Glaskirschenzeit - Maria Meyer - E-Book

Glaskirschenzeit E-Book

Maria Meyer

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Beschreibung

In einer Zeit, als Holzschuhe noch nach Maß gefertigt wurden, als es an fünf Tagen in der Woche Eintopf gab und in der Schule als Erstes der Katechismus abgefragt wurde, kam Maria Meyer in einem 200-Seelen-Dorf in Niedersachsen zur Welt. In »Glaskirschenzeit - Kindheit nach dem Kriege« erzählt sie heitere, nachdenkliche und anrührende Geschichten aus ihrer plattdeutschen Heimat. Geschichten, die davon berichten, was es bedeutete, nach dem Krieg ohne Vater aufzuwachsen. Es geht um die Angst vor dem, was »Im Dunkeln« des Bauernhauses lauert, um gefährliche »Mutproben« mit dem Vieh auf der Weide, aber auch um das, was sich nur in der Natur finden lässt: Das Glück, einem »Froschkonzert« lauschen zu dürfen und der Trost, den eine laue »Juninacht« bringt. All dies in einem Alltag, der von bäuerlicher Arbeit bestimmt ist, in einer Welt, die zu jeder Zeit Gehorsam, Fleiß und Anpassung anmahnt. Eine spannende und historische Erzählung von Wurzeln, Heimat, Neugier, Widerstand, Glaube und Hoffnung.

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INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT

WURZELN

Auf der Suche

Eine Hausgeburt

Warnstedt

Pachthof

Hinterm Haus

Tanten

Nachbarn

Hunde und Katzen

Holzschuhe

Wasser

ALLTAG

Wege

Große Bohnen

Mutproben

Im Dunkeln

Stubenspiele

GLASKIRSCHENZEIT

Gebote

Fastenzeit

Glaskirschen

Die wandelnde Glocke

Die Sonntagsmesse

Das siebte Gebot

Engel

DURCH DAS JAHR

Vorfrühling

Frühlingsboten

Osternester

Sandkastenspiele

Kirschen

Sommerfreuden

Im Kohl

Advent

Das Christkind aus Münster

SCHULE NACH 1945

Erster Schultag

Kaputt

Der Buchstabe M

Prüfungsaufgaben

Einen Aufsatz schreiben

Theater

Ausflug

NATUR PUR

Froschkonzert

Juninacht

Signale

Im Grase

MUSIK ERLEBEN

Das Klavier

Ein Kanon

Tanzen

Florentinische Nächte

MALHEUR

Kein Heidschi Bumbeidschi

Defizite

Waffeln

Auf den Kopf gefallen

Gebrannt

DIE GROSSEN

Puck und Muck

Das Loch im Stuten

Schwimmen lernen

Neugier

DER ROTE FADEN

Die Nachricht

Frieden

Mutter

Muttertag

Pulsfort

Vater

NACHWORT

QUELLEN

VORWORT

Im Frühjahr 1961 kehrten meine Schulfreundin und ich in der einzigen Kneipe unseres 200-Seelen-Dorfes Warnstedt in Südoldenburg ein. Wir fuhren mit dem Wagen auf den staubigen Platz vor »Pint«, traten ein und verlangten vom Wirt zum Erstaunen aller anwesenden Männer ein Glas Sekt. Der Anlass: Ich hatte als erstes Mädchen nach dem Krieg aus unserem Dorf das Abitur geschafft. Dabei war der Weg dorthin für mich bestimmt nicht vorgezeichnet gewesen.

Ich kam als zweite von drei Töchtern des Landwirts Heinrich Rechtien am 18.12.1941 im Haus an der Hemmelter Straße in Warnstedt zur Welt. Als ich zweieinhalb Jahre alt war, wurde mein Vater eingezogen. Er fand sechs Wochen vor Kriegsende in Ungarn durch einen Granatensplitter den Tod. Ich habe keinerlei Erinnerung an meinen Vater. Ich kannte in der frühen Jugend nur das eintönige, freudlose, von Arbeit geprägte Alltagsleben unserer kleinen Familie auf dem Bauernhof. Eine Großmutter, die mich vielleicht einmal auf den Schoß genommen, mir vielleicht sogar Märchen erzählt hätte, gab es nicht. Bücher besaßen wir auch keine und so war das erste Buch, das ich in die Hände bekam, die abgegriffene Fibel meiner Schwester. Ich erinnere mich gut. Da war der Buchstabe »i« aufgedruckt, gleich auf der ersten Seite - darunter die Abbildung eines schreienden Jungen, der den Kopf unter das eiskalte Wasser einer Pumpe steckte.

Das gefiel mir gut und alle Anregungen, die der Hauptlehrer der einklassigen Schule anbot, besonders die biblischen Erzählungen im Religionsunterricht, sog ich fortan begierig auf und versuchte sie in Rollenspielen umzusetzen. Eine Junglehrerin erkannte mein Talent und so durfte ich im vierten Schuljahr das Stück »Kasperle und die Räuber« mit Mitschülerinnen vortragen. Eine Textgrundlage gab es nicht, die Handlung dachten wir uns spontan aus, der Ausgang war immer offen. Der Erfolg unseres kleinen Handpuppen-Theaterspiels war jedoch überwältigend und ich war sehr stolz auf unsere Leistung.

An mein erstes eigenes Buch erinnere ich noch sehr genau. Meine ältere Schwester Irmgard und ich bekamen zu Weihnachten je ein Kinderbuch aus dem Schneider-Verlag geschenkt: »Gisel und Ursel, die beiden Sportmädel«. Der Inhalt hatte mit unserem Alltag nichts zu tun, denn Gisel und Ursel lebten in Hamburg und nahmen an einem Kanuwettbewerb teil. Aber gerade die Distanz zur eigenen Erlebniswelt machte den Reiz aus, es war wie ein Schritt in eine neue abenteuerliche Welt. Von da an las ich alles, was ich in die Hände bekam. Jeden Tag verfolgte ich außerdem heimlich den Fortsetzungsroman in der Zeitung.

Eines Tages entdeckte ich einen großen Fundus: Meine Tante verwahrte unter ihrem Bett einen Karton mit Romanen, den ihr ihre Schwester geschickt hatte. Besonders beeindruckte mich Daniel Defoes »Robinson Crusoe« – wegen der Menschenfresser – und der Roman »Die Mutter« von Pearl S. Buck, in dem es unter anderem auch um eine Abtreibung ging. Ich habe das Buch mehrfach gelesen und nicht verstanden. Aber die freudlose und traurige Grundstimmung kam mir bekannt vor. Fazit und Trost für eine Zehnjährige: Schuldgefühle und Trauer bestimmen auch andere Menschen auf der Welt.

Auf die Empfehlung der Junglehrerin hin, entschloss sich meine Mutter, mich nach der Grundschulzeit auf die Liebfrauenschule in die Stadt Cloppenburg schicken. Dafür war und bin ich ihr ein Leben lang dankbar. Jetzt hatte ich endlich Zugang zur Katholischen Stadtbücherei. Ich erinnere mich besonders an die »Trotzkopf«- und »Pucki«-Bücher sowie an die Nibelungensage. Ich las in der Schule unter der Bank und später am Abend daheim, wenn alle im Bett waren und ich noch »Aufgaben« zu erledigen hatte.

Dazu zählten jahrelang auch Tagebucheinträge. Die Kladde war mein fiktiver Gesprächspartner. Er half mir, das Leben zu strukturieren und unausgesprochenen Empfindungen und Gefühlen Gestalt zu geben. Als ich merkte, dass auch die Tante in meinem Tagebuch las, verfasste ich alles auf Englisch, so gut es eben ging. Als ich dann, Jahre später, zum Studium an der pädagogischen Hochschule in Vechta ging, konnte ich endlich alle Bücher von Pearl S. Buck ausleihen und auch Hermann Hesse gefiel mir sehr.

Nach der Hochschule war der Einstieg in die berufliche Praxis an einer Volksschule in Barßel im hohen Norden eine harte Zäsur – das Schuldkind dort abzuholen, wo es gerade stand, blieb aber mein hochgestecktes Ziel. Dieses Ziel war auch richtungsführend, als ich 1966 meinen langjährigen Jugendfreund heiratete, mit ihm nach Recklinghausen in das Ruhrgebiet zog und dort an einer Hauptschule in einer Bergmannssiedlung unterrichtete. Bald aber galt es, zwischen Berufstätigkeit und der Familie mit zwei Söhnen die Kräfte einzuteilen. Während des zweiten Mutterschaftsurlaubs ergriff mich das Heimweh und die Sehnsucht nach der Natur so fundamental, dass mein Mann und ich uns entschlossen, nach Niedersachen zurückzukehren und in Damme, sechsunddreißig Kilometer von Warnstedt entfernt, zu bauen.

Dort war ich zunächst als Lehrerin tätig, dann als Fachseminarleiterin und zuletzt als Schulleiterin der Grundschule in Neuenkirchen. Die Leseförderung in allen Unterrichtsfächern voranzubringen, war immer einer meiner Schwerpunkte. Nebenbei engagierte ich mich in der Pfarrgemeinde, in Schulelternräten und im Sportverein. Nach meiner Pensionierung schob ich das Leseprojekt »Lesen von Anfang an« an, übernahm die Leitung der Krankenhausbücherei und richtete dazu noch eine Zweigstelle in einem Altenheim ein, weil das Lesen und das Hören von Hörbüchern im Alter ein großer Trost in der Einsamkeit sein kann. Die vielen Aktivitäten forderten schließlich ihren Tribut in einem Burnout im Jahr 2007.

Bücher und Erzählungen aber haben mich mein Leben lang begleitet und ich erinnere mich gern zurück:

»Erzähl mal wieder von früher! Das hast du schon so lange nicht gemacht!«, meinte mal ein Schüler in meiner aktiven Dienstzeit, als ihm beim Üben langweilig war. Und ein anderer, der wissen wollte, wie ich mich zu Karneval verkleidete, riet mir: »Geh doch als Buch. Du liebst doch Bücher über alles!« Ja, das stimmt hundertprozentig. Bücher sind meine Freunde.

Diese Äußerungen haben sich in meinem Kopf festgesetzt und so entstanden nach der Pensionierung meine ersten eigenen Bücher. Aber ich selbst habe das Gefühl, nur an der Oberfläche gekratzt zu haben: Ich musste noch tiefer graben, um einen wirklichen Schlussstrich unter meine Kindheit zu ziehen.

Seitdem schreibe und schreibe ich immer weiter. Mein lieber Mann bekocht mich und ich sitze am PC, denke nach, schaue in den Garten, schreibe auch Gedichte, überarbeite sie, schreibe sie neu auf und eine große innere Ruhe breitet sich in mir aus ...

WURZELN

»Vom Vater hab ich die Statur, des Lebens ernstes Führen ...« (Johann Wolfgang von Goethe)

Das ist ein viel zitierter Spruch. Aber wer bin ich wirklich? Welchen Werdegang hatte ich? Welche Entwicklung habe ich genommen und was hat mich das Leben gelehrt? Besonders die frühe Kindheit.

Diese zentralen Fragen habe ich mir oft im Leben, besonders in Krisenzeiten oder an der Schwelle eines neuen Lebensabschnittes, gestellt, zum Beispiel beim Eintritt ins Berufsleben als Junglehrerin in Barßel oder später bei der Übernahme einer Schulleiterstelle – ausgerechnet in dem Ort, in dem Mutter aufgewachsen war, in Neuenkirchen, Oldenburg. Viele Namen der ansässigen Bauern kannte ich von Mutters Erzählungen, denn sie und Tante Agnes, die bei der Heirat mit Vater und Mutter auf den Pachthof gekommen war, unterhielten sich gerne darüber.

Die Statur – mit über einem Meter achtzig – habe ich auf jeden Fall von Vater geerbt. Auf dem Hochzeitsbild, das in unserem Wohnzimmer hängt, überragt er Mutter um Kopfeslänge. Vater war ein sehr großer, stämmiger, gut aussehender Mann, über zwei Meter groß. Er wurde, so könnte man sagen, seinem Nachnamen Rechtien gerecht – in Kirchenbüchern auch als »Rektien« erfasst, das bedeutet ursprünglich »der Sohn des Aufrechten«.

Mutter war auch nicht klein, aber sie reichte ihm nur bis an die Schultern. Die Briefe, die Vater als Soldat bis zu seinem »Heldentod« (so die Todesnachricht vom März 1945) an Mutter schrieb, drehten sich immer um dieselben Fragen:

»Wie kommt ihr mit Vieh und dem gepachteten Hof zurecht? Wie geht es meinen drei kleinen Kindern?«

Meine ältere Schwester Irmgard war damals fünf, ich dreieinhalb und meine Schwester Hedwig zwei Jahre alt.

Ich habe Mutter oft gefragt, wie sie Vater kennengelernt hat. Darauf wollte sie nie eine Antwort geben, wohl aber auf die Frage, wie die beiden zu dem zwölf Hektar großen Pachthof in Warnstedt, dem 200-Seelen-Dorf im Kreis Cloppenburg in Südoldenburg, gekommen waren. All meine Verwandten stammen nämlich aus Holdorf oder Neuenkirchen, zwei Dörfer, die dreißig Kilometer weiter südlich lagen, was damals noch eine große Distanz war. So bekamen wir als Kinder wegen der ungünstigen Verkehrsverbindungen höchstens zweimal im Jahr Besuch – von Josef, dem Bruder meines Vaters, und seiner Frau, die sich dann vorher durch eine Postkarte angekündigt hatten.

Vater war bis zu seiner Heirat als Gehilfe auf dem elterlichen Hof tätig gewesen. Ich freute mich immer auf den Besuch der Rechtiens, schon allein wegen der Tafel Schokolade, die als Mitbringsel üblich war. Nicht eine ganze Tafel für jede von uns, nein. Eine ganze Tafel Schokolade, die wir durch drei teilen mussten. Das ergab genau zwei Riegel für jedes Mädchen und ein kaputtes Stückchen dazu. Um dieses Stückchen zankten Irmgard und ich oder überließen es »großzügig« Hedwig. Den Kontakt zu meinem Onkel Josef, der meinem Vater sehr ähnlich sah, hielt Mutter ein Leben lang aufrecht. Bei den Besuchen auf seinem Hof staunte ich immer über die neuen landwirtschaftlichen Maschinen, die er gerade angeschafft hatte, oder über die fürstliche Bewirtung.

Wir waren wohl die armen Verwandten, so habe ich das immer empfunden. Mutter konnte bei den Gegenbesuchen, die ich dann als eine Art Kontrolle empfand, weil das Vieh und die Beschaffenheit des Ackers begutachtet wurden, nichts Gleichwertiges dagegensetzen, da sie nur von der Hand in den Mund lebte und ständig um den Erhalt des Pachthofes kämpfen musste. Das einzige Alleinstellungsmerkmal, das sie vorweisen konnte, war mein Besuch der »Höheren Schule«. Niemand aus der Verwandtschaft besuchte damals das Gymnasium. Dann wurde ich für einen Moment aufgewertet und Mutter war stolz auf mich. Aus mir sollte schließlich etwas werden. Ich sollte nicht in der Landwirtschaft bleiben, sondern später studieren. So der Plan.

Mutter war eine geborene Weglage und stammte aus einfachen Verhältnissen, auch aus einer kinderreichen Familie mit fünf Schwestern und drei Brüdern. Sie hatte seit ihrer Schulentlassung mit vierzehn Jahren bei einem größeren Bauern in Neuenkirchen als Magd gearbeitet. Davon erzählte sie gern und die Bäuerin dort war für sie so etwas wie ein Mutterersatz gewesen. Nach sieben Jahren kam auch ihre jüngste Schwester Agnes an den Hof, weil sie zu Hause nicht mehr bleiben konnte. Der ältere Bruder hatte schon geheiratet. Das Verhältnis von Agnes zu ihrem Bruder und der Schwägerin habe ich immer als angespannt empfunden. Sie erschienen aber zu meiner Erstkommunion und schenkten mir ein Handarbeitskörbchen. Daran kann ich mich noch genau erinnern. Das war damals ein ganz tolles Geschenk, obwohl ich mich im dritten und vierten Schuljahr beim Häkeln und Stricken nicht besonders geschickt angestellt hatte, ich war eher verkopft und bei der Handarbeit etwas linkisch. Unsere Handarbeitslehrerin Frau Dobbelmann reagierte im vierten Schuljahr sehr verwundert, als sie erfuhr, dass ich für das Gymnasium angemeldet war.

»Was? Du, Maria? Wenn das man klappt! Du kannst ja nicht mal ne Schere richtig anreichen!«Diesen Satz verbinde ich immer mit Frau Dobbelmann. Ich hatte ihr einmal, als sie mich darum bat, eine Schere mit der Spitze nach vorne angereicht. Mutter meint nur dazu:

Irmgard und Maria Rechtien, Erstkommunion 1950

»Aus Schaden wird man klug.«

Da Vater und Mutter beide abgängige Kinder waren, also kein Anrecht auf ein Erbteil hatten, machten sie sich im Frühjahr 1937 nach der Verlobung auf den Weg, um einen geeigneten Pachthof ausfindig zu machen.

AUF DER SUCHE

Tante Lisbeth, Mutters älteste Schwester, die in Münster bei einem Arzt in Stellung war, unterhielt einen regen brieflichen Austausch mit ihren jüngeren Schwestern, besonders mit Mutter und Tante Agnes und später auch mit uns. Ich habe Tante Lisbeth von klein an als das Oberhaupt der Familie angesehen. Es ist anzunehmen, dass sie bei Mutters Heirat eine wichtige Rolle gespielt hat. Sicher hatte sie Mutter auch nach Einzelheiten über den Pachthof befragt. Mutters Antwort hätte wie folgt lauten können:

Liebe Schwester Elisabeth, Neuenkirchen, den 24. September 1938

Es ist Sonntagnachmittag und da habe ich eine Stunde Zeit, auf Deinen Brief zu antworten, bevor Agnes und ich mit dem Rad zur Andacht fahren. Ja, es ist wahr, dass Hinnerk – ich nenne ihn immer Hinnerk – und ich einen Pachthof gefunden haben. Dafür sind wir unserem Herrgott sehr dankbar.

Verlobung Maria Weglage und Heinrich Rechtien, 1938

Aber Du fragst auch, wie das Ganze abgelaufen ist. In einer Stadt wie Münster wäre das sicher über eine Zeitungsannonce gelaufen. Da muss ich Dir recht geben. Du bist ja jetzt schon 15 Jahre bei Dr. Nünning in Stellung und kannst Dich in das Leben auf dem Lande nicht mehr hineinversetzen.Also, das lief so: Hinnerk und ich sind jetzt im Sommer fast jeden Sonntag nach dem Hochamt und dem Mittagessen mit dem Rad los und haben uns in der Umgebung von Neuenkirchen und Holdorf Höfe angesehen und uns durchgefragt.

Das war für mich eine wunderbare Zeit, frei von der Arbeit. An diesem Tag brauchten wir keine Schweine zu füttern oder zu melken. Das übernahm für mich Agnes und für Hinnerk sein Bruder Job.

Liebe Lisbeth, was ich Dir jetzt schreibe, braucht keiner sonst zu wissen, aber ich habe Hinnerk so noch viel besser kennengelernt. Wir hatten ja so wenig Gelegenheit, allein miteinander zu sprechen. Ich habe Dich vor der Verlobung ja auch gefragt, was Du von Hinnerk hältst. Du hast mir geantwortet, dass ich mein Herz fragen muss und so habe ich ja zu seinem Antrag gesagt. Jetzt weiß ich es, er liebt mich wirklich. Unterwegs war er immer so rücksichtsvoll, interessierte sich für alles, was ich sagte. Wir hatten auch die gleichen Vorstellungen, was den Pachthof betrifft: mindestens zehn Hektar in einer katholischen Gegend. Die Lutherschen lehnt er auch ab. Und so komme ich zum Wichtigsten: In Warnstedt wurden wir fündig. Das liegt in der Nähe von Cloppenburg. Und so ist das abgelaufen:

Wir waren bei einem größeren Hof an der Straße nach Hemmelte eingekehrt. Die Leute heißen Möller und sind sehr gastfreundlich. Wir sollten mit Kaffee trinken und erfuhren, dass der Nachbarhof zu verpachten ist. Den Verpächter Horchers haben wir dann sofort aufgesucht und uns dort vorge – stellt. Zum Pachthof gehören zwölf Hektar und er ist auf fünfzehn Jahre zu verpachten.

Wir müssen wohl einen guten Eindruck auf Borchers gemacht haben, denn sie wollten den Hof sofort an uns abgeben. Ich glaube, das lag auch viel an Hinnerk, wie er aufgetreten ist. Er ist ja so ein stattlicher großer Mann (und sieht auch noch gut aus). Hinnerk hat ruhig und sachlich über unsere Tätigkeiten und Erfahrungen in der Landwirtschaft gesprochen und Borchers sicher davon überzeugt, dass er einen Hof führen kann. Ich glaube, ich habe auch einen guten Eindruck hinterlassen, in dem geblümten, hellblauen Sommerkleid, das Du mir zum Geburtstag geschenkt hast und das immerhin aus Münster kommt. Die Frau hat sich für meine Tätigkeit bei Eschers in Neuenkirchen auf dem Hof in – teressiert. irgendwie hatte sie auch Beziehungen dorthin. Sie war mir persönlich nicht so sympathisch, aber mit ihr muss ich ja auch nicht zusammenleben. Hinnerk hat um zwei Wochen Bedenkzeit gebeten. Das fand ich anständig, denn wir beide mussten uns ja auch noch besprechen, obwohl der Au genkontakt dafür gesprochen hat, diese Herausforderung anzunehmen.

So, jetzt muss ich aber Schluss machen. Ich schreibe dir wieder, sobald ich mehr weiß. Agnes wartet schon. Sei herzlich gegrüßt von Deiner Schwester Maria.

EINE HAUSGEBURT

Das Leben nahm seinen Lauf.

Meine Eltern heirateten am 19. April 1939 (einen Tag vor Hitlers Geburtstag), bekamen auf dem Standesamt Hitlers »Mein Kampf« übereicht, ein Pamphlet, das nie jemand gelesen hat. Es wurde 1945 verbrannt, so erzählte Mutter, und dabei wurde sie immer ganz wütend, was ich sonst nicht von ihr kannte. Mit dem Buch verband sie wohl alles, was Hitler ihr genommen hatte. Sie sagte einmal zu mir, als ich sie später befragte: »Das >dumme< Buch hätten wir sofort verbrennen sollen, aber wir wussten ja nie, ob wir es noch mal irgendwann vorzeigen mussten. Es lag immer versteckt im Kleiderschrank unten. In der Hitlerzeit konnte man einigen im Dorf auch nicht trauen. Nein, nicht direkt in unserer Nachbarschaft, aber Spione gab es überall ...«

Möllers, die sie zuerst kennengelernt hatte, genossen ihr absolutes Vertrauen. Möllers Mutter bin ich heute noch dankbar, denn sie rettete mir bei einer Hausgeburt, im Kriegswinter 1941, als keine Hebamme kommen konnte (wir hatten noch kein Telefon), das Leben. Vater und Tante Agnes – damals erst neunzehn Jahre alt – waren völlig überfordert, als ich in einer kalten Nacht im Dezember kurz vor Weihnachten vorzeitig auf die Welt wollte. Ich hätte kräftig geschrien, sieben Pfund gewogen und sei voll entwickelt gewesen, obwohl ich einen Monat zu früh kam, so wurde mir an jedem Geburtstag danach berichtet. Wahrscheinlich hatten meine Eltern sich mit dem Geburtstermin verrechnet. Frauenärzte und gynäkologische Untersuchungen gab es ja nicht. Mutter hatte nur einmal mit der zuständigen Hebamme Kontakt aufgenommen.

»Wenn ich heute daran denke, muss ich doch sagen, dass wir sehr unvorsichtig waren, Hinnerk und ich. Wir waren mit dem Rad nach Cloppenburg, um für Agnes ein neues Rad zu kaufen [aha, dann lief der Hof doch ganz gut, so mein innerer Kommentar]. Auf dem Rückweg fiel mir das Treten immer schwerer. Ich musste das Rad schieben. Hinnerk hatte ja die zwei Räder, eins, auf dem er fuhr, und das neue, das er mit der rechten Hand mitlaufen ließ. Er war sehr besorgt, weil es schon anfing, dunkel zu werden. Schließlich meinte er, als wir bei Tellmanns angekommen waren (ein Hof, circa dreihundert Meter von unserem Haus entfernt): >Ich fahr schon mal vor, dann kann ich schon mit dem Füttern und Melken anfangen.< Und er stieg auf und fuhr weiter. Ja, Maria, so wärst du bald auf der Straße zur Welt gekommen, denn das Fruchtwasser war mir schon abgegangen. Dass es dann so schnell weiterging, damit hatte ich nicht gerechnet. Irmgard ist ja in Cloppenburg im Krankenhaus zur Welt gekommen und da hat die Geburt drei Stunden gedauert. Du hast das in einer Stunde geschafft.«

Hochzeit, 19. April 1939. Trauzeugen Schwester Agnes Weglage und Neffe Josef Rechtien

Die äußeren Umstände waren damals etwas chaotisch. Man hatte gerade ein Schwein geschlachtet, die Wäsche wurde nicht trocken, weil es gefroren hatte, und der Hof war wegen des Strohschleppens nicht gefegt worden. Mutter, die sehr ordnungsliebend war, erzählte immer, dass sie sich wegen des Chaos sehr geschämt habe, als die Hebamme endlich am zweiten Tag nach der Geburt eintraf. Von der Freude über meine Geburt war nicht die Rede. Vater und Mutter hatten auf einen Hoferben gehofft. Ich bekam der Einfachheit halber den Vornamen der Taufpatin – Maria. Das war auch der Vorname meiner Mutter, sodass ich mein Leben lang Identitätsprobleme hatte. Wer war gemeint, wenn die Tante »Maria« rief? Mutter oder ich? Mit »Tante« war aber nicht Tante Agnes gemeint, die später noch einen Nachbarn heiratete, sondern Mutters ältere Schwester Sefa, die im Krieg zu uns kam und in meinem Leben eine nicht unbedeutende Rolle spielen sollte.

Etwas voreilig aber blieb ich mein Leben lang, aber auch schnell im Denken und Handelm

»Sind nun die Elemente nicht aus dem Komplex zu trennen, was ist dann an dem ganzen Wicht original zu nennen?« (Johann Wolfgang von Goethe)

WARNSTEDT

An jedem Geburtstag ruft mich ein ehemaliger Spielkamerad, der schon lange in Bremen wohnt, an und singt mir den Refrain des Warnstedter-Liedes vor: »In Warnstedter Erde will ich begraben sein«. Dann singe ich natürlich mit. Was uns beide immer noch verbindet, ist die Liebe zur Heimat mit all den schönen Kindheitserinnerungen.

Der Ort Warnstedt, in dem unser Pachthof lag und auf dem ich bis zum dreizehnten Lebensjahr aufwuchs, ist für mich der Inbegriff von Heimat geblieben, obwohl ich jetzt schon seit über fünfzig Jahren in Damme in Südoldenburg lebe. Ich habe immer noch die vielen Bilder von all den Häusern und Äckern, Winkeln und Ecken dieses kleinen Ortes im Gedächtnis und rufe diese gerne ab, wenn ich nicht einschlafen kann. Auch die Personen, die dazugehörten, habe ich noch vor Augen. Das Wissen über die historischen und geologischen Grundlagen meines Heimatorts habe ich mir erst im Alter angeeignet. Wenn ich als Lehrerin einen Text für ein Heimatkundliches Handbuch entwerfen sollte, würde ich Folgendes schreiben:

»Warnstedt liegt im Südwesten Niedersachsens, ungefähr in der Mitte der Fluglinie zwischen den Städten Osnabrück und Oldenburg. Die ganze Region nennt man auch das >Oldenburger Münsterland<; sie war vor dem Krieg schon eine Enklave des Katholizismus und ist es danach auch geblieben. Wenn man sich die Eigentümlichkeit der Menschen erschließen will – wie diese direkt nach dem Krieg lebten –, trifft man auf einen besonders starken Einfluss der katholischen Geistlichkeit, eine ausgeprägte katholische Vereinsstruktur und eine dominierende katholische Zentrumspartei. Das ist zum Teil heute noch so, wenn man den >Ureinwohnern< auf einem Dorffest begegnet.

Vor dem Krieg aber versuchten die Nationalsozialisten mit allen Mitteln, besonders mit dem sogenannten Kreuzerlass, Einfluss auf das gesellschaftliche Leben in Südoldenburg zu nehmen. Alle religiösen Symbole, Bilder und Statuen sollten aus der Öffentlichkeit verschwinden, auch das Kreuz aus der Schule. Die Bevölkerung war darüber sehr aufgebracht, und so kam es zu einer offenen Revolte gegen die Nazis, dem >Kreuzkampf<. Getragen von einer zutiefst ausgeprägten katholischen Mentalität gingen die Menschen gegen einen Staat vor, der sich anmaßte, das Recht auf politische und religiöse Selbstbestimmung zu beschränken. Gauleiter Röver musste 1936 bei einer Kundgebung in Cloppenburg darum vor Tausenden von aufgebrachten Menschen den Kreuzerlass zurücknehmen. Auch Zentrumsmitglieder aus Warnstedt waren dabei.

Die Kreisstadt Cloppenburg, der Austragungsort dieses Aufbäumens gegen den Nationalsozialismus, liegt neun Kilometer von Warnstedt entfernt und war damals auch noch über die Bahnstation Hemmelte zu erreichen. Der Ort gehörte und gehört noch zur Gemeinde Cappeln und bildet mit dem Nachbarort Elsten eine Kirchengemeinde. In Elsten steht auch die Pfarrkirche, die damals von den Warnstedtern je nach Lage des Hofes zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit der Kutsche erreicht werden konnte.

Zu Beginn des Krieges gab es im Dorf mit den fünfunddreißig Haushalten auch einige Handwerker wie einen Maler, einen Schmied, einen Holzschuhmacher, einen Stellmacher, einen Schlachter und einen Schreiner, dazu zwei Müller und einen Bäcker. Alle landwirtschaftlichen Betriebe waren weitestgehend Selbstversorger, selbst der Lehrer hielt sich ein Schwein zum Schlachten.

Das Alltagsleben im Dorf war vom Frühjahr bis zum Herbst von harter Arbeit geprägt, in diese waren die Kinder fest eingebunden. Vor allem die Nachbarschaft, die Kirchengemeinde und das Vereinsleben (Jäger, Feuerwehr, Gesangsverein und später Schützenverein) hielten das Dorf zusammen. Arme und Reiche hatten nach dem Krieg dieselben Probleme: Verlust von Angehörigen durch den Krieg, vernachlässigte Ackerflächen und Mangel an Dünge- und Pflanzenschutzmitteln.

Neben Schule und Kirche war auch noch die Poststelle von Bedeutung, die sich am Bahnhof in Hemmelte befand. Zeitung und Briefe brachte der Postbote immer persönlich ins Haus, denn die Türen auf den Höfen waren nie zugesperrt oder abgeschlossen. Das änderte sich erst, als am Ende des Krieges viele Städter die an der Bahnlinie gelegenen Ortschaften überschwemmten, um wertvolle Haushaltsgegenstände gegen Lebensmittel einzutauschen.

Nur die großen Bauern hatten ein Telefon. Bei wichtigen Anlässen wie Hochzeiten oder Todesfällen wurden Boten, die sogenannten Hochzeitsbitter oder Totensager, ausgeschickt. Diese Aufgabe fiel den unmittelbaren Nachbarn zu. Dabei mussten oft viele Kilometer mit dem Fahrrad zurückgelegt werden.«

Wir Kinder legten alle Wege immer zu Fuß zurück, weil unsere Familie keine Kutsche besaß und später auch nur zwei Fahrräder zur Verfügung standen: ein Melkrad, an das die Milchkannen gehängt wurden, und ein weiteres Fahrrad für alle anderen Angelegenheiten. Meine Schwester und ich benutzten es manchmal, um zur Kirche zu fahren. Irmgard fuhr dabei einhundert Meter, dann legte sie das Rad nieder und ging zu Fuß weiter. Ich kam zu Fuß nach, nahm das Rad auf und fuhr los. So hatte jede wenigstens die Hälfte des Weges mit dem Rad zurückgelegt. Die genaue Distanz von einhundert Metern konnten wir an den Wegsteinen am Straßenrand ablesen, so gab es keinen Streit.

Dieser Weg führte immer über die alte Dorfstraße, die durch die Eschrandlage bestimmt ist. Dort lagen und liegen auch heute noch drei größere Bauernhöfe. Einen Ortskern gab es in Warnstedt nicht, nur ein kleines Zentrum mit der Volksschule, die ich vier Jahre lang besuchte, einem Schmied und einem Müller, der auch noch die einzige Gaststätte und den Dorfladen führte. Der Fußweg zur Schule dauerte für uns Kinder fünfzehn Minuten, aber meistens trödelten wir, besonders auf dem Rückweg.

Die Arbeit auf dem Feld war für Tante Agnes und Mutter sehr hart, weil noch viele Hackfrüchte (Runkelrüben, Kohl und Kartoffeln) als Futtergrundlage für das gesamte Vieh angebaut wurden. Das war sehr arbeitsintensiv. Irmgard und ich machten abends gern Blödsinn – in der Küche, wenn Tante Agnes und Mutter wieder auf dem Feld waren, in der Annahme, dass wir längst friedlich schliefen.

Während des Krieges wurde uns ein französischer Kriegsgefangener namens Abel zugeteilt, an den ich mich noch schwach erinnere. Er war sehr freundlich und unterstützte Mutter und Tante Agnes so gut er konnte, obwohl er von der Arbeit in der Landwirtschaft keine Ahnung hatte. Mutter erzählte später oft die Geschichte von der Front, als die englischen Soldaten auf unseren Hof kamen, Abel sich zwei Tage versteckt hielt, aus Angst, doch noch von den Deutschen erschossen zu werden.

Nach Kriegsende, als definitiv feststand, dass Vater nicht zurückkehren würde, hatten wir nacheinander drei verschiedene landwirtschaftliche Gehilfen, die dann die schwere Arbeit mit den Pferden übernahmen. Den Lohn musste Mutter von der knappen Witwenrente abzweigen. Der erste Gehilfe, Ferdi, kam nach Kriegsende aus Mutters Heimatort. Wir Kinder liebten ihn über alles, wir kletterten auf seinen Schoß, er spielte mit uns und wir verfolgten ihn bis in seine Schlafkammer, was uns – für uns unverständlich – dann aber verboten wurde. Aber das war eine glückliche, ausgefüllte Zeit. Wir sahen in Ferdi eben einen Vaterersatz. Er blieb jedoch nicht lange, warum auch immer.

Wir Kinder, das heißt Irmgard und ich, wurden früh zu kleinen Arbeiten herangezogen. Das Heuen auf den Wiesen vor dem Moor sowie die Getreideernte mit dem Garbenbinden und Hockensetzen (vorwiegend Roggen, Hafer und etwas Weizen) verlangten besonders Mutter und Tante Agnes viel ab. Wir wurden dann zum Nachharken von Heu und Stroh eingesetzt. »Das ist Kinderarbeit!«, hieß es immer. Im Sommer hechelten wir ganz schön, wenn wir zu zweit den schweren breiten Rechen über die abgemähte Fläche ziehen mussten und jeder Schritt mühevoll war. Darüber beschwerten wir uns aber nicht.

Erwähnt werden muss noch die Inflation nach dem Krieg und die Währungsreform von 1948. Wir durften die neuen Geldscheine in die Hand nehmen und befühlen, konnten diese Zäsur aber natürlich in keiner Beziehung würdigen.

Wenn ich jetzt im Alter auf diese Zeit zurückblicke, kommt sie für mich friedlich und ohne große Probleme daher, die Vorschulzeit, als ich noch keinen Kontakt zur Außenwelt hatte. Ich fühlte ich mich in dem kleinen dörflichen Kosmos gut aufgehoben. Ich kannte seine Grenzen und suchte mir intuitiv meine Inseln zum Abgrenzen und Entspannen.

PACHTHOF

Dass wir nicht viel Eigenes besaßen beziehungsweise Vater bei Übernahme des Pachthofes auf die Mitgift seines Bruders angewiesen gewesen war, stieß mir immer auf, wenn ich an den beiden Ackerwagen, die im Schuppen standen, den Namen meines Onkels las. Hatte der Onkel uns die Wagen nur geliehen? Es gab auf diese Frage keine Antwort. Und überhaupt: Von welchem Geld waren die ersten Tiere und die wenigen Möbel im Haus bezahlt worden?

Zum Pachthof gehörten circa zwölf Hektar – was etwa einer Fläche von zwölf Fußballfeldern entspricht –, die zum Überleben reichen mussten. Der Boden war nicht besonders ertragreich, weil er dem Moor vorgelagert war. Dorthin gingen wir als Kinder gern, um dann aus der Ferne auf den Hof zurückzublicken und festzustellen: »Die zusammenhängenden Ackerflächen und die große Viehweide, das alles gehört zu uns!«

Schöne Eichenbestände und eine breit angelegte Einfahrt mit weiß getünchten Felssteinen verliehen dem Hof ein schmuckes Aussehen, was die »Tommys« bei der Front im April 1945 wohl dazu verleitete, bei uns Station zu machen.

Im Garten und am Haus gab es zahlreiche Apfel- Birnen und Pflaumenbäume – und einen Kirschbaum auf der Weide. Der Hühnerstall, der Torfstall und der Wagenschuppen waren dem Schweinestall vorgelagert, mit der Rückseite zur Straße. Eine Scheune gab es nicht. Aber das Hofgelände bot reichlich Möglichkeiten zum Verstecken, sodass in der Grundschulzeit oft viele Kinder zu uns zum Spielen kamen.

Die Getreidegarben wurden in großen runden Haufen aufgeschichtet und im Herbst und Winter von einem Lohnunternehmen mit einer Dreschmaschine ausgedroschen. Das war ja auch noch am Tag vor meiner Geburt passiert, der ganze Hof