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Je weiter die moderne Medizin voranschreitet und je raffinierter sie in den menschlichen Körper intervenieren kann, desto offensichtlicher wird sie mit ihrem Scheitern konfrontiert, desto mehr Nichtwissen wird erkennbar. Werner Vogd macht darauf aufmerksam, dass der Erfolg ärztlichen Handelns sich weniger an explizitem Wissen bemisst, sondern an einem praktischen Sinn, der jenes Vertrauen erzeugt, das den Mediziner für den Patienten erst zum Arzt machen kann.
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Seitenzahl: 22
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Werner Vogd
Götter in Grau
Über das gestörte Verhältnis zwischen Arzt und Patient
Ob man es mag oder nicht, auch in der Krankenbehandlung liegen die Dinge gar nicht so sicher, wie man es sich erhofft. Vielmehr lässt sich gerade für die Medizin zeigen, dass es den Vollzug der Heilpraxis nicht unbedingt hemmt, wenn die Beteiligten dabei nicht so recht wissen, was sie tun. Aus der Medizingeschichte ist ersichtlich, dass von der Antike bis zum Mittelalter Aderlass und Quecksilbertherapie massenhaft angewendet wurden, wenngleich den Patienten dadurch weitaus mehr Schaden als Nutzen zukam. Wer glaubte, dass die Kluft zwischen Wissen und Praxis mit der Etablierung der Schulmedizin erfolgreich überwunden worden sei, ist von den Vertretern der sogenannten evidence based medicine eines Besseren belehrt worden. Denn mit epidemiologischen Mitteln konnte gezeigt werden, dass für einen Großteil der derzeit angewandten diagnostischen und therapeutischen Verfahren keine biostatistisch abgesicherte Evidenz vorliegt. Ein Soziologe oder Philosoph wiederum kann die wissenschaftlichen Praktiken der Epidemiologen kritisch beobachten und feststellen, dass sich mit statistischen Mitteln nur begrenzt Wissen generieren lässt. Zudem haben auch die Anwender komplementärmedizinischer Verfahren ihre guten Gründe, warum sie weder den Schulmedizinern noch deren wissenschaftlichen Kritikern Gehör schenken, denn viele Patienten sind gerade mit den von ihnen angebotenen Behandlungen recht zufrieden.
Der pragmatische Rückzug auf die Antwort »wer heilt, hat recht« hilft allerdings auch nicht weiter. Selbst im Falle erfolgreicher Krankenbehandlung sind die Fragen, was unter einer Heilung zu verstehen sei und welche Mechanismen gegebenenfalls zu ihr geführt haben, alles andere als einfach zu beantworten. Von Karl Popper haben wir gelernt, diesbezüglich induktiven Schlüssen zu misstrauen, denn letztlich könnte eine Heilung immer auch dem Placeboeffekt oder den natürlichen Selbstheilungskräften geschuldet sein. Doch auch mit den Mitteln abstrakter, deduktiver Theoriebildung kommt man angesichts der Komplexität von Lebensprozessen im ärztlichen Alltag nicht weiter. Zu vielfältig sind hier die Faktoren und Kausalitäten, als dass man sie alle bestimmen, geschweige denn kontrollieren könnte.
Wissen, Nichtwissen, Handeln