Gewollt. Geliebt. Gesegnet. -  - E-Book

Gewollt. Geliebt. Gesegnet. E-Book

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»Gott liebt jeden Menschen« – Sätze wie diesen hört man häufig in der Kirche, aber sie scheinen nicht für alle zu gelten. Wer sich zum Beispiel nicht als Mann oder Frau definiert oder in einer homosexuellen Partnerschaft lebt, wird schnell schief angesehen, abgewertet und ausgegrenzt. In einer Sammlung eindrücklicher Zeugnisse gibt der bekannte Münchner Priester Wolfgang F. Rothe Einblicke in die Erfahrungen von Menschen, die einerseits katholisch sind oder waren und andererseits aufgrund ihrer sexuellen Identität oder Orientierung nicht so leben, wie es ihnen die Kirche glaubt vorschreiben zu können. Darüber hinaus kommen Menschen zur Sprache, die diesen Menschen nahestehen. Wolfgang F. Rothe ist überzeugt: Die Existenzberechtigung der Kirche hängt nicht zuletzt davon ab, dass sie diese Menschen und ihre Nöte wahrnimmt – sei es im Vatikan oder in der Pfarrei vor Ort. »Es ist ein Buch, das einen wirklich packt, weil es Geschichten sind von Menschen, die von ihrem Leben, Lieben, Leiden und Hoffnungen erzählen. Ein sehr existentielles Buch.« Christiane Florin

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Seitenzahl: 193

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Wolfgang F. Rothe (Hg.)

Gewollt. Geliebt. Gesegnet.

Queer-Sein in der katholischen Kirche

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2022

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Umschlagmotiv: ©Bumble Dee/

Shutterstock, kamisoka/GettyImages

E-Book-Konvertierung: Daniel Förster, Belgern

ISBN Print 978-3-451-38398-4

ISBN E-Book EPUB 978-3-451-82691-7

ISBN E-Book PDF 978-3-451-82692-4

Inhalt

Einleitung des Herausgebers

N. N.

Mein Glaube, mein Schwulsein, meine Ängste

Nico Abrell

Mein bester Freund hat mich wegen meiner Homosexualität verstoßen

N. N.

Ich versteckte mich hinter der Fassade des Konservativ-Katholischen

Marian Antoni

Erinnerungen – Sprachlosigkeit – Glaubens(t)räume

Charlotte Baron

Gott hat mich so geschaffen, wie ich bin – diese Botschaft trägt mich

Jan Baumann

Ich bin schwul und katholisch – na und?

Dr. Arturo Blázquez Navarro

Wie ich als schwuler Naturwissenschaftler Gott begegnet bin

N. N.

Wie die Kirche meiner Frau das Leben schwer macht

N. N.

In der KjG fand ich die Kraft für mein Outing

Verena Eitzenberger

Katholisch bedeutet alles und alle umfassend

Dr. Johannes zu Eltz

Der Balken im Auge

Johannes Engelhardt

Den Nächsten lieben wie sich selbst

Lukas Färber

Gewissenserforschung

Ulrike Fasching

Warum sind wir als Regenbogenfamilie noch katholisch?

Ingo-Michael Feth

Die »schwule Lobby« im Vatikan – Fiktion oder Wirklichkeit?

Joachim Frank

Confiteor – convertere

Henry Frömmichen

Wie ein Selfie mit »Prince Charming« mein Leben veränderte

Dieter Geerlings

Weltkirche vor Ort

Manfred Hassemer-Tiedeken

Als schwules Paar in der Kirche – seit fünf Jahrzehnten

Dr. Andreas Helfrich

Gott hat einen Plan mit mir als schwulem Mann

Markus Helfrich

Wenn zwei Männer sich lieben, ist das einfach nur Liebe

Simone Hock

Mein Türöffner in die Kirche war ein schwuler Mann

Giovanni Inzerilli

Ich empfand meine Homosexualität lange als Sünde und Schande

Matthias Katsch

Gute Nachricht für mein Volk

Dr. Julia Knop

Mit guten Gründen für LGBTIQ*-Personen in der Kirche eintreten

Lisa Kötter

Liebe ist der sichtbare Segen Gottes in der Welt

N. N.

Ich wollte Priester werden, aber ...

Christoph Krenzel

Ich glaubte lange, nicht schwul sein zu dürfen

Ulrike Krenzel

Ausgerechnet in unserer Familie – zwei schwule Jungs

Ulrich Küchl

Homosexualität als Waffe

N. N.

Wir sind alle auf Toleranz angewiesen

Michael Kurz

Die kirchliche Sexualmoral und ihre Opfer

N. N.

Vor Gott kann ich die sein, die ich bin: eine Frau, die Frauen liebt

Michael Langer

Ich bin der Kirche dankbar – und hadere mit ihr

Patrick Lindner

Ich will, dass du glücklich bist

Gudrun Lux

Die Not des Bruders*

Fady Maalouf

Der Regenbogen ist für mich eine Brücke zwischen Himmel und Erde

Christof Gabriel Maetze

Gott ist Liebe

N. N.

Agape und Eros – zwei Seiten einer Medaille

Iris Molsbeck

Mein Kind ist transgender – was soll daran falsch sein?

N. N.

Wegbeten geht nicht

Almut Münster

Warum ich im Gegensatz zu meiner Frau keine Katholikin bin

Otto Johann Piplics

Besser das Priesteramt niederlegen als ein Doppelleben führen

Ansgar Pippel

Warum ich als schwuler Mann keine Kirche brauche

Gregor Podschun

Ich bin ein Lernender

Peter Priller

»Hätte ich aber die Liebe nicht …«

Dr. Matthias Remenyi

Drei Tage im Frühjahr 2021

Katrin Richthofer

Meine lesbische Tochter kann sich meiner und Gottes Liebe gewiss sein

N. N.

Gott hat mich zum Schwulsein und zum Priestersein berufen

N. N.

Als Transgender lebte ich lange wie hinter einer Maske

Cleo Schmitz

Die Kirche lehnt mich als Trans ab – meine Pfarrgemeinde nicht

Dr. Ruben Schneider

In der Einsamkeit hört dich niemand schreien

N. N.

Quo vadis?

Dr. Thomas Schüller

Mein schwuler »kleiner« Bruder

Martin Speer

Über die Zweifel, die Liebe und den unvollendeten Petersdom

Andreas Sturm

Keine Angst vor Veränderung

N. N.

Schwulenhass im Namen Gottes ist Missbrauch Gottes

Christian Taufenbach

Ich versuche meiner lesbischen Tochter mitzugeben: Katholischsein befreit

Stefan Theierl

Lange versteckte ich meine sexuelle Identität und hoffte auf ein Wunder

Stefan Thurner

Der Glaube ist ein Teil von mir – genauso wie mein Schwulsein

Heinrich Timmerevers

Begegnung schafft Veränderung

N. N.

Die Erfahrung von Gottes Liebe beruft mich zur Liebe zu meiner Frau

Alexander Vogt

Dem christlichen Menschenbild verpflichtet

N. N.

Schutzraum und Falle

Dr. Christine Waltner

Queer leben im Vertrauen auf Gott

Manfred Weber

Mein Glaube gibt mir die Kraft, mit HIV zu leben

N. N.

Ich fühle mich von der Kirche im Stich gelassen

N. N.

Der Herrgott hat mich so gewollt, wie ich bin

Danksagung des Herausgebers

Über den Autor

Einleitung des Herausgebers

Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und andere queere Personen in der katholischen Kirche? Gibt es nicht! Kann es nicht geben! Darf es nicht geben! Und wenn es sie – um Gottes willen – doch geben sollte, dann haben sie sich gefälligst so zu geben, als gäbe es sie nicht, als gäbe es sie zumindest nicht als die, die sie sind, und nicht so, wie sie sind. So will das zumindest der Vatikan.

Es gibt sie aber: Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und andere queere Personen in der katholischen Kirche. Es gibt sie – und zwar um Gottes willen. Es gibt sie, weil Gott es so gewollt, weil Gott sie so gewollt und geschaffen hat. Aber ganz so, wie der Vatikan es will, sind sie als die, die sie nun einmal sind, und so, wie sie nun einmal sind, in der Kirche häufig unsichtbar.

Sie sind da, sie nehmen an Gottesdiensten teil, sie haben kirchliche Ämter inne und üben liturgische Dienste aus, sie spielen Orgel und singen im Kirchenchor, sie engagieren sich in kirchlichen Verbänden und Gremien, sie helfen bei Pfarrfesten, Jugendlagern und Seniorennachmittagen und sie zahlen brav ihre Kirchensteuer. Aber sie sind nur zum Teil da, dürfen nur zum Teil da sein.

Denn ein Teil von ihnen muss außen vor bleiben, muss verschwiegen, verleugnet und verdrängt werden. Für diesen Teil von ihnen ist in der Kirche kein Platz. Dieser Teil ist ihre geschlechtliche Identität und/oder ihre sexuelle Orientierung und damit etwas, das sie überhaupt erst zu der Person macht, die sie jeweils sind, etwas, das unabdingbar zu ihrer Persönlichkeit dazugehört.

Viele von ihnen sind darum mittlerweile nicht mehr da, haben sich von der katholischen Kirche abgewandt, haben ihren Kirchenaustritt erklärt, haben ihren Glauben verloren oder sich einer anderen Glaubensgemeinschaft angeschlossen, die entweder nicht hinterfragt, wer und wie sie sind, oder in der sie als die, die sie sind, und so, wie sie sind, ausdrücklich willkommen geheißen werden.

Andere haben sich in Nischen und geschützte Räume zurückgezogen, die sich ihnen in der Kirche aufgetan haben, die ihnen von der Kirche gnädigerweise zugestanden wurden oder die sie sich selbst geschaffen haben. Solche geschützten Räume haben durchaus ihren Sinn und ihre Berechtigung, bergen in sich aber die Gefahr von Ghettoisierung, Isolation und neuerlicher Unsichtbarkeit.

Wieder andere haben sich wohl oder übel damit abgefunden, als die, die sie sind, und so, wie sie sind, in der Kirche unsichtbar zu bleiben. Sie fühlen sich entweder dazu genötigt oder haben sich dazu entschlossen, ihre geschlechtliche Identität und/oder sexuelle Orientierung für sich zu behalten, und bringen sie, wenn überhaupt, dann allenfalls außerhalb der Kirche zum Ausdruck.

Ganz egal, ob sie sich nun von der Kirche für immer verabschiedet, sich mit den ihnen kirchlicherseits zugestandenen Schlupf­löchern abgefunden oder sich dazu entschlossen haben, innerhalb der Kirche verborgen zu bleiben – immer ist ihr Verhältnis zur Kirche von Brüchen, Verwerfungen oder Spannungen geprägt und geht insofern mit Verletzungen, Schmerz und Leid einher.

Dieses Leid ist real – im Gegensatz zu dem, was dieses Leid verursacht. Verursacht wird dieses Leid nämlich durch eine Sexualmoral, die auf Annahmen und Behauptungen basiert, die mit der Realität oft wenig zu tun haben. Die angeblich unverfügbaren Normen des Naturrechts, denen die Kirche beteuert, sich unterwerfen zu müssen, sind nämlich vor allem eines: unnatürlich.

Denn sie basieren nicht auf der unvoreingenommenen Wahrnehmung der Natur und der natürlichen Gegebenheiten, sondern auf Bedingungen und Kriterien, die beidem nachgeordnet sind. In der Folge wird die Natur durch das vermeintliche Naturrecht wie durch eine Brille wahrgenommen, die den Blickwinkel von vornherein verengt, und in ein unnatürliches Korsett gezwängt.

Das beginnt schon mit der geschlechtlichen Identität. Dem Katechismus der katholischen Kirche zufolge ist jeder Mensch entweder Mann oder Frau – und zwar nur Mann oder nur Frau, und das eindeutig und unabänderlich. »Jeder Mensch, ob Mann oder Frau, muss seine Geschlechtlichkeit anerkennen und annehmen«, erklärt der Katechismus der katholischen Kirche barsch (Nr. 2333).

Für Menschen, die sich weder (nur) als Mann noch (nur) als Frau definieren, ist in diesem Schema kein Platz. Dasselbe gilt für Menschen, die sich nicht mit dem ihnen nach ihrer Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren können, und zwar ganz unabhängig davon, auf welchen Gegebenheiten, Annahmen und Entscheidungen diese Zuweisung auch immer beruht haben mag.

Das ist nichts anderes als Realitätsverweigerung. Denn es gibt solche Menschen. Sie sind real. Und ebenso real ist ihre geschlechtliche Identität, die zu definieren niemandem zusteht außer ihnen selbst. Und darum sind diese Menschen genau so, wie sie sind, genau so, wie sie sich definieren, und genau so, wie sie ihrer Natur gemäß leben, von Gott gewollt, geschaffen und geliebt.

Dasselbe gilt für Menschen, deren sexuelle Orientierung nicht dem entspricht, was vom Lehramt der katholischen Kirche zur alleinigen Norm erklärt wurde. Es ist einmal mehr realitätsfern, wenn die »psychische Entstehung« von Homosexualität im Katechismus der katholischen Kirche – im Unterschied zur Heterosexualität – als erklärungsbedürftig dargestellt wird (Nr. 2357).

Nicht minder realitätsfern ist die ebendort aufgestellte Behauptung, in der Heiligen Schrift würde Homosexualität »als schlimme Abirrung bezeichnet«. In den einschlägigen Bibelstellen ist zwar von gleichgeschlechtlichem Sex die Rede, insbesondere von Prostitution und sexuellem Missbrauch, nicht aber von homosexueller Orientierung, homosexueller Liebe und homosexueller Partnerschaft.

Umso realitätsferner ist es, wenn im Katechismus der katholischen Kirche bedenkenlos behauptet wird, dass »die meisten« homosexuellen Menschen ihre sexuelle Orientierung als »eine Prüfung« betrachteten (Nr. 2358). Wenn homosexuelle Menschen, nicht zuletzt auch homosexuelle Katholik*innen, etwas als Prüfung betrachten, dann ist das allenfalls ihre Diskriminierung.

Und darum erscheint es geradezu als Gipfel der Realitätsferne, wenn im Katechismus der katholischen Kirche die Forderung aufgestellt wird, homosexuelle Menschen seien generell »zur Keuschheit gerufen« – und zwar zur Keuschheit im Sinn kompletter sexueller Enthaltsamkeit (Nr. 2359). Einmal mehr wird dadurch die Natur der betreffenden Personen verleugnet und verhöhnt.

Angesichts solch geballter Realitätsferne ist es an der Zeit, queere Menschen in der Kirche und für die Kirche sichtbar zu machen, ihnen eine Stimme zu geben, sie zur Sprache kommen zu lassen. Genau dies – nicht mehr und nicht weniger – ist das Anliegen dieses Buches: Es bietet Einblicke in die Lebensrealität katholischer oder ehemals katholischer Personen mit LGBTIQ*-Hintergrund.

Unmittelbares Vorbild dafür war das Anfang 2021 erschienene Buch Weil Gott es so will. Darin hat die Benediktinerin Philippa Rath Beiträge von Frauen gesammelt, die sich zur katholischen Priesterin berufen fühlen, ihre Berufung aber angesichts des lehramtlichen Neins zur Weihe von Frauen nicht, nur ansatzweise oder allenfalls außerhalb der kirchlichen Ordnung leben können.

Selbst Personen, die – wie ich selbst – nicht mehr davon überzeugt werden mussten, dass die Gründe, die vonseiten des kirchlichen Lehramts gegen die Weihe von Frauen angeführt werden, mehr als fadenscheinig sind, wurden durch dieses Buch nachhaltig angerührt und aufgerüttelt. Erkenntnissen gegenüber kann man sich abschotten; Erfahrungen hingegen sickern durch.

Jenseits aller Gründe, die gegen und für die Weihe von Frauen angeführt werden können, hat dieses Buch deutlich gemacht, dass es dabei letztlich nicht um eine abstrakte Frage geht oder gehen sollte, nicht um Traditionen, Lehren und Gebote, sondern um konkrete Menschen und ihr Schicksal, um verkannte Berufungen, vernichtete Hoffnungen und verbaute Lebenswege.

Queeren Personen in der katholischen Kirche geht es nicht anders: Auch ihnen wird kirchlicherseits verwehrt, ihre Berufung zu leben – ihre Berufung zu einem ganz normalen queeren Leben in der katholischen Kirche. Auch sie müssen sich damit abfinden, ihre Berufung entweder nicht leben zu können oder sich verstecken beziehungsweise in irgendwelche Nischen zurückziehen zu müssen.

Das muss anders werden. Anders werden kann es aber nur dann, wenn nicht länger nur über die Betroffenen gesprochen wird, sondern endlich auch mit ihnen. Anders werden kann es nur dann, wenn sich die Betroffenen zu Wort melden, wenn sie ihre Enttäuschungen, Verletzungen und Leiden, aber auch ihre Sehnsüchte, Hoffnungen und Forderungen zur Sprache bringen.

Genau das geschieht in diesem Buch: Queere Menschen, die katholisch sind oder waren, berichten von ihren Empfindungen, Erfahrungen und Erlebnissen. Manchen von ihnen war dies ein Bedürfnis; wie es schien, hatten sie nur darauf gewartet, endlich ihre Geschichten erzählen zu können. Andere hingegen taten sich spürbar schwer damit; sie zögerten, reagierten gar nicht oder sagten ab.

Beide Reaktionen sind nachvollziehbar. Allerdings fiel auf, dass die überwiegende Mehrheit der angefragten Personen zusagte und sich am Ende auch beteiligte, während nur wenige nicht reagierten oder absagten. Dies allein zeigt: Die Zeit dafür ist reif. Die Lebensrealität queerer Menschen in der katholischen Kirche ist kein Rand­thema; es geht dabei um die Existenzberechtigung der Kirche.

Das Wohl und Wehe von Minderheiten, zumal von diskriminierten und ausgegrenzten Minderheiten, ist schließlich der Maßstab des Christlichen und damit auch der Maßstab des Katholischen. Christus hat keinen Katechismus verfasst und kein kirchliches Gesetzbuch erlassen, sondern »ein Beispiel gegeben« (Joh 13,15) – und zwar ein Beispiel der Wertschätzung, des Respekts und der Liebe.

Als ich mit der Arbeit an diesem Buch begann, wurde mir selbst erst einmal so richtig bewusst, wie viele queere Menschen ich kenne, wie viele queere Menschen in meinem Umfeld leben und arbeiten, wie viele queere Menschen es überhaupt gibt – und zwar auch und gerade queere Katholik*innen. Sie waren es, die ich zuerst gefragt habe, ob sie sich eine Beteiligung vorstellen könnten.

In einem zweiten Schritt habe ich die queeren Katholik*innen, die ich bereits kannte, gefragt, ob sie ihrerseits Bekannte hätten, die für eine Mitarbeit infrage kämen. Und in einem dritten Schritt habe ich mich schließlich an verschiedene Organisationen, Zusammenschlüsse und Gemeinden queerer Katholik*innen gewandt und so den Radius mit der Zeit immer weiter gezogen.

Mit der Zeit hat sich aber auch eine nicht unbeträchtliche Zahl von Menschen bei mir gemeldet, die, auf welche Weise auch immer, von diesem Buchprojekt gehört oder gelesen hatten und nun von sich aus darum baten, sich daran beteiligen zu dürfen. Mehrere von ihnen schickten sogar gleich einen fertigen Beitrag mit. Auch sie und ihre Beiträge waren mir herzlich willkommen.

Das Bild, das dabei entstand, ist ebenso bunt wie komplex. Es gibt nicht »die« Empfindungen, Erfahrungen und Erlebnisse queerer Katholik*innen. Es gibt queere Katholik*innen, die sich mit ihrer Kirche arrangiert haben, es gibt queere Katholik*innen, die mit ihrer Kirche hadern und ringen, und es gibt queere Katholik*innen, die sich von der Kirche entfernt oder mit ihr gebrochen haben.

Und es gibt nicht nur Katholik*innen beziehungsweise ehemalige Katholik*innen, die unmittelbar betroffen sind. Jede*r unmittelbar betroffene Katholik*in ist umgeben von Menschen, die, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, mittelbar betroffen sind: Eltern, Großeltern, Geschwister, Kinder, Partner*innen, Freund*innen, Kolleg*innen, Seelsorger*innen und viele andere.

Auch sie müssen sich mit der Identität und dem Leben der Betroffenen sowie den diesbezüglichen Traditionen, Lehren und Geboten der katholischen Kirche auseinandersetzen und arrangieren. Auch ihnen fällt dies oft schwer. Aber nicht zuletzt deswegen sind auch sie Teil der Realität, die es wahrzunehmen und zu akzeptieren gilt. Und darum kommen auch sie in diesem Buch zu Wort.

Aufgrund der Herabsetzung, Diskriminierung und Ausgrenzung, die queere Menschen in der katholischen Kirche und durch die katholische Kirche erfahren, war es mir wichtig, allen Personen, die sich an diesem Buchprojekt beteiligen wollten, von vornherein die Möglichkeit zu eröffnen, anonym zu bleiben. Die Gründe dafür mögen vielfältig sein; berechtigt sind sie allemal.

Die Anonymität nimmt den betreffenden Beiträgen nichts von ihrer Aussagekraft und ihrem Wert – im Gegenteil: Auch das Bedürfnis beziehungsweise die (zum Beispiel beruflich veranlasste) Notwendigkeit, anonym zu bleiben, ist Teil der Realität. Denn dadurch wird einmal mehr deutlich, unter welchem Druck diese Menschen stehen und welchen Ängsten sie ausgesetzt sind.

Mein Bemühen, für ein zumindest einigermaßen ausgewogenes Verhältnis zwischen diversen, weiblichen und männlichen Autor*innen zu sorgen, ist weithin erfolglos geblieben. Dass sich weibliche und diverse Personen in der katholischen Kirche noch schwerer tun als männliche, sich offen zu ihrer Identität zu bekennen, scheint ebenfalls Teil der Realität zu sein.

Dasselbe scheint für queere Menschen fortgeschrittenen Alters zu gelten. Dass sich junge Menschen deutlich leichter tun, ihr Queer-Sein zur Sprache zu bringen, dürfte den gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte zu verdanken sein. Wenn dem so ist, besteht Grund zur Hoffnung, denn die Kirche wird sich gegenüber diesen Entwicklungen nicht komplett abschotten können.

Was die Gliederung des Buchs anbelangt, wurde bewusst nicht zwischen den verschiedenen Perspektiven, aus denen die einzelnen Beiträge heraus geschrieben wurden, unterschieden. Desgleichen wurde, ebenfalls bewusst, auf eine Nummerierung verzichtet. Ausgehend von den Nachnamen der Autor*innen wurden die Beiträge schlichtweg in alphabetischer Reihenfolge geordnet.

Was als reines Buchprojekt begonnen hatte, wurde mit der Zeit immer mehr auch zu einem pastoralen Projekt: Nicht wenigen der Autor*innen war es ein Bedürfnis, mir ihre Geschichte auch persönlich – sei es am Telefon, sei es von Angesicht zu Angesicht – zu erzählen. Dass einige zu diesem Zweck eine weite Reise auf sich nehmen mussten, konnte sie nicht davon abhalten.

Im Zuge dieser Gespräche sind viele Tränen geflossen – Tränen des Leids, aber auch Tränen der Erlösung. Dasselbe dürfte beim Schreiben so manches Beitrags geschehen sein. Ich hoffe, dass dies auch beim Lesen der Beiträge geschieht: dass die Leser*innen das Leid der Betroffenen spüren und sich dementsprechend dafür einsetzen, sie von ihrem Leid, ihrer Angst, ihrem Druck zu erlösen.

Denn eine Sexualmoral, die Druck, Angst und Leid erzeugt, anstatt davor zu schützen, ist keine Moral. Sie mag sich Moral nennen, ist aber zutiefst unmoralisch. Vor allem aber ist sie nicht christlich und insofern auch nicht katholisch. Damit sie wieder christlich und katholisch wird, bedarf sie eines grundlegenden Perspektivwechsels. Eben dazu hoffe ich mit diesem Buch beizutragen.

München, im Herbst 2021Wolfgang F. Rothe

N. N. (geboren um 1990, Erzieher)

Mein Glaube, mein Schwulsein, meine Ängste

Meine Eltern haben mich nach einem Erzengel getauft. Der katholische Glaube ist in meiner Familie sehr präsent. Ich wuchs in einem Dorf mit knapp 350 Seelen im Schwarzwald auf. Fast jeder dort ist katholischer Christ. Von klein auf habe ich mit meiner Mutter regelmäßig am Gottesdienst teilgenommen. Nach meiner Erstkommunion war ich viele Jahre ehrenamtlich in meiner Heimatgemeinde aktiv.

Bereits im Alter von 15 Jahren bemerkte ich, dass ich »anders« bin, dass ich mich emotional und sexuell zu gleichaltrigen Jungen hingezogen fühlte. Für mich begann mit der Erkenntnis, dass ich schwul bin, eine schwere Zeit: War mein Schwulsein vereinbar mit meinem Dasein als gläubiger Christ? Homosexualität wurde in meiner Heimatgemeinde stets als abnorm, krank, sündhaft, böse und als Weg zur Hölle dargestellt. Die meiste Zeit aber sprach man nicht darüber.

Ich hatte Angst, mich gegenüber meiner Familie zu outen. Und so habe ich mein Schwulsein zunächst verheimlicht. Wenn meine Eltern nicht da waren, habe ich mich immer heimlich an den Computer gesetzt, um nachzuschauen, ob sich Schwulsein und Katholischsein irgendwie vereinbaren ließen. Die Antworten, die ich im Internet fand, beruhigten mich nicht, sondern schürten meine Angst eher noch. Natürlich fand ich dort all diese Bibelstellen, in denen Homosexualität angeblich negativ bewertet wird – gepaart mit radikalen Kommentaren.

Infolgedessen habe ich eine so übermächtige Angst entwickelt, dass ich zunächst in tiefe Traurigkeit verfiel, später depressive Gefühle entwickelte und schließlich, kurz vor der Volljährigkeit, ganz knapp vor dem Suizid stand. Dies wirkte sich auf mein gesamtes damaliges Leben aus. Ich schwänzte häufig die Schule, um stattdessen mit Freunden zu feiern. Ich wollte einfach nur vergessen.

Doch mit 20 Jahren beschloss ich, mit mir selbst und meinem Glauben ins Reine zu kommen. Ich machte ein Berufsfindungsjahr und begann zu meditieren. Dadurch erkannte ich plötzlich, dass die Botschaft der Nächstenliebe, die Botschaft, dass kein Mensch das Recht hat, einen anderen zu verurteilen, viel wesentlicher ist als alles andere. Mit 21 Jahren fand ich den Mut, mich gegenüber meiner Familie und meinem Freundeskreis zu outen. Und hatte das Glück, dabei mit offenen Armen empfangen zu werden.

Ich entschied mich dazu, mein Leben der Menschlichkeit zu widmen. Und so habe ich mich zunächst zum Kinderpfleger, dann zum Erzieher ausbilden lassen. Heute bin ich staatlich anerkannter Erzieher und liebe die Arbeit mit den Kindern im Kindergarten. Die Botschaft der Liebe zu Menschen motiviert mich täglich neu für meine Arbeit.

Es gibt allerdings eine große Sorge, die ich mit mir trage. Ich habe gelesen, dass man als Mitarbeiter der katholischen Kirche heutzutage nicht mehr wegen Homosexualität gekündigt werden darf. Etwas anderes ist es allerdings, wenn ich heiraten würde. Dann könnte es nach wie vor Probleme geben.

Aber das Wichtigste ist, dass ich heute weiß, dass ich so von Gott gewollt bin, wie ich bin. Und dass das auch dann gilt, wenn ich eines Tages den Mann des Lebens gefunden haben sollte. Denn was sollte schlecht daran sein, ein Leben lang einem anderen Menschen, egal welchen Geschlechts, Liebe, Treue und Fürsorge zu schenken? Und wenn ich abends im Bett liege und Zweifel in mir aufkommen, dann stelle ich mir Jesus vor, wie er auf meiner Bettkante sitzt, mich mit einem sanften Lächeln ansieht und mir allein durch seinen Blick sagt: »Ich liebe dich – genau so, wie du bist!«

Nico Abrell (geboren 1999; Content Creator auf YouTube, Autor und Singer-Songwriter)

Mein bester Freund hat mich wegen meiner Homosexualität verstoßen

Ich bin in einem kleinen Dorf im Süden Bayerns aufgewachsen und wusste eigentlich schon immer, dass ich anders war als die anderen Einheimischen. Ich konnte nicht wirklich begründen, warum das so war, aber ich fühlte mich nie wirklich zugehörig.

Ich wuchs in dem Glauben auf, dass ein Mann zu einer Frau gehört und umgekehrt, dass man regelmäßig in die Kirche zu gehen und Ministrant zu werden hat. Und ich glaubte das tatsächlich. Ich glaubte, was man mir sagte, und lebte auch so. Ich wurde also Ministrant und redete mir ein, dass ich Anna aus der Parallelklasse ganz toll fand. Aber hätte ich einen Moment lang auf mein Herz gehört, hätte ich gewusst, dass ich Anna eben nicht so toll fand wie Tobias.

Alles verlief so, wie ein normales Hetero-Dorfleben eben verläuft – bis ich über YouTube meinen ersten Freund kennenlernte. Damals realisierte ich zum ersten Mal, dass ich ganz sicher nicht so war, wie man es in meinem Dorf von mir erwartete.

Mein bester Freund war ebenfalls Ministrant und tiefgläubig. Als ich ihm erzählte, dass ich schwul sei und mich in einen Jungen verliebt hätte, brach er die Freundschaft kurzerhand ab; seine Begründung dafür: So sei er nicht erzogen worden. Unsere Freundschaft war sehr eng mit dem Glauben verbunden und so zerbrach mit ihr auch meine Verbindung zur Kirche. Allerdings bin ich der Meinung, dass Glaube und Kirche ohnehin zwei verschiedene Paar Schuhe sind.

Die »frohe Botschaft« von meiner sexuellen Orientierung verbreitete sich damals wie ein Lauffeuer im Dorf, woraufhin mich die Leute zwar nicht mit Worten, sehr wohl aber mit Blicken ihre Verachtung spüren ließen und, wenn ich mich näherte, hinter der nächsten Ecke verschwanden.

Selbst meine Mama reagierte zunächst nicht gerade freudig auf mein Outing. Doch als gefühlt Einzige im gesamten Dorf verstand sie, dass ich mich zu keinem Zeitpunkt verändert hatte. Ich hatte lediglich einen bis dahin verborgenen Teil meines Inneren offenbart und der Außenwelt präsentiert. Dennoch wusste ich, dass ich in meinem Heimatdorf nicht länger willkommen war. Ich zählte die Tage bis zu meinem Schulabschluss und zog dann nach Berlin.

Die Gemeinde an sich war nicht der ausschlaggebende Grund, weshalb ich das Dorfleben hinter mir ließ, denn ich kann behaupten, auf jeden Fall über den verachtenden Blicken gestanden zu haben. Ich wusste jedoch, dass ich dort mit meinen Plänen und Visionen für die Zukunft nicht wirklich hätte glücklich werden können.