Gott ist rot - Liao Yiwu - E-Book

Gott ist rot E-Book

Liao Yiwu

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Beschreibung

Beeindruckende Einblicke in das Leben der größten verfolgten Minderheit Chinas von dem Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels »Der Gott in den schäbigen Bergstraßen ist rot. In den kühlen Höhen Yunnans. Wenn man betrunken ist. Wenn man außer sich ist vor Freude, dass es einen nicht umgebracht hat. Wenn Sonnenstrahlen, golden wie Schafe, über die Gipfel springen.« Liao Yiwu Der Friedenspreisträger Liao Yiwu reiste in die entlegensten Bergdörfer Chinas, um dort Menschen zu treffen, die seit vielen Generationen und allen Widrigkeiten zum Trotz an ihrem christlichen Glauben festhalten. Er erzählt zahlreiche außergewöhnliche Lebensgeschichten, angefangen bei der 100-jährigen Nonne bis hin zum blinden Straßenmusiker. Ein ebenso seltener wie beeindruckender Einblick in das Leben im Untergrund der größten verfolgten Minderheit Chinas, die es offiziell gar nicht gibt. »Liaos Texte über die Christen lassen die Wahrheit im Dunkeln leuchten; das macht die Schönheit seines Schreibens aus.« Liu Xiaobo, Friedensnobelpreisträger 2010

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Liao Yiwu

Gott ist rot

Geschichten aus dem Untergrund – Verfolgte Christen in China

Aus dem Chinesischen von Hans Peter Hoffmann

FISCHER E-Books

Inhalt

Beten für China. [...]Die Bergwege sind rot (Vorwort des Autors)Auf der Suche nach den Gräbern der MissionarePresbyter Zhang YingrongDas NachtgebetPastor Zhang MaoenDas TaggebetWang Zisheng,der Sohn des Märtyrers (1)Wang Zisheng, der Sohn des Märtyrers (2)Doktor Sun, ein ChristPresbyter Wu YongshengZhang Fengxiang, eine alte ChristinDie vergessene HäresieLi Linshan, ein unheilbar KrankerKommunionfeier auf dem LandJia Bo’e, ein tibetischer KatholikZhang Yinxian, eine hundert Jahre alte NonneLiu Shengshi, eine Katholikin im UntergrundBei dem Haus-Christen Yuan FushengHe Lu, ein Christ aus den achtziger JahrenDer blinde Straßenmusiker Wen HuachunDer relevante Indizienbeweis des Gelehrten Liu Shahe

Beten für China.

Beten für das Leiden Chinas.

Beten für das Leiden des Glaubens in China.

Beten für den einsamen Priester, der den Glauben verbreitet.

Er ist Amerikaner. Er ist Chinese. Er ist Europäer. Er ist aus Yunnan, aus Guizhou, aus Sichuan. Er ist geboren an den Küsten Australiens, aber er kehrt seiner Heimat den Rücken und bleibt am Ufer des Goldsandflusses. Heute liegen seine Gebeine unter unseren Füßen, gemeinsam mit unseren Ahnen, gemeinsam mit unserer Geschichte und unseren Mythen, gemeinsam mit unserem nicht enden wollenden Leid.

Amen

Die Bergwege sind rot

Vorwort des Autors

Jedes Stück Lehm ist rot, glänzt unter der Sonne, blutgetränkt.

Das habe ich geschrieben.

Das war im Herbst 2004, meine Familie war wieder einmal zerstört, ich wusste nicht wohin, so kam ich von Sichuan nach Yunnan.

Von der Senke, aus der dichte dunkle Wolken aufstiegen, schien der Deckel genommen. Ich graue Maus aus Sichuan ließ mir zehn Tage die Sonne auf den Pelz scheinen. Dann nahm ich meine gewohnte Beschäftigung wieder auf, trieb mich auf dem Bodensatz der Gesellschaft herum, machte Straßenmusik, führte Interviews, schrieb. Am Tag schien die Sonne, in der Nacht flossen Tränen, die nach Schnaps rochen. An irgendeinem Morgen torkelte ich betrunken hinein, stolperte schließlich und fiel aus dem ersten Stock eines Naxi-Hauses, schlug mir Gesicht und die Schulter auf, aber ich erinnere mich an alles, vage, noch so eine traurige Geschichte, die auf diese Weise, wie Wasser, verrinnt.

Vielleicht war ich einfach ein Säufer, nicht anders als die anderen Säufer; vielleicht war ich ein streunender Köter, nicht anders als die anderen streunenden Köter. Ich konnte Flöte spielen und singen, deshalb gefiel ich den Leuten manchmal; im Suff spielte ich den Verrückten, deshalb ging ich ihnen manchmal auf die Nerven. Nur Gott weiß, meine Antennen waren noch auf Empfang, meine Erinnerungen an Geschichte und Gegenwart waren noch genau, im Großen und Ganzen, ich war noch ein Mensch.

Ich ließ mich treiben, verließ Beijing und Chengdu und entfernte mich von meinen intellektuellen Freunden immer mehr – wenn ich keine Artikel hätte schreiben müssen und die Honorare nicht gebraucht hätte, wer weiß, ich hätte mich vielleicht sogar vom Internet verabschiedet. Ich hatte ganz natürlich mit Tagelöhnern, Petitionären, Herumtreibern, Süchtigen, alten Bettlern, Straßengangstern, Prostituierten und Betrügern zu tun und habe mit den Beamten in Zivil, die mir auf Schritt und Tritt folgten und mich überwachten, Freundschaft geschlossen. Wenn ich nur tief genug in Alkohol eingelegt war, war ich nach chinesischer Sitte gut Freund mit jedermann.

Meine Gefühle für die Polizei von Yunnan sind weitaus positiver als die für die Polizei anderer Provinzen, denn sie sind alle mehr oder weniger über Blutsbande mit den kleinen Völkern an der Grenze verbunden, sie schlagen niemals ein Glas aus, und wenn man trinkt, dann, bis man voll ist. Und wenn sie undeutlich betonen, wie ach so wichtig das sozialistische System ist, dann habe ich gelacht und noch einmal mit ihnen angestoßen.

Die Polizei anderer Provinzen fand Spaß daran, anderen Alkohol einzuflößen, während sie selbst dabeistand, zuschaute und geduldig wartete, bis einem auf einmal ein paar konterrevolutionäre Sätze herausrutschten, oder noch schlimmer ein paar »staatsgefährdende« Privatgeheimnisse.

 

Dann war die Zeit gekommen, der alte Gott konnte nicht mehr mit ansehen, wie ich immer weiter verkam, und schickte mir einen christlichen Arzt, Dr. Sun. Er hatte keinerlei missionarischen Tonfall, er erzählte ohne Umschweife, er habe zehn Jahre als Arzt in den Bergen gearbeitet und kenne mehr als genug bittere Geschichten, und ich sei doch Schriftsteller, ob ich kein Interesse an diesen Geschichten hätte?

Natürlich hatte ich Interesse. Über die Hälfte meines Lebens, meine ganze Erfahrung und meine ganze Leidenschaft hatte ich in solche Geschichten gesteckt.

Also haben wir uns gemeinsam auf den Weg gemacht.

Von Lijiang in Yunnan nach Kunming, durch die Kreise Fumin und Luquan, einem autonomen Gebiet der Miao und der Yi, dann bergauf, bergab über die Landstraßen zwischen den Ortschaften, immer tiefer in das Land hinein. Als wir in Sayingpan ankamen, bildeten Packtiere, Schafe, Hunde und Schweine mitten auf der Straße das Empfangskomitee, Staub- und Rauchwolken trieben durch die Straßen, ich starrte auf die Erdstufen dort, Ruinen des Südwest-Priesterseminars aus den 40er Jahren, ich fragte, hier halten wir?

Doktor Sun schüttelte den Kopf. Dann ging es weiter, immer tiefer ins Land hinein.

Lange ging es über eine Bergstraße weiter, mit Bussen, Lieferwagen, Kleinbussen und Handtraktoren. Dann saßen wir in der Patsche und konnten nur noch zu Fuß weiter. Wir kletterten einige Stunden über die Berge, der Schweiß lief uns über den Rücken, und wir kamen in eine Lehmhütte auf halber Höhe des Berges, doch zu meiner Überraschung war die Geschichte damit bei weitem noch nicht zu Ende. Armut, Unwissenheit und Leid nahmen den Menschen den Atem. Bei einer Frau bestand der Verdacht auf Lepra, woraufhin alle zusammenkamen, Holz aufschichteten und sie verbrannten; ein Mann brach plötzlich zusammen, die anderen haben ihn einen halben Tag über die Berge geschleppt, bis sie zur Landstraße kamen, wo sie einen Wagen Richtung Kreisstadt anhielten, unterwegs fing er an zu zittern und starb; und da war noch der Vater, der erschossen wurde, und dessen Sohn mit den langen Flinten im Rücken den Schädel seines Vaters schulterte und ein paar Tage und Nächte lang floh. Die Bergstraße war rot, und der Sohn war vom Blut seines Vaters gefärbt.

Yunnan wird als Hochebene der Roten Erde bezeichnet. Aber die Sonne und der Schlamm haben ein noch viel tieferes Rot, oder hat Blut das tiefste Rot?

Das Leid ist hier so schwer und so verbreitet, und die Leute haben nichts als Jesus, woran sie sich klammern könnten.

 

Am Nachmittag des 30. Dezember 2005 haben wir das Yi-Dorf Zehei erreicht und den ehrenwerten und allseits geachteten Presbyter Zhang Yingrong interviewt. Der alte Herr war fast blind, doch seine wohlwollenden Blicke haben mich einen Augenblick lang an meinen längst ins Himmelreich eingegangenen Vater erinnert. Er hat ausgesprochen gelassen von den Leiden der Vergangenheit erzählt, und jedes Mal, wenn er nur knapp mit dem Leben davongekommen war, vergaß er nicht, dies mit einem »Dank sei Gott dem Herrn« zu quittieren.

Vor etwa 150 Jahren hat die in London gegründete China-Inland-Mission gut ein Dutzend Priester ausgeschickt, die in Shanghai zum ersten Mal chinesischen Boden betraten. Von diesem Zeitpunkt an ist der Strom der westlichen Missionare nicht mehr abgerissen; sie haben das Evangelium bis in die entlegensten Gemeinden getragen. Nicht wenige von ihnen haben das mit dem Leben bezahlt, ihre sterblichen Überreste konnten nicht in Heimaterde beigesetzt werden. Auf diese Weise hat der Glaube Wurzeln geschlagen und wurde von Generation zu Generation weitergetragen. Zhang Yingrongs Vater war einer der ersten einheimischen Anhänger der Missionare, und es dauerte nicht lange und der ganze Zhang-Clan glaubte an Gott den Herrn, der junge Zhang Yingrong hat noch das Anfang der 40er Jahre gegründete Südwest-Priesterseminar in China besucht. Doch kurz bevor er aus den Händen der Missionare Kutte und Almosenschüssel empfing und zu einem regelrechten Mitglied des Klerus wurde, kam der Umbruch.

Mit Mao Zedong kam der Atheismus, die feste Ordnung der Gemeinden wurde zerstört, zwei bis vier Millionen gebildete Land-Intellektuelle wurden ermordet, umerzogen oder ins Gefängnis geworfen, darunter auch solche, die an Gott glaubten. In den Bergregionen von Yunnan, in denen ich die Interviews gemacht habe, haben die Dörfer, die Familien oft seit Großvaters- oder gar Urgroßvaterszeiten mit den Missionaren dem Herrn gedient. In dieser Zeit sind sie durch die Hölle eines diktatorischen Regimes geläutert worden, wie die Gläubigen im westlichen Mittelalter, und der Glaube konnte nur im Untergrund kämpfen.

Das Ehepaar Zhang Yingrong hat ein blutiges Kreuz getragen, sie haben die Verletzungen und Wunden ertragen und sind im Dreck gekrochen. Bis ihre Lebenskerze zur Neige ging und ihr Licht zu erlöschen begann und sie mit den Psalmen auf den Lippen starben. Die Generationen zu ihren Knien, ein gutes Dutzend Söhne und Enkel, sind ausnahmslos getauft und folgen dem Herrn – das ist eine Familiengeschichte, wie sie in den Bergregionen von Yunnan sehr verbreitet ist, und die Quelle des Glaubens geht ausnahmslos auf ein paar westliche Missionare zurück. Woher sind sie gekommen? Aus England, Deutschland oder Frankreich? Aus Amerika oder Kanada? Australien oder Neuseeland? Für die Dorfbewohner in Yunnan ist das schon lange nicht mehr wichtig, wichtig ist, dass durch die Missionare über die große Entfernung hinweg die Frohe Botschaft zu ihnen gelangte und somit zur Glaubensgeschichte eines Teils von chinesischen Familien wurde.

Heute jedoch ist die protestantische und katholische Kirche, die nicht bereit ist, mit den Atheisten der KP Chinas Kompromisse einzugehen, hier immer noch illegal. Aber das Kreuz hat bereits sein Licht über das Land geschickt, und wie es heißt, glauben mittlerweile über 70 Millionen Chinesen an den Herrn.

Der damals über 80 Jahre alte Presbyter Zhang Yingrong und der über 90 Jahre alte Priester Yuan Xiangchen sind beide nicht lange nach unseren gemeinsamen Interviews ins Himmelreich eingegangen. Dazu kommen noch der längst heimgegangene Priester Zhang Run’en, Vater Zhang Gangyi und Pastor Wang Zhiming (einer der zehn großen Märtyrer des 20. Jahrhunderts, dessen Standbild über dem Hauptportal der Westminster Abbey emporragt). Von den über dreihundert Persönlichkeiten vom Bodensatz der chinesischen Gesellschaft, die ich interviewt habe, sind schon eine ganze Reihe gestorben. Das Leben und die Zeit vergehen, aber Sternpunkte der Erinnerung werden durch meine Hand festgehalten. Der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Liu Xiaobo hat mich immer wieder ermutigt, »mit den toten Seelen zu tanzen«. Ich habe »mit ihnen getanzt«, aber es war ein sehr trauriger Tanz, sehr einsam und auch sehr hoffnungslos. Nur dieses ewige Licht, das von der älteren Generation der Gläubigen ausging, hat mich von diesem selbstmörderischen Impuls eines Säufers, der ab und zu von ganz unten auftaucht, befreit.

 

Kann das Kreuz Frieden geben? Hilft es, wie die buddhistische und die daoistische Lehre sich ins Unvermeidliche zu schicken? Christen aus vielen Städten zitieren die Anekdote aus der Bibel von der »Zähmung der Mächtigen«, um die Schwäche und Furcht vor der Macht zu lindern: Die Diskussion, ob man »für die Mörder beten soll oder nicht«, hört auch in der intellektuellen Gemeinde in China nicht auf. Ich habe einmal die mit ihren 100 Jahren bis heute rüstige Nonne Zhang Yinxian danach gefragt, und sie rief erbost: Für die beten? Auf keinen Fall!

Ich fragte, warum nicht?

Die alte Dame sprang auf: Die haben unser Kirchenvermögen geraubt, in der alten Gesellschaft hat draußen vor den Mauern der Kirche alles der katholischen Kirche gehört, samt der Mittelschule von Dali, samt der halben Straße des Volkes! Sie haben das bis heute nicht zurückgegeben! Ich hätte schon längst die Augen zumachen müssen, aber ich habe es nicht getan! Bevor sie nicht alles zurückgegeben haben, mache ich die Augen nicht zu!!

 

Der Zorn hat dieser Nonne Kraft gegeben, der Zorn hat sie auch so alt werden lassen, das ist wie eine Ironie auf die alten Lehren vom Nähren des Lebens. Als die Kulturrevolution zu Ende war und die Religionspolitik der Kommunisten langsam reetabliert wurde, hat sie, damals selbst schon in den Siebzigern, sich ihre über neunzig Jahre alte Vorgängerin, die Nonne Li, auf den Rücken gepackt und ist mit ihr zum Haupteingang der Stadtverwaltung, um »eine Erklärung zu verlangen«, fastend hat sie 28 Tage durchgehalten, eine öffentliche Sensation, und am Ende hat sie das über achtzig Jahre alte Kirchengebäude zurückverlangt.

 

Dieses Buch ist ein lebendiger Startpunkt, es ist meine Art, die Art eines nicht sonderlich anständigen Autors vom Bodensatz der Gesellschaft, dem Gott, dem Glauben und den zu Unrecht verfolgten und getöteten Seelen meine Reverenz zu erweisen. Ich gebe zu, dass ich oft Fehler gemacht habe, ich gebe zu, dass ich vielleicht zu viele Fehler gemacht habe und der Herr mir nicht wird vergeben können. Deshalb habe ich die Hoffnung, darüber etwas hinausgekommen und etwas objektiver geworden zu sein; deshalb hoffe ich, dass sich die Leser innerhalb und außerhalb des Glaubens nicht wegen der vielen Fehler, die ich in meinem Leben gemacht habe, dem »Herzschlag der Geschichte« verweigern.

Der Gott in den schäbigen Bergstraßen ist rot. In den kühlen Höhen Yunnans. Wenn man betrunken ist. Wenn man außer sich ist vor Freude, dass man die Katastrophe überlebt hat. Wenn Sonnenstrahlen, golden wie Schafe, über die Gipfel springen.

 

Liao Yiwu, am 9. November 2010, in einem Vorort von Chengdu, Sichuan.

Auf der Suche nach den Gräbern der Missionare

Am Mittag des 3. August 2009 bin ich von Chengdu aus mit meiner alten Mutter tausend Meilen durch die Gegend gezogen, und schließlich kamen wir von Sichuan nach Dali in Yunnan, wo wir auf einem Bauernhof unterkamen, den der alte Avantgardedichter Ye Fu[1] auf dem Fuß des Cangberges gepachtet hatte.

Ye Fu befand sich auf einer ausgedehnten Reise, und ein buddhistischer Laienbruder namens Ze Yu hütete Haus und Hof. Er hatte einen runden Kopf und einen gewaltigen Wanst, Unterkiefer und Genick waren von Falten übersät, und er lachte ständig, ob er redete oder schwieg. Wir riefen aus: »Eine Reinkarnation des dicken Maitreya-Buddha!« Solch eine Erhöhung war keine Kleinigkeit, und Ze Yu warf die Ärmel nach hinten, schlug die Beine übereinander, zählte die Perlen seiner Gebetskette, führte uns von den Bergen herab und gab in einem muslimischen Restaurant, in dem ein Bild »Wallfahrt nach Mekka« hing, ein Willkommensessen.

Wir bekamen Fleisch und Fisch, unser Maitreya aß vegetarisch, und bei diesem Festessen erfuhr ich, dass der 29 Jahre alte Ze Yu als Einziger im Distrikt Dali die »Charta 08« unterschrieben hatte. Auf einmal war ich ganz ehrfürchtig. Während Ze Yu voller Leidenschaft loslegte, »ohne Demokratie, wo soll da die buddhistische Regel herkommen, wenn Buddha wieder auf die Welt käme, würde er für unseren Liu Xiaobo im Gefängnis nicht nur einmal den Daumen heben«.

Ich musste laut lachen. Diese seit tausend Jahren zwischen Cangberg und Erhai-See eingezwängte Stadt war auf vier Seiten von wild in die Höhe schießenden Hanffeldern umgeben, die einem das Hirn umnebelten, auf den nächsten zwei, drei Meilen gab es nicht mehr als zwanzig- bis dreißigtausend Leute, aber die Götter, die hier verehrt wurden, waren nicht zu zählen.

Zuerst war da der Benzhu-Tempel[2] der Bai, in dem über tausend Heiligen geopfert wurde; vom Drachenkönig des Ostmeers bis zur Königinmutter des Westens, bis zu den in den Geschichtsbüchern aufgeschriebenen Kaisern und großen Generälen, es war für jeden etwas dabei; dann die muslimischen und buddhistischen Tempel; und schließlich die protestantische und die katholische Kirche bis hin zu den von offizieller Seite verbannten christlichen Jugendorganisationen in den Familien und den Ketzern, die noch viel extremer waren als diese Jugendorganisationen, wie etwa die Baheyi-Sekte[3], die unter den niedrigen Dächern hier Wurzeln geschlagen hat, sich ausbreitete und im Geheimen an den Fundamenten des atheistischen Imperiums der Kommunisten nagte wie ein Volk von Termiten.

Das alles erst hat unseren Ze Yu, »unseren Maitreya der Gegenwart«, möglich gemacht, der sich wohl fühlte wie ein Fisch im Wasser. Jetzt erhob er sich, in Richtung auf ein paar zwischen den Hängen herumfaulenzende Hunde, und gab eine Prophezeiung zum Besten, die auf dem Gebiet von Yunnan schon lange kursierte: Im Jahre 2013 werde der Buddha der Zukunft, das sei der Maitreya-Buddha, von den Hühnerfußbergen auf die Welt herabsteigen, die Irdischen erleuchten und der Despotie ein Ende machen.

Wie von ungefähr kam mir der alte Zhang in den Sinn, mein ehemaliger Nachbar, der sich von einem Hellseher aus Mexiko, einem Maya, hatte weissagen lassen und ähnliche Voraussagen machte.

Und Ze Yu fügte zu dem neuen Zeitalter noch eine Fußnote hinzu: Die verstreuten Mitglieder würden, sagte er, den Fuß nicht vor die Tür setzen, die regulären Mitglieder würden in alle Himmelsrichtungen laufen, der Himmel werde ihre Decke sein, die Erde ihr Bett, Männer und Frauen würden einander nicht freien.

Daraufhin klatschte ich und begrüßte das Kommen des dickbäuchigen Buddha, der da hoch oben im Tempel thront.

Unseren guten Ze Yu regte das sehr auf, er ging noch einen Schritt weiter und verkündete, Buddha könne jeder sein, du, ich, er, ein Hund, ein Wurm, Jesus, Gott, der Dalai Lama, Mohammed, die Trauer, das Mitleid, die Freude, die Luft. Dieser Glaube, jener Glaube, erst wenn die vielen Glaubensrichtungen gleichberechtigt seien, sei das Amitabha.

Ich sagte, du wirst doch keinen sitzen haben?

Ze Yu sagte, wie würde ich, am helllichten Tage! Warte, bis es dunkel und hier wieder geöffnet ist, dann machen wir weiter mit Essen, Trinken und Demokratie, und dann saufen wir bis zum Umfallen.

Ich sagte, kein Problem, ich habe sowieso nichts anderes vor, als Interviews zu machen.

Ze Yu sagte, ich bringe dich zum Abt des Wuwei-Tempels vor der Stadt, der kann dir ein Interview geben, wie wäre das?

Ich sagte, vergiss es.

Ze Yu sagte, wenn keinen Mönch, einen Christen willst du ja wohl nicht.

Ich sagte, doch.

Ze Yu schlug sich auf den Oberschenkel, überlegte, wie viele Meilen es bis zum Südtor von Dali waren, dort gab es einen Friedhof mit westlichen Missionaren.

Für mich eine unerwartete Freude. Sofort nutzte ich die Gelegenheit zu einem Besuch auf diesem Friedhof.

 

Die Zeit verging wie im Flug. Ein Gefühl, als habe man nur dreimal geblinzelt und werde drei Tage später wieder wach. Nach einem Mittagessen mahnte ich Ze Yu zum Aufbruch. Ze Yu legte die zehn Finger gegeneinander und sagte: »Gut denn.« Dann stand er mitten im Hof, schaute zehn Minuten zum Himmel hinauf und murmelte: »Verdammte Sonne, wird Tag für Tag schlimmer, brennt einem die Haare vom Leib.«

Ich wurde ungeduldig und rief: »Red keinen Unsinn, heb die Kutte über und los!«

Wie durch einen Ziegendarm eilten wir im Zickzack direkt bis zum Fuß des Berges. Erst als wir die Hauptstraße überqueren konnten, wischten wir uns den öligen Schweiß von der Stirn und schauten im gewaltigen Schatten der alten Stadtmauer zurück, während der Cangberg dalag wie eine Bäuerin mit grober Taille und zwischen Himmel und Erde einen schattigen Weg freigab; wie Menstruation strömten Rinnsale herab, düngten die Ebene, auf der Gottes wohlwollendes Auge lag, und düngten auch uns, die wir in diesem Augenblick winzig waren wie Reiskörner.

Wir bestiegen bei dem Haltestellenschild am Stadttor einen mittelgroßen Bus voller Bai-Leute und stiegen nach gut zehn Kilometern wieder aus. Ze Yu sagte ohne weitere Erklärung, er werde mich jetzt zur »Studienakademie am Fuße des Cang« in die Verborgenheit der Hänge führen. Das sei ein Ort für die, die keine Laien mehr und noch keine Mönche seien, die Fassade rage in die Wolken, rechts und links seien künstliche Teiche, ein Hof der Bai mit den typischen zwei Eingängen. In prächtige Frühlingsfarben gekleidete Bai-Bedienstete huschten hin und her, während der Leiter der Akademie alt und dunkel war wie Herbstregen. Ze Yu mittendrin vermittelte, wir mussten uns in eine Ecke setzen und einem einheimischen Mädchen zuschauen, wie es mit abgespreiztem kleinen Finger eine chinesische Teezeremonie vollführte. Direkt im Anschluss hoben Erhu, Flöte und Sanxian in einem ländlichen Moll an, es war, als werde Seide zerrissen, ein friedliches Unisono, Konterrevolutionäre wie ich saßen wie auf Nägeln.

Unter dem Vorwand, einmal zu müssen, zog ich mich zurück und ging eine ganze Weile um die Teiche herum, zwischen denen ein großer mit Zeichen übersäter Fels den eigentlichen Mittelpunkt der ganzen Anlage bildete. Der Leiter der Studienakademie gesellte sich zu mir und erzählte die Geschichte dieses Felsens:

Vor langer, langer Zeit sei das ein Schaf oder Schwein gewesen, viele der Felsen auf den umliegenden Hängen seien Schafe oder Schweine gewesen. Guanyin habe sie bekehrt, vom Ost- zum Westufer des Erhai-Sees getrieben, dort angelangt hätten sie den Bauern der Bai ein Segen sein sollen. Aber in den Dörfern hätten sich doch tatsächlich Dämonen versteckt gehabt und mitten in der Nacht, zur Geisterstunde, das Krähen der Hähne nachgemacht, sämtliche Hühner hätten sie entführt, am Ende seien es in dem guten Dutzend Dörfer ein paar tausend gewesen, alle weg. Seither stünden die Menschen mitten in der Nacht auf, um auf die Felder zu gehen. Als Guanyin ihre Pläne durchkreuzt sah, habe sie sich in die Verborgenheit zurückgezogen. Und das Vieh, das so die Kraft Buddhas verlor, wurde in alle Himmelsrichtungen verstreut und verwandelte sich in die Felsen am Cangberg.

Ob das auch der Ursprung der Studienakademie gewesen sei?, fragte ich.

Der Leiter nickte und seufzte, viele der schönsten und größten Felsen hier seien von den Leuten in der Stadt eingesammelt und weggeschafft worden. Selbst über den »Guanyin-Fels« habe er mehrmals verhandeln müssen, bis er als Zeichen der Liebe zu den Legenden der Bai für immer hier stehen bleiben konnte.

Ich überlegte, ob ich ihm vorschlagen sollte, die »Studienakademie« in »Felsenakademie« umzubenennen, denn von Studien und Büchern hatte ich in dieser Akademie nicht viel entdecken können. Ich habe es mir verkniffen.

 

Wenig später habe ich Ze Yu ziemlich angepflaumt, dass er uns dafür fast zwei ganze Stunden hat verplempern lassen. Aber der zog den Kopf ein wie eine Schildkröte und stotterte, der Leiter hier habe in der Kulturrevolution Kampfkritiken über sich ergehen lassen müssen, er habe gedacht, wir sprächen die gleiche Sprache. Ich sagte, Kampfkritiken hätten in der Kulturrevolution mehr Leute über sich ergehen lassen müssen, als ein Ochse Haare habe, mein Vater genauso wie Deng Xiaoping, mancher korrupte Beamte sei auch erschossen worden, aus all diesen Leuten könne man doch wohl trotzdem keine »Einheitsfront« machen, oder?

Ze Yu gab seinen Fehler zu. Wir nahmen den Bus zurück und stiegen unterwegs bei einem Dorf an der Nanwuli-Brücke aus. Ein paar Minuten ging es einen steilen Abhang hoch, Ze Yu schnaufte wie ein Ochse. Ringsum lagen die Felder der Muslime, die Umfriedungsmauern zogen sich wie Schlangen durch das Gelände, in der Luft lag ein Geruch nach Schafen und Rindern. An der Gabelung eines Grabens hob ich einen Schafschädel auf und warf ihn mit beiden Händen ins Gras.

Ze Yu sagte, in der Qing-Dynastie habe Du Wenxiu[4], ein Muslim, hier eine Rebellion angeführt, er habe sich als Sultan von Dali bezeichnet, die Altstadt erobert und wahllos Bai und Han-Chinesen abgeschlachtet; später habe der Hof Du Wenxiu den Garaus gemacht und nun seinerseits wahllos unter den Muslimen gewütet.

Ich war wieder einmal sprachlos und sagte etwas von »wirklich schlimm«. Aber auch der Tod war schlimm, der muslimische Friedhof am Hang des Cang war der flächenmäßig größte, Grenzmarken und Grenzpfosten standen deutlich längs und quer, kein Unbefugter durfte hier eindringen, weder Mensch noch Gespenst.

Wir stiegen ein paar hundert Meter weiter nach oben, es gab keinen Weg mehr. Hohes, undurchdringliches Hanf- und Korbblütlerdickicht, beides sehr kräftige Pflanzen, die sich besonders gut an den Boden von Dali anpassen konnten. Man erzählte sich, wenn es regne und Wind wehe, seien, wenn die Sonne wieder herauskomme, die hüfthohen Hanfhalme in der Zwischenzeit auf einmal doppelt so hoch, die schmalen Blätter hatten ein sattes, pralles Grün, wie der grüne Regenschirm einer verführerischen Frau. Die Korbblütler hingegen waren wie die Lausbuben in den Dörfern, wo sie eine Lücke fanden, witschten sie hinein und klammerten sich an alles, was wuchs.

Umweg um Umweg, Ze Yu sah aus wie ein aus der Verpackung gefallener Fleischkloß und ließ seinen schmierigen Wanst sehen; Büchsenkraut und Insekten stachen mich derart, dass ich zweimal richtig aufschrie. Mehr schlecht als recht kletterten wir auf einen Erdwall nahebei, von dem man in alle Richtungen einen guten Blick hatte. Dort deutete Ze Yu mit dem Finger. Fünf, sechs Maisfelder entfernt fuhren Bagger ihre Gottesanbeterinnenarme aus.

Ich zweifelte und sagte es auch, ob die wohl auf dem Friedhof arbeiteten? Ze Yu lachte meckernd, sie buddelten nach Felsen. Viele von den gewaltigen Findlingen am Cangberg würden in die Stadt gebracht, für die Immobilienmakler.

Zwischen den steilen Erdwällen ging es in Schlangenlinien vor und wieder zurück, wir schlugen mit den Armen wie mit Flügeln, immer noch besser, als uns wie Hunde durch dieses Hanfdickicht zu quälen. Nach gut zehn Minuten erreichten wir schließlich den von endlosen Maisfeldern umgebenen Friedhof der Missionare, der selbst ein Maisfeld war. Ich sprang von dem Erdwall, schaute mir sorgfältig jeden Stein an, sie waren rund und gewölbt, quadratisch, rautenförmig, dreieckig. Aus den Ritzen der Steine wucherten Gräser, ich riss welche heraus und erkannte einige pechschwarze englische Worte; ein paar Schritte weiter noch ein paar Worte; und wieder weiter in frischem Blutrot ein Kreuz, das schief in der Sonne glänzte.

Das Fundament des Friedhofs war noch zu erkennen, zwei Quadrate in der Größe von etwa zweieinhalb Mu, in der Mitte durch einen Erdwall getrennt. In der Nordwestecke war eine Lücke, vermutlich der Eingang. Aber wer wollte heute noch wissen, wie viele Menschen aus dem Westen hier einmal begraben worden waren und wie viele Chinesen?

Nach den historischen Aufzeichnungen hatte diesen Friedhof der englische Priester George Clarke (mit chinesischem Namen Hua Guoxiang) gekauft, er war Mitglied der 1865 in London gegründeten China-Inland-Mission und hatte 1881 mit seiner Frau Fanny, sie stammte aus der Schweiz, den Weg über die Stadt Bhamo im Norden von Birma genommen und war, gezeichnet von den Strapazen der Reise, in der alten Stadt Dali angekommen. Hier ließen sie sich nieder, lernten Chinesisch und predigten das Evangelium.

Sie waren die ersten westlichen Missionare in der Geschichte, die in dieses Gebiet kamen. Anfangs druckten sie eigenhändig eine Menge kleiner Fibeln, die sie an Straßenkreuzungen verteilten, für Kinder gab es entsprechend Bonbons. Doch schnell lernten sie, dass zu viele Bai gar nicht lesen konnten. Also büffelten sie mit viel Mühe Chinesisch, brachten den Chinesen chinesische Schriftzeichen bei und sangen mit ihnen die Kirchenlieder auf Chinesisch.

Sie nahmen sich die Formen zum Vorbild, in denen die Bai ihren Benzhu und ihren zwischen dem Reich der Lebenden und Toten vermittelnden »Sprung des großen Gottes«[5] verehrten, legten auch die Tracht des Volkes an und zogen so, gong- und trommelschlagend und in Knittelversen die Frohe Botschaft verkündend, durch die Straßen.

Manchmal gingen sie auch in die Dörfer der Bai, wo sie mit den Volkskünstlern verkehrten und zu den Klängen von Sanxian und Ziehharmonika im Mondschein des Erhai-Sees Tänze vom Mittelmeer aufführten.

Es dauerte zwei Jahre, bis sie die ersten sieben, acht Anhänger gewannen; sie organisierten ein Internat, in das allerdings ebenfalls nur drei Schüler kamen. Sie waren erschöpft und vertrugen das Klima und die Umgebung nicht. Trotzdem kam hier ihr Baby zur Welt. Sie nannten den Jungen Samuel Dali Clarke, um mit dem Namen an diese schwere Zeit zu erinnern.

Keine zwei Monate nach der Geburt starb Fanny Clarke. Die Dämonen der Krankheit plagten ihren Körper, doch sie betete, blieb ruhig und gefasst. Voller Inbrunst dankte sie ihrem Herrn, dass er sie hier zur ewigen Ruhe bettete, zu einem Teil des Cangberges und des Erhai-Sees und Zeuge werden ließ des Wunders, wie sich die Frohe Botschaft im Osten verbreitete.

In dem Augenblick, in dem Körper und Geist sich trennten, breitete sie die Arme aus, und in ihren Augen brannte ein helles Feuer – wie hatte der englische Dichter Dylan Thomas in seiner Elegy geschrieben: »Out of his eyes I saw the last light glide …«

Fanny Clarke war der erste Mensch aus dem Westen, der in Dali starb. Die Nachbarn aus ihrer Straße kamen zunächst nur sporadisch, um nach der Kranken zu sehen, und waren von ihrem Optimismus und ihrem wundervollen Gesang beeindruckt; als sie dann mit eigenen Augen sahen, wie leicht sie Abschied nahm, lauschten sie mit gesenktem Haupt dem Singen und Beten der Sterbenden. Sie waren ergriffen und erschüttert. Die Nachricht von Fanny Clarkes Tod verbreitete sich wie ein Lauffeuer, und viele Einheimische traten zum Christentum über.

Ihr Mann kaufte das Stück Land am Hang des Cangbergs und brauchte nahezu zwei Wochen, um es als eigenen christlichen Friedhof zu erschließen. In die Innen- und Außenseite der halbhohen Umfriedung meißelte er ein grobes Kreuzzeichen und ein paar Zeilen in englischer und chinesischer Sprache.

Ihre Beerdigung fand am Morgen des 30. Oktober 1883 statt. Ein klappriger Pferdewagen trug ihren Sarg, die alte Teestraße entlang ging es Richtung Nanwuli-Brücke aus der Stadt; dann nahmen acht Bai-Männer den Sarg auf die Schulter, trugen ihn durch das Dorf der Muslime zu dem weiter westlich gelegenen Grab. Es wurde gebetet, Gott gepriesen, und Hua Guoxiang, ihr Mann, nahm die erste Handvoll Erde und warf sie ins Grab; desgleichen taten einige Kirchenkollegen, die aus Kunming herbeigeeilt waren; dann kamen die einheimischen Glaubensbrüder und die Nachbarn; schließlich die Händler, die Leute aus den Dörfern, die Lastenträger, Passanten. Ein paar hundert Menschen waren auf und um den Friedhof versammelt, vielleicht hatten sie zuvor für Buddha Räucherstäbchen angezündet, gebetet und mit dem Ziehen von Holzstäbchen das Schicksal befragt, hatten mit dem Sprung des großen Gottes die Geister vertrieben, aber selbst wenn sie auf den Knien zu ihren Abertausenden von Göttern und Heiligen gebetet hatten, in diesem Augenblick hielten sie sich an die Bräuche des Gottes, die einzig ewigen Bräuche, und gaben dieser weißen Frau, von der sie eigentlich kaum etwas wussten, das letzte Geleit.

Das war im wahrsten Sinne des Wortes ein Anfang. Nach den Aufzeichnungen in Wu Yongshengs »Geschichte des Christentums in Dali« ist nach Hua Guoxiang und seiner Frau der Strom der westlichen Missionare, die hierherkamen, um das Evangelium zu verkünden, nicht mehr abgebrochen:

Colquhoun 1882, F.A. Steven 1882, Owen Stevenson 1882, George Andrew 1882, Frederick Steven 1884, Owen Stevenson 1884, Messrs. Foucar 1885, John Smith 1885, Fred Steven 1886, F. Theodore Foucar 1886, Harriett Smith 1890, John Anderson 1892, Miss E.M.D. Anderson 1892, Miss Marie Box 1895, Miss A.M. Simpson 1895, Miss Sybil M.E. Reid 1896, Mrs Nicholls 1896, Miss Box 1896, John 1900, L. Graham 1900, S.M.E. Nicholls 1900, A.G. Nicholls 1900, Simpson 1900, A.H. Sanders 1901, das englische Ehepaar Ma Xiling (der englische Name ist nicht überliefert) 1901, Richard Williams 1902, Hector McLean 1902, William J.E. Mbery 1902, H. McLean 1903, Dr. W.T. Clark 1903, Miss Ethel A. Potter 1907, Mr George E. Metcalf 1907, Mr Nicholls 1907, Miss E.E. Naylor 1907, Ms Hector 1907, Miss E.A. Potter 1908, Miss A. Kratzer 1911, Mr und Mrs Edgar 1912, A.J. Clement 1912, J.D. Cunningham 1912, Miss Dukesher 1902, Mr und Mrs W.J. Hanna 1912, J.O. Fraser 1919, Allyn Cooke 1919, Pu Zhaoen (der englische Name ist nicht überliefert) 1919, Mr und Mrs F.S. Hatton 1926, Miss D.S. Hatton 1926, John Kuhn 1930, Dr. Stuart Harverson 1933, Mr und Mrs William A. Allen 1931, Ma Yaohua (australischer Abstammung, der eigentliche Name ist vergessen) 1934, das Priesterehepaar Bo (Norweger, der eigentliche Name ist vergessen) 1934, Ted Holmes 1934, Mr und Mrs A.W. Snow 1940, Mr und Mrs Harold Taylor 1940, Jessie McDonald 1941, Frances E. Powell 1941, M.E. Soltau 1941, D.M.L. Madden 1941, Mr und Mrs Raymond Joyce 1946, das Ehepar Mao Wenxi (Nationalität und ursprünglicher Name nicht überliefert) 1948, Dr. Myrtle J. Hinkhouse, Dr. J.K. Toop, Dr. William J. Toop, Miss D.W. Burrows, Miss L. Hamer, Miss Emma Blott, Dr. Watson, Krankenschwester Ni (australische Staatsangehörige, ursprünglicher Name nicht überliefert), Prof. Wen (norwegischer Staatsangehöriger, ursprünglicher Name nicht überliefert).

 

Nach einigen Jahrzehnten der Vorarbeit wurde Dali zu einer der wichtigsten Diözesen von Yunnan, ja des ganzen Südwestens. Bis zum Vorabend der Überflutung Chinas durch die roten Teufel 1949 hatten sich die Kirchen über ein Gebiet von einigen hundert Quadratkilometern ausgebreitet, und die Zahl der Gläubigen war auf einige hunderttausend angestiegen. Doch dann …

Am 4. Mai 1951 haben Vertreter der Befreiungsarmee die Kontrolle über das Evangelische Krankenhaus in Dali übernommen, sie klärten die Eigentumsverhältnisse und übernahmen alles. Die aus Amerika stammende Priesterin Mei Dedun (Jessie McDonald) wurde zur juristischen Person des Krankenhauses, unterschrieb unter Zwang ein in der für sie fremden Sprache verfasstes Dokument und »hatte innerhalb einer bestimmten Frist das Land zu verlassen«.

Auf der Stelle wurden die roten Kreuze auf der Umfriedung des Krankenhauses von der großlettrigen Parole »Haut ab, ihr Spione des Imperialismus!« überpinselt. Die Nachricht verbreitete sich rasend schnell. Die Gläubigen widersetzten sich in großer Zahl. Mei Dedun soll, wie es heißt, »die Letzte von den Missionaren gewesen sein, die sich zurückgezogen hat«, und sich am Tag ihres Aufbruchs nicht um die Verbote der Soldaten gekümmert und darauf bestanden haben, in der bereits 1904 gebauten Evangelischen Kirche »eine letzte Morgenandacht« zu halten. Sie war 1941 von Kaifeng in der Provinz Henan nach Dali gekommen, damals wütete noch der Krieg im Land, und niemand konnte ahnen, dass in gut zehn Jahren China eine neue Regierung bekommen würde.

Diese in Kanada geborene Frau hat ein halbes Leben lang ihren Dienst in China versehen, ursprünglich wollte sie in die Fußstapfen von Fanny Clarke treten und sich auf dem Friedhof am Cangberg beerdigen lassen. Aber Gott schien andere Pläne mit ihr zu haben …

Sie betrat die Kirche, dicht gefolgt von den Soldaten; in dem großen Messraum, der früher immer brechend voll war, waren nur noch leere Bankreihen. Sie betete für China, und endlose Reihen gelber Gesichter leuchteten wie Laternen in ihrem Kopf auf und erloschen wieder; sie betete für ihre westlichen Glaubensbrüder, die hier ruhten, die Kirchenlieder und die Lieder der Bauern hallten in ihr wider – eine Kutsche kommt vom Himmel und bringt mich nach Hause zu dir –, schließlich nahm sie Abschied für immer und würdigte den wundervollen Gesang von Fanny Clarke in ihrer Sterbestunde.

Noch einmal ließ sie die Soldaten stehen, eilte in den Turm und schlug die 150 Kilogramm schwere Glocke. Sie war eine Maßanfertigung aus London, nach dem Vorbild der berühmten Big Ben, und von den Missionaren Richard Williams und William J.E. Mbery, die mit der Einrichtung der Kirche betraut waren, persönlich hierhingeschafft worden – zuerst tausende von Meilen über das Meer nach Saigon, dann auf Binnenwasserstraßen von Saigon an die Grenze von Yunnan und schließlich auf dem Landweg, wo möglich mit einem Wagen, wo nicht mit Kulis, die sie ächzend und stöhnend schleppten. Die ganze Reise dauerte an die drei Monate, allein von Hanoi bis Dali brauchte die Glocke anderthalb Monate.

Noch 60 Jahre danach hallte in den Alten, die um die Kirche herum wohnen, der Klang der Glocke nach, sie erinnern sich, als sei es gestern gewesen. Einer stürzte auf mich zu und versicherte mir, sie sei wenigstens in fünf Meilen Entfernung noch zu hören gewesen; ein anderer korrigierte ihn und lachte meckernd, das reiche nicht, das reiche nicht, man habe sie ganz sicher noch am Ufer des Erhai-Sees hören können; und wieder ein anderer behauptete, also diese Glocke, Bumm-Bumm-Bumm, das sei wie Wellen gewesen, eine nach der anderen, das hat man in Xiaguan noch mitbekommen.

Am 28. Januar 1998, es war Nachmittag, kam ein Ehepaar aus Frankreich hierher – wie ich von einem Einheimischen geführt. Es waren Nachfahren von Hua Guoxiang und Fanny Clarke und hatten nach der Lektüre von China’s Millions[6] den weiten Weg nicht gescheut und sich einen Traum erfüllt.

Nach einer berühmten Zeile des Gedichts Der Friedhof am Meer (Le cimétière marin) von Valéry gibt es in der tiefen Nacht unter dem Marmor der Gräber düstere Menschenmengen, die sich den Baumwurzeln nähern. Er beschreibt, wie er sich an den Grabstein seiner Mutter schmiegt und den Menschen von oben zusieht, wie sie wie die Ameisen in langen Reihen zur Natur zurückkehren. Ich vermute, dass es diese Szene war, die den Nachfahren der Clarkes ein Ansporn war, denn der Friedhof zwischen Cangberg und Erhai-See war von der gleichen überirdischen Schönheit gewesen wie der am Mittelmeer gelegene Friedhof Valérys.

Aber all das ist dem Erdboden gleichgemacht worden. Keine Gräber, keine Anlagen mehr, nichts als ein großer durch vielmaliges Umpflügen entstandener Acker. Ein paar Bauern, die ihre Rinder weideten, kamen gelaufen und machten ein großes Aufhebens: Die einen erzählten, die Rotgardisten hätten hier ein paarmal Rebellion gemacht, die Rote Fahne geschwenkt, Parolen gebrüllt, Kampflieder gesungen und die Ahnengräber des Imperialismus umgeworfen. Die anderen erzählten, die Gräber seien nicht umgeworfen, sondern in die Luft gejagt worden, sie hätten Sprengsätze in die Fugen zwischen den Steinen geschoben, sie angesteckt, wären in Deckung gegangen, und dann hätte es eine Explosion gegeben, da hätten Erde und Berge gezittert.

Und dann war da noch dieser Alte, der schüttelte den Kopf, das stimme nicht, das sei nicht richtig. Die Zerstörung habe in den 50er Jahren angefangen, ein Teil sei bei einer Kampagne zerstört worden, bei der großen Stahlschmelzaktion sei das weitergegangen, und schließlich hätten sich alle dort bedient und für ihre Schweineställe, Mauern und die Fundamente ihrer Häuser und für wer weiß was sonst noch die Steine weggeschleppt, deshalb seien schon vor der Kulturrevolution mehrere Dutzend Gräber komplett platt gewesen. Und die Rotgardisten, pah, die hätten bloß so ein Tamtam gemacht, weil sie die Hosen voll hatten, wegen der Geister.

Unsere Ausländer konnten kein Chinesisch, und noch viel weniger den Dialekt von Yunnan, sie haben, wie es so ihre Art ist, einfach aufs Geratewohl weitergehende Nachforschungen angestellt. Sie haben den Grabstein ihrer Urgroßmutter Fanny nicht entdecken können und auch nicht die Gräber und die Friedhofsmauer dahinter, aber sie haben die undeutlichen Einkerbungen an den Kreuzen gesehen. Und das einzige Bruchstück mit einer englischen Aufschrift, das sie ausmachen konnten, gehörte zum Grab eines Kindes.

Langsam versank die Sonne im Westen. Von 1883 bis 1998 waren 115 Jahre vergangen, wo konnte ihre Urgroßmutter sein? Wehte sie noch durch das Gedächtnis ihrer Heimat? War sie fern von zu Hause elend zugrunde gegangen? Hatte sie gelacht, geweint, geküsst? In Friedhof am Meer steht auch, Wind komme auf, es bleibe nichts, als der Versuch zu überleben, ein aus der Unendlichkeit kommender Hauch öffne und schließe mein Buch.

Die Kommunistische Partei. Mao Zedong. Die Gräber aufgerissen, die Leichen gepeitscht. Hass und ein Meer von Blut. Revolution und Konterrevolution. Würden die Ausländer mit ihren bunten Augen dieses Vokabular, das uns in Fleisch und Blut übergegangen ist, verstehen? Sie waren hier, genau wie ich; der Unterschied war, ich war mit leeren Händen gekommen, aber sie hatten eine Ziehharmonika dabei, eine kleine, die man von beiden Seiten zusammendrückte, wie eine dicke Bibel. Sie haben in der Umgebung wilde Blumen gesammelt, einen bunten Kranz geflochten und ihn zwischen die Erdhügel gelegt. Dunkle Wolken zogen über sie hin, das Abendrot war ein schwankendes Segelboot, Sterne sprangen aus dem Erhai-See wie silbrige Fische, die Ziehharmonika spielte. Sie sangen. Dieses eine Lied, das ihre Urgroßmutter Fanny schon vor ihrer Taufe, da war sie noch ein Kind, so gut konnte. Und das heute so viele Chinesen aus einem Film kennen. War es ein Kirchenlied? The last rose of summer, eine von Gott erlaubte Schwermut? Oder ein Trost der Toten für die Lebenden?

Letzte Rose des Sommers

sie ließen blühend dich dort

Deine lieblichen Schwestern

sind tot und sind fort …

Wieder elf Jahre später, wieder war es Abend, in meinen Ohren klang noch dieses Lied, und am Gipfel des Cang spielten zwei Hälften einer zerrissenen Wolke lautlos Ziehharmonika.

Ze Yu sagte, wir kehren um. Wir arbeiteten uns durch den Maiswald, rannten, sprangen, es war wie ein Dankfest, das Muslimdorf kam näher, auf der anderen Seite des Hanfdickichts, der spitze Turm der Moschee stach in einen weiten Regenbogen, aus dessen Scheitelpunkt eine gebogene Mondsichel brach.

Die Sterne eilten wie Hufe. Die Stimme vom Minarett war höher als die Nacht.

Presbyter Zhang Yingrong

Es war am 30. Dezember 2005, kurz nach acht in der Früh, ich stieg mit Doktor Sun, für den als Arzt die Fahrten auf die Dörfer längst Routine waren, in einem kleinen, im Müll versinkenden Ort im Norden von Yunnan, einem Verkehrsknotenpunkt, in den Überlandbus vom Kreis Luquan nach Heixiang. Feiner Nebel hüllte nach und nach alles ein, draußen war alles so üppig, es wurde einem ganz wohlig dabei. Die Hälfte der Sitze im Bus waren leer, deshalb hatte man viel Platz, und wir plauderten mit verschränkten Armen. Landschaft und Straße verschwanden hinter uns. Trotzdem fiel mir auf, dass die christlichen Kirchen hier sehr dicht standen, vermutlich hatten die Leute aus den Dörfern sie selbst geplant und gebaut, deshalb sahen sie von außen auch recht schlicht aus, die Lehmmauern waren nur einmal mit weißer Tünche gestrichen worden. Aber die großen roten Kreuze, die alle anderen Dächer überragten, stachen ins Auge, inmitten der grünen Berglandschaft vermittelten sie den irreführenden Eindruck, es hätte bereits ein Dynastiewechsel stattgefunden.

Nachmittags um 14.21 Uhr kam der Bus in Zehei an, einem kleinen Bergnest mit niedrigen, schäbigen und düsteren Häusern, die zu beiden Seiten der Straße hockten. Außer ein paar Lkws und Traktoren, die am Straßenrand hielten, gab es kein Anzeichen von Modernisierung. Pferde und Maultiere waren in Gruppen zu dreien und fünfen auf der Straße zusammengebunden, unterwegs war alles voller Dung, und die Anwohner unter ihren Vordächern taxierten die Zugereisten. Von der Hauptstraße bogen wir auf einen schrägen Hang, den ging es hinauf, immer geradeaus, zum höchsten Gebäude von Zehei, einer fünfstöckigen weißen Kirche, deren großes rotes Kreuz unter dem blauen Himmel weit mehr ins Auge fiel als das rote Fünfsternebanner an der Rathaustür in der Nähe.

Im Erdgeschoss der Kirche waren zwei, drei Läden, der Doktor stieg die Treppe hinauf und betrat die »Volksgesundheitsapotheke«. Begrüßt wurden wir von einem Mann mittleren Alters, er goss Tee auf und sagte, nachdem er gestern den Anruf des Doktors bekommen habe, habe der Gemeindeälteste alles vorbereitet. Ein schwarzgesichtiger Mann brachte uns ins Oberdorf.

Nach der Form des Geländes gliederte sich Zehei wie ein flatterndes Band in drei Teile, Ober-, Mittel- und Unterdorf; zum Mitteldorf, in dem sich mit Ämtern und Läden der Handel konzentrierte, brauchten wir vom Oberdorf mit seinem nackten roten Lehmboden ein paar Minuten, vorbei an einigen Bauernhöfen und einer roten Mauer betraten wir schließlich einen offenen Hof. Ein altes Pärchen mit gütigen Augen erschien in der Tür, die beiden waren eines der Ziele unserer Reise: der in hohem Ansehen stehende Gemeindeälteste der protestantischen Kirche Zhang Yingrong und seine alte Frau Li Guizhi. Ich ging mit dem Doktor auf sie zu und gab ihnen die Hand, wir tauschten ein paar Höflichkeiten aus und wurden gebeten, einzutreten und neben dem kalten Kaminofen Platz zu nehmen. Ich schaute mich im Halbdunkel des Raumes um, nahm mein Aufnahmegerät heraus, und wir begannen unser Gespräch am 30. Dezember 2005 um 15.30 Uhr.

LIAO YIWU

Die Alten unter den Christen werden immer weniger … so ist Yuan Xiangchen, wie ich erst kürzlich gehört habe, schon nicht mehr bei uns, dabei war er, als ich den neunzig Jahre alten Priester im vergangenen Jahr in Beijing sprach, geistig und körperlich noch voll da.

ZHANG YINGRONG

Ich bin auch schon vierundachtzig.

LIAO YIWU

Deshalb möchte ich Sie bitten, ohne Umschweife ganz einfach über Ihr Leben zu erzählen, als Zeugnis.

ZHANG YINGRONG

Haha. Also ich, ich bin 1922 geboren, den genauen Tag weiß ich nicht. Denn als ich fünf Jahre alt war, ist meine Mutter gestorben, Vater war der Gemeindeälteste der China-Inland-Mission und hat sich mit Leib und Seele dem Herrn verschrieben und dabei ganz vergessen, an welchem Tag sein Sohn zur Welt gekommen ist. Ich war drei Jahre auf der Volksschule, den Glauben an den Herrn habe ich von den Eltern übernommen, aber ganz dumm und ohne Verstand; bis ich 16 war und zwei ausländische Priester im Kreis Luquan und in unserem Ort Salaowu predigten. Ich habe eine Woche im Bibelkreis mitgemacht und mit vielen anderen an einem dreiwöchigen Bibelkurs teilgenommen, und erst da wurde ich ergriffen, ich habe vor dem Heiligen Geist meine Vergangenheit bekannt und beschlossen, ihm mein Leben zu widmen. Dann bin ich auf Empfehlung der Kirche von Salaowu nach Taogu im Kreis Wuding in die Geistige Schule der Sechs Völker (ein grundlegender Bibelkursus, der sich aus Gläubigen der Schwarz-Yi, der Weiß-Yi, der Gan-Yi, der Li, Dai und der Han-Chinesen zusammensetzte) gegangen und habe dort drei Jahre lang hart gearbeitet.

LIAO YIWU

Auf dem Weg hierher sind wir an Salaowu vorbeigekommen. Über einen tiefen Graben hinweg haben wir am Fuß der Berge zwei, drei weiße Dächer gesehen, die unter den übrigen Lehmhäusern ziemlich auffielen. Doktor Sun hat aus dem Fenster gezeigt und erklärt, das seien die beiden Priesterseminare, die die Westler hier im Südwesten aufgebaut hätten, vor einem halben Jahrhundert seien sie an irgendwelchen Krankheiten gestorben und hier begraben worden, die verwitterten Grabsteine seien bis heute zu sehen.

ZHANG YINGRONG

Das war ein Priesterehepaar, er war Australier, über 50, sein chinesischer Name war Zhang Erchang; sie war aus Kanada, ich kann mich an den Namen schon nicht mehr erinnern. Und dann war da noch der englische Priester Zheng Kaiyuan, er hat auch am Aufbau des Priesterseminars mitgearbeitet; ursprünglich hat er in Sichuan eine Schule geleitet, aber als der Krieg gegen Japan anfing, ist er nach Yunnan gekommen, hier nach Lufeng, und dann haben sie zusammen das Seminar aufgebaut. Nach einem halben Semester sind sie dann nach Salaowu umgezogen. Und kurz nach meinem Abschluss an der Geistigen Schule der Sechs Völker bin ich als einer der ersten Studenten zu dem Seminar gegangen, dort habe ich ein regelrechtes dreijähriges Studium absolviert, bin in den Ferien mit den Predigern auf die Dörfer gegangen, habe nach und nach ein bisschen Erfahrung gesammelt, damit ich nach dem Seminar ein Fundament hatte, um als Lehrer und Prediger zu arbeiten.

LIAO YIWU

Sind Sie damals mit dem Auto unterwegs gewesen?

ZHANG YINGRONG

Hier wohnen die verschiedenen Volksstämme sehr verstreut, im Vergleich zu dem Rest von China gilt das hier als abgelegen und rückständig, der Straßenbau und die Erschließung, das war eine Sache erst der letzten paar Jahre. Damals waren Pferd und Muli unsere Verkehrsmittel, und dann natürlich noch Schusters Rappen, die Habseligkeiten auf dem Buckel, zehn, zwanzig Tage von Kunming bis Zehei, dann weiter ins Land, auf der anderen Seite vom Goldsandfluss war schon das Dalianggebirge, also Sichuan.

Zwar hatte ich im Gebet schon beschlossen, meinen Dienst auf dem Gebiet von Yunnan zu versehen, doch als mein Abschluss näherrückte, kam im Priesterseminar der Brief eines Missionars aus dem Kreis Zhaojue in Sichuan an, in dem er um Unterstützung bat. Mein Gegenüber war Arzt, kam aus London und war dabei, dort ein Krankenhaus aufzubauen. Da das Daliang-Gebirge zum Hinterland der Yi gehört, haben sie dort eine ganz andere Sprache und andere Sitten als wir Chinesen, deshalb kann man sich die Schwierigkeiten vorstellen, die die Westler mit ihren paar Brocken Chinesisch dort hatten.

Und so hat das Seminar mich und einen anderen Absolventen, der zum Volk der Schwarz-Yi gehörte, nach Zhaojue geschickt, ich habe im Krankenhaus zehn Monate meinen Dienst versehen, als Übersetzer und als Lehrer – ich habe der englischen Ärztin die Sprache der Yi beigebracht. Als ich nach getaner Arbeit nach Yunnan zurückkam, war schon Weihnachten. Das war 1950.

LIAO YIWU

Da war doch das ganze Land schon befreit, und Sie haben noch das Evanglium verkünden können?

ZHANG YINGRONG

Um Weihnachten 1949 ist Yunnan komplett befreit worden, aber das Liang-Gebirge war noch bis zum Frühjahr 1950 in der Hand der Guomindang. Ich bin Christ, ich kümmere mich nicht um die weltlichen Herren, wichtig ist nur die Verkündigung der Frohen Botschaft. Ende 1950 hat die Kommunistische Partei dann die Gemeindeverwaltung geändert, da hatten sie noch keine Zeit, sich um die Religion zu kümmern. Da waren noch Säuberungen durchzuführen gegen die Räuber und Tyrannen, die Pacht musste heruntergesetzt und die Kautionen zurückgegeben werden, anschließend kam die Bodenreform, da war ich gerade 30.

LIAO YIWU

Und Sie hatten noch keine Familie gegründet?

ZHANG YINGRONG

Ich bin erst mit 30 verlobt worden, und dann ist meine Familie als Grundbesitzer gebrandmarkt worden.

LIAO YIWU

War ihre Familie sehr wohlhabend?

ZHANG YINGRONG

Wir waren fünf Brüder und zwei Schwestern, ich war der Zweitälteste. Mein älterer Bruder war Gemeindevorsteher, aber unser Land war genauso knapp wie das Geld. Ich selbst war noch ärmer, vor der Bodenreform habe ich ständig im Priesterseminar gewohnt.

LIAO YIWU

Und auf welcher Grundlage hat man Sie zum Grundbesitzer gemacht?

ZHANG YINGRONG

Erstens gab es bei uns noch nicht viele, die an den Herrn glaubten, wir waren eine christliche Familie, und der Beruf ging vom Vater auf die Söhne über; zweitens war 1949 ganz Yunnan befreit worden, und ich war trotzdem noch vom Priesterseminar in ein von der Guomindang kontrolliertes Gebiet geschickt worden, was sollte ich in ihren Augen dort anderes gewollt haben, als den »Lakaien des Imperalismus« zu spielen? Geschichte ist kein Honigschlecken. Drittens war es illegal, dass mein Bruder den Gemeindevorsteher machte, das hat die ganze Familie eingerissen: Sippenhaft.

LIAO YIWU

Erzählen Sie doch bitte, wie Sie die Bodenreform erlebt haben!

ZHANG YINGRONG

In der Zeit der Säuberungen habe ich noch im Priesterseminar gewohnt; als die Klassenzugehörigkeit geklärt wurde, bin ich nach Zehei zurück, wo ich mit ein paar Dutzend anderen reichen Grundbesitzerelementen in der Volksschule interniert worden bin. Es gab oft Massenversammlungen, dabei ging es vor allem um das Konfiszieren von Boden und Vermögen – und um Bußgelder. Bevor es zu den Ausschreitungen gegen die Grundbesitzer und reichen Bauern kam, haben die Leute mitten in der Nacht heimlich Vorräte und Kleider vergraben, nach dem Unwetter wollten sie es wieder vorholen. Aber die Kampagnen wurden immer schlimmer, die Augen der Massen strahlten, da konnte man etwas noch so gut verstecken, sie haben es gefunden, und dann hatte man noch ein Verbrechen mehr am Hals. Und wer an Gott den Herrn glaubte, der war aufrichtig und hatte kein Geld, irgendwelche Bußen zu bezahlen, und auch kein Vermögen. Sie haben alles durchstöbert, sie haben den Boden drei Ellen tief aufgerissen, aber sie haben nicht einmal einen Tropfen Öl aus uns herauspressen können, da haben sie mir vor Wut das ganze Gepäck, das ich im Priesterseminar gelassen hatte, weggenommen.

LIAO YIWU

War das sehr wertvoll?

ZHANG YINGRONG

Nur Bettwäsche, sie haben mir nicht einmal eine Decke gelassen. Sie waren außer Rand und Band, sie haben mich beschimpft, ich sei ein Lügner, so arme Grundbesitzer, wie ich vorgäbe zu sein, gäbe es auf der ganzen Welt nicht! Dann haben sie eine Kampfversammlung abgehalten, ich musste mich auf den Boden knien, durfte drei Tage und drei Nächte nicht aufstehen, Volksmiliz stand neben mir, mit großen Knüppeln; wenn ich einnickte, schlugen sie auf mich ein, wenn ich mich streckte, schlugen sie auf mich ein, und wenn ich die Knie bewegte, schlugen sie ebenfalls auf mich ein.

LIAO YIWU

War das im Gefängnis?

ZHANG YINGRONG

Nein, unter freiem Himmel. Ich kniete auf in Stücke gehauenen Holzklötzen und Ziegeln, der Himmel schien ein Loch zu haben, es regnete unentwegt, in der Nacht war es schwül und es donnerte andauernd, es dröhnte so, dass die Dächer und die Ziegel bebten. Ich war triefend nass und fing auch an zu frieren, hinterher war ich stocksteif, ganz lahm, weil mir das Wasser bis an die Hüfte stand. Knie, Kopf und Hüfte bluteten stark, die Pfützen färbten sich rot. Immer wieder habe ich gemurmelt: O Gott, o Gott …

LIAO YIWU

Dass Sie das ausgehalten haben, ist an sich schon ein Wunder.

ZHANG YINGRONG

Ich war nicht allein, in der Nacht knieten ein paar Dutzend Grundbesitzerelemente im Regen und schrien nach Papa und Mama, sie wurden von den armen und unteren Mittelbauern gezwungen, einzeln ihre Probleme einzugestehen. Mein Problem war vor allem, dass ich zwischen 1949 und 1950 in Sichuan gewesen war, von dem Priesterseminar Anweisungen entgegengenommen und mit Ausländern, mit der Volksbefreiungsarmee und mit der Guomindang gleichzeitig Kontakt gehabt hatte. Aus welchem Grund, den ich nicht hätte mitteilen können, hätte ich das tun sollen? Nachher wurde eine Reihe der Guomindangoffiziere gefangen genommen und in Umerziehungslager gesteckt; andere sind vom Bezirk Zhaojue nach Xichang und dann ab nach Taiwan. Von der Bodenreform an, bis Deng Xiaoping 1979 aus den Bergen kam und dann die Regierung Leute geschickt hat, die mir die Mütze des Grundbesitzers abnahmen, habe ich hunderte »Geständnisse« geschrieben und meine »historischen Probleme« einer kritischen Prüfung nach der anderen unterzogen, die allerdings mit jeder Prüfung unklarer wurden.

HIER MELDETE SICH LI GUIZHI ZU WORT

Sie haben ihn ein paar Tage festgehalten, ich habe mir in Salaowu, bei mir zu Hause, die Augen ausgeweint; irgendjemand hat mir dann heimlich einen Brief zugesteckt, in dem es hieß, der Mann da aus meiner Familie könne nicht mehr. Ich machte, dass ich so schnell wie möglich nach Zehei kam. Es war dunkel, der Weg war völlig aufgeweicht, ich hatte einen Bastumhang über und einen Packen mit heißen Kartoffeln im Arm, so hastete und stolperte ich dahin, ich weiß nicht, wie oft ich mich überschlagen habe, bis ich in Zehei ankam, es war stockfinster. Wie er da im Regen vor mir kniete, sah er aus wie ein Gespenst, ich hockte mich zu ihm, er hat mich nicht erkannt – seine Seele war nicht in seinem Körper. Ich habe ihn angeschrien, ein paarmal, bis er endlich einen Ton von sich gab, und als ich ihn mit den Kartoffeln fütterte, haben die Milizen Zeter und Mordio geschrien und auf mich eingeschlagen. Die Kartoffeln sind ins Wasser gefallen. Ein Jammer, drei Tage und drei Nächte hat er nichts essen dürfen.

LIAO YIWU

Wie weit ist es von Salaowu bis Zehei?

LI GUIZHI

Fünfundvierzig Kilometer, ich bin in einer Nacht hin und wieder zurück, also insgesamt neunzig Kilometer.

LIAO YIWU

Wir sind von Sayingpan aus mit dem Bus gefahren und haben gut drei, vier Stunden gebraucht.

LI GUIZHI

Im Augenblick reparieren sie die Straße. Damals haben wir eine Abkürzung genommen, das ist viel näher. Ich habe das Gefängnis abgesucht, und als ich merkte, dass ich nicht helfen kann, blieb mir nichts anderes übrig, als heulend zurückzulaufen. Als ich zu Hause ankam, waren meine Füße ganz kaputt. Die armen Pachtbauern, die um uns herum wohnten, haben mich beobachtet, ich habe mich den ganzen Tag im Haus versteckt und mich nicht vor die Tür getraut.

LIAO YIWU

Und dann?

LI GUIZHI

Die Kampagne war bald vorbei, dann ist er nach Hause gekommen.

LIAO YIWU

Haben die Milizen ihn gebracht?

LI GUIZHI

Er ist gekrochen, Stück für Stück gekrochen. Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan, schließlich haben die Hähne gekräht, und es dämmerte schon, und ich hatte das unbestimmte Gefühl, ich hätte draußen jemanden stöhnen hören, also bin ich aufgestanden und habe nachgesehen. Ich machte die Tür auf, und da lag ein total verdrecktes Etwas und klammerte sich an meine Beine. Ich bückte mich sofort, und da erkannte ich ihn, er tat mir so leid, ich kümmerte mich um den Bewusstlosen, ein Diener, der fast vollständig zerstört und dennoch in der Lage war, fünfundvierzig Kilometer nach Hause zu kriechen. Er konnte sich schon nicht mehr rühren, und am Ende fehlte ihm sogar die Kraft zu atmen. Ich trug ihn ins Haus, habe ihn auf ein Schaffell gelegt, unter das ich zuvor noch eine Lage Heu gepackt hatte. So war es ein bisschen wärmer, aber die Milizen kamen wieder und führten ihn ab, zum öffentlichen Prozess in Zehei. Er konnte sich nicht rühren, da haben sie ihn angefahren, es habe keinen Sinn, wenn er ihnen hier den toten Hund vorspiele – schließlich haben sie ihn auf einem Brett weggetragen und so unterhalb der Richtertribüne abgestellt. Er wurde bekämpft und durfte immer noch kein Auge zutun.

ZHANG YINGRONG

Um mich herum waren drei-, viertausend Menschen, die waren wie ein Eisenfass; mein Körper war wie ein Stück Roheisen, ich konnte keinen Teil bewegen, wenn ich nur den Hals drehte, brach ich in Schweiß aus. An dem Tag wurde einem guten Dutzend Leute der Prozess gemacht, außer mir hatten alle die Hände auf den Rücken gefesselt, und man hatte ihnen ein schwarzes Schild hineingesteckt. Mein älterer Bruder stand neben mir, in einem 90-Grad-Winkel gebückt, und neben ihm zwei Milizionäre, die seine Arme nach oben drückten – in der Kulturrevolution später hieß das »den Düsenjäger machen«.

Ich lag auf der Erde und schaute hoch, der tagelange Regen hörte endlich auf, an den Ohren konnte ich noch die Tropfen spüren. Die Sonne tauchte zwischen den langsam sich auflösenden dunklen Wolken auf, der Himmel war so blau – wie konnte der Himmel so blau sein? Die Menschen hassten einander, die Mehrheit der als arme Pächter eingestuften Bauern trampelte auf ein paar anderen, die als reiche Elemente galten, mit den Füßen herum – und die Sonne schien und der Himmel war blau. Und das sollte eine »Befreiung« sein? Hatten die Menschen vor dieser »Befreiung« denn nicht unter der gleichen Sonne, im gleichen Dorf harmonisch und in der Gnade Gottes miteinander gelebt?

Die »Klassenfeinde« wurden bis zur Entstellung verprügelt, ihre Gesichter waren geschwollen, man hatte ihnen mit Steinen und Knüppeln Löcher in die Köpfe geschlagen, hineingespuckt und Mist draufgeschmiert, das blätterte ab. Aber damit nicht genug, sie mussten die Leute auch noch verurteilen und hinrichten.

Es war auf dieser Versammlung, dass der Kreisrat, der Gemeindevorsteher und die Großgrundbesitzer von Sayingpan und Zehei hingerichtet worden sind; ihre Kinder wurden zu zehn bis zwanzig Jahren verurteilt, ein paar haben den Verstand verloren, andere sind ein paar Tage nach ihrer Entlassung gestorben.

Ich hatte mit Politik nicht das Geringste zu tun, ganz zu schweigen davon, dass ich jemanden »ausgebeutet« hätte, deshalb haben sie mich weitervegetieren lassen. Aber das Ganze war die Wurzel für mein Rheuma, ich war für mein Leben verunstaltet.

LIAO YIWU

Sie sind nicht verurteilt worden?

ZHANG YINGRONG

Damals nicht, ich wurde nur zu den Vier Elementen[7] gerechnet und den Massen zur Kontrolle meiner Umerziehung überantwortet. Außerdem war es mir nicht mehr erlaubt, das Evangelium zu verkünden. Aber mit dem Jahr 1958 wurde die Lage sehr viel angespannter, da bin ich dann in ein Umerziehungslager gekommen.

LIAO YIWU

Sie sind ganz offiziell in ein Umerziehungslager gesteckt worden?

ZHANG YINGRONG

Im Herbst 1958 hat die Volkskommune den Staudamm von Salaowu gebaut, drei von uns reichen Elementen sind zu den Grabungsarbeiten abkommandiert worden, dann sind wir mit den Vier Elementen in eine Studienkompanie gesteckt worden und haben im Gebiet von Jiaojiaying und Jiaoshan im Kreis Luquan zehn Monate lang Holzkohle gebrannt.

LIAO YIWU

Wie viele Leute waren in der Studienkompanie?

ZHANG YINGRONG

Zweihundertfünfzig, zweihundertsechzig, aber nach nur einem Monat sind schon über fünfzig krank gewesen und ausgefallen.

LIAO YIWU

War die Intensität der Arbeit zu hoch?

ZHANG YINGRONG

Vor allem nach dem Großen Sprung fing das Leben an, sehr schwierig zu werden, wir hatten nie genug zu essen. Eine Ration von hundertfünfzig Gramm Reis pro Tag, daraus wurde für alle eine dünne Suppe gekocht, so war der Bauch zwar voll, aber bei der schweren Arbeit sind wir doch alle vom Fleisch gefallen. Ich war ohnehin schon nicht der Kräftigste, dann bildete sich auf meinem Fuß auch noch ein großes Geschwür, am Anfang war es noch ganz hart und prall, aber wenn man den ganzen Tag draußen ist, von früh morgens bis in den Nachmittag, ich konnte ihn nicht mehr rühren, also hörte ich auf und wollte den Fuß ausruhen, aber da hat der wachhabende Milizsoldat den Knüppel gezogen. Die dicke Geschwulst auf meinem Fuß brach knackend auf, ich bin vor Schmerzen zusammengebrochen, jetzt lag ich da und kam einfach nicht mehr hoch. Ich hatte das Gefühl, ich würde hier auf dieser Straße sterben, und betete für mich: Herr, ich kann nicht mehr, so muss ich denn auf diese Weise vor dein Angesicht treten. – Doch dann haben sie mich nach einer Weile auf einmal gepackt und jemand anderem befohlen, mein Zeug auf den Rücken zu nehmen. Am Abend haben sie dann ausnahmsweise auf die Kampfversammlung gegen mich verzichtet. Am nächsten Tag ruhte ich mich aus, und am dritten Tag haben sie mir eine Axt in die Hand gedrückt, ich sollte auf den Berg hoch und Feuerholz machen.

Das war im Sommer 1959