Gottes Erster Name - Walter Kasper - E-Book

Gottes Erster Name E-Book

Walter Kasper

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Beschreibung

Walter Kardinal Kasper hat mit Veröffentlichungen und Initiativen das Thema "Barmherzigkeit" mit ins Zentrum von Theologie und Pastoral gerückt. Für Mouhanad Khorchide, Professur für Islamische Religionspädagogik an der Universität Münster, steht Barmherzigkeit im Zentrum eines modernen Verständnisses des Islams. Dieses Buch dokumentiert ihr Gespräch darüber, was Christen und Muslime im Blick auf Barmherzigkeit miteinander verbindet. Herausgegeben von dem erfahrenen Vatikanjournalisten Jürgen Erbacher. Mit einem Geleitwort der deutschen Botschafterin beim Vatikan, Annette Schavan, die zu diesem Gespräch eingeladen hatte.

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Walter Kardinal Kasper

Mouhanad Khorchide

Gottes Erster Name

Ein islamisch-christliches Gespräch über Barmherzigkeit

Herausgegeben von Jürgen Erbacher

Mit einem Geleitwort von Annette Schavan

Patmos Verlag

Inhalt

Ein islamisch-christliches Gespräch über Barmherzigkeit | Geleitwort

Annette Schavan

Gottes Erster Name | Vorwort

Jürgen Erbacher

Barmherzigkeit als Schlüsselkategorie der islamischen Lehre

Mouhanad Khorchide

Barmherzigkeit – christlich und muslimisch

Kardinal Walter Kasper

Gespräch über Barmherzigkeit

Mouhanad Khorchide | Walter Kasper

Papst Franziskus, die Barmherzigkeit undder interreligiöse Dialog

Jürgen Erbacher

Über die Autoren

Über das Buch

Impressum

Hinweise des Verlags

Ein islamisch-christlichesGespräch über Barmherzigkeit

Geleitwort

Annette Schavan

Der Dialog über die Bedeutung der Barmherzigkeit im Christentum und im Islam, der von Kardinal Walter Kasper und Mouhanad Khorchide am 6. September 2016 in der Residenz der Deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl geführt wurde, zeigt einmal mehr, wie sehr die theologische Reflexion klärend wirkt und in der Analyse von Gemeinsamkeiten und Differenzen eine Basis für den wechselseitigen Respekt geschaffen wird.

»Aber glaubt nicht, dass ich Werbung für die Bücher des Kardinals mache« – die meisten erinnern sich an diese Worte von Papst Franziskus bei seinem ersten Angelus-Gebet hoch über dem Peters­platz am 17. März 2013. Er meinte Kardinal Kasper und bezog sich auf sein Buch »Barmherzigkeit«, dessen spanische Übersetzung der Papst während des Konklave gelesen hatte. »Etwas mehr Barmherzigkeit verändert die Welt; es macht sie weniger kalt und mehr gerecht.« Das waren die Worte des neu gewählten Papstes bei seinem ersten öffentlichen Auftreten, und mit diesen Worten war die Spur für Inhalt und Schwerpunkt des Pontifikats gelegt. Ganz im Sinne seines bischöflichen Wahlspruches Miserando atque eligendo (»Durch Erbarmen erwählt«) beschreibt Papst Franziskus das Fundament des Glaubens und der sich daraus ergebenden Botschaft der Hoffnung: Barmherzigkeit!

Kardinal Walter Kasper und Professor Mouhanad Khorchide, zwei Denker ihres Glaubens, die dies nicht als intellektuelles Glasperlenspiel verstehen, sondern ihren Glauben leben und bezeugen, haben zur gleichen Zeit – aber ohne Kenntnis vom anderen – zum gleichen Thema veröffentlicht. »Barmherzigkeit«: ein alter Begriff des Glaubens, der vielen verstaubt und abgegriffen vorkommt. Beide Autoren haben ihn wiederentdeckt und deutlich gemacht, wie sehr er für das Christentum und den Islam ein Schlüsselbegriff ist.

Mit dem »Jahr der Barmherzigkeit«, das Papst Franziskus am Christkönigssonntag 2016 formal beendet hat, ist eine Bewegung entstanden, die durch eine vielgestaltige Aufnahme des Themas weltweit zu einer neuen Besinnung geführt hat.

Der nachfolgende Text dieses Buches gibt das Gespräch der beiden Autoren wieder – ein Gespräch, in dem sie darüber nachdenken, was ihnen und ihrem Glauben so wichtig ist: Gott ist barmherzig! Der glaubende Mensch ist zur Barmherzigkeit aufgerufen – gegenüber Freunden und gegenüber Fremden. Es wird deutlich, dass dieser alte Begriff neue Sprengkraft entwickeln kann. Wenn Gott barmherzig ist, wie kann dann der Mensch unbarmherzig mit anderen umgehen? Was bedeutet dann die Freiheit des Menschen – auch und gerade Glaubens- und Religionsfreiheit?

Im Heiligen Jahr der Barmherzigkeit hat Papst Franziskus bei vielen und ganz unterschiedlichen Gelegenheiten den Begriff der Barmherzigkeit immer und immer wieder durchbuchstabiert. Er besuchte Menschen am Rand: weil sie arm sind oder krank oder obdachlos, weil sie ausgegrenzt werden, verwaist oder Gefangene, weil sie durch Lebensentscheidungen von der Bahn abkamen oder mit einer neuen Entscheidung eine neue Spur durchs Leben finden mussten. Er deutete Karfreitag und die Passion, die Auferstehung und die Himmelfahrt, Papst Franziskus erläuterte die barmherzige Seite des Pfingstfestes und bei jedem Marienfest neu, welche Bedeutung Gottes Barmherzigkeit im Leben der Gottesmutter hatte.

Die beiden Autoren als Vertreter ihres Glaubens hatten diesem Thema schon vor der weltweiten Welle Beachtung geschenkt und es damit auch aus der Versenkung geholt. Walter Kasper spricht dabei davon, dass Barmherzigkeit ein »Grundbegriff des Evangeliums« sei und damit auch »Schlüssel christlichen Lebens«. Mouhanad Khorchide wiederum geht das Thema von seiner eigenen Religion her an, wenn er den Titel wählt: »Islam ist Barmherzigkeit«. Er spielt dabei auch mit der Bedeutung des Begriffs »Islam« als »Hingabe an Gott«, also mit einer Glaubenshaltung, die gar nicht anders kann, als zur Barmherzigkeit zu führen, und den Islam als Bezeichnung einer Religionsgemeinschaft sieht, die in der öffentlichen Wahrnehmung durch Extremismus und Terrorismus zum Zerrbild und zum schieren Gegenteil von Barmherzigkeit verkommen ist. Beide Autoren sehen es als wichtige Aufgabe der Theologen und derer an, die Verantwortung innerhalb einer Glaubensgemeinschaft tragen, dass Christentum und Islam nicht oder nicht mehr in der Hand von Fanatikern sind, sondern zurückgeführt werden und für das stehen, was sie seien sollen: Zeugen eines Gottes, der barmherzig ist.

Im Gespräch wird dabei deutlich, dass der Teufel bekanntlich im Detail liegt und es »das Christentum« genauso wenig gibt wie »den Islam«. Das Spektrum zwischen altorientalischen Christen und charismatisch geprägten Freikirchen ist gewaltig. Die Erfahrungswerte der Christen im Orient sind andere, als wir sie im Westen Europas haben. Die gesellschaftlichen Vorstellungen von Demokratie und Menschenrechten sind bei uns anders ausgeprägt als im Mittleren und Nahen Osten und dort unabhängig davon, ob jemand Christ oder Muslim ist. Die Komplexität der Welt und ihrer Zusammenhänge und die damit einhergehende »neue Unübersichtlichkeit«, wie Jürgen Habermas dies schon vor mehr als dreißig Jahren nannte, machen ein gegenseitiges Verstehen schwer. Aber wie das Gespräch zwischen zwei Denkern zeigt, ist es nicht unmöglich. Voraussetzung dazu ist der Wille, verstehen zu wollen; den anderen in seinem Anderssein zu sehen und zu versuchen, dies zu akzeptieren oder wenigstens zu tolerieren. Dazu gehört auch, immer wieder Schritte auf den anderen hin zu gehen und gleichzeitig zu versuchen, die eigene Haltung transparent und nicht aggressiv zu erklären; Hilfestellung zu geben ohne Arroganz; Schwächen des anderen nicht auszunutzen und die eigenen Stärken nicht überheblich herauszustellen. Gleichzeitig gehört dazu auch, sich kritischen Anfragen zu stellen und den Gesprächspartner ebenso kritisch zu befragen. Der Dialog zeigt: Das ist ein schwieriger Balanceakt. Begriffe und Biografien, Zusammenhänge und Strukturen, Geschichte und Verletzungen müssen geklärt und erkannt, manchmal auch geheilt werden.

Papst Franziskus sagt zum Abschluss des Heiligen Jahres, dass es sicherlich keine spektakulären Dinge bewirkt, sondern viele Anstöße gegeben habe. Denn, so der Papst: »Ich glaube, der Herr wird gute, einfache alltägliche Dinge im Leben der Menschen wachsen lassen.« Kasper und Khorchide haben durch ihre Gedanken und Ideen Anstöße gegeben, und einige davon konnten sie bei diesem Gespräch aufnehmen und weiterführen. Gemeinsame Ideen konnten entwickelt werden, und es wurden auch Schwierigkeiten deutlich, die sich nicht einfach übergehen lassen. Aber auch da wurden Möglichkeiten ins Auge gefasst, wie und woran man weiter arbeiten soll und wie dies gelingen kann.

Ein Einwand, der vom ersten Tag an gegen beide Autoren und auch gegen Papst Franziskus immer wieder vorgebracht wurde, ist, dass die göttliche Barmherzigkeit es dem Menschen zu einfach mache. »Wir haben doch auch ein Gerechtigkeitsgefühl«, so hörte man immer wieder. Nur barmherzig, das hinterlässt bei manchen einen faden Beigeschmack. Aber auch hier waren sich die Gesprächspartner einig, und auch hier kann eine Äußerung von Papst Franziskus aufgegriffen werden, die er ganz am Schluss des Heiligen Jahres machte, als er sagte: »Gerechtigkeit und Barmherzigkeit sind bei Gott dieselbe Sache. Die Barmherzigkeit ist gerecht und die Gerechtigkeit ist barmherzig, und man kann das nicht trennen.«

Der Dialog von Walter Kasper und Mouhanad Khorchide über die Barmherzigkeit ist ein wichtiger Baustein für die Basis im Dialog von Christen und Muslimen. Eine wesentliche Voraussetzung für diesen Dialog, darüber waren sich beide Gesprächspartner einig, ist die Anerkennung der Religionsfreiheit.

Das hier vorgelegte Gespräch ermutigt zur Fortsetzung des christlich-islamischen Dialogs. Seit 2010 bieten die Zentren für islamische Theologie an einigen Universitäten in Deutschland hierzu gute Voraussetzungen ebenso wie die zahlreichen Fakultäten für evangelische und katholische Theologie sowie die Hochschule und die Zentren für jüdische Studien. Theologische Reflexion klärt und klärt auf. Damit kann sie einen Beitrag leisten, Religionen vor Verengungsgeschichten und politischer Vereinnahmung zu bewahren.

Die beiden genannten Bücher von Walter Kasper und Mouhanad Khorchide erschienen 2012: Walter Kardinal Kasper, Barmherzigkeit. Grundbegriff des Evangeliums – Schlüssel christlichen Lebens, Freiburg im Breisgau 52016 (2012); Mouhanad Khorchide, Islam ist Barmherzigkeit. Grundzüge einer modernen Religion, Freiburg im Breisgau 2012.

Die Zitate von Papst Franziskus sind aus dem Angelus vom 17. März 2013, dem Fernsehinterview bei TV2000 am 20. November 2016 und dem Apostolischen Schreiben Misericordia et Misera.

Gottes Erster Name

Vorwort

Jürgen Erbacher

»Barmherzigkeit im Christentum und im Islam« war der Titel eines Abendgesprächs in der Deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl. Auf Einladung der Botschafterin Annette Schavan diskutierten Kardinal Walter Kasper und Professor Mouhanad Khorchide über »Gottes Ersten Namen«: die Barmherzigkeit. Bis auf die erste Sure beginnen alle Suren des Korans mit der Eröffnung: »Im Namen Gottes, des Allbarmherzigen, des Allerbarmers«; sie gelten als die ersten beiden der 99 »schönen Namen Gottes«. In der Bibel bestimmt Gott selbst den biblischen Gottesnamen JHWH als »barmherzig und gnädig, langmütig, reich an Huld und Treue« (Exodus 34,6). Die Gesprächspartner haben sich in den vergangenen Jahren intensiv mit dem Thema Barmherzigkeit in ihrer Religion beschäftigt. Erstmals kamen die beiden an diesem Abend zu einem Gespräch zusammen.

Das Interesse war groß, der Saal in der Residenz der deutschen Botschafterin war bis auf den letzten Platz gefüllt. Angesichts der vielen Konflikte und Gewaltakte weltweit, bei denen immer wieder auch eine religiöse Komponente mitschwingt, wollten die Zuhörenden wissen, wie ein Dialog zwischen den beiden Religionen gelingen kann. Immerhin waren bei vielen Anwesenden, die zum großen Teil aus dem Umfeld der Römischen Kurie sowie dem beim Heiligen Stuhl akkreditierten Diplomatischen Korps kamen, die Spannungen nach der Regensburger Rede von Papst Benedikt XVI. noch stark präsent. Die Veranstaltung fand in zeitlicher Nähe zum zehnten Jahrestag jenes Vortrags statt, in dem Benedikt XVI. über das Verhältnis von Glaube und Vernunft sprach und mit einem islamkritischen ­Zitat des mittelalterlichen byzantinischen Kaisers Manuel II. Palaiologos (1350–1425) in der musli­mischen Welt für einen Sturm der Entrüstung sorgte. Schon im direkten Nachgang zu diesen Reaktionen entstanden verschiedene Dialoginitiativen christlicher und islamischer Theologen. Im Pontifikat von Papst Franziskus hat sich das Verhältnis weiter ­entspannt, bis hin zum denkwürdigen Treffen des katholischen Kirchenoberhaupts mit dem ­Groß-Scheich der Kairoer Al-Azhar-Universität, Ahmad Mohammad al-Tayyeb, im Mai 2016.

Die Al-Azhar-Universität ist ein maßgebliches Lehrinstitut des sunnitischen Islams, dem weltweit etwa 80 bis 90 Prozent der Muslime angehören. Der Scheich al-Azhar hatte bei seinem Aufenthalt in Deutschland im März 2016 das Zentrum für Islamische Theologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster besucht. Auch wenn bisweilen widersprüchliche Signale aus Kairo kommen, was die Bereitschaft zum Dialog und etwa die Akzeptanz der Religionsfreiheit betrifft, wollte al-Tayyeb die Einrichtung in Münster und die theologische Schule unterstützen, die dort unter maßgeblicher Leitung von Professor Mouhanad Khorchide seit 2011 aufgebaut und betrieben wird und die eben jenes Verständnis des Islams vertritt, das mit voller Überzeugung sagen kann: »Gott ist Barmherzigkeit«. Die Vorstellung provoziert, und zwar in eine doppelte Richtung: Zum einen ist dieses Gottesverständnis innerhalb des Islams umstritten. Zum anderen verbinden viele Nicht-Muslime mit dem Islam nicht »Barmherzigkeit«. Die öffentliche Wahrnehmung ist eine andere; auch wenn dabei außer Acht gelassen wird, dass das verbreitete Bild des Islams sehr stark durch dessen fundamentalistische Formen geprägt ist. ­Islam sei aber nicht mit Gewalt gleichzusetzen, betont Papst Franziskus beinahe gebetsmühlenartig. Und doch wird es immer wieder gemacht.