Gewalt in Abhängigkeitsverhältnissen -  - E-Book

Gewalt in Abhängigkeitsverhältnissen E-Book

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Beschreibung

Violence in its various forms is a concern for social work in all fields of action. Professionals have a particular responsibility when the violence arises in the context of a structural power relationship, as when it is exercised against children in families, in couple relationships or in institutions. The book brings together current knowledge about this violence: It clarifies terminology and provides an overview of the manifestations, prevalence, consequences, sources and conducive conditions as well as the legal aspects of violence. With reference to the three contexts, the particular dynamics of violence are analyzed and conclusions for prevention and intervention are drawn. The textbook thus provides the basic knowledge about violence in dependency relationships and offers impulses for practice at the same time.

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Inhalt

Cover

Titelei

Vorwort zur Reihe

Zu diesem Buch

1 Gewaltverständnisse und begriffliche Einordnungen

1.1 Vorgeschichte des aktuellen Gewaltverständnisses

1.1.1 Gewalt gegen Kinder und Jugendliche

1.1.2 Gewalt gegen Frauen

1.1.3 Gewalt gegen andere Bevölkerungsgruppen

1.2 Gegenwärtiges Gewaltverständnis

1.3 Kategorien von Gewalt

1.4 Definitionen von Gewalt

1.5 Erscheinungsformen interpersoneller Gewalt in Abhängigkeitsverhältnissen

1.5.1 Physische Gewalt

1.5.2 Psychische Gewalt

1.5.3 Sexualisierte Gewalt

1.5.4 Mischformen

Literatur

2 Prävalenzen

2.1 Einführung in die Prävalenzforschung

2.2 Gewalt gegen Kinder in der Familie

2.2.1 Empirische Erfassung der Gewalt

2.2.2 Prävalenzen international

2.2.3 Hellfeld in Deutschland

2.2.4 Dunkelfeldstudien in Deutschland

2.2.5 Risikofaktoren

2.3 Gewalt in Paarbeziehungen

2.3.1 Gewalt gegen Frauen in heterosexuellen Paarbeziehungen

2.3.2 Gewalt gegen Männer in heterosexuellen Paarbeziehungen

2.3.3 Gewalt im Geschlechtervergleich

2.3.4 Gewalt in gleichgeschlechtlichen und trans*Paarbeziehungen

2.3.5 Risikofaktoren

2.4 Gewalt in Institutionen

2.4.1 Ausmaß von Gewalt in Einrichtungen der Behindertenhilfe und in der Altenhilfe bzw. Pflege

2.4.2 Ausmaß von Gewalt in Einrichtungen der Jugendhilfe

2.4.3 Ausmaß von Gewalt in weiteren Institutionen

2.5 Fazit

Literatur

3 Auswirkungen von Gewalt im Leben Betroffener

3.1 Einleitung

3.2 Ein kritischer Blick auf Studien zu Gewaltfolgen und deren Belegbarkeit

3.3 Verbreitung von Folgen personeller Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Erwachsene

3.3.1 Übergreifende Erkenntnisse

3.3.2 Auswirkungen von Gewalt gegen Kinder

3.3.3 Auswirkungen von Gewalt gegen Jugendliche und Erwachsene

3.4 Folgen von Gewalt als subjektiv »sinnhafte« Reaktionen – die Bewältigungsperspektive

3.4.1 Die Bedrohlichkeit der Gewalt und die zur Bewältigung verfügbaren Ressourcen: Traumatisierung, Resilienz und Bewältigungsstile

3.4.2 Die Bedeutung von Gewalt als Erfahrung von Ohnmacht, Vertrauensbruch und Beschädigung der sozialen Position

3.4.3 Die Bedeutung von Gewalt als Beschädigung von Bewältigungsressourcen

3.5 Gewalt als Folge von Gewalt – die biografische Entwicklungsperspektive

Literatur

4 Bedingungen für die Entstehung von Gewalt in Abhängigkeitsverhältnissen

4.1 Kontexte der Entstehung von Abhängigkeitsverhältnissen

4.2 Wodurch Abhängigkeit für Gewalt anfällig wird

4.3 Faktoren, die die Entstehung von Gewalt fördern

4.3.1 Grenzen gängiger Erklärungsmodelle

4.3.2 Gesellschaftliche Entstehungsbedingungen: Die Makroebene

4.3.3 Institutionelle Faktoren: Die Mesoebene

4.3.4 Die symbolische Gewalt von Makro- und Mikrofaktoren

4.3.5 Faktoren in der Lebenswelt: Die Mikroebene

4.3.6 Die individuelle Lebensgeschichte

4.4 Statt Ursachenforschung auf Wege und Entwicklungen achten – vom Nutzen der Pfadmodelle

4.5 Umgang mit Gewalt und Prävention

Literatur

5 Gesetzgeberische Maßnahmen zur Verhinderung und Sanktionierung von Gewalt

5.1 Zivil- und jugendhilferechtliche Maßnahmen

5.1.1 Gewalt gegen Kinder und Jugendliche

5.1.2 Gewalt in Paarbeziehungen

5.1.3 Gewalt in Institutionen

Literatur

5.2 Strafrechtliche und strafprozessuale Vorschriften

5.2.1 Materielles und formelles Strafrecht

5.2.2 Das Strafrecht und seine Begrenzungen

5.2.3 Materielle Strafvorschriften

5.2.4 Strafprozessrecht

5.2.5 Zukunftsperspektiven

Literatur

6 Besondere Beziehungskonstellationen und mögliche Schutzmaßnahmen

6.1 Gewalt gegen Kinder und Jugendliche

6.1.1 Gewaltauslösende Dynamiken bei Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in der Familie

6.1.2 Prävention

6.1.3 Intervention

6.1.4 Wirksamkeit von Prävention und Intervention

Literatur

6.2 Gewalt in Paarbeziehungen

6.2.1 Differenzierungen, Typisierungen und die Komplexität des Einzelfalls

6.2.2 Muster der Gewalt

6.2.3 Geschlechtsbezogene Hintergründe der Beziehungsgewalt

6.2.4 Bewältigung und Dynamiken der Gewalt

6.2.5 Intervention

6.2.6 Prävention

Literatur

6.3 Gewalt in Institutionen

6.3.1 Hemmschwellen und Impulse für die Entwicklung des Problembewusstseins

6.3.2 Institutionen

6.3.3 Risikofaktoren für die Gewaltausübung

6.3.4 Prävention und Intervention

Literatur

7 Empfehlungen zur Förderung des gesamtgesellschaftlichen Engagements in der Prävention und Intervention

Abkürzungsverzeichnis

Autorinnenverzeichnis

Grundwissen Soziale Arbeit

Herausgegeben von Rudolf Bieker

Das gesamte Grundwissen der Sozialen Arbeit in einer Reihe: theoretisch fundiert, immer mit Blick auf die Arbeitspraxis, verständlich dargestellt und lernfreundlich gestaltet – für mehr Wissen im Studium und mehr Können im Beruf.

Übersicht aller lieferbaren und im Buchhandel angekündigten Bände der Reihe finden Sie unter:

https://shop.kohlhammer.de/grundwissen-soziale-arbeit

Die Herausgeberinnen

Prof.in Dr. phil. Claudia Bundschuh hat die Professur für Pädagogik des Kindes- und Jugendalters an der Hochschule Niederrhein inne. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Sozialpädagogik in der Kinder- und Jugendhilfe, Handlungskonzepte zur Prävention von/Intervention bei Gewalt und Vernachlässigung, Jugendsozialarbeit sowie die Aufarbeitung von Gewalt in Institutionen der Erziehung und Bildung.

Prof.in Dr. phil. Sandra Glammeier hat die Professur für Heil- und Inklusionspädagogik in der Sozialen Arbeit an der Hochschule Niederrhein inne. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Differenzsensible Pädagogik, Gewalt im Geschlechterverhältnis sowie Handlungsorientierungen und Macht in Sozialer Arbeit und Behindertenhilfe.

Claudia BundschuhSandra Glammeier (Hrsg.)

Gewalt in Abhängigkeitsverhältnissen

Grundlagen und Handlungswissen für die Soziale Arbeit

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

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1. Auflage 2023

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:ISBN 978-3-17-036656-5

E-Book-Formate:pdf: ISBN 978-3-17-036657-2epub: ISBN 978-3-17-036658-9

Vorwort zur Reihe

Mit dem sogenannten »Bologna-Prozess« galt es neu auszutarieren, welches Wissen Studierende der Sozialen Arbeit benötigen, um trotz erheblich verkürzter Ausbildungszeiten auch weiterhin »berufliche Handlungsfähigkeit« zu erlangen. Die Ergebnisse dieses nicht ganz schmerzfreien Abstimmungs- und Anpassungsprozesses lassen sich heute allerorten in volumigen Handbüchern nachlesen, in denen die neu entwickelten Module detailliert nach Lernzielen, Lehrinhalten, Lehrmethoden und Prüfungsformen beschrieben sind. Eine diskursive Selbstvergewisserung dieses Ausmaßes und dieser Präzision hat es vor Bologna allenfalls im Ausnahmefall gegeben.

Für Studierende bedeutet die Beschränkung der akademischen Grundausbildung auf sechs Semester, eine annähernd gleich große Stofffülle in deutlich verringerter Lernzeit bewältigen zu müssen. Die Erwartungen an das selbständige Lernen und Vertiefen des Stoffs in den eigenen vier Wänden sind deshalb deutlich gestiegen. Bologna hat das eigene Arbeitszimmer als Lernort gewissermaßen rekultiviert.

Die Idee zu der Reihe, in der das vorliegende Buch erscheint, ist vor dem Hintergrund dieser bildungspolitisch veränderten Rahmenbedingungen entstanden. Die nach und nach erscheinenden Bände sollen in kompakter Form nicht nur unabdingbares Grundwissen für das Studium der Sozialen Arbeit bereitstellen, sondern sich durch ihre Leserfreundlichkeit auch für das Selbststudium Studierender besonders eignen. Die Autor:innen der Reihe verpflichten sich diesem Ziel auf unterschiedliche Weise: durch die lernzielorientierte Begründung der ausgewählten Inhalte, durch die Begrenzung der Stoffmenge auf ein überschaubares Volumen, durch die Verständlichkeit ihrer Sprache, durch Anschaulichkeit und gezielte Theorie-Praxis-Verknüpfungen, nicht zuletzt aber auch durch lese‍(r)-freundliche Gestaltungselemente wie Schaubilder, Unterlegungen und andere Elemente.

Prof. Dr. Rudolf Bieker, Köln

Zu diesem Buch

Die Wahrung der physischen und psychischen Integrität ist eine der zentralen Voraussetzungen für ein gutes Leben. Dass Menschen grundlegende und umfassende Anerkennung erfahren, stellt eine wichtige Basis für das menschliche Wohlergehen und die gelingende Lebensgestaltung dar. Anerkennung im Sinne Honneths (1994) bedeutet, dass Menschen Empathie und Zuneigung empfangen und in ihren Bedürfnissen anerkannt sowie als (Rechts-)‌Subjekte geachtet und in ihren Eigenschaften und Fähigkeiten wertgeschätzt werden und Zugehörigkeit erfahren. Erleben sie stattdessen Missachtung, Ausgrenzung und Gewalt kann dies mit einem Verlust an Selbst- und Weltvertrauen, an Selbstachtung und Selbstwertschätzung einhergehen und damit zu gravierenden Einschränkungen in ihrer Lebensgestaltung bis zu hin zu einer kaum gelingenden Alltagsbewältigung führen.

Insbesondere personale körperliche, psychische oder sexuelle Gewalt können sich zerstörerisch auswirken. Sie bedeuten nicht nur eine Verletzung der menschlichen Grundbedürfnisse, sondern auch einen Kontrollverlust über den eigenen Körper und die Psyche, einen Verlust am Sicherheitsempfinden und Zuversicht. Solche Erfahrungen konfrontieren Menschen mit ihrer Verletzbarkeit und mit einer grundlegenden Unsicherheit der Welt.

Erfahren Dritte von Gewalt, gibt es keine neutralen Positionen. Betrachten wir den Schutz der physischen und psychischen Unversehrtheit als Menschenrecht, so erfordert Gewalt immer eine ethische Haltung im Sinne der Solidarität und Parteilichkeit mit den Betroffenen. Der Versuch, ›sich herauszuhalten‹ bzw. sich neutral zu verhalten, bedeutet de facto eine Positionierung zugunsten der Gewalttätigen.

Um die Gewalt beenden und verarbeiten zu können, sind Betroffene auf die Intervention, Wieder-Anerkennung, Hilfe und Unterstützung durch Dritte angewiesen. Allzu oft wird die Gewalt aber als solche von Dritten lieber ›übersehen‹, beschönigt, verleugnet oder vertuscht. Für die Gewaltbetroffenen geht damit eine erneute Missachtung einher, die teilweise genauso belastend oder noch zerstörerischer wirken kann als die Gewalt selbst. Hier sind alle Menschen in ihrer Solidarität gefordert, ganz besonders aber die Fachkräfte in sozialen Berufen.

In pädagogischen, sozialarbeiterischen, pflegerischen und therapeutischen Berufen sind Fachkräfte vergleichsweise häufig mit Gewaltbetroffenen und mit Gewalttätigen in Kontakt. Oft geschieht dies unwissentlich, weil die erlebte oder ausgeübte Gewalt nur verhältnismäßig selten offen kommuniziert wird. Selbst wenn Fachkräfte in ihrem Arbeitsfeld bisher noch nie direkt auf das Problem angesprochen worden sind, können sie sich allein aufgrund der Prävalenzen von Gewalt und damit der statistischen Wahrscheinlichkeit sicher sein, dass betroffene und gewaltausübende Menschen Teil ihrer Zielgruppe sind. Dies gilt in allen (sozialen) Arbeitsfeldern: von der Kindertageseinrichtung, dem Jugendzentrum, dem Allgemeinen Sozialen Dienst, der Schuldnerberatung über das Wohnheim, die Wohnungslosenhilfe, den ambulanten Pflegedienst oder die Werkstatt für behinderte Menschen bis hin zum Kulturprojekt, um nur wenige Beispiele zu nennen.

Ob Betroffene Wieder-Anerkennung und Unterstützung zur Beendigung der gewaltförmigen Verhältnisse erhalten und Gewalttätige mit entsprechenden Sanktionen und ggf. Einforderungen von Haltungs- und Verhaltensveränderungen konfrontiert werden, hängt ganz entscheidend von der Wahrnehmung, der Haltung, dem Wissen, den Kompetenzen und dem daraus resultierenden Handeln dieser Fachkräfte ab. In ihrer Verantwortung liegt aber nicht nur ein professionelles Intervenieren, wenn sie Gewalt vermuten oder davon erfahren, sondern auch die Prävention im Sinne der Verhinderung von Gewalt. Um Gewalt abzubauen und unwahrscheinlicher zu machen, muss Prävention an den gewaltbegünstigenden gesellschaftlichen Strukturen und Kulturen sowie an den damit verbundenen Motiven und biografischen Hintergründen der potentiell Gewalttätigen ansetzen, die Widerstandsfähigkeit der potentiell Betroffenen sowie die Zivilcourage Dritter stärken und die Institutionen am Gewaltschutz und an der Inverantwortungnahme der Täter:innen ausrichten.

In besonderer Verantwortung für die Prävention, Intervention und Hilfe sind Fachkräfte in den jeweiligen Berufen, wenn die Gewalt im Kontext eines strukturellen Machtverhältnisses ausgeübt wird, wie es im Geschlechter- und im Generationenverhältnis sowie im Verhältnis zwischen Fachkräften und Klient:innen in entsprechenden Institutionen besteht. Da in solchen Machtverhältnissen die einen stärker auf die anderen angewiesen sind als umgekehrt, entstehen besondere Abhängigkeitsverhältnisse, die mit Gewalt gegen die strukturell Schwächeren bzw. Untergeordneten einhergehen können.

Gewaltbelastete Abhängigkeitsverhältnisse, mit denen Fachkräfte in sozialen Berufen vergleichsweise oft zu tun haben und die daher in diesem Buch im Mittelpunkt stehen sollen, bestehen für Kinder und Jugendliche in Familien, für Frauen in Paarbeziehungen sowie für Kinder und Erwachsene (insbesondere für Menschen mit Behinderungen und Senior:innen) in Institutionen. Deshalb ist es zentral, dass Fachkräfte sich selbst im Sinne der Professionalität und ihre Institutionen im Sinne einer achtsamen Organisationskultur und klaren Organisationsstruktur so aufstellen, dass Gewalt unwahrscheinlicher wird und – wenn sie doch (im Privaten oder in den Einrichtungen durch Mitarbeitende oder durch andere Klient:innen) ausgeübt wird – wahrgenommen, aufgedeckt, abgestellt, sanktioniert und aufgearbeitet wird und die Betroffenen Unterstützung erfahren.

Zu diesen speziellen Gewaltverhältnissen in Familien, Paarbeziehungen und Institutionen existieren inzwischen umfassende wissenschaftliche, praxisbezogene und politische Diskurse. Mit diesem Buch soll den in diesen Gewaltdiskursen unterschiedlich gewichteten Erkenntnissen Rechnung getragen werden, dass physische, psychische und sexualisierte Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Erwachsene trotz gewachsenem Problembewusstsein weiterhin häufig und mit zum Teil massiven Folgen ausgeübt wird, dass die Gewaltformen phänomenologisch Gemeinsamkeiten aufweisen und für die Entstehung der Gewalttaten in den verschiedenen Abhängigkeitsverhältnissen vergleichbare Ursachen und Risikofaktoren diagnostiziert werden. Alle drei Aspekte sind von herausragender Bedeutung für Prävention und Intervention, da die Verbindungslinien zwischen den Gewalttaten gleichsam den roten Faden in der Konzeptionierung und Umsetzung von generalistisch ausgerichteten Maßnahmen gegen Gewalt bilden.

Zu den einzelnen Kapiteln

Kapitel 1 bis 5 dienen der Konturierung des aktuellen Erkenntnisstands zu Verbreitung, Auswirkung, Hintergründen und möglichen rechtlichen Konsequenzen in den drei hier betrachteten Abhängigkeitsverhältnissen: Im ersten Kapitel setzt sich Claudia Bundschuh mit Gewaltverständnissen, begrifflichen Einordnungen und Erscheinungsformen von Gewalt auseinander (▸ Kap. 1). Im zweiten Kapitel geben Monika Schröttle und Maria Arnis nach einer Einführung in die Prävalenzforschung einen Überblick über die Prävalenzen in den drei Gewaltkontexten (▸ Kap. 2). Auf die Folgen und die Bewältigung von Gewalt konzentriert sich Cornelia Helfferich im dritten Kapitel (▸ Kap. 3). Im vierten Kapitel analysiert Carol Hagemann-White die Bedingungen für die Entstehung von Gewalt in Abhängigkeitsverhältnissen (▸ Kap. 4). Das fünfte Kapitel konzentriert sich auf gesetzgeberische Maßnahmen zur Verhinderung und Sanktionierung von Gewalt. Hier erläutert Petra Ladenburger die zivil- und jugendhilferechtlichen Maßnahmen und Martina Lösch die strafrechtlichen und strafprozessualen Vorschriften (▸ Kap. 5).

Im Kapitel 6 wird ins Bewusstsein gerückt, inwiefern trotz aller Gemeinsamkeiten jedes Abhängigkeitsverhältnis eine spezifische Beziehungs- und Prozessdynamik hervorbringt, die im Hinblick auf die Intervention, Hilfe und Prävention zu berücksichtigen ist:

Die Tathandlung »Misshandlung« etwa ist in allen drei Settings ähnlich und erzeugt auch in verschiedenen Altersgruppen vergleichbare körperliche und letztlich auch psychische Verletzungen. Jedoch gibt es bei allen drei Settings im Hinblick auf die Dynamiken zentrale Unterschiede sowie in Bezug auf die fall- bzw. gruppenspezifische Prävention und Intervention verschiedene Zuständigkeiten und Angebotszuschnitte. Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe haben einen Schutzauftrag, sie müssen Eltern in der gewaltfreien Erziehung anleiten und müssen Kinder und Jugendliche zur Aufdeckung ermutigen, aber dann auch angemessene Hilfen zur Beendigung anbieten. Bei Gewalt in Paarbeziehungen ist die Präventionsentwicklung noch nicht sehr breit aufgestellt, wohl aber die Intervention. Bei den Institutionen sind wir vor allem bei der Frage, was strukturell getan werden muss (Schutzkonzeptentwicklung), um Gewalt zu verhindern und im Fall des Falles dann auch einzugreifen (Verfahrensabläufe der Intervention). Kapitel 6 soll die für den jeweiligen Gewaltkontext spezifischen Besonderheiten entsprechend detailliert beleuchten und der Tatsache Rechnung tragen, dass Fachkräfte Ansatzpunkte für die konkrete Handlungspraxis in ihrem Arbeitsfeld benötigen (▸ Kap. 6). Dazu fokussieren Susanne Witte (▸ Kap. 6.1: Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in der Familie), Sandra Glammeier (▸ Kap. 6.2: Gewalt in Paarbeziehungen) und Claudia Bundschuh (▸ Kap. 6.3: Gewalt in Institutionen) die spezifischen Dynamiken und Präventions- sowie Interventionsstrategien in den drei Gewaltkontexten.

Im Kapitel 7 werden abschließend handlungsfeldübergreifend Empfehlungen zur Förderung des gesamtgesellschaftlichen Engagements in der Prävention und Intervention gegeben (▸ Kap. 7).

Köln/Porta Westfalica, im Juli 2022Claudia Bundschuh & Sandra Glammeier

1 Gewaltverständnisse und begriffliche Einordnungen

Claudia Bundschuh

T Was Sie in diesem Kapitel erwartet

Wenn Menschen von Gewalt sprechen, meinen sie nicht zwangsläufig dasselbe. Die Einschätzung, welche Phänomene als Gewalt einzuordnen sind, ist weder epochen- noch kulturübergreifend einheitlich. Die jeweils gültigen gesellschaftlichen Normen und Werte drücken sich in der Deutung von Phänomenen und also auch in unserer Sprache aus, weshalb Begriffe niemals wertneutral, sondern immer zeitgeschichtlich und kulturell geprägte Konstruktionen sind. Auch während einer Epoche und in einer Kultur gibt es unterschiedliche Zuordnungen, die z. B. vom eigenen biografischen Erfahrungshintergrund und/oder von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe beeinflusst werden.

In diesem Kapitel wird zur Veranschaulichung ausgewählter Wechselwirkungen zunächst die Entwicklung (▸ Kap. 1.1) unseres gegenwärtigen Gewaltverständnisses (▸ Kap. 1.2) behandelt. Anschließend werden jene in der aktuellen Fachdiskussion relevanten Kategorien (▸ Kap. 1.3), Definitionen (▸ Kap. 1.4) und Erscheinungsformen (▸ Kap. 1.5) von Gewalt getrennt voneinander dargestellt.

1.1 Vorgeschichte des aktuellen Gewaltverständnisses

Gewalt in ihren unterschiedlichen Formen gab es zu allen Zeiten und in allen Kulturen. Auch in der Gegenwart sind sämtliche Erscheinungsformen von Gewalt in unterschiedlicher Häufigkeit und Intensität Bestandteil der Realität zwischenmenschlicher Beziehungen. Anders formuliert: »Erkenntnisse der Gewaltforschung legen nahe, dass es eine gewaltfreie Gesellschaft bisher nicht gegeben hat. Nüchtern betrachtet ist Gewalt ein sozialer Tatbestand, der zum menschlichen Handlungspotential gehört« (Frech 2018: 106). In welchem Ausmaß (z. B. in Einzelfällen oder regelmäßig), gegen welche Personen und in welchen Kontexten es zu Gewalt kommt, ist stets abhängig von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (politisches System, Rechtssystem etc.; ▸ Kap. 2).

Im Wandel begriffen sind einerseits die Mittel und Wege zur Ausübung von Gewalt. So ermöglicht beispielsweise die digitale Kommunikation heute neue Zugänge zu Menschen und damit einhergehend neue Möglichkeiten, um auf Menschen einzuwirken. Andererseits zeigen gesellschaftliche Veränderungen auch immer wieder ihren Niederschlag in einer Neuausrichtung der Bewertungen von und Reaktionen auf Gewalttaten.

Ein Blick allein in die Geschichte des westlichen Kulturkreises lässt erkennen, dass Gewalt in der Vergangenheit nicht durchgängig problematisiert wurde, vielmehr partiell gesellschaftlich akzeptiert und rechtlich legitimiert war. Beispielhaft soll hier der Wandel in der Einschätzung von Gewalt gegen Kinder und Gewalt gegen Frauen in den letzten hundert Jahren skizziert werden.

1.1.1 Gewalt gegen Kinder und Jugendliche

Körperliche Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, die heute als Kindesmisshandlung bezeichnet wird, wurde in der Vergangenheit in weiten Teilen der Bevölkerung als Notwendigkeit für die Förderung der Entwicklung junger Menschen eingeordnet, sofern sie nicht mit nachhaltigen körperlichen Schädigungen einherging. Für den Beginn des 20. Jahrhunderts lässt sich eine breite Akzeptanz des autoritären Erziehungsstils konstatieren, der als Disziplinierung von Kindern und Jugendlichen durch Zwang und körperliche Züchtigung, als Einforderung uneingeschränkter Unterordnung insbesondere gegenüber dem Familienoberhaupt und Funktionsträgern außerhalb der Familie realisiert wurde. In der Familie hatte allein der Vater als unangefochtenes Familienoberhaupt ein rechtlich verankertes körperliches Züchtigungsrecht (vgl. u. a. Maiorino 2003: 3 f.). Laut § 1631 Abs. 2 BGB a. F. galt: »Der Vater kann kraft des Erziehungsrechts angemessene Zuchtmittel gegen das Kind anwenden.« Die ›Tracht‹ Prügel oder die Schläge mit dem Rohrstock zählten dabei durchaus zu den als angemessen deklarierten Körperstrafen.

Für die Züchtigung durch Lehrkräfte gab es keine vergleichbare Gesetzesgrundlage. Ihr Züchtigungsrecht war indessen als sogenanntes Gewohnheitsrecht weitgehend anerkannt. Gleiches galt für Erzieher:innen in der Jugendhilfe (vgl. Runder Tisch »Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren« 2010).

Gewohnheitsrecht

Ein Gewohnheitsrecht ist ein nicht schriftlich festgelegtes, aber durch Gewohnheit verbindlich gewordenes Recht (vgl. auch Beulke/Ruhmannseder 2008: 324).

Während des Nationalsozialismus wurde das Züchtigungsrecht bekanntermaßen nicht in Frage gestellt und auch in der Nachkriegszeit wurde die körperliche Bestrafung als empfehlenswert in der Fachwelt hervorgehoben. So erklärte etwa der Leiter einer Universitätsklinik 1952:

»Man bringt ein Kind schon in den ersten zwei Jahren zum Verbotsgehorsam. Falsch ist es, den Verbotsgehorsam erreichen zu wollen durch Zureden, durch Erklärungen oder durch zartes Wegleiten der Hand von der beabsichtigten Tat. Der schmerzende Schlag aber bleibt ihm in Erinnerung. Man könnte gewiss mit einer Nadel oder einem elektrischen ›Erziehungsstab‹ den Schmerz verursachen und die Rute war ja auch ein solches Erziehungsinstrument. Die Mutter gebe die Schläge lieber nicht, denn sie schlägt gewöhnlich nicht kräftig genug« (Weißer Ring e. V./Deegener 2013: 7).

Ein sogenannter Bestseller in dieser Zeit war die Veröffentlichung von Johanna Haarer mit dem Titel »Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind«. Im Erziehungsratgeber empfahl die Ärztin und Autorin, Säuglinge vom ersten Tag an zu disziplinieren, körperliche Nähe und Zuwendung zu meiden und mit aller Härte vorzugehen:

»Auch das schreiende und widerstrebende Kind muß tun, was die Mutter für nötig hält und wird, falls es sich weiter ungezogen aufführt, gewissermaßen ›kaltgestellt‹, in einen Raum verbracht, wo es allein sein kann und so lange nicht beachtet, bis es sein Verhalten ändert. Man glaubt gar nicht, wie früh und wie rasch ein Kind solches Vorgehen begreift« (Haarer 1941: 270 f.).

Die bestehende Rechtslage, die mindestens bei massiver körperlicher Gewalt durchaus Sanktionen vorsah, fand zu jener Zeit kaum Beachtung.

Mit Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgesetzes 1958 erfolgte zwar die Streichung des ausdrücklichen Züchtigungsrechts des Vaters aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Es wurde jedoch nun beiden Elternteilen als Gewohnheitsrecht weiterhin zugebilligt. Wohl durfte nach »weit verbreiteter Meinung [...] die Züchtigung als Erziehungsmittel nur im Rahmen des Erziehungszwecks und in dem davon gebotenen Maße verwendet werden, wobei auch Gesundheit und seelische Verfassung des Kindes zu berücksichtigen waren« (Entwurf eines Gesetzes zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung – BT-Drs. 14/1247 v. 23. 06. 1999: 3). Wie weit das »gebotene Maß« jedoch auch von Vertreter:innen der Justiz ausgelegt werden konnte, wird anhand von wenigen Gerichtsurteilen aus jener Zeit ersichtlich.

Für pädagogische Fachkräfte blieben bundesweit einheitliche Gesetzesvorgaben zur Unterbindung der körperlichen Züchtigung gleichermaßen aus.

In den 1960er Jahren wuchs die Kritik an Repressalien in der Erziehung und Bildung, zumal als Folge der Erziehung zu Gehorsam und Unterordnung auch die unkritische Mitwirkung vieler Menschen an den Gewalttaten des Nationalsozialismus vermutet wurde. Vertreter:innen unterschiedlicher Disziplinen (Erziehungswissenschaft, Soziologie, Kriminologie, Medizin), aber auch Teile der breiten Bevölkerung diskutierten vermehrt die Entwicklungsschädigungen durch körperliche Züchtigung und psychisch gewaltförmige Erziehungsmaßnahmen. Kinder- und Jugendschutzorganisationen setzten sich auf der Grundlage einer wachsenden Zahl wissenschaftlicher Befunde über die Auswirkungen von Beeinträchtigungen in Kindheit und Jugend in den folgenden Jahren intensiv für mehr Schutz junger Menschen vor Gewalt und Vernachlässigung durch Maßnahmen zur Unterstützung der Eltern in der gewaltfreien Erziehung, durch Öffentlichkeitsarbeit und Einmischung in die Politik ein.

In den 1970er Jahren wurde schließlich das Verbot von Körperstrafen für Schulen bundesweit verankert, während eine entsprechende Regelung für Eltern noch nicht erfolgte.

Darüber hinaus diskutierten Fachpersonen aus Wissenschaft und Praxis nicht mehr nur physische Gewalt, sondern auch psychische Gewalt als gefährdend für das Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen (u. a. Trube-Becker 1982). Die Erscheinungsformen der Beeinträchtigungen des Kindeswohls wurden konkretisiert und öffentlich problematisiert, um Eltern und Fachkräfte der Erziehung und Bildung zu sensibilisieren. Prävention von und Intervention bei Misshandlung und Vernachlässigung von Kindern und Jugendlichen wurde überdies Lehrinhalt in den Qualifizierungen von Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe.

1989 wurde die UN-Konvention über die Rechte des Kindes von den Vereinten Nationen verabschiedet.

Art. 19 UN-Kinderrechtskonvention

Gemäß Art. 19 gilt für die Unterzeichnerstaaten, also auch für Deutschland seit 1990: »Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Gesetzgebungs-‍, Verwaltungs-‍, Sozial- und Bildungsmaßnahmen, um das Kind vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenszufügung oder Misshandlung, vor Verwahrlosung oder Vernachlässigung, vor schlechter Behandlung oder Ausbeutung einschließlich sexuellen Missbrauchs zu schützen.« Als Kinder gelten in der UN-Kinderrechtskonvention alle jungen Menschen bis 18 Jahre.

Nach Jahren zähen Ringens kam zur Jahrtausendwende schließlich der Durchbruch auch im familiären Kontext. Die Sachverständigenkommission zum 10. Kinder- und Jugendbericht griff die unumstößlichen wissenschaftlichen Befunde 1998 folgendermaßen auf:

»Körperliche, seelische und sexuelle Mißhandlung sowie Vernachlässigung können die Entwicklung eines Kindes in gravierender Weise beeinträchtigen und zu schweren seelischen und körperlichen Schädigungen und Störungen im Kindes-‍, Jugend- und Erwachsenenalter führen. [...] Als Langzeitfolgen dieser Kindheitstraumen hat man Depression, Schlafstörungen, Ängste, geringes Selbstwertgefühl, psychosomatische Beschwerden, soziale Probleme bis hin zur Dissoziation festgestellt« (BMFSFJ 1998: 115).

Dem elterlichen Gewohnheitsrecht wurde auf der Basis dieser Erkenntnis rechtlich die Grundlage entzogen. Seit dem 8. November 2000 ist nun das elterliche Züchtigungsrecht endgültig abgeschafft. Im BGB ist stattdessen ausdrücklich das Recht von Kindern auf gewaltfreie Erziehung im § 1631 Abs. 2 BGB verankert.

§ 1631 Abs. 2 BGB

Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.

Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche war im 20. Jahrhundert zu keiner Zeit rechtlich zulässig, sondern durchgängig als Straftatbestand definiert.

Bereits im Strafgesetzbuch (StGB) für das Deutsche Reich von 1871 waren im 13. Abschnitt »Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit« als Straftatbestände aufgeführt, zu denen auch die sogenannte Unzucht mit Minderjährigen gehörte (von Schwarze 1876).

Mit dem damaligen Sexualstrafrecht sollte jedoch – anders als heute – nicht vorrangig die sexuelle Selbstbestimmung geschützt werden, sondern vielmehr, wie die Überschrift zum 13. Abschnitt des Reichsstrafgesetzbuches schon deutlich macht, jeder Abkehr von der traditionellen Sexualmoral entgegengewirkt werden. D. h., hier wurde »das Sexualstrafrecht dazu instrumentalisiert, moralisch geprägte gesellschaftliche Normen zu wahren und Sittenverfall vorzubeugen. Im Vordergrund stand somit nicht die sexuelle Freiheit des Einzelnen, sondern der Schutz moralischer gesellschaftlicher Grundsätze auf geschlechtlichem Gebiet« (Kieler 2003: 15).

Die gesellschaftliche Ächtung bewirkte gleichwohl nicht die flächendeckende Unterlassung einschlägiger Praxis, sondern lediglich ein Verschweigen der Realität. Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche fand im Verborgenen statt und Betroffene konnten nicht darauf hoffen, im Falle einer Aufdeckung Schutz und Hilfe zu erfahren. Sie mussten im Gegenteil mit einer Stigmatisierung als ›unzüchtig‹, ›frühreif‹ und ›moralisch verdorben‹ rechnen.

Jene Teile der Bevölkerung, die den traditionellen Erziehungsstil kritisierten, stellten in den 1960er Jahren auch das bis dahin gültige Werte- und Normensystem zur Sexualität umfänglich in Frage, speziell die bislang geforderte Unterdrückung und strenge Reglementierung der Sexualität. 1973 wurde der beginnende »Wandel von einem am Schutz moralischer Standards orientierten Strafrecht zum Rechtsgüterschutz« (Renzikowski 2005, Rn. 2, 61) bereits erkennbar. Die Überschrift des 13. Abschnitts des StGB wurde umformuliert von Straftaten gegen die Sittlichkeit in »Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung«. Damit griff der Gesetzgeber die Veränderungen im Sexualverständnis auf:

»Leitgedanke dieser neuerlichen Reformbemühungen war, dass es nicht Aufgabe des Strafrechts sei, auf geschlechtlichem Gebiet einen moralischen Standard des erwachsenen Bürgers durchzusetzen, sondern vielmehr, die Sozialordnung der Gemeinschaft vor Störungen und groben Belästigungen zu schützen« (Kieler 2003: 18).

Die Begründerinnen der zweiten deutschen Frauenbewegung initiierten schließlich Mitte der 1970er Jahre auch die Enttabuisierung sexualisierter Gewalt gegen Frauen in Beziehungen zwischen Erwachsenen (u. a. Brownmiller 1978). Diese öffentliche Thematisierung ebnete schrittweise den Weg zur Aufdeckung von Gewalterfahrungen für jene, die im Kindes- oder Jugendalter in ungleichen Machtverhältnissen sexuelle Handlungen durch Erwachsene oder Heranwachsende erdulden mussten. In vielen deutschen Städten entstanden Anfang der 1980er Jahre Selbsthilfegruppen für betroffene Frauen und Mädchen. Die Schilderungen der Betroffenen widerlegten viele der bis dahin aufgestellten Behauptungen über Entstehung und Wirkung sexueller Kontakte zwischen Kindern und Erwachsenen und brachten ans Licht, dass Kinder und Jugendliche in Abhängigkeitsverhältnissen weder aus sexueller Neugier noch aus sexuellem Interesse motiviert sind, Erwachsene sexuell zu verführen, dass einschlägige Erfahrungen eine häufig massive Beeinträchtigung ihres Wohlergehens mit häufig lang anhaltenden Folgeproblemen bewirken und dass die Täter:innen selten fremde und von einem krankhaften Sexualtrieb ›beherrschte‹ Personen sind, sondern meist Personen aus dem sozialen oder familiären Bezugssystem der Betroffenen, die auf der Basis der Haltung agieren, es stehe ihnen zu, andere Menschen zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse zu missbrauchen.

Im Strafgesetz gab es in den nachfolgenden Jahrzehnten mehrere Verschärfungen des Strafrahmens und auch weitere Taten wurden strafrechtlich relevant. Vor allem aber das wachsende Problembewusstsein in der breiten Bevölkerung bewirkte einen Zuwachs von Schutzmaßnahmen auf allen gesellschaftlichen Ebenen.

1.1.2 Gewalt gegen Frauen

Körperliche Gewalt gegen Frauen in der Ehe – heute als häusliche Gewalt oder Gewalt in Paarbeziehungen bezeichnet – war bis Ende des 19. Jahrhunderts gleichfalls rechtlich zulässig. Im sogenannten Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis (Maximilians Bayerisches Zivilgesetzbuch) wurde das Züchtigungsrecht des Ehemannes gegenüber seiner Ehefrau noch als ausdrückliches Recht formuliert:

»Insonderheit wird 2. der Ehe-Mann für das Haupt der Familie geachtet, daher ihm seine Ehegattin nicht nur in Domesticis subordiniert und untergeben, sondern auch zu gewöhnlichen und anständigen Personal- und Haus-Diensten verbunden ist, wozu sie 3. von ihrem Mann der Gebühr nach angehalten und nötigenfalls mit Mäßigkeit gezüchtigt werden mag« (Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis, 1. Titel, VI. Kapitel, § 12 Nr. 2. und 3., vgl. Danzer 1894).

Mit der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches 1900 wurde das ausdrückliche Züchtigungsrecht des Mannes gegenüber seiner Ehefrau zwar aufgehoben, allerdings war die Gewaltausübung per se kein ausreichender Scheidungsgrund. Die neue Rechtsgrundlage bestimmte weiterhin das alleinige Entscheidungsrecht des Ehemanns in allen Ehe- und Familienangelegenheiten. Und die existentielle Abhängigkeit dürfte ein zentraler Hinderungsgrund für rechtliche Klagen durch Frauen gewesen sein, zumal Ehefrauen bis zur Verabschiedung des ersten Gesetzes zur Reform des Familien- und Eherechts 1976 nur dann berufstätig sein durften, wenn sie ihre familiären Pflichten nicht vernachlässigten, andernfalls hatte der Ehemann das Recht, das Arbeitsverhältnis der Ehefrau auch ohne ihre Einwilligung zu kündigen (u. a. Derleder 2000).

Sexualisierte Gewalt des Ehemanns gegenüber seiner Ehefrau, genauer: die Einforderung des Geschlechtsverkehrs bzw. sexuelle Handlungen gegen den Willen der Frau, war deutlich länger anerkanntes Recht des Ehemannes, und von den Ehefrauen wurde weit mehr als ein Erdulden gefordert. So urteilte der Bundesgerichtshof (BGH) noch 1966:

»Die Frau genügt ihren ehelichen Pflichten nicht schon damit, daß sie die Beiwohnung teilnahmslos geschehen läßt. Wenn es ihr infolge ihrer Veranlagung oder aus anderen Gründen, zu denen die Unwissenheit der Eheleute gehören kann, versagt bleibt, im ehelichen Verkehr Befriedigung zu finden, so fordert die Ehe von ihr doch eine Gewährung in ehelicher Zuneigung und Opferbereitschaft und verbietet es, Gleichgültigkeit oder Widerwillen zur Schau zu tragen« (BGH, Urteil vom 02. 11. 1966 – IV ZR 239/65).

Wie bereits erwähnt, wurde in den 1970er Jahren Gewalt in der Ehe durch die Frauenbewegung zunehmend öffentlich thematisiert. »Weltweit sahen es Frauen als ihre Aufgabe, Gewalttaten an ›Geschlechtsgenossinnen‹ aufzuzeigen und das Phänomen ›Gewalt gegen Frauen‹ in ein Problem umzuwandeln« (Kapella/Cizek 2001: 22). Es entstanden auch in Deutschland erste Frauennotrufe (d. h. Beratungsstellen für gewaltbetroffene Frauen) und erste Frauenhäuser (1976 in Berlin und Köln), in denen weibliche Gewaltbetroffene Zuflucht finden konnten. Allerdings dauerte es noch fast ein Vierteljahrhundert, bis die Vergewaltigung in der Ehe im Jahr 1997 unter Strafe gestellt wurde.

1.1.3 Gewalt gegen andere Bevölkerungsgruppen

Bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhundert kann als gesichert angenommen werden, dass Gewalt gegen alle Personengruppen, die in einem Abhängigkeitsverhältnis standen, eine tolerierte, unhinterfragte gesellschaftliche Realität war. Während Gewalt gegen Kinder und Frauen schon vor der Jahrtausendwende als solche anerkannt wurde und Maßnahmen zu ihrem Schutz etabliert wurden, steht die angemessene Anerkennung und Benennung von Gewalt gegen die äußerst vulnerablen Menschen mit Behinderungen und Senior:innen mit begrenzten Möglichkeiten der eigenständigen Lebensführung noch am Anfang. Das unzureichende Problembewusstsein geht hier einher mit einem gravierenden Mangel an Maßnahmen zur Prävention und Intervention.

1.2 Gegenwärtiges Gewaltverständnis

Unser gegenwärtiges Gewaltverständnis im westlichen Kulturkreis wurde durch vielfältige Anstrengungen von Vertreter:innen der Betroffenen (Kinderschutzbewegung, Frauenbewegung, Bewegung der Betroffenen von sexualisierter Gewalt in Institutionen, Behindertenbewegung etc.) gegen mitunter sehr massive Widerstände der Entscheidungsträger:innen in Politik und anderen Bereichen unserer Gesellschaft initiiert. Die Bemühungen wurden wiederum flankiert vom wachsenden Einfluss der Forschung und Wissenschaft zu den Folgen von Gewalt (▸ Kap. 3). Alle Einflusslinien beförderten schließlich auch weltweite und europäische Übereinkommen zu Schutzrechten verschiedener Bevölkerungsgruppen (UN-Kinderrechtskonvention 1989, UN-Behindertenrechtskonvention 2008, Übereinkommen des Europarats vom 11. Mai 2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt) und länderspezifische Gesetzesnovellierungen.

Im 21. Jahrhundert ist es im westlichen Kulturkreis ein von weiten Teilen der Bevölkerung geteiltes Interesse, Kindern und Jugendlichen jene Fürsorge, Erziehung und Bildung angedeihen zu lassen, die nach dem heutigen Stand der Wissenschaft ihre Entwicklung zu eigenständigen, gemeinschaftsfähigen und selbstbestimmten Persönlichkeiten wahrscheinlich macht. Erwachsenen soll entsprechend ermöglicht werden, in Gemeinschaft sowie gleichwohl eigenständig und selbstbestimmt ihr Leben zu gestalten und bei Bedarf (aufgrund körperlicher oder kognitiver Einschränkungen) zur Förderung ihres Wohlergehens Unterstützung durch spezifische Dienstleistungen zu erhalten. Diese Zielsetzung schließt für alle Bevölkerungsgruppen den Schutz vor Gewalterfahrungen durch andere Personen ein.

Allein die weit verbreitete Einstellungsveränderung und die wachsende strafrechtliche Sanktionierung bewirkten bislang jedoch keinen Rückgang der Gewalt gegen Menschen in Abhängigkeitsverhältnissen auf wenige Einzel- bzw. Ausnahmefälle. Gewalt in Abhängigkeitsverhältnissen ist eine Problematik mit jährlich Tausenden von Betroffenen, wie sowohl die Kriminalstatistik als auch die Dunkelfeldstudien belegen (Kapitel 2 beleuchtet diese Häufigkeit von Gewalt in verschiedenen Kontexten; ▸ Kap. 2).

Die Gründe dafür sind vielfältig. Nach wie vor entwickeln manche Menschen aufgrund spezifischer biografischer Erfahrungen, die in gesellschaftliche Strukturen eingebettet sind, die Bereitschaft, ihre Interessen auch mit Gewalt durchzusetzen. Und nach wie vor bestehende Machtverhältnisse (Geschlechterverhältnis, Generationenverhältnis, Macht gegenüber Menschen mit Behinderungen und Pflegebedürftige etc.) begünstigen auch in der Gegenwart die Anwendung von Gewalt. Diese Machtverhältnisse bilden ebenfalls den Nährboden für vermeintliche Legitimationen der Gewalttätigkeit (z. B. für Behauptungen, dass Kinder Sexualität mit Erwachsenen wollen und sie dazu verführen, dass Frauen körperliche Gewalt provozieren, dass Pflegebedürftige die Gewalt initiieren), weil Macht auch Deutungsmacht einschließt (siehe auch Kapitel 4 zu Bedingungen für die Entstehung von Gewalt in Abhängigkeitsverhältnissen; ▸ Kap. 4).

1.3 Kategorien von Gewalt

Es gibt eine Mehrzahl von Versuchen, mit Hilfe ausgewählter Merkmale Gewalt zu kategorisieren. Zum einen wird Gewalt nach besonders häufig betroffenen Personengruppen (▸ Kap. 2) unterteilt. Zu den gegenwärtig in der Sozialwissenschaft behandelten Kategorien unter Berücksichtigung der empirisch belegten, erhöhten Vulnerabilität bestimmter Personengruppen zählen u. a.:

·

Gewalt gegen Kinder,

·

Gewalt gegen Frauen,

·

Gewalt gegen Menschen mit Behinderungen,

·

Gewalt gegen Senior:innen,

·

Gewalt gegen rassistisch diskreditierbare Menschen,

·

Gewalt gegen LGBTIQ*-Personen1.

Eine zweite Variante der Unterteilung richtet den Fokus auf die Form der Gewaltausübung. Es wird danach unterschieden, welche Mittel und Verhaltensmuster zum Einsatz gelangen, um Gewalt auszuüben. Die häufig benannten Kategorien in diesem Sinne sind:

·

physische (körperliche) Gewalt,

·

psychische (emotionale bzw. seelische) Gewalt,

·

sexuelle oder sexualisierte Gewalt.

Eine dritte Einteilung richtet sich danach, von welchen Personen bzw. Personengruppen die Gewalt ausgeht. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO-Regionalbüro für Europa 2003: 6 f.) unterscheidet folgende Kategorien:

·

Gewalt gegen die eigene Person (Autoaggression, Suizid),

·

Interpersonelle Gewalt (Gewalt in der Familie und durch Beziehungspartner:innen sowie Gewalt durch Mitglieder einer sozialen Gemeinschaft bzw. Gewalt im öffentlichen Raum durch Bekannte und Unbekannte),

·

Kollektive Gewalt (instrumentalisierte Gewalt gegen Gruppen oder Einzelpersonen durch Menschen bzw. Gruppen zur Durchsetzung politischer, wirtschaftlicher, ökonomischer Ziele, z. B. Kriegsgewalt, Terrorismus, organisierte Gewaltverbrechen).

In diesem Buch steht die interpersonelle Gewalt in besonderen Abhängigkeitsverhältnissen (in der Familie, in der intimen Paarbeziehung und in Institutionen) in allen drei Erscheinungsformen im Fokus. Alternativ wird in der Fachliteratur auch die Bezeichnung personale oder zwischenmenschliche Gewalt verwendet.

Während bei den oben dargestellten Kategorien die personale Gewalt differenziert betrachtet wird, verweist die Bezeichnung strukturelle Gewalt auf spezifische Verhältnisse in gesellschaftlichen Systemen, die zu Benachteiligungen bestimmter Bevölkerungsgruppen führen, wie beispielsweise Machtasymmetrien und ungleiche Verteilung von Ressourcen. Strukturelle Gewalt wirkt sich dahingehend aus, dass Benachteiligte etwa deutlich geringere Chancen zur Gesundheitserhaltung und -fürsorge, zur Teilhabe an Bildung und Wohlstand und auch zur Initiierung von Maßnahmen zu ihrem Schutz vor Gewalt haben.

1.4 Definitionen von Gewalt

Der Begriff der Gewalt ist im 8. Jahrhundert vermutlich das erste Mal zur Anwendung gelangt (Seebold 2011: 356) und umschreibt zunächst einmal ohne Bezug zu konkret beteiligten Personen bzw. Personengruppen »Zwang, (rohe) Kraft, unrechtmäßiges Vorgehen« (Wahrig 2002: 552).

Da Bezeichnungen einschlägiger Verhaltensmuster immer auch Ausdruck des jeweiligen Gewaltverständnisses sind, enthalten Definitionen der Vergangenheit vor allem die Motivation der Gewaltausübenden als zentrales Moment. Gemäß Rechtsprechung des Reichgerichts (oberste Gerichtsbarkeit bis 1945) war Gewalt die »Anwendung körperlicher Kraft zur Beseitigung eines tatsächlich geleisteten oder doch mit Bestimmtheit erwarteten, nur durch Körperkraft zu unterdrückenden Widerstandes« (Brink/Keller 1983: 112).

Im Zuge der aufkommenden Diskussion von Gewalt als zu behebendes Problem in ihren unterschiedlichen Facetten erfolgte demgegenüber eine stärkere Berücksichtigung der Auswirkung von Gewalt in Definitionen. In den 1980er Jahren formulierten damit einhergehend Helga Theunert und Bernd Schorb (1982) jene Kriterien von Gewalt, die auch in der gegenwärtigen Sozialwissenschaft die Einordnung von Verhaltensmustern als Gewalt determinieren:

»Ein erstes Bestimmungskriterium für Gewalt ist hiernach die bei dem oder den Betroffenen feststellbare Folge, die durch Gewalt bewirkte Schädigung. Diese ist prinzipiell – jedoch nicht zwangsläufig – von den Betroffenen als subjektives ›Leiden‹ erfahrbar. Das Ziel der Gewaltausübung tritt gegenüber der Folge in den Hintergrund, es ist sekundäres Bestimmungskriterium: Auch wenn kein Ziel erkennbar ist, aber eine Folge sichtbar, liegt Gewalt vor. Ziele und Absichten geben Aufschluß über mögliche Gründe für Gewalt, sie sind jedoch keine notwendigen Voraussetzungen für ihr Vorhandensein. [...] Über die Folgen wird mithin die Wahrnehmung und Analyse unterschiedlicher Erscheinungsformen von Gewalt und ihrer Hintergründe möglich« (Theunert 1987: 40 f.).

Die Schädigung des anderen allein begründet die Einordnung der Gewalt nach ihrer Auslegung jedoch noch nicht:

»Als zweites Bestimmungskriterium ist die Gewalt an die Ausübung oder Existenz von Macht und Herrschaft gebunden. Macht und Herrschaft gründen auf die Verfügung über Machtmittel, die die Voraussetzungen zur Gewaltanwendung sind« (ebd.: 41).

Beide Kriterien sind auch in der Gewaltdefinition der WHO zu finden, die als Richtlinie für die gegenwärtige sozialwissenschaftliche Einordnung gelten kann.

WHO-Gewaltbegriff

Laut WHO ist Gewalt der »absichtliche Gebrauch von angedrohtem oder tatsächlichem körperlichem Zwang oder physischer Macht gegen die eigene oder eine andere Person, gegen eine Gruppe oder Gemeinschaft, der entweder konkret oder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Verletzungen, Tod, psychischen Schäden, Fehlentwicklung oder Deprivation führt« (WHO-Regionalbüro für Europa 2003: 6).

Diese Definition greift ein weiteres Kriterium auf. Neben den Folgen für die Betroffenen und der Ausnutzung der Überlegenheit wird hier auch die willentliche Entscheidung zur Gewaltausübung, die Absicht, als Merkmal betont. ›Absicht‹ darf hier aber nicht als lang gehegter Plan missverstanden werden. Hier sind zielgerichtete, spontane Handlungen durchaus eingeschlossen. Entscheidend ist, dass Gewalt als Handlung verstanden wird, der immer eine Entscheidung vorausgeht, die auch anders hätte ausfallen können. Davon abzugrenzen sind versehentliche Schädigungen, z. B. durch einen Unfall.

Für die besonders vulnerablen Personengruppen gibt es entsprechende Anpassungen der Definitionen, die auf die Gewaltkontexte Bezug nehmen. So definiert die WHO als Gewalt gegen Kinder

»alle Formen körperlicher und/oder psychischer Misshandlung, sexuelle Übergriffe, Vernachlässigung oder vernachlässigende Behandlung, gewerbliche und andere Ausbeutung, die eine reale oder potenzielle Gefährdung der Gesundheit des Kindes, seines Überlebens, seiner Entwicklung oder seiner Würde im Kontext eines Verantwortungs-‍, Vertrauens- oder Machtverhältnisses zur Folge haben« (Generaldirektion Wissenschaftlicher Dienst, Europäisches Parlament 2014: 6).

Anstelle von Gewalt gegen Kinder wird häufig auch von Kindesmisshandlung bzw. sexuellem Kindesmissbrauch gesprochen.

Unter Berücksichtigung des Kriteriums des absichtsvollen Handelns als Merkmal von Gewalt ist die Vernachlässigung im Sinne der Unterlassung fürsorglichen Handelns aufgrund von Unwissenheit oder Unfähigkeit nicht eingeschlossen, da hier nicht von einer Absicht auszugehen ist. Diese Form der Kindeswohlgefährdung kann fraglos zu massiven Schädigungen des Kindes führen und ist bei der Diskussion von Maßnahmen zum Schutz von Kindern uneingeschränkt einzubeziehen. Sie ist jedoch durch eine andere Dynamik gekennzeichnet und findet deshalb in der vorliegenden Publikation keine Berücksichtigung.

Laut Gesetz zum Übereinkommen des Europarats vom 11. Mai 2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) meint Gewalt gegen Frauen nach Art. 3 »alle Handlungen geschlechtsspezifischer Gewalt, die zu körperlichen, sexuellen, psychischen oder wirtschaftlichen Schäden oder Leiden bei Frauen führen oder führen können, einschließlich der Androhung solcher Handlungen, der Nötigung oder der willkürlichen Freiheitsentziehung, sei es im öffentlichen oder privaten Leben« (Bundesgesetzblatt Jahrgang 2017 Teil II Nr. 19, ausgegeben zu Bonn am 26. Juli 2017). Diese Gewalt steht im Zusammenhang mit Geschlechterkonstruktionen, Misogynie und Sexismus.

Gewalt gegen Menschen mit Behinderungen meint körperliche, psychische, sexuelle und strukturelle Gewalt in der Kindheit, Jugend und im Erwachsenenalter in allen Lebensbereichen und Kontexten (in der Familie, im sozialen Umfeld, in Institutionen, in der Öffentlichkeit). Sie findet im Zusammenhang mit Behinderungskonstruktionen und Diskriminierungen (Disableism) statt.

Unter Gewalt gegen ältere Menschen in der Pflege ist laut WHO »eine einmalige oder wiederholte Handlung oder das Unterlassen einer angemessenen Reaktion im Rahmen einer Vertrauensbeziehung« einzuordnen, »wodurch einer älteren Person Schaden oder Leid zugefügt wird« (WHO 2008). Vernachlässigung im Sinne des Unterlassens ist in diesem Zusammenhang als absichtsvolle Handlung zu verstehen bzw. als eine Handlung, bei der die Schädigung der anderen Person billigend in Kauf genommen wird, so z. B. in Einrichtungen der Altenpflege. Auch diese Gewalt ist eingewoben in gesellschaftliche Abwertungen und Diskriminierungen im Hinblick auf das Alter.

1.5 Erscheinungsformen interpersoneller Gewalt in Abhängigkeitsverhältnissen

In den folgenden Abschnitten werden nun jene Handlungen in den Blick genommen, die als Gewalttaten in Abhängigkeitsverhältnissen besonders häufig sind. Die Auflistungen erheben nicht den Anspruch der Vollständigkeit. Auch darf die getrennte Auflistung der Formen von Gewalt nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Betroffene mehrere Formen von Gewalt gleichzeitig erleiden (▸ Kap. 2).

1.5.1 Physische Gewalt

Physische Gewalt war seit jeher ein öffentlich behandeltes Thema, zumal sie als Mittel zur Erziehung und Disziplinierung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in unterschiedlichen historischen Kontexten mal mehr, mal weniger propagiert und nicht selten auch vor Publikum (zur Abschreckung, zur gezielten Demütigung der Betroffenen u. Ä.) praktiziert wurde. Die Gewaltausübung und ihre Folgen waren vielfach sichtbar. Physische Gewalt umfasst alle körperlichen Handlungen, die vollzogen werden, um durch Zufügung von Schmerzen oder Verletzungen Einfluss auf die Betroffenen zu nehmen.

In der Forschung wird körperliche Gewalt nach Schweregraden unterschieden. Leichte Gewalt umfasst i. d. R. jene Handlungen, bei denen ein eher kurzfristiger körperlicher Schmerz die Folge ist. Bei schwerer Gewalt werden nachhaltige Schmerzen, Verletzungen oder auch massive Schädigungen unter Umständen mit Todesfolge verursacht und diese Handlungen sind i. d. R. auch strafbar (u. a. BMFSFJ 2012: 9 f., Hellmann 2014: 81 f.).

Beispiele für leichte Formen der körperlichen Gewalt

·

Schupsen,

·

leichte Ohrfeigen,

·

Schütteln (bei Säuglingen und Kleinkindern schwere Gewalt),

·

hart Anpacken,

·

Nachwerfen von Gegenständen,

·

Pflegebedürftige über einen langen Zeitraum unterversorgt lassen (Urin/Kot nicht entfernen, auf Toilette warten lassen, vom Tisch nicht ins Zimmer zurückführen).

Beispiele für schwere Formen körperlicher Gewalt

·

Heftige Ohrfeigen, Faustschläge,

·

Fußtritte,

·

Schlagen, Prügeln ohne Gegenstände/mit Gegenständen,

·

Beißen,

·

Würgen,

·

Körperpflege mit zu heißem oder zu kaltem Wasser (bei Kindern, Pflegebedürftigen), Verbrennen, Verbrühen,

·

Zwang zum Essen, Trinken,

·

Fesseln,

·

Fixieren oder gegen den Willen mobilisieren (in der Pflege),

·

Einsperren.

1.5.2 Psychische Gewalt

Psychische Gewalt war bis vor wenigen Jahrzehnten kein Thema der öffentlichen und fachlichen Diskussion, weil die Folgen (anders als bei körperlicher Gewalt) nicht unmittelbar zu erkennen sind und ihre schädigende Wirkung unterschätzt wurde. Psychische Gewalt kann unabhängig von körperlicher Gewalt vorkommen, ist aber zwangläufig auch eine Begleiterscheinung körperlicher Gewalt. Die psychischen, somatischen und sozialen Folgen dieser Gewalt und die entsprechenden Verhaltensweisen (z. B. sozialer Rückzug, Autoaggression oder aggressives Verhalten) der Betroffenen wurden und werden häufig fehlinterpretiert als persönliche (Charakter-)‌Merkmale der Betroffenen. So wurden beispielsweise in der Vergangenheit misshandelte Kinder und Jugendliche häufig als verwahrlost, als unerziehbar stigmatisiert, obwohl in ihrem Verhalten die Belastungen durch psychische Beeinträchtigungen zum Ausdruck kamen.

Psychische Gewalt meint Verhaltensmuster, die darauf gerichtet sind, psychische Schmerzen oder Verletzungen zu verursachen. Sie wird häufig auch als emotionale Gewalt bezeichnet, denn sie soll negative Gefühle wie beispielsweise Angst oder Trauer bei den Betroffenen auslösen.

Auch bei der psychischen Gewalt wird häufig zwischen leichter und schwerer Gewalt unterschieden. Die Unterscheidung erfolgt hier meist in Abhängigkeit von der Häufigkeit der Ausübung, d. h., bei seltenen Vorkommnissen wird eher von der Erfahrung leichter psychischer Gewalt gesprochen, bei regelmäßigem Auftreten vom Erleben schwerer psychischer Gewalt.

Beispiele für psychische Gewalt

·

Pflegebedürftige duzen, im ›Babytalk‹ mit ihnen sprechen,

·

Bevormunden, Einwände und Fragen ignorieren,

·

soziale Kontakte zu anderen unterbinden, kontrollieren, sozial isolieren,

·

aggressives Anbrüllen,

·

Beschimpfen,

·

Drohen, Terrorisieren,

·

anhaltendes Schweigen,

·

Abwerten der Fähigkeiten, der Persönlichkeit,

·

Verleumden.

1.5.3 Sexualisierte Gewalt

Nachdem sexualisierte Gewalt lange Zeit in Wissenschaft, Praxis und Politik tabuisiert wurde, ist sie inzwischen vermutlich die am häufigsten beforschte und in Fachpublikationen behandelte Form der Gewalt.

Mit der Entwicklung eines veränderten Werte- und Normensystems bezüglich der Sexualität ging auch eine Veränderung im Sprachgebrauch einher. Der Begriff Unzucht, der in der Vergangenheit zur Umschreibung normabweichender sexueller Handlungen jeder Form Verwendung gefunden hatte, ist aus allen gesellschaftlichen Diskursen verschwunden. Im Gegenzug wurden verschiedene neue Begrifflichkeiten eingeführt. Sie können als unterschiedliche Bemühungen verstanden werden, die Besonderheiten der Problematik ins Blickfeld zu rücken. Indessen können sie alle die Gesamtheit des Phänomens nicht wirklich erfassen und bleiben daher stets in gewisser Weise unzulänglich.

Die Frage, warum gewaltförmige sexuelle Handlungen nicht den Erscheinungsformen physische und psychische Gewalt zugeordnet werden, lässt sich folgendermaßen begründen: Laut Heynen (2000: 20) hebt die Bezeichnung sexuelle Gewalt »im Vergleich zu physischer und psychischer Gewalt hervor, dass Gewalt hier mit sexuellen Mitteln ausgeübt wird«.

Sexualisierte Gewalt

In den 1990er Jahren wurde der Begriff »sexualisierte Gewalt« eingeführt und seit einigen Jahren zunehmend verwendet (zur Kritik siehe Glammeier 2018: 104 f.). Er soll zum einen verdeutlichen, dass die Handlungen keine harmlosen, sogenannten Kavaliersdelikte sind. Zum anderen soll er ins Bewusstsein bringen, dass die Handlungen nicht in erster Linie, unter Umständen sogar überhaupt nicht durch sexuelle Bedürfnisse motiviert sind, also nicht Sexualität aggressiv gelebt wird, sondern umgekehrt: dass Aggression sexualisiert wird.

D. h., Aggression wird ausgelebt mit dem Mittel der Sexualität. Heynen (2000) erläutert den Unterschied zwischen den Begriffen sexuelle und sexualisierte Gewalt folgendermaßen: »Sexualisierte Gewalt betont primär, dass die Gewalt im Vordergrund steht und sexualisiert wird« (ebd. S. 20). Da wir Sexualität als intimsten menschlichen Bereich erleben, bewirkt eine Verletzung dieses Bereichs abhängig von der Intensität unter Umständen ein Höchstmaß an Erniedrigung und Entwürdigung bei den Betroffenen. Diesen besonders sensiblen Bereich nicht schützen zu können, befördert das Gefühl der tiefen Ohnmacht bei den Betroffenen. Den Täter:innen ermöglichen die vermuteten oder wahrgenommenen Empfindungen der Betroffenen im Gegenzug die Selbsteinschätzung als extrem mächtig und überlegen. Und eben diese Möglichkeit der Selbstbestätigung als dominant etc. ist zweifellos ein wesentliches Motiv für die Begehung dieser Taten.

Für einschlägige Handlungen gegen Kinder und Jugendliche hat sich in den letzten Jahrzehnten der Begriff sexueller Kindesmissbrauch eingebürgert, zumal er bislang auch der strafrechtliche Terminus ist (zur Kritik siehe u. a. Holzkamp 1994: 138). Seltener wird in Fachpublikationen von sexueller Kindesmisshandlung gesprochen. Inzwischen häufiger ist jedoch von sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche die Rede. Für Gewalthandlungen gegen erwachsene Personen hat sich hingegen die Bezeichnung sexuelle bzw. sexualisierte Gewalt gegen Frauen, gegen Menschen mit Behinderungen bzw. gegen Senior:innen durchgesetzt.

Im Grundsatz werden mit sexualisierter Gewalt Verhaltensmuster (Äußerungen ebenso wie körperliche Aktionen) umschrieben, bei denen eine Person unter Ausnutzung der eigenen Macht und Überlegenheit gegen den Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen zur Befriedigung eigener (sozialer, emotionaler, sexueller) Bedürfnisse durchführt.

Auch bei sexualisierter Gewalt werden in Abhängigkeit vom Schweregrad häufig drei Kategorien unterschieden.

Sexuelle Grenzverletzungen

Jedes Verhalten, jede Äußerung, das bzw. die die persönlichen Grenzen eines Menschen verletzt, lässt sich im Grundsatz als Grenzverletzung einordnen. In der Fachdiskussion wird von sexuellen Grenzverletzungen am häufigsten allerdings dann gesprochen, wenn die Intimsphäre von Menschen gegen den Willen der betroffenen Person, aber ohne Absicht der eigenen Bedürfnisbefriedigung seitens der handelnden Person tangiert wird. Konkret gemeint sind damit Verletzungen von Schamgrenzen, die aus mangelnder Sensibilität, Unachtsamkeit oder unreflektierten Alltagsroutinen der Akteur:innen resultieren (vgl. auch Homepage der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, kurz UBSKM https://beauftragte-missbrauch.de/ und Homepage der Aufarbeitungskommission https://www.aufarbeitungskommission.de/).

Beispiele für sexuelle Grenzverletzungen

·

Der unangemeldete und gleichsam unbedachte Eintritt in ein Badezimmer, wenn eine Person sich dort entkleidet,

·

unangemessen langes Belassen von Pflegebedürftigen in unbekleidetem Zustand.

Sexuelle Übergriffe

Die Bezeichnung sexuelle Übergriffe meint i. d. R. Handlungen, die bewusst praktiziert werden, allerdings meist noch unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit liegen (zur Strafbarkeit ▸ Kap. 5). Für die strafrechtliche Relevanz muss eine Handlung einerseits einen klaren Sexualbezug aufweisen, andererseits von einiger Erheblichkeit sein.

»Ob die Erheblichkeitsschwelle überschritten ist, bestimmt sich nach dem Grad der Gefährlichkeit der Handlung für das jeweils betroffene Rechtsgut [...]. Von Bedeutung sind dabei vor allem Art, Intensität und Dauer des sexualbezogenen Vorgehens, zusätzlich der Handlungsrahmen, in dem der unmittelbar sexualbezogene Akt begangen wird, sowie die Beziehung der Beteiligten untereinander« (BGH 3 StR 357/99-Beschluss vom 08. 09. 1999).

Unterhalb der Erheblichkeitsschwelle liegen »kurze oder aus anderen Gründen unbedeutende Berührungen« (BGH 2 StR 558/15 – Urteil v. 21. 09. 2016 – LG Aachen).

In manchen Problemdarstellungen findet die Bezeichnung sexuelle Übergriffe allerdings auch Anwendung für strafbare Handlungen, z. B. in der medialen Problemdarstellung, in der sämtliche hier aufgeführten Begrifflichkeiten oft synonym verwendet werden.

Beispiele für sexuelle Übergriffe

·

Anzügliche Bemerkungen, Witze über den Körper einer Person,

·

scheinbar zufällige kurze Berührungen am Gesäß, an der Brust, an den Genitalien über der Kleidung,

·

Aufdrängen von Gesprächen über Sexualität.

Die Bezeichnung sexuelle Übergriffe hat sich gleichfalls als Benennung von sexuell gewaltförmigen Handlungen unter Kindern im Kita- und Grundschulalter vor der Pubertät etabliert (u. a. Riedel-Breidenstein/van Os, Maria/STROHHALM e. V. 2016). Laut Freund und Riedel-Breidenstein sind sexuelle Übergriffe unter Kindern ebenfalls durch die Ausnutzung eines Machtgefälles zur Durchsetzung von ungewollten sexuellen Handlungen gekennzeichnet. Auch hier wird Druck ausgeübt durch Versprechungen oder Versagungen, Androhung oder Ausübung von körperlicher Gewalt (Freund/Riedel-Breitenstein 2016: 57 f.). Durch die Vermeidung der Zuschreibungen Opfer und Täter:in, wie sie der Begriff des Missbrauchs impliziert, soll indessen die Stigmatisierung und Kriminalisierung von Kindern vermieden werden. Zudem soll ins Bewusstsein geführt werden, dass auch der angemessene Umgang mit Sexualität ein Lernprozess ist und Aufklärung und Grenzsetzung zentrale Elemente einer zielführenden Intervention sein sollten, nicht Bestrafung bzw. Sanktionierung.

(Strafbare) sexualisierte Gewalt

Zu den strafrechtlich relevanten Delikten zählten in der Vergangenheit in erster Linie Handlungen mit Körperkontakt bzw. Hands-on-Taten. Die Einsicht in die Schädigung von Betroffenen auch durch Handlungen ohne Körperkontakt hat zu einer Aufnahme ausgewählter sogenannter Hands-off-Taten in das Strafrecht geführt, insbesondere bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche.

Beispiele für (strafbare) sexualisierte Gewalt ohne Körperkontakt

·

Zugänglich machen von Pornografie (bei Kindern),

·

Veranlassung zu sexuellen Handlungen am eigenen Körper (bei Kindern und Jugendlichen),

·

Veranlassung zur Anwesenheit bei sexuellen Handlungen am eigenen Körper (bei Kindern und Jugendlichen),

·

exhibitionistische Handlungen gegen den Willen der Betroffenen,

·

Aufnahmen von sexuellen Handlungen der Betroffenen an sich selbst gegen ihren Willen.