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In "Grisper Castle - Weihnachtszauber" vereinen sich Humor und Spannung zu einer fesselnden Urban Fantasy. Tauche ein in eine Welt voller Magie, Abenteuer und festlicher Wunder, in der das Weihnachtsfest alles andere als gewöhnlich ist und erlebe ein magisches Weihnachtsabenteuer. Klappentext: Sein erstes Weihnachten auf Grisper Castle könnte so schön sein. Während Marek gemeinsam mit seiner großen Liebe Craig und seiner neuen Familie, den Schlossbewohnern, vollkommen in den Weihnachtsvorbereitungen steckt, passieren allerhand mysteriöse Dinge. Nicht nur, dass in Darkmoor plötzlich Menschen einfrieren, auch Marcus verhält sich eigenartig und verschwindet immer wieder über Stunden. Marek hat zunehmend das Gefühl, beobachtet zu werden und dann ist da noch ein geheimnisvoller, magischer Adventskalender, den er in seiner Wohnung entdeckt. Er nimmt sich vor, den Dingen auf den Grund zu gehen. Bei seinen Nachforschungen kommt er Geheimnissen auf die Spur, die schon bald sein ganzes Leben auf den Kopf stellen und dafür sorgen, dass nichts mehr so ist, wie es schien … Erlebe die festliche Welt von 'Grisper Castle - Weihnachtszauber', einer Urban Fantasy, in der Hexer, Vampire, Wassermänner und andere magische Wesen einen einzigartigen Familienbund bilden. Schließe dich dieser charmanten Gemeinschaft an und werde selbst Teil dieser liebevollen Familie.
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Grisper Castle - Weihnachtszauber
von
Wolf September
Impressum
Wolf September
c/o WirFinden.Es
Naß und Hellie GbR
Kirchgasse 19
65817 Eppstein
www.wolfseptember.de
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Lektorat & Korrektorat
Matti Laaksonen - www.mattilaaksonen.de
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Vielen lieben Dank an meine Testleser
Björn, Sandra, Susan, Stefan, Lisa und Rina,
die mich mit Tipps, Hinweisen und
sehr umfangreichem Feedback unterstützt haben.
Schön, dass es Euch gibt.
Ernest stand auf dem Gehsteig der gegenüberliegenden Straßenseite seines Kaufhauses und betrachtete mit einem Lächeln im Gesicht die Schaufenster. Ein eisiger Wind wehte ihm um die Nase, doch er fror nicht. Er war zufrieden mit der Arbeit, die er und Ruby geleistet hatten. Der erste Schnee fiel auf die Straße. Die rieselnden Flocken, die im Licht der Schaufensterbeleuchtung funkelten, verstärkten die magische Atmosphäre der wunderschön dekorierten Auslagen.
In knapp zwei Wochen war der erste Dezember, und die Vorbereitungen für die diesjährige Weihnachtssaison waren bereits in vollem Gang. Gespannt blickte er ihr entgegen, dieses Jahr würde alles ein wenig anders sein als in den Jahren zuvor. Den Mann, dem das Gebäude gehört hatte, in dem sich sein Laden befand, gab es nicht mehr.
Seit Angus vor ein paar Monaten im Moor verschwunden war, war alles besser geworden. Keine weitere Geldforderung war in seinem Briefkasten gelandet. Und auch die ohnehin schon überhöhte Pacht würde dieses Jahr nicht ansteigen. Angus war gestorben, dessen war sich Ernest sicher. Es konnte nicht anders sein – alle, die durch die Geisterfrauen verschleppt worden waren, waren nie wieder zurückgekehrt. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis man ihn offiziell für tot erklären würde. Was dann mit seinen Besitztümern geschehen würde, war Ernest egal. Da es keinen Erben gab, würden sie wahrscheinlich der Allgemeinheit zufallen. Egal, wie es laufen würde, für ihn konnte es nur besser werden.
Rein vorsorglich hatte Ernest die Preise seines Sortiments kräftig angezogen. Dieses Weihnachten würde er sich ein finanzielles Polster zulegen, von dem er lange würde zehren können.
„Du hast dich in diesem Jahr selbst übertroffen.“
Ernest dreht sich um, hinter ihm standen John Woods, der Bürgermeister von Darkmoor, und sein Bruder, der Pfarrer, die ihn freundlich anlächelten.
„Das finde ich auch. Vielen Dank!“
„Deine Fenster zaubern schon jetzt weihnachtlichen Glanz in die Straße“, stellte John bewundernd fest.
Ernests Grinsen vertiefte sich. „Das freut mich zu hören, aber vor allem sollen sie Geld in meine Kassen spülen.“ Er lachte auf und schlug John mit der Hand gegen die Schulter.
Dieser nahm seine Brille ab und wischte mit dem Taschentuch eine geschmolzene Schneeflocke weg, die sich auf das Glas gesetzt hatte. „Das auch, aber genau genommen geht es an Weihnachten ja nicht um den Kommerz. Ich liebe diese Jahreszeit für den besonderen Zauber, den sie auf die Menschen ausübt – so wie es deine Schaufenster tun.“ John deutete zu Ernests Kaufhaus.
„Seit wann denn so gefühlsduselig, John?“
„Weihnachten ist das Fest der Nächstenliebe und der Familie“, mischte sich Ralph in das Gespräch ein.
Ernest winkte ab und grunzte auf. „Vielleicht zählt das für den Weihnachtsabend. Für die Weihnachtszeit gilt es auf jeden Fall nicht. Da geht es um nichts anderes als ums Geld, auch wenn Sie das nicht gerne hören, Herr Pfarrer.“
John blickte Ernest verwundert an und lächelte verhalten. „Jeder, wie er meint, wenn für dich der Gewinn an erster Stelle steht, dann hoffe ich, dass dieser Wunsch in Erfüllung geht und du zufrieden bist.“
Der Bürgermeister und sein Bruder verabschiedeten sich und gingen weiter die Straße entlang.
Ernest blickte den beiden noch eine Weile hinterher, dann lief er gut gelaunt zurück in seinen Laden. Er zwängte sich zwischen den Kunden hindurch, bis zu seiner Assistentin, die neben der Treppe stand und letzte Hand an den Weihnachtsbaum anlegte.
„Sehen sie gut aus, von außen?“, fragte Ruby, während sie eine Kugel an einen der Zweige hängte.
„Perfekt. Wie aus einem Weihnachtsmärchen“, antwortete er.
„Mr Cunningham, ich hätte eine Frage.“ Ruby blickte ihren Boss scheu an.
„Was gibt es denn?“
„Wie sieht es dieses Jahr mit einem kleinen Bonus zu Weihnachten aus?“ Verschämt verschränkte sie ihre Hände hinter dem Rücken.
Ernest lachte auf. „Zahle ich dir nicht schon genügend? Einen Bonus gab es in den letzten Jahren nicht und wird es auch dieses Jahr nicht geben. Ich bin nicht die Wohlfahrt.“
„Wir haben die Preise erhöht, obwohl wir nicht mehr dafür bei unseren Lieferanten zahlen. Sie werden also mehr Gewinn machen. Und Sie sind zufrieden mit meiner Arbeit. Ich bitte nicht nur für mich, sondern auch für die anderen hier“, argumentierte Ruby und nickte zu ihren Kollegen, die an den Kassen saßen.
„Und dafür garantiere ich euch einen sicheren Arbeitsplatz.“ Ernest hob erbost eine Augenbraue.
„Ich wollte meinem Vater dieses Jahr ein besonders schönes Weihnachtsfest bieten“, flehte Ruby.
„Dann kümmere dich besonders gut um ihn und sei eine gute Tochter. Das kostet nichts und bewirkt mehr als teure Geschenke. Thema beendet!“ Ernest ließ Ruby stehen und ging in sein Büro. Es fehlte gerade noch, dass ihm seine Angestellten etwas von seinem Gewinn streitig machen wollten. Dafür, dass sie im Laden herumstanden und nichts taten, zahlte er nun wirklich mehr als genug.
Ernest saß in seinem Büro, durch dessen Fenster er seinen Laden überblicken konnte, und studierte die Verkaufszahlen, während er überlegte, für welche Waren die Preise noch immer zu niedrig waren. Spielwaren und Nahrungsmittel kamen ihm in den Sinn. Je näher das Fest rückte, desto dringender wurden Artikel aus diesem Sortiment benötigt. Zufrieden grinste er in sich hinein und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Ein Klopfen riss ihn aus seinen Gedanken an Zahlen und Gewinne.
„Herein“, rief er donnernd.
Die Tür schwang auf und Ruby trat ein.
„Was gibt es denn schon wieder?“
„Es sind zwei Damen des Kinderkrankenhauses im Laden und fragen nach einer Spende. Sie würden sich über ein paar Stofftiere freuen, für die Kinder, die an Weihnachten im Krankenhaus bleiben müssen.“
„Spende? Nichts da. Gib ihnen den Katalog. Sie können gerne etwas bestellen und wir liefern es ihnen kostenlos“, wiegelte er ab und deutete auf einen Stapel Kataloge, der in einem Regal lag.
„Wir haben doch die Bären mit den kaputten Nähten im Lager. Die kann man doch ohnehin nicht mehr verkaufen. Ein paar Nadelstiche und sie sind wie neu“, entgegnete Ruby.
„Bist du verrückt? Die reklamieren wir! Und jetzt raus. Ich habe zu tun.“
Ruby wagte nicht noch einmal zu widersprechen und verließ das Büro. Ernest beobachtete sie missmutig durch das Fenster. Sie lief die Treppe nach unten, wo zwei Frauen auf sie warteten. Nach einer kurzen Unterhaltung gingen sie kopfschüttelnd zum Ausgang.
Im Laden war noch jede Menge los. An den beiden Kassen bildeten sich lange Schlangen. Doch kurz nach sieben Uhr leerte es sich spürbar und eine Stunde später ließ Ruby die Gitter vor den Fenstern und dem Eingang hinunter. Die Kassierer machten ihre Abrechnung und verabschiedeten sich. Auch Ruby verließ, nachdem sie noch einmal bei Ernest im Büro gewesen und einen schönen Abend gewünscht hatte, das Gebäude.
Schon war er allein im dunklen Kaufhaus. Lediglich ein leichter Lichtschimmer, der von der Leuchtreklame und den Straßenlaternen durch die Schaufenster fiel, erhellte den Laden. Ernest spielte die neuen Preise in das System der Kassen, dann fuhr er seinen Computer herunter. Er schloss die Tür zu seinem Büro ab und stellte sich an das Geländer, von dem aus er die gesamte untere Etage überblicken konnte. Er liebte dieses Gefühl, wenn ihm der Laden zu Füßen lag. Sein Blick schweifte über die Gänge. In solchen Momenten fühlte er sich erhaben und unbezwingbar.
Nachdem er eine Weile diesen Anblick in sich aufgesogen hatte, verließ er den Laden durch die Hintertür. Er drehte den Schlüssel zweimal im Schloss und rüttelte an der Tür, um sicherzugehen, dass sie wirklich verschlossen war.
Lautlos fielen die Flocken auf die verschneiten Wege und auch die Luft roch nach Schnee. Er schwang sich seinen Schal ein zweites Mal um den Hals und zog seine Mütze tiefer ins Gesicht.
Ernest trat den Weg nach Hause an. Auf den Straßen herrschte Stille – die Bewohner von Darkmoor waren in ihren Häusern und genossen die behagliche Wärme ihrer Wohnzimmer. Warm fiel auch der Schein der erleuchteten Fenster auf die Gehwege. Er freute sich darauf, das Feuer in seinem Kamin zu entzünden und mit einer opulenten Mahlzeit vor dem Fernseher zu sitzen.
Sein Haus lag am Rande des Städtchens. Er bog von der Hauptstraße ab und lief die Glassford Street mit ihren Reihenhäusern entlang. Knirschend versanken seine Schuhe im frisch gefallenen Schnee. Er sah nach unten, um die Fußspuren, die er dabei hinterließ, zu betrachten. Ein zweites Knirschen drang an sein Ohr. Ein leiseres, weit entfernt klingendes. Er schaute auf, in die Straße hinein. Sein Blick fiel auf einen kräftigen Mann, der ihm entgegenkam. Der Mann schien es nicht besonders eilig zu haben. Gemächlich stapfte er auf Ernest zu. Als er nur noch wenige Yards entfernt war, blickte er ihn verwundert an. Der Mann trug einen dunkelroten Mantel mit gräulichem Saum. Die Hosen schienen aus dem gleichen Stoff wie sein Mantel gefertigt, ebenfalls die Mütze, die er trug. Beides war mit dem gräulichen Saum eingefasst. Ein genauso schmutzig weißer Bommel hing an der Mütze, die so lang war, dass dieser auf seiner linken Schulter auflag. In der Hand hielt er eine altertümliche Laterne mit einer Kerze darin.
Er wirkte auf Ernest wie eine Mischung aus einem schmuddeligen Weihnachtsmann und einem der Nachtwächter, wie sie vor hunderten von Jahren wohl durch die Straßen von Darkmoor gelaufen waren. Ernest hatte den Mann noch nie zuvor hier gesehen. Er würde sich schämen, in derartig schäbigen Kleidern nach draußen zu gehen.
Inzwischen waren sie fast auf selber Höhe angekommen. Ernest nickte dem Mann ein wenig angewidert zur Begrüßung zu. Der Mann blieb stehen und funkelte ihn an. Ernest meinte ein bläuliches Leuchten in seinen Augen zu erkennen und stoppte ebenso. Langsam hob der Mann seine Laterne nach oben, sodass sie an seinem ausgestreckten Arm vor seinem Gesicht schwebte. Mit dem Zeigefinger der anderen Hand deutete er auf die Lampe. Ernest folgte seinem Zeig. Sein Blick fiel auf die Kerze darin. Was ist das? Es flammte ein bläuliches Licht auf, zuerst ganz schwach, kaum erkennbar, doch es wurde immer heller und heller. Eiseskälte kroch Ernest in sämtliche Glieder. Bald erleuchtete es die Straße. Dann erlosch es mit einem Mal. Doch nicht nur das Licht war verschwunden, auch der alte Nachtwächter war nicht mehr zu sehen. Zurück blieb nur der zu Eis erstarrte Ernest, der mit weit aufgerissenen Augen in die Leere starrte, während sich die Flocken auf ihn setzten.
Marek öffnete verschlafen die Augen und streckte sich. Craig lag nicht neben ihm. Er war wohl wie meistens schon in der Küche beim Frühstücken. An die Tatsache, dass Vampire nicht schliefen, hatte er sich inzwischen gewöhnt, trotzdem würde er gerne viel öfter neben ihm aufwachen. Er drehte sich zur Seite, versenkte sein Gesicht in seinem Kissen und atmete in den Stoff. Zumindest duftete es noch nach ihm. Ein Lächeln schob sich auf seine Lippen. Wie schnell die Zeit doch vergangen war – ein knappes halbes Jahr waren sie nun schon zusammen und bald würden sie ihr erstes Weihnachten gemeinsam verbringen.
Weihnachten – allein dieses Wort ließ in Marek warme Gefühle aufsteigen. Er liebte Weihnachten. Seine Adoptiveltern hatten diese Zeit immer zu etwas ganz Besonderem für ihn gemacht. Gerade auch aus diesem Grund war es letztes Jahr so hart für ihn gewesen. Einsam hatte er die Feiertage in Warschau verbracht. Nach dem Tod seines Adoptivvaters war er aus Wien geflüchtet und hatte sich auf eine Irrfahrt kreuz und quer durch Europa begeben. Er wollte damals seinem Schmerz entfliehen, was ihm nur leidlich gelungen war, denn der Schmerz war, wie ein treuer Freund, stets an seiner Seite geblieben. Gerade an Weihnachten hatten ihn die Erinnerungen an ihn wieder eingeholt.
Doch dann war er hier in Schottland auf Grisper Castle gelandet und alles hatte sich für ihn verändert. Hatte er sich lange Zeit mit den magischen Fähigkeiten, die er besaß, allein gefühlt, war er hier auf diesem Schloss anderen magischen Wesen begegnet. Mehr noch – Bryne, Kenneth, Marcus und vor allem Craig waren zu seiner Familie geworden.
Marek drehte sich auf den Rücken und blickte an die stuckverzierte Decke. Er schmunzelte. Hätte ihm irgendwann einmal jemand gesagt, dass er einen Vampir lieben würde, oder dass es überhaupt Vampire gab, hätte er diesen Jemand für verrückt erklärt. Dabei war Craig so ganz anders, als er sich Vampire immer vorgestellt hatte – herzensgut und fürsorglich, allerdings auch überaus verschlossen, was seine Vergangenheit betraf. Diese Verschlossenheit kollidierte des Öfteren mit Mareks Neugierde. Trotz unzähliger Versuche hatte es Marek bis jetzt nicht geschafft, mehr von ihm darüber zu erfahren. Vor allem, was seine Verwandlung anging, hielt er sich bedeckt. Doch Marek war nicht nur besonders neugierig, er hatte auch eine schier unendliche Geduld und blieb hartnäckig.
Er drehte seinen Kopf in Richtung des Fensters und erneut musste er lächeln. Freude stieg in ihm auf, als er die Flocken sah, die von außen an die Scheibe rieselten und daran nach unten glitten.
Entzückt sprang Marek aus dem Bett, lief nackt, wie er war, zum Fenster und blickte hinaus. Das Schloss, der Wald und die Welt hatten sich über Nacht in ein Winterwunderland verwandelt. Obwohl es erst Mitte November war, stiegen sofort weihnachtliche Gefühle in ihm auf. Wie es wohl sein wird, Weihnachten auf Grisper Castle, kam ihm in den Sinn. In einer Ecke an der Scheibe hatten sich sogar kleine Eisblumen gebildet, die sich anschickten, zur Mitte des Fensters weiterzuwachsen.
„Na, das nenne ich mal einen Anblick.“
Marek fuhr herum. Kenneth schwebte hinter ihm neben dem Bett.
Marek hielt sich eilig die Hände vor seine Blöße. „Kenneth! Du sollst das nicht immer tun! Kannst du nicht woanders spuken?“
„O mein Gott. Sind wir heute wieder empfindlich? Erstens war ich in der Küche und wurde von Craig hochgeschickt, um dich zu holen. Ich bin also keineswegs freiwillig hier.“ Kenneth streckte sich, um einen Blick auf Mareks Gemächt zu erhaschen, doch er drehte sich geschickt weg und lief wieder zum Bett, wo er unter die Decke schlüpfte.
„Was soll das?“, fragte Kenneth verständnislos und schüttelte den Kopf. „Zweitens habe ich dich ja wohl schon öfter gesehen und das in ganz anderen Situationen und drittens, stell dich nicht so mimosenhaft an und gönne einem alten einsamen Geist auch mal ein wenig Spaß.“
„Darüber diskutiere ich nicht mehr mit dir. Kusch.“ Marek winkte mit beiden Händen, während er aufrecht im Bett saß.
„Kusch? Bin ich eine Katze?“ Kenneth blickte echauffiert zu Marek.
„Kenneth! Raus hier, sonst streue ich später Eichenholzmehl an die Wände.“
Der Geist öffnete entsetzt den Mund. „Diskriminierung!“, postulierte er, drehte sich um und zischte durch die Wand.
Kaum war Marek wieder allein im Zimmer, sprang er aus dem Bett und zog sich schnell etwas an, dann machte er sich auf den Weg nach unten.
Als er an der Tür zur Küche ankam, hörte er Bryne dahinter reden. „Na, hast du ihn geweckt?“, fragte er.
„Nein, ihre Ekeligkeit war schon wach.“
„Was hast du wieder angestellt?“
„Wieso ich? Ich bin in aller Ruhe zu ihm geschwebt und habe gesagt, dass ihr auf ihn wartet. Genau wie mir Craig aufgetragen hat“, gab sich Kenneth ahnungslos.
„Und …?“, fragte Bryne. Seiner Stimme war anzuhören, dass er Kenneth nicht glaubte.
„Und dann ist er sofort ausfällig geworden.“
Marek schob die Tür auf. „Ich war nicht ausfällig, ich habe dir nur deine Grenzen aufgezeigt. Wieder einmal.“
„Wenn der Herr nicht unbekleidet gesehen werden möchte, dann sollte er sich etwas anziehen“, maulte Kenneth.
„Ah, daher weht der Wind“, erwiderte Bryne grinsend.
„In unserem Schlafzimmer laufe ich herum, wie es mir passt.“
„Kenneth, du kleiner Spanner“, rief Bryne, während Marcus und Craig vergnügt den Schlagabtausch der drei verfolgten.
„Wie jetzt? Er darf mich beleidigen und ich bin der Buhmann?“, zischte Kenneth.
„Ich habe dich nicht beleidigt, ich habe lediglich mit Eichenholzmehl an den Wänden gedroht.“
„Da!“ Kenneth deutete auf Marek. „Hört ihr es? Schon wieder. Entwürdigend und diskriminierend!“ Er funkelte Marek an und verschwand mit einem Wusch in der Wand hinter dem großen Küchenschrank.
„Wenn er kein Geist wäre, würde ich vermuten, dass er mit dem falschen Fuß aus dem Bett gestiegen ist. Was hat er denn heute?“, fragte Marek verwundert.
„Es geht auf Weihnachten zu. Das ist ganz normal“, raunte Marcus und widmete sich wieder der Zeitung.
„Was hat das mit Weihnachten zu tun?“
„Na, wegen des Fluchs. Am Weihnachtstag kommt doch Lucas. Das macht ihn jedes Jahr nervös“, erwiderte Craig.
„Ich würde mich freuen, wenn der Tag, an dem ich mit meinem Geliebten zusammen sein kann, kommen würde“, sagte Marek verwundert.
„So ein bisschen kann ich ihn schon verstehen“, entgegnete Bryne. „Durch den Fluch sehen sie sich jede Nacht nur für eine Minute in den Spiegeln. Wenn man sich dann leibhaftig gegenübersteht, dann ist das schon eine ziemlich große Sache. Stell dir vor, du würdest Craig jedes Jahr nur für vierundzwanzig Stunden sehen können.“
Marek beugte sich zu Craig hinunter, hinter dem er stand, und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. „Unvorstellbar.“
„Außerdem war das noch gar nichts“, erwiderte Bryne, den Blick wieder auf sein Tablett gewandt.
„Du meinst, das wird noch schlimmer mit ihm?“ Marek erntete für diese Frage nur allgemeines Raunen und Nicken. Er konnte sich kaum vorstellen, dass Kenneth noch unausstehlicher werden konnte.
„Was steht für diese Woche an?“, erkundigte sich Luise, die vom Ofen aus, das Gespräch mitverfolgt hatte. „Kommen neue Gäste?“
Marcus blätterte eine Seite um. „Ja, heute kommen zwei neue. Beide haben sich für länger eingebucht. Wenn sie eingecheckt haben, würde ich später mit Bryne in den Wald gehen, um die Bäume zu fällen, die ich vor zwei Wochen gesät habe. Mir wäre es recht, wenn wir die Weihnachtsbäume bis zum Ende dieser Woche fertig geschmückt in den Räumen hätten. Am Sonntag ist der erste Advent.“
„Muss das sein? Immer dieser Weihnachtsklamauk“, maulte Bryne.
Marcus knickte eine Ecke der Zeitung um und funkelte Bryne an. „Mein lieber Bryne, die meisten hier lieben nun einmal Weihnachten und nur, weil es in Wassermannkreisen nicht üblich ist, dieses Fest zu feiern, werden wir bestimmt nicht darauf verzichten“, ermahnte er ihn, während Bryne ihn pantomimisch nachäffte.
„Wie groß sind denn die Bäumchen, wenn du sie erst vor zwei Wochen gesät hast“, mischte sich Marek lachend ein. Das mussten ja winzige Bäume sein.
„Der in der Eingangshalle so an die vier Meter und die beiden, die im Kaminzimmer und im Speisesaal stehen, werden zweieinhalb bis drei Meter hoch sein“, antwortete Marcus gleichmütig hinter seiner Zeitung.
„Was sind das für Bäume?“, fragte Marek ungläubig.
„Nordmanntannen – was sonst?“ Marcus nahm das Tageblatt herunter. „Bevor du dir weiter deinen Kopf zermarterst: Ich habe die Samen ein kleines bisschen magisch frisiert. Die Bäume wachsen genauso, wie sie es sollen!“
„Kann ich mitkommen? Das würde ich gerne sehen!“ Mareks Neugier war geweckt. Schnellwachsende Bäume aus magisch frisierten Samen, das klang nach etwas, das er selbst sehen musste.
„Also, ich bin dann mal weg.“ Craig erhob sich und gab Marek einen Kuss zum Abschied. „Ich habe heute ein paar Meetings und werde erst am späten Abend wiederkommen. Euch einen erfolgreichen Tag.“ Er zwinkerte Luise zu und schon war er durch die Tür verschwunden.
Marcus brummte hinter seiner Zeitung.
„Was ist los?“, erkundigte sich Marek und streckte sich, um ihn besser sehen zu können.
„Der Besitzer des Kaufhauses in Darkmoor ist erfroren.“
„Oh. Das tut mir leid. Kanntest du ihn gut?“
„Nicht besonders“, murmelte Marcus, während er weiterlas.
„Irgendwann erwischt es eben jeden, nicht wahr?“ Bryne stand auf, sein Blick fiel auf Marcus, der ihn abschätzig betrachtete. „Na ja, ich meine, bei Menschen kommt irgendwann der Punkt, an dem sie sterben … müssen.“ Er stockte und schob ein „Auch wenn das überaus bedauerlich ist“ hinterher.
Marcus schüttelte stumm seinen Kopf und legte die Zeitung beiseite. „Du holst die Säge. Sobald die Gäste eingecheckt haben, gehen wir los“, wies er Bryne an.
„Ich brauche Bryne aber auch heute oder morgen“, warf Luise ein. „Wir müssen dringend nach Darkmoor – ich will Cookies backen und brauche noch jede Menge Zutaten.“
Bryne blickte genervt von Marcus zu Luise. „Sonst noch Wünsche? Verfluchtes Weihnachten“, raunte er.
***
Marcus ging mit einem Staubtuch bewaffnet an die Rezeption. Sorgsam wischte er über die Tischplatte, um sie von den wenigen Staubkörnern zu befreien, die sich darauf abgesetzt hatten. Anschließend schlug er das Buch mit den Buchungen auf, das er aus der Schublade unter dem Tresen geholt hatte.
Es klopfte am Eingangstor. Er ließ das Buch liegen und eilte zum Eingang, um zu öffnen. Es klopfte erneut, kurz bevor er da war. Als Marcus die Tür aufzog, stand ein Mann mit runder Nickelbrille vor ihm, den er um fast einen ganzen Kopf überragte. Er hatte kurze rote Haare, die ziemlich zerzaust aussahen. Neben einem dichten Schnauzer trug er einen Dreitagebart, der jedoch größere Lücken aufwies. Der Mann machte insgesamt einen etwas derangierten Eindruck.
„Ja, bitte?“, begrüßte ihn Marcus.
„Hallo, mein Name ist Nelson O’Brien. Ich habe ein Zimmer reserviert.“
„Richtig!“ Er trat einen Schritt zur Seite und machte einen angedeuteten Diener, um den neuen Gast hereinzubitten. „Willkommen Mr O’Brien. Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Anreise.“
Beim Hereingehen blieb Nelson mit einem Fuß an der kleinen Stufe, die über die Türschwelle führte, hängen, sodass er stolperte. Er ruderte mit seinem Köfferchen, das er in der Hand trug, wild in der Luft herum und versuchte so, sein Gleichgewicht zurückzuerlangen, was ihm jedoch nicht gelang. Unsanft landete er auf seinem Bauch direkt vor Marcus` Füßen, während der Koffer knapp zwei Yards über den Boden schlitterte.
„Hopsala“, entfuhr es Marcus, der sich aufgrund des grotesken Anblicks ein Grinsen verkneifen musste.
„Nichts passiert, nichts passiert“, presste Nelson heraus, während Marcus ihm wieder auf die Beine half und ihm das Revers seiner Jacke sauber klopfte.
Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass Bryne vom Speisesaal in die Halle kam. „Gut, dass du kommst“, rief er ihm zu. „Kannst du bitte mal den anderen Koffer von Mr O’Brien holen. Er steht noch vor der Tür.“
„Natürlich.“ Bryne ging nach draußen und nahm das Gepäckstück, das wohl ungewöhnlich schwer für seine Größe war. Der Wassermann hatte sichtlich Mühe, es zu tragen. Er stellte den Koffer neben Nelson, der sich inzwischen vor dem Rezeptionstresen eingefunden hatte und sich die Brille richtete.
„Nelson O’Brien.“ Marcus blätterte im Buchungsbuch. „Da habe ich Sie. Sie haben für sechs Wochen gebucht? Sie werden also über Weihnachten und Silvester bei uns sein.“
„Richtig“, stimmte Nelson zu und lächelte verlegen Bryne an.
„Ich hoffe, Sie werden die Ruhe, die Sie hier finden werden, genießen“, entgegnete Marcus freundlich.
„Deswegen bin ich hier. Ich bin Schriftsteller und schreibe momentan an einem Horrorroman, der in einem schottischen Moor spielt. Ich erhoffe mir hier die nötige Inspiration.“
„Die werden Sie finden.“ Marcus’ Blick fiel auf Bryne. „Da bin ich mir sicher“, ergänzte er und widerstand dem Drang, seine Augenbraue zu heben. „Dann bekomme ich nur noch hier ein Autogramm von Ihnen.“ Er deutete auf die Zeile hinter Nelsons Namen.
Nelson nahm den Stift, den ihm Marcus hinhielt, und drehte das Buch voller Elan zu sich. Dabei übersah er die Vase mit Blumen, die auf dem Tresen stand. Schwungvoll segelte sie Richtung Boden, ehe Bryne sie im letzten Moment auffing.
Nelson sah ihr erschrocken nach. „Nichts passiert“, rief er und blickte entschuldigend zu Marcus. „Ich bin heute aber auch ein kleiner Schussel.“
„Das kann doch mal passieren“, wiegelte Marcus gequält lächelnd ab und zog nun doch seine rechte Augenbraue kaum merklich nach oben.
„Aber eine gute Reaktion – alle Achtung“, lobte Nelson und sah bewundernd zu Bryne.
„Dafür sind wir Wass… – Ähm – ich war früher Sportler“, erwiderte Bryne.
„Bryne, kannst du Mr O’Brien sein Zimmer zeigen und ihm mit seinem Gepäck helfen?“
Nelson verabschiedete sich von Marcus und lief gemächlich mit seinem Köfferchen Richtung Treppe, während Bryne wieder seinen großen Koffer nahm.
„Und pass auf, dass er auf dem Weg nach oben nicht versehentlich etwas Wertvolles zerstört“, raunte Marcus ihm im Vorbeigehen zu.
„Ich bringe ihn sicher auf sein Zimmer.“
„Dafür seid ihr Wassermänner ja bekannt, nicht wahr?“, flüsterte Marcus spöttisch und schüttelte den Kopf.
Bryne erschien kurz darauf wieder bei Marcus. Dieser hatte in der Zwischenzeit schon eine Leiter und eine schwere Tannengirlande herbeigezaubert.
„Kannst du mir mal helfen? Die Girlande muss außen über die Eingangstür“, bat er ihn.
„Warum zauberst du sie nicht einfach dorthin?“, fragte Bryne und lehnte sich gelassen an den Tresen.
„Bryne! Wenn ich jede Deko an den Ort zaubern würde, an den sie hingehört, wäre meine Kraft innerhalb eines Tages verbraucht. Zudem habe ich nicht mehr allzu viel davon übrig und wir haben erst Ende der Woche wieder Vollmond.“
„Scheiß Weihnachten. Kannst du dir nicht einfach unendlich viel Kraft herbeihexen?“
„Und vor dem magischen Rat landen? Nein, danke.“
„Wieso sollten sie davon Wind bekommen?“
„Sie würden es, wir tragen nicht umsonst das Mal auf der Brust.“
„Da hat man zwei Hexer und jedes Mal, wenn man sie braucht, haben sie keine Kräfte mehr“, maulte Bryne.
„Ich habe die Regeln nicht gemacht“, verteidigte sich Marcus. „Sei lieber froh, dass wir überhaupt hexen können, sonst könntest du deine Wohnung selbst putzen. Die Leiter bitte.“
Mürrisch stieß sich Bryne vom Rezeptionstresen ab und ging zur Leiter. Er schnappte sie sich und klappte sie vor der Eingangstür auf der obersten Stufe auf, dann half er Marcus, die Girlande nach draußen zu tragen. Lustlos stieg er die Leiter hinauf und befestigte die Dekoration am dafür vorgesehenen Haken, danach vollzog er das Gleiche auf der anderen Seite.
„So, und jetzt nur noch in der Mitte“, wies Marcus an.
„Warum machen wir uns eigentlich die ganze Mühe? In ein paar Wochen hängen wir sie dann wieder ab. Es wäre doch viel praktischer, sie gar nicht erst aufzuhängen.“
„Ich bitte dich.“ Marcus schüttelte verständnislos den Kopf. „Es ist Weihnachten.“
„Ist dieses ‚es ist Weihnachten‘ jetzt die Entschuldigung für alles?“
Das Geräusch eines herbeifahrenden Wagens beendete ihre Diskussion. Ein Taxi hielt vor dem Tor. Einen Moment später stieg eine junge Frau aus. Der Fahrer holte zwei große Koffer aus dem Kofferraum. Sie lächelte ihm freundlich nickend zu. Mit einem verträumten Lächeln auf seinen Lippen verabschiedete er sich und ging wieder ins Auto und fuhr davon.
Marcus und Bryne beobachteten, wie die zierliche Frau, die Marcus auf Anfang dreißig schätzte, die Koffer hochnahm und durch das Tor schritt. Sie blieb stehen und sah sich mit verwundertem Blick um, dann nach oben und wieder zur Seite, schließlich ging sie weiter.
„Das wird Mrs Bender sein. Mach du hier fertig“, wies Marcus an und öffnete das Eingangstor.
Die junge Frau war inzwischen am Schloss angekommen. Sie stieg die wenigen Stufen bis zur Tür nach oben.
„Mrs Bender?“, fragte Marcus.
„Genau die“, erwiderte sie und strahlte Marcus an.
„Hallo“, rief Bryne, der noch immer mit der Girlande in der Hand auf der Leiter stand, nach unten, während Marcus ihr die Tür aufhielt.
„Hallo“, antwortete sie und sah zu Bryne hoch. Ihr Blick glitt an seinem Körper nach unten und blieb an seinem Hintern hängen, der sich genau in ihrer Augenhöhe befand.
„Reizende Aussichten“, stellte sie amüsiert fest und ging durch die Tür in die Halle.
„Äh, danke“, entgegnete Bryne verdattert und sah ihr nach. Marcus folgte ihr. Sie hatte einen selbstbewussten Gang. Bei jedem ihrer Schritte wippte ihr Pferdeschwanz fröhlich auf und ab. Marcus lief an ihr vorbei und steuerte den Tresen an. Das Buchungsbuch lag noch immer aufgeschlagen darauf.
„Lisa Bender. Bis Anfang Januar ein Doppelzimmer. Kommt Ihre Begleitung nach?“, erkundigte sich Marcus.
„Nein. Ich reise allein.“ Sie zwinkerte Marcus frech entgegen und lächelte ihn an. „Aber ich habe gerne viel Platz – vor allem im Bett.“
Er drohte in ihrem Blick zu versinken, besann sich aber sogleich. „Schön zu hören. Ich meinte, gut zu wissen“, stammelte er. „Was führt Sie in unsere Gegend?“
„Wissen Sie Mr?“
„Marcus, nennen Sie mich einfach Marcus.“
„Wissen Sie, Marcus, ich erfülle mir hier einen langersehnten Traum. Ich wollte schon immer einmal Weihnachten auf einem Schloss verbringen. Das halten Sie bestimmt für töricht.“ Sie schlug ihre Augen auf und fixierte Marcus mit unschuldigem Blick.
„Ich bitte Sie, das ist doch nicht töricht“, wiegelte er ab und kicherte. „Ich, also wir, fühlen uns geehrt, dass Sie für dieses Unterfangen Grisper Castle auserwählt haben.“
„Sie haben einen ausgezeichneten Ruf und wenn ich mir diesen Wunsch erfülle, dann möglichst am besten Ort, den es dafür gibt. Und wie ich sehe, auch ein Ort mit überaus charmanten Männern“, entgegnete Lisa lächelnd.
Marcus spürte bei ihrer Lobhudelei Wärme in seinen Wangen aufsteigen. „Bryne“, röchelte er mit beschlagener Stimme und räusperte sich. „Bryne“, donnerte er nun markant, dabei versuchte er dennoch sanft zu klingen. „Würdest du das Gepäck von Mrs Bender auf ihr Zimmer bringen?“
Bryne stieg von der Leiter und klappte sie zusammen, dann kam er mit ihr unter dem Arm zur Rezeption gelaufen.
„Aber ich bitte Sie, Marcus – selbst ist die Frau. Wir leben nicht mehr im 19. Jahrhundert. Das schaffe ich ganz gut alleine.“ Sie strahlte Marcus an. Ehe sich die beiden versahen, hatte Lisa den Schlüssel in ihrer Hosentasche verschwinden lassen, ihre Koffer gepackt und war Richtung Treppe gelaufen.
„Einen schönen Tag und einen angenehmen Aufenthalt“, rief ihr Marcus noch nach.
„Den werde ich haben“, antwortete Lisa, ohne sich umzudrehen, schon war sie die Treppe nach oben verschwunden.
„Ist da etwa jemand verliebt?“, witzelte Bryne und kitzelte ihn mit einem Zeigefinger an der Seite seines Brustkorbs.
„Lass das.“ Marcus schlug Bryne die Hand weg. „Ich bin nur höflich – wie zu allen Gästen.“
Ein Rumpeln und ein Huch, das eindeutig von Lisa stammte, ließ die beiden zusammenfahren, kurz darauf hörten sie aus der Richtung des ersten Stocks ein „Nichts passiert!“
„Erinnere mich daran, dass ich unsere Gebäudeversicherung bezüglich der Abdeckungshöhe überprüfe“, stöhnte Marcus.
Marcus, Bryne und Marek steuerten eine kleine Lichtung inmitten des Nebelwalds an. Ein magischer Kompass, den Marcus bei sich trug, wies ihnen die Richtung.
„Da hinten, an der alten Eiche, müssen wir uns rechts halten. Dann sind wir da“, sagte er, deutete in die Richtung und stapfte über den frisch eingeschneiten Waldboden. Knirschend tauchten ihre Schuhe in den Schnee.
„Warum benutzt du nicht einfach dein Handy?“, erkundigte sich Bryne.
„Wofür?“, fragte Marcus, der vorauslief.
„Na, für das Finden der Weihnachtsbäume? Standort setzen und hinnavigieren lassen, fertig!“
„Es ist Tradition, dass ich die Bäume mit dem Kompass suche. Das habe ich schon immer so gemacht.“
„Wenn die Menschheit immer an Traditionen festgehalten hätte, würden wir noch in Höhlen sitzen und bräuchten keine Weihnachtsbäume“, konterte Bryne.
„Und wenn die Menschheit nicht gelegentlich an ihren Traditionen festhalten würde, würde ganz schnell Anarchie herrschen“, erwiderte Marcus abgeklärt, ohne den Blick vom Kompass in seiner Hand zu nehmen.
„Warum säst du die Bäume nicht auf dem Schlossgelände? Weswegen säst du sie überhaupt? In Darkmoor bekommst du sie an jeder Ecke nachgeschmissen.“ Bryne war stehen geblieben und sah zu Marcus.
Marcus wandte sich um. Sein verständnisloser Blick traf Bryne, doch er schwieg.
„Sag nichts – ich weiß – Tradition“, brummte Bryne, dem wohl klar geworden war, dass eine Diskussion keinen Sinn machte, und lief weiter.
Marek schlenderte den beiden hinterher, lauschte ihrem Rededuell und schmunzelte in sich hinein.
„Wir sind da“, stellte Marcus fest. Sie traten aus dem Wald auf eine Lichtung, in deren Mitte drei wunderschön gewachsene Tannenbäume standen.
„Wow“, entfuhr es Marek, „die sehen ja wirklich wie gemalt aus.“
„Übertreib nicht“, erwiderte Marcus grinsend und warf Bryne einen spöttischen Blick zu. „Solche bekommst du in Darkmoor an jeder Ecke nachgeschmissen, richtig Bryne?“
„Ich kann auch wieder gehen“, murrte der.
„Nicht, bevor du sie uns geschlagen hast“, wies Marcus an.
„Aus welchem Grund hext du sie nicht einfach um?“, maulte Bryne.
„Meine Kraft reicht nur noch für eins. Entweder ich hexe sie um und wir schleppen sie nach Hause oder du sägst sie um und ich hexe sie ins Schloss. Was ist dir lieber?“
„Was ist mit dir?“, brummte Bryne und sah zu Marek.
„Meine Kraft ist schon am Wochenende aufgebraucht gewesen“, antwortete Marek und zuckte mit den Schultern.
Bryne schien kurz zu überlegen, dann stapfte er grummelnd mit der Säge zum ersten Baum. Er legte sie an und zog durch, während Marcus und Marek in genügend großem Abstand am Waldrand warteten.
„Marcus?“, flüsterte Marek und legte seinen Kopf in die Richtung des Butlers.
„Ja, Marek?“
„Du hast mir doch erst gestern erzählt, dass du in dieser Periode kaum gezaubert hast. Wie kann es dann sein, dass deine Kraft aufgebraucht ist?“
„Sagen wir mal so – ich gönne unserem Bryne eine kleine weihnachtliche Beschäftigungstherapie. Es macht mir einfach Spaß, wenn er so maulig ist.“
Marek grinste. „Du bist ganz schön gemein!“, raunte er.
„Vielleicht. Gönn einem alten Mann seinen Spaß.“ Ein feines Lächeln schob sich auf seine Lippen.
„Na gut. Ich lasse ihn dir, deinen Spaß.“
„Ach, und Marek?“, flüsterte Marcus, ohne seinen Blick von Bryne zu nehmen. „Ich wäre dir überaus dankbar, wenn du das für dich behalten könntest.“
Bryne hatte ganze Arbeit geleistet, der erste Baum fiel in den Schnee und auch die anderen beiden Tannen hielten der Kraft des Wassermanns nicht lange stand. Als Bryne zurück zu den beiden kam, stand ihm dennoch der Schweiß auf der Stirn.
„Danke mein Lieber, dafür koche ich dir später eine schöne Tasse Tee, gleich nachdem du mir beim Aufstellen der Bäume geholfen hast.“ Marcus lächelte ihn freundlich, aber bestimmt an.
„Aufstellen müssen wir sie auch noch?“
„Ja, natürlich. Sie müssen sich aushängen und morgen bin ich unterwegs, wie du weißt.“
„Wo bist du denn?“, erkundigte sich Marek.
„Ich habe einen Termin!“, bemerkte Marcus kurz und blickte abwehrend zu Bryne.
„In Darkmoor?“, bohrte Marek weiter.
„Sei nicht so neugierig. Es ist eine Überraschung und Punkt.“
Für Marek klang Marcus’ Antwort wie eine Abfuhr. Er wunderte sich, da er für gewöhnlich alles mit ihm besprach, nun jedoch schwieg.
„Dann können wir ja zurück zum Schloss“, stellte Marcus fest und holte seinen Kompass wieder aus der Jackentasche.
„Was ist mit den Bäumen?“, fragte Bryne und deutete auf die drei im Schnee liegenden Tannen.
„Backur“, murmelte Marcus und die Bäume verschwanden augenblicklich. Nur noch die Kuhlen im Schnee zeugten davon, dass sie an dieser Stelle gelegen hatten.
„Das war alles? Backur und fertig? Und dafür soll jetzt deine restliche Kraft draufgegangen sein?“
„Ich mache die Regeln nicht, erinnerst du dich?“
Als die drei zurück zum Schloss kamen, lagen die drei Bäume fein säuberlich gestapelt vor dem großen Eingangstor.
„Vortrefflich. Bryne, packst du mal mit an?“ Marcus formulierte seinen Befehl dieses Mal als Frage und stellte sich an die Spitze der Bäume. Widerwillig ging Bryne zum Stamm und hob an.
„Marek, öffnest du bitte die Eingangstür? Dieser hier kommt in die Eingangshalle.“
„Der Stamm klebt“, murrte Bryne, als er den Baum die Stufen hochhievte.
„Sei nicht so mimosenhaft. Dafür gibt es Wasser und Seife!“, kommentierte Marcus die Nöte des Wassermanns.
Kurz darauf stand der Baum in voller Pracht in seinem Ständer in der Ecke der Eingangshalle. Sofort erfüllte Tannenduft die Luft. Eine knappe Stunde später zierten je ein Baum auch den Speisesaal und das Kaminzimmer.
„O mein Gott, was für eine Augenweide“, platzte es aus Kenneth, als er den Baum in der Eingangshalle entdeckte.
Bryne lehnte an der Tür zum Speisesaal und verzog missmutig das Gesicht. „Das ist keine Augenweide, sondern ein Baum. Ein wohlgemerkt unnötiger Baum, da er in spätestens zwei Monaten zum Schornstein hinausgeht.“
„Jetzt sei nicht so unromantisch. Das ist der schönste Weihnachtsbaum, den wir je hatten. Und wenn du ihn erst noch geschmückt hast …“, schwärmte Kenneth.
„Das kannst du vergessen. Ich bin hier für die Muskelaufgaben zuständig. Wenn du ihn geschmückt haben willst, dann schmücke ihn gefälligst selber!“, fuhr ihm Bryne über den Mund.
„Was ist unserem Kiemenatmer denn heute für eine Laus über die Leber gelaufen?“
„Ich hasse Weihnachten und nenn mich nicht noch einmal Kiemenatmer, du löchriges Bettlaken, sonst setzt es was.“ Bryne funkelte den Geist an.
Kenneth grölte los: „Du willst mir doch nicht etwa körperliche Gewalt androhen?“
Ein breites Grinsen eroberte Brynes Mundwinkel. „Besser! Ich könnte Eichenholzmehl an die Wand im Dachboden streuen, wenn du dein nächtliches Tête-à-Tête mit Lucas hast. Nach Weihnachten lasse ich dich wieder raus.“
Kenneth riss den Mund auf, doch es kam kein Laut heraus, seine Augen verengten sich. Voller Wut schoss er in den Wassermann.
„Hey, geh sofort raus aus mir!“, zeterte Bryne.
Marcus stand an der Rezeption und schüttelte den Kopf, während Marek lachend danebenstand.
„Ihr benehmt euch wie im Kindergarten. Kenneth, raus aus Bryne und Bryne halt dich zurück, hier werden keine Experimente mit Eichenholzmehl unternommen, sonst wird deine Wohnung aus dem Reinigungszauber ausgeschlossen!“
Kenneth schoss aus Bryne, funkelte ihn wütend an und verschwand.
***
Nach dem Abendessen schlenderte Marek durch die Eingangshalle zur Treppe und ging hinauf. Durch die Fenster schien der fast volle Mond herein. Er passierte die Tür in den Gang, in dem sich seine Wohnung befand. Als er an einem der Bilder, die an der Wand gegenüber der Fenster hingen, vorbeilief, zuckte er zusammen. Ihm war, als hätte er im Augenwinkel eine Gestalt in der Spiegelung der Fensterscheibe gesehen. Er ging einen Schritt zurück, zu der Stelle, an der er die Gestalt vermutete, und blicke zur Scheibe. Doch in ihr spiegelte sich lediglich die Wand gegenüber. Marek schüttelte belustigt den Kopf. Jetzt halluzinierst du schon dachte er und ging weiter. Vor der Tür zu seiner Wohnung saß Amadeus und wartete auf ihn.
„Na du, hast du Hunger?“, fragte Marek den Kater, der als Antwort schnurrend um seine Beine strich.
Marek öffnete die Tür, und Amadeus schoss in den Raum, wo er sich mit einem flehenden Blick neben seinem Futternapf platzierte. Schmatzend stürzte er sich über den selbigen, als Marek ihm eine große Portion Futter hineinfüllte.