Gründergeschichten -  - E-Book

Gründergeschichten E-Book

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Beschreibung

Ein eigenes Unternehmen zu gründen – wie das geht, welche Lust, welches Leid man dabei erfährt, welche Freuden und Nöte man erlebt, das erzählen herausragende Unternehmer und Gründer in diesem Buch.

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Haasis, Heinrich; Schächter, Markus; Osterkorn, Thomas; Wiedeking, Wendelin

Gründergeschichten

Vom Abenteuer, ein Unternehmen aufzubauen

www.campus.de

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Copyright © 2007. Campus Verlag GmbH

Besuchen Sie uns im Internet: www.campus.de

E-Book ISBN: 978-3-593-40407-3

|7|Vorwort der Herausgeber

I997 war ein Jahr des Gründerbooms, geprägt von großer Euphorie. Viele junge Unternehmer wagten in Deutschland den Schritt in die Selbstständigkeit – einige waren sehr erfolgreich, andere mussten erkennen, dass es für ihre Geschäftsidee nicht den erhofften Markt gab.

Eines jedoch hatten die Gründer dieser Zeit gemeinsam: Ein Businessplan war für die meisten völliges Neuland. Eine standardisierte Leitlinie zur Erstellung von Geschäftsplänen war gefordert – einfach und praxisnah. Aus dieser Erkenntnis heraus riefen der stern, die Sparkassen und die Unternehmensberatung McKinsey Deutschlands größte Initiative zur Förderung von Existenzgründern ins Leben.

Zunächst unter der Marke »StartUp«, dann unter dem Dach des Deutschen Gründerpreises wurden seitdem knapp 10000 Gründungsteams auf dem Weg in die Selbstständigkeit begleitet. Mehr als 30000 Jugendliche haben sich im Internet-Planspiel für Schüler spielerisch mit der Welt der Wirtschaft vertraut gemacht. Seit 2002 unterstützt das ZDF diese Initiative, im Jahr 2006 ersetzte die Porsche AG die Firma McKinsey als Partner.

Wir Partner haben in den vergangenen Jahren viele Unternehmen entstehen, wachsen und auch scheitern sehen. In vielen |8|persönlichen Gesprächen und Begegnungen haben wir die Herausforderungen der Gründer hautnah erlebt. Und wir waren immer aufs Neue begeistert von ihrem Mut und ihrer Leidenschaft. Jeder Einzelne hätte seinen Platz verdient in unserer Bilanz dieser zehn Jahre – den »Gründergeschichten«. Die Auswahl zu diesem Buch fiel uns deshalb nicht leicht.

Die vor Ihnen liegenden zehn Porträts von Unternehmern und Unternehmen, allesamt Teilnehmer, Nominierte und Gewinner des Gründerpreises, stehen deshalb stellvertretend für die vielen Start-ups, die hier keine Erwähnung finden. Gleichermaßen repräsentieren sie zehn Jahre Gründungskultur in Deutschland und die unterschiedlichen Facetten des Unternehmertums.

Es geht in diesem Buch um erfolgreiche Lebenswerke, wie die von Reinhold Würth und Heinz-Horst Deichmann, es geht aber auch um schnelle Aufstiege wie den von Anton Milner und seiner Solarfirma Q-Cells, die nach wenigen Jahren die 1000-Mitarbeiter-Marke knackte. Doch erfolgreiche Gründer erfahren nicht immer nur Positives: Sie erzählen sehr persönlich von Krisen mit vielen Entlassungen, wie sie Max Reindl gemeistert hat, sie erleben schmerzhafte Trennungen von Mitgründern, wie sie Michael Muth von der Firma AeroLas erlebte, oder trennen sich gar selbst wieder von ihrer Firma, wovon Alexander Olek, Gründer von Epigenomics, berichtet.

Werfen Sie mit uns gemeinsam einen Blick hinter die Kulissen des Gründerdaseins und erleben Sie die Sorgen und Nöte, die Freuden und Erfolge »unserer« Gründer. Wir hoffen, dass sie möglichst vielen nachwachsenden Unternehmergenerationen Anreiz, Aufschluss und Ermutigung für ihre eigenen Firmen bieten.

|9|Allen in diesem Buch portraitierten Unternehmen und Unternehmern gilt unser besonderer Dank. Denn ohne ihr zeitliches Engagement, ohne ihre Offenheit und nicht zuletzt ohne ihren Mut zur Weitergabe auch belastender Erfahrungen wäre diese Sammlung nicht möglich gewesen. Sie versteht sich als breiter Erfahrungsschatz aus der Praxis, nicht als theoretisches Grundsatzwerk. Wir sind davon überzeugt, dass gerade die praktischen Erfahrungen einen Nutzwert bereithalten.

Unser Fazit nach zehn Jahren Gründungsinitiative, gerade auch unter Berücksichtigung der hier vorliegenden Gründergeschichten, lautet: Den typischen erfolgreichen Unternehmer gibt es nicht. Aber wichtige Kriterien für den Erfolg sind die Begeisterung für das, was man tut und der unbedingte Wille, alle Widerstände zu überwinden. Beides wünschen wir besonders den angehenden und aktiven Gründern, die dieses Buch lesen.

Thomas Osterkorn stern

Markus Schächter ZDF

Heinrich Haasis Deutscher Sparkassen- und Giroverband

Dr. Wendelin Wiedeking Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG

|10|Geleitwort des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie Michael Glos

In diesem Jahr feiert der Deutsche Gründerpreis seinen zehnten Geburtstag.

Das ist Anlass, Bilanz zu ziehen. Und wie könnte man es besser, als eine Auswahl von »Gründergeschichten« zu präsentieren? Geschichten, die das Leben schrieb und die zeigen, dass Menschen ihre Ideen und Visionen mit Leben gefüllt haben. Sie haben sich neuen Herausforderungen gestellt und Verantwortung für sich und andere übernommen.

Unser Land braucht neue Unternehmer. Sie suchen neue Chancen und Märkte, streben nach Wachstum und sorgen für neue Arbeitsplätze.

Wachstum kann man nicht verordnen. Aber man kann es fördern. Und deshalb unterstützt das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie mit zahlreichen Fördermaßnahmen und Informationen in gedruckter und elektronischer Form rund um das Thema Existenzgründung auch die Initiative »Deutscher Gründerpreis«. Sie wurde 1997 ins Leben gerufen, um für mehr Selbstständigkeit in Deutschland zu werben und die Gründung neuer Unternehmen zu fördern.

Der Deutsche Gründerpreis hat seinen festen Platz im Gründungsgeschehen gefunden und Jahr für Jahr an Attraktivität gewonnen. Jedes Jahr werden Unternehmerinnen und |11|Unternehmer für den Deutschen Gründerpreis vorgeschlagen und stellen ihre innovativen Geschäftsideen, neuen Technologien und interessanten Produkt- sowie Dienstleistungsangebote vor. Die Vorschläge haben sich in Quantität und Qualität erheblich gesteigert und stellen die Jury vor eine schwierige Aufgabe.

Das zeigt auch, dass sich in Deutschland viel bewegt und verändert hat. Die Wirtschaftsprognosen für 2007 stimmen optimistisch. Das Wirtschaftswachstum hat sich positiv entwickelt; neue Arbeitsplätze entstehen, die Zahl der Menschen ohne Beschäftigung geht zurück.

Das Buch Gründergeschichten zum zehnjährigen Jubiläum des Deutschen Gründerpreises ist eine hervorragende Werbung für eine neue Unternehmerkultur und neuen Gründergeist am Standort Deutschland. Alle Leser können mit der Lektüre ein realistisches Bild von der Selbstständigkeit und vom Unternehmertum gewinnen und sich von der Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft überzeugen.

Deshalb wünsche ich mir, dass die »Gründergeschichten« Einzug halten in die Bibliotheken an Schulen und Universitäten, damit es auch in Zukunft viele Nachahmer gibt und im Zusammenhang mit dem Deutschen Gründerpreis in den nächsten zehn Jahren noch viele Erfolgsgeschichten geschrieben werden.

Ihr

Michael Glos Bundesminister für Wirtschaft und Technologie

|13|»Trippeln ist nicht meine Sache«

Epigenomics AG

Er sieht sich mehr als Gründer, denn als Unternehmer: Alexander Olek trieb mit seiner Firma Epigenomics die Entwicklung neuartiger Krebstests voran. Als er merkte, dass der Erfolg viele Jahre braucht und vor allem Durchhaltevermögen gefragt ist, gab er die Firma in die Hände erfahrener Manager und wandte sich neuen Projekten zu – unter anderem der Gründung eines Privatschul-Konzerns.

Alexander Olek hat mit 29 Jahren eine Firma gegründet, wurde mit Preisen überschüttet und zum Börsenstar. Nach einer Aufsichtsratssitzung war er plötzlich nicht mehr der Chef seines eigenen Unternehmens – aber dafür ungeheuer zufrieden.

Wenn man Olek fragt, was für ein Gründer er ist, dann sagt er erstmal, was er nicht ist, nämlich »kein Wissenschaftler, der Wissenschaft kann und sonst nichts« und auch keiner, »der mal zufällig eine Erfindung gemacht und zum Erfolg durchentwickelt hat, an der er jetzt klebt.« An irgendwelchen Ideen kleben ist nicht Alexander Oleks Sache. Es lässt sich auch anders formulieren: Das Nicht-Klebenbleiben ist sogar Oleks ganz besonderes Talent: »Ich habe keine Angst davor, aus meiner Ecke herauszukommen und etwas Neues auszuprobieren«, sagt er dazu. »Ich bin stolz darauf, dass aus allem, was ich mache, irgendwie etwas wird.«

|14|Die Liste dieser Ideen ist lang: Ein Genlabor, ein Analytikunternehmen für Agrarprodukte, ein Medizinportal, eine Biotech-AG, eine Privatschulenkette, eine Fondsgesellschaft für Privatschulen, eine Modefirma, ein Unternehmen für Lernsoftware. Alexander Olek ist übrigens noch keine 40 Jahre alt: Geboren wurde er am 10. August 1969. Es muss eben alles schnell gehen in Oleks Leben. »Es fehlt nie an Ideen, es fehlt immer nur an Zeit, sie umzusetzen«, klagt er. Wer ihn eine Weile beobachtet, denkt an eine Maschine, die mit Input gefüttert werden will, um reihenweise diese neuen Ideen auszuspucken. Olek selbst formuliert das so: »Meine Stärken sind wohl meine Neugier, und dass ich überall einen Bedarf nach neuen Lösungen erkenne. Das erfüllt mich jedenfalls mehr, als ein Leben lang als Fachidiot einer Vision hinterher zu taumeln«. Ist die Innovation erst einmal in der Welt, sorgt er dafür, dass sie ins Laufen kommt. Danach zieht es ihn weiter, zum nächsten Projekt. Wenn man so will, ist Alexander Olek ein Serien-Gründer.

Nach einer mittelmäßigen Schulkarriere und dem Abitur an einem Bonner Gymnasium ging Olek 1989 für eineinhalb Jahre nach Argentinien. »Das war alles ganz simpel: Ich wollte raus aus Deutschland und eine neue Sprache kennen lernen; ich hatte während der Schulzeit ein paar Sachen gelernt, die ich in Argentinien umsetzen konnte.« Sein Vater, ein Bonner Molekularbiologe, kennt einen Professor in Buenos Aires, für den Olek ein Forschungslabor aufbauen soll – seine erste kleine Firma. »Ich habe das ohne großen Plan gemacht, es sollte mir nur meinen Lebensunterhalt finanzieren und mir eine interessante Tätigkeit bieten.« Und vor allem eine Tätigkeit, während der er niemandem Rechenschaft |15|schuldig ist. »Denn einen Chef zu haben, das kann ich nicht ertragen.«

Nach dem Auslandsaufenthalt beginnt Olek ein Chemiestudium an der Universität Bonn und wechselt 1992 ans Imperial College, um dort drei Jahre lang Biochemie zu studieren. Er macht seinen Bachelor und beginnt 1995 seine Promotion am Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik an der Freien Universität Berlin. Bis zu diesem Punkt könnte es sich auch um die Biografie eines hoffnungsvollen Nachwuchstalents für ein renommiertes Unternehmen der Pharmabranche handeln. Doch es kommt anders, denn die Ideenmaschine Olek hat während des Studiums genug neuen Input gesammelt.

In seinen Seminaren hat Olek die Grundzüge der Epigenomik gelernt, eines Forschungszweigs der modernen Molekulargenetik. Dabei versuchen die Wissenschaftler, die Vorgänge aufzuklären, die der Regulation von Genen zugrunde liegen, also jenem komplexen Zusammenspiel auf die Spur zu kommen, das zwischen Genen, Eiweißmolekülen und Signalen von außerhalb der Zellen abläuft. Eine Hoffnung der Forscher ist, dass ihnen diese Erkenntnisse irgendwann einmal beim Kampf gegen genetische Erkrankungen wie Diabetes und Alzheimer helfen werden.

Ein Teil jener Zellprozesse ist die sogenannte DNA-Methylierung. Dabei reguliert ein chemischer Stoff, eine Methylgruppe, welche Gene kommunizieren dürfen und welche stumm sind, sodass die Zelle funktionieren kann. Im Umkehrschluss bedeutet das: Sind die falschen Gene methyliert, funktioniert die Zelle nicht richtig. Ursache dafür kann eine Krankheit, beispielsweise Krebs, sein. Oleks Idee ist nun im Prinzip ganz einfach: Wer weiß, wie die DNA-Methylierung |16|bei einer bestimmten Krebserkrankung aussieht, kann auch vermeintlich gesunde Zellen auf diese verdächtigen Muster hin untersuchen: Daraus könnte sich ein hocheffizientes Frühwarnsystem entwickeln lassen, ein Krebstest, der fast komplett ohne medizinischen Eingriff auskommt, da er nur wenige Zellen benötigen und Gewebeentnahmen überflüssig machen würde. Eine Blutprobe könnte ausreichen.

Auch mit nur wenigen besuchten BWL-Vorlesungen ahnt Olek, dass das Potenzial des Produktes riesig ist: Ein funktionierender Test für Darmkrebs beispielsweise könnte pro Jahr zwischen 100 und 150 Millionen Patienten helfen. Wäre man in der Lage, damit 50 bis 80 Prozent aller Darmkrebstoten zu vermeiden, wären das allein in Amerika und Europa 100000 bis 150000 Krankheitsopfer weniger im Jahr. Würde sich das Produkt für etwa 100 Dollar verkaufen lassen, läge der potenzielle Umsatz weltweit bei zehn Milliarden Dollar.

Noch während seiner Promotion schreibt Olek einen Businessplan. Er schickt die Geschäftsidee einem Venture-Capital-Geber und lädt ihn ins Max-Planck-Institut ein. Er erklärt dem potenziellen Finanzier sein Vorhaben. Der ist begeistert: »Super, super«, ruft er, und fügt dann warnend hinzu: »Aber, Herr Olek, Sie brauchen nicht mal davon zu träumen, dass Sie das erste Jahr dieses Unternehmens als Geschäftsführer überleben.« Er nimmt Olek wegen seines Alters nicht für voll, aber immerhin hilft er ihm. Im Januar 1999 erhält der Jungunternehmer seine ersten Millionen Wagniskapital. Insgesamt werden es 7,5 Millionen Euro. Zusammen mit vier Mitstreitern gründet er in einem Hinterhof in Berlins Szene-Stadtteil Prenzlauer Berg die neue Firma, der die Gründer den Namen Epigenomics geben.

|17|Olek muss jetzt anfangen, aus einem Gedanken ein Unternehmen zu formen: Er braucht einen Think-Tank und ein Labor in einem: Verfahrenstechnische Methoden müssen entwickelt werden, um Genmaterial billig, effizient und standardisiert aus Blutproben gewinnen zu können. Auch Molekularbiologen samt Hightech-Ausrüstung werden benötigt, um Krebs-DNA mit einer extrem hohen Empfindlichkeit detektieren zu können. Eine ganze Truppe von Medizinern muss mit Krankenhäusern zusammenarbeiten und Patientenkollektive sammeln, um nachzuweisen, ob die Tests funktionieren. Für die Bearbeitung und Auswertung der riesigen Datenmengen werden wiederum Kenner in Statistik und IT gebraucht. Dazu kommt ein Verwaltungsapparat für Gesundheitsökonomie sowie Vertrags-, Marken- und Patentrecht – denn die Epigenomics-Gründer fangen früh an, ihre Forschungsergebnisse patentieren zu lassen. Dieses geschützte Wissen soll einmal ihr Kapital werden.

Olek geht in der Arbeit voll auf: »Das Ganze ist echt schwierig. Aber diese Komplexität und dieses Managen verschiedener Disziplinen ist ja gleichzeitig auch das Spannende.« Sein zweites großes Talent kommt zum Tragen: Menschen zusammenzutrommeln und von einer Idee zu überzeugen. Bekannte sagen über ihn, Olek sei schon immer ein großer Motivator gewesen, jemand, der in einem Team schnell ein Wir-Gefühl erzeugen kann. Anderthalb Jahre nach der Gründung arbeiten schon 50 Menschen für Epigenomics. Im Herbst 2001 sind es bereits 120 Mitarbeiter; es gibt neben dem Berliner Hauptsitz noch eine Niederlassung in Seattle in den Vereinigten Staaten.

Während die Mitarbeiter an der Entwicklung des Krebsmarkers arbeiten, besorgt Olek das Geld. Auf die potenziellen |18|Investoren wirkt der junge Wissenschaftler mit der Strubbelfrisur und der Nickelbrille kompetent, frisch und dynamisch. »Schlitzohr im Forscherkittel« nennt ihn einer. Auch die Geldgeber lassen sich von Oleks Idee überzeugen, und natürlich von den Gewinnaussichten: Schafft es das Produkt an den Markt, wird es voraussichtlich ein paar hundert Millionen Euro Umsatz pro Jahr machen. »Bei den Umsatzbeteiligungen, die man in der Branche kriegt, ist das reiner Profit für so ein Unternehmen wie Epigenomics«, stellt Olek fest. »Und außer dem Darmkrebsscreening werden ja noch andere Produkte kommen, gegen Prostatakrebs und gegen Lungenkrebs.« Olek ist sich sicher: »Das Ding kann mehr einbringen als der Transrapid in den kühnsten Träumen von Siemens – wenn es klappt.« Denn anders als in vielen anderen Branchen gehört zu Investitionen in der Biotechnologie auch immer ein großes Stück Risikobereitschaft: Ob das Produkt, in das man seine Hoffnungen setzt, auch wirklich funktionieren wird, muss sich in klinischen Tests ja erst noch herausstellen. Die Investoren gehen das Wagnis ein: In zwei Finanzierungsrunden nimmt Epigenomics bis 2003 insgesamt 40 Millionen Euro Kapital ein und stürzt sich in die Forschung.

Alles scheint bestens zu laufen. Doch bald schon grummelt in Olek wieder die Unruhe und Unzufriedenheit. Die für die Branche typischen langen Produktzyklen beanspruchen seine knapp bemessene Geduld. »Man legt los mit einer unendlich geringen Wahrscheinlichkeit dort anzukommen, wo man hin will, und dann sitzt man da und forscht und tut und macht. Dabei liegt der größte Teil der Risiken in der Biologie. Da muss ich jedes Mal wieder ein unendliches Glück haben, bis ich zufällig da ankomme, wo ein Produkt rauskommt.« Seine |19|eigene Leistung bestehe dagegen in reiner Fehlervermeidung, beschwert sich Olek. »Das ist ein mieses Gefühl, immer zu wissen, dass nur 20 Prozent des Ergebnisses auf meiner Leistung und 80 Prozent auf Glück beruhen. Dazu findet die Arbeit in einem Elfenbeinturm statt: Man hat keine Kunden, man hat null Feedback, außer vom Finanzmarkt, und der ist so ein Ding für sich. Für einen Wissenschaftler ist das genial, aber nicht für einen Unternehmer.«

Seinen Kontakt zur »normalen« Außenwelt muss er sich also anderswo holen: Olek engagiert sich bei den Grünen, wird Mitglied des Innovationsrats des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder und sitzt im Aufsichtsrat der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie. Darüber hinaus wird ihm an der Humboldt Universität Berlin ein Lehrauftrag für Entrepreneurship angetragen. In dieser Zeit erhält er den Deutschen Gründerpreis in der Kategorie »Visionär«, kurz danach erklärt das Time-Magazine Epigenomics zu einer der »50 heißesten Tech-Firmen in Europa«.

Und trotzdem ist Olek klar, dass er in dieser Firma nicht ewig bleiben wird. Er habe immer gesagt, dass er den Job maximal bis zu seinem 40. Geburtstag machen wolle, erinnert sich Olek. »Ich fand etwas Gesellschaftliches oder Politisches schon immer interessanter. Und ich sehe auch meine Fähigkeiten nicht darin, etwas von A bis Z durchzuziehen, sondern darin, etwas Neues anzustoßen, Barrieren zu durchbrechen.« Die Gründerpreis-Auszeichnung als Visionär sei insofern sehr passend gewesen, meint er im Rückblick.

Olek sieht sich im Unternehmen als Stratege. Eher unwillig packt er auch das ebenso trockene wie wichtige Tagesgeschäft des Managements an: »Ich habe das gemacht, weil ich von |20|mir erwartete, dass ich es kann, und weil ich verstehen wollte, wie es andere machen. Also musste ich es mir und anderen beweisen.« Er sei aber auch der Meinung, dass jeder nur das tun sollte, worin er gut sei. »Es interessiert mich einfach nicht, aus einem Produkt noch mal fünf Prozent herauszuholen. Was mich interessiert, ist der große Vorwärtssprung, in diesem Fall der wissenschaftliche Sprung mit dem Krebsscreening. Aber wenn so ein Sprung in einer Firma erst einmal geglückt ist, wird halt von da an mit dem Trippeln begonnen, und Trippeln ist nicht meine Sache. Ob das Produkt nun beispielsweise in einer roten oder einer blauen Box verkauft wird, das war mir immer egal. Ich kann den großen Sprung besser, und der ist im Übrigen auch lukrativer.«

Auch in den Zeitungsartikeln, die sich im Laufe der Jahre mit den Phänomenen Epigenomics und seinem Gründer beschäftigen, blitzt diese legere Einstellung ab und zu auf: »Ich muss das hier nicht ewig machen«, zitiert ihn beispielsweise die Financial Times bereits im Jahr 2000, übrigens in einem Artikel, der den schmeichelhaften Titel trägt: »Danke Alex, dass es dich gibt«. Und im Handelsblatt erklärt der promovierte Molekularbiologe damals: »Ich war nie einer von jenen Verrückten, die nur an ihre Moleküle dachten und nie an ihren Geldbeutel.«

Jemand baut jahrelang ein Unternehmen auf, um dann damit zu kokettieren, es jederzeit wieder verlassen zu können. Wie passt das zusammen? »Wenn es ein privat geführter Familienbetrieb wäre, würde ich nicht so reden. Aber wenn ich von vorneherein Venture Capital in die Sache hereinhole und das Unternehmen an der Börse notiere, haben am Ende der Finanzierung sowieso irgendwelche Hedgefonds den Einfluss|21|«, gibt Olek zu Bedenken. »Ist doch ein fairer Deal: Die können mich jederzeit rausschmeißen – warum sollte ich dann lebenslange Solidarität versichern?«

Anfang 2003 gelingt dem Epigenomics-Führungsteam ein entscheidender Coup: Der Pharma-Riese Roche steigt bei ihnen mit seiner Tochterfirma Roche Diagnostics ein. Mit einer Partnerschaft, deren Umfang im Erfolgsfall mehr als 100 Millionen Euro betragen soll, will sich der Baseler Konzern das Know-how auf die neue Diagnose-Technologie sichern und den Zutritt zum erwarteten Milliardenmarkt. Es ist der bislang größte Erfolg des kleinen Berliner Unternehmens und eine der größten Kooperationen der Biotech-Branche überhaupt. Marktbeobachter werten den Pakt als Gütesiegel für Oleks Arbeit. Mit dem neuen Geld, hofft der Unternehmer, könnte die Finanzierung für den geplanten Börsengang ausreichen. Wann das sein soll, das lässt der Unternehmensgründer vorerst offen. Er ahnt noch nicht, welche Folgen die neue Partnerschaft für ihn haben wird.

Im Juni 2004 gibt Epigenomics schließlich den Termin der Neuemission bekannt: Schon im nächsten Monat soll es soweit sein. Die Meldung erregt Aufsehen: Seit mehr als drei Jahren hat sich kein Unternehmen aus der für Anleger als sehr riskant geltenden Branche an den deutschen Aktienmarkt gewagt. Zeitungen schreiben: »Der Börsengang von Epigenomics ist wichtiger als der von der Postbank für die deutsche Wirtschaftsszene.« Denn Unternehmen wie die Deutsche Postbank würden in Deutschland immer wieder an die Börse gehen, aber wenn es nicht gelinge, ein Börsenklima für kleine Biotechnologiefirmen zu schaffen, habe man ernsthafte Probleme. Analysten überrascht, wie kurzfristig das |22|Börsendebüt anberaumt worden ist, die meisten sind sich jedoch einig: Trotz des riskanten Umfelds, obwohl Epigenomics noch rote Zahlen schreibt und obwohl das Unternehmen noch lange kein marktfähiges Produkt vorzuweisen hat, haben die Berliner beste Chancen. »Wer, wenn nicht die«, so lautet in etwa das Fazit. Man schätzt die Marktkapitalisierung auf 150 bis 200 Millionen Euro.

Nach außen verkündet Olek, man wolle durch den Börsengang »einen Meilenstein setzen«. Das Geld solle dazu verwendet werden, diagnostische Testsysteme zu entwickeln und stille Gesellschafter auszuzahlen. Der frühe Zeitpunkt des Börsengangs hat jedoch tatsächlich andere Gründe, wie Olek heute, drei Jahre später, einräumt. Die Situation innerhalb des Unternehmens sei damals angespannt gewesen: »Ich hatte schon wochenlang über die Lage von Epigenomics nachgedacht: Wir brauchten irgendwann wieder Geld, aber wir waren noch nicht so weit, wie wir wollten. Außerdem fingen die Investoren an, sich in die Haare zu kriegen.« Unter den Geldgebern habe es verschiedene Meinungen zur Zukunft des Unternehmens gegeben. »Wenn das so weitergegangen wäre, wäre die Firma auf lange Sicht auseinander geflogen«, glaubt Olek.

Die Lösung kommt ihm an einem Sonntag im Schwimmbad. Dreimal die Woche ackert Olek im Wasser seine drei Kilometer ab, nutzt die Zeit zum ungestörten Nachdenken. Dieses Mal kreisen seine Gedanken wieder um die Probleme der Firma, als der Begriff »Börsengang« in seinem Kopf auftaucht. Ein paar Bahnen weiter steht für Olek fest: Jetzt schon diesen Gang anzutreten, wäre geradezu verwegen. Aber es würde den Einfluss der Investoren eingrenzen und das nötige Geld in die Kassen bringen.

|23|»Ich bin dann montags morgens ins Büro gegangen und habe mir einzeln die Vorstände vorgeknöpft. Die sind aus allen Wolken gefallen, jeder Einzelne für sich«, berichtet Olek. Er schafft es, alle von seinem Plan zu überzeugen und marschiert mit ihnen zum Aufsichtsrat. »Der ist dann auch aus allen Wolken gefallen.« Niemand habe wirklich daran geglaubt, aber plausible Alternativen habe auch niemand vorweisen können. »Dieser Mut zur Flucht nach vorne, das ist eine der zentralen Eigenschaften eines Gründers«, glaubt der Berliner. »Dazu gehört entweder viel Dummheit oder ein gutes Nervenkostüm. Der Rückzug jedenfalls ist immer tödlich. Es wird gefährlich, sobald wir anfangen, uns zu verschanzen oder in die Defensive zu gehen, vor allem in so einer Anfangsphase wie damals.«

Auch bei der Vorbereitung auf die Neuemission geht Olek offensiv vor: «Wir sind eine Biotech-Firma – und daher nicht risikofrei wie die Postbank oder Siemens«, sagt er damals der Süddeutschen Zeitung. Im Spiegel warnt er Kleinanleger, ihr Investment sei »kein Bundesschatzbrief«. Kritik erregen aber nicht seine Warnungen, sondern der Aktienpreis, mit dem Epigenomics auf dem Parkett starten möchte: Bis zu 14,50 Euro soll das Wertpapier kosten. Viel zu hoch sei das, kritisieren Analysten. Schließlich werden die Biotechnologen frühestens in vier Jahren, also 2008, schwarze Zahlen schreiben, noch machen sie Millionenverluste. Auf den allgemeinen Druck hin senkt das Unternehmen dann doch noch den Preis: Gerade mal neun Euro werden es schließlich sein. Das Papier ist am Stichtag trotzdem nur leicht überzeichnet. Die Financial Times Deutschland schreibt: »Damit reiht sich Epigenomics in die bislang eher enttäuschend verlaufenen Börsengänge von Biotech-Firmen auf beiden Seiten des Atlantiks ein.«

|24|Der Gründer

Name: Alexander Olek

Geburtsjahr:1969

Geburtsort:Bonn

Ausbildung / Abschluss: promovierter Molekularbiologe

Heutige Position in der Firma Epigenomics: Aktionär

Die Unternehmen

Firmenname: Epigenomics AG

Sitz:Berlin

Gründungsjahr:1998

Was macht die Firma? Früherkennungstests für Krebserkrankungen

Mitarbeiter:ca. 110

Firmenname: Phorms Management AG

Sitz:Berlin

Gründungsjahr:2005

Was macht die Firma?Betrieb von Privatschulen

Mitarbeiter: ca. 120

|25|

Alexander Olek

|26|Olek ist wütend auf die Skepsis, die ihm in Deutschland entgegenschlägt – und neidisch auf den optimistischer gestimmten amerikanischen Markt. In Seattle, dem Standort der amerikanischen Niederlassung, habe es zum Börsengang »Go, guys, go« geheißen, schimpft Olek, »und hier kommt man sich vor, als betreibe man ein Bordell«. Sogar mit dem Gedanken, den Hauptsitz des Unternehmens in die Vereinigten Staaten zu verlegen, spielt der Gründer. Später distanziert er sich allerdings wieder von dieser Überlegung.

Aber seine Kritik am Standort Deutschland bleibt: »Wenn ich in Amerika plausibel erklären kann, dass ich eine gute Technologie habe, die sich weltweit durchsetzen wird, bekomme ich an der Börse das dafür nötige Kapital. In Deutschland funktioniert es anders herum: Ich bekomme das Geld erst, wenn ich den Weltmarkt schon aufgerollt habe.« Auf innovative Produkte zu setzen, habe in Deutschland zu wenig Chancen, klagt er. Später verfliegt der Zorn, ein Groll aber bleibt spürbar: »Der deutsche Aktienmarkt ist für Firmen dieser Art nicht gemacht, Punkt. Wenn ich wieder in Biotech einsteigen würde, dann würde ich das nicht wieder in Deutschland, sondern in Amerika tun.« Dort sei eine solche Firma das Zwanzig- oder vielleicht sogar das Fünfzigfache wert. »Potenzial wird hier nicht bewertet, das ist halt so«, seufzt Olek.

Im Sommer 2004 befinden sich die Märkte auf Talfahrt und ziehen auch Epigenomics weiter mit nach unten, obwohl vor allem die Analysten von Morgan Stanley der Aktie einen Kurs von bis zu 18 Euro zutrauen. Ende August liegt der Preis des Wertpapiers bei unter sechs Euro. So sehr sich Olek auch über die Grundstimmung auf den Finanzmärkten ärgern mag, bleibt er hinsichtlich des Börsenkurses des Unternehmens gelassen |27|– und seine Investoren auch. Sie haben Vertrauen in die Zukunft des jungen Unternehmens. »Es gibt keine Biotech-Firma, die nicht irgendwann mal unterhalb ihres Ausgabepreises war, und in Deutschland sowieso gar keine«, lautet Oleks Botschaft. »Wer Biotech macht, sollte kein Spekulant sein. Und wenn er einer ist, dann sollte er sich nicht über seine Verluste beschweren.«

Heute, drei Jahre nach dem Börsengang, ist Olek froh, dass er damals so klare Worte gewählt hat: »Wir waren immer auf der sauberen Seite und haben jeden davor gewarnt, wie risikoreich das ist.« Er habe Privatanlegern nie empfohlen, in Biotech anzulegen. Manche hätten es dann allerdings doch getan, beispielsweise aus privaten Gründen, wie einem Krebsfall in der Familie. »Viele Biotech-Investments sind emotional und nicht rational. Da kann ich nur sagen: Leute, ihr müsst die Risiken kennen und davon ausgehen, dass ihr euer Geld verliert. Wir haben nur einen begrenzten Einfluss darauf, ob klinische Studien am Ende funktionieren.«

Während sich Epigenomics in den kommenden Monaten durch die Wogen des Finanzmarktes schaukelt, kommen die Genforscher allmählich voran. Tests deuten darauf hin, dass sich ihre Biomarker tatsächlich zur Krebsdiagnose eignen. Doch hinter den Kulissen plagen Olek wieder neue Sorgen. Irgendetwas stimmt nicht mit Roche, dem wichtigsten Partner seiner Firma. Es scheinen Kleinigkeiten zu sein: Die Roche-Mitarbeiter fragen die Berliner Wissenschaftler immer öfter nach weiteren Daten, mit denen sie ihr eigenes Management vom Sinn der Kooperation überzeugen wollen.

»Es gab weitere Anzeichen für eine Veränderung«, erinnert sich Olek heute zurück. »Das übliche Sammelsurium von |28|kleinen Details, die jemand nicht wahrhaben will, der dem Wishful-Thinking-Syndrom erlegen ist, Details, die man aber sehr wohl deutlich erkennen kann.« Es sei schwieriger geworden, Termine in den oberen Chefetagen zu bekommen, Entscheidungen hätten sich verzögert, Entscheidungsprozesse seien komplizierter gemacht worden, immer neue Experimente seien gefordert worden. »Dazu kam die Angst der Roche-Leute, die mit uns zusammenarbeiteten und die ja auch an den Projekten hingen. Wenn die sich innerhalb eines Konzerns einig sind, dann treten die sehr selbstsicher auf. Aber wenn man merkt, dass die eigenen Partner in so einem Konzern plötzlich Angst vor ihren eigenen Chefs kriegen, dann muss ja irgendetwas faul sein.«

Solche Antennen für Probleme und Gefahren auch außerhalb der eigenen Firma zu haben, sei eine extrem wichtige Eigenschaft für Gründer und Unternehmenschefs, davon ist Olek überzeugt. Und noch ein Charakterzug sei entscheidend: Pessimismus. »Der Optimismus, daran zu glauben, was wir tun, und daran auch festzuhalten, wird viel zu oft verwechselt mit Naivität«, glaubt Olek. »Ich selbst bin in der Sache insofern superoptimistisch, dass ich immer sagen würde: ›Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.‹ Dieser positive Optimismus ist aber etwas ganz anderes als Blauäugigkeit und Wishful Thinking.« Wenn er sich selbst beschreiben solle, »dann bin ich ein gnadenloser Optimist in der Sache, ansonsten aber der pessimistischste, vorsichtigste und paranoideste Charakter, der so rumläuft. An jeder Ecke sehe ich als Erster die Warnsignale. Dann werde ich sofort stutzig und frage nach.«

Olek fügt die Puzzleteile zusammen. Seine Schlussfolgerung: Roche glaubt nicht mehr an das Projekt und wird bald abspringen|29|. Für Epigenomics könnte das verheerende Auswirkungen haben. »Wir waren ja sehr abhängig von Roche«, sagt Olek. »Eines meiner größten Probleme war, dass ich eigentlich gar keine eigene Marktstrategie hatte. Die beiden ersten großen Produkte waren an Roche lizenziert. Ich hatte überhaupt keinen Einfluss darauf, wann die auf den Markt gekommen wären. Nachdem die ersten klinischen Studien erfolgreich waren, war der geschwindigkeitslimitierende Faktor eindeutig Roche. Wann immer mich jemand gefragt hat, wann denn unser Produkt auf den Markt kommt, habe ich nur geantwortet: Was habe ich denn für einen Einfluss auf mein Produkt? Ich kann nur entwickeln und dann beten und betteln. Und managen Sie mal so eine Firma.« Scherzhaft habe er daher seine Firma damals als »Entwicklungsappendix« von Roche bezeichnet, als ein ausgelagertes Entwicklungslabor. »Weil wir uns nie darum gekümmert haben, wie man so ein Produkt vermarktet, höchstens, wenn wir den Investoren klarmachten, wie es funktionierte. Aber dass wir das dann selbst umsetzten, daran war nicht zu denken.«

Aus der bloßen Ahnung heraus, dass Roche von Bord gehen will, fängt Olek damit an, das Unternehmen neu aufzustellen. »So eine Firma darauf vorzubereiten, dass einem der Partner abspringen könnte, heißt ja, brutal Schluss zu machen mit der Einstellung: Wir entwickeln mal, lehnen uns zurück und warten ab. So eine Umstellung heißt auch, dass sich die Umsatzbeteiligung radikal verändern wird und dass man das Produkt plötzlich selber an den Markt bringen muss.« Olek weiß, dass diese neuen Aufgaben teuer werden. Er beginnt, die Investoren vorzuwarnen und die entsprechenden Leute für das Marketing und die Entwicklung einzustellen.

|30|Olek will das Unternehmen darauf vorbereiten, für diese Aufgaben notfalls selbst gewappnet zu sein. Weil er aber für diesen Unternehmensausbau mit nicht viel mehr als mit einigen schlechten Vorzeichen und einem unguten Bauchgefühl argumentieren kann, kommt er in Erklärungsnöte: »Dann sitzt man da und kommt mit einem eher pessimistischen Szenarium und erklärt den Leuten, dass man jetzt aber bitte leider wirklich anfangen muss, Geld auszugeben.« Viel Schwarzmalerei sei dafür nötig gewesen, sagt Olek heute. »Und damit habe ich mir nicht besonders viele Freunde gemacht. Der Überbringer schlechter Nachrichten ist ja nie sehr populär. Wohl auch, weil diese Nachrichten so ohne Substanz daher gekommen sind.«

Sein Drängen auf einen Unternehmensumbau habe eben – wie zuvor der Entschluss zum Börsengang – dem Flucht-nachvorn-Prinzip gehorcht, sagt Olek. »Eine solche Strategie ist für einen Old-Economy-Aufsichtsrat dann überhaupt nicht mehr verdaubar. Aber die wirklich guten CEOs, auch bei ganz großen Firmen, die holen das Unternehmen aus der Krise, indem sie genau in solchen Situationen ein paar Milliarden investieren. Nur die guts, den Mumm dazu muss man haben.« Der schlechte CEO dagegen, davon ist Olek überzeugt, lagere als erste Maßnahme die meisten Stellen in Service-Gesellschaften aus und versuche, das Problem über die Kostenseite in den Griff zu kriegen.

Damals, zum Jahreswechsel 2005 /2006, misstrauen Vorstand und Aufsichtsrat von Epigenomics dem Bauchgefühl von Alexander Olek. Es kommt zu Konflikten, zu deren genauem Verlauf sich der Unternehmensgründer nicht äußern will. Vermutlich sah sich Olek der Kritik ausgesetzt, er übertreibe das Risiko des Roche-Ausstiegs, und selbst wenn Roche |31|tatsächlich aussteige, dann seien Kostenreduktionen die bessere Strategie, um sich über Wasser zu halten. Immer wieder lässt Olek anklingen, dass er nicht an seinem Stuhl klebe. Doch irgendwie will niemand glauben, dass Olek die Expansionsstrategie für so notwendig hält, dass er sogar seinen Job davon abhängig machen würde. »Das Stigma eines Gründers«, nennt es Olek: für jemanden gehalten zu werden, »der nicht an die Kosten geht, weil er sentimental ist; der emotional an seinem Baby hängt und nicht wirklich rational entscheiden kann«. Gründer würden zwar respektiert und teilweise auch beneidet, man begegne ihnen aber oft auch mit Misstrauen: »Nach dem Motto: Mit dem muss ja irgendwas faul sein. Es kann ja nicht sein, dass der alles kann.« Da sei es eben am einfachsten zu postulieren, dass er gefühlsduselig sei. »Es macht einem das Leben unheimlich schwer, als Visionär zu gelten«, findet Olek und zitiert einen Spruch von Altkanzler Helmut Schmidt: »Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.«

Nach und nach zieht er sich aus dem operativen und strategischen Geschäft zurück. Seine Tätigkeit im Unternehmen beschreibt er nun nur noch als »corporate courage« oder »leadership management«, als eine Art unternehmerischer Mutmacher nach innen und außen. Für ihn wird immer deutlicher, dass er nicht mehr lange das Unternehmen steuern will. »Irgendwann war einfach beiden Seiten klar: Okay, das hat jetzt keinen Sinn mehr. Ich hätte aber nicht gewusst, wann dieser Zeitpunkt gekommen ist. Ich wäre aus Loyalität nicht einfach ausgestiegen und hätte nicht einfach meine Kündigung hingeschmissen. Ich wollte, dass der Aufsichtsrat und meine Kollegen davon voll überzeugt sind und den Schritt auch mitgehen wollen.«

|32|Mit seiner Familie hat Olek da bereits besprochen, dass seine Zeit bei Epigenomics abläuft. Oleks Angst vor der Zeit nach dem Ausstieg hält sich in Grenzen: Er hat bereits ein neues Projekt. Eine neuartige Privatschule will der dreifache Familienvater gründen. Seine eigene Schulzeit hat der promovierte Molekularbiologe in schlechter Erinnerung: sitzengeblieben, Versetzung mehrmals gefährdet, Abitur knapp geschafft. Er sei ein hyperaktives Kind gewesen, dem niemand geholfen habe, erzählt er. Nur durch die Hilfe seines Direktors habe er seinen Abschluss geschafft. So etwas soll seinen eigenen Kindern später einmal nicht passieren. Für seine Schule sollen die Eltern einen Beitrag zahlen, der nach ihrem Einkommen gestaffelt ist, dafür werden die Schüler in kleinen Klassen von ein oder zwei Lehrern ganztags unterrichtet, und zwar auf Deutsch und Englisch. Das Ganze soll in die Form einer AG gegossen werden, an der sich Investoren beteiligen können. »Mit guter Bildung ist Geld zu verdienen«, ist sich Olek sicher. Er macht, was er am besten kann: Er sucht sich ein Management und mehrere Investoren zusammen, die er zuvor von seiner Idee überzeugt hat. Er selbst beschränkt sich auf einen Posten im Aufsichtsrat. Die erste Phorms-Schule eröffnet am 16. August 2006 in einem renovierten Fabrikgebäude in Berlin-Wedding.

Am 17. August 2006 findet die entscheidende Epigenomics-Aufsichtsratssitzung statt. Olek erinnert sich: » In jede dieser Sitzungen bin ich mit der realistischen Chance reingegangen, dass ich nachher nicht mehr meinen Job habe.« Er habe schon vorher immer klar gesagt: »Leute, ihr habt jetzt jemanden, der eine ganz klare Perspektive davon hat, was er für sich und für die Firma will. Möglicherweise passt diese Perspektive nicht |33|mehr mit euren Vorstellungen zusammen. Möglicherweise solltet ihr, bei allem, was ihr macht, darüber nachdenken, ob ihr diesen Schritt mit mir oder möglicherweise mit einem anderen machen wollt.« Von dem Verlauf dieser Sitzung darf und will Olek nichts erzählen. Doch das Ergebnis wird als Adhoc-Meldung am 18. August 2006 bekannt gegeben:

»Der Aufsichtsrat der Epigenomics AG und der Vorstandsvorsitzende und Gründer der Gesellschaft, Dr. Alexander Olek, haben sich in gegenseitigem Einvernehmen darauf verständigt, den Dienstvertrag von Herrn Dr. Olek und sein Amt als Vorstandsvorsitzender mit Ablauf des 17. August 2006 zu beenden. Herr Dr. Olek wird der Gesellschaft als Berater erhalten bleiben.« In der Mitteilung wird auch Olek mit milden Worten zitiert: »Seit dem Börsengang habe ich daran gearbeitet, aus dem reinen Forschungsunternehmen Epigenomics ein Unternehmen zu machen, welches eigene Produkte entwickelt und selber verkauft. Das Management und der Aufsichtsrat unterstützen diese Strategie, die eine konzentrierte Durchführung erfordert. Als Entrepreneur bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass es Aufgaben gibt, die von einem erfahrenen Manager verlässlicher durchgeführt werden können – und die erfolgreiche Vermarktung unserer Produkte scheint mir eine solche Aufgabe zu sein.« Es folgt eine Danksagung des Aufsichtsrats: Man sei davon »beeindruckt, dass der Vorstandsvorsitzende sogar so weit geht, uns nahezulegen, die Verantwortung in andere Hände weiterzureichen«.

Auch wenn es ein Rückzug ist: Olek hat die Fäden in der Hand behalten, getreu seinem »Flucht-nach-vorne«-Motto. Die Aufsichtsräte seien trotz aller Vorwarnungen überrascht über seine entspannte Stimmung gewesen, berichtet Olek |34|heute amüsiert. »Nach der Sitzung hat mich ein Teilnehmer angesprochen und gesagt: ›Und ich hatte gedacht, Sie würden einen Nervenzusammenbruch kriegen und wir müssten Sie behandeln lassen.‹ Der hatte gedacht, dass meine ganze Unsentimentalität und Coolness vorgespielt sei und meine Erklärungen, nicht ewig dabei bleiben zu wollen, ein reines Machtinstrument eines Theatermachers seien, um gewisse Dinge durchzusetzen.«

Oleks Worten zufolge sei er nach der Sitzung einfach nur erleichtert gewesen. »Ich glaube, ich war selten so gut gelaunt. Dieses Gefühl von Freiheit zusammen mit den ausreichenden finanziellen Mitteln und der persönlichen Power, plötzlich alles machen zu können, was man sich erträumt hat – hey, das ist doch super! Und dazu schon alle Projekte in der Pipeline! Ich musste noch nicht mal darüber nachdenken, was ich tun wollte. Nach der Sitzung bin ich nach Hause gefahren, habe meine Frau in den Arm genommen und wir haben ein bisschen gefeiert.«

Groll hegt Olek nicht gegen seine ehemaligen Kollegen und Aufsichtsräte: Man habe nun einmal unterschiedliche Strategien vertreten. »In Kombination mit meiner Aussage, dass das sowieso auf lange Sicht nichts für mich sei, haben wir uns dann gemeinsam überlegt, dass eventuell jemand anders diese Frage entscheiden darf. Das finde ich legitim. Entscheidungen gewisser Tragweite – und da hat der Aufsichtsrat Recht – sollten von Leuten getroffen werden, die auch bereit sind, langfristig den Weg mitzugehen.«

Etwa zwei Monate nach Oleks Rücktritt kündigt Epigenomics einen drastischen Stellenabbau an: Von den 112 Mitarbeitern am Standort Berlin soll knapp jeder Dritte ohne Abfindung |35|gehen. Weitere zwei Monate später, Mitte Dezember 2006, gibt Roche das Ende der Partnerschaft mit Epigenomics bekannt und erklärt, dass man sämtliche Verträge und Lizenzen zurückgeben werde. Grund sei die mangelnde Qualität der eingereichten Studienergebnisse. Die Resultate würden nicht ausreichen, um in die Entwicklungsphase einzutreten.