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»Wir standen uns seelisch nahe.« Diana Spencer über Grace Kelly
Lady Di und Grace Kelly – zwei unsterbliche Frauen, verbunden durch eine bislang unbekannte Freundschaft
Grace Kelly und Diana Spencer: Zwei Frauen. Zwei Leben. Als sie in London und Monaco in Königs- bzw. Fürstenhäuser einheirateten, waren sie für Millionen Frauen in aller Welt die Verkörperung eines Traums: Sie hatten ihren Prinzen gefunden. Doch weder Grace noch Diana begnügten sich mit einem Leben hinter Palastmauern. Sie brachten frischen Wind in die royale Welt, blieben nahbar, den Menschen zugewandt.
Zwei Frauen. Ein Schicksal: Grace und Diana, beide durch tragische Autounfälle 1982 und 1997 viel zu früh gestorben, beide von nahezu überirdischer Schönheit, zwei Ikonen der Zeitgeschichte.
Zwei Frauen. Eine Freundschaft: Bislang unbekannte Briefe und Dokumente aus dem Palast von Monaco zeigen erstmals die vertraute Nähe zwischen Grace und Diana.
Bestseller-Autor Thilo Wydra zeichnet mit dieser ersten Doppelbiographie über das außergewöhnliche Leben zweier außergewöhnlicher Frauen nicht nur beider Wege nach, die oftmals steinig und schwer waren, sondern richtet den Fokus auf die bislang unbekannte Freundschaft und die erstaunlichen Parallelen, die Grace und Diana miteinander verbinden. Beide vereint die Haltung, mit der sie durchs Leben gehen: aufrecht, mutig, klar.
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Seitenzahl: 457
Das Buch
Lady Di und Grace Kelly – zwei unsterbliche Frauen, verbunden über die Jahrzehnte
Grace Kelly und Diana Spencer: Zwei Frauen. Zwei Leben. Als sie in London und Monaco in Königs- bzw. Fürstenhäuser einheirateten, waren sie für Millionen Frauen in aller Welt die Verkörperung eines Traums: Sie hatten ihren Prinzen gefunden. Doch weder Grace noch Diana begnügten sich mit einem Leben hinter Palastmauern. Sie brachten frischen Wind in die royale Welt, blieben nahbar, den Menschen zugewandt.
Zwei Frauen. Ein Schicksal: Grace und Diana, beide durch tragische Autounfälle 1982 und 1997 viel zu früh gestorben, beide von nahezu überirdischer Schönheit, zwei Ikonen der Zeitgeschichte.
Diese erste Doppelbiographie über das außergewöhnliche Leben zweier außergewöhnlicher Frauen zeichnet nicht nur beider Wege nach, die oftmals steinig und schwer waren, sondern richtet den Fokus auf die erstaunlichen Parallelen, die sie miteinander verbinden. Beide vereint die Haltung, mit der sie durchs Leben gehen: aufrecht, mutig, klar.
Der Autor
Thilo Wydra, geboren 1968 in Wiesbaden, lebt in München. Nach dem Studium der Komparatistik, Germanistik, Kunstgeschichte und Filmwissenschaft an den Universitäten Mainz und Dijon (Burgund) arbeitet er seit den frühen 1990er-Jahren als freier Autor und Publizist. Von 2004 bis 2011 war er Deutschland-Korrespondent der Internationalen Filmfestspiele von Cannes. Er publiziert in verschiedenen Zeitungen (»Der Tagesspiegel«, »NZZ am Sonntag«) und Zeitschriften, berät bei »ZDF-History«-Dokumentationen und ist für den Rundfunk tätig. Er ist Autor zahlreicher Filmbücher und Künstler-Biographien, u. a. Margarethe von Trotta (2000), Rosenstraße (2003), Romy Schneider (2008), Alfred Hitchcock (2010), Grace Kelly (2012), Ingrid Bergman (2017), Hitchcock’s Blondes (2019) und des Bestsellers Eine Liebe in Paris – Romy und Alain (2020).
THILOWYDRA
GRACEKELLY
ZWEIFRAUEN. ZWEILEBEN. EINSCHICKSAL
DIANASPENCER
Quelle: Droits réservés – Archives du Palais de Monaco – IAM: Vor- und Nachsatz
Quelle: Droits réservés – Archives du Palais de Monaco – IAM: Vor- und Nachsatz
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Umschlaggestaltung: Eisele Grafik-Design, München
unter Verwendung der Fotos: U1: Grace Kelly: ullstein bild-ullstein bild; Diana Spencer: Photograph by Kim Knott, Camera Press London; U4: Getty Images/Anwar Hussein/Kontributor
Bildredaktion: Tanja Zielezniak
Satz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, München
ISBN: 978-3-641-22976-4V002
www.heyne.de
Im Andenken an meine früh verstorbenen Eltern –
Ursel Wydra & Siegfried Wydra.
Ihr fehlt.
Inhalt
Vorspann
London, 9. März 1981
TEIL I
Kindheit und Jugend
Grace
Philadelphia, Pennsylvania 1929 – 1947
Diana
Sandringham, Norfolk 1961 – 1977
TEIL II
Die Jahre der Erfüllung oder: Zwischenzeiten
Grace
Hitchcock und Hollywood 1947 – 1956
Diana
Coleherne Court Nr. 60, London 1978 – 1981
TEIL III
Sich nahestehen
Grace und Diana
März 1981 – September 1982
TEIL IV
Die letzten Jahre
Grace
Annus horribilis I Monaco 14. September 1982
Diana
Annus horribilis II Paris 31. August 1997
Abspann
Zwei Ikonen – überirdisch, zeitlos, modern
Anhang
Anmerkungen
Zeittafel Grace Kelly
Zeittafel Diana Spencer
Filmographie Grace Kelly
Bibliographie
Register
Dank & Nachbemerkung
Bildnachweis
Bildteil
Wir standen uns seelisch nahe.
Diana Spencer über Grace Kelly
Märchen erzählen erfundene Geschichten.
Ich dagegen bin echt, ich existiere.
Wenn man eines Tages mein tatsächliches Leben als Frau erzählte, dann würde man den Menschen erkennen, der ich wirklich bin.
Grace Kelly
Wenn ich meine Rolle definieren müsste, wäre ich geneigt,
das Wort Bote zu gebrauchen.
Diana Spencer
Quelle: Alamy Stock Foto: PA Images
London, 9. März 1981
Ich wünsche mir,
dass man mich als eine Frau in Erinnerung behält,
die sehr menschlich war und Verständnis für die Nöte anderer hatte.
Grace Kelly
Bei meiner Geburt war ich unerwünscht.
Als ich Charles heiratete, war ich unerwünscht.
Als ich zur königlichen Familie gehörte, war ich unerwünscht.
Ich wünsche mir, erwünscht zu sein.
Diana Spencer
Quelle: Alamy Stock Foto: (PA Images)
Als die Limousine mit ihr vorfährt, prasselt das Blitzlicht-Gewitter nur so auf sie nieder. Scharen von Fotografen, Journalisten und Fernseh-Reportern sind an diesem Abend vor dem Eingang der unweit von St Paul’s Cathedral gelegenen Goldsmiths’ Hall im Herzen Londons versammelt, um sie zu sehen, um sie zu erleben, um sie abzulichten. Anlass dieses besonderen Abends ist eine Wohltätigkeits-Gala zur Unterstützung des Royal Opera House. Es ist ihr erster öffentlicher Auftritt. Sie ist frisch verlobt. Bilder von ihr, der neuen Frau im Leben des britischen Thronfolgers Prince Charles, sind auf dem medialen Markt überaus begehrt. Wer das schönste, das beste, das überraschendste Foto von ihr schießt, der wird anderntags das höchste Bildhonorar bekommen. Sie soll einmal die meistfotografierte Frau der Welt sein.
Lady Diana Spencer sitzt neben ihrem Verlobten Prince Charles in dem Wagen, der sie vor die Goldsmiths’ Hall fährt, und sie kann sehen, wie viele Menschen dort draußen stehen und warten. Auf sie warten. Der Wagen hält an, die Türen werden geöffnet, und es ist Prince Charles, der als Erstes aussteigt. Es heißt, er habe der versammelten Presseschar, unter der sich einzelne Reporter befinden, die er seit Jahren schon kennt, den Satz zugerufen: »Wartet nur, bis ihr einen Blick auf sie werfen könnt!«
Dann steigt Diana aus. Sie ist neunzehn Jahre jung.
Es sind an diesem frühen März-Tag des Jahres 1981 noch vier Monate bis zu ihrem zwanzigsten Geburtstag am 1. Juli. So wie es noch vier Monate sein sollen, bis sie den Mann, der sie eben verheißungsvoll der ungeduldig wartenden Presse angekündigt hat, heiraten und Princess of Wales werden wird. Als Diana aus der Limousine ausgestiegen ist, flackern die Blitzlichter auf ihrem schwarzen trägerlosen Ballkleid, das sehr tief ausgeschnitten ist, Schultern und Dekolleté zeigt und in einen weiten Rock übergeht. Verlegen lächelt sie. Oftmals blickt sie zu Boden. Sie hat so etwas noch nie gemacht. All ihre Unerfahrenheit, ihre Naivität spiegelt sich in diesem Lächeln wider, einem Lächeln, mit dem sie die Menschen über die Jahre hinweg erobern und für sich einnehmen wird. Premierminister Tony Blair wird sie 1997 einmal »the People’s Princess« nennen.
Das schwarze Ballkleid aus Taftseide, das sich Diana mit dem kundigen Rat von Anna Harvey, Freundin ihrer Schwester und Mode-Redakteurin der Vogue, bei den Londoner Mode-Designern Elizabeth und David Emanuel für diesen Auftritt, auf dem so viele Erwartungen ruhen, zuvor ausgesucht hat, schlägt, wie Augenzeugen später berichten, wie eine Bombe ein.
Diana selbst wird sich zehn Jahre später, 1991, gut an das vieldiskutierte Abendkleid erinnern: »Ein schwarzes Kleid von den Emanuels, und ich dachte, es sei okay, weil Mädchen meines Alters so ein Kleid tragen. Schwarz war für mich die schickste Farbe, die man mit neunzehn tragen konnte. Es war ein richtig erwachsenes Kleid.«1
Langsam begeben sich Charles und Diana zum Eingang der Goldsmiths’ Hall, die Fotoapparate linker und rechter Hand klicken und surren, im Foyer nimmt man sie schließlich in Empfang, bevor es die große, weit ausladende Freitreppe nach oben geht, wo die Gesellschaft auf sie wartet. Immer wieder blickt Diana, während sie und Charles, begleitet von den Veranstaltern, in gemächlichem Gang die Freitreppe heraufgehen, nach unten und achtet auf das lange Kleid. Auf Fotografien dieses Abends ist sie zu sehen, auch, wie sie diese breite Treppe hinaufgeht, Prince Charles neben ihr: Ihr Blick, unsicher, verhuscht auch, hat neben ihrem scheuen Lächeln etwas Suchendes.
Sie dürfte wissen, wer dort oben auf der Empfangs-Etage, wo die Freitreppe endet, auf sie wartet – eine Frau, die sie lange schon aus der Ferne sehr bewundert, vor der sie großen Respekt hat. Eine Frau, die Diana verehrt. Oben angekommen, steht die erwartungsvolle Gesellschaft. Und auch sie steht dort und nimmt die junge unsichere Frau, die in vier Monaten die Ehefrau des zukünftigen Königs von Großbritannien werden wird, behutsam und zugewandt in Empfang.
*
Princesse Grace de Monaco – ehemals Grace Kelly, Hollywoods filigrane, betörende Hitchcock-Heldin – steht in dem großen feudalen Empfangs-Vestibül, hinter ihr an Champagnergläsern nippende Damen und Herren der britischen high society, und nimmt sich Lady Dianas sogleich an. Diana macht vor Grace einen Hofknicks, das Protokoll verlangt es so, steht die Fürstin im Rang doch über der noch nicht verheirateten jungen Frau. Die Princesse de Monaco trifft auf die zukünftige Princess of Wales.
Grace trifft auf Diana.
Als auch Prince Charles und die Begleiter des Paares oben angelangt sind, nimmt Grace Diana und Charles zu sich, Diana zu ihrer Rechten, Charles zu ihrer Linken. Grace strahlt in ihrem ebenso subtil mondän wie dezent schillernd wirkenden violetten Abendkleid, über dem sie eine lange Perlenkette trägt. Sie ist sichtlich erfreut, das jung verlobte Paar zu sehen. Einmal legt sie ihren Arm auf den Dianas – die Geste hat etwas Beschützendes an sich, sie erzählt von etwas unausgesprochen Gemeinschaftlichem, von etwas, das sie beide verbindet. Sie sind Schwestern im Geiste.
An diesem Abend nimmt Grace die zweiunddreißig Jahre jüngere Diana einmal zur Seite, bemerkt sie doch, wie unsicher Diana sich fühlt, wie bedacht sie darauf ist, nur keinen Fehler zu machen, und auch, ihren Verlobten weder zu enttäuschen noch zu blamieren. Da ist schon jetzt eine Last spürbar, eine Last, die in den kommenden Monaten größer und größer werden wird. Auch entgeht der empathischen Fürstin nicht, wie rings um sie herum über Dianas gewagte Wahl des Kleides durchaus despektierlich getuschelt wird – die Wahl ihrer offenherzigen Garderobe soll in Folge im prüden Großbritannien einen regelrechten Skandal mittleren Ausmaßes auslösen, ist die Farbe Schwarz am Buckingham Palace doch ausschließlich Trauerkleidung vorbehalten.
Die beiden Frauen kommen sogleich miteinander ins Gespräch, sofort ist da ein Draht zueinander, und es heißt, dieses Gespräch habe im powder room, der Damentoilette der Goldsmiths’ Hall stattgefunden. Es ist dort, im powder room, wo die junge, scheue Diana der erfahrenen, weltgewandten Grace ihr Herz ausschüttet, ihr von ihren Ängsten erzählt, die sie längst schon hat, von ihren Sorgen und Zweifeln. Unsicher fühle sie sich und bereits jetzt isoliert.
Im Verlauf dieses Gesprächs gibt die ehemalige Hollywood-Schauspielerin der angehenden Prinzessin eher scherzend und augenzwinkernd einen ambivalenten, vielfach überlieferten Hinweis auf den vor ihr liegenden Weg mit: »Don’t worry. It will get a lot worse.« Nur keine Bange. Es wird noch viel schlimmer werden.2
Diana erinnert sich später an die erste ihrer Begegnungen mit der ihr so wichtigen monegassischen Fürstin. Nur eineinhalb Jahre später, das Leben will es so, im für Monaco so düsteren, schicksalhaften September 1982, wird sie Grace auf deren Trauerfeier als einzige Repräsentantin der britischen Königsfamilie die letzte Ehre erweisen – es ist Dianas ausdrücklicher Wunsch. Über ihrer beider erste Begegnung sagt sie einmal: »Ich erinnere mich noch, wie ich Princess Grace kennenlernte und wie wunderbar und gelassen sie war – aber ich sah auch, dass sie es sehr schwer hatte.«3
Es ist dieser besondere, letztlich so denkwürdige Londoner Abend des 9. März 1981, an dem sich Grace Kelly und Diana Spencer erstmals begegnen.
TEIL I
Philadelphia, Pennsylvania 1929 – 1947
Wenn ich etwas wirklich erreichen will, erreiche ich es meistens.
Ich weiß nicht, was daran schuld ist –
mein Wille, mein guter Stern oder mein Kelly-Stolz.
Wahrscheinlich ist es alles miteinander.
Grace Kelly
Quelle: Getty Images: Keystone-France / Kontributor
Philadelphia, Dienstag, 12. November 1929. Im Hahnemann University Hospital im zentralen Stadtteil City West erblickt ein Mädchen das Licht der Welt. Die Eltern, Margaret Majer-Kelly und John B. »Jack« Kelly, lassen es zwei Wochen später in der römisch-katholischen St Bridget’s Church in East Falls auf den Namen Grace Patricia Kelly taufen. Grace – so hieß eine von Jack Kellys Schwestern. Sie war auf dem besten Wege, Schauspielerin zu werden, als sie mit nur zweiundzwanzig Jahren beim Eislaufen an Herzversagen starb.
Margaret Majer und John Kelly lernen sich 1914 über ihre gemeinsame Leidenschaft, den Sport, kennen. Als sie sich zum ersten Mal im Philadelphia Athletic and Social Club begegnen, ist Margaret keine fünfzehn. Das attraktive, lebendige Mädchen mit den blauen Augen fällt auf, und so wird sie als Model bald die Cover diverser US-Magazine schmücken. Aber Margaret ist mehr als das. Die energische, willensstarke Frau legt eine beachtliche Disziplin an den Tag und wird bald nach ihrem Studium die erste Dozentin für Leibesübungen an der University of Pennsylvania. Softball, Schwimmen, Leichtathletik, Basketball und Tennis – Margaret verdient sich den Ruf als bedeutende Förderin des universitären Frauensports. Dieselbe Disziplin lässt Margaret auch bei der Erziehung ihrer vier Kinder walten.
Grace Kellys Sohn, Prince Albert II de Monaco, erzählt in seinem Arbeitszimmer im Palais Princier de Monaco im persönlichen Vier-Augen-Gespräch von seiner deutschen Großmutter Margaret. Er spricht langsam, bedächtig, mit großem Ernst und spürbarer Nachdenklichkeit. Immer wieder macht er im Gespräch längere Pausen und hält inne. Man kann ihm beim Denken, beim Formulieren der Sätze zusehen. Durch die Eckfenster des weiträumigen Arbeitszimmers geht der Blick hinaus aufs weite Meer der Côte d’Azur.
»Ich erinnere mich sehr gut an unsere Großmutter. Ich war sogar einer der Letzten aus der Familie, der sie noch gesehen hat. Sie war in einem Seniorenheim, da habe ich sie noch einmal besucht, kurz bevor sie starb. Da konnte sie schon nicht mehr sprechen. Aber sie war eine unglaubliche Frau, sehr stark, und uns Kindern ließ sie absolut nichts durchgehen. No nonsense! Wir haben sie fast jeden Sommer besucht. Sie hat uns immer sehr herzlich empfangen, hat für uns gekocht und war für uns da, aber sie legte auch großen Wert auf Disziplin.«4
So schätzt es auch die 1898 in Philadelphia geborene Margaret Kelly selbst ein. »Ich hatte eine gute, strenge deutsche Erziehung. Meine Eltern glaubten sehr an Disziplin, und ich genauso – keine Tyrannei oder so etwas, aber doch eine gewisse Festigkeit.«5
Robert Dornhelm, Regisseur aus Wien und in den Jahren 1976 bis 1982 ein enger Freund Grace Kellys, erinnert sich, deren Mutter sei »eine gute, eine typische strenge Deutsche« gewesen, »ordentlich, streng, preußisch. No Bullshit.« Und weiter: »Grace’ Mutter habe ich kennengelernt – die hat mich angeschaut und gesagt: ›Wie schauen Sie denn aus?‹ Da habe ich gefragt: ›Wieso?‹ Und sie: ›Mit solchen Haaren, viel zu lang, so kann man doch nicht herumlaufen.‹ Und sofort waren sie weg. Grace hat mir die Haare auch geschnitten, das erste Mal, wie sie in Wien war: ›Viel zu lang, so kann man nicht zur Premiere gehen.‹ – Beide hatten sie einen Haarfimmel. Der Vater war auf andere Weise streng. Sie hat es von beiden Seiten ziemlich … mitbekommen.«6
Zur guten, strengen deutschen Erziehung gehört auch die deutsche Sprache. Als Tochter zweier Immigranten mit Wurzeln im hessischen Heppenheim spricht Margaret die ersten Jahre ihres Lebens hauptsächlich Deutsch. Später versucht sie, dieses Erbe, die ihr so vertraute Muttersprache an ihre Kinder weiterzugeben, doch die unheilvolle deutsche Geschichte vereitelt ihre Bestrebungen, und auch ihre eigenen Kinder distanzieren sich deutlich.
»Wir bereiteten ihr solchen Kummer, wenn sie versuchte, uns Deutsch beizubringen. Wir versteckten die Grammatikbücher. Es war die Zeit um den Zweiten Weltkrieg herum, und wir beschwerten uns, wie unpatriotisch das doch sei«7, berichtet Lizanne, Grace’ jüngere Schwester.
»Es war uns nie erlaubt, mit leeren Händen dazusitzen. Wir wussten ganz genau, es wurde von uns erwartet, dass wir stricken. Wir wurden schon mit drei, vier Jahren zum Stricken und zum Häkeln angehalten. Das musste sein, wir waren ja deutsche Mädchen. Es wurde von uns erwartet, und wir mussten es machen.«8 So erinnert sich Peggy, das älteste der Kelly-Kinder, an die Erwartungshaltung ihrer deutschstämmigen Mutter.
»Die meisten Leute in Philadelphia, und auch ich, hatten keine Ahnung, dass Grace Kellys Mutter deutsch war«, erzählt Mary Louise Murray-Johnson, die selbst in Philadelphia geboren wurde, dort bis Ende der Fünfziger auch lebt und die Familie Kelly kennt. »Ich hatte Freunde in derselben Altersgruppe, deren Eltern ihnen vor dem Gang zur Schule sagten: ›Sprich nicht ein einziges Wort Deutsch, nur Englisch, du darfst hier kein Deutsch sprechen!‹ Und als eine Freundin von mir doch einmal etwas Deutsch sprach, begannen die anderen Kinder, Steine nach ihr zu werfen. Ich kann daher sehr gut verstehen, warum die Familie Kelly nicht wollte, dass ihre Kinder draußen Deutsch sprachen. Es war verboten.«9
*
Mag der zehn Jahre ältere John in sportlicher Hinsicht auch perfekt zu Margaret passen, so ist er in seinem Wesen dem ihren doch denkbar unähnlich. Auf der einen Seite der Hang zu Ordnung, Kontrolle und Beständigkeit, auf der anderen Seite eine unbändige Wildheit, eine Lust am Drama, am Träumen – diese Kräfte wirken ein Leben lang auf Grace ein, ziehen sie mal hierhin, mal dorthin, lassen sie oft genug innerlich zerrissen zurück. Eine mitunter schwer zu schulternde Last, begründet auch in der Gegensätzlichkeit ihrer Eltern.
»Deutsche Mutter und irischer Vater. Da war das Verträumte, Poetische, und da war das sehr strukturierte, gewissenhafte, pünktliche, perfekte Deutsche. Grace war die pünktlichste Frau, die ich gekannt habe. Die Verlässlichste«, bekundet Regisseur Robert Dornhelm heute. »Wenn sie gesagt hat ›So ist das und das‹, dann war das so, ganz egal, da konnte nichts dazwischenkommen. Zugleich konnte sie am Fenster stehen und sich die Wolken anschauen oder vorm Feuer sitzen und stundenlang reinschauen und verträumt sein und irgendwo anders sein mit dem Kopf. Das ist ein Widerspruch. Man kann nicht so verträumt sein und mit Poesie, mit wirklicher Poetry unterwegs sein und Gedichte rezitieren und zugleich auf Zack sein und diszipliniert. Aber diese Dualität gab es bei ihr.«
Die vielen Facetten der Grace Kelly – hier mögen sie ihren Ursprung haben.
John Brendan Kelly, athletisch und gutaussehend, kommt gut an bei den Frauen, doch an Margaret beißt er sich zunächst die Zähne aus. Erst zehn Jahre nach ihrer ersten Begegnung kann er sie vor den Traualtar von St Bridget’s führen. Zuvor musste Margaret jedoch zum Katholizismus konvertieren, denn ihr aus Immenstaad am Bodensee stammender Vater Carl Majer hatte die protestantische Linie der Familie fortgeführt.
Die junge Familie zieht noch vor der Geburt des Sohnes Kell in die später berühmte 3901 Henry Avenue in East Falls. Das prächtige zweigeschossige Backsteinhaus ist umgeben von hohen Bäumen, sein Eingang wird von einem Säulenportal geschmückt, man erreicht ihn über eine repräsentative Auffahrt. »Sie haben nicht übertrieben luxuriös gelebt«, so empfindet es Robert Dornhelm in der Rückschau. Zumindest können die Kellys hier in der Henry Avenue über siebzehn Zimmer verfügen.
»Philadelphia ist nicht schön. Es ist eine Industriestadt: viele Medizinschulen, viel Forschung, viel Kunst, viel Musik – aber die Infrastruktur ist keine gute«, erinnert sich Mary Louise Murray-Johnson an ihre Heimatstadt, die Geburtsstadt von Grace. »The Main Line ist die beste Wohngegend. Die Kellys wohnten in der Henry Avenue in East Falls. Es war sehr schön dort, wo sie lebten, aber da wohnte nicht die upper class. The Main Line, dort wohnte die upper class.«
Gehört die Familie Kelly nun zwar zu Philadelphias Vermögenden, so wird ihr der Aufstieg in die Schicht der oberen Zehntausend doch nie vollends gelingen. The Main Line, hier bleibt die alteingesessene angelsächsische Gesellschaft gern unter sich, Neureiche und Immigrierte bekommen in Philadelphias high society kaum einen Fuß in die Tür. Und so bleiben auch Jack und seine Familie außen vor.
Doch der Ehrgeiz, mit dem Vater Jack um Einfluss und Akzeptanz kämpft, ist beeindruckend. Vom Tellerwäscher zum Millionär – im Ansatz trifft das durchaus auf John Brendan Kelly zu. Geboren 1889 in Philadelphia, als eines von zehn Kindern der irischen Einwanderer Mary Ann Costello und John Henry Kelly, wird John zusammen mit seinen Geschwistern schon mit neun Jahren von seinem Vater dazu verdonnert, in der Textilfabrik Dobson am Schuylkill River zu arbeiten. Vom Mörtelträger wird er zum Maurerlehring und gründet 1921 schließlich seine eigene Baufirma Kelly for Brickworks. Er wird sie zu einer der größten in den USA machen und ist bereits sehr wohlhabend, als er Margaret im Jahr 1924 heiratet.
Prince Albert kennt seinen Großvater nur aus den Erzählungen seiner Mutter: »Er starb, als ich zwei Jahre alt war. Leider – ich habe das immer sehr bedauert, dass ich ihn nie richtig kennenlernen konnte und es nicht möglich war, mit ihm Gespräche zu führen. Er ist ja eine Legende, nicht nur in unserer Familie, sondern überall in den USA. Und er war auch ein sehr großmütiger Mann, er besaß echten Unternehmergeist. Er hat es ganz allein zu etwas gebracht in einem Land, in dem er nicht geboren war. Außerdem glaube ich, dass diese Seite der Familie, die irische Seite, auch ganz wichtig ist. Wir sind alle sehr stolz auf dieses Erbe, so wie wir auch auf die deutsche Seite stolz sind. Aber ich denke, das hat auch viel zum Wesenszug der Großzügigkeit beigetragen, denn die Iren sind oft sehr großzügig im Geist und im Herzen.«
Jack Kellys Erfolg kommt nicht von ungefähr: Er ist getrieben von dem Wunsch, etwas zu gelten, ob es nun um Business, Politik oder Sport geht. Und er verfolgt seinen Plan mit ähnlich eiserner Disziplin wie Mutter Margaret den ihren. So gewinnt Jack 1920 bei den Olympischen Sommerspielen in Antwerpen nach einem atemlosen Kopf-an-Kopf-Rennen gegen den Engländer Jack Beresford die Goldmedaille im Rudern. Eine Genugtuung, gewann doch genau dieser Jack Beresford wenige Wochen zuvor die legendäre Henley Royal Regatta auf der Themse, bei der Jack Kelly die Teilnahme in letzter Sekunde untersagt wurde. Er sei Amateur, so die Begründung, und außerdem Maurer. In diesem zu jener Zeit sehr profilierten, Massen von Zuschauern anziehenden Sport, der seine Wiege in Philadelphia hat, offenbarte sich die Zwei-Klassen-Gesellschaft deutlich. Ein Arbeiter, und noch dazu irischer Abstammung, passte nicht ins Konzept der britischen Gentlemen, die in den entscheidenden Gremien saßen. Die Entscheidung sorgte für einen Eklat und machte John B. Kelly weltweit bekannt. Aufmerksamkeit, die ihm auch so zuteilgeworden wäre, denn zusätzlich zu seinem olympischen Gold im Einer gewinnt Jack mit seinem Cousin Paul Costello Gold im Doppelzweier, ein Erfolg, den die beiden vier Jahre später ein weiteres Mal feiern dürfen.
Nach dem Ende seiner sportlichen Karriere sucht John B. Kelly neue Herausforderungen in der Politik und bewirbt sich 1935 für die Demokraten auf das Amt des Bürgermeisters von Philadelphia. Nach einem denkbar knappen Rennen unterliegt er schließlich dem Republikaner Samuel D. Wilson, eine Niederlage, die schmerzen muss, ist es doch ein weiteres Mal vermutlich Jacks Herkunft, die ihn vom Erfolg trennt – ein irischstämmiger Katholik hat es im protestantisch geprägten Philadelphia nicht immer leicht. Erst viele Jahre später setzt die Stadt ihrem populären Mitbürger buchstäblich ein Denkmal: 1967, sieben Jahre nach Kellys Tod, würdigt die Stadt ihn mit einer Bronzeskulptur von Harry Rosin, aufgestellt im East Fairmount Park direkt am Schuylkill River. John B. in seinem Ruderboot, auf dem Sockel darunter die Inschrift John B. Kelly / Olympic Champion Singles 1920 / Doubles 1924. Außerdem wird die kilometerlange Straße, die am oberen Ostufer des Flusses entlangführt, in John B. Kelly Drive umbenannt. Ein Akt, der auch dem gleichnamigen Sohn Tribut zollt.
Margaret und John bekommen vier Kinder: Margaret Katherine, genannt »Peggy«, John Brendan Jr., »Kell«, Grace, die alle nur »Gracie« rufen, und schließlich Elizabeth Anne, »Lizanne« oder »Lizzie«. Besonders Stammhalter Kell, Jacks erklärtes Lieblingskind, muss als Projektionsfläche für die Ambitionen des Vaters herhalten und die in Henley verlorene Ehre wiederherstellen. Das gelingt Kell gleich doppelt, in den Jahren 1947 und 1949. Die ganze Familie feiert den Sieger.
Doch die Erfolge sind hart erkämpft – der Sohn wird schon als Siebenjähriger vom Vater in ein selbstgebautes Boot gesetzt und bei Ocean City hinaus aufs Meer gestoßen. Die Suche nach der eigenen Identität, den eigenen Wünschen und Zielen, wird ihn zeit seines Lebens beschäftigen und schließlich zum Bruch mit der Familie führen.
John B. junior bekommt mit seiner Frau Mary Gray Freeman sechs Kinder, verlässt sie aber 1969, um sich fortan einem ausschweifenden Playboy-Leben hinzugeben. Skandalträchtig geht John Mitte der Siebzigerjahre, er steckt mitten im Wahlkampf um das Bürgermeisteramt in Philadelphia, eine Beziehung mit der Nachtclub-Besitzerin Rachel Harlow ein, einem transsexuellen Star der Subkulturszene von Philadelphia. Harlow, einstmals unter dem Namen Richard Finocchio bekannt, wird unter anderem von Frank Simons in dem Film The Queen verewigt. Im Mai 1981 dann heiratet John die Bankerin Sandra Worley, doch die Ehe steht unter keinem guten Stern. John B. »Kell« Kelly jr. trinkt immer mehr und erliegt schließlich am 2. März 1985 beim Joggen einem Herzinfarkt. Mit siebenundfünfzig Jahren.
Die leidgeprüfte Familie Kelly erinnert an einen anderen, von Tragödien heimgesuchten irischstämmigen Clan, an die Kennedys aus Boston.
*
Die kleine Grace wird in eine unruhige Zeit hineingeboren. Amerika wird von der Großen Depression erfasst, der Börsencrash an der Wall Street am 24. Oktober 1929, dem Black Thursday, erschüttert die Finanzwelt in ihren Grundfesten. Doch die Kellys haben Glück – Vater Jack hat eher in Staatsanleihen investiert denn an der Börse spekuliert, und so bleibt die Familie auf wundersame Weise von den Auswirkungen fast vollständig unberührt.
Gracie ist zart und zerbrechlich, ihre anfällige Gesundheit bereitet den Eltern durchaus oftmals Sorge. Immer ist sie es, die sich als Erstes erkältet und die am längsten mit Infekten zu kämpfen hat. Sie ist so ganz anders als ihre drei sportlichen Geschwister. Das Sandwich-Kind, dem ab der Geburt des Nesthäkchens Lizanne am wenigsten Aufmerksamkeit geschenkt wird, ist anfällig für Stirnhöhlen- und Mittelohrentzündungen und muss ständig das Bett hüten.
Der Macher Jack Kelly hat für so etwas kein Verständnis. »Worüber heult Grace denn jetzt schon wieder?«10, fragt er ungehalten, wenn die ihm so seltsam fremde Tochter mal wieder kränkelt.
Nach einem Streit wird sie von einer ihrer Schwestern, wie so oft, in den Wandschrank gesperrt. Niemand im Haus bemerkt, dass Gracie fehlt. Niemand sucht nach ihr. Sie sitzt dort oben im Dunkeln mit ihren Puppen, gibt ihnen Namen, Stimmen, Charaktere und verschwindet ganz in ihrer Traumwelt. Diese Welt ist ihre Zuflucht.
So vertieft findet Ma Kelly ihre Tochter nach einer halben Ewigkeit im Wandschrank.
Grace ist das Kind, das nicht vermisst wird, wenn es nicht da ist. Das immer übersehen wird.
Dieses Schicksal teilt sie mit einem Mädchen, das genau drei Jahrzehnte später in der ostenglischen Grafschaft Norfolk auf dem Herrensitz der Spencers aufwachsen soll. Dieses Mädchen sitzt oft für Stunden allein am Fuße der Treppe, schweigend. Oder es versteckt sich hinter den schweren Möbeln im großen Salon auf Park House, wo es zu Hause ist.
Beide Mädchen – die Übersehenen, die Unbeachteten – sollen einmal von der Welt vergötterte ikonische Prinzessinnen werden. Es mag, vor dem Hintergrund ihres schwierigen Aufwachsens und ihrer familiären Ausgrenzung, der schwarzer Schafe gleich, im Nachhinein an ein Wunder grenzen.
Die labile Physis von Grace bringt es mit sich, dass sie neben den anderen Kelly-Kindern in allem Sportiven nicht mithalten kann. Sie spielt in der Schule zwar Basketball und Hockey, geht im Sommer zwar schwimmen und spielt Tennis, wenn sie mit ihrer Familie in deren Ferienhaus in Ocean City an New Jerseys Küste weilt, aber darüber hinaus hat Grace keinen besonderen Ehrgeiz und erst recht kein Interesse am sportlichen Wettkampf.
Vater Jack versteht seine ätherische Tochter schlichtweg nicht, und es mag ihm zeit seines Lebens nicht gelingen, eine emotionale Bindung zu ihr aufzubauen. Grace interessiert sich für andere Dinge, für alles Künstlerische, genau wie ihr Onkel George. Vater und Tochter werden diese Unterschiede bis zu Jack Kellys Tod im Jahr 1960 nicht überwinden können, ein Umstand, unter dem Grace Kelly ein Leben lang leiden wird. Doch ihr Kummer und ihre Sehnsucht nach Anerkennung durch den Vater sind ihr auch Antrieb und Impuls.
Bei den Kellys zählt stets das Gewinnen: »Die ganze Familie, wir hatten alle ein ausgeprägtes Konkurrenzdenken. Ich glaube, nein, ich weiß, dass wir das von unserer Mutter und unserem Vater mitbekamen. Sie erzogen uns zur Liebe zum Sport, zum Wettstreit – wir wollten gewinnen«11, so erinnert sich Lizanne. Prince Rainier, Grace’ späterer Ehemann, erzählt Jahre darauf einmal: »Grace war überempfindlich, was ihre eigene Familie betraf. Sie bedeutete Grace unglaublich viel, mehr – so kam es mir vor –, als Grace ihnen wichtig war (…) Auch wenn es in der Familie Kelly einen starken Zusammenhalt gab, war es nicht unbedingt herzlich.«12
Im Sommer 1937, die kleine Gracie ist sieben Jahre, da geschieht etwas, wonach sie sich in den Jahren davor und in den Jahren danach oftmals vergebens sehnt: Als es am Strand von Ocean City einmal darum geht, aus Gründen der werbewirksamen Publicity wieder für Fotografen zu posieren, das Familienleben der Kellys in bestem Licht darzustellen, da nimmt Vater Jack seine Tochter Grace und wirbelt sie durch die Luft. Dabei hält er Grace an den Füßen fest und dreht sich selbst um die eigene Achse. Die kleine Gracie streckt dabei die Arme weit aus, streckt sie weit in die Luft, durch die sie Jack Kelly in seinem gestreiften Dreißigerjahre-Badeanzug mit festem Griff wirbelt, während er sich mehrfach dreht.
Lediglich eine einzige sepiafarbene Fotografie gibt es von diesem Moment zwischen Vater und Tochter, aufbewahrt im Archiv des Palais Princier de Monaco. Grace ist mit fliegendem Haar zu sehen, und in ihrem hübschen Mädchengesicht ist ein anmutiges Lächeln zu erkennen. Für einen kurzen Moment ist da so etwas wie Nähe – wenngleich sie lediglich gestellt ist für all die klickenden Kameras der Fotografen. Für die kleine Gracie muss es ein ganz und gar wertvoller Moment sein. Ein seltener ist es ohnehin: Er soll sich so nie wiederholen.
*
Grace ist zwölf, als sie ihr Bühnendebut gibt. Sie ist Mitglied der Laiengruppe Old Academy Players in East Falls, dort spielt sie unter der Leitung Ruth Emmerts in dem Stück Don’t feed the Animals mit. Bedeutender aber ist ihre Rolle im 1922 uraufgeführten Stück The Torch-Bearers (Die Fackelträger) aus der Feder ihres Patenonkels George, das auch am Broadway aufgeführt wird.
Grace ist ein Musterbeispiel an Pünktlichkeit, sie ist immer perfekt vorbereitet, kann ihren Text, ist freundlich zu allen. Das fällt schon Ruth Emmert 1941 auf, und später, in den Fünfzigerjahren, sollen es die Menschen bestätigen, mit denen Grace an den Bühnen von New York und den Filmsets von Hollywood zusammenarbeitet. »Sie war die Pünktlichste und die Verlässlichste«, so Robert Dornhelm. Ganz anders als etwa Marilyn Monroe, der Kollegen weder das eine noch das andere nachsagen können.
Grace Kelly steht in der Familie nicht gänzlich allein mit ihrer Liebe zum Musischen, zu Literatur und Theater. Ihr Onkel Walter C. Kelly (1873 – 1939) ist Vaudeville-Schauspieler und tourt mit dem Musical Virginia Judge (Der Richter von Virginia) durch England und die USA, 1935 wird das Stück mit ihm in der Hauptrolle verfilmt. Doch es ist besonders George Edward Kelly (1873 – 1974), der Lieblingsonkel, der Grace künstlerisch die Richtung weist. Genau wie sie ist George ein Träumer. Er weigert sich, Tee aus Teebeuteln aufgebrüht zu trinken, und pflegt auch sonst seinen verschroben-exzentrischen Habitus, versnobt, aber durchaus mit Stil. George Kelly ist, als er stirbt, seit fünfundfünfzig Jahren mit William Weagly zusammen. Der ehemalige Buchhalter ist nicht nur Georges Partner, er erledigt auch allerlei Botengänge für ihn, ist sein Mädchen für alles. So wird Weagly denn auch vom Rest des Kelly-Clans lediglich als dessen Kammerdiener betrachtet – bei der Trauerfeier für George in der St Bridget’s Church sitzt er allein und weinend in der letzten Reihe.
George lebt seine Homosexualität nicht offen aus, zu groß ist die Furcht vor der Verurteilung durch Gesellschaft und Familie, in deren Konzept von sozialer Anerkennung und Ausübung viriler Sportarten so etwas keinen Platz hat. »Sein Bruder George musste natürlich verheimlichen, dass er schwul war«, so Robert Dornhelm.
Das Gefühl, anders als die anderen zu sein, nicht dazuzugehören, kennen beide, George und Grace, nur allzu gut.
Darüber hinaus ist es auch Onkel George, der Grace für ihren Werdegang als Schauspielerin einige wichtige Impulse gibt. So ist deren Aufnahme in die New Yorker American Academy of Dramatic Arts letztlich auch Georges Verdienst, genießt der 1926 für sein Stück Craig’s Wife mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Dramatiker doch einiges Ansehen.
Es ist ihr Onkel, der der jungen Grace die Aufmerksamkeit und Anerkennung entgegenbringt, die sie sich vom Vater so innig und so vergeblich wünscht. Bis zu Georges Tod im Jahr 1974 treffen sich die beiden regelmäßig, gehen etwa gemeinsam essen.
»Oft gingen wir sonntags in die Kirche. Danach kam Onkel George, holte uns ab, machte mit uns eine Spritztour und lud uns zum Mittagessen ein. Sie (Grace) genoss diese Ausfahrten mit George sehr. Sie redeten die ganze Zeit. Ich saß hinten und döste, aber die beiden redeten über Theater, Bücher und Gedichte«13, erzählt Schwester Lizanne Kelly LeVine.
Ihre Darbietung in The Torch-Bearers bringt Grace ihre erste Rezension in einer lokalen Zeitung ein: Wie es der Titel des Stücks andeute, werde sie einmal zur Fackelträgerin der Familie Kelly werden, heißt es da. Grace nimmt jede ihrer Rollen überaus ernst, schon als junges Mädchen.
»Ich bin so stolz auf meine Nichte Grace. Sie war eine bewundernswerte Schauspielerin, aber vor allem ist sie eine Frau mit einer Mischung aus ungewöhnlich guten Eigenschaften. Hätte sie ihre Karriere als Schauspielerin fortgesetzt, sie wäre heute an der Spitze aller Stars«14, schreibt George nur wenige Wochen vor seinem Tod 1974 in einem Brief.
Beim alljährlich stattfindenden Krippenspiel in Grace’ erster Schule, dem Convent of the Assumption, der Klosterschule Ravenhill, übernimmt sie etwa um diese Zeit die Rolle der Maria. Grace, die »jungfräulich Unnahbare« – es wirkt beinahe wie die Antizipation ihres später als Schauspielerin etablierten Typus. Ihr wird diese Rolle nach der Heirat mit Prince Rainier zwei weitere Male fürs Kino angeboten. Es sind Rollenangebote, die sie nicht mehr annehmen kann.
»Sie hatte eine große Hingabe an das Gebet und die Gemeinschaft der Heiligen. Deshalb haben wir auch immer füreinander gebetet«, erinnert Klosterschwester und Äbtissin Francis an ihre junge Schülerin. »Sie hatte schon als Kind etwas Spirituelles. Ich erinnere mich noch genau an eine Theateraufführung zu Weihnachten. Sie spielte die heilige Maria und sie tat das sehr andächtig.«15
Auf Ravenhill tragen die Schülerinnen auf dem Schulweg weiße Handschuhe, so ist es Brauch. Grace ist das nicht neu, schon ihre strenge Mutter bestand darauf, genauso, wie sie ihre drei Töchter dazu anhielt, Hüte zu tragen. Die weißen Handschuhe sollen später einmal zu einem von Grace’ stilistischen Markenzeichen werden.
Zu der Zeit, als sie die Klosterschule Ravenhill besucht, verfasst die junge, etwa elf- oder zwölfjährige Grace dieses Gedicht, das viel über ihr Inneres erzählt:
Little Flower, you’re a lucky one
you soak in all the lovely sun
you stand and watch it all go by
and never once do bat an eye
while others have to fight and strain
against the world and its every pain of living.
But you must, too, have wars to fight
the cold bleak darkness of every night
of a bigger vine who seeks to grow
and is able to stand the rain and snow
and yet you never let it show
on your pretty face.16
*
Im Herbst 1943 wechselt Grace, nun bald vierzehn Jahre alt, von Ravenhill auf die Highschool, die Stevens School. Zu dieser Zeit lernt sie einen Schulkameraden ihres Bruders kennen, Harper Davis. Aus dem kränklichen, schmalen Mädchen ist inzwischen ein bildhübscher Teenager geworden, groß gewachsen mit langen Beinen, feinem blonden Haar und mit strahlend blauen Augen. Grace beginnt, den Menschen um sie herum aufzufallen, sie anzuziehen. Aber neben der nahezu magnetischen Wirkung ihrer Schönheit sind es auch ihr Einfühlungsvermögen und ihre Zugewandtheit, die die Menschen so für sie einnehmen. Eine besondere Stärke, von der Grace in ihrem zweiten Leben als Princesse de Monaco noch oft Gebrauch machen wird.
»Sie hatte diese innere Stärke, diese Fähigkeit, ganz für sich zu stehen und an ihren Überzeugungen festzuhalten, aber gleichzeitig reagierte sie unglaublich sensibel auf ihre Umwelt, auf andere Leute, deren Nöte oder Belastungen. Sie versuchte, den Menschen auf ganz aufrichtige Weise zu helfen. Und natürlich auch ihren Freunden, wenn sie Probleme im Leben hatten. Sie besaß eine große Einfühlsamkeit, ein sehr liebevolles Wesen.« So skizziert es Sohn Albert.
Aus der vierzehnjährigen Grace und dem sechzehnjährigen Harper wird ein Paar, sie knüpfen erste zarte Liebesbande, gehen ins Kino, zum Tanzen. Harper darf Grace sogar zum Schulball ausführen – mit einer Orchidee in der Hand steht er vor ihrer Tür. Doch Grace’ Mutter macht kein Auge zu, bis die Tochter wohlbehalten zurück in der Henry Avenue ist. Als Harper achtzehn ist, meldet er sich zur Marine. Fortan schreiben sie sich, und Grace sieht Harper nur noch, wenn er Urlaub hat und auf Heimatbesuch in Philadelphia ist.
Grace sammelt und archiviert leidenschaftlich, schon als Mädchen. In ihrem Scrap Book – es befindet sich unter anderen von Grace’ Schätzen in den Archiven des Palais Princier de Monaco – landen verschiedenste Erinnerungsstücke: Eintritts- und Postkarten, Theaterbroschüren, getrocknete Blüten, Servietten und sogar Wrigley’s-Kaugummipapier bekommen dort einen Platz. Alles wird gesammelt, nichts weggeworfen.
Das ist auch in späteren Jahren noch so. Grace’ Töchter, Princesse Caroline und Princesse Stéphanie, tragen die Kleider ihrer Mutter aus Kindheitstagen auf, und auch sonst achtet Grace darauf, alles nach Möglichkeit aufzuheben und wiederzuverwenden. Etwas wegzuschmeißen, das fällt ihr äußerst schwer, eine Eigenschaft, die schon ihre Mutter Margaret besaß. Und so befinden sich noch heute im Palais Princier de Monaco ganze Schränke voll von Grace’ persönlichen Gegenständen. Kleider, Taschen, Bücher, Briefe, Fotos – es ist ein ganzes Leben.
Grace versieht all die Memorabilien in ihrem Scrap Book mit einer Beschriftung, sauber und ordentlich, mit geschwungener Handschrift und blauer Tinte. Einige Andenken sind mit einem »Harper« versehen, unter dem grünen Kaugummipapier steht: Chewing Gum Harper gave me New Years Eve. An anderer Stelle befindet sich ein kleiner weißer Umschlag, darauf klebt eine Karte, auf der steht: To Grace with Love, Harper. Mit ihrer schon damals charakteristischen Handschrift mit ihren sehr klaren Lettern ergänzt Grace darunter: This is the card that came with the parfume [sic] Harper gave me for Christmas.17
Aber es finden sich in diesem Scrap Book auch Hinweise auf andere Jungs, mit denen Grace während ihrer Highschool-Zeit ausgeht, etwa ein weißes Kuvert von Bill D’Arcy, unter dem in Grace’ Mädchenhandschrift steht: Christmas dance – Dec. 16th 1944. Bill D’Arcy.17 Mit dem Sohn eines wohlhabenden Stuckateurs aus Philadelphia, seines Zeichens Rettungsschwimmer bei der Ocean City Beach Patrol, verbringt Grace einige Zeit am Strand von Ocean City, wo die Familie Kelly alljährlich die Sommermonate in ihrem Ferienhaus verbringt.
Der unglückliche Harper erkrankt 1946 an Multipler Sklerose. Grace besucht ihn an seinem Krankenbett, erst zu Hause, später im Krankenhaus. Sie hat ihre ersten Kinofilme gedreht, ist auf dem Weg, ein Star zu werden, als Harper schließlich 1953 stirbt. Grace reist nach Philadelphia zur Beerdigung. Später wird sie einmal sagen, Harper sei ihr erster Freund gewesen. Und dass sie ihn geliebt habe.
Es ist das zweite Mal, dass ein Mensch stirbt, der Grace nahesteht. Vier Jahre vor Harper ist Margaretha Berg, von den Enkelinnen »Großmutter« gerufen, gestorben, die »rundliche, fröhliche, kräftige Frau«18 aus Heppenheim an der Bergstraße.
Im September 1943 wechselt Grace also von der Klosterschule Ravenhill auf die Stevens School in der Walnut Lane in Germantown, wo sie im Mai 1947 mit siebzehn Jahren ihr Abitur macht. Grace besucht seinerzeit »hervorragende Schulen – sie war sehr gebildet«, so Mary Louise Murray-Johnson. Doch das Bennington College in Vermont, Favorit ihrer Eltern und immerhin mit einer vierjährigen Tanzausbildung im Angebot, nimmt Grace wegen ihrer schlechten Noten in Mathematik und Naturwissenschaften nicht auf. Die College-Absage ist für Ma Margaret ein großes Unglück, die Bildung der Tochter ist ihr äußerst wichtig, und besorgt spricht sie gemeinsam mit Grace bei verschiedenen anderen Schulen vor.
»Die Veränderung kam, als sie nicht aufs Bennington College ging. Das war es, was in ihrem Leben alles veränderte«, ist sich Murray-Johnson sicher. Und wahrscheinlich hätte der Lebensweg von Grace Kelly tatsächlich eine ganz andere Richtung genommen, wäre sie dort gelandet. Ein Ereignis also, das zur folgenreichen Zäsur in Grace’ jungem Leben werden soll.
Diese will zu dieser Zeit nun vor allem eines: den ersten professionellen Schritt Richtung Schauspielkarriere gehen. Grace will nach New York, an die American Academy of Dramatic Arts. Das wünscht sie sich – unabhängig von all den an sie gestellten Erwartungen anderer – ganz für sich allein.
»Sie war beseelt von dem Gedanken, nach New York zu gehen und Schauspielunterricht zu nehmen, versessen auf Arbeit und Vorwärtskommen«19, erzählt ihr späterer Ehemann Prince Rainier einmal rückblickend. Auch ihren Kindern berichtet Grace später von dieser Zeit ihres Entschlusses, Schauspielerin zu werden. Und es ist insbesondere Sohn Albert, der neugierig nachhakt und mehr von ihr erfahren möchte.
»Anfangs erzählte sie immer, dass sie vor allem ein großes Interesse am Theater hatte. Und das war erst einmal auch, wie für die meisten Schauspieler, eine wunderbare Übung, wie sie jeder Schauspieler braucht, live vor Publikum zu spielen. Diese Phase hat ihr wirklich großen Spaß gemacht, das Theaterspielen, ihre Jahre am Theater. Und natürlich war sie auch auf der American Academy of Dramatic Arts. In dieser bewegten Zeit bekam sie viele verschiedene Angebote, sammelte viele großartige und unterschiedliche Erfahrungen am Theater. Ich glaube, sie hat es richtig genossen, Rollen zu lernen, Stücke zu lernen, zu spielen – und sowohl die Regisseure als auch die anderen Schauspieler wollten, dass sie weitermacht. Aber es stimmt schon, dass sie anfangs …«
Prince Albert hält im Gespräch immer wieder inne, auch jetzt, an dieser Stelle, und fügt dann nachdenklich und leise, in sich selbst hineinhorchend, noch hinzu: »Als ich meine Großmutter Margaret einmal danach gefragt habe, erzählte sie mir, dass keiner in der Familie ernsthaft daran geglaubt habe, sie würde wirklich Schauspielerin werden. Sie war ziemlich schüchtern und zwar sehr begabt, hatte aber eigentlich nicht die typischen Eigenschaften einer Schauspielerin. Ich glaube aber, es hat ihr geholfen, ihre Schüchternheit zu überwinden.«
Diese treffliche Charakterisierung seiner Mutter Grace mag geradezu exemplarisch für ihr Leben und ihr Handeln, ihr Denken und ihr Fühlen stehen. Eine Charakterisierung, die, nur um wenige Nuancen variiert, ebenso gut auch auf eine andere Frau zutrifft, eine, die sich Grace seelisch so sehr nahe und verwandt fühlt:
Diana Spencer.
Sandringham, Norfolk 1961 – 1977
Es war eine sehr unglückliche Kindheit.
Die Eltern waren damit beschäftigt, mit sich selbst klarzukommen.
Diana Spencer
Quelle: Getty Images: Hulton Archive / Freier Fotograf
Als Diana Frances Spencer am 1. Juli 1961 auf Park House, Sandringham Estate, zur Welt kommt, es ist etwa 19.45 Uhr an einem lauen, warmen Sommerabend, da ist es um die Ehe ihrer Eltern – Edward John »Johnnie« Spencer, Viscount Althorp, der spätere achte Earl Spencer, und Frances Ruth Burke Roche – schon nicht mehr gut bestellt. Erste Risse zeichnen sich ab, nachdem sieben Ehejahre seit ihrer Hochzeit 1954 hinter ihnen liegen. Es sind Risse, die in dieser Verbindung recht früh schon auftauchten und sich gerade ab Dianas Geburt nurmehr verstärken sollen.
Als an diesem Samstagabend des 1. Juli das Kind zur Welt kommt – in jenem zum großzügigen und weitläufigen Garten gelegenen Schlafzimmer im ersten Stock, in dem schon Mutter Frances am 20. Januar 1936 geboren wurde, am selben Tag, an dem König George V. unweit auf Sandringham stirbt – , da steht allen auf Park House die Enttäuschung sichtlich ins Gesicht geschrieben: It’s a girl!
Die Geburt verläuft schnell und ohne Komplikationen. Als das Mädchen das Licht der Welt erblickt, bricht draußen auf dem Rasen großer Jubel aus, hat doch auf dem von John Spencer organisierten alljährlich stattfindenden cricket match der Schlagmann gerade hundert Läufe erreicht. Draußen der unüberhörbare Jubel, drinnen betretene Stille. Wenngleich Mutter Frances später einmal immerhin äußern wird, »ich fand es schön, dass sie unter Applaus zur Welt kam«20, so gilt dieser Applaus doch nicht der dritten Spencer-Tochter.
Alle hofften sehnlichst, dass das erwartete Baby ein Junge werden wird, hat es doch im Hochadel oberste Priorität, die Erbfolge und hiermit die Besitztümer zu sichern, so auch die der Spencers. Zumal Frances Spencer in den Jahren zuvor bereits zwei Mädchen zur Welt brachte: Am 19. März 1955, neun Monate nach der Hochzeit, kam bereits die Erstgeborene, Tochter Sarah Elizabeth Lavinia, zwei Jahre später, am 11. Februar 1957, folgte Jane Cynthia.
Am 12. Januar 1960 kam schließlich der kleine John auf die Welt, der jedoch aufgrund einer Lungendysfunktion unfähig ist, richtig zu atmen. Ohne jede Überlebenschance stirbt er noch am Tag seiner Geburt, nach nur etwa zehn oder elf Lebensstunden. Das Baby wurde Mutter Frances sofort weggenommen, sie konnte es nicht einmal in ihren Armen halten oder sich verabschieden. Es ist ihr Mann, der Viscount Althorp, der dies verfügt hatte. Frances soll sich daraufhin aus dem Bett geschleppt und gegen die von außen verschlossene Tür geschlagen und nach ihrem Kind gerufen haben.
»Es war etwas, wozu kein menschliches Wesen gezwungen werden dürfte. Man hatte mir mein Baby weggenommen, und ich habe niemals sein Gesicht gesehen. Weder lebend noch tot«, erinnert sich Frances Spencer viele Jahre später an diesen so schmerzlichen, einschneidenden Moment. Wovon die Mutter zu diesem Zeitpunkt nichts wissen konnte, war der ihr vorenthaltene Eintrag auf dem Totenschein des Babys. Dort stand zu lesen: »schwere Missbildungen«.
Es ist dieser Moment, der in ihrer Biographie einen Bruch bedeutet. Es ist zugleich dieser Moment einer Erschütterung, des allzu frühen Verlustes, der in der Beziehung zwischen Johnnie und Frances nachhaltige Spuren hinterlassen soll. Ihre Liebe verändert sich. Ihre Bindung zueinander ist nicht mehr wie zuvor, da ist etwas zerbrochen.
»Das war eine schreckliche Zeit für meine Eltern, und wahrscheinlich liegt darin auch die Wurzel ihrer Scheidung«, äußert Dianas Bruder Charles Spencer, »ich glaube nämlich, sie sind nie darüber hinweggekommen.«21
Der Tod des kleinen John, der nur einen Tag alt werden durfte, führt letztlich dazu, dass sich eine Traurigkeit und Schwere über das Leben von Frances und Johnnie Spencer legt, die vorher, in den noch etwas unbekümmerteren, glücklicheren Zeiten, nicht da war. »Johns Tod war eine tiefe Tragödie in beider Leben«22, bekundet einmal ein Cousin der Spencers. Sie seien seither von einer Traurigkeit gewesen, die vorher nicht existierte.
Nach zwei Mädchen und dem schmerzlichen Verlust des kleinen Jungen sowie einer darauf folgenden Fehlgeburt, die Frances vor John Spencer geheim hält, sollte, musste es nun umso mehr ein Junge sein. Auf Park House herrschen diesbezüglich great expectations. So kommt es, dass, in großer, nahezu verzweifelter Erwartung auf einen Jungen, die Familie erst gar keinen Namen für das Mädchen ausgesucht hatte, das gerade das Licht der Welt erblickte. Mit einem dritten Mädchen hat hier wirklich niemand gerechnet, ein drittes Mädchen war hier niemandes Wunsch, ein drittes Mädchen war schlicht und ergreifend nicht vorgesehen.
Diana, noch namenlos, kommt zur Unzeit.
»Ich war das Mädchen, das eigentlich ein Junge hätte werden sollen«23, sagt sie später selbst. Die Lokalzeitung berichtet denn auch, dass der Vater des Babys lediglich recht lapidar erklärt habe, »wir haben uns noch nicht für einen Namen entschieden«.24
»In der Familie Spencer«, heißt es in diesem Zusammenhang einmal von einem der Spencer-Verwandten, »ist die Frage nach dem Geschlecht ein großes Thema, und sogar, wenn es schon einen Sohn gab und kein Druck da war, einen Erben zu produzieren, zählen Mädchen doch weniger als Jungen. Frauen sind in der Familie Spencer ganz klar Bürgerinnen zweiter Klasse.«25
Eine Woche nach seiner Geburt finden John und Frances Spencer endlich einen Namen für ihr drittes Kind: Es soll Diana Frances heißen. In der Times geben sie sachlich und nüchtern die Geburt ihrer Tochter bekannt, mit denkbar schmucklos und kurz ausfallenden Worten, denen keinerlei Freude anzumerken ist: »Viscountess Althorp brachte am Samstag eine Tochter zur Welt.«26
Ihre Namensgeberin ist ausgerechnet die Schwester des ersten Earl Spencer, Diana, die in den Jahren 1735 bis 1743 lebte und lediglich acht Jahre alt wurde. Nomen est omen.
Die auf Dianas Geburt folgenden Monate geraten zu den schlimmsten in der Ehe der Spencers. Johnnie besteht nun darauf, dass sich seine Frau etlichen medizinischen Untersuchungen bei verschiedenen Ärzten in der Harley Street in der City of Westminster unterzieht, jener Londoner Straße, die für ihre hohe Anzahl an Ärzten bekannt ist. So werden auch Fruchtbarkeitsbehandlungen bei Frances durchgeführt, um herauszufinden, warum um alles in der Welt sie nur Mädchen gebiert. Sie sei offenbar nur in der Lage, Mädchen zur Welt zu bringen, so ein immer lauter werdender Vorwurf des Viscount Althorp. Johnnie Spencer ist kaum mehr wiederzuerkennen, er zwingt seine Frances schlichtweg zu diesen recht entwürdigenden Untersuchungen und ist regelrecht davon besessen, so wie es einst sein Vater war, der siebte Earl Spencer, endlich den lange ersehnten männlichen Erben zu bekommen.
Am 20. Mai 1964 ist es endlich so weit: Nach insgesamt sechs Schwangerschaften innerhalb von nur neun Jahren bringt Frances in der London Clinic ihren Sohn Charles Edward Maurice Spencer zur Welt – er wird der zukünftige neunte Earl Spencer, späterer Erbe und Besitzer von Althorp. Eine schwere Last fällt von den Schultern der Spencers. Die Erbfolge ist gesichert, der kleine Charles ist gesund und wohlauf, die Zukunft von Althorp ist endlich nicht länger ungewiss.
Mag diese Last von Frances und Johnnie abfallen, so bleibt die nach zehn Jahren Ehe längst eingekehrte Langeweile doch bestehen, an der sich vor allen Dingen Frances zusehends stört. Aus Johnnie, dem zum Zeitpunkt der Hochzeit so gutaussehenden Dreißigjährigen, ist ein Mensch ohne Träume, ohne Ziel geworden. Als »stinklangweilig« bezeichnet ihn einmal eine Spencer-Cousine, als »unglaublich langweilig, nett zu seinen Freunden, rührselig und sentimental bei seinen Kindern, aber so fade, dass es weh tat. Das Netteste, was man sagen kann, ist, dass er Frances als furchtbar selbstverständlich betrachtete.«27 Die Liebe ist gegangen, schleichend, aber nachhaltig – der einst so bezaubernde Johnnie Spencer hat seinen Zauber seit Langem schon verloren.
Dianas Mutter Frances ist es auch, die nur einige wenige Jahre später, 1968, schließlich aus dieser ihr längst viel zu eingefahrenen, zumal im Innersten zerbrochenen Ehe ausbrechen wird – der Liebe zu einem anderen Mann wegen. Es wird der nächste biographische Bruch sein, nicht zuletzt auch im Leben der dann gerade siebenjährigen Diana. Als es zur Scheidungsschlacht der Spencers kommt, erbittert geführt, da verliert die Mutter am Ende das Sorgerecht für Tochter Diana und ihre drei Geschwister Jane, Sarah und Charles.
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Edward John Spencer und Frances Burke Roche lernen sich 1953 kennen. Sie ist mit ihren achtzehn Jahren ganze zwölf Jahre jünger als er, der junge Spencer, Viscount Althorp, ältester Sohn des siebten Earl, der groß gewachsen ist, gutaussehend, charmant und schmissig und in diesen frühen Fünfzigerjahren ein allseits begehrter Junggeselle in royalen Kreisen. John Spencer besuchte als Schüler das renommierte Eton College, dann Sandhurst, diente als Offizier erst bei den Royal Scots Greys im Zweiten Weltkrieg und dann als Adjutant des Gouverneurs von Südaustralien, und – dies dürfte vor allem auf die guten royalen Verbindungen der Spencer-Familie zurückzuführen sein – er diente zu Hofe sowohl als Oberstallmeister unter King George VI., der für Johnnie Spencer eine große freundschaftliche Sympathie hegte, als auch als Kammerherr unter der jungen Queen Elizabeth II. John ist es auch, der die Queen im Jahr 1953 nach deren Krönung auf ihrer ersten Commonwealth-Reise begleitete. Er ist daher eigentlich das, was man gemeinhin eine gute Partie nennt. Eigentlich.
Denn der gute Johnnie Spencer, der sich viele Jahre später einmal an jenem denkwürdigen, medial millionenfach begleiteten Hochzeitstag, dem 29. Juli 1981, die Treppen zur Londoner St Paul’s Cathedral an der Seite seiner heiratenden Tochter Diana voller Stolz, aber sichtbar schweren, schwankenden Schrittes hinaufschleppen wird, einem Schatten seines früheren Selbst gleichend, er ist, wie man es sich zur Zeit der Eheschließung mit Frances in diesen Fünfzigerjahren zutuschelt und wie es der kommandierende Offizier der Royal Scots Greys einmal prosaisch, doch konzise auf den Punkt brachte, »very nice but very stupid«.28
Dianas Vater – dessen größte Begabungen im Jagen, Schießen und Fischen liegen – versucht nach der Hochzeit eine Anstellung bei einer Bank zu finden, doch er wird nur abgelehnt. »Mathematik war nie seine Stärke«29, wurde ihm bereits von einem guten alten Freund nonchalant bescheinigt. Auch darauf also kann Johnnie nicht bauen. Neben seinem attraktiven Äußeren und seiner privilegierten Herkunft kann er mangels Intellekts auf nur wenig blicken, was er vorzuweisen hätte. Seine große Statur täuscht zudem darüber hinweg, dass sein Selbstwertgefühl wahrlich nicht dem entspricht, was es, von außen betrachtet, den Anschein haben mag.
Erschwerend kommt zu alledem hinzu, dass Johnnie Spencers Vater Jack, der siebte Earl Spencer – von der Gesellschaft ob seines exzentrischen, jähzornigen, schwierigen Charakters mit dem ironischen Spitznamen »Jolly Jack« versehen –, keine Gelegenheit auslässt, seinem Sohn zu demonstrieren, wer der Herr im Hause ist. Jack Spencers große Leidenschaft ist der Familiensitz der Spencers, das prachtvolle Althorp House mit seinen einhunderteinundzwanzig Zimmern und fünftausendfünfhundert Hektar Land. Hier residiert er, hier herrscht er. Nichts liegt dem alten Herrn mehr am Herzen als das weitläufige Herrenhaus in Northamptonshire. Es durch das Ausbleiben eines männlichen Erbfolgers langfristig zu verlieren, und damit auch sämtliche Titel, wäre die denkbar größtmögliche Katastrophe.
Jack Spencer lässt seinen Sohn eine halbe Ewigkeit auf sein Erbe, auf die Übernahme von Althorp House, warten. Erst mit seinem Tod am 9. Juni 1975 geht Althorp an Johnnie über, der daraufhin Park House verlässt und mit seiner späteren zweiten Frau Raine und den vier Kindern auf Althorp einzieht, von Norfolk nach Northamptonshire geht. Bis dahin allerdings befindet sich Johnnie Spencer letztlich in einer viele Jahre anhaltenden Warteposition, nicht vollkommen unähnlich jener, in der sich Prince Charles seit Jahrzehnten befindet. Ein Geizhals vor dem Herrn, hält Jack auf Althorp mit eiserner Sparsamkeit die Finanzen zusammen und kümmert sich auch um Dinge, für die eigentlich gemeinhin die Bediensteten zuständig sind. So staubt er selbst die Bibliothek ab, spült das Porzellangeschirr, stickt nachts Gobelinbezüge für die Stuhlsitze und zahlt seinem Sohn John, den er stets despektierlich und geringschätzig behandelt, einem Dummkopf gleich, bis hin zur Verachtung, ohnehin nur das Allernötigste. Der alte Spencer ist ein Despot.
Dianas Bruder Charles hat den Großvater so auch als »eine einschüchternde Figur« in nachhaltiger Erinnerung. »Seine Schnurrbarthaare sträubten sich. Sein Bauch wölbte sich unter viel zu großen Hosen, und er verfügte über die resolute Ausstrahlung eines Mannes, der absolut keine Zeit für irgendwelche Dummköpfe hatte.«30
»Er flößte vielen Respekt und praktisch allen Furcht ein«, so Charles Spencer über den Großvater. Es nimmt daher wenig Wunder, dass Charles’ Vater Johnnie Spencer auf eine unglückliche Kindheit voller Angst vor dem Vater zurückblickte. Oftmals versteckt sich Johnnie vor ihm, wenn die Luft ob seiner Ausfälle wieder dick zu werden droht. Er verkriecht sich dann auf Althorp in kleinen Nischen und Zwischenräumen, etwa in jenem oberhalb der Decke des Badezimmers. »Solche einsamen Momente waren wohl leider sehr häufig«31, blickt Charles Spencer auf die Kindheit seines Vaters Johnnie zurück.
Das anhaltende Gefühl der Instabilität und der Angst, des Unbeschütztseins auch, das Diana später einmal begleiten soll, hat ihr Großvater Jack zuvor bereits in seinen Sohn, Dianas Vater, implantiert.
Jack Spencers Frau hingegen – Lady Cynthia Elinor Beatrix Spencer, geborene Hamilton, Tochter des Herzogs von Abercorn – ist das genaue Gegenteil dessen, was ihr Mann darstellt: Lady Cynthia ist eine sensible, feinfühlige Frau, ebenso großherzig wie großzügig, schön und anmutig, mit blauen Augen und Wangen, die immerzu rosig leuchteten.
Cynthia Spencer diente ab dem Jahr 1937 zuerst Queen Elizabeth als Lady of the Bedchamber, als Palastdame, die seit der Inthronisierung ihrer Tochter Queen Elizabeth II