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Die fiesesten Tricks der mentalen Verführer – und wie Sie sich dagegen wehren können. Hatten Sie nicht auch schon das Gefühl, bei einer Diskussion rhetorisch über den Tisch gezogen zu werden? Dass man Ihnen einen kolossalen Bären aufgebunden hat? Dabei sind Sie sich absolut sicher, dass Ihr Gegenüber unrecht hat – nur können Sie es nicht beweisen? Dann sollten Sie dieses Buch lesen. Der Philosoph und Rhetorik-Experte Stephen Law entlarvt acht Strategien, die uns immer wieder in die Irre führen sollen. Sie reichen von der ‹Schrotflinte› über das ‹Verschieben der semantischen Torpfosten› und dem ‹Anhäufen von Anekdoten› bis hin zum Killerargument ‹Nuklearer Erstschlag›. Auf erfrischende und immer wieder auch witzige Weise kann Law uns zeigen, wie dabei logisch getrickst wird – und was wir dagegen unternehmen können. Dieses Buch hilft besonders bei Auseinandersetzungen mit mentalen Verführern wie populistischen Politikern, religiösen Fundamentalisten, Ufo-Sichtern oder Weltverschwörungstheoretikern!
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Seitenzahl: 384
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Law
Glauben Sie nicht jeden Bullshit
Verlag Hans Huber
Sachbuch
Stephen Law
Glauben Sie nicht jeden Bullshit
Wie Sie mentale Verführer durchschauen
Aus dem Englischen von Adrian Stokar
Programmleitung: Tino Heeg
Herstellung/Gestaltung: Daniel Berger
Korrektorat: Kerstin Doberstein, Thun
Umschlaggestaltung: Anzinger Wüschner Rasp, München
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Die englischsprachige Originalausgabe erschien 2011 unter dem Titel Believing Bullshit bei Prometheus Books.
1. Auflage 2012
© 2012 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-456-95155-3)
(E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-456-75155-9)
ISBN 978-3-456-85155-6
eBook-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheimwww.brocom.de
Inhalt
Dank
Einleitung
1. Ausspielen der Mysterienkarte
2. «Aber es passt!» und die Donnerbüchse
3. Atomarer Erstschlag
4. Versetzen der semantischen Torpfosten
5. «Ich weiß es einfach!»
6. Pseudotiefgründigkeit
7. Anekdotensammlung
8. Den Schalter umlegen
Schlussfolgerungen
Die Tapescrew-Briefe
Sachwortverzeichnis
Dank
Mein Dank geht an Luke Tracey, Jim Hamlyn, Jon und Adele Wainwright, Tom Pilling, Taryn Storey, Bill Law, Tim Mawson, Jon Cohen, John Sandford O’Neill und Mick O’Neill. Danke auch an alle, die frühere Entwürfe auf meinem Blog stephanlaw.org kommentiert haben.
Einleitung
Schwarze Löcher des Geistes
Selbst in hochgebildeten und wissenschaftlich belesenen Völkern sind alberne Glaubenssysteme weit verbreitet. Eine große Anzahl Menschen schenkt Dingen wie der Astrologie, den Wunderkräften von Fernseh-Hellsehern, der heilenden Wirkung von Magneten und den Prophezeiungen des Nostradamus Vertrauen. Viele Leute glauben, dass die Pyramiden von Außerirdischen errichtet wurden oder dass es den Holocaust nicht gegeben hat oder dass das World Trade Center von der US-Regierung zum Einsturz gebracht wurde. Einige wollen uns gar weismachen, die Welt werde von einem Geheimbund echsenartiger Fremdlinge beherrscht. Selbst die großen Weltreligionen lassen Menschen an die absurdesten Theorien glauben. Hassprediger haben Selbstmordattentätern 72 himmlische Jungfrauen verheißen. Andere bestehen darauf, dass das ganze Universum nur ein paar tausend Jahre alt sei.
Weshalb werden selbst intelligente, akademisch gebildete Leute zu Erfüllungsgehilfen solchen Humbugs? Und: Wie schaffen es echte Gläubige, sich selbst und andere davon zu überzeugen, dass sie selbst vernünftig sind und alle anderen irregeführt werden?
In diesem Buch werden acht Schlüsselmechanismen präsentiert, die ein Set von Ideen in eine psychologische Fliegenfalle verwandeln – gleichsam in eine Luftblase von Anschauungen, in die man leicht gelockt wird und aus der man umso schwerer wieder herausfindet.
Wenn astronomische Körper mit einer solch starken Anziehungskraft ausgestattet sind, dass selbst Licht angezogen wird, sprechen Kosmologen von Schwarzen Löchern. Unachtsame Weltraum-Reisende, die zu nahe an Schwarzen Löchern vorbeifliegen, werden von diesen unweigerlich aufgesogen, verschlungen. Ein immer stärkerer Motor wäre nötig, um diesem Sog zu widerstehen und am «Ereignishorizont» vorbeizufliegen.
Meine These lautet, dass unsere gegenwärtige kulturelle Umgebung zahlreiche Schwarze Löcher, die unser Denken aufsaugen, enthält; diese Glaubenssysteme sind so beschaffen, dass unvorsichtige Passanten von ihnen verschlungen werden. Wem es an intellektueller Robustheit oder psychischen Abwehrkräften fehlt, der mag besonders leicht in den Bann geschlagen werden – aber auch alle anderen sind gefährdet. Seien Sie auf der Hut, wenn Sie einem Glaubenssystem begegnen, in dem einer oder mehrere der von mir in diesem Buch beschriebenen Mechanismen eine zentrale Rolle spielt beziehungsweise spielen. Die Alarmglocken sollten läuten und die Warnlichter blinken, denn vielleicht nähern Sie sich gerade einem Schwarzen Loch des Geistes.
Scheinplausibilität
Nur weil ein verheißungsvolles Glaubenssystem vorliegt, braucht es sich noch lange nicht um ein Schwarzes Loch zu handeln. Nehmen Sie beispielsweise jenen Lehrsatz, der besagt, dass Wasser bei 0 Grad Celsius gefriert und bei 100 Grad kocht. Die Leute stützen sich derart stark auf diese Theorie ab, weil sie wirklich vernünftig und nachvollziehbar ist. Im Gegensatz dazu liegt die Verführungskraft der Ideen, die einem Schwarzen Loch zugrunde liegen, nicht darin, ob jene Ideen vernünftig oder wahr sind. Für jene, die in die Falle getappt sind, mag der Kerngedanke ziemlich sinnvoll erscheinen, aber der Schein trügt. Er entsteht, weil das Glaubenssystem fähig ist, die entlarvende Kraft der Vernunft auszuschalten und seine Opfer stattdessen für Denkvorgänge zu begeistern, die in die Irre führen und unglaubwürdig sind.
Ziel dieses Buches
Mit diesem Buch will ich die Leserinnen und Leser darin unterstützen, sich gegen Taschenspielertricks von Verschwörungstheoretikern, Sektierern, politischen Eiferern, religiösen Spinnern und Fürsprechern wirkungsloser Alternativmedizin zu immunisieren. Es werden die wichtigsten Täuschungsstrategien aufgezeigt, die diese in sich abgedichteten Glaubensblasen bergen. Noch um das lächerlichste Lehrgebäude werden unbezwingbare Bollwerke errichtet, die es ihm ermöglichen, resistent gegen rationale Kritik zu werden und den Anschein von Plausibilität zu wahren.
Die meisten von uns werden einmal das frustrierende Erlebnis gehabt haben, mit einem unverdrossenen Anhänger einer dieser aberwitzigen Theorien ein vernünftiges Gespräch geführt zu haben. Und so sind wir alle schon einzelnen Strategien begegnet, die hier genauer beleuchtet und erklärt werden. Ich nenne sie folgendermaßen:
1. Ausspielen der Mysterienkarte
2. «Aber es passt!» und die Donnerbüchse
3. Atomarer Erstschlag
4. Versetzen der semantischen Torpfosten
5. «Ich weiß es einfach!»
6. Pseudotiefgründigkeit
7. Anekdotensammlung
8. Den Schalter umlegen
Für jeden dieser Mechanismen lege ich erstens die Strategie im Detail dar, erkläre zweitens, was falsch daran ist, und liefere drittens Beispiele für ihre Anwendung.
Die Gefahren Schwarzer Löcher
Wieso soll man über Schwarze Löcher des Geistes beunruhigt sein? Was spielt es für eine Rolle, wenn ein paar Leute abstruse Dinge glauben?
Zweifelsohne existieren Schwarze Löcher, die keinen größeren Schaden anrichten. Aber es gibt auch welche, die heimtückischer und gefährlicher sind. Und dann gibt es Fälle, in denen das herbeigeführte Unheil überdeutlich wird. Extreme Kulte – wie beispielsweise jener des Sektenführers Jim Jones, dessen Glaubensgemeinschaft mit einem Massenselbstmord im guyanischen Dschungel ein Ende gesetzt wurde – stellen eine erhebliche Bedrohung dar. Sind wir erst einmal in einem solchen Glaubensgebäude gefangen, werden wir anfällig für das durchtriebene Spiel jener, die dieses System kontrollieren. Willfährige Opfer sind schon dazu verleitet worden, terroristische Anschläge zu verüben.
Daneben lauern jedoch auch weniger dramatische, aber gleichwohl nicht zu unterschätzende Gefahren. Jedes Jahr werden Millionen von Euros für alternative Arzneimittel ausgegeben, die in den meisten Fällen nichts nützen. Nicht nur helfen sie kaum, nein, die Leute, die sich auf sie verlassen, setzen sich einem erhöhten Risiko aus. Patienten können sterben, weil sie lieber einer homöopathischen Behandlung vertrauen, als dass sie sich durch konventionelle Maßnahmen vor – beispielsweise – Malaria schützen. Der Glaube an die Wirksamkeit homöopathischer Mittel gegen Malaria ist unerschütterlich, dabei konnte bisher nicht bewiesen werden, dass Homöopathie überhaupt einen positiven medizinischen Effekt hat. Weshalb glauben die Menschen dennoch, dass sie heilend wirkt? Dies hängt weitgehend mit den in diesem Buch erläuterten Mechanismen zusammen, die jemanden dazu verleiten, an die jeweilige Theorie zu glauben – bezüglich der Alternativmedizin wären hier vor allem die Mechanismen Anekdotensammlung und Ausspielen der Mysterienkarte zu erwähnen. So wie Homöopathie zumindest von einigen ihrer Praktiker gefördert und verteidigt wird, ist sie ein vernunftverschlingendes Schwarzes Loch.
Jedes Jahr werden halbe Vermögen für Astrologen, Hellseher und andere selbst ernannte Wunderheiler ausgegeben. Verzweifelte Menschen, die ihre Liebsten verloren haben, verschwenden sowohl Geld als auch emotionale Energie darauf, haltlose Beweise über deren Verbleib aufzuspüren. Viele dieser Leute haben sich von der Plausibilität des Glaubens an Hellseher und spirituelle Medien überzeugen lassen, wie sie in diesem Buch beschrieben werden.
Schwarze Löcher können Menschen finanziell übervorteilen. Und tatsächlich: Schwarze Löcher sind Big Business. Aber die Betrogenen werden noch auf andere Weise geschädigt.
Schwarze Löcher können Leute dazu anstiften, ihr Leben wegzuwerfen. In manchen Fällen werden treue Gläubige dazu verführt, Freunde und Familie zu verlassen und ihre Möglichkeiten leichtfertig zu verspielen, und das alles einem Glaubenssystem zuliebe, das einen zwar hypnotisch anzieht, das aber einen betrügerischen Hintergrund hat.
Gleitende Skala
Wir müssen uns bewusst sein, dass Schwarze Löcher am unteren Ende einer gleitenden Skala liegen. Tatsächlich greifen fast alle von uns bis zu einem gewissen Grad auf diese acht Strategien zurück, vor allem, wenn gewisse für uns wichtige Überzeugungen von rationalen Bedenken bedroht werden. Und unter bestimmten Umständen, auf die ich noch zu sprechen komme, ist es auch nicht falsch, sich in zurückhaltender Weise solcher Strategien zu bedienen. Was jedoch ein Glaubenssystem zu einem gefährlichen Schwarzen Loch werden lässt, ist das Ausmaß, wie diese Mechanismen eingesetzt werden, um mit den intellektuellen Bedrohungen und der erzeugten Scheinvernünftigkeit umzugehen. Je mehr wir uns auf diese Art Strategien verlassen, die unsere Meinungen unterstützen und verteidigen, desto mehr wird unser Glaubenssystem «schwarzlöchriger», bis wir es schließlich mit einem richtigen Schwarzen Loch zu tun haben.
Über Religion
In diesem Buch werden verschiedene religiöse Strömungen beschrieben, die wie Schwarze Löcher funktionieren, unter anderem sind das der Junge-Erde-Kreationismus1 (Young Earth Creationism) und die Christliche Wissenschaft (Christian Science). Freilich möchte ich betonen, dass weder sämtliche religiösen Glaubenssysteme per se Schwarze Löcher des Geistes sind, noch dass jeder Gläubige Opfer solcher Löcher sein muss.
Zwar zeige ich auf, dass selbst die religiösen Hauptströmungen mit diesen Strategien für sich werben und sich gegen rationale Einwände abschirmen, doch bedeutet dies nicht, dass die in Frage gestellten Überzeugungen an sich falsch sind oder dass sie sich nicht redlich und solide verteidigen lassen. Wenn ein paar religiöse Menschen ihren Glauben mit dubiosen Mitteln zu schützen versuchen, muss das nicht heißen, es könne niemand mit vernünftigen Gründen Anhänger desselben Glaubens sein.
Über Bullshit
Um jedem Missverständnis vorzubeugen: Wenn ich Schwarze Löcher des Geistes Bullshit-Überzeugungen nenne, ist damit nicht deren Inhalt gemeint, sondern die Art und Weise, wie die Kernüberzeugungen beworben und verteidigt werden.
Gemäß dem Philosophen Harry G. Frankfurt, dessen Essay Bullshit zu einem kleinen philosophischen Klassiker geworden ist, impliziert Bullshit eine gewisse Sorte von Täuschung. Ein Bullshitter, sagt Frankfurt, ist nicht das Gleiche wie ein Lügner. Der Bullshitter schwindelt nicht vorsätzlich. Er behauptet nicht etwas, von dem er weiß, dass es falsch ist. Vielmehr vertritt er gewisse Ansichten, um seine Mission zu erfüllen – und sich irgendwie durchzuwursteln –, ohne darauf zu achten, ob das, was er sagt, auch wahr ist.2
Ich bin mit Frankfurts Analyse von Bullshit nicht ganz einverstanden. Seine Definition scheint mir mindestens in einer Hinsicht zu kurz zu greifen. Man bezeichnet zuweilen den letzten Selbsthilfe-Tick oder auch Astrologie, Feng Shui und Christliche Wissenschaft als bullshit und die praktizierenden Gläubigen als bullshit artists, obwohl man weiß, dass jene, die sich für solche Dinge engagieren, dies mit aller Ernsthaftigkeit tun. Sie glauben nicht nur, was sie sagen, sie wollen auch, dass das, was sie sagen, wahr ist.
Was die Anhänger von Astrologie, Feng Shui oder Christlicher Wissenschaft auszeichnet, ist die Art Vernünftigkeit, die sie vorzuspiegeln vermögen, der pseudowissenschaftliche Glanz, den sie ihren Grundüberzeugungen verleihen können. Sie kreieren die Illusion, dass das, was sie glauben, vernünftig ist, ohne zu merken, dass sie einer Täuschung aufsitzen. Meist bringen sie es nicht nur fertig, andere zum Narren zu halten, sondern auch sich selbst.
Über Dummheit
Opfer Schwarzer Löcher sind weder geistig beschränkt noch dumm. Das Raffinement mancher Strategien, die hier vorgestellt werden, zeigt, dass jene, die sich ihrer bedienen, oft ausgesprochen klug sind. Noch müssen jene, die von Schwarzen Löchern magnetisch angezogen werden, generell leichtgläubig sein. Die Betroffenen können in anderen Lebensbereichen ein Ausbund von Bedachtsamkeit sein, sich den hohen Ansprüchen der jeweils genauesten Überprüfung unterwerfen, gewissenhaft Beweise abwägen und sich ihre Überzeugungen nach soliden, rationalen Standards zurecht legen. Sie sind in der Lage, ihre Strategien der Situation anzupassen.
Wenn Sie sich nach der Lektüre dieses Buches selbst verdächtigen, von einem Schwarzen Loch verschlungen worden zu sein, gibt es keinen Grund, sich als Depp zu fühlen. Leute, die viel gescheiter sind als Sie und ich, sind schon Opfer geworden.
Anhang A zur Einleitung
Weshalb glauben wir an das, was wir tun?
Dieses Buch versucht nicht, eine übergreifende Theorie zu entwerfen, wie und weshalb wir von einem bestimmten Glaubenssystem angezogen werden oder was uns dazu verleitet, die beschriebenen Mechanismen zu benutzen.
Warum zum Beispiel ist der Glaube an übernatürliche Wesen – seien das Geister, Engel, verstorbene Ahnen und Götter – so weit verbreitet? Der Glaube an solche übersinnlichen Kräfte scheint ein beinahe weltweit vorkommendes Merkmal menschlicher Gesellschaften zu sein. Es gibt Hinweise darauf, dass eine Veranlagung zu solchem Glauben Teil unseres natürlichen, evolutionären Erbes sein könnte. Der Psychologe Justin Barrett hat vorgeschlagen, die Häufigkeit des Glaubens durch das sogenannte Hypersensitive Agency Detection Device, kurz HADD3, zu erklären.
Die HADD-Hypothese
Menschliche Wesen erklären sich jene Eigenschaften, die sie in ihrer Umwelt vorfinden, auf zwei sehr verschiedene Arten. Wir berufen uns einerseits auf natürliche Ursachen und Gesetze, um Klarheit über ein eingetretenes Ereignis zu erhalten. Wieso ist dieser Apfel vom Baum gefallen? Weil der Wind geblasen und so fest am Ast gerüttelt hat, dass der Apfel herunter gefallen ist. Warum ist letzte Nacht das Leitungswasser eingefroren? Weil die Temperatur unter Null gefallen ist und es ein Naturgesetz ist, dass Wasser unter Null Grad gefriert.
Andererseits erklären wir uns Vorkommnisse in unserer Umwelt, indem wir uns auf sogenannte Akteure beziehen, Wesen, die aufgrund ihrer Überzeugungen und ihrer Wünsche mehr oder weniger rational handeln. Wieso ist der Apfel vom Baum gefallen? Weil Ted ihn essen wollte und er sich sicher war, dass das Schütteln am Baum den Apfel fallen lassen würde. Wieso hat Mary ihre Wagenschlüssel auf den Kaminsims gelegt? Weil sie sich daran erinnern wollte, sie nicht zu vergessen; deshalb hat sie sie dorthin gelegt, wo sie sie auch erblicken würde – wie der berühmte Knoten im Taschentuch.
Barrett geht davon aus, dass wir überaus sensibel gegenüber Informationsträgern oder eben Akteuren sind. Wir sind mit zahlreichen Akteuren groß geworden: Familienangehörigen, Freunden, Feinden, Jägern, Beutetieren etc. Indem wir nach anderen Akteuren Ausschau halten und diese verstehen, sichern wir unser Überleben und die Fortpflanzung. So sind wir sehr sensibel gegenüber diesen Informationsträgern geworden, genau genommen: übersensibel. Hört man hinter sich ein Rascheln im Busch, dreht man sich instinktiv nach einem Akteur um. Meistens ist da aber niemand, es war nur der Wind, der durch die Blätter gestreift war. In der Umgebung, in der wir aufgewachsen sind, war dann und wann wirklich ein Akteur da, und diesen dann zu erkennen, mag unser Leben vielleicht gerettet haben. Schließlich ist es besser, ein paar eingebildeten Raubtieren entronnen als von einem richtigen aufgefressen worden zu sein. So hat sich unsere Neigung nicht nur zum Wahrnehmen sondern zum übertriebenen Wahrnehmen von Akteuren vererbt. Im evolutionären Prozess sind wir gleichsam Besitzer hyperaktiver Detektoren für Akteure geworden (oder wenn Sie wollen: wir sind solche).
Wenn wir also über ein HADD – ein hyperaktives Akteur-Detektions-Verfahren – verfügen, würde das zumindest zum Teil erklären, warum wir meinen, es sei «jemand da», obwohl wir niemanden entdecken können, und ebenso unsere Art, an die Existenz unsichtbarer Akteure – an Geister, Gespenster, Engel oder Götter – zu glauben.
In seinem Buch Illusion of Conscious Will beschreibt Daniel Wegner, was er bei jenen, die sich des Ouija-Bretts bedienen (bei welchem eine Planchette – oft ein umgedrehtes Schnapsglas, auf das die Versuchsperson ihren Zeigefinger gelegt hat – unabhängig auf dem Brett herumzuwandern scheint und Nachrichten aus dem «Jenseits» übermittelt), besonders bemerkenswert findet:
«Die Leute, die dieses Brett benutzen, scheinen unweigerlich zum Ergebnis zu gelangen, dass eine Art unsichtbarer Akteur die Bewegung der Planchette führt. Nicht nur das eigene Zutun zu diesem Effekt, der auf dem Hexenbrett zu sehen ist, wird ausgeblendet, sondern es kommt sofort eine Theorie auf, die diese wundersamen Bewegungen auch zu erklären vermag: die Theorie des Akteurs, der von außen kommt. Zusätzlich zu den Totengeistern scheinen die Leute gewillt zu sein, an den Einfluss von Dämonen, Engeln und selbst Wesen aus der Zukunft oder aus dem Weltall zu glauben, je nachdem, mit welchen Theorien über solche Effekte sie schon in Kontakt gekommen sind.»4
Weil die Bewegung des Brettes merkwürdig scheint, wird sie umgehend auf den Einfluss eines unsichtbaren Akteurs zurückgeführt (allerdings variiert die Art der angerufenen Geister von Gruppe zu Gruppe, je nach spezifischen, kulturell abhängigen Erwartungen; siehe Kapitel Anekdotensammlung weiter unten).
Freilich will ich hier nicht die HADD-Erklärung für den weit verbreiteten Glauben an solche unsichtbaren Akteure bestätigen (obwohl ich davon ausgehe, dass einiges daran wahr ist). Auch wenn wir das HADD besitzen, wird dadurch nur die Anziehungskraft einiger der weiter unten beschriebenen Glaubenssysteme erklärt. Viele bekloppten Theorien – wie beispielsweise Steinheilkunde, Handlesekunst oder Zahlenmystik – beziehen keine unsichtbaren Akteure mit ein. Ich erwähne die HADD-Hypothese nur, um zu umreißen, dass die in diesem Buch vorgestellten Mechanismen jene psychologischen oder evolutionsgeschichtlichen Theorien nicht direkt konkurrieren, welche erklären, dass wir glauben, was wir tun. Wenn ein Glaubenssystem sich einmal unserer bemächtigt hat – mit was für Gründen auch immer –, dann, so lautet meine These, werden die hier präsentierten acht Mechanismen ins Spiel gebracht, um dieses zu stützen und zu verteidigen.
Ich möchte hervorheben, dass die HADD-Hypothese nicht besagt, dass es keine unsichtbaren Akteure gibt. Vielleicht sind tatsächlich einige dieser von den Leuten präsupponierten, unsichtbaren Handelnden real. Vielleicht gibt es wirklich Geister, Gespenster oder Götter. Wenn wir davon ausgehen, dass die HADD-Hypothese einwandfrei erklärt, weshalb so viele Menschen von der Existenz unsichtbarer Akteure überzeugt sind, dann kann allerdings der Umstand, dass eine ausgesprochen große Anzahl von Leuten diesem Glauben anhängen, nicht besser beweisen, dass solche Akteure tatsächlich existieren. Es reicht nicht zu sagen: «Es können sich doch nicht alle Leute so sehr irren. Sicher muss darin ein kleines Fünkchen Wahrheit stecken, wie sollte sich diese Überzeugung sonst so weit verbreitet haben?» Wenn die HADD-Hypothese stimmt, ist es wahrscheinlich, dass wir ohnehin an die Existenz solcher Akteure glauben, ob sie existieren oder nicht. Aber die Beliebtheit dieses Glaubens ist kein hinreichender Beweis dafür, dass solche Akteure tatsächlich existieren.
Triftige Gründe sprachen schon dafür, skeptisch gegenüber verheißungsvoll erscheinenden Rechtfertigungen für unsichtbare Akteure zu sein, wie auch gegenüber jedem anderen Glauben religiöser und übernatürlicher Art. Dass 45 Prozent aller Bürger eines der reichsten und bestgebildeten Völker auf unserem Planeten daran glauben, das ganze Universum sei lediglich etwa sechstausend Jahre alt, beweist die erstaunliche Anziehungskraft solcher abstruser Überzeugungen auf eine riesige Anzahl von Personen – selbst auf intelligente, akademisch ausgebildete. Gleichwohl: Wenn die HADD-Hypothese richtig ist, liefert sie einen weiteren Nagel für den Sargdeckel der Argumentation: «Wenn so viele Leute daran glauben, muss etwas dran sein.»
Theorie der Kognitiven Dissonanz
Die HADD-Hypothese kann in erster Linie erklären, wieso jene Glaubenssysteme uns attraktiv erscheinen, die einen unsichtbaren Akteur ins Spiel bringen. Eine weitere psychologische Theorie könnte ebenfalls unsere Vorliebe zum Gebrauch der in diesem Buch beschriebenen Strategien erklären: die Theorie der Kognitiven Dissonanz. Dissonanz ist jenes psychische Unbehagen, das wir fühlen, wenn wir Überzeugungen und Haltungen einnehmen, die miteinander in Konflikt stehen. Die Theorie besagt, dass wir uns ermuntern, diese Dissonanz entweder durch Anpassung der Überzeugungen und Haltungen oder aber durch deren Rationalisierung zu reduzieren.
Um die Kognitive Dissonanz zu illustrieren, wird oft das Beispiel der «sauren Trauben» aus Äsops Fabel Der Fuchs und die Trauben herangezogen. Den Fuchs dürstet es nach den saftig aussehenden Trauben, doch dann wird ihm klar, dass sie, weil sie viel zu hoch und außerhalb seiner Reichweite hängen, nie und nimmer seine Beute werden können, also passt er seine Meinung der Situation so an, dass er sich wohler fühlen kann: Er befindet, die Trauben seien sauer.
Was vermag die Theorie der Kognitiven Dissonanz zur Erklärung beisteuern, weshalb wir uns bemüht sehen, gewisse Immunisierungsstrategien überhaupt einzusetzen? Nehmen wir einmal an, unsere evolutionäre Herkunft habe uns dazu prädisponiert, an übernatürliche Akteure zu glauben, aber auch dazu, Überzeugungen zu haben, die weitgehend rational sind oder zumindest nicht total irrational. Dies könnte uns in eine psychologische Zwickmühle führen. Einerseits könnten wir nicht willens oder gar unfähig sein, unseren Glauben an unsichtbare Akteure aufzugeben. Andererseits könnten wir mit erdrückenden Beweisen konfrontiert werden, die besagen, dass unsere Ansichten komplett unvernünftig seien. Unter diesen Umständen erscheinen uns Strategien sehr verführerisch, die rationale Bedrohungen zu entschärfen versprechen und unsere Überzeugungen zumindest vernünftig erscheinen lassen. Solche Strategien ermöglichen uns, mit jenem intellektuellen Unbehagen fertig zu werden, das unsere angeborene Disposition erzeugen kann. Sie erlauben den wahren Gläubigen, sich zu vergewissern, dass sie bei weitem nicht so irrational sind, wie die Vernunft es ihnen eigentlich unterstellt – und um sich selbst und andere davon zu überzeugen, dass ihr Glauben an Gespenster und Geister oder was auch immer, wenn auch nicht gründlich bestätigt, so doch nicht im Widerspruch zur Vernunft stehe.
So können wir nur mutmaßen darüber, weshalb gewisse Glaubenssysteme dermaßen attraktiv wirken, und wieso solche Strategien eingesetzt werden, um die Überzeugungen gegen rationale Kritik zu immunisieren und sie mit einer Schein-«Vernunft» auszustatten. Sowohl das HADD als auch die Theorie der Kognitiven Dissonanz mögen hier eine aufklärende Rolle spielen.
Anhang B zur Einleitung
Die Diskussion in diesem Buch schließt auch Beispiele jener Strategien mit ein, die bei intellektuellen Widerlegungen des Theismus – des Glaubens an Gott – angewandt werden. Ich konzentriere mich besonders auf zwei Arten der Infragestellung: (1) das Problem des Beweises des Bösen und (2) das Problem überzeitlicher Akteure. Weil die Leute oftmals die ins Feld geführten Argumente falsch verstehen, seien sie gleich zu Beginn verdeutlicht.
Das logische Problem und die Frage des Beweises des Bösen
Die bekannteste Aufgabe für den Theismus ist vielleicht das sogenannte Problem des Bösen. Eigentlich gibt es mindestens deren zwei: ein logisches Problem und eines des Beweises.
Das logische Problem ist im Grunde genommen einfach. An einen monotheistischen Gott zu glauben, einen Gott also, der (1) allmächtig, (2) allwissend und (3) allgütig oder in höchstem Maße gütig ist, ist nicht ganz unbedenklich.
Die Frage ist: Wenn es einen gütigen Gott gibt, wieso existiert dann das Böse? Das «Böse» bezieht sich hier auf das moralisch Böse – auf Akteure, die moralisch schlechte Dinge tun wie Töten, Stehlen, Foltern usw. – und/oder auf das Böse wie Krankheiten und Katastrophen, die großes Leid verursachen. Sicher – so geht das Argument – könnte ein allmächtiger Gott eine laster- und leidfreie Welt schaffen. Als Schöpfer wüsste er, wie eine Welt zu gestalten ist, die nichts Böses kennt. Und als Allgütiger wünschte er sich bestimmt nicht eine Welt, in der es Böses gibt. Aber die Welt kennt nun mal das Böse. Deshalb gibt es keinen solchen Gott.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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