Good Morning, Boys and Girls - Juli Zeh - E-Book

Good Morning, Boys and Girls E-Book

Juli Zeh

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Beschreibung

Rowohlt E-Book Theater Minutiös plant Jens, genannt «Cold», den Amoklauf an seiner Schule. Ins Täterprofil passt er perfekt: Er ist 16, Außenseiter, hört böse Musik, spielt gern Counter Strike, schreibt blutige Kurzgeschichten. Dass es vor ihm andere Amokläufer gab, ist ihm bewusst, also muss er eben krasser sein. Schon hört er seine Eltern auf CNN Interviews geben, orchestriert im Kopf den eigenen Nachruhm, das weltweite Betroffenheitspathos. Erst als «Cold» Susanne, eine Mitschülerin, kennenlernt, nimmt die Geschichte eine ungeahnte Wendung. «Zeh spannt ein Netz von Bezügen, in dem alle ihren Teil an Schuld tragen ... Amokläufe können nicht monokausal begründet werden, so eine Hauptthese des Stücks, die durch das überraschende Ende noch einmal bekräftigt wird.» (dpa) «In 30 Szenen plus Epilog wechselt Juli Zeh permanent – und gekonnt - die Zeit- und Realitätsebenen, bis man nicht mehr genau sagen kann: Was ist Wirklichkeit, was Phantasie?» (Süddeutsche Zeitung)

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Seitenzahl: 71

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Juli Zeh

Good Morning, Boys and Girls

Rowohlt E-Book

Inhaltsübersicht

PersonenAnmerkungenSzene 1Szene 2Szene 3Szene 4Szene 5Szene 6Szene 7Szene 8Szene 9Szene 10Szene 11Szene 12Szene 13Szene 14Szene 15Szene 16Szene 17Szene 18Szene 19Szene 20Szene 21Szene 22Szene 23Szene 24Szene 25Szene 26Szene 27Szene 28Szene 29Szene 30Epilog
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Personen

COLD/JENS16. Plant einen Amoklauf.

SUSANNE16. Ein Mädchen aus Colds Schule.

VATER40. Hält seinen Sohn für ein Monster.

MUTTER40. Hält ihren Sohn für unschuldig.

FRAU PATTAnfang 30. Lehrerin.

AMOKEine Allegorie. Stets maskiert.

DANTONMännliche Stimme, 30.

ZICKEWeibliche Stimme, 16.

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Anmerkungen

Cold, Zicke und Danton spielen im Netz einen Egoshooter namens Counter Strike Source. Sie sind Mitglieder eines Clans (vergleichbar einem Sportverein), trainieren regelmäßig und nehmen an Wettkämpfen teil (Electronic Sports League). Kommuniziert wird über Teamspeak, ein Programm, mit dessen Hilfe beliebig viele Teilnehmer über das Internet miteinander «telefonieren» können.

 

Amok hat keine eigene Stimme. Was er spricht, wird von Cold, später auch von Susanne synchronisiert. Dabei sollte ein Mikro verwendet werden, damit Amok lauter ist als die anderen.

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Szene 1

VATER

3. Juni 1983. Karel Charva erschießt in der Freiherr-vom-Stein-Schule im hessischen Eppstein fünf Menschen und sich selbst. Marc Lepine erschießt 1989 in einer Montrealer Universität 14 Studentinnen. Thomas Hamilton tötet am 13. März 1996 im schottischen Dunblane 16 Grundschüler, eine Lehrerin und sich selbst. Kiplan Kinkel erschießt im Mai 1998 an seiner Schule in Springfield zwei Mitschüler. Ein 16-Jähriger aus Pearl erschießt im Herbst 1997 seine Mutter und zwei Mitschüler. Dylan Klebold und Eric Harris töten am 20. April 199913 Menschen in der Columbine-Highschool. Ein 16-Jähriger tötet in Bad Reichenhall am 7. November 1999 seine Schwester, drei Passanten und sich selbst. Zwei Tage später tötet ein 15-jähriger Gymnasiast eine Lehrerin im sächsischen Meißen. Am 16. März 2000 schießt ein 16-jähriger Schüler in Brannenburg auf seinen Internatsleiter und tötet sich anschließend selbst. Charles Andrew Williams tötet am 5. März 2001 in Kalifornien zwei Mitschüler mit einem Revolver. Im Februar 2002 tötet ein 22-Jähriger in Eching den Direktor seiner früheren Berufsschule; einem Lehrer schießt er ins Gesicht. Einen Monat später tötet ein ehemaliger Schüler am Erfurter Gutenberg-Gymnasium 13 Lehrer, zwei Schüler, einen Polizisten und sich selbst.

MUTTER

Er war so ein süßes Kind.

Amok wird von Cold, später auch von Susanne durch ein Mikrophon synchronisiert.

AMOK/COLD

Good morning, boys and girls.

VATER

Im Juli 2003 schießt ein 16-Jähriger in einer Realschule in Coburg eine Lehrerin an und tötet sich selbst.

COLD

Schreiben. Immer schreiben. Die Gedanken rausfließen lassen.

VATER

14. September 2006. Der 25-jährige Kimveer Gill tötet in Montreal eine Mitschülerin und verletzt 19 weitere Personen schwer.

COLD

Wisst ihr, wie sich Schreiben anfühlt? Wie wenn man ein Geschwür öffnet und der Eiter platzt raus.

VATER

2. Oktober 2006. In Pennsylvania tötet ein Amokläufer fünf Schülerinnen einer Amish-Schule.

COLD

Mein Kopf ist eine Wunde / 

VATER

20. November 2006. Sebastian B. verletzt an seiner Schule in Emsdetten 37 Menschen und tötet sich selbst.

COLD

/ die nicht aufhört zu schmerzen und zu wuchern.

VATER

16. April 2007. An der Technischen Hochschule von Blacksburg tötet der 23-jährige Cho Seung-Hui 31 Studenten und Dozenten.

COLD

Denken ist krank.

VATER

7. November 2007. Im finnischen Tuusula erschießt ein Abiturient acht Menschen und sich selbst.

COLD

Alle Gedanken sind Lügen. Die Wirklichkeit besteht aus Gedanken. Also ist die Wirklichkeit eine Lüge.

VATER

Im finnischen Kauhajoki erschießt ein 23-Jähriger im September 2008 neun Schüler, einen Lehrer und sich selbst.

COLD

(heftig) Das hört nicht auf! (Klopft sich rhythmisch an die Stirn) Denk zwo drei vier, denk zwo drei vier, denk zwo drei vier.

VATER

Am 11. März 2009 sterben bei einem Amoklauf an einer Realschule in Winnenden 16 Menschen, darunter der Amokläufer.

COLD

Ich muss meinen Kopf ausdrücken wie einen riesigen Pickel.

MUTTER

Er war so ein liebes Kind.

AMOK/COLD

Good morning, boys and girls.

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Szene 2

COLD

Neulich ging ich in Eller spazieren. Es war ein lauer Sommerabend. Die Luft roch nach dem Saft der Linden, der alle Autodächer mit einer klebrigen Schicht überzog. Es war so still, dass ich mich fragte, ob die Menschheit vielleicht ganz plötzlich ausgestorben war. Was für eine herrliche Vorstellung!

PATT

Toller Einstieg! Für die Lesbarkeit wäre es allerdings wichtig, dass du einen größeren Rand und zwei Zeilen Abstand verwendest.

COLD

Aus der Traum – plötzlich hörte ich Stimmen. Das Lachen von Männern. Und ein Winseln war zu hören.

PATT

Wortwiederholung «hören». Vorschlag: «Ein Winseln war zu vernehmen.»

COLD

An der Unterführung war irgendwas los. Mit schnellen Blicken sicherte ich die Umgebung. Dann ging ich in Deckung. Unter der Brücke standen fünf Nazis, kahlgeschoren, Schultern breit wie Bulldozer. Über den Kragen ihrer Lederjacken wölbten sich die Speckrollen. Zwei trugen Baseballschläger unter dem Arm. Die Schlagringe glänzten im Abendlicht.

PATT

Gute Beschreibung. Erinnert mich an die Schweine in Orwells Animal Farm.

COLD

Die Nazis umringten drei Ölaugen.

PATT

Ölaugen, Schlangenlinie. Vorschlag: «Mitbürger mit Migrationshintergrund».

COLD

Eins der Ölaugen hatte die Hände gefaltet wie ein Christ /

PATT

Ölaugen, Schlangenlinie.

COLD

/ und flehte um sein Leben, was die Nazis zum Lachen brachte. Dann erkannte ich, woher das Winseln kam. Ein Ölauge /

PATT

Ölauge, Schlangenlinie.

COLD

Ein TÜRKE hatte einen jungen Hund dabei.

MUTTER

Er war verrückt nach diesem Hund.

COLD

Er hielt ihn so fest am Halsband, dass der fast erstickte.

MUTTER

Manchmal dachte ich, er liebt diesen Hund mehr als uns.

COLD

Sein Fell war ungepflegt.

MUTTER

Ist das anormal? Muss man sich da als Mutter Gedanken machen?

PATT

Der Hund wirkt jetzt ein bisschen wie ein Fremdkörper in der Geschichte.

MUTTER

Achtung, dein Sohn liebt seinen Hund, wahrscheinlich plant er einen Mord?

COLD

In aller Ruhe nahm ich den Rucksack von der Schulter und holte die Benelli raus.

PATT

Pumpguns passen nicht in Rucksäcke.

COLD

Eins der Nazi-Schweine drehte sich um. Unsere Blicke trafen sich. Er stieß seine Kumpels an. Ich sah, dass «H.A.S.S.» auf seine Fingerknöchel tätowiert war. «Hey, kleine Schwuchtel!», rief er. «Tscha-lak», antwortete die Benelli. Daraufhin herrschte Schweigen. «Chef», sagte einer der anderen schließlich, «der meint’s ernst.» – «Nicht doch», erwiderte ich. «Nur Spaß.»

VATER

(legt den Arm um die Mutter) Tinka! Jetzt häng dich doch nicht immer so an der Hundesache auf.

COLD

Ich schoss aus der Hüfte, wobei ich auf die Füße zielen musste, um den gewaltigen Rückstoß auszugleichen. Ich traf das Schwein in den Hals. Für einen Moment stand eine Sprühwolke aus winzigen Blutstropfen in der Luft, während der Körper / 

MUTTER

Ich denk doch nur nach.

COLD

/ während der Körper wie ein Sack / 

VATER

Du musst aufhören, ständig nach dem Warum zu fragen.

MUTTER

Gibt es eine andere Frage?

COLD

(laut) / wie ein Sack zu Boden fiel.

VATER

Ganz viele. Was? Wann? Wo? Wie?

MUTTER

Was, wann, wo, wie ist bekannt. Das ist alles bekannt!

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Szene 3

COLD

Frau Kammbeck. Herr Kammbeck. Sie haben Redebedürfnis. Das ist verständlich. Man nennt das Exklusivstory. Wir freuen uns, dass Sie sich für CNN entschieden haben. Und seien Sie ganz beruhigt, wir wollen Ihren Sohn nicht als Monster darstellen.

VATER

Und wenn er eins war?

MUTTER

Robby! Er mochte Tiere!

VATER

Es gibt viele Monster, die Tiere mögen. Hitler zum Beispiel.

COLD

Sie würden Ihren Sohn mit Hitler vergleichen?

MUTTER

Hören Sie nicht auf meinen Mann! Möglicherweise war Jens krank.

COLD

Wieso krank?

MUTTER

Depression, Schizophrenie /

COLD

Wie kommst du denn darauf?

MUTTER

Borderline, dissoziale Persönlichkeitsstörung. Das lässt sich doch im Nachhinein gar nicht mehr feststellen.

COLD

(wütend) Mama! Ich bin nicht krank! Wenn einer krank ist, dann ist das die Welt. Nicht ich!

Betretenes Schweigen. Cold findet zu seiner Rolle zurück.

COLD

Herr und Frau Kammbeck, wir freuen uns, dass Sie sich für CNN entschieden haben. CNN möchte Ihnen Gelegenheit geben, Ihren Sohn so zu zeigen, wie er wirklich war. Wie die Welt ihn sehen sollte.

MUTTER

Auf jeden Fall war er überdurchschnittlich intelligent.

COLD

Das klingt doch schon besser.

MUTTER

Als kleiner Junge hat er unglaubliche Fragen gestellt. Robby, wie ging das mit den Vögeln? (Als Klein-Cold)