Goldküste - Kim Stanley Robinson - E-Book

Goldküste E-Book

Kim Stanley Robinson

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Beschreibung

Glücksritter und Revoluzzer

Orange County, Kalifornien, 2067: eine Metropolis der flüchtigen Begegnungen und schneller Geschäfte, der harten Drogen und falschen Träume. Wie ein verirrter Nachtfalter schwirrt Jim McPherson durch diese bunte Neonwelt, von einer Party zur nächsten. Der Möchtegern-Dichter schlägt sich als Aushilfslehrer durch. Das laute, hektische Treiben an der Goldküste scheint ihm ohne Sinn, ohne Aussicht auf Glück. Dann lernt er Arthur kennen. Dieser gehört einer revolutionären Gruppe an, die durch Sabotage die Rüstungsindustrie Amerikas zerstören will. Begeistert macht Jim bei den Aktionen mit, obwohl – oder gerade weil – sein Vater Ingenieur in dem größten Rüstungskonzern von Orange County ist …

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KIM STANLEY ROBINSON

 

 

 

GOLDKÜSTE

 

Roman

 

 

 

 

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Das Buch

Orange County, Kalifornien, 2067: eine Metropolis der flüchtigen Begegnungen und schneller Geschäfte, der harten Drogen und falschen Träume. Wie ein verirrter Nachtfalter schwirrt Jim McPherson durch diese bunte Neonwelt, von einer Party zur nächsten. Der Möchtegern-Dichter schlägt sich als Aushilfslehrer durch. Das laute, hektische Treiben an der Goldküste scheint ihm ohne Sinn, ohne Aussicht auf Glück. Dann lernt er Arthur kennen. Dieser gehört einer revolutionären Gruppe an, die durch Sabotage die Rüstungsindustrie Amerikas zerstören will. Begeistert macht Jim bei den Aktionen mit, obwohl – oder gerade weil – sein Vater Ingenieur in dem größten Rüstungskonzern von Orange County ist …

 

 

 

 

Der Autor

Kim Stanley Robinson wurde 1952 in Illinois geboren, studierte Literatur an der University of California in San Diego und promovierte über die Romane von Philip K. Dick. Mitte der Siebzigerjahre veröffentlichte er seine ersten Science-Fiction-Kurzgeschichten, 1984 seinen ersten Roman. 1992 erschien Roter Mars, der Auftakt der Mars-Trilogie, die ihn weltberühmte machte und für die er mit dem Hugo, dem Nebula und dem Locus Award ausgezeichnet wurde. Kim Stanley Robinson lebt mit seiner Familie in Kalifornien.

 

 

Von Kim Stanley Robinson sind im Heyne-Verlag folgende Romane lieferbar:

2312, Schamane, Roter Mars, Grüner Mars, Blauer Mars, Aurora, Das wilde Ufer, Goldküste, Pazifische Grenze, Die eisigen Säulen des Pluto, Sphärenklänge.

 

 

 

 

 

www.diezukunft.de

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Titel der Originalausgabe

 

THE GOLD COAST

 

Aus dem Amerikanischen von Michael Kubiak

 

 

 

Überarbeitete Neuausgabe

© Copyright 1988 by Kim Stanley Robinson

Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Covergestaltung: Das Illustrat, München

Satz: Thomas Menne

 

ISBN 978-3-641-20872-1V002

Danksagung

 

Einige meiner Freunde und Angehörige meiner Familie haben mir in vieler Hinsicht bei diesem Buch geholfen. Bedanken möchte ich mich bei Terry Baier, Daryl Bonin, Brian Carlisle, Donald und Nancy Crosby, Patrick Delahunt, Robert Franko, Charles R. Ill, Beth Meacham, Lisa Nowell, Linda Rogas und Victor Salerno.

Ein besonderer Dank geht an Steve Bixler und Larry Huhn; und an meine Eltern, Don und Gloria Robinson.

1

 

BEEP BEEP!

Honk honk.

Jim McPherson schiebt seinen Kopf aus dem Fenster seines Wagens und schreit hinter einem Minihonda her, dessen Programm ihn soeben automatisch in die Auffahrt vor ihm eingefädelt hat. »Du hast mich geschnitten!« Der Mann im Minihonda blickt zu ihm zurück und ist verwirrt. Jims alter Volvo zieht schnell die geschwungene Fahrspur hinauf, und plötzlich hängt Jim halb aus dem Fenster und schwankt, das Gesicht nur wenige Zentimeter vom Beton des Freeway entfernt. Abe Bernard packt seinen Gürtel und zieht ihn im letzten Moment zurück. Huh – das war knapp.

Nacht in Orange County, und die vier Freunde fahren in Autopia spazieren. Allesamt Stars des Meisterschafts-Catcher-Teams ihrer Highschool, dessen beste Zeiten schon zehn Jahre zurückliegen, wälzen sie sich auf den Sitzen des Volvo herum und versuchen, Tashi Nakamura von dem Augentropfer mit Sandy Charmans jüngster Mixtur fernzuhalten. Tash war ihr Schwergewichtler und der Einzige, der noch halbwegs gut in Form ist, und sie schaffen es nicht; Tash taucht zwischen ihren Armen hoch und schnappt sich den Augentropfer, wobei er die ganze Zeit mit einer von Jims alten CDs mitsingt: »Somebody give me a cheeseburger!« Die Auffahrt windet sich hoch, die Krümmung wird stärker, die Kontakte gleiten quietschend über die Energie- und Führungsspur in der Fahrspurmitte, und sie werden alle nach hinten auf den Rücksitz geworfen. »Oh-oh, ich glaub, ich hab den Tropfer fallen lassen.«

»Sagt mal, wir sind doch jetzt auf dem Freeway, oder? Sollte nicht wenigstens einer von uns aufpassen?«

Sofort windet Abe sich in den Fahrersitz. Er schaut in die Runde. Alles läuft auf seiner Spur. Automobile, die ihren Programmen nach Norden folgen, sausen über die acht messingglänzenden Bänder, welche die Mitte jeder Fahrspur markieren. Ein Strom von roten Rücklichtern vor ihnen, weiße Scheinwerfer hinter ihnen, einige Wagen rollen über die S-förmigen Fahrspurwechsel-Schienen, von links nach rechts, wobei ihre gelben Richtungsanzeiger rhythmisch blinken, klick klick klick, klick klick klick. Auf dem Newport Freeway ist heute Abend alles in bester Ordnung. »Habt ihr den Augentropfer gefunden?«, fragt Abe mit einem Anflug von Schärfe in der Stimme.

»Ja, hier.«

Die nach Norden führenden Fahrspuren schwingen sich hoch, als sie das große Areal der Kreuzung mit den San Diego, Del Mar, Costa Mesa und San Joaquin Freeways überspannen. Vierundzwanzig monsterhafte Betonbänder verschlingen sich in einem Gordischen Knoten, hundert Meter hoch und eine Meile im Durchmesser – ein Sinnbild Autopias –, und sie jagen mitten hindurch wie kleine Käfer durch das Herz eines Riesen. Dann summt Jims alte Kiste einen ganzen Ton höher, und plötzlich ist es fast so, als wären sie im Landeanflug auf den John Wayne International Airport drüben zu ihrer Rechten, denn der nach Norden führende Newport Freeway ist der oberste der übereinanderliegenden Freeways, und sie befinden sich vierzig Meter über Mutter Erde. Das natürliche OC erstreckt sich meilenweit in jeder Richtung. Was für ein Anblick.

 

Das riesige Gitterwerk aus Licht.

Tungsten, Neon, Natrium, Quecksilber, Halogen, Xenon.

Zu ebener Erde quadratische Gitter

aus orangefarbenen Natriumstraßenlampen.

Alle möglichen Dinge brennen.

Quecksilberdampflampen:

blaue Kristalle über den Freeways,

den Eigentumswohnungen, den Parkplätzen.

Das die Augen verblitzende Xenon,

grell in den Einkaufszentren,

dem Stadion, Disneyland.

Große Halogen-Leuchtturmstrahlen vom Flughafen,

die über den Nachthimmel zucken.

Ein Krankenwagenwarnlicht, das unten rot blinkt.

Ständige Folge, rotgrüngelb, rotgrüngelb.

Scheinwerfer und Rücklichter,

rote und weiße Blutzellen,

durch einen leukämischen Körper aus Licht gejagt.

In dem Gehirn leuchtet ein Bremslicht auf.

Eine Milliarde Lichter. (Zehn Millionen Menschen.)

Wie viel Kilowatt pro Stunde?

Gitter über Gitter, von den Bergen

bis hinunter ans Meer.

Eine Milliarde Lichter.

Ah ja. Orange County.

 

Jim zwinkert sich eine große Ladung von Sandys neuestem Stoff aus dem Auge und beobachtet, wie die Muster pulsieren. Plötzlich, in einer jähen Illumination, kann er das Muster erkennen, das alle Muster bilden: die Schichten der Beleuchtung von OC, Jahrzehnt für Jahrzehnt, Generation auf Generation. Tatsächlich heben einige Gitter ab und drehen sich um neunzig Grad, um dem Metamuster des wahrgenommenen Ganzen zu entsprechen. »Ich nenne das jetzt Pattern-Perzeption.«

»Okay«, sagt Sandy. »Das kann ich erkennen.«

»Du könntest ein Aspirin nehmen und es von hier oben aus sehen«, wendet Abe ein.

»Das stimmt«, sagt Sandy. »Ich sehe es auch.«

»So was nenne ich aber ein Beispiel von Liebenswürdigkeit«, sagt Tashi.

»Stimmt. Ich kann es erkennen.«

»Wir sind im Mittelpunkt der Welt«, verkündet Jim. Abe und Tashi schauen sich um, als hätten sie das Hinweiszeichen übersehen – es müsste irgendein Schild sein, rechts von ihnen. »Orange County ist das Ende der Geschichte, ihr reinstes Produkt. Die Zivilisation wanderte Tausende von Jahren lang immer nach Westen, in einem Sonnenuntergangstropismus, bis sie hierherkamen an die Küste des Pazifiks, und da ging es nicht mehr weiter. Deshalb hielten sie hier an und machten es. Und zu dieser Zeit steckten sie mitten im letzten großen Aufschwung des Staatskapitalismus, sodass hier alles total organisiert und darauf abgestimmt ist, zu kaufen und zu verkaufen, kaufen und verkaufen, und zwar jedes kleines Stückchen von uns.«

»Verflucht marxistischer Kommie!«

»Sie müssen eine Vorliebe für Licht gehabt haben.«

Jim schüttelt sie ab, macht auf nostalgisch. Die Erwähnung der Geschichte erinnert ihn an die Mission dieses Abends. »So war es aber nicht immer.«

»Mach keine Witze«, sagt Tashi. Er und Abe grinsen sich an; Jim kann manchmal lustiger sein als jedes Video.

»Nein, ich mache keine Witze. Dieses ganze Becken war mit Orangenhainen bedeckt, über zweihundert Quadratmeilen. Hier gab es mehr Orangen, als man hier jetzt Lichter sehen kann.«

»Schwer zu glauben«, singen seine Freunde im Chor.

»Aber wahr! OC war ein riesiger Garten«, sagt Jim seufzend.

Abe und Tash und Sandy schauen sich gegenseitig an. »Das sind aber eine Menge Bäume«, sagt Abe würdevoll, und Tash verschluckt ein Lachen. Sandy stört das nicht, er bekommt seinen berühmten Chapman-Lachkrampf: »Ah, hahahahahaha – Ah, hahahahahaha.«

»Sag mal, wolltest du hier nicht runter?«, fragt Tash.

»Aber ja!«, kreischt Jim.

Abe schnippt den Spurwechsel-Schalter um, und sie fahren auf die rechte Spur, dann über die Abfahrt zwei Etagen in Spiralen zur Chapman Avenue in östlicher Richtung hinunter. Sandys Straße. Hier gibt's nur zwei Etagen, und die nach Osten ist die obere. In El Modena ist es auch damit zu Ende, und sie sind jetzt auf Erdniveau im Zwei-Spur-Verkehr. »Was jetzt, Professor?«

»Park den Wagen in der Mall«, sagt Jim.

Abe parkt. Jim zieht zum letzten Mal seine Karte zu Rate. Er zittert vor Erregung; das ist eine ganz neue Idee, diese Mission, eine Art persönliche Archäologie. Die jahrelange Lektüre seiner Bücher über die örtliche Geschichte haben in ihm den unkontrollierbaren Drang geweckt, irgendetwas zu entdecken – zu sehen, zu berühren, irgendein Relikt aus der Vergangenheit zu begreifen. Und heute Abend ist es so weit.

Sie stellen den Wagen vor das El Torito Restaurant am Ende der Hewes Mall. »Das El Terriblo befindet sich im ältesten Gebäude in dieser Gegend«, erklärt Jim. »Es war eine Quäker-Kirche, die 1887 erbaut wurde. Sie haben eine riesige Glocke in den Turm gehängt, aber sie war zu schwer, und beim nächsten Santa-Ana-Wind kippte das ganze Gebäude um. Daher haben sie es wiederaufgebaut. Allerdings kann man es heute nicht mehr erkennen, das Restaurant ist darauf errichtet worden, und sie benutzen den alten Saal als Kasino. Aber mir liefert es auf den alten Karten einen Orientierungspunkt. Und genau hundertdreißig Meter westlich von hier, auf der anderen Straßenseite, befindet sich das Grundstück der Grundschule von El Modena, die 1905 erbaut wurde.«

»Die ist mir entgangen«, meint Tash.

»Jetzt gibt es sie nicht mehr. Sie wurde 1960 abgerissen. Aber der Großonkel meiner Mutter besuchte sie als Kind, und er erzählte mir davon. Und ich hab alles nachgeschaut. Zwei Holzbauten standen da mit einem Hof zwischen ihnen. Als sie die Gebäude abrissen, füllten sie die Keller mit Müll auf, dann bedeckten sie alles mit Beton. Ich habe die Standorte der Gebäude ganz genau festgelegt, und das westliche stand genau auf dem Grundstück unter dem Fluffy Donuts Video Palace und seinem Parkplatz.«

»Du meinst«, sagt Abe, »wir können dort einfach durch den Parkplatzboden brechen …«

»Ja, deshalb wollte ich, dass du einige von deinen Werkzeugen mitbringst …«

»Durch den Betonboden brechen und durch einen Meter Geröll und Schutt graben bis – ja, bis runter zu den Trümmern der Grundschule von El Modena, 1902 bis 1960 …?«

»Genau das.«

»Na, dann los«, sagt Abe. »Worauf warten wir noch?«

»Ahhh, hahahahahahahahaha …«

Aus dem Wagen raus, sich einen Teil der Ausrüstung schnappen, dann zu Fuß die Chapman runter. Gesichter starren aus vorbeifahrenden Wagen, erstaunt, Leute zu sehen, die laufen. Jim gerät in Erregung. »Es gab dort einen Grundstein, mit eingraviertem Datum. Wenn wir den finden würden …«

Bei Fluffy's vertilgen Leute, bekleidet mit den hellen spektralgefilterten Primärfarben, heiße grüne und rote und gelbe Donuts und tauchen ein in die Holo-Realität einer Landschaft, die wohl die afrikanische Savanne darstellen soll. Die vier Freunde umrunden das Gebäude und gelangen auf einen kleinen, dunklen Parkplatz, der auf der einen Seite von Fluffy's, auf der anderen von einem Supermarkt, auf der dritten von einem Filmstudio und hinten von einem Apartmenthaus begrenzt wird. Das Leuchten von OC, von niedrigen Wolken reflektiert, spendet ihnen alles Licht, das sie brauchen. Jim zeigt auf die Kreidemarkierungen, die er während seines Erkundungstrips hinterlassen hat, dort auf dem ölfleckigen alten Beton gleich hinter der Außenwand von Fluffy's. »Da drunter müsste es eigentlich sein.«

Abe und Tash nehmen ihre Rucksäcke ab und holen Abes Freeway-Rettungswerkzeug heraus. Abe schüttelt bei ihrem Anblick den Kopf. »Das hätte ich lieber doch nicht mitnehmen sollen, wir haben zwar immer welche in Reserve, aber man weiß ja nie, was kommt …« Er hebt eine oszilloskopische Säge auf, Tash einen Hammer, und sie brechen den Beton auf und graben schnell ein recht großes Loch. Es ist mit ziemlich viel Lärm verbunden, doch das ständige Rauschen der Stadt erstickt den größten Teil der Geräusche. Sie streifen sich Arbeitshandschuhe über und fangen an, zerbrochene Betontrümmer beiseitezuräumen. Die Brocken sind höchstens zehn Zentimeter dick, daher stellen sie kein Problem dar. An den Unterseiten der Brocken hängen zentimeterdicke Asphaltkrusten. »Sie haben den Beton einfach über den alten Boden gegossen«, sagt Jim. »Hier gibt es richtig saubere Schichten zu bewundern.«

Schon bald klafft auf dem Parkplatz ein Loch von etwa eins zwanzig mal eins zwanzig im Quadrat. »Die denken sicher, hier sei jemand eingebrochen, um die geheime Donut-Formel zu stehlen«, sagt Tash. Er und Sandy singen die Fluffy-Werbung in weichem Falsett:

 

Die Zuckerfans im ganzen Land

bringen unsere Donuts außer Rand und Band …

 

»Nun, Jim?«, erkundigte Tash sich. »Ich sehe keine El-Modena-Grundschule. Für mich sieht das aus wie Dreck.«

»Natürlich. Das ist das Füllmaterial. Das müssen wir erst herausholen.«

Sandy reicht Jim eine kurzstielige Aluminiumschaufel. »Du bist dran.«

Also fängt Jim an zu arbeiten.

Er ist nicht stark; er war das Fliegengewicht in ihrer Ringermannschaft, trotz seiner mittleren Körpergröße in der 123-Pfund-Klasse, und er verließ sich mehr auf Tempo als auf brutale Kraft, selbst als der Coach »Mad Dog« Beagle sie jeden Tag vier Stunden lang Gewichte stemmen ließ.

»Ahh, hahahahahahaha …«

Er ist auch nicht besonders geschickt, jeder Schaufeleinsatz fördert nur eine Handvoll Geröll zutage. Wütend über das magere Ergebnis, schiebt er einen Fuß vor, packt die Schaufel mit beiden Händen, hebt sie hoch über den Kopf und lässt sie in einem weiten Bogen wütend niedersausen – nur um gestoppt zu werden, als Tashis mächtige Hand den Stiel mitten in der Luft bremst. »Verdammt noch mal, Jim, du warst gerade im Begriff, deinen eigenen Fuß zu amputieren! Pass auf, was du tust, okay?«

»Ahh, hahahahahahahaha …«

Aber er ist voller Enthusiasmus. Und schon bald ist das Loch über einen halben Meter tief, und Jim hat ernste Probleme, das Geröll der Seitenwände davon abzuhalten, sich auf den Grund des Loches zu ergießen. Abe löst ihn ab und macht gute Fortschritte. Eine Stunde oder so nach Beginn des Unternehmens stößt er seine Schaufel nach unten, und ein hölzern dumpfes Tschunk ertönt. »Oh ho! Aber wirklich, yo ho ho! Ein vergrabener Schatz!«

Abe wischt Erde von einem dicken Holzbalken ab. Es ist solides Hartholz, trocken und noch keine Spur von Fäulnis. Gleich daneben entdeckt er einen verzierten Steinblock, eine Seite bereits geglättet und mit Kannelierungen versehen.

»Na schön!«, ruft Jim. »Das ist es! Dies ist sicher der Grundstein, auf dem das Datum stehen müsste.«

Abe kratzt die Seite des Steins von Erdreich frei. Kein Datum. »Vielleicht auf der anderen Seite.«

»Verdammt, Abe«, sagt Tash und knufft Sandy mit dem Ellenbogen, »was meinst du, wie viel der Stein wiegt?«

Abe macht einen Versuch. »Ich weiß nicht. Vielleicht eine Tonne.«

»Also, ich bitte dich!«, sagt Jim.

»Na schön, okay … vielleicht achthundert Pfund.«

»Ah, hahahahahahahaha.«

»Wie wäre es mit einem Stück von diesem Balken als Souvenir«, schlägt Abe Jim vor. »Natürlich nur so für den Anfang.« Er setzt die oszilloskopische Säge an und schneidet sauber ein dreieckiges Stück ab, das aussieht wie ein hölzernes Prisma oder ein antikes Lineal. Er reicht es Jim. »Lass für ein oder zwei Minuten die Finger von der schwarzen Seite.«

Jim betrachtet den Gegenstand argwöhnisch. Das ist also die Vergangenheit …

»Autsch!«, sagt Sandy, der bei solchen Dingen außersinnliche Wahrnehmungen hat. Er blickt um die Ecken und auf die Straße. »Polizei!« Er hat die Fluchtroute längst geplant, und ohne sich lange aufzuhalten, ist er in einer Gasse zwischen dem Supermarkt und dem Apartmenthaus und im Applex verschwunden. Sandy kann sich nicht einmal ein harmloses Gespräch mit der Polizei erlauben, viel weniger eine Verhaftung wegen Beschädigung einer Parkplatzfläche.

Die anderen schnappen sich Abes Werkzeug und folgen Sandy, als ein kosmisch weißer Xenonlichtstrahl aufflammt und den Parkplatz mit seinem grellen Licht überflutet. Verstärkte Polizeistimmen befehlen ihnen, stehen zu bleiben, aber sie sind bereits im Labyrinth des Applex untergetaucht und sind so sicher wie Kakerlaken unter dem Kühlschrank. Nur bleibt die Polizei ihnen diesmal auf den Fersen, sie können schließlich nicht zulassen, dass Gangster Parkplätze in OC aufreißen. Jetzt ist Jagdzeit, und die vier Freunde trennen sich und springen von engen Hinterhöfen auf zwei- und dreistöckige Laufbänder, Müllschächte, Türnischen … Das Applex ist typische L-5-Architektur, die vorherrschende Form im einundzwanzigsten Jahrhundert, aber es ist kleiner als die meisten Applex-Labyrinthe in OC, und es gibt einfach nicht so viele günstige Stellen, wo man sich verbergen kann. Beim Überqueren eines fünf mal fünf Meter großen Innenhofs stolpert Jim über einen Spielzeugroboter und lässt seinen archäologischen Fund fallen, der fällt klappernd hin, und er hüpft umher, um ihn wiederzufinden, als Sandy auf ihn zurennt und ihn in einen Fahrstuhlwinkel zieht. Gerade noch rechtzeitig, denn ein Polizist mit einem Infrarotsichtgerät am Helm kommt zufälligerweise vorbei, und, na ja, wer weiß, aber vielleicht kann er ihre Fußspuren auf dem Boden erkennen! Durchaus möglich. Er hat auf dem Hof haltgemacht. Sandy und Jim beten, dass ihre Schuhsohlen dick genug sein mögen, sie hocken in der dunklen Fahrstuhltür und beobachten, wie die Helmlampe des Polizisten den winzigen Hinterhof ausleuchtet.

Für einen kurzen Moment erfasst der Lichtstrahl das alte Stück Holz unter einem abgestorbenen Gebüsch.

»Sieh mal, das ist nur ein Stück Holz«, flüstert Sandy in Jims Ohr. »Und das« – er zeigt dabei auf den wieder abziehenden Polizisten – »ist eine Nacht im Knast. Man muss seine Prioritäten abwägen, Jim. Du musst denken, bevor du handelst …«

Sie bergen das Stück Holz und schleichen sich in die andere Richtung davon. Mittlerweile hat Jim sich hoffnungslos verirrt, aber ein Teil von Sandys ASW ist ein perfekter innerer Kompass, und er führt sie nach Osten, dann zurück durch das Gebäude mit der Wäscherei, den Freizeiteinrichtungen und der Verwaltung des Applex mit seiner Wand mit fünfhundert Briefkästen und wieder hinaus auf die Chapman Avenue.

Der Polizeiwagen steht immer noch vor Fluffy's. Aha, dort vor ihnen sind Abe und Tash. Hinter ihnen und auf der anderen Straßenseite steht Jims Wagen. »Was ist euch denn zugestoßen?«, erkundigt Tash sich.

»Ich hab das Stück Holz fallen lassen«, erwidert Jim. »Ich hatte einige Schwierigkeiten, es wiederzufinden.«

»Hoffentlich hattest du Erfolg«, hänselt Abe ihn, »denn sonst schicken wir dich wieder zurück, damit du es holst.«

»Nein, hier ist es! Sieh doch!«

Seine Freunde lachen laut und lange. Alles ist in Ordnung. Sie springen in den Wagen, schalten den Motor an, gleiten zurück auf den Leitstreifen und rollen die Chapman hinunter. Abe sagt: »Kommt, bringen wir diesen wertvollen Fund ins Museum und fahren dann runter zu Sandy, um zu sehen, wie die Party läuft.«

»Ah, hahahahahaha. Heute gibt's keine Party, Jungs.«

»Das glaubst auch nur du.«

2

 

Am nächsten Morgen nimmt Dennis McPherson, Jims Vater, die Pendlermaschine der United vom LAX zum National Airport in Washington, D. C. Er wacht auf, als die Boeing 7X7 wieder in die Atmosphäre eintaucht, und stopft die Papiere auf seinem Schoß zurück in den Aktenkoffer. Sie haben ihm nicht weitergeholfen. Natürlich hat er den größten Teil des kurzen Fluges verschlafen, aber selbst wenn er sie gelesen hätte, hätten sie ihm nicht geholfen. Er ist vorwiegend deshalb hergekommen, um sich mit Air Force Colonel T. D. Eaton zu treffen und mit ihm über die Fortschritte des Kugelblitz-Programms zu reden, einer der großen Aufträge, die im Augenblick in McPhersons Firma, der Laguna Space Research, die Entwicklungsphase durchlaufen. Es ist jedoch nicht McPhersons Programm, und er weiß nicht, wie er die Verzögerungen, die das Programm beeinträchtigen, rechtfertigen soll. Eigentlich sollte sein alter Freund Dan Houston sich darum kümmern, aber Houston ist unten in White Sands und versucht, günstige Versuchsergebnisse aus dem Erfassungs-/Ziel-/Verfolgungs-Satelliten herauszuholen, der zum Kugelblitz-Programm gehört. Und McPherson hatte in Washington sowieso noch andere Dinge zu erledigen, daher hat man ihm diese Sache auch noch aufgebürdet.

Der andere Grund für seinen Besuch ist eine Unterredung mit Major Tom Feldkirk von der Electronic Systems Division der Air Force. Feldkirk bat um das Gespräch, ohne eine Begründung anzugeben, was zur Besorgnis Anlass gibt. LSR hat mehrere Aufträge mit der Electronic Systems Division, und das zu diskutierende Problem könnte in allen möglichen Bereichen zu suchen sein.

Die entscheidende Tatsache ist bei allem, dass LSR zurzeit um seine Existenz kämpft. Zu viele Angebote wurden abgelehnt, und bei den Aufträgen, die man bekommen hat, gibt es zu viele Verzögerungen und Verspätungen. Die Air Force reagiert in solchen Angelegenheiten härter als je zuvor, und was immer Feldkirk besprechen will, wird sicherlich nicht angenehm sein.

Das Flugzeug schwebt ins Potomac-River-Becken hinunter und landet. Zeit, in das Hotel zu fahren.

Er schaltet seinen automatischen Piloten ein. So viele Wiederholungen … Er ist bei LSR zum wichtigsten Laufburschen in solchen Angelegenheiten geworden und wird mindestens zwanzigmal im Jahr nach Washington geschickt, um ein Feuer nach dem anderen zu löschen. (Aus dem Flugzeug in die Ankunftshalle. Er hat mittlerweile sein Gepäck auf einen einzigen Flugkoffer reduziert und geht sofort hinaus zu den Taxiständen.) Aus all diesen mehr oder weniger diplomatischen Aufträgen könnte man schließen, dass er ein Hansdampf in allen Gassen ist, jemand, der sich mit den Fliegern anfreundet und mit ihnen gemeinsam mögliche Kritik im Glas ertränkt. Doch dem ist nicht so: Dennis McPherson ist ein eher reserviert wirkender Mann mit einem selbstbeherrschten Auftreten, das andere Leute nervös machen kann. (In ein Taxi und los zum Crystal City Hyatt Regency. Stoßstange-an-Stoßstange-Verkehr auf der unteren Ebene des George Washington Parkway.) Er beherrscht seinen Part bei den Tischgesprächen genauso gut wie jeder andere; er legt jedoch keine übermäßige Jovialität an den Tag, die in diesem Zusammenhang sowieso immer durchsichtig und aufgesetzt wäre. Schließlich ist es trotz allem ein großes Geschäft, das größte Geschäft überhaupt: Rüstung. Warum soll man auch nur so tun, als wäre der beste Freund irgendein Air-Force-Heini, mit dem man es zu tun hat?

Hinein ins Crystal City Hyatt Regency, ein riesiges, verwirrendes Gebäude voll mit Spiegeln, Fahrstühlen, Springbrunnen aus Wasser und Licht, Wänden aus schimmernden Grünpflanzen, freihängenden Lifts und überhängenden Balkonen. Er findet, ohne nachzudenken, seinen Weg durch das Labyrinth und trägt sich am Empfang ein, begibt sich dann auf sein Zimmer. Dort ins Badezimmer aus Chrom und weißen Kacheln, um einen Blick in den getönten Spiegel zu werfen und sich vielleicht noch etwas frisch zu machen, ehe man mit der Arbeit beginnt. Rosige, sommersprossige Haut. Er müsste sich rasieren. Erdbeerblondes Haar, wie Lucy es immer nennt, das eine runde irische Stirn freigibt. Kalte blaue Augen und tiefe vertikale Falten zwischen den Augenbrauen; er ist eine untersetzte, stämmige Erscheinung, einer dieser innerlich schmorenden Iren, die nie viel reden, und nun sieht er mitgenommen, müde und unwirsch aus. Das wird ein harter Tag.

Seltsam, wie es dazu gekommen ist. McPherson hat als Ingenieur angefangen – verdammt noch mal, er ist Ingenieur. Er hat ein Diplom in Luftfahrttechnik von der Cal Tech, und obwohl er mittlerweile längst nicht mehr auf dem Laufenden ist, kann er immer folgen, wenn seine Konstrukteure irgendetwas erklären. Und McPherson kann auch die größeren Strukturen erkennen, die Bereiche, wo die Technik sich in die Bereiche Erfindung und Verwaltung vorwagt. Aber das Management selbst? … Andere Programmmanager kamen durch Führungsqualitäten auf ihre Posten, sie wissen, wie sie zusätzliche Leistungen und Ergebnisse durch Versprechungen oder Drohungen aus ihren Arbeitgebern herausholen können. McPhersons Boss Stewart Lemon ist ein perfektes Beispiel für diesen Typ, die sprichwörtliche dynamische Führungspersönlichkeit der Wirtschaftsakademien. McPherson überlässt diese Art von Napoleon-Stil den anderen, und im Grunde verabscheut er Lemon. Er für seinen Teil denkt darüber nach, was getan werden muss, und erklärt es knapp und einleuchtend. Er wählt stets den undramatischen Weg. (Duschen, Rasieren.) Nein, es sind nicht die Führungsqualitäten, die ihn aus der Technischen Abteilung haben überwechseln lassen.

Wie war es dann dazu gekommen? Ganz genau weiß er es immer noch nicht. (In die dem Tag angemessene Kleidung: farbloser, konservativer Anzug, passend zu Pentagon-Verhandlungen.) Er kann technische Angelegenheiten Leuten erklären, die nicht über genug Grundwissen verfügen, um ihn voll und ganz zu verstehen. Administratoren in der Mutterfirma von LSR, Leute im Pentagon, Leute vom Kongress … Leute, die eine klare Vorstellung von technischen Problemen haben müssen, ehe sie ihre eigenen Entscheidungen treffen können. McPherson kann das. Er hat keine Ahnung warum, aber es klappt. Er versucht zu erklären, und gewöhnlich begreifen sie ihn. Seltsam. Seine Frau Lucy würde darüber lachen, wäre wahrscheinlich ärgerlich; sie hält ihn für schrecklich »mitteilsam«. Aber genau das hat ihn dorthin gebracht, wo er jetzt ist, und das ist wirklich nicht lustig; das heißt, dass er irgendwie aus dem Arbeitsbereich herausgerissen wurde, in dem er seinen Spaß gehabt hatte, in dem er sich wohlgefühlt hatte.

Noch eine halbe Stunde totzuschlagen. Er schaltet an der Videowand das Nachrichtenprogramm ein. Der Krieg in Arabien wird heftiger; Bahrain ist mittlerweile in die Sache verwickelt, und amerikanische Marines kämpfen gegen die Rebellen, was den Beweis liefert, dass es ernst ist. Sie stellen fest, dass die Infrarot-Helme von Hewlett-Packard ihnen im Nachtkampf große Vorteile verschaffen, doch die Rebellen verfügen über einige alte norwegische Penguin-Raketen der Kongsberg Vaapenfabrik, die der US-Flotte auf dem Meer schwere Verluste zufügen, bei deren alten Zerstörern das Aluminium wegschmilzt wie billiges Plastik. Und einige Hughes Mavericks, die aus dem Krieg in Thailand übriggeblieben sind, tun in den unwegsamen Bergen noch immer ihren Dienst … es scheint, als käme in den rund vierzig zurzeit im Gange befindlichen Kriegen ausschließlich veraltetes Material zum Einsatz und als wären die Folgen, für demokratische Kräfte, eine wahre Katastrophe.

McPherson wandert an dem großen Regenbogen der üppigen Tagesdecke auf dem Bett vorbei zum Fenster seines Zimmers. Dort vor ihm steht der Hughes Tower, ein Hotel-/Restaurant-/Bürokomplex, einer der jüngsten in Crystal City. Crystal City wird von Jahr zu Jahr größer, und die Industrieräume der Rüstungsindustrie sehen aus wie eine architektonische Umsetzung ihrer Geschäfte, Stahl- und Glas-ICBMs{1}, dicht gestaffelt und zum Himmel aufragend. Sämtliches Geld, das das Pentagon verlässt, wird durch diese Türme geleitet, durch die Kristallstadt der Waffenbeschaffung.

Es wird Zeit, sich auf den Weg zum Pentagon zu machen. McPherson spürt, wie er aus dem Einfluss des automatischen Piloten herausfällt. Dienstagmorgen, Crystal City, USA: Zeit, die Leitschiene zu verlassen, auf Manualbetrieb umzuschalten, aktiv zu werden.

Kurze Taxifahrt zum Pentagon. In den Sicherheitstrakt, raus mit der Ausweiskarte für das Revers. Ein Lieutenant holt ihn ab, und sie fahren in einem kleinen Elektrowagen durch die endlosen weißen Korridore und müssen ständig Fußgängern und anderen Fahrzeugen ausweichen. Sie könnten sich genauso gut auf einer Straße bewegen. McPherson hat an diesem offensichtlichen Bemühen, die Menschen zu beeindrucken, immer wieder seine Freude. Und es wirkt sogar. Das Pentagon mag zwar alt sein, riesig ist es immer noch. Es kommt ihm so vor, als hätte man bei der letzten Reorganisation auch der gängigen Mode Rechnung getragen, Dienst- und Abteilungszeichen sind in hellen, spektralgefilterten Farben gehalten, die an den weißen Wänden im Licht der Xenondampflampen pulsieren.

Er trifft Colonel Eaton im Büro der SD Battle Management Division, und Eaton geht mit ihm in eine der Imbisshallen im zentralen Lichthof. Sie unterhalten sich bei einer Mahlzeit aus Croissants und Salat. McPherson schildert einige der Probleme, die das Houston-Team mit dem Antriebsphasen-Regler hat.

Kugelblitz: Sein Job besteht darin, um die zehntausend sowjetische ICBMs, wenn gleichzeitig gestartet, aufzuspüren; dann bodengestützte Frei-Elektronen-Laser zu aktivieren, ihre Strahlen auf Reflexionsspiegel im All zu lenken und die ICBMs zu zerstören, solange sie sich noch in der Beschleunigungsphase befinden. Es ist eine schwierige Angelegenheit, und McPherson ist froh, dass er damit eigentlich wenig zu tun hat. Doch nun muss er sich Colonel Eatons bohrende Fragen dazu gefallen lassen, der sich als informiert und unerbittlich erweist. Die Testergebnisse in Ihrem Angebot, sagt Eaton, besagten, dass Sie das Problem, von dem Sie mir erzählen, in den Griff bekommen würden. Deshalb haben Sie den Vertrag ja bekommen. Also sehen Sie zu, dass Sie das schnellstens in Ordnung bringen. Oder Sie erleben die große Hacksaw-Nummer.

McPherson krümmt sich bei der Erwähnung des Hacksaw-Desasters, einem Geschützprogramm, das von der DOD wegen Inkompetenz gekippt wurde; es war der Anfang vom Ende für Danforth Aerospace, mittlerweile nicht mehr als ein Name im Geschichtsbuch der großen Rüstungskonzerne. So etwas konnte immer noch passieren; ein großes Entwicklungsprogramm konnte derart schiefgehen, dass es abgeschossen wurde und die ganze Firma mitriss.

Na schön. Angenehme Mahlzeit. McPherson sitzt in den LSR-Büros, die im obersten Stockwerk des Aerojet Tower gemietet wurden, und versucht sich daran zu erinnern, was er überhaupt gegessen hat, während er von dem Gespräch ein Gedächtnisprotokoll anfertigt. Offensichtlich ist ihm das Menü nicht gut bekommen. Salat? Egal. Er verbringt den restlichen Nachmittag mit Telefongesprächen, erst mit OC und dann mit White Sands, um Dan Houston mitzuteilen, dass dicke Luft herrscht. Dan weiß das bereits und bittet mit besorgter, fast ängstlicher Stimme um Hilfe. McPherson verspricht zu tun, was in seinen Kräften steht. »Aber es ist nicht mein Programm, Dan. Durchaus möglich, dass Lemon mir nicht die Zeit zugesteht, überhaupt etwas zu tun. Überdies weiß ich gar nicht, was ich machen soll.«

Am Abend kommt Major Tom Feldkirk zum Hotel und holt ihn ab, und sie fahren rüber nach Georgetown.

Feldkirk ist um die fünfundvierzig, ehemaliger Flieger, trägt sein schwarzes Haar länger, als es den Leuten auf dem Stützpunkt gefällt, nämlich hinten bis in den Nacken und vorne in die Stirn fallend, außerdem Freizeitkleidung, Sporthemd, Sporthose, Mokassins. McPherson hat früher schon zweimal mit ihm zu tun gehabt, und er mag ihn. Sie parken in einer Tiefgarage, betreten einen geklinkerten Gehsteig und tauchen in die Schar der typischen Georgetown-Bummler ein. Sie könnten zwei Rechtsanwälte, zwei Kongressabgeordnete, zwei von irgendeiner Gattung aus Washingtons VIP-Clique sein. Sie unterhalten sich über Georgetown, über die eleganten Bars, über die Besucher. McPherson kennt die Gegend längst ein wenig und kann Wünsche in Bezug auf Restaurants und so weiter äußern.

»Waren Sie schon mal im ›Buddha‹?«, fragt Feldkirk.

McPherson lacht. »Nein.«

»Dann sollten wir es mal versuchen. Ist auch nicht halb so schlimm, wie der Name klingt.«

Er geht voraus die M-Street hinunter, dann eine der kleinen Seitenstraßen hinauf, wo es aussieht, als schriebe man das Jahr 1880, wenn man über die Energie- und Leitschienen im Kopfsteinpflaster der Straße hinwegsieht. Oder wenn man sie für Straßenbahnschienen ansieht. McPherson hat eine kurze Vision von antiken Einschienenbahnen, dann unterbricht er seine Gedankenkette. Es geht schließlich jetzt um geschäftliche Angelegenheiten …

Im Innern sieht das Restaurant sehr indisch aus. Stoffdrucke von Buddha und verschiedenen Hindugottheiten hängen an den Wänden, sechsarmig, mit Elefantenköpfen, bizarre Typen. McPherson ist besorgt. Er zieht es vor, nichts zu essen, was er nicht auf Anhieb erkennt. Aber dann hat die Speisekarte plötzlich zwanzig Seiten, und man kann bestellen, was man will, doch zu jedem Gericht gibt es als Beilage wohlschmeckendes buddhistisches Gemüse. Das ist schon in Ordnung. Er bestellt Lachsfilet. Feldkirk entscheidet sich für irgendeine asiatische Suppe. Er war einige Jahre in Guam stationiert und hat eine Vorliebe für diese Küche entwickelt. Sie diskutieren ein wenig über die Lage im Pazifik. »Die Sowjets besetzen alle strategisch wichtigen Punkte«, sagt Feldkirk, »aber nun, da wir uns überall zurückgezogen haben, ist es uns eigentlich egal.«

»Damit hängen Japan und Korea irgendwie in der Luft.«

»Sicher. Aber angesichts der Tatsache, dass die Japaner sich ganz gut bewaffnen, können sie sich schließlich in der ersten Verteidigungsphase aufbauen. Wir können ihnen dann von hinten den Rücken freihalten. Das ist keine ganz so üble Situation.«

»Und Korea?«

»Nun …«

Ihr Essen wird serviert, und während sie essen, sprechen sie über die Redskins und die Rams, dann über technische Aspekte des Krieges in Burma. McPherson fängt an, die Situation etwas zu genießen. Er mag diesen Mann, er kommt gut mit ihm aus, er ist fast so etwas wie ein verwandter Geist. Feldkirk erzählt wehmütig von seinen beiden Söhnen, die jetzt beide in Annapolis sind. »Ich bin mit ihnen viel gesegelt, als wir auf Guam waren, aber ich hätte niemals gedacht, dass es dazu kommen würde.« McPherson lacht über seinen Gesichtsausdruck. Es ist immer noch furchtbar schwer, in Annapolis aufgenommen zu werden. »Und Ihre Kinder?«, fragt Feldkirk.

»Ich habe nur einen Jungen. Er hängt immer noch in Orange County herum, unterrichtet an einer Abendschule und hat einen Teilzeitjob bei einem Immobilienmakler.« McPherson schüttelt den Kopf. »Er ist ein ganz komischer Vogel. Ein Gehirn ohne Programm.« Feldkirk lacht.

Als die Mahlzeit beendet ist, bestellen sie sich Drinks und Käsekuchen und beobachten Washingtons Elite bei lebhaftem Geschnatter. Feldkirk lehnt sich in seinem Sessel zurück. »Sie fragen sich wahrscheinlich, was ich heute Abend für Sie parat habe, nicht wahr?«

McPherson hebt die Augenbrauen: jetzt kommt's. »Klar«, sagt er lächelnd.

»Nun, wir haben die Idee für ein System, über das ich gerne mit Ihnen reden würde. Sie müssen wissen, der RX-16 ist jetzt fast einsatzfähig.«

»Ist er das?« Der RX-16 ist Northrops RPV, ein ferngesteuerter Flugkörper, der in bestimmten Kreisen der Electronic Systems Division ganz groß in Mode ist: ein Robotjet mit unter Geheimhaltung fallenden Geschwindigkeiten, wahrscheinlich bis zu Mach 7, und zu Wenden und Rollen fähig, die einen Piloten umbringen würden. Aus Kevlar und anderen leichtgewichtigen und stabilen Materialien hergestellt, liefert er auf dem Radarschirm das Bild einer Biene. Er ist einer der erfolgreichsten Aufträge Northrops in der jüngsten Vergangenheit, und McPherson war sich natürlich darüber im Klaren, dass er bald in die Produktion gehen würde, aber er wollte es nicht sagen.

»Ja. Ein tolles Flugzeug.« Feldkirk bekommt einen sehnsüchtigen Blick. »Es muss ein wahnsinniges Abenteuer sein, ein solches Ding zu fliegen. Aber die Zeit der bemannten Kampfflugzeuge ist anscheinend vorbei. Wie dem auch sei, wir haben da ein paar Vorstellungen, wie wir diesen RX-16 auf der europäischen Bühne einsetzen können.«

Als Warnung vor einer drohenden Invasion durch den Warschauer Pakt, die Großmacht, die so viel zur ausufernden Aufrüstung der Supermächte beigetragen hat. McPherson nickt. »Ja?«

»Also, wir denken uns dazu Folgendes: Das RPV ist bereit, und wir glauben, dass diese Maschine noch für eine ganze Zeit schneller und manövrierfähiger sein dürfte als alles, was die Sowjets in dieser Zeit auf die Beine stellen können. Sollten die Panzer sich jemals in Bewegung setzen, dann möchten wir gerne die RX gegen sie einsetzen, denn falls das möglich ist, könnte sich am Ende eine Schießbuden-Situation ergeben. Wir stellen uns vor, dass die RX mit voller Geschwindigkeit aus sechzigtausend Fuß Flughöhe herunterkommen auf größtmögliche Bodennähe, wo sie dann unbemerkt ihre Angriffe fliegen, ein Dutzend Tanks mit ihren wäscheleinegesteuerten Harris-Stalker-Nine-Raketen abschießen, dann wieder aufsteigen und verschwinden. Um dann umzukehren und den nächsten Angriff zu fliegen, und das so lange, bis ihnen die Raketen und der Sprit ausgehen.«

»Stuka-Piloten würden die Flugmanöver und die Taktik sofort erkennen«, meint McPherson und denkt darüber nach. »Demnach brauchen Sie also ein Navigationssystem für den Tiefflug.« Baumkronenidentifikation bei einer Meile pro Sekunde oder noch mehr …

»Stimmt genau.«

»Und dann auch noch unbemerkt vom Feind, sagten Sie.« Was bedeutet, dass das Flugzeug keine Suchsignale abgibt, die von einem Warnsystem des Feindes aufgefangen werden können. Dies steht dem Wunsch nach erdnaher Navigation entgegen und macht die ganze Sache schwierig.

»Ebenfalls richtig.« Das Standardgerät zur Zielsuche, fährt Feldkirk fort, ein YAG-Laser, der mit 1,06 Mikron Wellenlänge arbeitet, reicht wohl nicht mehr aus. Die neue Dimension für Zielsuchlaser spannt sich von etwa acht bis vierzehn Mikron, welches in etwa der oberen und der unteren Grenze des modernsten sowjetischen Radarsystems entspricht. »Das heißt, dass wir wahrscheinlich einen CO2-Laser brauchen.«

Aber CO2-Laser durchdringen Wolken bei Weitem nicht so gut wie die, welche mit einem Yttrium/Aluminium-Gitter arbeiten. »Soll das Ding bei jedem Wetter einsatzfähig sein?«, fragt McPherson.

»Nein, nur unterhalb des Wetters, Tag und Nacht.«

Dann kümmerten sie sich zum Beispiel nicht um Nebel. McPherson stellt sich plötzlich die sowjetischen Panzer vor, wie sie in ihrem Versteck stehen und auf Nebel warten, um den dritten Weltkrieg zu beginnen …

»Wie schwer?«

»Wir hätten am liebsten weniger als fünfhundert Pfund, wenn wir das Ding als ein einziges Gerät bekommen. Vielleicht siebenhundertfünfzig, wenn es geteilt und in den Tragflächen untergebracht werden soll. Das können wir später noch genau festlegen.«

McPherson bläst zischend die Luft aus. Das ist eine haarige Sache. »Und wie viel Strom kann das Flugzeug dem System zur Verfügung stellen?«

»Vielleicht 10 KVA. Höchstens zehn Komma fünf.«

Noch eine Einschränkung. McPherson denkt darüber nach und stellt alle Faktoren im Geiste einander gegenüber. Die Komponenten eines solchen Systems gibt es; es ist nur die Frage, wie man sie in diesem neuen Robotjet zum Funktionieren bekommt.

»Klingt interessant«, sagt er schließlich fest. »Ich glaube, wir können dazu ein Angebot abgeben, natürlich vorausgesetzt, meinem Boss gefällt die Idee.«

Feldkirk schüttelt den Kopf; ein kleines Lächeln lässt ihn richtig jungenhaft erscheinen. »Wir werden für dieses Projekt keinen öffentlichen Angebotswettbewerb ausschreiben.«

»Ah!«

Plötzlich machte das Treffen einen Sinn.

Laut Gesetz ist das Pentagon verpflichtet, Programme öffentlich auszuschreiben. Das bedeutet auch, dass eine Aufforderung zur Abgabe eines Angebots im Commerce Business Daily abgedruckt wird, wo genau dargestellt wird, was gewünscht wird. Das Problem mit dieser Vorgehensweise ist, dass die Sowjets sich ebenfalls das Commerce Business Daily beschaffen können und auf diesem Wege ziemlich klare Vorstellungen von den Fähigkeiten des amerikanischen Militärs bekommen. In diesem Falle würden sie sofort wissen, dass sie in ihrem Radarsystem ein bestimmtes noch offenes Fenster schließen müssten. »Und«, meinte Feldkirk, »wenn sie wissen, dass sie die Entwicklung ihrer Luftabwehr beschleunigen müssen, und es am Ende auch schaffen, dann sind wir nicht mehr länger am Drücker. Deshalb haben wir uns entschlossen, diese Sache als superschwarz zu deklarieren und die Firma anzusprechen, von der wir meinen, dass sie diesen Auftrag am besten ausführen kann.«

Illegal, natürlich. Rein technisch betrachtet. Aber das Pentagon hat auch die Aufgabe, das Land zu verteidigen. Selbst der Kongress begreift, dass einige Programme geheim gehalten werden müssen. Tatsächlich sind schwarze Programme ein anerkannter Teil des Systems, und nur wenige Angehörige der Armed Services Committees erhalten regelmäßig Kenntnis davon. Ein superschwarzes Programm jedoch … das ist eine Sache nur zwischen dem Pentagon und dem ausgewählten Lieferanten.

So. LSR hat einen Auftrag. Andere in der Rüstung tätige Unternehmen werden sich bestimmt nicht beschweren, wenn sie darüber irgendwelche Gerüchte hören, denn sie alle haben ihre eigenen geheimen Aufträge.

Feldkirk fährt fort, die Entscheidung zu rechtfertigen, das Programm als superschwarzes durchzuziehen. »Wir meinen, dass wir noch andere Möglichkeiten haben, die Sowjets vom Losschlagen abzuhalten. Wir brauchen das nicht an die Öffentlichkeit zu bringen und sie dadurch unter Umständen nervös machen. Also, solange sie keine Ahnung davon haben, haben wir eine Art Sicherung – wenn die Panzer rollen, dann sind sie verloren. Wie Enten auf dem Teich, so veraltet wie Flugzeugträger. Unterdessen kann die Regierung Ernst machen mit den Verhandlungen über den Abzug taktischer Atomwaffen aus Europa. Das sollte dafür sorgen, dass die Russen sich auf unsere Weltrauminstallationen stürzen, und es erleichtert ihre Benutz-sie-oder-verlier-sie-Situation mit den Raketen in Europa. Niemand hat jemals daran besonderen Gefallen gefunden, aber wir leben immer noch damit. Auf diese Art und Weise sind wir vielleicht in der Lage, das Risiko zu beseitigen – wir werden einfach keine taktischen Atomwaffen in Europa mehr brauchen, um die Abschreckung zu gewährleisten, und das ist das angestrebte Ziel.«

McPherson nickt. »Das wäre wirklich prima.« Er denkt überhaupt nicht gerne darüber nach, wie stark ihre Europa-Strategie auf Kernwaffen basiert; die Situation macht ihm Angst. Es ist einfach kein kluges Verteidigungskonzept. »Ich muss mich erst mal mit der Konzernleitung absprechen, wissen Sie.«

»Natürlich.«

»Aber, ganz im Vertrauen, ich kann mir nicht vorstellen, dass wir den Auftrag ablehnen.«

»Nein.«

Daher hebt Feldkirk jetzt sein Glas, und sie stoßen auf das Geschäft an.

Am nächsten Tag ruft McPherson Stewart Lemon in aller Frühe an.

»Ja, Mac?«

»Es geht um mein Gespräch mit Major Feldkirk beim ESD.«

»Ja? Und was will er?«

»Uns wurde ein superschwarzes Angebot gemacht.«

3

 

McPhersons Chef, Stewart Lemon, steht in seinem Büro (vor seinem großen Panoramafenster) und schaut auf den Pazifik hinaus. Es dämmert bereits, und die tiefstehende Sonne färbt Catalina aprikosenfarben und vergoldet die Segel der Boote, während sie in die Häfen Dana Point und Newport Beach zurückkehren. Sein Büro befindet sich im obersten Stockwerk des LSR-Turms auf den Klippen an der Küste zwischen Corona del Mar und Laguna, über Reef Point. Lemon bezeichnet den Blick aus seinem Fenster oft als den schönsten in Orange County, und da er kein Land einschließt, sondern nur den fernen Schatten von Catalina, mag er durchaus recht haben.

Dennis McPherson ist unterwegs nach oben, um ihm die Einzelheiten des Treffens mit Feldkirk zu schildern, und Lemon, der über das Treffen nachdenkt, seufzt. Die Angestellten zu motivieren, ihrer Arbeit mit größtem Eifer nachzugehen, ist eine Kunst; man muss seine Methoden für jede Person, die einem unterstellt ist, ändern. McPherson arbeitet schon lange für Lemon, und Lemon hat festgestellt, dass der Mann am besten arbeitet, wenn er unter Druck steht. Bring ihn in Rage, reize ihn zum Widerspruch, und er stürzt sich in seine Arbeit mit einer wütenden Energie, die überaus produktiv ist, daran gibt es keinen Zweifel. Aber wie ermüdend ist die Beziehung geworden! Die gegenseitige Abneigung hat sich schließlich als ziemlich tiefgehend erwiesen. Lemon betrachtet die reservierte Überheblichkeit, die Arroganz seines ungebildeten Ingenieurs mit einem Grad von Verärgerung, der nicht mehr durch seine Amüsiertheit aufgewogen werden kann. Dieser Mann gibt ihm wirklich den Rest. Es ist mittlerweile fast zu einem besonderen Vergnügen geworden, ihn zu ärgern.

Ramona betätigt den Summer, um ihm mitzuteilen, dass McPherson eingetroffen ist. Lemon beginnt vor dem Fenster auf und ab zu gehen, neun Schritte hin, neun Schritte zurück. Herein kommt McPherson und sieht müde aus.

»Also, Mac!« Er bedeutet ihm, in einem Sessel Platz zu nehmen, setzt seine Wanderung fort und blickt dabei so oft aus dem Fenster, wie er kann. »Sie haben für uns ein superschwarzes Programm an Land gezogen, ja?«

»Ich wurde gebeten, das Angebot weiterzuleiten, stimmt.«

»Also, dann erzählen Sie mal.«

McPherson beschreibt das System, von dem Feldkirk gesprochen hat. »Die meisten Komponenten des Systems sind simpel und längst vorhanden, es geht nur darum, sie im Rahmen eines Management-Programms miteinander zu verbinden und sie in ein Gehäuse zu zwängen, das klein genug ist. Aber was die Sensorsysteme betrifft – sowohl die Geländeanalyse wie auch den Zielsucher –, dort liegen einige Gefahren. Der CO2-Laser, den Feldkirk vorgeschlagen hat, ist bisher nur im Labor getestet worden. Daher …«

»Aber es ist ein Superschwarz-Programm, richtig? Das ist eine Sache nur zwischen uns und der Air Force.«

»Das stimmt. Aber …«

»Jedes Verfahren hat seine Mängel. Das heißt nicht, dass wir uns nicht mit der Sache befassen. Tatsächlich können wir nicht sehr gut das Angebot eines Superschwarz-Programms zurückweisen, vielleicht bekommen wir nie wieder eins. Und das Pentagon weiß, dass es ein Programm mit hohem Risiko ist, deshalb haben sie es ja in dieser Weise präsentiert. Und es sind immer die risikoreichen Programme, die den höchsten Profit bringen. Wie sieht Ihr Terminplan aus, Mac?«

»Nun …«

»Sie haben Zeit genug. Ich werde den Canada-Air-Auftrag Bailey geben, und Sie können sich ausschließlich um diese Sache kümmern. Hören Sie, Mac.« Es wurde Zeit, ein oder zwei Nadelstiche loszuwerden. »Zweimal hintereinander haben Sie Angebote gemanagt, die baden gegangen sind. Sie waren zu teuer, zu sorgfältig zusammengestellt, und Sie hätten beinahe den Termin für die Einreichung überzogen, beide Male. Wir müssen dem gesetzten Termin um mindestens zwei Wochen zuvorkommen, um der Air Force zu demonstrieren, dass wir alles fest im Griff haben. Jetzt haben Sie ein Superschwarz-Programm, und es gibt keinen Termin. Aber wenn etwas außerhalb der üblichen Kanäle abläuft, dann besteht der Trick darin, es schnellstens zu erledigen, solange die Umstände es erlauben. Sie verstehen mich?«

McPherson starrt aus dem Fenster und vermeidet es, Lemon anzusehen. Seine Mundwinkel sind verkniffen. Lemon lächelt fast. McPherson glaubt zweifellos noch immer, dass seine unterlegenen Angebote die besten von allen waren, aber Tatsache ist, dass man sich in diesem Geschäft nicht erlauben kann, ein Perfektionist zu sein. Projekte müssen kostengünstig sein, und das erfordert einen gewissen Realismus. Nun, das ist Lemons Auffassung. Und die hat ihn dorthin gebracht, wo er ist. Und diesmal muss er noch etwas sorgfältiger auf seine Herde aufpassen als sonst.

Er unterbricht seinen Spaziergang und zeigt mit ausgestrecktem Finger auf McPherson und überrascht ihn. »Sie ziehen die Sache durch, weil ich glaube, dass die Leute im Pentagon es so wollen. Aber ich will, dass es schnell geschieht. Haben Sie verstanden?«

»Ja.«

Diese knappe abweisende Reaktion schafft es nicht, den Ärger und die Wut in McPhersons Augen zu mildern, er ist so einfach zu erfassen wie ein Hinweisschild auf dem Highway. HIER ABBIEGEN! WEITER ÜBER DIE KLIPPEN. Nun wird er wieder hinunterfahren und sich dumm und dämlich malochen, um das Programm schnellstmöglich fertig zu bekommen und es Lemon auf den Schreibtisch zu knallen. Prima. Diese Art von Arbeit ist es, die Lemons Abteilung zu einer der produktivsten bei LSR macht, und das trotz der unzähligen technischen Schwierigkeiten, mit denen sie sich herumschlagen müssen. Der Job wird erledigt.

»Lassen Sie es mich wissen, wenn Sie einen ersten Angebotsentwurf fertig haben. Sie werden hinfliegen und ihn den Leuten vorlegen, sobald das Angebot steht.«

»Das Zielsuch-System und das Management-Programm nehmen vielleicht ein wenig mehr Zeit in Anspruch …«

»Sehr gut. Ich leugne ja nicht, dass es gilt, einige Probleme zu lösen, so etwas geschieht immer, nicht wahr? Ich möchte nur, dass sie so bald wie möglich gelöst werden.« Ein Hauch diktatorischer Verärgerung: »Kein Festfahren mehr! Keine Entschuldigungen und Verspätungen mehr! Solche Dinge habe ich satt!«

McPherson geht und beißt seine Zähne so fest aufeinander, dass er kaum einen Abschiedsgruß hervorbringen kann. Lemon kann nicht anders als lachen, obgleich er im Grunde wirklich wütend ist. Arroganter Bastard. Es ist schon merkwürdig, was alles nötig ist, um einige Männer dazu zu bringen, ihr Bestes zu geben.

Als Nächster kommt Dan Houston, die letzte Besprechung an Lemons Arbeitstag. Dan ist der totale Gegensatz zu McPherson: technisch etwas weniger bewandert, aber unendlich viel besser im Umgang mit Menschen. Er und Lemon sind Freunde, seit sie vor einigen Jahren begannen, bei Martin Marietta zu arbeiten. Der gleiche Kopfjäger lockte sie zu LSR und brachte Lemon auf den höheren Posten, ein Abstand, den Lemon im Laufe der Jahre sogar noch vergrößert hat. Aber Houston ist deswegen nicht verärgert, er ist nicht neidisch. Lemon kann ihm dankbar sein. Und sollte Lemon tatsächlich mit Houston aneinandergeraten, so würde er nur seine Gefühle verletzen, ihn wütend machen und ihn bremsen. Es ist notwendig, ihn ein wenig zu liebkosen, ihn eher zu ziehen, als ihn zu schieben. Und Tatsache ist, dass Lemon den Mann mag. Houston bewundert ihn, sie gehen zusammen segeln, spielen Squash und gehen mit ihren Partnerinnen, Dawn und Elsa, aus. Sie sind Freunde.

Daher setzt er sich, als Houston hereinkommt, und sie schauen aus dem Fenster und kritisieren die Bemühungen der Boote, die sich von Süden in Richtung Newport heranschleichen. Sie lachen über einige total falsche Manöver. Dann fragt Lemon ihn, wie es um das Kugelblitz-Objekt steht. Houston fängt schon wieder an zu schimpfen.

Es ist einer der drei größten Aufträge, und innerlich schäumt Lemon; sie können es sich nicht erlauben, zu oft abserviert zu werden. Aber er nickt mitfühlend. »Niemand hat bisher das Haltezeitproblem gelöst«, sagt er, indem er laut nachdenkt. »Der Energieaufwand ist einfach zu hoch. Die Luftwaffe kann keine Wunder erwarten.«

»Das Problem ist, sie glaubten, wir hätten das Problem gelöst, als sie uns den Auftrag gaben.«

»Ich weiß.«

Natürlich weiß er das. Wer sonst? Es war Lemon, der damit einverstanden gewesen war, die Testergebnisse von Huntsville mit zu verwenden. Dan kann schon ziemlich blöd sein. »Hör mal, hast du McPhersons Meinung dazu schon gehört?«

»Nun, ich habe ihn danach gefragt. Es gefällt ihm nicht besonders.«

»Ich weiß.« Lemon schüttelt den Kopf. »Aber Dennis ziert sich immer wie eine Primadonna.« Das musste jetzt sorgfältig angegangen werden, da Dan und McPherson ebenfalls Freunde sind. »Er soll mit deinem Entwurfsteam und den Programmierern arbeiten. Hör dir an, was er vorschlägt. Er wird mit einem eigenen Vorschlag beschäftigt sein, aber ich werde ihm mitteilen, er könne sich ruhig Zeit damit lassen. Man kann einfach nicht einen ganzen Tag an nur einem Projekt arbeiten.«

»Das stimmt. Manchmal braucht man ein wenig Zeit.« Dan klingt zufrieden; ihm wäre die Hilfe recht. Und McPherson hat bei technischen Problemen ein gewisses Händchen, daran gibt es keinen Zweifel.

Nicht nur das, auf diese Art und Weise kann Lemon auch behutsam anfangen, McPherson in das Kugelblitz-Programm und all seine Probleme einzubeziehen. Lemon ärgert sich gerade genug über McPherson, um sich über seinen eigenen Schritt zu freuen. Er würde dem Mann wirklich mal die Daumenschrauben anlegen, und wer weiß, McPherson könnte genauso gut das Kugelblitz-Programm überwachen, selbst wenn es ihm überhaupt nicht gefällt? Hervorragend.

Sie unterhalten sich noch eine Weile und sprechen ausführlich über eine Ketsch, die nach Dana Point unterwegs ist. Eine wunderschöne Yacht. Dann will Lemon nach Hause. »Ich bereite heute Abend navarin du mouton, und das kocht nur sehr langsam.« Houston ist entlassen. Lemon eilt zu seinem Wagen auf dem Parkplatz der Führungskräfte. Die Mercedestür schlägt mit einem dumpfem Laut zu. Er schiebt eine CD einer Schumann-Symphonie in den Player, zündet sich eine Zigarre aus kubanischem Tabak an, versetzt mit einer leichten Dosis MDMA, und fährt auf dem Küstenhighway nach Süden in Richtung Laguna Beach.

Es war ein guter Tag, und so einen hatten sie gebraucht. LSR ist ein Ableger von Argo Ag/Blessman Enterprise, einer der größten Konzerne der Welt; Lemons Chef, Donald Hereford, Präsident der LSR, hat seinen Sitz in New York, weil er auch Vizepräsident von A/BE ist. Ein faszinierender Mann, aber er war in den letzten ein oder zwei Jahren mit den Ergebnissen von LSR nicht sonderlich zufrieden. Die Nachricht von diesem neuen Superschwarz-Programm sollten die Dinge bezüglich des Kugelblitz-Programms und einer Reihe erfolgloser Angebote etwas beruhigen. Und das ist gut. Lemon wechselt auf die Schnellspur hinüber und lässt den Mercedes laufen.

Er beschließt, lieber zwei Knoblauchzwiebeln als nur eine in das navarin du mouton zu raspeln und vielleicht auch noch ein oder zwei Blätter Salbei hinzuzufügen. Das letzte Mal, als er dieses Gericht zubereitet hatte, war es etwas fade gewesen. Er hofft, dass Elsa gutes Hammelfleisch gefunden hat. Falls sie sich überhaupt die Mühe gemacht hat, das Haus zu verlassen.

4

 

Dennis McPherson verlässt LSR einige Zeit nach Lemon und fährt nach Hause. Den Muddy Canyon Parkway hinauf vorbei an Signal Hill, durch den Irvine-Wohnpark zur Jeffrey, dann nach links auf die Irvine, nach rechts auf die Eveningside, nach links in die Morningside, weiter bis zum letzten Haus links, jetzt ein Doppelhaus; den McPhersons gehört die zur Straße gelegene Hälfte mit dem Autostellplatz und der Garage. Während er in die Einfahrt biegt unter das Behelfsdach über dem Stellplatz, sieht Dennis Jims schäbigen kleinen Volvo draußen auf der Straße. Ist er schon wieder hier, um seine Mahlzeit zu schnorren? Dennis seufzt; er ist am Ende dieses langen Tages kaum in der Stimmung für häuslichen Ärger.

Er betritt das Haus und trifft Jim und Lucy an, die, wie üblich, in eine heftige Diskussion verwickelt sind. »Aber Mom, die Weltbank leiht ihnen nur dann Geld, wenn sie landwirtschaftliche Produkte anbauen, die sich leicht verkaufen lassen und mit denen die Bank einverstanden ist, und daher betreiben sie keine geordnete und planmäßige Landwirtschaft und können sich nicht selbst ernähren, und dann bricht der Markt für solche leichtverkäuflichen Produkte zusammen, und sie müssen am Ende ihre Lebensmittel von der Weltbank kaufen oder darum betteln, und schließlich gehören sie der Bank mit Haut und Haar!«

»Nun, ich weiß nicht«, sagt Lucy, »meinst du nicht, dass sie einfach nur helfen wollen? Es ist doch ein Zeichen von Großzügigkeit, wenn man den Armen gibt.«

»Aber Mom, erkennst du denn nicht das Prinzip?«

»Also, ich weiß wirklich nicht. Die Bank verleiht das Geld fast ohne Zinsen – es ist doch beinahe so, als verschenkten sie es, meinst du nicht?«

»Natürlich nicht!«

Dennis geht nach hinten ins Schlafzimmer, um sich umzuziehen. Er will noch nicht einmal, dass diese Debatte zu einem einleuchtenden Ende kommt. Jim und Lucy diskutieren ständig in dieser Form, Lucy von einem christlichen Standpunkt aus und Jim von einem pseudosozialistischen, wobei er philosophische Gesichtspunkte mit Fragen des täglichen Lebens verbindet und alles miteinander vermischt. Gott im Himmel. Für die beiden ist das alles reine Theorie wie bei Mitgliedern eines Debattierclubs, die diskutieren, um in der Übung zu bleiben; es ist nur ein kleiner Ausschnitt aus ihren ständigen Gesprächen. Aber Dennis hasst Diskussionen, für ihn sind sie nichts anderes als verbale Kämpfe, die einen in Rage bringen können und einen noch Tage später aufregen. Davon bekommt er schon während seiner täglichen Arbeit genug zu hören.

Sie sind noch immer im Gange, als Dennis wieder herauskommt, um sich an der Videowand die Tagesnachrichten anzuschauen. KRIEG IN BURMA GREIFT NACH BANGLADESCH ÜBER. »Hört endlich auf«, befiehlt er ihnen.

Sie schauen sich gegenseitig an, Jim amüsiert, Lucy bedrückt. »Dennis«, beklagt sie sich, »wir unterhalten uns doch nur.«

»Dann unterhaltet euch, aber streitet nicht.«

»Aber das haben wir doch gar nicht getan!« Trotzdem setzt Lucy die Auseinandersetzung nicht fort und bereitet die Mahlzeit vor und erzählt Jim von Angehörigen ihrer Kirche, während Jim überaus detaillierte Fragen über Leute stellt, die er seit zehn Jahren nicht mehr gesehen hat. Dennis überfliegt die Meldungen und schaltet die Wand aus; morgen werden die Schlagzeilen genauso lauten, kunstvoll umgestellt, um möglichst aktuell zu erscheinen. KRIEG GREIFT AUF (beliebige Nation einsetzen) ÜBER …

Sie setzen sich zu Tisch, Lucy spricht ein Gebet, sie essen. Anschließend meint Jim: »Dad, ich erwähne es nur ungern, aber der alte Wagen wechselt immer auf die rechte Fahrspur, ob ich es will oder nicht. Ich hab schon alles Mögliche versucht, das Programm zu überprüfen, aber … ich hab nichts gefunden.«

»Der Fehler wird nicht im Programm liegen.«

»Nun, könntest du nicht mal nachschauen?«

Deshalb also Jims Besuch. Unwirsch steht Dennis auf und geht ohne ein Wort hinaus. Die Sache ist die, dass er eigentlich nicht anders kann; die Freeways sind tatsächlich gefährlich, und wenn er sich weigert, Jims Wagen zu reparieren, und versucht, ihm beizubringen, selbst auch einmal etwas zu tun, dann ist das Nächste, dass er von der CHP einen Anruf und die Mitteilung bekommt, dass der Wagen des Dummkopfs einen Defekt hatte und dass er darin umgekommen ist, und dann wird Dennis sich für den Rest seines Lebens wünschen, die kleine Reparatur ausgeführt zu haben. Daher lenkt er die Kiste in die Garage und macht sich ans Werk, schraubt die Klappe über dem Spurwechselmechanismus beim Licht einer großen Lampe auf, die er neben sich auf den Boden gestellt hat.

Jim folgt ihm in die Garage und hockt sich auf den Boden, um zuzusehen. Dennis fährt auf dem Montageschlitten hin und her, legt die Schrauben alle auf eine Stelle und testet die magnetischen Funktionen aller wichtigen Punkte im Schalter … Zwei sind kaputt, zwei funktionieren kaum noch, und Kommandos werden gleich zu den Punkten weiterbefördert, die für das Rechtsabbiegen verantwortlich sind, was die Erklärung des Problems ist. Ein Gefühl der Befriedigung, als er das kleine Rätsel löst. Jeder hätte es herausfinden können. Was ihn wieder auf seine Verärgerung über Jim bringt. Da sitzt er, hängt seinen eigenen Gedanken nach und lernt nicht eine Sache über seine Maschine, bei der er sich vollkommen darauf verlässt, dass sie sein Leben bestimmt. Dennis stößt einen tiefen Seufzer aus. Während er die schadhaften Kontakte durch neue aus seinem Vorrat ersetzt (und sie sind teuer), sagt er: »Hast du dich eigentlich um einen Vollzeitjob bemüht?«

»Ich … ich schaue mich danach um.«

Sicher. Aber abgesehen davon, für was für einen Job eignet er sich überhaupt? Zwar ist er jahrelang aufs College gegangen, aber, soweit Dennis es beurteilen kann, ist er für überhaupt nichts qualifiziert. Büroarbeit, ein bisschen Lehrtätigkeit an der Abendschule … soll das wirklich alles sein? Dennis zieht eine Schraube ziemlich heftig an. Was kann Jim tun? Nun … er kann Bücher lesen. Er kann Bücher lesen wie sonst kaum jemand. Aber Dennis kann auch Bücher lesen, und er brauchte nicht sechs Jahre aufs College zu gehen, um das zu lernen. Und mittlerweile liegt er hier nach einem Elf-Stunden-Tag auf dem Boden, um den Wagen des Jungen zu reparieren!

Es wird Zeit, ihn aufzufordern, ihm wenigstens zu helfen. »Sieh mal, nimm diesen Kontakt und greif von oben rein und setze ihn in diesen Schlitz ein.« Er deutet mit dem Schraubenzieher auf die betreffende Stelle.

»Klar, Dad.« Und Jim umkreist den Motorraum, verdeckt dabei die Bodenlampe und beugt sich mit dem Kontakt zwischen den Fingern vor. »Pass auf, gleich hab ich's – autsch!«

»Was ist passiert?«

»Hab ihn fallen lassen. Aber ich kann sehen, wo er hingefallen ist – zwischen den Motor und den Verteiler – einen Augenblick …« Und er bückt sich tiefer hinein, legt sich halb auf den Motor und schirmt Dennis' Licht total ab.

»Was machst du?«

»Ich will nur – uh-oh –«

Jim kippt in den Motorraum. Sein Gewicht lässt den vorderen Teil des Wagens ziemlich abrupt absacken, und Dennis, der auf dem Rücken darunterliegt, wird von der Bodenplatte beinahe zerquetscht.

»Heh! Um Gottes willen!«

Nur gut, dass der Wagen anständige Stoßdämpfer hat – die Dennis selbst im vorausgegangenen Jahr eingebaut hat –, sonst wäre er jetzt nämlich platt wie ein Pfannkuchen. Vorsichtig versucht er, sich unter dem Wagen hervorzuschieben, aber die Unterkante der Karosserie knallt gegen seine Rippen und … nun, er kann sich nicht darunter hervorzwängen. »Stell deine Füße wieder auf den Boden und sieh zu, dass du mit deinem Gewicht aus dem Wagen rauskommst.«

»Ich … ich kann nicht. Ich hab meine Hand wohl – unter diesem Ding eingeklemmt.«

»Unter welchem Ding?«

»Ich vermute, es ist der Verteiler. Ich hab den Kontakt, aber …«

»Wenn du den Kontakt loslässt, bekommst du dann die Hand frei?«

»Ähm … nein. Es geht so oder so nicht.«

Dennis seufzt, rutscht zur Seite, bis er sich vom Schlitten rollen kann, dann rutscht er auf den Garagenboden, stößt sich dabei den Kopf. Ein langsames, unbeholfenes Vorbeirutschen an den Leitschienenkontakten, die auf den Boden gedrückt sind, und er windet sich unter dem Wagen hervor.

Er steht auf, reibt sich den Hinterkopf, betrachtet die strampelnden Beine, die unter der Motorhaube des Wagens hervorragen. Es sieht aus, als wäre der Junge kopfüber in den Motorraum getaucht. Dennis greift nach einer Taschenlampe und richtet ihren Lichtstrahl in den Motorraum; Jims Kopf ist leicht verdreht und auf die Brust gepresst.

»Hi«, sagt Jim.

Dennis leuchtet mit der Lampe auf das Ende von Jims Arm, wo er unter dem Verteiler verschwindet. »Du hast gesagt, du hast den Kontakt losgelassen?«

»Ja.«

Er klingt, als hätte er eine Klammer um den Hals. Dennis beugt sich vor und hinunter zum Verteiler, löst die Halterungen und hebt die Verteilerklappe ab. »Versuch jetzt mal.«

Jim ruckt plötzlich hoch, seine Hand löst sich, und sein Kopf zuckt hoch und schlägt gegen die Motorhaube des Wagens, stößt sie von ihrer primitiven Stütze herunter, sodass sie mit einem hohlen Dröhnen nach unten fällt und Dennis' Finger und Jims Hals nur knapp verfehlt. »Au! Autsch!«

Dennis betrachtet Jim über die Ränder seiner Garagenbrille hinweg. Er öffnet die Motorhaube wieder. Er setzt die Verteilerkappe an ihren Platz. »Wo, sagtest du, ist der Kontakt?«

»Ich hab ihn«, sagt Jim und massiert sich mit einer Hand den Kopf. Mit der anderen Hand hält er stolz den Kontakt hoch.

Dennis beendet die Reparatur lieber selbst. Während er die Deckel auf den Kasten schraubt, gibt er jeder Schraube am Ende noch einen letzten harten Dreh; falls Jim jemals versuchen sollte, sie zu lösen (kaum zu erwarten), dann wird er sich erinnern, wer sie eingeschraubt hat …

»Und wie läuft es mit deiner Arbeit?«, erkundigt Jim sich interessiert, um das Schweigen zwischen ihnen zu brechen.

»Okay.«

Dennis ist fertig, macht die Klappe zu. »Ich bin fast die ganze nächste Woche in Washington«, erklärt er seinem Sohn. »Wäre vielleicht ganz gut, wenn du mal für einen oder zwei Abende herkämst und hier essen würdest.«

»Okay, das mache ich.«

Dennis verstaut sein Werkzeug wieder in der Werkzeugkiste.

»Nun, ich denke, ich fahre jetzt.«

»Dann verabschiede dich wenigstens von deiner Mutter.«

»Ach ja.«

Dennis geht ihm ins Haus nach und schüttelt dabei unbewusst den Kopf. Beine, die in der Luft strampeln … wie ein Käfer, der auf dem Rücken liegt.