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Rowohlt E-Book Theater Minutiös plant Jens, genannt «Cold», den Amoklauf an seiner Schule. Ins Täterprofil passt er perfekt: Er ist 16, Außenseiter, hört böse Musik, spielt gern Counter Strike, schreibt blutige Kurzgeschichten. Dass es vor ihm andere Amokläufer gab, ist ihm bewusst, also muss er eben krasser sein. Schon hört er seine Eltern auf CNN Interviews geben, orchestriert im Kopf den eigenen Nachruhm, das weltweite Betroffenheitspathos. Erst als «Cold» Susanne, eine Mitschülerin, kennenlernt, nimmt die Geschichte eine ungeahnte Wendung. «Zeh spannt ein Netz von Bezügen, in dem alle ihren Teil an Schuld tragen ... Amokläufe können nicht monokausal begründet werden, so eine Hauptthese des Stücks, die durch das überraschende Ende noch einmal bekräftigt wird.» (dpa) «In 30 Szenen plus Epilog wechselt Juli Zeh permanent – und gekonnt - die Zeit- und Realitätsebenen, bis man nicht mehr genau sagen kann: Was ist Wirklichkeit, was Phantasie?» (Süddeutsche Zeitung)
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Seitenzahl: 70
Veröffentlichungsjahr: 2013
Juli Zeh
Rowohlt E-Book Theater
Minutiös plant Jens, genannt «Cold», den Amoklauf an seiner Schule. Ins Täterprofil passt er perfekt: Er ist 16, Außenseiter, hört böse Musik, spielt gern Counter Strike, schreibt blutige Kurzgeschichten. Dass es vor ihm andere Amokläufer gab, ist ihm bewusst, also muss er eben krasser sein. Schon hört er seine Eltern auf CNN Interviews geben, orchestriert im Kopf den eigenen Nachruhm, das weltweite Betroffenheitspathos. Erst als «Cold» Susanne, eine Mitschülerin, kennenlernt, nimmt die Geschichte eine ungeahnte Wendung.
«Zeh spannt ein Netz von Bezügen, in dem alle ihren Teil an Schuld tragen … Amokläufe können nicht monokausal begründet werden, so eine Hauptthese des Stücks, die durch das überraschende Ende noch einmal bekräftigt wird.» (dpa)
«In 30 Szenen plus Epilog wechselt Juli Zeh permanent – und gekonnt – die Zeit- und Realitätsebenen, bis man nicht mehr genau sagen kann: Was ist Wirklichkeit, was Phantasie?» (Süddeutsche Zeitung)
Die Theaterstücke von Juli Zeh sind als Sammelband bei Schöffling & Co., Frankfurt am Main erschienen
«Good Morning, Boys and Girls»
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Oktober 2013
Copyright © 2013 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Aufführungsrechte: Rowohlt Theater Verlag, Hamburger Straße 17, 21465 Reinbek
Umschlaggestaltung any.way, Cathrin Günther
(Abbildung: thinkstockphotos.de)
ISBN 978-3-644-90441-5
www.rowohlt-theater.de
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
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www.rowohlt.de
COLD/JENS16. Plant einen Amoklauf.
SUSANNE16. Ein Mädchen aus Colds Schule.
VATER40. Hält seinen Sohn für ein Monster.
MUTTER40. Hält ihren Sohn für unschuldig.
FRAU PATTAnfang 30. Lehrerin.
AMOKEine Allegorie. Stets maskiert.
DANTONMännliche Stimme, 30.
ZICKEWeibliche Stimme, 16.
Cold, Zicke und Danton spielen im Netz einen Egoshooter namens Counter Strike Source. Sie sind Mitglieder eines Clans (vergleichbar einem Sportverein), trainieren regelmäßig und nehmen an Wettkämpfen teil (Electronic Sports League). Kommuniziert wird über Teamspeak, ein Programm, mit dessen Hilfe beliebig viele Teilnehmer über das Internet miteinander «telefonieren» können.
Amok hat keine eigene Stimme. Was er spricht, wird von Cold, später auch von Susanne synchronisiert. Dabei sollte ein Mikro verwendet werden, damit Amok lauter ist als die anderen.
VATER
3. Juni 1983. Karel Charva erschießt in der Freiherr-vom-Stein-Schule im hessischen Eppstein fünf Menschen und sich selbst. Marc Lepine erschießt 1989 in einer Montrealer Universität 14 Studentinnen. Thomas Hamilton tötet am 13. März 1996 im schottischen Dunblane 16 Grundschüler, eine Lehrerin und sich selbst. Kiplan Kinkel erschießt im Mai 1998 an seiner Schule in Springfield zwei Mitschüler. Ein 16-Jähriger aus Pearl erschießt im Herbst 1997 seine Mutter und zwei Mitschüler. Dylan Klebold und Eric Harris töten am 20. April 1999 13 Menschen in der Columbine-Highschool. Ein 16-Jähriger tötet in Bad Reichenhall am 7. November 1999 seine Schwester, drei Passanten und sich selbst. Zwei Tage später tötet ein 15-jähriger Gymnasiast eine Lehrerin im sächsischen Meißen. Am 16. März 2000 schießt ein 16-jähriger Schüler in Brannenburg auf seinen Internatsleiter und tötet sich anschließend selbst. Charles Andrew Williams tötet am 5. März 2001 in Kalifornien zwei Mitschüler mit einem Revolver. Im Februar 2002 tötet ein 22-Jähriger in Eching den Direktor seiner früheren Berufsschule; einem Lehrer schießt er ins Gesicht. Einen Monat später tötet ein ehemaliger Schüler am Erfurter Gutenberg-Gymnasium 13 Lehrer, zwei Schüler, einen Polizisten und sich selbst.
MUTTER
Er war so ein süßes Kind.
Amok wird von Cold, später auch von Susanne durch ein Mikrophon synchronisiert.
AMOK/COLD
Good morning, boys and girls.
VATER
Im Juli 2003 schießt ein 16-Jähriger in einer Realschule in Coburg eine Lehrerin an und tötet sich selbst.
COLD
Schreiben. Immer schreiben. Die Gedanken rausfließen lassen.
VATER
14. September 2006. Der 25-jährige Kimveer Gill tötet in Montreal eine Mitschülerin und verletzt 19 weitere Personen schwer.
COLD
Wisst ihr, wie sich Schreiben anfühlt? Wie wenn man ein Geschwür öffnet und der Eiter platzt raus.
VATER
2. Oktober 2006. In Pennsylvania tötet ein Amokläufer fünf Schülerinnen einer Amish-Schule.
COLD
Mein Kopf ist eine Wunde /
VATER
20. November 2006. Sebastian B. verletzt an seiner Schule in Emsdetten 37 Menschen und tötet sich selbst.
COLD
/ die nicht aufhört zu schmerzen und zu wuchern.
VATER
16. April 2007. An der Technischen Hochschule von Blacksburg tötet der 23-jährige Cho Seung-Hui 31 Studenten und Dozenten.
COLD
Denken ist krank.
VATER
7. November 2007. Im finnischen Tuusula erschießt ein Abiturient acht Menschen und sich selbst.
COLD
Alle Gedanken sind Lügen. Die Wirklichkeit besteht aus Gedanken. Also ist die Wirklichkeit eine Lüge.
VATER
Im finnischen Kauhajoki erschießt ein 23-Jähriger im September 2008 neun Schüler, einen Lehrer und sich selbst.
COLD
(heftig) Das hört nicht auf! (Klopft sich rhythmisch an die Stirn) Denk zwo drei vier, denk zwo drei vier, denk zwo drei vier.
VATER
Am 11. März 2009 sterben bei einem Amoklauf an einer Realschule in Winnenden 16 Menschen, darunter der Amokläufer.
COLD
Ich muss meinen Kopf ausdrücken wie einen riesigen Pickel.
MUTTER
Er war so ein liebes Kind.
AMOK/COLD
Good morning, boys and girls.
COLD
Neulich ging ich in Eller spazieren. Es war ein lauer Sommerabend. Die Luft roch nach dem Saft der Linden, der alle Autodächer mit einer klebrigen Schicht überzog. Es war so still, dass ich mich fragte, ob die Menschheit vielleicht ganz plötzlich ausgestorben war. Was für eine herrliche Vorstellung!
PATT
Toller Einstieg! Für die Lesbarkeit wäre es allerdings wichtig, dass du einen größeren Rand und zwei Zeilen Abstand verwendest.
COLD
Aus der Traum – plötzlich hörte ich Stimmen. Das Lachen von Männern. Und ein Winseln war zu hören.
PATT
Wortwiederholung «hören». Vorschlag: «Ein Winseln war zu vernehmen.»
COLD
An der Unterführung war irgendwas los. Mit schnellen Blicken sicherte ich die Umgebung. Dann ging ich in Deckung. Unter der Brücke standen fünf Nazis, kahlgeschoren, Schultern breit wie Bulldozer. Über den Kragen ihrer Lederjacken wölbten sich die Speckrollen. Zwei trugen Baseballschläger unter dem Arm. Die Schlagringe glänzten im Abendlicht.
PATT
Gute Beschreibung. Erinnert mich an die Schweine in Orwells Animal Farm.
COLD
Die Nazis umringten drei Ölaugen.
PATT
Ölaugen, Schlangenlinie. Vorschlag: «Mitbürger mit Migrationshintergrund».
COLD
Eins der Ölaugen hatte die Hände gefaltet wie ein Christ /
PATT
Ölaugen, Schlangenlinie.
COLD
/ und flehte um sein Leben, was die Nazis zum Lachen brachte. Dann erkannte ich, woher das Winseln kam. Ein Ölauge /
PATT
Ölauge, Schlangenlinie.
COLD
Ein TÜRKE hatte einen jungen Hund dabei.
MUTTER
Er war verrückt nach diesem Hund.
COLD
Er hielt ihn so fest am Halsband, dass der fast erstickte.
MUTTER
Manchmal dachte ich, er liebt diesen Hund mehr als uns.
COLD
Sein Fell war ungepflegt.
MUTTER
Ist das anormal? Muss man sich da als Mutter Gedanken machen?
PATT
Der Hund wirkt jetzt ein bisschen wie ein Fremdkörper in der Geschichte.
MUTTER
Achtung, dein Sohn liebt seinen Hund, wahrscheinlich plant er einen Mord?
COLD
In aller Ruhe nahm ich den Rucksack von der Schulter und holte die Benelli raus.
PATT
Pumpguns passen nicht in Rucksäcke.
COLD
Eins der Nazi-Schweine drehte sich um. Unsere Blicke trafen sich. Er stieß seine Kumpels an. Ich sah, dass «H.A.S.S.» auf seine Fingerknöchel tätowiert war. «Hey, kleine Schwuchtel!», rief er. «Tscha-lak», antwortete die Benelli. Daraufhin herrschte Schweigen. «Chef», sagte einer der anderen schließlich, «der meint’s ernst.» – «Nicht doch», erwiderte ich. «Nur Spaß.»
VATER
(legt den Arm um die Mutter) Tinka! Jetzt häng dich doch nicht immer so an der Hundesache auf.
COLD
Ich schoss aus der Hüfte, wobei ich auf die Füße zielen musste, um den gewaltigen Rückstoß auszugleichen. Ich traf das Schwein in den Hals. Für einen Moment stand eine Sprühwolke aus winzigen Blutstropfen in der Luft, während der Körper /
MUTTER
Ich denk doch nur nach.
COLD
/ während der Körper wie ein Sack /
VATER
Du musst aufhören, ständig nach dem Warum zu fragen.
MUTTER
Gibt es eine andere Frage?
COLD
(laut) / wie ein Sack zu Boden fiel.
VATER
Ganz viele. Was? Wann? Wo? Wie?
MUTTER