Grisper Castle - Wolf September - E-Book

Grisper Castle E-Book

Wolf September

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Beschreibung

Tritt ein ins Grisper Castle und entdecke seine Geheimnisse … Nach dem Tod seines Adoptivvaters flüchtet der junge Hexer Marek aus seiner Heimat Wien und landet als Bibliothekar auf dem schottischen Grisper Castle. Doch der attraktive Schlossherr Craig und dessen Angestellte erwecken schon bald sein Misstrauen: Welches dunkle Geheimnis rankt sich um das Schloss, seine Bewohner und das benachbarte Städtchen Darkmoor? Bei seinen Erkundungen stößt Marek auf etwas, das sein ganzes Leben augenblicklich umkrempelt und ihn in eine Welt voller Rätsel und übernatürliche Bedrohungen zieht ... Ein humorvoller und kunterbunt-düsterer Gay Romantasy Roman Für Fans von Urban Fantasy, Paranormal Fantasy, Gay Romantasy und Geschichten mit Geistern, Vampiren, Hexen und Märchen.

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Prolog
Kapitel 1 - Ein Schloss in Schottland
Kapitel 2 – Der Mann im See
Kapitel 3 – Vor dem Fenster
Kapitel 4 - London?
Kapitel 5 - Kamingeschichten
Kapitel 6 – Schubladendenken
Kapitel 7 – Die erste Stunde
Kapitel 8 – Ein Jahr zuvor in Wien
Kapitel 9 – Laurentiusnacht
Kapitel 10 – Auf dem Fest
Kapitel 11 – Dusche, Küche und zurück
Kapitel 12 – London!
Kapitel 13 – Neue Aufgaben warten
Kapitel 14 – Träume und Realitäten
Kapitel 15 – Gewitternacht
Kapitel 16 – In der Glaskugel
Kapitel 17 – Nachts im Moor
Kapitel 18 – Zuhause!
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Grisper Castle

 

 

 

von

 

 

Wolf September

 

 

 

 

 

Impressum

 

Wolf September

c/o WirFinden.Es

Naß und Hellie GbR

Kirchgasse 19

65817 Eppstein

www.wolfseptember.de

Instagram: wolf_september_info

Facebook: autorwolfseptember

 

 

Lektorat & Korrektorat

Matti Laaksonen - www.mattilaaksonen.de

 

Coverdesign: rebecacovers /Fiverr

Bildrechte: © Elena Schweitzer /© mppriv / © wabeno / © kiuikson - de.depositphotos.com

 

 

Alle Rechte vorbehalten.

Nachdruck, Vervielfältigung oder anderweitige Veröffentlichung sind nicht gestattet und bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung des Autoren (Ausnahme: kurze Zitate für Rezensionen). Sämtliche Handlungen und Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten, wie die Namen der Protagonisten, mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Orte, Markennamen, Künstler und Lieder werden in einem fiktiven Zusammenhang verwendet. Örtliche Begebenheiten wurden teilweise oder ganz für den Storyverlauf angepasst. Alle Markennamen und Warenzeichen, die in diesem Roman verwendet werden, sind Eigentum der jeweiligen Inhaber.

 

 

 

 

Prolog

 

Marek schob seinen Schlüssel ins Schloss und öffnete die Tür. Als er den Hausflur betrat, roch es sofort nach zuhause – eine Mischung aus schokoladigsüß und altem Holz, durchzogen von der Frische gewaschener Wäsche. Ein wohliges Gefühl machte sich in ihm breit. Marek schlüpfte aus seinen Schuhen und stellte sie an ihren Platz neben der wurmstichigen Eichenholzkommode, dann streckte er sich – endlich Feierabend. In der Bibliothek war heute, wie schon die letzten Tage, die Hölle los gewesen. Irgendetwas trieb die Menschen in Wien seit neustem an die Bücher. Aber egal was es war, Marek gefiel diese Entwicklung. Er liebte Bücher über alles und war begeistert, über alle, die seine Leidenschaft mit ihm teilten. So betrachtete er seinen Job in der Bibliothek nicht als Arbeit im eigentlichen Sinn - es war vielmehr ein Hobby, das ihm den Lebensunterhalt sicherte.

Gemütlich ging er den Flur entlang und freute sich auf nichts sehnlicher als auf eine warme Dusche und eine ausgiebige Mahlzeit zusammen mit seinem Vater, bei der er von seinem Tag berichten konnte.

Als er sich dem Wohnzimmer näherte, hörte er den Fernseher. „Hey Paps“, rief er durch die offene Flügeltür in den Raum und ging, ohne eine Antwort abzuwarten, weiter die Treppe nach oben. Amadeus, sein Kater, folgte ihm. In seinem Zimmer schlüpfte er aus den Klamotten und warf sie auf das Bett. Dann lief er ins Badezimmer, drehte die quietschende Armatur der Dusche voll auf und – wartete. Das Haus, in dem er mit Sebastian, seinem Adoptivvater, lebte, war nicht mehr das modernste. So brauchte das warme Wasser immer eine Weile, bis es aus dem Keller im ersten Stock ankam.

Nach dem Duschen trocknete er sich ab, schwang sich das Handtuch um die Hüften und ging zurück ins Zimmer. Mit einem Knarzen öffnete er die oberste Schublade der antiken Biedermeierkommode und zog frische Boxershorts heraus.

Er betrachtete sich im Spiegel. Sein braunes kurzes Haar und sein getrimmter Vollbart, der seine vollen Lippen umrahmte, waren noch feucht. Ein sanftes Lächeln umspielte seine Mundwinkel, während seine strahlend blauen Augen im Spiegel über seinen Oberkörper glitten – er war zufrieden mit sich. Seine Eltern, wer auch immer sie waren, hatten ihm gute Gene mit auf den Weg gegeben. Es hatte nie viel Mühe gebraucht, um seinen Körper in Form zu halten. Marek war schon immer der schlanke, sportliche Typ gewesen.

Sein Blick fiel auf die Fotos, die am Spiegel darüber befestigt waren. Eins der Bilder zeigte Marek mit seinem Vater beim Angeln, das daneben die komplette Familie Wagner mit Marek als kleinen Jungen. Er strich mit seinem Zeigefinger sanft über das Gesicht seiner Adoptivmutter. Ein halbes Jahr nachdem dieses Foto aufgenommen worden war, war sie plötzlich verstorben. Obwohl sie nur wenige gemeinsame Jahre gehabt hatten, vermisste er sie sehr. Auf dem dritten Foto standen die Wagners vor dem Kinderheim in Bratislava, an dem Tag, an dem sie ihn adoptiert hatten. Sie hatten ihn zuvor einige Male besucht und Marek wusste noch, als wäre es gestern gewesen, welche Freude er an diesem Tag empfunden hatte, endlich eine Familie zu bekommen. Sein Herz hatte Purzelbäume geschlagen und bereits die Wochen zuvor, als es sicher gewesen war, dass die Wagners ihn adoptieren würden, war er immer nervöser durch die Hallen des Waisenhauses getigert. Er hätte die Welt umarmen können, endlich ein Zuhause zu bekommen.

Marek betrachtete die Fotos jedes Mal, wenn er vor dem Spiegel stand. Vergiss nie, wo du herkommst, sagte sein Paps immer, wer nicht weiß, wo er herkommt, weiß auch nicht, wo er hingehen soll! Sein Paps - er war nicht nur Vater, sondern auch bester Freund und Lehrer für ihn. Er war der einzige Mensch auf dieser Welt, der sein Geheimnis kannte.

Ein lautes Magengrummeln erinnerte Marek daran, dass es Zeit fürs Abendessen war. Er zog sich eine Jeans und ein Shirt über und ging nach unten.

Der Fernseher flimmerte noch immer, als Marek die Treppe hinunter kam. Sein Vater saß mit dem Rücken zur Tür auf dem rotkarierten Ohrensessel, den er so liebte, und sah eine Quizshow, oder besser - sie lief, denn Sebastian schien zu schlafen. Neben ihm auf dem kleinen Beistelltisch stand eine Tasse heiße Schokolade. Marek schmunzelte, denn dieses Getränk hatte eine besondere Bedeutung für sie beide. Es war Problemlöser, Tröster und Belohnung in einem. Wann immer etwas Besonderes in ihrem Leben passierte, sei es positiv oder negativ, kochte Sebastian eine heiße Schokolade, die er zusammen mit Marek trank. So war der Duft dieses Getränks, in das Sebastian immer einen Spritzer Vanillearoma gab, wie eine süße Umarmung für ihn. Ein ‚Alles wird gut‘. Marek trat vorsichtig an den Sessel heran und legte seinem Vater die Hand auf die Schulter und rüttelte sanft an ihm, um ihn zu wecken. „Hey Paps“, sagte er leise und schüttelte ein wenig stärker. Der Kopf seines Vaters kippte zur Seite.

Marek stockte der Atem und er lief um den Sessel. Leblos starrten Sebastians Augen in den Raum.

„Paps“, rief Marek und packte seinen Vater nun mit beiden Händen an der Schulter, doch Sebastian reagierte nicht. Marek fühlte sich, als würde ihm jemand eine Narkose in sein Gehirn spritzen. „Paps?“, fragte er leise mit wachsender Gewissheit, dass er keine Antwort mehr bekommen würde. Mit Tränen in den Augen zog er ihn an sich und umarmte ihn vorsichtig. Ein Schluchzen überrollte ihn wie ein rasender Zug. Sein Körper krampfte sich und er hatte Mühe zu atmen. „Bleib bei mir. Bitte!“, rief er, doch sein Flehen verhallte ungehört.

Einige Minuten kniete er vor dem Sessel und heulte Rotz und Wasser. Er bebte unter der Last, die unsichtbar auf seinen Schultern ruhte. Doch er musste sich beruhigen. Ein paarmal atmete Marek tief ein und aus, wischte sich die Tränen von den Wangen und lehnte Sebastian zurück in den Sessel. Dabei streichelte er zart über dessen kühle Wange und lächelte, ob all der schönen Erinnerungen, die sein Gehirn durchfluteten. Er holte sein Mobiltelefon aus der Tasche und wählte die Nummer des Notrufs. „Ja hallo, hier ist Wagner. Könnten Sie bitte jemanden schicken? Ich glaube, mein Vater ist tot. Spiegelgasse 33, in der Nähe des Stephansdoms“, sagte er dem Mann am anderen Ende der Leitung mit zitternder Stimme. Als er den Anruf getätigt hatte, kniete sich Marek wieder vor den Sessel und sah seinen Vater an. Ein kleiner Teil in ihm hoffte, dass er jeden Moment aufwachen würde, auch wenn sein Verstand ihm das Gegenteil signalisierte. Mit einem Mal fühlte er sich unglaublich allein. Niemand war mehr da. Sebastian war seine Familie, sein Fels, sein Unterschlupf. Er hatte ihn unterrichtet und sich jederzeit schützend vor ihn gestellt. Jedes Problem hatten sie gemeinsam bewältigt. Wenn Marek verzweifelt gewesen war, hatte er ihm Mut zugesprochen und jede Freude mit ihm geteilt. Und nun war er gegangen und würde nie mehr wiederkehren. Aus ihrem warmen Heim war mit einem Schlag eine Festung der Einsamkeit geworden. Nie wieder würde er seine Stimme hören oder ihn lachen sehen. Noch war eine Spur von ihm hier, vor Marek, im Sessel. Doch in ein paar Minuten würden sie kommen und ihn hinaustragen. Endgültig fort. Marek hob seine Hand und strich über Sebastians Lider, um diese zu schließen. Als er die Hand zurückzog, bemerkte Marek, wie sich eine einzelne Träne den Weg über die Wange seines Vaters bahnte und auf dessen Brust tropfte.

Kapitel 1 - Ein Schloss in Schottland

 

„Nach Grisper Castle, bitte.“ Marek stieg ein und schlug die Tür zu. Das Taxi fuhr los. „Wie lange werden wir brauchen?“, fragte er. „Etwa dreißig Minuten.“

Die schottische Landschaft breitete sich vor ihm aus, als sie Darkmoor verlassen hatten. Sattes Grün in unendlichen Wiesen. Hin und wieder unterbrochen durch den ein oder anderen Fluss, der sich durch die Landschaft fraß. Dieses Land strahlte Ruhe aus. Eine Ruhe, die ihm hoffentlich guttun würde. Nach den Ereignissen der letzten sechs Monate war er froh, endlich ein bisschen abschalten zu können.

In Wien hatte er es nach der Beerdigung seines Vaters nicht mehr ausgehalten. Ohne Ziel war er abgereist und hatte sich treiben lassen, kreuz und quer durch Europa. Sein altes Leben war mit Sebastian gestorben. Und für ein Neues hatte ihm lange die Kraft gefehlt. Nur die Magie war ihm geblieben, und Amadeus. Das geerbte Haus hatte ihm die Schwester seines Vaters abgekauft und seine persönlichen Sachen auf dem Dachboden eingelagert, bis er wiederkommen würde. „Ich weiß, dass du gehen musst, aber du sollst wissen, dass du hier jederzeit willkommen bist“, hatte sie ihm zum Abschied gesagt.

Marek hatte der Einsamkeit entfliehen wollen, die in Wien an seinen Fersen geklebt hatte. Doch sie begleitete ihn, wie ein treuer Freund – egal, wohin er ging. Vor allem anderen musste er sich jedoch wiederfinden. Er war nun einmal besonders und konnte sich niemanden anvertrauen, was seine Einsamkeit noch verstärkte. Der einzige Mensch, der von seinen Fähigkeiten gewusst und ihn verstanden hatte, war Sebastian gewesen, weil auch er besonders gewesen war.

Inzwischen hatte Marek viele Länder bereist, doch nirgends hatte er das Gefühl gehabt, wirklich hinzugehören – bis er hier in Schottland gelandet war. Dieses Land hatte Marek seit dem ersten Augenblick an in seinen Bann gezogen. Kurz nach seiner Ankunft war er auf eine Stellenanzeige gestoßen, Bibliothekar auf Grisper Castle gesucht. Kost und Logis in der Bezahlung enthalten. Die Zeitung mit der Anzeige hatte auf dem Bett in seinem Hotelzimmer gelegen, als er von einem seiner Ausflüge zurückgekehrt war. Er nahm an, dass sie das Zimmermädchen dort vergessen hatte. Die Aussicht darauf, endlich wieder als Bibliothekar zu arbeiten, war schlussendlich genug Überredung gewesen, sich zu bewerben.

Und da saß er nun – in einem Taxi, auf dem Weg zu seinem Vorstellungsgespräch auf Grisper Castle. „Sind Sie Gast auf dem Schloss?“, fragte der Fahrer und blickte über den Rückspiegel zu Marek. „Nein“, antwortete er lächelnd. „Ich habe mich auf eine Stelle beworben.“ „Dann drücke ich Ihnen die Daumen. Lord Chrisholm ist ein sehr umgänglicher Mann, da kann man durchaus schlimmere Chefs erwischen“, erklärte er mit einem Lächeln auf den Lippen. „Kennen Sie ihn?“, fragte Marek, neugierig geworden, dass er den Lord kannte. „Nur flüchtig. Aber seit er das Schloss vor Jahren von seinem Vater geerbt hat, bin ich ihm schon ein paarmal begegnet. Einer muss ja die Gäste auf das Schloss bringen“, erwiderte er zwinkernd in den Spiegel. „Er war immer freundlich und zuvorkommend. Und die Gäste, die ich vom Schloss abhole, schwärmen alle von ihm.“ „Die Menschen, die hier in der Gegend wohnen, scheinen alle äußerst freundliche Zeitgenossen zu sein“, stellte Marek fest. „Dann haben Sie Angus Ferguson und seinen missratenen Sohn noch nicht getroffen“, entgegnete der Fahrer lachend. „Nein. Dieser Namen sagt mir nichts.“ „Seien Sie froh! Aber Sie haben schon recht. Die allermeisten hier sind wirklich freundlich und aufgeschlossen, auch Fremden gegenüber.“ „Mich wundert es, dass hier so viele Touristen sind.“ „Die Leute, die hierherkommen, sind nicht mit normalen Touristen zu vergleichen und bleiben für gewöhnlich auch länger. Ich denke, sie genießen die Ruhe und Abgeschiedenheit. Aber Sie werden es ja gleich selbst erleben.“

Die grünen Wiesen verschwanden aus dem Sichtfeld, stattdessen breitete sich vor Marek nun ein dichter Wald aus. Immer tiefer fuhren sie hinein, bis endlich das Schloss vor ihnen auftauchte. Wie in einem Märchen kam es Marek in den Sinn.

Die letzten Bäume rauschten an Marek vorbei, dann rumpelte der Wagen über einen Schotterweg auf ein reich verziertes Metalltor zu, vor dem sie anhielten. Marek bezahlte den Fahrer, verabschiedete sich, bevor er aus dem Wagen stieg und schlug die Tür zu.

Während das Taxi wieder davonfuhr, lief Marek auf das Tor zu. Auf dem Rasen vor der Schlossmauer blühten vereinzelt ein paar große Gänseblümchen, deren weiß-gelbe Blüten im satten Grün des Rasens leuchteten. Als er die Pforte durchschritt und den Schlosshof betrat, vernahm er leise Musik. Marek spitzte die Ohren und lauschte. Das Lied kannte er! Hasta Manana - das Lieblingslied seines Vaters. Marek versuchte auszumachen, woher die Musik kam, doch sie schien von überall zu ihm herangeweht zu werden. Die federleichte Melodie und die Melancholie, die in ihr mitschwang, trafen genau die Stimmung, in der er sich momentan befand. Sein altes Leben hatte er zurückgelassen, was ihn mit Traurigkeit erfüllte. Zudem vermisste er seinen Vater jeden Tag. Aber gerade jetzt war er auch voller Zuversicht und Vorfreude auf das, was das Leben für ihn bereithalten würde. Und irgendetwas sagte ihm in diesem Augenblick, dass dieser Ort eine Rolle dabei spielte.

Langsam lief er auf das Hauptgebäude zu, das imposant in den Himmel ragte. Unzählige Türme und Bögen zierten den Bau. Zwischen der äußeren Schlossmauer und dem Schloss war ein wunderschöner Garten angelegt. Ein gepflegter Rasen, Sträucher und Blumenbeete umsäumten das Schloss, so weit Marek sehen konnte. Auf den Bänken saßen einige der Hotelgäste, wie er vermutete. Eine betagte Frau las in einem Buch und ein paar Meter entfernt unterhielten sich drei ältere Herren intensiv miteinander.

Staunend blieb er vor dem Gebäude stehen. Das Haupttor war aus schwerem Eichenholz gefertigt. Klobige Stahlscharniere hielten es in den Angeln. Große bleiverglaste Fenster säumten die vordere Fassade. Auf Vorsprüngen thronten geflügelte Statuen, die über das Gemäuer zu wachen schienen.

Marek lief langsam auf das Tor zu, bis er direkt davor stand. Auf Brusthöhe befand sich ein Türklopfer in Form einer Eule, die mit ausgebreiteten Flügeln einen Metallring in den Krallen hielt. Marek nahm den Ring in die Hand und klopfte zweimal schwungvoll. Dann wartete er. Er hörte Schritte im Inneren, die näher zu kommen schienen.

Knarzend öffnete sich die Tür. Dahinter stand ein alter Mann. Seinem schwarzen Frack und der geraden Haltung nach zu urteilen, war er ein Butler. Er hatte weiße nach hinten gekämmte Haare, ein markantes Kinn und warme, freundlich blickende Augen, doch sein Gesicht zeigte keinerlei Regung. Trotz seines hohen Alters strahlte er Jugendlichkeit aus und war durchaus noch äußerst ansehnlich. In früheren Jahren dürfte er so manches Herz gebrochen haben. „Ja bitte?“, fragte er mit sonorer Stimme. „Hallo, ich bin Marek Wagner. Ich habe ein Vorstellungsgespräch bei Mr Chrisholm wegen der Bibliothekarsstelle.“ Marek lächelte den Butler freundlich an. Mit einem abschätzenden Blick und hochgezogener Augenbraue betrachtete der Butler Marek. Sein Blick wanderte von den Schuhen, über die Hose hinauf, bis zu seinem Gesicht. Marek war es unangenehm so gemustert zu werden, doch er lächelte den Hausbediensteten freundlich an und war froh, seine Schuhe noch geputzt zu haben. „Woher kommt diese Musik?“, erkundigte er sich. „Welche Musik?“, fragte der Butler. Marek lauschte. „Hören Sie sie nicht?“ „Nein! Wenn Sie mir folgen würden. Ich werde dem Lord Ihre Ankunft mitteilen.“

Der Alte drehte sich um und ging langsamen Schrittes zurück ins Schloss. Marek folgte ihm und schloss die Tür hinter sich.

Sie durchquerten die Eingangshalle. Das Mauerwerk bestand aus schweren Basaltblöcken und dunkelrotem Ziegelstein, was der Halle trotz ihrer Größe eine heimische Gemütlichkeit verlieh. Auf der rechten Seite entdeckte Marek eine Art Rezeption. Mehrere Zweisitzer standen an den Wänden. Sie waren mit purpurrotem Samt bezogen und aufwendig verziert. „Marcus, da sind Sie ja“, rief eine ältere Dame, die soeben eine geschwungene Treppe hinunterkam, die sich schräg gegenüber der Rezeption in die oberen Stockwerke schraubte. „Hallo Mrs Abercrombie, dürfte ich Sie einen Augenblick vertrösten? Dieser junge Herr möchte zu Lord Chrisholm. Danach stehe ich Ihnen selbstverständlich gern zur Verfügung.“ „Natürlich.“ Die Dame lächelte und nickte Marek freundlich zu.

Marek folgte dem Butler an der Rezeption vorbei nach rechts. Sie liefen einen Gang, von dem mehrere Türen abgingen, entlang und kamen schließlich in einem großen Kaminzimmer an. „Bitte nehmen Sie Platz. Lord Chrisholm wird sofort bei Ihnen sein“, wies er Marek an und deutete auf die Sitzgruppe vor dem Kamin. Dann verließ er den Raum.

Marek ließ sich auf das Sofa nieder und strich über den samtenen Stoff, der unter seinen Fingerspitzen kitzelte. Direkt gegenüber von ihm klaffte ein fast menschgroßes Loch in der Wand - der Kamin, vor dem drei weitere Sofas standen. Der sanfte Geruch nach Holz hing in der Luft und verbreitete eine stimmungsvolle Atmosphäre. Marek konnte sich vorstellen, wie er hier Abende verbrachte, mit einem guten Buch in den Händen, bei einem knisternden Feuer und Kerzenschein.

Ihm war schon beim Betreten des Schlosses aufgefallen, dass sich der Besitzer sehr viel Mühe mit der Einrichtung gegeben hatte. Antiquitäten wurden mit modernen Einrichtungsgegenständen kombiniert. Dem Schlossherren war es gelungen, das Flair einer altertümlichen Burg mit zeitgenössischem Luxus zu vereinen, wie er fand.

„Hallo, Mr Wagner, nehme ich an?“ Marek war so fasziniert von der Räumlichkeit gewesen, dass er nicht bemerkt hatte, wie jemand den Raum betreten hatte. Er fuhr herum. Hinter ihm stand ein gutaussehender Mann in seinem Alter. „Richtig. Marek Wagner.“ Marek stand auf und reichte ihm die Hand zur Begrüßung, während er den Fremden freundlich anlächelte und ihn genauer betrachtete. War er bis eben noch äußerst entspannt gewesen, stieg nun Nervosität in ihm auf. Die rehbraunen Augen seines Gegenübers musterten ihn unter seinen dichten, ebenfalls braunen Augenbrauen. Leichte Geheimratsecken zogen sich am Ansatz, doch die verwuschelte Frisur kaschierte diesen Umstand. Gleichmäßig geschwungene volle Lippen, ein Dreitagebart und markante Gesichtszüge unterstrichen die attraktive Erscheinung. „Ich bin Craig Chrisholm. Schön, dass Sie hergefunden haben.“ Craig umfasste Mareks Hand, er hatte einen festen Händedruck und ein Lächeln, das ihn dahinschmelzen ließ. Es erweckte Vertrauen und zog Marek sofort in seinen Bann. Er konnte nicht anders, als ebenfalls zu lächeln.

„Wollen wir uns nicht setzen?“ Craig deutete auf die Sitzgelegenheiten am Kamin und ließ sich auf einem der Sofas nieder. Marek setzte sich ihm schräg gegenüber. Es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren. Lord Chrisholm hatte ihm den Atem verschlagen. Er wirkte auf ihn, als wäre er nicht von dieser Welt. Lässig hatte er einen Arm auf die Rücklehne der Couch gelegt, den Knöchel des rechten Beins auf das linke Knie gelegt. Alles an diesem Mann wirkte edel und vornehm, obwohl er in Jeans und Hemd vor Marek saß. Lord Chrisholm strahlte ein ungeheures Selbstbewusstsein aber auch sehr viel Ruhe aus. Seine freundlichen Augen musterten Marek ausgiebig, doch Marek fühlte sich durch Craigs durchdringenden Blick nicht unbehaglich – ganz im Gegenteil, es schmeichelte ihm.

„Hatten Sie eine gute Anreise? Wir sind ja ein wenig abgelegen.“ Craigs wohlklingende Stimme war ein Genuss für Mareks Ohren. Er entspannte sich augenblicklich. Craigs Art mit ihm umzugehen und zu sprechen, signalisierte ihm, dass er willkommen war. „Ja, vielen Dank. Ich bin mit dem Taxi gekommen. Eine umwerfende Landschaft. Für jemanden, der in der Stadt aufgewachsen ist, ist es ein echtes Erlebnis“, erwiderte Marek lächelnd. „Sie sind ein Stadtkind? Schon immer?“, erkundigte sich Craig. „Ja, ich komme aus Wien, wo ich auch aufgewachsen bin.“ „Und Sie könnten sich vorstellen, in dieser Abgeschiedenheit zu leben und zu arbeiten?“, hakte Craig nach und lenkte somit das Gespräch auf den Grund ihres Treffens. „Durchaus. Ist es nicht für viele ein Traum, in einem solchen Schloss zu leben und zu arbeiten?“ „Ist es das? Für viele wäre es ein Graus, keine Geschäfte gleich nebenan zu haben. Sie haben einen interessanten Dialekt! So gar nicht, wie man sich wienerisch vorstellt“, stellte Craig fest. „Ich bin in Bratislava geboren. Aber den größten Teil meines Lebens habe ich in Wien verbracht.“ „Und jetzt sind Sie in Schottland gelandet!“ Marek nickte. Eine Pause entstand. Craig musterte ihn lächelnd und sorgte dafür, dass Marek verlegen wurde. Er spürte Wärme in seine Wangen steigen. „Was genau wären denn meine Aufgaben?“, warf er ein, auch, um dem Blick seines Gegenübers zu entfliehen. Craig räusperte sich und begann zu erklären. „Vielleicht sollte ich Ihnen erst einmal kurz erzählen, was wir hier tun. Wir sind so eine Art Unterschlupf für Menschen, die Ruhe oder eine Auszeit brauchen. Ein kleiner Teil des Schlosses wird als Pension genutzt. Es ist also immer eine kleine, erlesene Anzahl an Gästen anwesend. Es handelt sich meistens um künstlerisch tätige Menschen wie Autoren, Musiker oder kreativ Schaffende, die hierherkommen, um in Ruhe arbeiten zu können. Sie finden unter unseren Gästen aber auch andere Menschen. Einige wollen persönliche Krisen bewältigen, andere sich selbst finden oder einfach nur die Ruhe genießen.“ Lord Chrisholm blickte in Richtung Fenster und für einen kurzen Moment schien er gedanklich abzuschweifen. Dann räusperte er sich. „Mit den Gästen hätten Sie allerdings nur bedingt zu tun. Wir haben hier eine relativ große Bibliothek, um die sich lange Jahre niemand gekümmert hat. Bücher zu sammeln, war eine Leidenschaft, die viele meiner Vorfahren geteilt haben. Ordnung zu schaffen dagegen leider nicht.“ Craigs Blick glitt zu Boden und er schmunzelte für einen Augenblick, ehe er fortfuhr. „Ihre Aufgaben wären zum einen die Katalogisierung der Bücher, zum anderen wären Sie die Stellvertretung für unseren Schlossverwalter. Sie würden neben Ihrem Gehalt eine Wohnung auf dem Schloss bekommen und natürlich volle Verpflegung.“

Marek hörte sich die Ausführungen des Schlossherren aufmerksam an. Im Grunde genommen, waren sie unnötig, da er sich schon bei seiner Ankunft sicher gewesen war, dass er unter allen Umständen hierbleiben wollte. Eine abwechslungsreiche Tätigkeit und eine eigene Bibliothek. Schon allein das klang für ihn verlockend. Was für Marek aber noch viel verlockender war, war die Aussicht darauf, nicht mehr allein zu sein. In den vergangenen Monaten hatte er es gebraucht, niemanden um sich zu haben – allein unterwegs zu sein. Aber gerade in den letzten Wochen war die Sehnsucht nach Gesellschaft immer stärker geworden.

„Wie sieht es mit Haustieren aus?“, erkundigte sich Marek. „Besitzen Sie denn eins?“ „Einen Kater.“ Lord Chrisholm lachte auf. „Ich denke, einen Kater könnten wir hier gut gebrauchen. Vielleicht würden sich dann weniger Mäuse ins Schloss verirren.“ Da war es wieder – dieses alles einnehmende Lächeln, das ihm ein Kribbeln in den Magen zauberte. „Wenn das so ist, dann haben wir wohl einen Deal“, sagte Marek und fühlte seinen Herzschlag überdeutlich. Craig reichte ihm die Hand und er schlug ein. „Wann können Sie anfangen?“ „Heute. Morgen. Ich bin flexibel.“ „Ich würde vorschlagen, wir machen erst einmal zusammen eine kleine Schlossführung. Wie wäre es, wenn Sie morgen einziehen und nächste Woche starten Sie. So haben Sie ein paar Tage zur Eingewöhnung und können in Ruhe alles erkunden.“ „Das klingt gut“, erwiderte Marek voller Vorfreude. Lord Chrisholm wurde ernst, er lehnte sich vor und stützte die Ellbogen auf den Oberschenkeln ab. Sein Blick durchbohrte Marek regelrecht. „Jetzt müssen wir nur noch eine Sache klären.“ Marek stutzte. „Und die wäre?“ Craig setzte wieder ein Lächeln auf und reichte ihm die Hand. „Ich bin Craig!“ Marek lachte erleichtert. „Marek, angenehm.“

 

„Wohnt deine Familie schon immer hier auf dem Schloss?“, fragte Marek, als sie in der Eingangshalle angekommen waren. „Seit über neunhundert Jahren. Genauso lange wie dieses Gemäuer schon steht“, erklärte Craig. Er riss kurz die Geschichte der Familie an und geleitete Marek dann durch einen Gang in die Bibliothek.

Als sie den Raum betraten, staunte Marek nicht schlecht. Die Bibliothek erstreckte sich über drei Stockwerke. An den Wänden waren über die komplette Fläche Holzregale angebracht. In der Höhe waren hölzerne Zwischenböden eingezogen, die mit wunderschön gedrechselten Geländern abgesichert waren. Die Böden ergaben ein Geflecht aus Dutzenden Wegen, durch die einzelnen Regale. Die Etagen erreichte man über eine große Wendeltreppe in der Mitte der Halle. Marek bekam bei Anblick der Bibliothek Gänsehaut. Sein Herz pochte wild in seiner Brust, aufgrund der Schönheit des Raums. Für einen Augenblick vergaß er sogar Lord Chrisholm neben sich. Er betrachtete mit offenem Mund die Bibliothek. Noch nie in seinem Leben hatte er dermaßen viele Bücher auf einem Haufen gesehen. Fassungslos wanderte sein Blick über die unzähligen Buchrücken, die Regale entlang. Dann nach oben zur Decke. „Oh, mein Gott. Wie genial ist das denn?“, brachte er schließlich heraus. „Es freut mich, dass es dir gefällt. Das hier wird ein Großteil deiner zukünftigen Wirkungsstätte sein. Wie ich vorhin schon erwähnt habe, sind wir gerade dabei, die Bücher zu katalogisieren. Bryne, unser Schlossverwalter, hat vor Kurzem damit begonnen“, erklärte Craig. „Wie viele sind das?“ „Wir haben hier ungefähr 60.000 Bücher. Das älteste dürfte um die tausend Jahre alt sein, das neuste ist von letzter Woche. Alle anderen liegen gut dazwischen verteilt.“ Craig schmunzelte, als er Marek mit diesen Infos versorgte.

„Wollen wir weiter?“, fragte er schließlich. Marek nickte stumm. Mit Mühe konnte er den Blick von den Büchern abwenden und sich wieder auf den Schlossherren konzentrieren. Sie liefen zurück in die Eingangshalle, durch die Tür, direkt neben dem Zugang zur Bibliothek, und landeten in einem kleinen Speisesaal, der Platz für etwa zwanzig Gäste bot. Antike Tische und Stühle waren in kleinen Gruppen entlang der Wände aufgebaut. Sie gingen über einen roten Teppich, der längs durch den Raum führte, durch die Tür gegenüber. „Das ist unsere Küche. Tagsüber haben wir hier unsere Köchin Luise. Du kannst dich aber gern bedienen und dir selbst etwas zu essen machen.“ Ein ausladender Raum, an dessen Wänden die Schränke und die Arbeitsflächen der Küche angebracht waren, breitete sich vor Marek aus. In der Mitte stand ein großer, massiver Holztisch mit etlichen Stühlen. Ein überdimensionales Fenster mit einem Rundbogen an der Oberseite erhellte den Raum. Daneben befand sich eine Tür, durch die man in den Garten gelangte. Dort erstreckte sich ein Gemüse- und Kräutergarten, in dem Marek eine kleine, füllige Frau entdeckte, die Kräuter schnitt. Das rotbraune Haar hatte sie zu einem Dutt gebunden. Ihre Gesichtszüge waren derb, aber freundlich. Sie hatte etwas überaus Mütterliches an sich.

Als sie Marek bemerkte, winkte sie ihm lächelnd durch die Scheibe zu. „Hallo Luise!“, begrüßte Craig die Frau, die kurz darauf zurück in die Küche kam. „Darf ich dir unseren neuen Bibliothekar vorstellen. Er wird Bryne unterstützen. Marek Wagner.“ Luise wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab, lief freundlich lächelnd auf Marek zu und reichte ihm die Hand. „Das freut mich aber. Wir werden uns gut verstehen“, flötete sie, während ihr Blick an ihm hinunterglitt. „Junge, was bist du dünn. Ach das bekommen wir hin. Sag mir, was du essen möchtest, und ich koche es dir.“ Marek mochte sie vom ersten Augenblick. „Vielen Dank, aber für heute nichts“, entgegnete er. „Du kannst ihn morgen bekochen, Luise“, meinte Craig.

„Dieses Schloss ist ein Traum“, schwärmte Marek, als sie zurück im Speisesaal waren. „Und was befindet sich auf der anderen Seite der Mauer?“ Das gesamte Gelände war durch sie vom Schloss und dem Park abgetrennt. Marek hatte sie schon bei der Ankunft gesehen und traute sich nun, diese Frage zu stellen. Craig nickte und hatte ein Schmunzeln auf den Lippen. „Hinter der Mauer befindet sich auf der einen Seite der Nebelwald. Durch den du wahrscheinlich hergekommen bist. Auf der Westseite reicht der Wald bis an den See, der sich auf der gegenüberliegenden Seite des Schlosses befindet. Im Osten endet der Wald am Dunkelmoor, das dann in den See übergeht. Man könnte sagen, Grisper Castle liegt in einer einzigartigen Landschaft“, erklärte Craig. „Wie weit ist der nächste Ort entfernt? Wir sind lange gefahren, bis wir hier waren.“ „Du meinst Darkmoor? Ungefähr sechs Meilen Luftlinie von hier, direkt hinter dem Moor. Also eigentlich gar nicht so weit, jedoch musst du durch den Nebelwald um das Moor herum fahren, um dorthin zu gelangen. Es gibt keinen kürzeren Weg. Wollen wir weiter?“ Craig wandte sich um, Marek folgte ihm. Verstohlen sah er immer wieder zu dem Schlossherren. Er musste ihn einfach ansehen, es war wie ein Zwang. Craig war die pure Schönheit. Noch nie war Marek auf einen reizvolleren Mann gestoßen. Wenn er sprach, leuchteten seine Augen und strahlten eine unglaubliche Lebendigkeit und Lebensfreude aus, die Marek in seinen Bann zog – es war magisch.

Auf dem Weg zurück in die Eingangshalle begegnete ihnen wieder der Butler. Er blieb stehen und senkte den Kopf, als sie an ihm vorbeiliefen. Marek lächelte ihm zu und nickte. Der Butler hob den Kopf und nickte mit versteinerter Miene zurück. „Marcus braucht ein bisschen, um mit neuen Menschen warm zu werden. Gib ihm ein wenig Zeit“, sagte Craig, als sie außer Hörweite waren. „Wie lange arbeitet er schon für dich?“ „Er kam als junger Mann auf das Schloss. Ich habe ihn sozusagen von meinem Vater geerbt“, meinte Craig.

Er lief Richtung Treppe. Als sie die Stufen hinaufgingen, erklärte er: „Im ersten Stockwerk sind unsere Gäste untergebracht.“ Vom Treppenhaus in der ersten Etage gingen zwei Gänge ab. Auf dem Fußboden war dunkelroter Teppich verlegt. Zwischen den Zimmern hingen elektrische Kerzenleuchter an den Wänden. Marek konnte es vor seinem inneren Auge sehen, wie sie die Gänge in ein romantisches, leicht schummriges Licht tauchen würden, wenn es dunkel war. „Sind die Zimmer alle belegt?“

„Nein. Momentan haben wir nur wenig Gäste hier. Wir sind selten ausgebucht, aber für morgen hat sich ein weiterer Gast angekündigt.“ Craig ging in einen der Gänge und öffnete die erste Tür. Sie traten ein und standen in einem geräumigen Zimmer. Ein großes Bett mit einem dunkelroten Baldachin stand an der einen Wand. Gegenüber eine Sofaecke. Daneben befand sich ein ähnlich großer Schreibtisch wie schon im Kaminzimmer. „Sehen alle Zimmer so aus?“ „In der Art. Sie unterscheiden sich nur in der Größe. Das hier ist eins der Kleineren.“ Marek nickte anerkennend, während er sich umsah. Danach verließen sie das Gästezimmer und Craig steuerte wieder Richtung Treppe. Die zweite Etage ähnelte der ersten. Allerdings mit weniger Zimmern, wie Marek anhand der Türen feststellte. „Hier ist das Personal untergebracht. Komm mit, ich zeige dir deinen Bereich.“ Craig bog in den Gang, der in den Westflügel führte. Marek folgte ihm, bis sie am anderen Ende eine Tür aus dunklem Holz erreichten. Craig zog einen klirrenden Schlüsselbund aus der Jackentasche und sperrte sie auf. Sofort steuerte er zum Fenster, zog die schweren Vorhänge auf und öffnete das Fenster, um die Fensterläden zur Seite zu klappen. Helles Sonnenlicht durchflutete das Zimmer.

Marek war überwältigt. Sie standen in einem Wohnzimmer, das ihn eher an die Suite eines Luxushotels erinnerte, als an eine Unterkunft, in der man seine Angestellten unterbrachte. Als Erstes fiel ihm der übergroße Flatscreen, der an der Wand hing, ins Auge. Marek ging in die Mitte des Raums und blieb vor der ausladenden Wohnlandschaft stehen. Er strich mit den Fingern über den flauschig weichen Stoff. Die Sonne, die durch das Fenster schien, wärmte seine Haut. Ein leichter Luftzug strich über sie und er spürte ein leichtes Kribbeln. Auch dieses Zimmer duftete nach altem Holz, durchzogen von einem dezenten Veilchenduft, der von draußen hereinzuwehen schien. Hinter sich entdeckte er einen ähnlich wuchtigen Schreibtisch, wie er ihn bereits im Kaminzimmer bewundert hatte. „Wow. Hier darf ich wohnen?“ „Ja, natürlich. Das wäre dein Bereich.“ „Das ist kein Bereich, sondern eine Luxuswohnung“, stellte Marek begeistert fest. „Jetzt übertreib nicht. Mir ist es wichtig, dass sich meine Angestellten wohlfühlen.“ „Was ist hinter dieser Tür?“, fragte Marek und deutete auf die Tür, die schräg gegenüber der Wohnungstür lag. „Das Schlafzimmer und das Bad“ „Darf ich?“, fragte er schüchtern. „Bitte.“ Craig öffnete schmunzelnd die Tür und Marek schlüpfte hinein. Vor dem Fenster stand ein breites Bett. Der Geruch von frisch gewaschener Wäsche kroch in seine Nase. Marek lief zum Fenster und sah hinaus. Vor ihm erstreckte sich der Nebelwald. Er öffnete das Fenster. Vogelgezwitscher und das Rauschen der Blätter drang an sein Ohr. Er ging zurück ins Wohnzimmer. Sein Blick wanderte erneut durch das Zimmer. Durch das nächste Fenster konnte er auf eine große, alte Weide, die am Ufer des Sees stand, schauen. Unter dem Baum saß ein Mann und blickte aufs Wasser.

Craig trat an Marek heran. „Das ist Bryne. Du wirst ihn noch kennenlernen. Ich würde dich jetzt wieder nach unten bringen. Ich habe leider noch einen Termin.“ „Ja, natürlich. Ich wollte sowieso zurück nach Darkmoor und meine Sachen packen. Wann soll ich morgen hier sein?“ „Ich lasse alles vorbereiten. Du kannst dann morgen ab neun Uhr kommen, wann du möchtest. Solltest du noch Fragen haben, wende dich an Marcus. Er wird dir alles zeigen.“ Die beiden verließen die Wohnung und gingen zurück zur Treppe.

Als Craig nach unten weitergehen wollte, stoppte ihn Marek. „Wohin geht es da?“ Er deutete auf eine etwas schmalere Treppe, die nach oben führte. Craigs Augen verloren eine Spur ihres Glanzes und er straffte merklich die Schultern. Es schien, als würde er ein klein wenig verkrampfen. Mit bestimmter Stimme sagte er: „Dort geht es in den dritten Stock. Diese Etage ist für meine Angestellten tabu. Das ist mein Privatbereich.“ Er wirkte in diesem Moment fast ein wenig bedrohlich auf Marek. Craig bemerkte wohl, dass er übertrieben reagiert hatte, und räusperte sich. „Dort oben wohne ich und es herrscht das blanke Chaos. Das möchte ich niemanden zumuten, du verstehst …“, schob er mit freundlicherer Stimme hinterher. Marek wagte nicht, weiter zu fragen, doch seine Neugierde war geweckt.

„Ich lasse dir ein Taxi rufen. Es sollte in gut einer Stunde hier sein. Wir sehen uns dann morgen.“ Craig reichte ihm die Hand und geleitete ihn wieder in die Eingangshalle.

Marek verließ das Schloss. Während er auf das Taxi wartete, wanderte er im Schlosspark umher und setzte sich auf eine freie Bank, von der er einen guten Blick über den Park und das Schloss hatte. Er atmete tief ein, schmeckte die Luft. Frisch und rein. Die Junisonne wärmte sein Gesicht. Er legte seinen Kopf in den Nacken, schloss die Augen und lauschte. Es war nichts zu hören, nur das Rauschen des Waldes und das Singen der Vögel, das er schon am Fenster in seiner neuen Wohnung gehört hatte. In diesem Augenblick war er sich sicher: Hier würde er sich wohlfühlen.

Kapitel 2 – Der Mann im See

 

Mit all seinen Habseligkeiten stieg Marek gegen Mittag in das Taxi. Neben ihm stand die alte Holztruhe, die er von seinem Vater geschenkt bekommen hatte – das Einzige, was er von zuhause mitgebracht hatte und was ihm ein Anker war. Auf dem Beifahrersitz miaute Amadeus, der pechschwarze Kater. Er war es inzwischen gewohnt, zu reisen, und bestaunte die vorbeirauschenden Bäume aus seiner Transportbox heraus.

Als das Taxi auf dem Schlosshof hielt, kam Marcus schon aus dem Schloss. Ein paar Meter hinter ihm lief der Mann, den Marek am Vortag am See gesehen hatte. Ein sehr drahtiger, muskulöser Kerl mit einer Schwimmerfigur, breites Kreuz, schmale Hüften und beeindruckende Oberarme, stechend blaue Augen, Glatze und einem Bartschatten.

---ENDE DER LESEPROBE---