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Der Verlag Herder veröffentlicht Walter Kardinal Kaspers Vortrag vor dem Konsistorium der Kardinäle über die heiklen Familienfragen. Am 20./21. Februar hielt Kardinal Kasper auf Einladung von Papst Franziskus vor den Kardinälen der römischen Kirche einen bedeutenden und in der Folge viel diskutierten Vortrag zu aktuellen Fragen von Ehe und Familie. Vor dem Hintergrund ihrer besonderen Bedeutung für Kirche und Gesellschaft und ihrer zentralen Rolle für das Leben und die Weitergabe des Glaubens setzt sich Kasper für eine stärkere Wertschätzung der Familie ein. Im Blick auf das drängende Problem der wiederverheirateten Geschiedenen fordert Kasper dazu auf, einen Weg jenseits von Rigorismus und Laxismus zu finden, der den Menschen in ihren individuellen Situationen gerecht wird. Das Buch dokumentiert die Rede Kaspers und seine abschließende Stellungnahme zur Diskussion über die Rede. Kasper hat diesen Texten zudem ein eigenes Vor- und Nachwort beigefügt. "Wir müssen … positiv ansetzen und das Evangelium von der Familie in seiner ganzen Schönheit wieder entdecken und verkünden. Wir müssen durch Wort und Tat dazu beitragen, dass Menschen in der Familie das Glück ihres Lebens finden und damit anderen Familien Zeugnis von diesem ihrem Glück geben können .… In den Familien trifft die Kirche auf die Wirklichkeit des Lebens. Darum sind diese Testfall der Pastoral und Ernstfall der neuen Evangelisierung. Familie ist Zukunft. Auch für die Kirche ist sie der Weg in die Zukunft." Walter Kardinal Kasper
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Seitenzahl: 66
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Walter Kardinal Kasper
Das Evangeliumvon der Familie
Die Rede vor dem Konsistorium
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2014
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Umschlaggestaltung: Verlag Herder
Umschlagmotiv: Marco Longari/AFP/Getty Images
E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
ISBN (E-Book) 978-3-451-80195-2
ISBN (Buch) 978-3-451-31245-8
Inhalt
Vorwort
Einleitung: Das Evangelium von der Familie neu entdecken
1. Die Familie in der Schöpfungsordnung
2. Strukturen der Sünde im Leben der Familie
3. Die Familie in der christlichen Erlösungsordnung
4. Die Familie als Hauskirche
5. Zum Problem der wiederverheiratet Geschiedenen
Schluss
Exkurs I: Einschlussweiser Glaube
Exkurs II: Frühkirchliche Praxis
Abschließende Stellungnahme zur Diskussion
Nachwort: Was können wir tun?
Abkürzungen
Das vorliegende Bändchen »Das Evangelium von der Familie« enthält den Vortrag, den ich unter diesem Titel auf Einladung von Papst Franziskus vor dem außerordentlichen Konsistorium der Kardinäle am 20. und 21. Februar 2014 in Rom gehalten habe. Er sollte eine theologische Grundlage geben für die anschließende Diskussion unter den Kardinälen und damit eine theologisch begründete pastorale Diskussion beim bevorstehenden synodalen Prozess auf der außerordentlichen Bischofssynode im Herbst 2014 und auf der ordentlichen Bischofssynode im Jahr 2015 einleiten. Mit Einverständnis des Papstes sollten in diesem Vortrag auch in der Kirche teilweise kontrovers diskutierte Fragen als solche gestellt werden.
Das Thema des synodalen Prozesses Pastorale Herausforderungen der Familie im Kontext der Evangelisierung macht deutlich, dass die drängenden pastoralen Fragen nicht isoliert, sondern nur auf der Grundlage und im Gesamtzusammenhang des Evangeliums und des allen Getauften gemeinsamen Auftrags zur Evangelisierung behandelt werden können. Deshalb sollten an der Diskussion nicht zuletzt Christen, welche in familiären Situationen, teilweise auch in schwierigen, leben, zu Wort kommen.
Die Veröffentlichung beabsichtigt nicht, die Antwort der Synode vorwegzunehmen, sie will vielmehr die Fragen anstoßen und Grundlagen dafür bereitstellen. Zu einer hoffentlich einmütigen Antwort können wir nur auf dem Weg einer gemeinsamen Besinnung auf die Botschaft Jesu, eines hörbereiten Austauschs von Erfahrungen und Argumenten und vor allem des gemeinsamen Gebets um Gottes Heiligen Geist finden. Das vorliegende Bändchen möchte dazu einen bescheidenen Beitrag leisten.
Rom am Fest des Apostels Matthias,
dem 24. Februar 2014
Walter Kardinal Kasper
Papst Franziskus hat die Kirche in diesem internationalen Jahr der Familie zu einem synodalen Prozess zu den Pastoralen Herausforderungen der Familie im Kontext der Evangelisierung eingeladen. Im Apostolischen Schreiben Evangelii Gaudium schreibt er: »Die Familie macht eine tiefe kulturelle Krise durch wie alle Gemeinschaften und sozialen Bindungen. Im Fall der Familie wird die Brüchigkeit der Bindungen besonders ernst, denn es handelt sich um die grundlegende Zelle der Gesellschaft« (EG 66).
Viele Familien sehen sich heute mit großen Schwierigkeiten konfrontiert. Viele Millionen Menschen befinden sich in Situationen von Migration, Flucht und Vertreibung oder in menschenunwürdigen Elendssituationen, in denen ein geordnetes Familienleben kaum möglich ist. Die gegenwärtige Welt befindet sich in einer anthropologischen Krise. Individualismus und Konsumismus stellen die traditionelle Familienkultur in Frage. Die ökonomischen Bedingungen erschweren oft das Zusammenleben und den Zusammenhalt in der Familie. So ist die Zahl derer dramatisch gestiegen, die vor der Gründung einer Familie zurückschrecken oder bei der Realisierung ihres Lebensprojekts scheitern, ebenso die Zahl der Kinder, die nicht das Glück haben, in einer geordneten Familie aufzuwachsen.
Die Kirche, welche Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen, insbesondere der Armen, teilt (GS 1), ist durch diese Situation herausgefordert. Anlässlich des letzten Jahres der Familie hat Papst Johannes Paul II. das Wort der Enzyklika Redemptor hominis (1979) »Der Mensch ist der Weg der Kirche« abgewandelt und gesagt: »Die Familie ist der Weg der Kirche« (2. Februar 1994). Denn normalerweise kommt der Mensch in einer Familie zur Welt, und normalerweise wächst er im Schoß einer Familie auf. In allen Kulturen der Menschheitsgeschichte ist die Familie der normale Weg des Menschen. Auch heute sucht eine große Zahl junger Menschen ihr Lebensglück in einer stabilen Familie.
Doch zwischen der Lehre der Kirche über Ehe und Familie und den gelebten Überzeugungen vieler Christen ist eine Kluft entstanden. Die Lehre der Kirche erscheint heutzutage auch vielen Christen als welt- und lebensfremd. Doch wir müssen auch sagen – und sagen es mit Freude: Es gibt auch sehr gute Familien, die ihr Bestes tun, um den Glauben der Kirche zu leben, und die Zeugnis geben von der Schönheit und der Freude des gelebten Glaubens im Schoß der Familie. Oft stellen sie eine Minderheit dar, aber sie bilden eine bezeichnende Minderheit. Die heutige Situation der Kirche ist nicht ungewöhnlich. Auch die Kirche der ersten Jahrhunderte war konfrontiert mit Begriffen und Modellen von Ehe und Familie, die sich unterschieden von dem, was Jesus gepredigt hatte, und die sehr neu waren sowohl für die Juden als auch für die Griechen und die Römer. Deshalb kann unsere Position nicht die einer liberalen Anpassung an den Status quo sein, sondern nur eine radikale, die zurückgeht zu den Wurzeln (radices), d. h. zum Evangelium, und die von dort aus nach vorne schaut. In unserer Situation wird es daher Aufgabe des synodalen Prozesses sein, das Evangelium von der Familie, das immer dasselbe und das doch immer neu ist (EG 1), neu zur Sprache zu bringen.
Dieser Vortrag kann weder die aktuellen Fragen behandeln noch das Ergebnis des Synodos, d. h. des gemeinsamen (syn) Weges (odos) der ganzen Kirche, des Weges des aufmerksamen Aufeinander-Hörens, des Austauschs und des Gebets, vorwegnehmen. Dieser Vortrag will vielmehr eine Art Ouvertüre sein, welche zum Thema hinführt, in der Hoffnung, dass uns am Ende eine Sym-pho-nie, ein Zusammenklang aller, auch der gegenwärtig teilweise dissonanten Stimmen, in der Kirche geschenkt werden wird.
Das Thema lautet nicht: »Die Lehre der Kirche von der Familie«.1 Sondern das Thema lautet: »Das Evangelium von der Familie«. Damit gehen wir zurück zur Quelle, aus der die Lehreentsprungen ist. Schon das Konzil von Trient sagte: Das in der Kirche geglaubte und gelebte Evangelium ist die Quelle aller Heilswahrheit und der Sittenlehre (DH 1501; vgl. EG 36). Das bedeutet: Die Lehre der Kirche gleicht nicht einer stehenden Lagune, sondern einem aus der Quelle des Evangeliums entspringenden Strom, in den die Glaubenserfahrung des Volkes Gottes aller Jahrhunderte eingegangen ist. Sie ist eine lebendige Tradition, die heute, wie schon öfters in der Geschichte, an einem kritischen Punkt angelangt ist und im Blick auf die »Zeichen der Zeit« (GS 4) nach einer Weiterführung und Vertiefung verlangt.2
Was ist dieses Evangelium? Kein Gesetzeskodex. Es ist das Licht und die Kraft des Lebens, das Jesus Christus ist; es schenkt, was es fordert. Nur in seinem Licht und in seiner Kraft sind die Gebote verständlich und erfüllbar. Nach Thomas von Aquin ist das Gesetz des Neuen Bundes keine lex scripta, sondern die gratia Spiritus Sancti, quae datur per fidem Christi (die Gnade des Heiligen Geistes, die durch den Glauben Christi/an Christus gegeben wird). Ohne den in den Herzen wirksamen Geist ist der Buchstabe des Evangeliums tötendes Gesetz (2 Kor 3,6).3 So will das Evangelium von der Familie keine Last sein, sondern als Geschenk des Glaubens Licht und Kraft des Lebens in der Familie.
Damit sind wir beim zentralen Punkt angelangt. Die Sakramente, auch das Sakrament der Ehe, sind Sakramente des Glaubens. Signa protestantia fidem (Zeichen, die den Glauben bezeugen), sagt Thomas von Aquin.4 Das Zweite Vatikanische Konzil bekräftigt diese Aussage. Es sagt von den Sakramenten: »Den Glauben setzen sie nicht nur voraus, sondern … sie nähren ihn auch, stärken ihn und zeigen ihn an.« (SC 59) Auch das Sakrament der Ehe kann nur im Glauben wirksam werden und gelebt werden. Die zentrale Frage lautet daher: Wie steht es um den Glauben der Braut- und Eheleute? In Ländern mit alter christlicher Kultur erleben wir heute den Zusammenbruch der viele Jahrhunderte geltenden Selbstverständlichkeiten des christlichen Glaubens und des naturrechtlichen Verständnisses von Ehe und Familie. Viele sind getauft, aber nicht evangelisiert. Paradox formuliert: Sie sind getaufte Katechumenen oder gar getaufte Heiden.