoten sind weitere Quellen angegeben. Im Literatur- und Quellenverzeichnis werden alle verwendeten oder erwähnten Quellen alphabetisch aufgeführt.