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Erlebe den spannenden und humorvollen neuen Fall, gespickt mit skurrilen Charakteren und überraschenden Wendungen. Auch dieses Mal erwarten dich Spannung, Witz und jede Menge Geheimnisse. Hunter B. Holmes hätte es sich nie träumen lassen, dass sein Leben sich in ein schillerndes Abenteuer verwandeln würde, als er Steven getroffen hat. London ist seitdem lebendiger, bunter und aufregender geworden. Romantische Momente, wie ein zarter Kuss im Regen verstärken den Zauber der Stadt. Doch viel Zeit für Zweisamkeit bleibt ihm nicht, denn schon wartet der nächste Fall auf den abgeklärten Ermittler. Ein Mord in einem edlen Gentlemen’s Club zieht Hunter und seinen Partner David in eine komplexe Ermittlung, die sie durch die verborgenen Ecken Londons und in die Kreise der gehobenen Gesellschaft führt. Zwischen exklusiven Clubs und noblen Villen, lauern alte Geheimnisse, denn nichts ist so, wie es scheint. Eine Gruppe von Geschäftspartnern, die alle etwas zu verbergen scheinen, steht schon bald im Zentrum der Ermittlungen. Und während Hunter tief in die Verwicklungen des Falls eintaucht, wird seine frische Beziehung zu Steven auf die Probe gestellt, als plötzlich Geheimnisse seiner Vergangenheit an die Oberfläche kommen. Ein Krimi voller Charme, Romantik und Spannung, der die Leser in eine Welt voller glitzernder Lichter und dunkler Geheimnisse entführt.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Mord in der besten Gesellschaft
von
Wolf September
Impressum
Wolf September
c/o WirFinden.Es
Naß und Hellie GbR
Kirchgasse 19
65817 Eppstein
www.wolfseptember.de
Instagram: wolf_september_info
Facebook: autorwolfseptember
Lektorat & Korrektorat
Matti Laaksonen - www.mattilaaksonen.de
Coverdesign: Lilly Schwarz
Bildrechte: © Ravven /© natalt - de.depositphotos.com
Alle Rechte vorbehalten.
Nachdruck, Vervielfältigung oder anderweitige Veröffentlichung sind nicht gestattet und bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung des Autoren (Ausnahme: kurze Zitate für Rezensionen). Sämtliche Handlungen und Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten, wie die Namen der Protagonisten, mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Orte, Markennamen, Künstler und Lieder werden in einem fiktiven Zusammenhang verwendet. Örtliche Begebenheiten wurden teilweise oder ganz für den Storyverlauf angepasst. Alle Markennamen und Warenzeichen, die in diesem Roman verwendet werden, sind Eigentum der jeweiligen Inhaber.
Vielen lieben Dank an meine Testleser
Björn, Sandra, Susan, Rina, Antonia, Stefan und Lisa
die mich mit Tipps, Hinweisen und
sehr umfangreichem Feedback unterstützt haben.
Schön, dass es Euch gib
Millionen von Lichtern erhellten den Leicester Square, als Hunter und Steven im Strom der anderen Besucher aus dem Kino gespült wurden. Das Gewitter, das über London hereingebrochen war, als sie hineingegangen waren, war weitergezogen und es hatte aufgehört zu regnen. Der nasse Asphalt reflektierte die Lichter der Straßenlaternen und Leuchtreklamen und gab Hunter das Gefühl, in ein funkelndes Wunder getreten zu sein. Für einen Samstagabend war auf dem sonst belebten Platz verhältnismäßig wenig los, was sicher auch an dem wenig einladenden Wetter lag.
Er nahm Stevens Hand und zog ihn an sich, als sie vor dem Eingang stehen blieben. Mit einem tiefen Blick in seine Augen küsste er ihn innig. Seit er mit ihm zusammen war, hatte sich die Welt für ihn verändert. Lebendiger, wilder, wärmer, bunter war sie geworden. Selbst in den alltäglichsten Dingen entdeckte er seither eine nie gekannte Schönheit.
Ein lauer Wind strich über sie hinweg. Die Luft roch nach nassem Asphalt, aber auch nach feuchter Erde.
Hunter löste sich von Steven. „Hat dir der Film gefallen?“
Ein verschmitztes Grinsen schob sich auf Stevens Lippen. „Ich fand ihn ganz gut, wobei ja von Anfang an klar war, dass es der Gärtner war.“
„War es das?“ Er ließ Steven los und rieb sich über das Kinn. Sein Blick fiel auf ein Pärchen, das in dem kleinen Park gegenüber dem Kino unter einem der Bäume stand und sich leidenschaftlich küsste. „Ich hatte bis kurz vor Ende den besten Freund der Familie in Verdacht.“
Steven strich sanft über Hunters Wange. „Mortimer? Tss, tss … und das passiert ausgerechnet dir. Es ist immer der Gärtner, das weiß doch jeder.“
„Mitnichten, mein Freund. Um genau zu sein, stammt diese Behauptung aus einem alten Agatha-Christie-Film und hat sich irgendwann verselbstständigt. So wie die Macht immer mit dir ist.“ Hunter zwinkerte ihm amüsiert zu. „Nichts weiter als ein Filmzitat.“
„Ah, der Experte spricht“, frotzelte Steven und pikste Hunter in die Seite seines Brustkorbs. „Du hast also noch nie einen Gärtner verhaftet?“
Hunter rieb sich erneut das Kinn, um in der nächsten Sekunde zur Seite zu springen, als ein Mann mit einem geöffneten Regenschirm vor dem Gesicht auf ihn zugerannt kam.
„Hey, es regnet nicht mehr“, rief er ihm hinterher, schüttelte den Kopf und wandte sich wieder Steven zu. „Wenn du mich so fragst, nicht dass ich wüsste. Es gibt keine Statistiken über die Berufe von Mördern. Aber ich glaube, der Anteil der Gärtner wäre verschwindend gering.“
„Warum?“
„Bei Mord geht es oftmals ums Geld. Aber es war immer der Bankier oder der Notar, klingt wohl nicht so griffig, findest du nicht?“
Steven lachte auf. „Okay, ich gebe mich deinem Fachwissen geschlagen. Das nächste Mal gehen wir in eine romantische Komödie.“
„Du bist der Boss“, erwiderte Hunter grinsend. „Wollen wir?“ Er deutete in Richtung Piccadilly Circus, gab Steven einen flüchtigen Kuss und nahm ihn an der Hand. Gemeinsam schlenderten sie die Straße entlang, am M&Ms vorbei.
„Es ist schön mit dir“, hauchte Steven Hunter zu. „Dieser Abend sollte nie zu Ende gehen.“
„Hmm“, raunte Hunter und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, hatte er genau in dieser Sekunde denselben Gedanken gehabt. „Wie wäre es denn noch mit einem Gläschen Wein über den Dächern von London?“
„Hast du irgendwo einen Tisch reserviert?“, fragte Steven erstaunt und strahlte über das ganze Gesicht.
„Nicht ganz.“ Hunter blieb stehen und suchte seinen Blick. „Vertraust du mir? Es ist nur ein paar Haltestellen von hier entfernt.“
Steven verzog den Mund und hob eine Augenbraue an, dann schob sich ein breites Grinsen auf seine Lippen. „Dann lass uns gehen.“
Sie umrundeten die Shaftesbury Memorial Fountain, als sie auf die U-Bahn zugingen. Unzählige Touristen standen auf den nassen Stufen und betrachteten die überdimensionalen Werbetafeln am Piccadilly Circus oder die vorbeifahrenden Doppeldeckerbusse, während sie Fastfood aus einem der umliegenden Läden in sich hineinstopften oder Selfies machten.
Hunter und Steven eilten die Stufen, die zwischen zwei alten Straßenlaternen in die Tiefe führten, nach unten.
Etwa eine halbe Stunde später standen sie vor dem Wolkenkratzer, in dem Hunter lebte. Zusammen mit seinem Butler und väterlichem Freund Godric bewohnte er das oberste Stockwerk des Hochhauses.
„Was wollen wir hier?“, fragte Steven ungläubig und blickte das Gebäude hinauf.
„Na ja, also genau genommen … wohne ich hier.“ Hunters Aufregung steigerte sich. Er spürte sein pochendes Herz überdeutlich in seiner Brust. Wie würde Steven reagieren?
Zu seiner Erleichterung sah ihn dieser freudig überrascht an.
„Komm mit.“ Hunter zog ihn an der Hand durch die Glastüre ins Innere.
Hatten sie in den letzten Wochen immer bei Steven übernachtet, fand Hunter nun, dass es an der Zeit war, ihn etwas mehr in sein Leben zu lassen. Steven wusste inzwischen, dass seine Familie reich war. Er wusste, dass sie dem alten englischen Landadel angehörten und dass er einen Butler hatte, was er lachend zur Kenntnis genommen hatte und mit den Worten, „Ist das nicht ein bisschen versnobt?“, kommentiert hatte. Doch weiter war Hunter noch nicht gegangen. Auch wenn er sich sicher war, dass er Steven vertrauen konnte, hatte ihn eine leise Stimme in seinem Kopf zur Vorsicht gemahnt. Ihm war in den letzten Wochen bewusst geworden, wie sehr Brian ihn verletzt hatte und dass die Wunden trotz der langen Zeit noch nicht endgültig verheilt waren.
Diese Stimme war jedoch immer leiser geworden, und nun war sie, ohne dass er es bewusst wahrgenommen hatte, ganz verschwunden.
Hunter drückte den Rufknopf am Lift und linste immer wieder vorsichtig zu Steven, während er am Knopf seines Jacketts fummelte. Dieser Schritt bedeutete mehr für ihn, als er es sich die ganze Zeit hatte eingestehen wollen. Er bedeutete alles.
„Was ist mit dir?“, fragte Steven, dem Hunters Anspannung wohl nicht entgangen war.
Ein Lächeln explodierte auf seinen Lippen, während er schüchtern zu ihm sah. „Ich ... bin ein bisschen nervös.“
„Nervös? Aus welchem Grund?“
„Ob du es glaubst oder nicht: Hier war noch nie ein Mann. Also, jemand …“ Hunter suchte nach den richtigen Worten. „Jemand …, der mir wichtig war. Also …“
Steven strich ihm sanft mit dem Finger über die Lippen und lächelte. Etwas Warmes schob sich in seinen Blick und ein zarter Rotschimmer legte sich auf seine Wangen. Statt eine Antwort zu geben, beugte er sich zu ihm und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. Die Aufzugtüren glitten auseinander und sie stiegen ein.
„Wahnsinn“, brach es aus ihm heraus, als sich die Türen wieder öffneten und Hunters Loft freigaben.
„Willkommen in meinem bescheidenen Reich.“ Alle Aufregung war mit einem Schlag verflogen. Wie der Wind an einem stürmischen Tag über die Haut strich, zog sich die Erleichterung in weichen Wellen durch seinen Körper.
„Und Godric wohnt auch hier oben?“ Steven inspizierte die Küche und ging zur Fensterfront, hinter der die Terrasse lag.
„Godrics Wohnbereich ist da drüben.“ Hunter deutete auf eine Tür seitlich des Lifts und schaute auf seine Armbanduhr. „Aber um diese Zeit wird er wohl schon schlafen.“
„Schade, ich hätte ihn gerne kennengelernt.“
„Das wirst du“, antwortete er, während sich die Lifttüren hinter ihnen wieder schlossen.
Stevens spähte durch die Fenster nach draußen. „Darf ich?“, fragte er und deutete auf den Griff der Schiebetüren.
„Ja, sicher. Geh ruhig vor, ich komme gleich nach.“
Während Steven auf die Terrasse ging, steuerte Hunter die Bar an. Er musterte die verschiedenen Flaschen. Ein Italiener wäre genau das Richtige für einen lauen Sommerabend wie diesen. Steven liebte italienischen Rotwein, das wusste er bereits. Er nahm zwei Gläser aus dem Schrank und schenkte ein, bevor er ihm nach draußen folgte.
„Ich bin überwältigt. Hier oben liegt dir London zu Füßen.“ Hunter beobachtete, wie Stevens Augen sich weiteten, als er den Blick über die Skyline schweifen ließ. Das Leuchten darin spiegelte die Lichter der Stadt und sein Lächeln wuchs unaufhaltsam, bis es alles überstrahlte.
„Auf uns“, prostete ihm Hunter zu.
„Auf uns.“ Mit einem melodischen Klingen stießen die Kelche aneinander.
Der Nachthimmel spannte sich wie ein samtiges Tuch über London, gesprenkelt mit blitzenden Sternen. Die Lichter der Stadt schimmerten wie ein endloses Meer aus Glühwürmchen, das sich bis zum Horizont erstreckte. Ein angenehm kühler Wind strich über sie hinweg. Von weit entfernt wehte das Summen des Verkehrs zu ihnen hoch und die Themse reflektierte die Lichter der Brücken und Gebäude, die sich wie goldene Fäden über den Fluss spannten.
Hunter stellte sein Glas auf dem Mauervorsprung ab und trat hinter Steven, der noch immer am Geländer stand und auf die funkelnde Stadt blickte. Er schlang von hinten die Arme um seinen Körper und verschränkte sie, so dass er ihn fest umklammert hielt, dann legte er den Kopf auf dessen Schulter. Er spürte seine Wärme, roch sein Aftershave und genoss die Nähe zu ihm.
„Ich bin froh, dass du hier bist“, flüsterte er ihm zu.
Steven streckte seinen Kopf nach hinten, so dass er Hunters berührte. „Ich auch.“
Hunter widerstand mit größter Mühe dem Impuls, ihm zu sagen, dass er ihn liebte. Sie kannten sich erst seit ein paar Wochen, war es nicht viel zu früh für ein solches Geständnis? Was er unter keinen Umständen wollte, war, ihn zu verschrecken, auch wenn er es fühlte. Er fühlte es mit jeder Faser seines Körpers. Er, Hunter B. Holmes liebte Steven Flechter.
Als hätte Steven seine Gedanken gehört, drehte er sich um und küsste ihn. „Ich …“, raunte er und hielt inne, während sein Blick in Hunters versank. Dann lächelte er und küsste ihn erneut. Die Lichter der Stadt blitzten auf, wurden heller, gleißend hell, und um Hunter herum verschwamm die Welt.
Hunter drehte sich auf der Matratze um und kuschelte sich an Steven heran, dessen unvergleichlich wohliger Duft ihm in die Nase kroch. Er vermied es, die Augen zu öffnen, sog stattdessen die Luft tief ein und ließ sie mit einem Raunen wieder entweichen. Hinter ihm startete sein Handy die ersten Takte von Don’t go breaking my heart. Er ließ Steven einen Moment los, tastete nach seinem Telefon, das auf dem Schränkchen neben dem Bett lag, und stellte es ab.
Steven grunzte leise auf, als Hunter seinen Arm erneut über ihn legte.
„Müssen wir aufstehen?“, brummte er, als nun auch der Wecker losrappelte.
Hunter sprang aus dem Bett und jagte zur Kommode an der gegenüberliegenden Wand. Er schlug im Dunkeln nach dem Wecker, doch er verfehlte ihn. Krachend fiel er um und lärmte weiter. Im nächsten Augenblick wurde die Tür aufgerissen und Godric stürmte ins Zimmer.
„Guten Morgen, Hunter“, rief er und steuerte schnurstraks das Fenster an. Schwungvoll öffnete er die Jalousien und drehte sich um. Sein Blick fiel auf Hunter, der nackt vor der Kommode stand, und wanderte dann weiter zum Bett, in dem Steven mit weit aufgerissenen Augen saß und die Bettdecke so weit hochzog, dass nur noch sein hochroter Kopf hervorlugte.
„Oh“, stieß Godric aus, er straffte seinen Körper und räusperte sich. „Ich nehme an, wir brauchen ein weiteres Gedeck. Kaffee schwarz?“, fragte er an Steven gewandt.
„Äh, ja danke, bitte ein wenig Milch“, antwortete dieser sichtlich verdattert.
„Selbstverständlich.“ Godric ging drei Schritte auf die Tür zu und verharrte. Dann drehte er sich schwungvoll zu Steven. „Möchte der Gentleman Eier mit Speck?“
Steven schaute hilflos zu Hunter. „Dasselbe wie für mich, Godric. Du magst doch Donuts?“, fragte er.
Steven nickte stumm.
„Ach ja, darf ich vorstellen. Steven: Godric; Godric: Steven.“ Hunter gestikulierte zwischen beiden hin und her.
„Sehr erfreut.“ Godric machte eine angedeutete Dienerverbeugung und verließ das Schlafzimmer. Entgegen seinen Gewohnheiten zog er die Tür hinter sich ins Schloss.
Hunters Blick fiel auf Steven, der entgeistert auf die Tür starrte. „Das war schräg“, sagte er, bevor er im nächsten Moment losprustete. „Ich nehme an, wir haben ihm einen gehörigen Schrecken eingejagt.“
„Warum kommt er einfach in dein Zimmer gerannt?“, stammelte Steven perplex.
Hunter ging zurück zum Bett und setzte sich neben ihn. „Wie du vielleicht mitbekommen hast, bin ich ein Morgenmuffel und Godric hat die Anweisung, mich morgens aus dem Bett zu holen. Stufe 1 ist das Handy, Stufe 2 ist der Wecker und …“
„Stufe 3 ist Godric?“, vervollständigte Steven Hunters Satz mit einer Frage und zog die Augenbrauen zusammen.
„Genau.“ Hunter beugte sich zu ihm und gab ihm einen Kuss. „Dann lass uns mal frühstücken.“ Er stand auf und reichte Steven seine Hand, um ihn aus dem Bett zu ziehen.
Zehn Minuten später saßen sie am Frühstückstisch, während Godric hinter dem Küchentresen lehnte, in der Tageszeitung blätterte und immer wieder versuchte, sie möglichst unauffällig anzusehen.
„Ist alles in Ordnung, Godric?“, fragte Hunter kauend.
„Selbstverständlich Master Holmes, Hunter. Was sollte denn nicht in Ordnung sein?“ Hunter kannte die verschnupfte Stimme, die er immer dann aufsetzte, wenn sie nicht alleine waren und er der Meinung war, in seiner offiziellen Funktion als Butler sprechen zu müssen.
Steven rieb sich die Handgelenke, zog die Augenbrauen zusammen und murmelte etwas Unverständliches, bevor er aufstand.
„Was ist los?“, fragte Hunter.
„Meine Uhr liegt noch im Schlafzimmer.“
„Warte, ich hol sie dir.“ Hunter wollte aufstehen, doch Steven drückte ihn an der Schulter zurück auf den Stuhl.
„Bleib sitzen, ich bin gleich wieder da.“ Schon war er im Schlafzimmer verschwunden.
Hunter nutzte die Chance und wandte sich an Godric. „Jetzt entspann dich mal. Steven ist …“, raunte er ihm zu und wedelte mit der Hand in der Luft herum.
„Ich weiß, wer und was Steven ist.“ Er blätterte gelassen eine Seite um. „Eine kleine Warnung wäre hilfreich gewesen, bevor …“ Er schaute auf und in Richtung zur Zimmertür.
„Das war eine spontane Idee.“ Hunters Blick fiel auf Steven, der verschämt lächelnd zurückgekommen war.
„Spontan. Ich verstehe.“
„Jetzt sei doch nicht eingeschnappt. Setz dich zu uns und frühstücke erst einmal.“
Zögerlich stand Godric auf, ging zum Schrank und holte sich eine Tasse heraus. Nachdem er sich einen Kaffee eingeschenkt hatte, setzte er sich zu ihnen. „Auch wenn ich eine andere Art der ersten Begegnung bevorzugt hätte – ich freue mich, dass ich Mr Steven endlich einmal kennenlerne“, erwiderte Godric und klang nur noch halb so verschnupft.
Hunter grinste. „So schlimm war es doch gar nicht, Godric.“
„Eine offiziellere Vorstellung wäre von mir bevorzugt worden.“
„Also Godric, du hast mich doch schon öfter nackt gesehen.“
„Es sind die Umstände, Hunter.“
Hunters Blick blieb an einem Päckchen hängen, das auf der Kommode unter dem Spiegel lag, und er zog die Augenbrauen zusammen. „War die Post schon da?“
Godric schoss hoch. „Du gute Güte, das habe ich in all der Aufregung ja beinahe vergessen!“ Er holte das Päckchen und öffnete es. Hunter wusste, noch bevor er das Buch herausgezogen hatte, was es war. Mit einem verträumten Ausdruck im Gesicht strich Godric über den Einband.
„Ist das ein Inspector Flatterly?“, fragte Steven und reckte den Kopf.
„Du kennst die Bücher?“ Überrascht hob Hunter eine Augenbraue. Von einem Universitätssekretär hätte er alles erwartet, aber kein Interesse für Trivialliteratur.
„Natürlich kenne ich sie. Ich habe sie während meines Studiums gelesen. Immer dann, wenn ich den Kopf freibekommen wollte.“ Steven sah wieder zu Godric, der das Gespräch der beiden mit einem freudigen Lächeln verfolgt hatte. „Welcher Band ist das?“
„Der neueste. Inspector Flatterly und der Garten des Todes“, erwiderte Godric voller Begeisterung in der Stimme.
Hunter stützte das Kinn auf seiner Hand ab. „Ich nehme an, der Mörder ist der Gärtner.“
Verständnislos öffnete Godric den Mund. „Natürlich. Ist es nicht immer der Gärtner?“
Hunter schaute zu Steven, der ihn breit angrinste.
„Meine Worte.“ Dann wandte er sich wieder an Godric. „Genau wie in Inspector Flatterly und das Gift der Gärtnerin.“
„Ich liebe dieses Buch“, entgegnete Godric enthusiastisch. „Das habe ich bestimmt schon drei- oder viermal gelesen.“ Seine Augen sprühten vor Verzückung, und für einen Moment erinnerte er Hunter an ein aufgeregtes zwölfjähriges Mädchen, das vor seinem Lieblingssänger stand.
„Viermal? Aus welchem Grund?“, fragte Hunter verdutzt. „Warum sollte man einen Krimi mehrmals lesen? Ein zweites Mal wäre vielleicht noch zu verstehen, um zu erkennen, wo der Autor die Hinweise gestreut hat. Andererseits weiß man in dieser Reihe schon vor der ersten Seite, wer der Mörder ist.“
Godric richtete sich auf, sichtlich getroffen von Hunters leicht spöttischem Tonfall. „Aber genau das macht doch den Reiz aus! Es geht nicht darum, wer der Mörder ist, sondern wie er es getan hat. Die feinen Details, die kleinen Hinweise, die man erst beim zweiten oder dritten Lesen wirklich entdeckt.“ Er hielt das Buch hoch, als wäre er ein Verkäufer auf einem dieser Shoppingkanäle im Fernsehen und müsste es den Zuschauern aufschwatzen. „Der Autor von Inspector Flatterly ist ein Meister darin, selbst in den offensichtlichsten Fällen eine unerwartete Wendung einzubauen.“
Zustimmend nickte Steven. „Das stimmt. Die Dialoge sind auch einfach großartig. Flatterlys trockener Humor ist unübertroffen.“
Godrics Gesicht hellte sich noch mehr auf. „Endlich jemand, der es versteht! Es geht um so viel mehr, als nur herauszufinden, wer es getan hat.“
Hunter konnte kaum glauben, wie lebhaft Godric plötzlich war. Der sonst so reservierte Butler blühte regelrecht auf, während er mit Steven über die Bücher sprach.
Dieser lachte leise. „Es klingt, als hättest du eine ganz besondere Verbindung zu diesen Geschichten.“
Godric hob einen Zeigefinger. „Man könnte sagen, dass ich sie studiere, nicht nur lese.“
Während Hunter innerlich die Augen verdrehte, schmunzelte Steven, dann fiel sein Blick auf die große Wanduhr über der Tür. „Ich muss leider los. Morgen findet das Fakultätstreffen statt, und ich habe noch einiges vorzubereiten.“
„Dann sehen wir uns heute Abend nicht?“, fragte Hunter enttäuscht. Er hatte auf einen gemeinsamen Abend und eine Wiederholung der Nacht gehofft.
„Leider nein.“ Steven stand auf. „Aber ich melde mich bei dir und wir machen was für die Tage aus. Versprochen.“ Er beugte sich zu ihm, um ihm einen Abschiedskuss zu geben, wobei er ein wenig verschämt zu Godric linste.
Dann umrundete Steven den Tisch und reichte Godric die Hand. „Es hat mich sehr gefreut.“ Er ging zum Lift, drückte den Knopf und wartete einen Moment, bis das leise Surren verkündete, dass der Aufzug angekommen war. Noch einmal drehte er sich um, winkte den beiden zu, und verschwand hinter den sich schließenden Türen.
„Dieser Steven macht einen sehr sympathischen Eindruck“, platzte es aus Godric heraus.
„Tut er das?“, murmelte Hunter, der noch immer zu der Aufzugstür starrte, in der Hoffnung, dass er doch noch einmal zurückkam. Ein Lächeln schob sich auf Hunters Lippen. „Deine Begeisterung hat nicht rein zufällig damit zu tun, dass er Inspector Flatterly liest?“
„Wo denkst du hin?“ Entsetzt schaute er Hunter an und stand auf. „Er ist gebildet, höflich und scheint dich zu vergöttern, wenn ich seine Blicke richtig gedeutet habe.“ Kopfschüttelnd räumte er Stevens Geschirr ab und ging in die Küche. „Wegen Inspector Flatterly. Ist es zu fassen“, raunte er, während er den Geschirrspüler einräumte.
Hunter verbrachte den Nachmittag auf der Dachterrasse seines Lofts zusammen mit Godric. Weit entfernt hörte er das Rauschen der Stadt. Ein Vorteil, wenn man in einer solchen Höhe lebte, war es, dass der Lärm des Tages nur gedämpft dort oben ankam. Er lehnte sich in seiner Liege zurück und sah in den Himmel. Während die Sonne allmählich am Horizont in einem dramatischen Farbenschauspiel versank, blitzten über ihm vereinzelte Sterne auf. Hunter liebte es, zu dieser Tageszeit auf der Terrasse zu sitzen und zu beobachten, wie die Lichter der Stadt zum Leben erwachten, während die Welt darum im Dunkeln versank.
Godric saß in einiger Entfernung in einem der gemütlichen Sessel, das Gesicht in das warme Licht der Leselampe getaucht, die Hunter ihm zum Geburtstag geschenkt hatte.
Der Himmel, der vor wenigen Minuten noch in einem warmen Orangerot geleuchtet hatte, war nun in ein zartes Rosa übergegangen und färbte sich langsam in ein tiefes Violett. Hoch über ihm schimmerte die schmale Sichel des Mondes durch eine vorbeiziehende Wolke. Dieses Bild erinnerte Hunter an seine alte Spieluhr, die in seinem Kinderzimmer gehangen hatte. Eine Wolke, aus der ein freundlich dreinblickender Mond gelächelt hatte. Diese Erinnerung weckte ein wohliges Gefühl in ihm.
Als die Wolke am Himmel weiterzog, wanderten seine Gedanken wieder zu Steven, so wie sie den ganzen Tag zu ihm gewandert waren, seit er am Morgen gegangen war. Er war zu einer Konstante in seinem Kopf geworden, zu einem Mittelpunkt, um den sich alles drehte. Inzwischen begannen die meisten seiner Überlegungen mit ihm und endeten auch mit ihm, mit seinem Lächeln, mit der Art, wie seine Augen leuchteten, wenn er ihn ansah, und mit dem Gefühl, das seine Berührungen in ihm auslösten.
Die Dunkelheit senkte sich endgültig über sie und die Lichter der Stadt begannen zu leuchten, als wollten sie die Sterne am Himmel spiegeln. Hunter spürte eine tiefe Zufriedenheit, eingehüllt in die Magie dieses besonderen Augenblicks.
Das Surren seines Telefons riss ihn aus den Gedanken. Auf dem Display erblickte er Davids Konterfei. Ein Anruf um diese Zeit konnte nur zwei Gründe haben: Entweder es war wieder ein Notfall mit Roberta oder es war etwas Dienstliches.
„Hey, was ist los? Wie geht es dir?“, meldete sich Hunter, nachdem er abgenommen hatte.
„Mir geht es gut, einem anderen dafür nicht mehr ganz so. Wir haben eine Leiche in einem Gentlemen’s Club“, sprudelte es aus David.
Hunter stand auf. „Wo bist du jetzt?“
„Noch im Yard, aber ich fahre jetzt los. Ich schicke dir die Adresse. Es ist in South Park. Du solltest also nicht so lange brauchen. Bye.“
Bevor Hunter sich verabschieden konnte, hatte David aufgelegt und fast im gleichen Augenblick ging bereits eine Nachricht von ihm ein.
„Ist etwas passiert?“, fragte Godric aus dem Hintergrund.
„Ein ungeklärter Todesfall.“ Hunter lief an ihm vorbei und klopfte ihm auf die Schulter. „Falls wir uns nicht mehr sehen, sage ich schon einmal gute Nacht.“ Er deutete auf das Buch „Und viel Spaß noch bei der Mördersuche.“
„Das Gleiche wünsche ich dir auch.“ Godric zwinkerte ihm zu und vertiefte sich wieder in seine Lektüre.
Als Hunter am Knightsbridge Greens Gentlemen’s Club ankam, standen bereits zwei Polizeiwagen vor dem Eingang. Auch die Spurensicherung und Lee waren bereits vor Ort. Er ging die Stufen zur Eingangstür hinauf. Zwei Polizisten standen rauchend neben der Tür.
„DI Holmes“, begrüßte ihn der eine und nickte ihm zu. „Den Gang entlang nach hinten.“ Er deutete auf einen langen Flur auf der gegenüberliegenden Seite der Eingangshalle, ohne dass Hunter hatte fragen müssen.
Er bedankte sich mit einem Nicken und betrat das Gebäude. Ein opulenter Kronleuchter schmückte das Foyer. Das warme Licht fiel auf die dunkelbraunen, polierten Holzdielen, mit denen die Wände verkleidet waren. Der Raum war mit einem gepflegten roten Teppich ausgelegt, auf dem in der Mitte das Clubwappen prangte. Hunter spürte die Aura aristokratischer Tradition, als er die Halle durchquerte. Unweigerlich musste er an den Club denken, in dem sein Vater regelmäßig verkehrte. Daher ahnte er, was ihn hier für ein Klientel erwarten würde. Versnobte, reiche Leute, die sich für etwas Besseres hielten. Eine Beschreibung, die durchaus auch auf seinen Vater zutraf.
Am Ende des Flurs entdeckte er Roberta, die sich leise mit David unterhielt. Am Fenster davor standen zwei gut gekleidete Männer. Ihrem Aussehen und dem Alter nach zu urteilen, musste es sich um Mitglieder des Clubs handeln.
„Hallo Hunter. Ich bin auch gerade erst eingetroffen“, begrüßte ihn David, als er ihn erreicht hatte.
Hunter nickte zur Begrüßung beiden zu. „Roberta. Wissen wir schon etwas Genaueres?“
„Es war auf jeden Fall Mord, so viel kann ich dir jetzt schon sagen.“
„Wer hat ihn gefunden?“, erkundigte sich Hunter.
David deutete auf die beiden Männer, die im Flur standen. „Mr Penbrook hat die Polizei verständigt. Er war hier mit Mr Harrington verabredet“, antwortete David im Flüsterton.
„Sagst du den beiden, dass ich mich mit ihnen unterhalten will? Ich möchte nur kurz mit Lee sprechen.“ Hunter streifte seine Handschuhe über und betrat die Bibliothek. Auch sie war mit dem gleichen roten Teppich ausgelegt wie der Rest des Gebäudes. Deckenhohe, schwere Holzregale, bestückt mit in Leder gebundene Bücher, füllten drei Wände des Raumes. Auf der Fensterseite waren die Regale um die Fenster herumgebaut worden. Schwere Vorhänge verdeckten die Scheiben. Die vierte Wand wurde von einem großen Landschaftsgemälde in Öl geziert, das über einem mannshohen Kamin hängte, vor dem wiederum mehrere antik anmutende Polstersofas standen. Wuchtige Deckenleuchter sorgten für eine stimmungsvolle Beleuchtung, die dennoch hell genug war, um lesen zu können.
Etwa drei Yards hinter der Eingangstür lag ein Mann in einem blau-schwarzen Karohemd und Jeans bäuchlings auf dem Boden. Sein Hemd war blutgetränkt. Neben ihm lag ein Messer mit einem kunstvoll verzierten Griff.
Lee stand daneben und sah Hunter skeptisch an. „Du bist spät dran, Sherlock“, rief er ihm zu.
„Ich komme weder zu spät noch zu früh, sondern genau dann, wann ich kommen wollte, Dolittle“, erwiderte Hunter und ging neben der Leiche in die Hocke.
„Gut zu wissen, Gandalf. Sei der Held deiner eigenen Welt.“
Hunter sah zu Lee und zog eine Augenbraue nach oben, ließ das Gesagte jedoch unkommentiert. „Was wissen wir?“
„Der Mann ist tot.“
Mit einem Stöhnen erhob sich Hunter wieder. „Äußerst witzig, Dolittle.“
„Nenn mich nicht so, Sherlock. Ich kann Kampfsport.“
Hunter lachte auf. „Du machst mir Angst. Zu den Fakten. Was wissen wir sonst noch, außer dem Offensichtlichen?“
„Ich nehme an, er starb durch akuten Klingeneintritt und es war der Gärtner“, entgegnete Lee leicht genervt.
„Was habt ihr nur alle mit eurem Gärtner?“, fauchte Hunter.
„Hör mal, Sherlock. Ich bin vielleicht für vieles zuständig, aber nicht für alles verantwortlich und ich kann nichts für die Berufswahl meiner Patienten. Und dieser Mann …“, Lee deutete auf die Leiche, „war nun einmal ein Gärtner.“
„Er war Gärtner?“, fragte Hunter ungläubig.
„Spreche ich undeutlich? War er, und zwar von ihm …“ Lee zeigte auf die Männer, die Hunter bei seinem Eintreffen gesehen hatte.
„Welcher von beiden?“
„Der mit den markanten Gesichtszügen. Ich lasse die Leiche jetzt abtransportieren. Sobald mein Bericht fertig ist, gebe ich dir Bescheid.“
Hunter verabschiedete sich und steuerte auf die zwei Männer zu, die noch immer im Flur am Fenster standen und betroffen in die Bibliothek blickten. David hatte sich inzwischen zu ihnen gestellt und schien ihre Angaben aufzunehmen. Die beiden bildeten einen starken Kontrast zueinander, was ihr Aussehen betraf.
Der Ältere war eher leger gekleidet, Jeans, offenes Hemd, Freizeitjacke. Mit seinen männlich markanten Gesichtszügen, den kurz geschorenen Haaren, dem Dreitagebart und den stechend blauen Augen sah er wie der Hauptdarsteller eines Abenteuerfilms aus. Der andere war dagegen eher bieder. In dem grauen Zweireiher, den er trug, der passenden Weste und der weinroten Krawatte wirkte er auf Hunter wie ein Banker. Die modische Kurzhaarfrisur und die Brille verstärkten diesen Eindruck. Wie aus einem Hochglanzprospekt für Kapitalanlagen kam es Hunter in den Sinn. Im Gegensatz zu dem anderen war er frisch rasiert und fast schon übertrieben gepflegt. Ein Mann, der im Bad sehr wahrscheinlich länger brauchte als die meisten Frauen.
„Guten Abend, mein Name ist Hunter B. Holmes, ich bin der zuständige DI“, stellte sich Hunter vor, als er zu dem ungleichen Pärchen stieß. „Wer von Ihnen hat die Leiche gefunden?“
„Ich“, platzte es aus dem Banker heraus. Er streckte Hunter seine Hand entgegen. „Ich bin Leopold Penbrook“, fügte er hinzu und deutete auf den Abenteurer neben ihm. „Das ist mein Geschäftspartner Giles Harrington.“
Harrington nickte und deutete auf die Tür zur Bibliothek. „Das da drin, also der Tote, ist mein Gärtner.“ Er machte auf Hunter einen sehr zwiespältigen Eindruck. Seine Statur strahlte Vitalität aus, aber in seinem Blick lag etwas Mattes, Müdes.
„Was wollten Sie hier? Ist der Club um diese Zeit nicht schon längst geschlossen?“, hakte Hunter nach.
„Wir haben einen Schlüssel. Der Club gehört Rupert Farnsworth, einem weiteren Geschäftspartner. Wir nutzen die Bibliothek gerne als Besprechungsraum“, entgegnete Penbrook.
„Um was für Geschäfte handelt es sich dabei?“
„Wir importieren und vermarkten Zigarren“, klärte ihn Harrington auf.
„Luxuszigarren“, ergänzte Penbrook.
Hunter zückte seinen Notizblock und machte sich einen Vermerk. „Besteht die Möglichkeit, sich hier irgendwo ungestört zu unterhalten?“
„Selbstverständlich. Dort vorne links ist die Bar.“ Penbrook wedelte knapp in Richtung des Flurs zur Eingangshalle.
„Dann würde ich gerne mit Ihnen beginnen. Bitte.“ Hunter wies ihm, vorauszugehen, während Giles Harrington im Flur zurückblieb.
Auch die Bar passte zum Ambiente des Clubs. Der rote Teppich war hier durch einen dunkelblauen ersetzt worden und der Tresen aus kunstvoll verziertem Mahagoniholz gefertigt. Über die Wände zogen sich Gemälde alter Landkarten, wie man sie aus der Kolonialzeit kannte. Auch in diesem Raum sorgte ein überdimensionaler Kronleuchter für eine stimmungsvolle Beleuchtung.
Penbrook deutete auf einen Vierertisch gegenüber dem Tresen und nahm auf einem der Stühle Platz. Hunter und David setzten sich zu ihm.
„Also, Mr Penbrook. Wie war das heute Abend?“, begann Hunter.
Penbrook ruckelte sich in eine bequemere Position und überschlug die Beine. „Ich war mit Giles um 20 Uhr verabredet. Als ich gegen 20:30 Uhr in die Bibliothek kam, lag er da. Also Mr Grenfield. Oliver.“ Er klang dabei, als würde er aus einer Zeitung vorlesen, doch dann strich er sich über die Stirn und sein Tonfall änderte sich schlagartig, als hätte jemand sein Mitgefühl angeschaltet. „Wäre ich doch nur rechtzeitig da gewesen. Verdammter Stau.“
„Was meinen Sie damit?“
„Ich habe einen Ihrer Kollegen sagen hören, dass er noch nicht so lange tot sein kann.“ Er lehnte sich zurück und betrachtete das Barregal, das bis zum Rand mit Flaschen gefüllt war, die alle möglichen Flüssigkeiten enthielten. „Wissen Sie, ich hasse es, zu spät zu kommen. Wenn es 20 Uhr heißt, bin ich normalerweise fünfzehn Minuten früher da.“
„Außer heute“, bemerkte Hunter.
Penbrook hielt inne, und Hunter meinte ein Zucken in seiner Hand, die auf der Tischkante lag, zu erkennen. Seine Stirn legte sich in Falten und er biss sich auf die Unterlippe, als ob er sich gedanklich selbst für sein Zuspätkommen verurteilte.
„Richtig, außer heute,“ wiederholte er leise. Dann setzte er ein flüchtiges Lächeln auf. „Ich steckte mit dem Wagen in einem Stau in der Nähe der Westminster Bridge fest. Irgendeine Demonstration.“ Er suchte Hunters Blick. „Dieser verfluchte Stau … wer weiß, wenn ich pünktlich gewesen wäre, vielleicht wäre dieses Unglück dann nicht passiert.“
Hunter notierte die Aussage und sah ihn nüchtern an. „Nun, Mr Penbrook. Wenn jemand mit einem Messer erstochen aufgefunden wird, handelt es sich um Mord und nicht um ein Unglück, wie sie es nennen. Zumindest in den allermeisten Fällen.“
„Entschuldigen Sie.“ Penbrook senkte betroffen den Kopf. „Sie haben natürlich recht.“
„Wo war Mr Harrington? Wenn Sie verspätet ankamen, müsste er doch schon hier gewesen sein?“
Er sah Hunter an und schüttelte den Kopf. „Er kam kurz nach mir an.