Seid fröhlich in der Hoffnung - Walter Kasper - E-Book

Seid fröhlich in der Hoffnung E-Book

Walter Kasper

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Beschreibung

Walter Kardinal Kasper gehört zu den einflussreichsten katholischen Theologen der Gegenwart. Seine Theologie der Barmherzigkeit bindet die theologische Wissenschaft zurück an das Evangelium Jesu und inspiriert nachhaltig den Pontifi kat von Papst Franziskus. George Augustin stellt den Theologen Walter Kapser in der ganzen Bandbreite seines Denkens vor. In ausgewählten Schlüsseltexten der letzten Jahre zeigt er den dogmatisch-theologischen Lehrer, den Ökumeniker, aber auch den spirituellen Denker. Eine ausführliche Lebensbeschreibung als Einstieg hilft, die nachfolgenden Texte in der Vita Kaspers zu verorten. Ein lesenswertes Buch zum Verständnis dieser großen Persönlichkeit und Anregung, sich mit seinen Schriften zu befassen.

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Walter Kardinal Kasper
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Der Lebensweg Walter Kaspers
1933–1957: Student, Seminarist und Priester
1958–1989: Priester und Professor
1989–1999: Bischof von Rottenburg-Stuttgart
1999–2010: Kurienkardinal
2010 – heute: Kardinal im »Unruhestand«
I. Die Botschaft von der Liebe Gottes
Gott für uns
Der dreieine Gott
Der Gott Jesu Christi, der Gott der Bibel
Gottes Offenbarung in Jesus Christus
Der Gott der Barmherzigkeit
II. Der Glaube an Jesus Christus
Ecce homo!
Die Person Jesu Christi
Das Werk Jesu Christi
Einzigartigkeit und Universalität Jesu Christi
Neue Zugänge der Christologie
Geschenk der göttlichen Liebe
Christus, das Ursakrament Gottes
Christus, das Licht der Völker
Die Reich-Gottes-Verkündigung Jesu
III. Der Heilige Geist, der uns lebendig macht
Gottes Geist mitten in der Welt
Gottes Geist in unserem Leben
Gottes Geist in der Kirche
Gottes Geist in Schöpfung und Geschichte
Gottes Geist und Eschatologie
Lebendige Kirche schließt auch den Konflikt ein
IV. Der Mensch vor Gott
Freiheit und Erlösung
Das Geheimnis des Menschen
Jenseits des Fortschrittglaubens
Neuzeitliche Krise als Chance
Agape im Herzen der Realität
Heilige Zeichen
V. Die Kirche als Ort der Gegenwart Gottes
Die Kirche als Sakrament
Die Kirche als Haus der Weisheit
Hoffnung auf ein neues Pfingsten
Die Kirche als Sakrament der Barmherzigkeit
Die Liturgie des himmlischen Jerusalem
Gemeinschaft der Heiligen
VI. Einheit der Gläubigen in Jesus Christus
Jesus Christus, Gottes endgültiges Wort
Ökumene und Spiritualität
Einheit in versöhnter Verschiedenheit
Mission und Ökumene
Zukunft der Ökumene
VII. Die Hoffnung, zu der wir berufen sind
Christlicher Humor
Das Böse und Eschatologie
Hoffnung in Jesus Christus
Sakramentale Zeichen
Quellenverzeichnis
Danksagung
Vorwort
Am 6. April 2017 feiert Kardinal Walter Kasper sein Diamantenes Priesterjubiläum. Als Festgabe haben wir zu diesem Anlass einige markante Gedanken zusammengestellt, um sein theologisches und spirituelles Denken einem breiten Publikum zugänglich zu machen.
Gott ist die alles bestimmende Wirklichkeit und die Mitte unseres Denkens und Tuns. Ihn als Ausgangspunkt und Ziel des menschlichen Lebens immer wieder zu thematisieren und auf erfrischende Weise neu zu bezeugen und zu verkünden ist die dringendste Aufgabe der Kirche in unserer Zeit, in der die Gottvergessenheit zu einer Alltagserfahrung geworden ist.
Nur von Gott her und auf Gott hin ist das Menschsein zu verstehen. In der Kraft Gottes kann der Mensch sein Leben beglückend und gelingend gestalten.
Der christliche Glaube verkündet Gott als unendliche Liebe und Barmherzigkeit. Diese Liebe ist in einzigartiger Weise ein für alle Mal in Jesus Christus leibhaftig erschienen. Jesus Christus als wahren Gott und wahren Menschen zu bekennen und in seine Nachfolge einzutreten ist die Berufung und Sendung der Christen. Es ist der bleibende Auftrag der Kirche, Erlösung und Heil in Jesus Christus universal zu verkünden. Kirche ist das berufene Zeichen und Werkzeug für die Weiterführung der Sendung Jesu Christi in unserer Welt.
Der Lebensweg Walter Kaspers
Am Dienstag, den 12. März 2013 zog Kardinal Walter Kasper gemeinsam mit 114 anderen wahlberechtigten Kardinälen in das Vatikanische Gästehaus Santa Marta ein, um am Konklave teilzunehmen, das nach dem unerwarteten Amtsverzicht von Papst Benedikt XVI. einen Nachfolger im Petrusdienst wählen sollte. Der Kardinal trug einige Exemplare des BuchesMisericordia,der spanischen Übersetzung seines WerkesBarmherzigkeit,mitsich, die er kurz zuvorvom Verlagerhalten hatte. Gegenüber dem ihm zugewiesenen Zimmer war der Erzbischof von Buenos Aires, Kardinal Jorge Mario Bergoglio, einquartiert. Kardinal Kasper kannte ihn von Besuchen in Buenos Aires. Als er ihn vor seiner Zimmertür stehen sah, überreichte er ihm spontan eines der Exemplare. Am 13. März wurde Kardinal Bergoglio zum Papst gewählt und nahm den Namen Franziskus an.
Die Zeit des Konklaves war sehr kurz. Kardinal Kasper wusste nicht, ob Kardinal Bergoglio auch nur einen Blick inMisericordiawerfen konnte. Am 17. März sah er das erste Angelus-Gebet des neuen Papstes im Fernsehen. Der Papst pries in seiner Ansprache das Buch über die Barmherzigkeit und seinen Verfasser: Kardinal Kasper sei »ein hervorragender Theologe, ein tüchtiger Theologe«, das Buch über die Barmherzigkeit »habe ihm sehr gut getan«.
Drei Tage zuvor hatte sich Kardinal Kasper in einem Interview mit derSchwäbischen Zeitung ebenfalls sehr lobend über Papst Franziskus geäußert: »Kardinal Bergoglio war von Anfang an mein Kandidat; vom Beginn des Konklaves an habe ich für ihn gestimmt. Er steht für einen neuen Aufbruch in der Kirche, für eine demütige und brüderliche Kirche, die für die Menschen da ist, eine Kirche, die zu ihrer Quelle, dem Evangelium, zurückkehrt.«
Kardinal Kasper, der am 5. März 2013 80 Jahre alt geworden ist und am 6. April 2017 sein 60. Priesterjubiläum feiert, nahm an, dass er nach der Papstwahl seinen Ruhestand verbringen und vielleicht noch einige Artikel oder Bücher schreiben und Vorträge halten könnte. Bald jedoch stellte er fest, dass Papst Franziskus mit seinen Überraschungen noch nicht am Ende war. Ende 2013 bat der Papst Kardinal Kasper um ein Referat zum Thema Ehe und Familie beim Konsistorium der Kardinäle am 20. Februar 2014. Das Referat wurde später unter dem TitelDas Evangelium von der Familie veröffentlicht und hat eine rege Diskussion ausgelöst. Der Papst lud Kardinal Kasper ein, an den Bischofssynoden zur Frage von Ehe und Familie im Oktober 2014 und im Oktober 2015 teilzunehmen.
Im Jahr 2008 veröffentlichte Walter Kasper aus Anlass seines 75. Geburtstages einen autobiographischen Interviewband mit Daniel Deckers unter dem TitelWo das Herz des Glaubens schlägt. In dem Band führt er aus, dass sich dieser Buchtitel auf den lebendigen Glauben vieler Menschen bezieht, denen er als Bischof von Rottenburg-Stuttgart, bei seinen Reisen zu den jungen Kirchen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas sowie im Dienst der Ökumene auch außerhalb der katholischen Kirche begegnet ist. Bei diesen Begegnungen wurde er angerührt vom »Herz des Glaubens«, das bei so vielen Menschen schlägt.
»Ich durfte ein wenig teilhaben an den Freuden und Leiden der Kirche in der Welt. Ein wenig durften unsere Diözese und die Kirche in Deutschland da und dort helfen, Hoffnung und Licht in die Welt zu bringen. Ich bin dankbar, erfahren zu haben, wo und wie das Herz des Glaubens schlägt.« Auch in seinem bereits nach seiner Emeritierung geschrieben WerkKatholische Kirche. Wesen, Wirklichkeit Sendung (2011) hat Kardinal Kasper nochmals ausführlich über den inneren Zusammenhang seines Lebens mit seinem theologischen Werk Rechenschaft gegeben.
1933–1957: Student, Seminarist und Priester
Walter Kasper wurde am 5. März 1933 in Heidenheim an der Brenz geboren, auf der schwäbischen Ostalb, nicht weit von Stuttgart entfernt. Am selben Tag fand die letzte demokratische Wahl der Weimarer Republik statt. Die Nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) wurde die stärkste Partei im Berliner Reichstag und Adolf Hitler kam somit an die Macht, worüber Kaspers Eltern Franz Josef (geb. 1901) und Theresia (geb. 1902) sehr besorgt waren. In den folgenden Jahren folgten auf den Sohn noch zwei weitere Kinder, die Schwestern Hildegard (geb. 1935) und Ingeborg (geb. 1938).
Die Kinderjahre in Burgberg, einem Dorf bei Heidenheim, waren glücklich. Weil der Vater als Lehrer zugleich den Kirchenchor zu leiten und die Orgel zu spielen hatte, gehört zu den frühesten Kindheitserinnerungen von Walter Kasper, wie er während des Gottesdienstes neben seinem Vater auf dem Orgelbock sitzt. 1938 wurde der Vater versetzt und die Familie zog nach Wäschenbeuren bei Stuttgart, am Fuß des Hohenstaufen, dem Ursprungsort des gleichnamigen mittelalterlichen Kaisergeschlechts. Das hat die Phantasie des Jungen mächtig angeregt. Noch mehr aber zog ihn der nahe gelegene Marienwallfahrtsort auf dem Hohen Rechberg an, auf den er dann später als Bischof und Kardinal oft und gern zurückkehrte.
Eine Hitlerjungen-Uniform anzuziehen hatte ihm seine Mutter untersagt und sich damit, was nicht einfach und damals sogar gefährlich war, auch durchgesetzt. An einem damals sehr einfachen Radio, einem »Volksempfänger« verfolgte er die Nachrichten. »Ich habe Hitlers Stimme noch heute im Ohr – eine schrecklich hasserfüllte Stimme.« Die Fronten waren dem Jungen völlig klar. »Du bist katholisch, du bist gegen Hitler.«
Der Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 brachte für die Familie eine einschneidende Veränderung. Der Vater wurde zur Wehrmacht (Flugabwehr) eingezogen. In den folgenden sechs Jahren konnte er seine Familie nur bei gelegentlichen kurzen Urlaubsbesuchen sehen. Im Frühjahr 1945 geriet er in Kriegsgefangenschaft, aus der er Ende Dezember entlassen wurde. Großteils auf Kohlenzügen gelangte er von Hamburg durch das zerbombte Deutschland nach Wäschenbeuren. Dort hatte die Familie die Zerstörung ihres Dorfes beim Einmarsch der Alliierten glücklicherweise heil überlebt.
Bald zog die Familie in die Heimat des Vaters, in die nahe der Alpen und des Bodensees gelegene alte Reichsstadt Wangen im Allgäu. Das Bergwandern ist Walter Kasper seither ans Herz gewachsen. Unter großen Opfern haben die Eltern 1950 in Wangen ein eigenes Haus gebaut, in dem heute noch der Schwager Roman lebt, während die Schwester Ingeborg 2016 verstarb. Das Haus wurde über die Jahre so ausgebaut, dass es auch für Walter und Hildegard im Urlaub Wohnmöglichkeit bietet und die Familie immer wieder zusammenführt.
Nach dem Ende der Nazi-Herrschaft und des Krieges litt die Familie wie viele Deutsche an Lebensmittelknappheit. Man musste zu bekannten Bauern »hamstern« gehen, und Walter Kasper hat als Schüler in den Sommerferien auch bei verwandten Bauern in der Landwirtschaft mitgeholfen. Er hat diese harten Zeiten nie vergessen.
Heimat bot damals das Leben in der Familie und in der Kirche. Sie waren der Lebensraum und die Stützen in den ersten Lebensjahren Walter Kaspers. »Die Grundkenntnisse über den Glauben und die christlichen Grundgebete lernten wir ganz selbstverständlich zu Hause. Es gehörte einfach dazu, morgens und abends gemeinsam zu beten, am Sonntag, auch an vielen Werktagen, zur Kirche zu gehen; am Sonntagnachmittag gehörte auch die Andacht in der Kirche dazu. Das geschah ohne Murren, es war einfach schön so.«
»Dass die Familie die Keimzelle der Gesellschaft ist, ist für mich nicht nur eine abstrakte Behauptung. 1945 war die Familie die einzige Institution, die hielt und an die man sich halten konnte. Es waren vor allem die Frauen, welche während und unmittelbar nach dem Krieg das Leben aufrechterhielten, während die Männer im Krieg oder in Kriegsgefangenschaft waren.«
Das kirchliche Leben bewegte sich ganz in dem vor dem Konzil üblichen traditionellen Stil, den Walter Kasper in keiner Weise als belastend oder einengend empfand. Ganz im Gegenteil, er fühlte sich im kirchlichen Leben und im Kirchenjahr zu Hause. Er erinnert sich noch heute gerne nicht nur an das Gebet in der Familie und die lateinischen Gottesdienste, denen er schon bald mit dem »Schott«, der deutsche Übersetzung des Messbuchs, den er zur ersten Kommunion geschenkt bekam, folgen konnte, sondern ebenso an die Prozessionen und Wallfahrten:
»Besonders schön war’s im Winter. Abends wurden in der Familie die vertrauten Advents- und Weihnachtslieder gesungen, später, als wir älter waren, mit Violin- und Klavierbegleitung. … Maiandachten waren etwas ganz Wichtiges und vor allem Schönes, zu dem man gerne hingegangen ist. Ebenso die Rorate-Messen mit Kerzenlicht in der Adventszeit. Über die allsonntägliche Andacht nachmittags um zwei Uhr brauchte man gar nicht erst zu diskutieren. Immer wieder Wallfahrten auf den Hohen Rechberg und einige Mal auch zu dem Marienwallfahrtsort Schönenberg bei Ellwangen und an das Grab des leider noch immer nicht selig gesprochenen, aber vom Volk längst als Seliger verehrten guten Pater Philipp Jeningen, eines heiligmäßigen Volksmissionars aus dem 17. Jahrhundert, dem viele Gebetserhörungen zugeschrieben werden.«
Schon früh wurde sich Kasper seiner Berufung zum Priestertum bewusst. Er schreibt: »Ich kann mich nicht an ein bestimmtes Ereignis erinnern, an dem sich dieser Gedanke erstmals meldete; er wurde mir auch nicht durch andere, etwa die Eltern, nahegelegt oder gar aufgedrängt. Er kam aus mir selbst in einem Alter, wo man in kindlicher Phantasie so manches werden möchte. Er war mir sozusagen in die Seele gelegt.«
Er trat 1948 in das Knabenseminar in Ehingen an der Donau ein, wo er 1952 das Abitur ablegte. Neben Religion waren Latein und deutsche Literatur seine Lieblingsfächer, dazu kamen Griechisch und Französisch. In der Freizeit verschlang er die damals verbreitete katholische Dichtung: Reinhold Schneider, Werner Bergengrün, Gertrud von Le Fort. In Ehingen trat er der katholischen JugendbewegungBund Neudeutschlandbei, deren Motto die »neue Lebensgestaltung in Christus« war. Romano GuardinisDer Herr wurde ihm zu einer wegweisenden Lektüre. ImBund Neudeutschland konnte er erste Führungsaufgaben wahrnehmen; er nahm teil an Zeltlagern, Fahrten und Tagungen, die ihn über die engere Heimat hinausführten.
Bei einem Bischofsbesuch in seiner Heimatgemeinde begegnete er dem Bischof von Rottenburg, Johannes Baptista Sproll, der die Nazis in den 1920er- und 1930er-Jahren auf der Kanzel und bei großen Glaubenskundgebungen öffentlich scharf kritisiert hatte und deshalb 1938 aus seiner Diözese ausgewiesen wurde. Er steht in dieser bis heute als »Bekennerbischof« in hohem Ansehen. Bischof Sprolls Nachfolger, Bischof Carl Joseph Leiprecht, der nach dem Krieg über 200 neue Kirchen einweihte, begegnete Walter Kasper innerhalb desBund Neudeutschland. Er hat Kaspers weiteren Weg sehr gefördert. Nach seinem Abitur konnte er im Frühjahr 1952 mit einer Gruppe Gleichaltriger desBund NeudeutschlanderstmalsRom besuchen, wo der Gruppe als Höhepunkt eine Privataudienz bei Papst Pius XII. ermöglicht wurde. Dieser stand damals in Deutschland in höchstem Ansehen.
Nach dem Abitur begann Kasper 1952 mit dem Studium der Philosophie und der Theologie an der Universität Tübingen und lebte, mit Ausnahme eines Freisemesters 1954 in München, im Tübinger Wilhelmsstift, dem Diözesan-Konvikt für Priesteramtskandidaten. Nach einer Preisarbeit über Thomas von Aquin tauchte er in die Theologie der Katholischen Tübinger Schule des 19. Jahrhunderts ein. Besonders sein Lehrer Josef Rupert Geiselmann sowie Heinrich Fries und der Pastoraltheologe Franz X. Arnold führten ihn ein in das Werk des bedeutendsten Tübinger Theologen, Johann Adam Möhler (1796–1838). Seine Schriften wirkten im 19. Jahrhundert bis nach Frankreich, Rom, England (John Henry Newman) und auch nach Russland (Vladimir Soloviev). Möhler gilt darum als einer der Wegbereiter der katholischen Erneuerung im 20. Jahrhundert.
Die Tübinger Schule ist geprägt durch drei Kennzeichen: Kirchlichkeit, Wissenschaftlichkeit und praxisorientierte Offenheit für die Fragen der Zeit. Dazu kam von Anfang an die ökumenische Ausrichtung. Dieser Geist prägt das theologische Denken von Walter Kasper bis heute. In Tübingen und München erhielt er zudem eine erste Einführung in das Denken von John Henry Newman, eines weiteren Wegbereiters des Zweiten Vatikanischen Konzils. Von den theologischen Lehrern hörte er auch von der erneuerten französischen Theologie: Henri de Lubac, Yves Congar, Jean Daniélou sowie die »Mission de France«, die pastoral vieles vorausnahm, was nachher durch das Konzil aufgegriffen und weitergeführt wurde. Die Ferienlektüre von Josef Andreas JungmannsMissarum Solemnia(1948) öffnete dem jungen Studenten den Blick für die Geschichte wie für die liturgische Erneuerung. Zwar dachte damals noch niemand an ein Konzil, doch innerlich war Walter Kasper aufgrund seiner theologischen Ausbildung auf die konziliare Erneuerung vorbereitet.
Das gemeinsame Leben im Wilhelmsstift galt der Einführung und Einübung in das geistliche Leben: »Jeden Morgen gemeinsames kirchliches Morgengebet, Betrachtung und Feier der Messe, abends Komplet, an Sonn- und Feiertagen feierliches Choralamt in der Johanneskirche und gegen Abend Vesper. Der Rektor und der Spiritual hielten regelmäßig geistliche Vorträge, dazu kamen regelmäßige Einkehrtage und jährliche Exerzitien, von denen mir besonders die von Karl Rahner gehaltenen in Erinnerung geblieben sind.«
Auf das Theologiestudium folgte 1956/57 ein Jahr pastoraler und vertiefter spiritueller Ausbildung im Priesterseminar in Rottenburg am Neckar. Die Tatsache, dass sich das Priesterseminar in einem ehemaligen Karmeliterkloster befindet, nahm Walter Kasper zum Anlass, sich intensiver mit den Schriften des Johannes vom Kreuz und der Therese von Lisieux zu befassen. Teresa von Avila wuchs ihm erst etwas später ans Herz.
Am 6. April 1957 wurde der Alumnus Walter Kasper durch Bischof Leiprecht im Dom zu Rottenburg zum Priester geweiht. Sein Weihekurs zählte nicht weniger als vierzig Neupriester, eine Zahl, die man sich heute kaum mehr vorstellen kann. Es war eine andere Zeit, die Zeit eines nach der Nazizeit und dem Krieg neu erwachten lebendigen und selbstbewussten Katholizismus. Über den Tag seiner Priesterweihe schreibt Kasper: »Es war für mich, meine Eltern und Geschwister ein überglücklicher Tag. Nicht nur hatte sich ein früher Wunsch erfüllt; die Priesterweihe ist Geschenk und Auftrag. Ich hatte sie unter ein Motto aus dem Zweiten Korintherbrief gestellt: ›Wir sind nicht Herren eures Glaubens, sondern Diener eurer Freude.‹«
Nach der Priesterweihe schickte der Bischof den Neupriester als Vikar in die Gemeinde Herz-Jesu in Stuttgart. Dort war er unter Anleitung seines Pfarrers, der damals unter Vikaren gefürchtet war, bei dem man aber auch viel lernen konnte, neben den Gottesdiensten, den Predigten und dem damals sehr häufigen Beichthören mit Religionsunterricht, Jugendarbeit, Krankenseelsorge und Hausbesuchen bei Neuzugezogenen betraut. Das »Pastoral-Noviziat« dauerte freilich nur ein Jahr. Bereits 1958 rief der Bischof den jungen Vikar ins Wilhelmsstift und an die Universität Tübingen zurück.
1958–1989: Priester und Professor
Der soziale und kirchliche Kontext, in dem Walter Kasper zwischen 1957 und 1989 lebte, war eine Zeit tiefer Umbrüche. In den frühen 1950er-Jahren erholte sich Westdeutschland von den Schäden des »Dritten Reiches« und des Zweiten Weltkrieges; es war eine Zeit des äußeren und inneren Wiederaufbaus, des demokratischen Aufbaus und der Eingliederung Westdeutschlands in Europa und in die westliche Welt. Das war für Walter Kasper »Politischer Unterricht und Sozialkunde life«. Er begeisterte sich für die Idee der europäischen Integration. Auf der anderen Seite war es die Zeit des Kalten Kriegs und der Teilung Deutschlands, vor allem nach dem Bau der Berliner Mauer (1961) und dann der gewaltsamen Niederschlagung des Prager Frühlings (1968).
Das kirchliche Leben erlebte nach dem Ende der Nazizeit eine erfreuliche Nachblüte. Die Kirchen waren voll. Die zwischen den beiden Weltkriegen entstandene, durch das dritte Reich unterbrochene kirchliche Jugendbewegung sowie die liturgische, biblische und pastorale Erneuerungsbewegung konnten sich nun frei entfalten. Von diesem Geist des Aufbruchs waren Kaspers Jahre als Gymnasiast und Student geprägt und sie prägen ihn bis heute.
Doch schon während der Stuttgarter Vikarszeit zeigten sich in den Gemeinden Ermüdungserscheinungen und erste Krisenzeichen. Die Jugendarbeit lief nicht mehr so, wie er es selbst erlebt hatte. Im Zeichen eines zunehmenden Wohlstands und der Modernisierung des Lebens entwickelten sich mehr säkulare Lebensformen und Kritik an kirchlichen Positionen. Was später in der nachkonziliaren Krise und dann im Umbruch der 68er-Jahre offenkundig wurde, wurde nicht erst, wie manche meinen, durch das Konzil hervorgerufen, sondern reichte in die vorkonziliare Zeit der späteren 50er- und beginnenden 60er-Jahre zurück.
Die Krise wurde zunächst überdeckt durch den heute jungen Menschen kaum mehr nachvollziehbaren kirchlichen Aufbruch und die Begeisterung durch die Ankündigung der Einberufung eines ökumenischen Konzils durch den neuen Papst Johannes XXIII. Walter Kasper erinnert sich noch lebhaft an den Abend des 25. Januar 1959, an dem er zusammen mit Kollegen in den Abendnachrichten am Radio – Fernsehen gab es damals noch nicht – von der unerwarteten Ankündigung eines ökumenischen Konzils durch den Papst hörte.
Wir alle waren wie elektrisiert. Die letzten Jahre des Pontifikats von Papst Pius XII. waren von einer gewissen Erstarrung geprägt. Urplötzlich brachen nun die angestauten, bisher nur in kleinen Zirkeln diskutierten Fragen und Hoffnungen auf. Es war fast wie ein Dammbruch. Zweifellos war manche Erwartung allzu euphorisch. Es gab auch schon bald zurückhaltende und kritische Stimmen. Was man aus Rom über die Vorbereitung des Konzils hörte, war bedrückend. Umso mehr wirkte die Rede von Papst Johannes XXIII. zur Eröffnung des Konzils am 11. Oktober 1962Gaudet Mater Ecclesia befreiend.
Hans Küng kam 1960 als junger Professor zunächst für Fundamentaltheologie und ab 1963 für Dogmatik und Ökumenische Theologie nach Tübingen. Seine Reformideen und seine ökumenischen Ideen faszinierten viele. Kaspers Lehrer Geiselmann äußerte sich privat schon bald kritisch. Persönlich hat Walter Kasper vieles von Hans Küng gelernt, wenngleich er, vielleicht aufgrund eines angeborenen schwäbischen Realismus, manches auch zurückhaltend und kritisch sah. Aber es war allgemein die Zeit des Aufbruchs in eine neue Zeit und noch nicht die Zeit der späteren Auseinandersetzungen.
»Das Konzil war für mich einerseits die Erfüllung vieler Wünsche, die längst in mir waren. Später haben die Konzilsdokumente meinem ganzen weiteren Werdegang als Theologe die Richtung vorgegeben. Ich war jedoch während des Konzils nur einmal in Rom und wurde vom Sekretär von Bischof Leiprecht, dem späteren Generalvikar Eberhard Mühlbacher, der in der Aula als Platzanweiser tätig war, in die Konzilsaula hineingeschleust. So konnte ich wenigstens einmal einen Vormittag lang auch physisch in das große Geschehen hineinschnuppern.«
»Es (das Konzil) warf die Tradition nicht über Bord, stellte sie aber in ein neues Licht und eröffnete so neue Perspektiven, deren Potentialitäten wir noch längst nicht voll ausgeschöpft haben. In diesem Sinn ist das Konzil Grundlage und Anfang einer neuen Epoche der Kirchengeschichte und die Magna Charta des Wegs der Kirche im neuen Jahrhundert.«
In der Vorbereitungs- und während der Konzilszeit widmete sich Walter Kasper dem Studium an der Universität Tübingen. Noch unter Anleitung seines Lehrers in Dogmatik, Josef Rupert Geiselmann, durch den er einen geschichtlichen Zugang zur Lehre der Kirche kennen lernte, schrieb er seine Dissertation über das Traditionsverständnis der Römischen Schule des 19. Jahrhunderts, die von der Tübinger Schule, besonders von Johann Adam Möhler, beeinflusst war. Die Nachforschungen zu diesem Thema führten ihn zweimal zu kurzen Studienaufenthalten nach Rom. Die Arbeit wurde 1962 unter dem TitelDie Lehre von der Tradition in der Römischen Schuleveröffentlicht. Sie begründete Walter Kaspers Theologie der Verwurzelung im lebendigen Strom der Überlieferung und zugleich im offenen Strom der Zeit.
Nach der Dissertation trat Walter Kasper beim Nachfolger seines Lehrers Geiselmann, bei Professor Leo Scheffczyk, der 2001 gleichzeitig mit Kasper zum Kardinal erhoben wurde, und bei Professor Hans Küng eine Assistentenstelle an der Katholisch-theologischen Fakultät in Tübingen an. Unmittelbar begann er mit den Arbeiten an seiner Habilitation. Nach einem Gespräch mit Yves Congar, dessen ekklesiologischen Arbeiten für die theologische Vorbereitung des Zweiten Vatikanischen Konzils wie für Kasper wesentlich wurden, ließ er das ursprünglich geplante Thema fallen und entschied sich, die moderne Philosophie eingehender zu studieren und die Habilitationsschrift über die Spätphilosophie Schellings zu verfassen. Sie wurde 1965 unter dem TitelDas Absolute in der Geschichteveröffentlicht.
Unmittelbar nach Abschluss der Habilitation übernahm Kasper im Herbst 1964, mit nur 31 Jahren damals als jüngster ordentlicher Professor in Deutschland, den Lehrstuhl für Dogmatik an der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Münster. Er war dort Nachfolger des zum Bischof von Mainz berufenen und späteren Kardinals Hermann Volk, dem er bis zu dessen Tod persönlich verbunden blieb. In Münster konnte er in der Fakultät mit Theologen wie Joseph Ratzinger und Johannes Baptist Metz und, nach dem Weggang von Joseph Ratzinger nach Tübingen, mit Karl Rahner und dessen damaligen Assistenten Karl Lehmann, später Bischof und Kardinal in Mainz, zusammenarbeiten.
Die Zeit in Münster war für den jungen Professor eine prägende, schöne und glückliche Zeit des nachkonziliaren Aufbruchs. Die vorwärtsdrängenden Münsteraner Priester schlossen sich zumFreckenhorster Kreis zusammen; zu ihm gehörte auch Franz Kamphaus, später Bischof in Limburg. Der damalige Bischof von Münster und spätere Erzbischof und Kardinal in Köln, Josef Höffner, lud Kaper ein, mit ihm in der großen und weiträumigen Diözese Vorträge bei Versammlungen der Priester zu halten.
In die Aufbruchszeit in Münster fiel der Umbruch von 1968 mit Studentendemonstrationen und Unruhen an der Universität. Die bisherige Aufbruchsstimmung schlug um und nahm eine andere, mehr ideologisch-politische Richtung an. An die Stelle der mehr konservativen Nachkriegsjahre traten kritisch-emanzipatorische Bewegungen. Das Klima an der Universität wurde härter, die kirchlichen Auseinandersetzungen um den nachkonziliaren Kurs der Kirche und der Theologie schärfer. Unter diesen Umständen war das Amt des Dekans der Fakultät 1969–1970 für den jungen Professor Kasper eine nicht geringe Herausforderung, die Standfestigkeit wie Leitungs- und Verhandlungsgeschick erforderte. Beide Erfahrungen sollten ihm später von großem Nutzen sein.
Nachdem Kasper einen Ruf an die Universität Freiburg im Breisgau abgelehnt hatte, konnte er sich 1970 einem Ruf an seine Heimatuniversität Tübingen als Nachfolger von Joseph Ratzinger, der inzwischen nach Regensburg weitergezogen war, nicht entziehen. Dort hatte er von 1970 bis 1989 die Professur für Dogmatik inne. In Tübingen war er naturgemäß schnell zu Hause. Zurück in seiner Heimatdiözese war der Kontakt zu seiner Familie, seinen Eltern und Schwestern in Wangen im Allgäu vor allem während der Ferien einfacher und intensiver. Zusammen mit seiner Schwester Hildegard, Professorin an der Pädagogischen Hochschule im nahe gelegenen Reutlingen, konnte er ein eigenes Haus auf dem Tübinger Österberg mit herrlichem Ausblick auf das Neckartal und die Schwäbische Alb bauen.
Kasper legte als Professor großen Wert auf regelmäßige Gottesdienste und Predigten in Tübinger Gemeinden und in den Universitätskliniken sowie auf Kontakte mit den Mitbrüdern im Diözesanklerus. Viel bedeutete ihm die Mitgliedschaft in der PriestergemeinschaftJesus Caritas im Geist des Charles de Foucauld (von Papst Benedikt XVI. 2005 selig gesprochen). Ein unvergessliches Erlebnis waren die privaten Exerzitien auf den Spuren von Charles de Foucauld auf dem Plateau des Assekrem im Ahaggar-Gebirge im Süden von Algerien. Ohne dass er es ahnen konnte, wurden in ihm dadurch Ideen und Einstellungen wach, die viel später durch Papst Franziskus programmatisch wurden: Der Weg der Kirche an die Peripherien und neue Formen der Mission durch Präsenz mitten im Leben unter den Armen und Ärmsten.