Grundwissen Eigensicherung -  - E-Book

Grundwissen Eigensicherung E-Book

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Beschreibung

"Grundwissen zur Eigensicherung" stellt grundlegendes Wissen zum Thema polizeiliche Eigensicherung zur Verfügung. Die Inhalte des Buches sollen Polizeibeamte in die Lage versetzen, professionell auf dem neuesten wissenschaftlich abgesicherten Stand zu handeln. Weiterhin soll es anderen Professionen helfen, fundierte Informationen über Hintergründe polizeilichen Einsatzhandelns aus Expertenhand zu erhalten. Das Werk erhebt damit den Anspruch, das "Standard-Lehrwerk" für polizeiliches Einsatzhandeln und verschiedene Gesichtspunkte der Eigensicherung zu sein. Dabei stellen die Inhalt ein Pflichtwissen für jeden in gefährlichen Situationen handelnden Polizeibeamten dar. Dies muss er wissen! Das Lehrbuch richtet sich vor allem an Polizeibeamte; insbesondere solche, die am Anfang ihres Berufslebens stehen. Es will aber auch allen anderen, die sich mit der Eigensicherung beschäftigen (Ordnungsbehörden Richter, Staatsanwälte etc.), Informationen zur polizeilichen Eigensicherung auf der Höhe der Zeit anbieten. Dabei will es eine Verbindung schaffen zwischen praktischer Umsetzbarkeit sowie Verständlichkeit der Inhalte und wissenschaftlichem Anspruch.

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Grundwissen Eigensicherung

ISBN 978-3-86676-654-9

Clemens Lorei & Jürgen Sohnemann (Hrsg.)

Grundwissen Eigensicherung

ISBN 978-3-86676-654-9

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner enthaltenen Teile inkl. Tabellen und Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck, Übersetzung, Vervielfältigung auf fotomechanischem oder elektronischem Wege und die Einspeicherung in Datenverarbeitungsanlagen sind nicht gestattet. Kein Teil dieses Werkes darf außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ohne schriftliche Genehmigung in irgendeiner Form reproduziert, kopiert, übertragen oder eingespeichert werden.

© Urheberrecht und Copyright: 2012 Verlag für Polizeiwissenschaft, Prof. Dr. Clemens Lorei, Frankfurt

Umschlaggestaltung:

Christa Helwig-Hallenberger - Kommunikationsdesign

E-Book-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net

Alle Rechte vorbehalten.

Verlag für Polizeiwissenschaft, Prof. Dr. Clemens Lorei

Eschersheimer Landstraße 508 • 60433 Frankfurt

Telefon/Telefax 0 69/51 37 54 • [email protected]

www.polizeiwissenschaft.de

Vorwort

Lieber Leser,

das Buch „Grundwissen zur Eigensicherung“ verfolgt das Ziel, grundlegendes Wissen zum Thema polizeiliche Eigensicherung zur Verfügung zu stellen. Es richtet sich vor allem an Polizeibeamte; insbesondere an solche, die am Anfang ihres Berufslebens stehen. Es will aber auch allen anderen, die sich mit der Eigensicherung beschäftigen (Ordnungsbehörden, Richter, Staatsanwälte etc.), Informationen zur polizeilichen Eigensicherung auf der Höhe der Zeit anbieten. Dabei will es eine Verbindung schaffen zwischen praktischer Umsetzbarkeit sowie Verständlichkeit der Inhalte und wissenschaftlichem Anspruch. Dafür stehen die beiden Herausgeber aus Wissenschaft und Praxis.

Das Werk soll also dazu dienen, Polizeibeamte in die Lage zu versetzen, professionell auf dem neusten wissenschaftlich abgesicherten Stand zu handeln. Umgekehrt soll es anderen Professionen helfen, fundierte Informationen über Hintergründe polizeilichen Einsatzhandelns aus Expertenhand zu erhalten. Somit erhebt das Werk den Anspruch, das „Standard-Lehrwerk“ für polizeiliches Einsatzhandeln und verschiedene Gesichtspunkte der Eigensicherung zu werden. Dabei stellt der Inhalt ein Pflichtwissen für jeden in gefährlichen Situationen handelnden Polizeibeamten dar. Das muss er wissen!

Damit Eigensicherung sich den Notwendigkeiten der Veränderung in Gesellschaft, Technik und Zeit anpassen kann, werden ihre Komponenten und Aspekte ständig weiterentwickelt, ergänzt und aktualisiert. Ebensolches soll auch diesem Lehrwerk widerfahren. Die Herausgeber freuen sich deshalb auf Kommentare, Bemerkungen und Anregungen an [email protected].

Clemens Lorei

Hessische Hochschule für Polizei und Verwaltung

Jürgen Sohnemann

Polizeiakademie Hessen

 

Wir danken allen Autoren, die mit ihrer Bereitschaft und ihrem Engagement zum Entstehen dieses Buches beigetragen haben.

Wir wünschen den Polizeipraktikern unter den Lesern, dass sie allzeit gesund vom Dienst nach Hause kommen, den Lehrenden und Trainern viel Motivation andere bei der Optimierung ihrer Eigensicherung zu unterstützen, und alle denen, die fundiertes Verständnis der polizeilichen Arbeit in gefährlichen Situationen suchen, umfassende Erkenntnis.

Ausgangslage

• Gewalt gegen Polizeibeamte

Karoline Ellrich

Psychologische Grundlagen

• Stress

Christian Pundt

• Visuelle Wahrnehmung

Bernd Körber

Interaktion mit Personen

• Einsatzkommunikation

Peter Pfeiffer

• Psychisch Kranke

Hans Peter Schmalzl

• Alkohol und andere psychotrope Substanzen

Max Hermanutz, Daniel Watolla

• Suizid, erweiterter Suizid und Suicide by Cop

Dietmar Heubrock

Ballistik

• Waffenkunde und Ballistik

Hans R. Damm

• Wund-ballistische Grundlagen für die polizeiliche Eigensicherung

Markus A. Rothschild, Beat Kneubuehl

Fatale Situationen im Polizeieinsatz

• Lagebedingter Erstickungstod

Christoph G. Birngruber, Reinhard B. Dettmeyer

• Unbeabsichtigter Schusswaffengebrauch

Clemens Lorei, Christopher Heim

• Jagdfieber

Clemens Lorei

Was folgt im Falle eines Falles

• Was kommt danach?

Jürgen Sohnemann

• Psychische Verletzungen

Frank Hallenberger

Polizeibeamte als Opfer von Gewalt

Ergebnisse einer deutschlandweiten Befragung aus dem Jahr 2010

Karoline Ellrich

Dipl.-Psych., Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN)

Zusammenfassung

Der Beruf des Polizeibeamten gilt als einer der belastensten und gefährlichsten überhaupt. Um Erkenntnisse über das Ausmaß und die Entwicklung von Gewalt zum Nachteil von Polizeibeamten im Rahmen der Dienstausübung zu erhalten, wurde Anfang des Jahres 2010 vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) in Kooperation mit zehn Bundesländern eine Befragung von rund 20.000 Polizeibeamten zu Gewalterfahrungen im Dienst durchgeführt. Anhand von vier Leitfragen werden die Ergebnisse der Studie vorgestellt und vor dem Hintergrund bisheriger Forschungsbefunde diskutiert. Neben einer Beschreibung von Gewaltübergriffen gegen Polizeibeamte werden zudem mögliche opfer- und täterbezogene Risikofaktoren vorgestellt, die die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs bzw. einer Verletzung im Dienst erhöhen.

1 Einleitung

Polizeibeamte1 sind in ihrem täglichen Dienst mit einer Vielzahl von belastenden und gefährlichen Situationen konfrontiert. Obgleich die meisten Polizei-Bürger-Interaktionen friedlich verlaufen, kommt es auch immer wieder zu kritischen Situationen, in denen Polizeibeamte gewalttätig angegriffen werden. In einer Untersuchung von Klemisch et al. (2005) gaben bspw. 63,6 % der befragten Polizeibeamten an, im Dienst schon einmal körperlich verletzt worden zu sein, 55,4 % waren bereits in Lebensgefahr. Dass solche Ereignisse eine starke Belastung für Polizeibeamte darstellen, konnten verschiedene Studien belegen (Hallenberger & Müller, 2000; Hallenberger et al., 2003; Klemisch et al., 2005a; Neugebauer & Latscha, 2009).

Für Deutschland existieren keine offiziellen Statistiken, die das Ausmaß von Gewaltübergriffen zum Nachteil von Polizeibeamten erfassen. Deshalb wird zur Beschreibung des Phänomens oft auf die registrierten Fälle von Widerstand gegen die Staatsgewalt in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS, Schlüssel: 621000) zurückgegriffen. Dabei zeichnete sich zwischen 2000 und 2008 ein nahezu kontinuierlicher Anstieg von Widerstandsdelikten um rund ein Drittel ab (34,5 %).2 Diese Entwicklung wurde als Indiz für eine steigende Gewaltbereitschaft Polizeibeamten gegenüber gewertet. Auf Basis dieser Statistik eine Aussage über Gewalterfahrungen von Polizeibeamten sowie deren Entwicklung zu treffen, ist aber aus mehreren Gründen problematisch: Erstens bezogen sich Widerstandsdelikte bis zum PKS Berichtsjahr 2008 auf die Staatsgewalt insgesamt (§§ 111, 113, 114, 120, 121 StGB), wodurch eine differenzierte Betrachtung von Fällen, die sich gegen Polizeivollzugsbeamte richteten, nicht möglich war. Im Jahr 2009 wurden dann bereits Widerstandsdelikte gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113) separat ausgewiesen, die sich zumindest größtenteils auf die Berufsgruppe der Polizeibeamten beziehen. Eine weitere Differenzierung erfolgte im Jahr 2010, in der erstmals Polizeivollzugsbeamte als Opfer von Widerstandsdelikten (Schlüssel 621021) ausgewiesen wurden. Zweitens weist die PKS nur das jeweils schwerste Delikt aus. Liegt neben dem Widerstand auch eine Körperverletzung vor, wird nur letztere in der PKS erfasst. Da bei Körperverletzungsdelikten bislang keine gesonderte Ausweisung der viktimisierten Berufsgruppe erfolgte, können Fälle zum Nachteil von Polizeibeamten hierbei nicht identifiziert werden.3 Folglich repräsentieren die registrierten Fälle von Widerstand weniger schwerwiegende Angriffe auf Beamte. Drittens können auf Basis der PKS keine Aussagen darüber getroffen werden, unter welchen situativen Umständen Angriffe gegen Polizeibeamte erfolgen, welche Gruppen von Polizeibeamten besonders stark von Gewalt betroffen sind und welche Konsequenzen aus den Übergriffen resultieren können. Diese Kenntnisse sind aber notwendig, um Polizeibeamte durch Aus- und Fortbildung besser auf gefährliche Situationen vorzubereiten bzw. im Falle eines Übergriffs entsprechende Hilfeleistungen anzubieten.

2 Forschungsfragen

Sowohl in- als auch ausländische Untersuchungen haben sich auf eine präzise phänomenologische Beschreibung typischer Übergriffsituationen zum Nachteil von Polizeibeamten konzentriert (z. B. Bragason, 2006; Brown, 2004; Falk, 2000; FBI, 2010; Jäger, 1988; Ohlemacher et al., 2003).4 In der deutschen Forschung wurde sich dem Thema von unterschiedlichen Perspektiven genähert, wodurch die Vergleichbarkeit der Ergebnisse mitunter eingeschränkt ist. So finden sich neben Untersuchungen zu versuchten/vollendeten Tötungsdelikten an Polizeibeamten (Ohlemacher et al., 2003; Sessar et al., 1980), auch solche, die eine mehrtägige Dienstunfähigkeitsdauer des Beamten infolge eines Angriffs in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen (Jäger, 1988; Jäger, 1991; Ohlemacher et al., 2003). Andere Studien richteten sich wiederum auf Widerstandsdelikte gegen Polizeibeamte (z. B. Falk, 2000), die zwar nicht zwangsläufig mit gewalttätigen Übergriffen bzw. Verletzungen einhergehen müssen, aber dennoch eine konflikthafte Beamten-Bürger-Interaktion darstellen.

Die letzte umfassende Studie zu Gewalt gegen Polizeibeamte wurde im Jahr 2000 vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen durchgeführt (KFN, Ohlemacher et al., 2003). Im Mittelpunkt dieser Untersuchung standen gravierende Gewalttaten zum Nachteil von Polizeibeamten, die durch eine Tötungsabsicht oder eine mindestens siebentägige Dienstunfähigkeit infolge des Gewaltereignisses gekennzeichnet waren. Seitdem beschränkte sich die Informationsbasis zum Ausmaß von Gewalt gegen Polizeibeamte im Dienst auf die registrierten Fälle von Widerstand gegen die Staatsgewalt in der PKS. Um aktuelle Daten zu gewinnen, entschied sich das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) in Kooperation mit zehn Bundesländern5 Anfang 2010, eine neue Befragung zu Gewalt gegen Polizeibeamte durchzuführen. Diese erfolgte online auf Extrapol, einer Informations- und Kommunikationsplattform der Deutschen Polizeien. Insgesamt 20.938 Polizeibeamte haben sich an der Untersuchung beteiligt, was einer Rücklaufquote von 25,1 % entspricht (Ellrich et al., 2010, S. 10). Etwa jeder fünfte Beamte war weiblich. Das Alter der Befragten variierte zwischen 19 bis 62 Jahren und betrug im Mittel 41,3 Jahre. Hinsichtlich der Dienstgruppe kann festgehalten werden, dass die Beamten zum Befragungszeitpunkt am häufigsten dem Einsatz- und Streifendienst angehörten (44,3 %), gefolgt vom Kriminal- und Ermittlungsdienst (23,2 %). Knapp jeder zwölfte Beamte (8,4 %) tat seinen Dienst in besonderen Einsatzeinheiten wie bspw. Hundertschaften (andere Dienstgruppen: 23,9 %). Zudem arbeiteten die Beamten in der Mehrheit der Fälle (72,8 %) in Gebieten, in denen die größte Stadt weniger als 250.000 Einwohner umfasst. Im Vergleich zur gesamten Polizeistärke der zehn beteiligten Bundesländer sind Polizeibeamtinnen, jüngere Beamte sowie Beamte aus westdeutschen Gebieten (darunter Berlin) in der Befragung anteilmäßig überrepräsentiert (Ellrich et al., 2010, S. 14).

Ziel der Untersuchung war es, ein umfassendes Bild zu Gewalterfahrungen von Polizeibeamten im Rahmen ihrer Dienstausübung zu erhalten. In diesem Zusammenhang sollten Erkenntnisse zu den nachfolgenden Fragestellungen gewonnen werden, die zugleich den vorliegenden Beitrag gliedern:

• In welchem Ausmaß sind Polizeibeamte verschiedenen Formen der Gewalt im Rahmen ihrer Dienstausübung ausgesetzt?

• Wie hat sich die Gewalt gegen Polizeibeamte in den Jahren 2005 bis 2009 entwickelt?

• Durch welche Merkmale sind

a) die von Gewalt betroffenen Beamten,

b) die Täter, die den Angriff ausgeübt haben und

c) die Situationen, in denen es zu Gewalt gegen Polizeibeamte gekommen ist, gekennzeichnet?

• Welche Folgen haben Gewaltübergriffe für den betroffenen Beamten?

3 Ergebnisse

3.1 In welchem Ausmaß sind Polizeibeamte verschiedenen Formen der Gewalt im Rahmen ihrer Dienstausübung ausgesetzt?

Gewalt kann ein weites Spektrum unterschiedlicher Formen umfassen. Nicht nur im körperlichen Angriff oder im Einsatz von Waffen spiegelt diese sich wider. Auch Drohungen oder Beleidigungen können als Gewalt definiert werden. Wie oft Polizeibeamte im Jahr 2009 solchen Formen von Gewalt im Dienst ausgesetzt waren, zeigt Abbildung 1.

Insgesamt 80,9 % der Beamten wurden im Rahmen ihrer Dienstausübung beschimpft oder beleidigt, wobei etwa jeder fünfte dies mindestens einmal im Monat erlebte. Etwas niedriger liegen die Raten für Drohungen mit 65,4 %, wobei auch hier die Mehrheit der Befragten dieser Gewaltform selten (einmal/einige Male) ausgesetzt war. Polizeibeamte sind demnach relativ häufig mit verbaler Gewalt konfrontiert. Alle anderen abgebildeten Gewaltformen erleben Beamte im Dienst hingegen deutlich seltener. Dass mit zunehmendem Schweregrad der Gewalt der Anteil an betroffenen Beamten abnimmt, findet sich auch in anderen Untersuchungen (vgl. auch Bosold, 2005; Manzoni, 2003). Etwas mehr als ein Drittel aller Befragten berichtete, leichte körperliche Gewalt in Form von Schubsen, Stoßen bzw. Festhalten, Anpacken erlebt zu haben, während etwa jeder fünfte bzw. sechste Beamte mindestens einmal innerhalb des Jahres 2009 von Bürgern getreten und/oder geschlagen wurde. Noch gravierendere Formen wie die Drohung oder der Einsatz von Waffen/gefährlichen Gegenständen sind im Vergleich dazu eher selten. Trotzdem gab knapp jeder elfte Beamte an, innerhalb von einem Jahr mindestens einmal mit Waffen oder gefährlichen Gegenständen angegriffen worden zu sein. Zusammengefasst kann festgehalten werden, dass Beamte einem weiten Spektrum an gewalttätigen Übergriffen im Dienst ausgesetzt sind, wobei verbale bzw. leichte körperliche Formen dominieren.

Abbildung 1

3.2 Durch welche Merkmale sind die von Gewalt betroffenen Beamten gekennzeichnet?

Nachdem dargestellt wurde, in welchem Ausmaß Polizeibeamte von Gewalt im Dienst betroffen sind, soll der Frage nachgegangen werden, ob die Wahrscheinlichkeit angegriffen zu werden, für alle Beamten gleich groß ist, oder ob es bestimmte Faktoren gibt, die das Risiko, Opfer zu werden, beeinflussen. Gerade unter präventiven Gesichtspunkten ist es von Bedeutung zu wissen, ob Merkmale des Beamten mit der Angriffswahrscheinlichkeit in Beziehung stehen. So können nach Schmalzl (2005, S. 10) bspw. Nachlässigkeiten im Auftreten, Fehler bei der Eigensicherung sowie mangelnde Koordination mit dem Streifenpartner als „Gewalt-Beschleuniger“ auf Seiten des Beamten fungieren, die einen Übergriff wahrscheinlicher machen.

Generell kann bei personenbezogenen Faktoren zwischen sichtbaren und nicht sichtbaren Merkmalen unterschieden werden. Zu ersteren gehören bspw. Geschlecht, Körpergröße oder Alter des Beamten, welche für den Bürger unmittelbar erkennbar sind. Die Konfrontation mit einem dienstälteren Beamten bspw. könnte zu anderen Reaktionen auf Seiten des Bürgers führen als bei jungen Beamten. Möglicherweise wird den Anweisungen älterer Polizeibeamter stärker Folge geleistet, weil diesen mehr Kompetenz zugesprochen wird. Dadurch reduziert sich wiederum das Risiko einer Eskalation zwischen Polizei und Bürger. Nicht sichtbare Merkmale manifestieren sich hingegen erst in der Interaktion mit dem Bürger. Faktoren, die hier eine Rolle spielen, sind Einstellungen und Kompetenzen, die Auswirkungen auf das Verhalten des Beamten und somit auch des Bürgers haben. So könnten bspw. Beamte, die sehr risikobereit sind, ihre Eigensicherung stärker vernachlässigen, wodurch sie leichter Ziel eines Angriffs werden. Hingegen tragen bestimmte soziale und kommunikative Kompetenzen möglicherweise zu einer Deeskalation von Situationen bei, und verringern somit das Risiko eines Gewaltübergriffs.

Inwiefern bestimmte Merkmale der Beamten mit der Wahrscheinlichkeit, Opfer von Gewalt zu werden, in Zusammenhang stehen, soll nachfolgend untersucht werden. Da keine Informationen zu Einstellungen und Kompetenzen, also den nicht sichtbaren Merkmalen, der Beamten zur Verfügung stehen, beschränken sich die Analysen auf sichtbare Faktoren. Hier liegen die üblichen demografischen Angaben zu Geschlecht, Alter, Größe, Gewicht und Herkunft des Beamten vor. Als Opfer von Gewalt werden all jene Beamte betrachtet, die im Jahr 2009 mindestens einmal körperlich angegriffen wurden (schubsen, festhalten, schlagen, treten). Dies trifft knapp auf die Hälfte aller Befragten (50,7 %) zu. Die Auswahl erfolgte aus zwei Gründen: Erstens werden diese Formen von Gewalt verglichen mit dem Einsatz von Gegenständen/Waffen relativ häufig erlebt. Zweitens wird die physische Integrität der Beamten durch solche Gewalterfahrungen beschädigt, so dass es sich um folgenreiche Angriffe handelt. Um festzustellen, welche Faktoren das Viktimisierungsrisiko beeinflussen, wurde auf die Methode der logistischen Regression zurückgegriffen. Diese Form der Analyse erlaubt es, den Einfluss einer Variablen (z. B. Geschlecht) unter Berücksichtigung des Einflusses anderer Merkmale (z. B. Alter) festzustellen. Wie aus Tabelle 1 ersichtlich, wurden dabei zwei Modelle berechnet. Das erste konzentriert sich ausschließlich auf die genannten persönlichen Merkmale des Beamten, während der zusätzliche Einfluss von tätigkeitsbezogenen Faktoren (Dienstart, Tätigkeitsgebiet) im zweiten Modell berücksichtigt wird. Diese Faktoren beschreiben den Arbeitsalltag der Beamten und determinieren somit zu einem gewissen Teil, welchen Situationen die Beamten in ihrem Dienst üblicherweise ausgesetzt sind. Zur Interpretation des Einflusses der einzelnen Variablen wird auf den Exponentialkoeffizienten B (Exp(B)) als Kennwert verwiesen. Erreicht dieser Werte über 1, ist von einer das Verletzungsrisiko erhöhenden Wirkung des jeweiligen Faktors auszugehen. Werte unter 1 sprechen hingegen für einen risikomindernden Einfluss.

Tabelle 1

Beamtenbezogene Einflussfaktoren auf einen körperlichen Angriff 2009 (logistische Regression; abgebildet: Exp(B))

 

 

Modell 1

Modell 2

Geschlecht: männlich

1.826***

1.655***

Alter: unter 30 Jahre Alter: 30 bis unter 50 Jahre Alter: ab 50 Jahre

Referenz 0.408*** 0.156***

Referenz 0 583*** 0.300***

Größe: klein (unter 176 cm) Größe: mittel (176 bis unter 183 cm) Größe: groß (ab 183 cm)

Referenz 1.098* 1.145*

Referenz 1.109* 1.177**

Gewicht: leicht (unter 78 kg) Gewicht: mittel (78 kg bis unter 91 kg) Gewicht: schwer (ab 91 kg)

Referenz 0.959 0.955

Referenz 0.943 0.904

Migrationshintergrund

1.280*

1.313*

Dienstgruppe: andere Dienstgruppe: besondere Einsatzeinheit Dienstgruppe: Einsatz- und Streifendienst (inkl. Fußstreife)

 

Referenz 6 460*** 5.247***

Einsatzgebiet: ländlich/städtisch (unter 250.000 Einwohner) Einsatzgebiet: mittelstädtisch/großstädtisch (ab 250.000 Einwohner)

 

Referenz 0.929

N Nagelkerkers R2

18.101 .085

18.101 .243

*** p < .001, ** p < .01, * p < .05

Männliche Beamte weisen ein signifikant höheres Risiko auf, körperlich attackiert zu werden, verglichen mit ihren Kolleginnen. So wurden 52,1 % aller männlichen Beamten im Jahr 2009 mindestens einmal körperlich angegriffen, Beamtinnen hingegen nur zu 45,2 %. Weiterhin lässt sich ein Effekt des Alters auf die Wahrscheinlichkeit, Gewalt zu erleben, festhalten. Während etwa zwei Drittel aller unter 30jährigen Beamten (69,6 %) Opfer eines Angriffs im Dienst wurden, trifft dies nur auf rund ein Drittel aller über 50jährigen Beamten zu (31,8 %; Beamte zwischen 30 und unter 50 Jahren: 52,4 %). Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass die Körpergröße des Beamten einen risikoerhöhenden Effekt hat, wohingegen das Gewicht nicht mit dem Viktimisierungsrisiko in Zusammenhang steht. Weisen die Beamte einen Migrationshintergrund auf, d. h. dass mindestens ein leibliches Elternteil nicht deutscher Herkunft ist, finden sich ebenfalls etwas höhere Viktimisierungsraten verglichen mit deutschen Beamten ohne Migrationshintergrund. Wie das zweite Modell zeigt, spielt neben den genannten personalen Faktoren auch die Dienstgruppenzugehörigkeit eine bedeutsame Rolle. Einsatz- und Streifendienstbeamte haben ein mehr als fünffach (69,6 %), Beamte besonderer Einsatzeinheiten sogar ein über sechsfach (73,3 %) höheres Risiko, körperlich angegriffen zu werden, verglichen mit anderen Dienstgruppen (z. B. Kriminal- und Ermittlungsdienst: 22,3 %). Hingegen hat die Größe des Tätigkeitsgebietes, gemessen an der Anzahl der Einwohner, den Analysen zufolge keinen Einfluss auf das Risiko einer Opferwerdung.

Als ein Maß zur Bestimmung der Güte der Vorhersage des Viktimisierungsrisikos anhand der im Modell berücksichtigten Variablen, kann der Anteil an aufgeklärter Varianz (hier: Nagelkerkers R2) betrachtet werden. Wie deutlich wird, klären ausschließlich demografische Merkmale mit 8,5 % nur einen Teil der Varianz auf (Modell I). Der Anteil steigt um fast das Dreifache an (24,7 %), wenn zusätzlich die Dienstgruppenzugehörigkeit berücksichtigt wird. Folglich scheinen personenbezogene Merkmale einen geringen Einfluss auf das Risiko, körperlich angegriffen zu werden, zu haben. Bedeutsamer sind strukturelle Faktoren wie die Dienstgruppe und die damit in Zusammenhang stehenden Aufgabengebiete. Dass Beamte aus dem Einsatz- und Streifendienst häufig Opfer von Gewalt werden, bestätigt sich auch in früheren Untersuchungen (z. B. Falk, 2000; Griffiths & McDaniel, 1993; Manzoni, 2003). Da sie tagtäglich mit emotional aufgewühlten, betrunkenen, aggressiven und hilflosen Bürgern interagieren, ist ein erhöhtes Risiko für einen Angriff nicht überraschend. Gleiches gilt auch für besondere Einsatzeinheiten, die mit Einsätzen betraut sind, welche ein hohes Gewaltpotential bergen (z. B. Demonstrationen). Schwerer zu erklären sind die gefundenen Unterschiede im Viktimisierungsrisiko bezüglich des Geschlechts, des Alters, des Migrationshintergrunds und der Körpergröße. Im Folgenden sollen verschiedene Erklärungsansätze für die Befunde angeboten werden, die es in zukünftigen Studien zu untersuchen gilt.

Hinweise darauf, dass Polizistinnen seltener Opfer von Gewalt im Dienst werden, finden sich auch bei Bosold (2005), Bragason (2006) und Burke und Mikkelsen (2005). Eine mögliche Erklärung dafür könnte sein, dass die Angreifer, welche überwiegend männlich sind, größere Hemmungen haben, eine Beamtin anzugreifen als einen Beamten. Eine zweite Erklärung wäre, dass Beamtinnen mit anderen, weniger gewaltreichen Aufgaben betraut sind als ihre Kollegen. Hinweise auf eine geschlechtsstereotype Aufgabenverteilung, wonach Beamtinnen insbesondere in Situationen eingesetzt werden, die den Umgang mit Kindern oder Frauen erforderlich machen, finden sich bspw. bei Rustemeyer und Tank (2001). Drittens könnte es sein, dass männliche Beamte ihre Kolleginnen gerade in gefährlichen Situationen aus einem „männlichen Schutzgebaren“ heraus, vor einem Angriff verschonen wollen und sich schützend vor sie stellen („Ritterlichkeitshypothese“, Manzoni, 2003, S. 64). Des Weiteren besteht seit dem Eintritt von Frauen in die Polizei die Annahme, dass Beamtinnen aufgrund ihrer Sozialisation kommunikativer, empathischer, unterstützender und weniger aggressiv seien als ihre Kollegen (Rabe-Hemp, 2008). Folglich könnte vermutet werden, dass Beamtinnen aufgrund dieser Kompetenzen gerade in Konfliktsituationen stärker deeskalierend wirken, wodurch sich ihr Risiko angegriffen zu werden, senkt. Allerdings findet bspw. die Hypothese, wonach Beamtinnen sich dem Bürger gegenüber stärker unterstützend verhalten, nur teilweise empirische Bestätigung (ebd.). Vielmehr scheinen Frauen, verglichen mit ihren männlichen Kollegen, weniger Drohungen und Gewalt in Interaktionen mit dem Bürger einzusetzen (Garner et al., 1996; Manzoni, 2003; Rabe-Hemp, 2008; Schuck & Rabe-Hemp, 2005). Da sich der Gewalteinsatz von Bürger und Polizei gegenseitig bedingen (z. B. Garner et al, 1996; Manzoni, 2003), könnten Beamtinnen deshalb eine niedrigere Angriffsrate aufweisen.

Der Befund, dass jüngere Beamte häufiger Opfer von Gewalt im Dienst werden als ältere, kann vor dem Hintergrund anderer Untersuchungen als relativ gesichert gelten (vgl. z. B. Bososld, 2005; Bragason, 2006; Griffiths & McDaniel, 1993; Kaminski & Sorenson, 1995; Manzoni, 2003). Naheliegend ist die Vermutung, dass ältere Beamte mit anderen Aufgabenbereichen betraut sind als jüngere, so dass letztere auch ein höheres Risiko aufweisen, einen Angriff zu erleben. Der Vergleich beider Modelle (s. Tabelle 1) spricht zumindest teilweise für diese Erklärung, da sich die Koeffizienten durch die Aufnahme des Tätigkeitsbereichs abschwächen. Eine weiterer Grund für die gefundenen Unterschiede könnte darin liegen, dass ältere Beamte wegen ihrer Diensterfahrung besser in der Lage sind, die Gefährlichkeit bestimmter Einsatzsituationen bzw. Bürger einzuschätzen und entsprechend präventiv zu agieren, wodurch eine potenzielle Eskalation verhindert werden kann. Zudem wäre es möglich, dass gerade jüngere Beamte unter dem Druck stehen, sich beweisen zu müssen. Möglicherweise reagieren sie auf Provokationen seitens der Bürger weniger gelassen, sprechen folglich schneller Drohungen aus, und fördern damit einen Konflikt.

Obgleich durch die Festlegung einer Mindestkörpergröße von Polizeibeamten implizit davon ausgegangen wird, dass die Körpergröße von Bedeutung für den Beruf sein kann, wurde diese Vermutung bislang kaum empirisch geprüft. Die wenigen Studien, die auch Körpergröße und Gewicht des viktimisierten Beamten mit berücksichtigt haben, liefern diesbezüglich inkonsistente Befunde (vgl. z. B. Garner et al., 1996; Griffiths & McDaniel, 1993; Rabe-Hemp & Schuck, 2007). Insofern sind die hier erzielten Ergebnisse vorsichtig zu interpretieren. Einige der zuvor im Zusammenhang mit dem gefunden Geschlechtseffekt diskutierten Erklärungen könnten auch hier eine Rolle spielen. Demnach mögen bspw. Selektionseffekte dafür verantwortlich sein, dass größere Beamte häufiger angegriffen werden, da sie gerade aufgrund ihres Körperbaus besonders häufig in gefährlichen Situationen eingesetzt werden oder sich bei diesen zumindest im Vordergrund aufhalten. Andererseits greift möglicherweise auch das polizeiliche Gegenüber absichtlich den größeren Beamten an, da von ihm die größere Gefahr auszugehen scheint. Eine weitere Erklärung wäre, dass die Beamten selbst aufgrund des Wissens um ihre körperliche Kraft weniger vor Konfrontationen zurückschrecken.

Ebenfalls mit Vorsicht zu interpretieren, ist der gefundene risikoerhöhende Effekt bezüglich des Migrationshintergrundes, da die Fallzahlen niedrig sind.6 Die gefundenen Unterschiede können sowohl auf Seiten des Beamten selbst als auch auf Seiten des Bürgers gesehen werden. Möglicherweise haben Beamte mit Migrationshintergrund aufgrund mangelnder Akzeptanz ein ausgeprägteres Bedürfnis, sich den Respekt des Bürgers zu verschaffen, und reagieren entsprechend härter, wenn sich die Bürger ihnen gegenüber respektlos verhalten. Andererseits könnte es auch der Fall sein, dass dem Beamten von Seiten des Bürgers Fremdenfeindlichkeit entgegengebracht wird, wodurch die Situation verschärft wird.

3.3 Wie hat sich die Gewalt gegen Polizeibeamte in den Jahren 2005 bis 2009 entwickelt?

Ein zentrales Anliegen der Studie war es, Hinweise auf die Entwicklung von Gewaltübergriffen gegen Polizeibeamte zu erhalten. Wie erwähnt, ist zwischen 2000 und 2008 ein Anstieg von Widerstandsdelikten gegen die Staatsgewalt festzustellen, die als Hinweis auf eine zunehmende Gewaltbereitschaft Polizeibeamten gegenüber gewertet wurde. Um detailliertere Informationen zur Entwicklung von Übergriffen zum Nachteil von Polizeibeamten zu gewinnen, wurden die Beamten gefragt, wie häufig sie in den Jahren 2005 bis 2009 von einem Übergriff betroffen waren, der zu einer mindestens eintägigen Dienstunfähigkeit geführt hat. Die Auswahl des Referenzzeitraums von fünf Jahren kann damit begründet werden, dass die Erfassung der Übergriffe retrospektiv erfolgte, d. h. die Beamten rückblickend angeben sollten, wie oft sie in dieser Art angegriffen wurden. Es ist anzunehmen, dass Gewaltereignisse sowie deren Umstände (z. B. Ort des Übergriffs, Anzahl der Täter) innerhalb der letzten fünf Jahre verlässlicher erinnert werden können als solche, die schon deutlich länger zurückliegen. Auf Grund dessen wurde auch das Kriterium der Dienstunfähigkeit infolge eines Angriffs gewählt, wodurch besonders schwerwiegende bzw. folgenreiche Gewalterfahrungen identifiziert werden sollten.

Von allen befragten Polizeibeamten erlebte etwa jeder achte (12,9 %) innerhalb von fünf Jahren zumindest einen Übergriff, der einen Dienstausfall von mindestens einem Tag zur Folge hatte. Dabei ist der Anteil an viktimisierten Beamten zwischen 2005 und 2009 von 2,6 % auf 4,5 % kontinuierlich gestiegen (s. Abbildung 2). Die durchschnittliche Anzahl an Übergriffen pro Opfer bleibt über die Jahre hinweg dabei relativ konstant (2005: 1,09; 2009: 1,16). Eine differenzierte Betrachtung der Übergriffe nach der Dauer der Dienstunfähigkeit weist allerdings auf unterschiedliche Entwicklungsverläufe hin. Besonders schwere Angriffe, in deren Folge die betroffenen Beamten über zwei Monaten dienstunfähig waren, sind über die Jahre auf insgesamt niedrigem Niveau konstant geblieben. Die Quote an Übergriffen mit einer Dienstunfähigkeitsdauer von mindestens einer Woche bis maximal acht Wochen weist innerhalb der ersten vier Jahre ebenfalls relativ stabile Werte auf. Lediglich von 2008 (0,9 %) auf 2009 (1,3 %) ist eine deutliche Zunahme zu verzeichnen. Insofern ist hauptsächlich die Zunahme von Übergriffen mit maximal sechstätiger Dienstunfähigkeit für den gefundenen Anstieg zwischen 2005 und 2009 verantwortlich.

Abbildung 2

Bei der Interpretation der Befunde sollte bedacht werden, dass retrospektive Erhebungen immer mit dem Problem selektiver Erinnerungseffekte behaftet sein können. Besonders schwerwiegende Ereignisse, die zu einer sehr langen Dienstunfähigkeit geführt haben, werden dadurch weniger beeinflusst sein, als jene, die hinsichtlich dieses Kriteriums weniger folgenreich waren. Zu beachten ist ferner, dass die Befragung im ersten Quartal des Jahres 2010 erfolgte, wodurch nicht auszuschließen ist, dass auch Übergriffe, die sich Anfang 2010 ereignet haben, mitberichtet worden sind. Trotz der Einschränkungen lässt sich ein Anstieg der Gewalt gegenüber Polizeibeamten nicht leugnen, welcher sich insbesondere für weniger schwerwiegende Übergriffen, gemessen an der Dauer der Dienstunfähigkeit, beobachten lässt.7 Interessanterweise spiegelt sich auch in der subjektiven Einschätzung der Beamten eine Zunahme von Gewaltübergriffen wieder. Fast Dreiviertel aller Befragten (74,6 %) waren der Meinung, dass die Wahrscheinlichkeit eines Gewaltübergriffs in den letzten fünf Jahren (sehr) viel größer geworden ist (21,4 % etwas größer geworden). Nur 4,0 % halten einen Gewaltübergriff gegen Polizeibeamte im Vergleich der letzten fünf Jahre für etwas weniger bzw. gleich wahrscheinlich. Zu einem vergleichbaren Ergebnis kommt auch eine Untersuchung von Polizeibeamten im Regierungsbezirk Karlsruhe (ProPikA2009, 2010). Dabei haben nach Einschätzung der befragten Beamten sowohl Gewaltdelikte als auch andere konfliktbehaftete Alltagssituationen unterhalb der strafrechtlichen Relevanz (z. B. Provokationen) in den letzten fünf Jahren stark zugenommen.

Eine zentrale Frage ist, wie der gefundene Anstieg von Gewaltübergriffen mit nachfolgender Dienstunfähigkeit erklärt werden kann. Oft wird auf eine generell zunehmende Respektlosigkeit der Polizei gegenüber in der Bevölkerung, insbesondere aber in der Gruppe der Jugendlichen und Heranwachsenden, verwiesen. Im Widerspruch dazu stehen Untersuchungen, die zeigen konnten, dass sowohl Schüler als auch Erwachsene der Polizei gegenüber mehrheitlich positiv eingestellt sind (vgl. Schülerbefragung: Baier et al., 2010; repräsentative Bevölkerungsbefragung: Baier et al., 2011). Auch die Vermutung einer zunehmenden Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft als Grund für den Anstieg kann vor dem Hintergrund einer Abnahme der Gewaltkriminalität in der PKS seit 2007, die sich zuvor bereits in Dunkelfeldstudien abzeichnete (Baier et al., 2009), nicht aufrechterhalten werden. Ellrich et al. (2011, S. 144) weisen als mögliche Ursache für den Anstieg der Gewalt gegen Polizeibeamte auf zunehmende Polarisierungstendenzen in der Gesellschaft hin. Demnach nimmt die Spaltung der Bevölkerung in einander gegenüber stehende Gruppen zu. Eine solche Polarisierung zeigt sich in verschiedenen Bereichen, so z. B. zwischen einkommensschwachen und einkommensstarken Familien oder zwischen Einheimischen und Migranten. In den letzten Jahren ist zudem eine sich verschärfende Polarisierung hinsichtlich der politischen Orientierung (Links-Rechts) in der Gesellschaft festzustellen. Solche Spaltungstendenzen erklären für sich genommen noch nicht das Phänomen des Anstieges der Gewalt gegen Polizeibeamte. Verbunden mit der zunehmenden Polarisierung ist aber, dass heute häufiger Milieus entstehen, die sich von den Norm- und Wertvorstellungen der gesamtdeutschen Gesellschaft entfremden. Innerhalb dieser Milieus wird vor dem Einsatz von Gewalt gegen Polizeibeamte nicht zurückgeschreckt. Die Gewalthandlungen sind einerseits ein Weg, sich in den Milieus Anerkennung zu verschaffen; sie dienen anderseits aber auch dazu, politischen Ideen Nachdruck zu verleihen, wie dies bspw. für linksextreme Gruppierungen gilt. Die Verfassungsschutzberichte der letzten Jahre weisen in Übereinstimmung damit ansteigende Gewaltaktivitäten linksextremer Gruppierungen, insbesondere Polizeibeamten gegenüber, aus (BMI, 2011). Obwohl diese Überlegungen zur Rolle von Polarisierungstendenzen eine plausible Erklärung darstellen könnten, ist bislang der empirische Beleg für deren Gültigkeit noch nicht erbracht. Andere Erklärungsansätze sind daher ebenso in Betracht zu ziehen (z. B. eine zunehmende außenorientierte Freizeitgestaltung von Jugendlichen und Heranwachsenden).

3.4 Durch welche Merkmale sind die Täter, die den Angriff ausgeübt haben, gekennzeichnet?

Im Rahmen der Befragung wurden die von einem Übergriff mit Dienstunfähigkeit betroffenen Beamten gebeten, einen ausgewählten Übergriff, der zwischen 2005 und 2009 erfolgte, ausführlicher zu beschreiben.8 Somit liegen detaillierte Angaben zu 2.603 Fällen vor, die nicht nur Aussagen zu den Tätern, sondern auch zu den situativen Umständen und Folgen des Übergriffs erlauben.

In Bezug auf die Täter der Gewaltübergriffe mit Dienstunfähigkeit lässt sich dabei Folgendes festhalten (vgl. Ellrich et al., 2010a, S. 16 ff.; Ellrich et al., 2011, S. 10 ff.):

• Knapp drei von vier Übergriffen erfolgten durch einen Einzeltäter (74,8 %).

• Die Angreifer waren fast ausschließlich männlich (92,9 %).

• Jüngere Personen sind unter den Angreifern im Vergleich zu ihrem Anteil in der deutschen Gesamtbevölkerung überrepräsentiert. Insgesamt 59,3 % der Täter waren zum Zeitpunkt des Übergriffs unter 25 Jahre alt.

• In sechs von zehn Fällen (59,4 %) wurden die Täter von den Beamten als deutsch eingestuft, 36,1 % wiesen eine nichtdeutsche Herkunft auf, wobei hier am häufigsten Länder der ehemaligen Sowjetunion (z. B. Russland, Kasachstan) bzw. die Türkei oder andere islamische Länder (z. B. Iran, Irak) genannt wurden. Bei einigen wenigen Personen (4,5 %) war die Herkunft unbekannt.9 Der Anteil nichtdeutscher Täter liegt zudem bei Übergriffen in großstädtischen Gebieten deutlich höher als in ländlichen Bereichen.

• In fast drei Viertel aller Fälle standen die Täter zum Zeitpunkt des Übergriffs unter dem Einfluss von Alkohol (71,7 %). Sie befanden sich also mehrheitlich in einem Zustand der Enthemmung und verringerter Selbstkontrolle, wenn sie der Polizei entgegen traten. Dabei ist eine Zunahme des Anteils alkoholisierter Täter über die letzten fünf Jahre hinweg festzustellen.

• Bei zwei von drei Übergriffen (64,8 %) handelte es sich zudem um Personen, die zuvor schon einmal polizeilich in irgendeiner Form in Erscheinung getreten waren.

• Die Täter setzten hauptsächlich körperliche Gewalt in Form von Rangeln, Schlägen oder Tritten gegen die Beamten ein (84,0 %). Der Einsatz von Waffen oder anderen gefährlichen Gegenständen (z. B. Zaunlatten) wurde bei jedem fünften Übergriff berichtet (19,3 %), wobei diese Art des Übergriffs im Rahmen von Demonstrationen überrepräsentiert ist. Angriffe unter Verwendung eines Autos oder anderer Vehikel stellen die Ausnahme dar (3,0 %).

Dass die Täter mehrheitlich allein handelnd, männlich, jung, alkoholisiert und polizeibekannt sind, bestätigt sich auch in anderen in- wie ausländischen Untersuchungen (vgl. z. B. Brown, 1994; Falk, 2000; FBI, 2010; Griffiths & McDaniel, 1993; Ohlemacher et al., 2003). Allerdings kann auf Basis dieser Beschreibung keine Aussage darüber getroffen werden, bei welchen Tätern ein höheres Risiko für den Beamten besteht, angegriffen zu werden. Da Polizisten häufig mit alkoholisierten Personen konfrontiert sind, ist es nicht weiter überraschend, dass diese auch zu einem hohen Anteil zu den Angreifern gehören. Ob sie ein höheres Risiko für Beamte darstellen als nicht alkoholisierte Personen, lässt sich damit noch nicht sagen. Dies sei an einem Beispiel verdeutlicht: Wenn fünf von 100 Einsätzen mit alkoholisierten Bürgern zu einem Angriff mit Dienstunfähigkeit führen, gleiches aber auch für fünf von 100 Einsätzen mit nicht alkoholisierten Bürgern gilt, ist das Risiko für einen Angriff bei beiden Tätergruppen jeweils 5 %. Angenommen, dass Einsätze mit alkoholisierten Personen aber dreimal häufiger vorkommen als Einsätze mit nicht alkoholisierten Personen, dann werden innerhalb eines bestimmten Zeitraums 15 Beamte durch alkoholisierte Täter verletzt, aber nur 5 Beamte durch nicht alkoholisierte Täter (d. h. bei 75,0 % der Übergriffe war der Täter alkoholisiert). Um eine echte Risikoabschätzung durchführen zu können, ist es notwendig, Einsätze, die in einer Gewalterfahrung resultierten mit denen zu vergleichen, die friedlich verlaufen sind. Nur wenige Studien haben sich bislang um solche Analysen bemüht (vgl. Johnson, 2011). Im Rahmen eines zusätzlichen Fragebogenmoduls, in dem es um den letzten Einsatz bei häuslicher Gewalt ging, sollte deshalb der Frage nachgegangen werden, welche Faktoren das Risiko von Beamten erhöhen können, im Einsatz verletzt zu werden (näheres s. Ellrich et al., 2011, S. 34 ff.). Neben der Zusammensetzung des Einsatzteams wurde auch danach gefragt, welche Herkunft der Täter hatte, welches Geschlecht und ob er ggf. unter Einfluss von Alkohol stand. Zudem sollten die Beamten angeben, ob sie oder ihre Kollegen bei diesem letzten Einsatz verletzt wurden. Dabei dient die Verletzung eines Beamten im Folgenden als Maß zur Abschätzung der Gefährlichkeit bestimmter Konstellationen. Bei der Analyse wurde sich auf Einsätze, in denen nur zwei Beamte vor Ort waren, beschränkt. Diese stellen zum einen die typische Einsatzsituation bei häuslicher Gewalt dar. Zum anderen sind die Einsätze überschaubarer, so dass der Einfluss bestimmter Faktoren besser abgeschätzt werden kann. Wie sich zeigt, endete etwa jeder siebzehnte Einsatz im Rahmen häuslicher Gewalt mit einer Verletzung mindestens eines Beamten (6,0 %). Welche Merkmale dieses Risiko beeinflussen, dokumentiert Tabelle 2. Dabei werden wiederum Ergebnisse einer logistischen Regressionsanalyse vorgestellt.

Tabelle 2

Einflussfaktoren auf die Verletzung mindestens eines Beamten beim letzten Einsatz im Rahmen häuslicher Gewalt(nur Zweierteams, logistische Regression; abgebildet: Exp(B)

 

 

Modell I

Täter: FrauTäter: MannTäter: andere

Referenz0.9242.097

Täter alkoholisiert

5.546***

Familie mit Migrationshintergrund

1.439*

weibliche Beamte im Team

0.786†

Beamter mit Migrationshintergrund im Team

1.749

NNagelkerkers R2

3.819.067

*** p < .001, ** p < .01, * p < .05, † p < .10

Wie deutlich wird, spielt das Geschlecht des Täters der häuslichen Gewalt im Hinblick auf das Verletzungsrisiko der Beamten keine Rolle. Einsätze, bei denen Frauen die Täter der häuslichen Gewalt waren, endeten genauso häufig mit einer Verletzung eines Beamten, wie bei männlichen Tätern. Handelte es sich hingegen um andere Täterkonstellationen (z. B. Frauen und Männer als Täter), zeigt sich ein leicht erhöhtes Risiko für die Beamten, verletzt zu werden. Möglicherweise verbünden sich bei solchen Einsätzen die Parteien gegen den Beamten und gehen gemeinsam gegen ihn vor.

Der einflussreichste Faktor für eine Verletzung stellt das Vorliegen von Alkoholkonsum auf Seiten des Täters dar. Einsatzteams, die auf einen alkoholisierten Täter treffen, haben insgesamt ein etwa 5,5fach höheres Risiko, verletzt zu werden, verglichen mit Einsätzen wegen häuslicher Gewalt ohne Alkoholkonsum der Beteiligten. Mit anderen Worten endete etwa jeder vierzehnte Einsatz mit einer Verletzung der Beamten (7,2 %), wenn der Täter unter dem Einfluss von Alkohol stand, während dies nur auf 1,3 % der Einsätze mit nicht alkoholisierten Tätern zutraf. Dass Alkohol ein zentraler Risikofaktor für Übergriffe bei häuslichen Streitigkeiten darstellt, konnte auch in anderen Studien gezeigt werden (Johnson, 2011; Rabe-Hemp & Schuck, 2007). Eine mit dem Konsum von Alkohol einhergehende reduzierte Selbstkontrolle, sowie gesteigerte emotionale Reaktionen in Form von Wut, Zorn, Ärger, oder Angst, könnten verantwortlich für diesen Effekt sein (Johnson, 2011; Schmalzl, 2005). Daneben zeigt sich, dass es bei Einsätzen in Familien mit Migrationshintergrund etwas häufiger zu einer Verletzung der anwesenden Beamten gekommen ist (7,0 %; deutsche Familie: 5,3 %). Möglicherweise wird das „Einmischen“ von Polizeibeamten in private Angelegenheiten von Personen mit einem anderen kulturellen Hintergrund noch weniger akzeptiert als bei Familien deutscher Herkunft. Weiterhin ist es möglich, dass ein nicht Beachten besonderer Verhaltensregeln (z. B. als männlicher Polizeibeamter alleine mit der Frau zu sprechen), leichter zu einer Eskalation führt.

Ist mindestens eine weibliche Beamtin im Einsatzteam, sinkt hingegen das Risiko einer Verletzung (der Person selbst und/oder ihrer Kollegen) zumindest tendenziell verglichen mit ausschließlich männlichen Einsatzteams. Die Annahme, dass sich Frauen bei solchen Einsätzen hauptsächlich um die Opfer kümmern und somit die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung niedriger ist, kann an dieser Stelle keine Erklärung liefern. Zusätzliche Analysen zeigen, dass die Anwesenheit einer Beamtin insbesondere das Risiko reduziert, dass beide Beamte verletzt werden (Ellrich et al., 2011, S. 50 ff.). Vielmehr scheinen weibliche Beamte einen deeskalierenden Effekt auf die Konfliktsituation zu haben. Ob dies mit besonderen Kompetenzen der Beamtinnen zusammenhängt oder eine größere Hemmung seitens des Täters besteht, gemischtgeschlechtliche Teams anzugreifen, müsste in weiteren Studien überprüft werden. Auch ein Selektionseffekt ist nicht auszuschließen, wonach rein männliche Teams zu besonders gefährlichen Einsätzen bei häuslicher Gewalt geschickt werden, und damit generell einem höheren Verletzungsrisiko ausgesetzt sind. Zusammengefasst kann festgehalten werden, dass von alkoholisierten Personen sowie Familien mit Migrationshintergrund ein erhöhtes Risiko für den Beamten ausgeht, im Rahmen eines Einsatzes wegen häuslicher Gewalt verletzt zu werden. Inwiefern sich die Befunde auch auf andere Einsatzsituationen übertragen lassen, bleibt zu prüfen.

3.5 Durch welche Merkmale sind die Situationen, in denen es zu Gewalt gegen Polizeibeamte gekommen ist, gekennzeichnet?

Die Situationen, in denen es am häufigsten zu Übergriffen mit Dienstunfähigkeit gekommen ist, stellen Festnahmen/Überprüfungen Verdächtiger dar (16,9 %, s. Abbildung 3). Insbesondere Festnahmen können auf Seiten des Bürgers als massiver Eingriff und starke Restriktion der persönlichen Freiheit empfunden werden, denen sich der Bürger zu entziehen versucht (Haller et al., 1999; Schmalzl, 2005). Etwa gleichhäufig wurden die Beamten im Rahmen außer- und innerfamiliärer Streitigkeiten angegriffen (13,1 % bzw. 13,0 %). Weiterhin gab jeder neunte Befragte an, dass sich der Übergriff bei einem Einsatz wegen Störung der öffentlichen Ordnung ereignete (11,3 %), worunter überwiegend Ruhestörungen sowie Randale durch Betrunkene zu fassen sind. Zu vergleichbaren Ergebnissen kommen auch andere Studien in diesem Bereich (Bragason, 2006; Brown, 1994; Falk, 2000; FBI, 2010; Griffiths & McDaniel, 1993; Hirschel et al., 1994; Manzoni, 2003; Ohlemacher et al., 2003). Zwar lassen sich Variationen in der Rangfolge der Situationen über die Untersuchungen hinweg feststellen, diese sind aber nicht zuletzt auf unterschiedliche Kategorisierungen der Einsatzanlässe sowie der zu analysierenden Gewaltformen zurückzuführen. Gerade öffentlich diskutierte Einsatzsituationen wie Demonstrationen oder Fußballspiele werden vergleichsweise selten genannt. Daraus kann jedoch nicht geschlussfolgert werden, dass Beamte bei solchen Großereignissen mit weniger Gewalt konfrontiert sind als bspw. Beamte, die zu einer häuslichen Gewalttat gerufen werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Einsätze im Rahmen von Demonstrationen seltener zu Übergriffen mit Dienstunfähigkeit führen, weil die Beamten bspw. besser ausgestattet sind (insbesondere Körperschutzausstattung), sich der Gefahr solcher Einsätze eher bewusst sind und speziell hinsichtlich besonderer Gefahrenlagen ausgebildet werden. (Abb. 3).

Im Hinblick auf die zeitlichen und örtlichen Gegebenheiten kann folgendes hervorgehoben werden:

• Insbesondere an den Wochenenden findet sich eine erhöhte Konzentration von Übergriffen. Fast zwei Drittel aller Angriffe (63,1 %) ereigneten sich zwischen Freitag und Sonntag. Zudem ist im Vergleich zu früheren Untersuchungen (z. B. Ohlemacher et al., 2003) eine deutliche Verlagerung von Übergriffen auf das Wochenende festzustellen.

• Die Angriffe erfolgten überwiegend in den Abend- und Nachtstunden (zwischen 20 und 4 Uhr: 53,2 %; vgl. auch Bragason, 2006; Falk, 2000).

• Hinsichtlich des Charakters des Stadtgebietskann festgehalten werden, dass sich die Übergriffe vorwiegend in (eher) bürgerlich geprägten Gebieten ereigneten (44,0 %), während als eher sozial problematisch einzustufende Stadtteile vergleichsweise selten genannt wurden (27,4 %; vgl. auch Ohlemacher et al., 2003). Dass sozial problematische Stadtteile nicht an erster Stelle stehen, kann zum einen damit erklärt werden, dass sie prozentual gesehen nur einen kleinen Teil von Städten und Gemeinden ausmachen. Zum anderen ist zu vermuten, dass die Beamten gerade in diesen Gebieten mit einem höheren Gefährdungspotenzial rechnen und deshalb aufmerksamer sind und vorsichtiger agieren als in bürgerlich geprägten Stadtvierteln.

• Fast jeder zweite Angriff (47,0 %) fand im öffentlichen Raum (Straße, Platz, Park) statt, weitere 23,6 % der Beamten wurden in einer Wohnung, einem Haus oder Garten angegriffen. Dabei galt der Ort des Einsatzes allgemein nicht als gefährlich für die Polizei (80,3 %). Auch hier zeigen sich Übereinstimmungen mit anderen Untersuchungen (Falk, 2000; Jäger, 1988; Ohlemacher et al., 2003).

Abbildung 3

Erfasst wurde zusätzlich, welche Informationen dem Beamten zur Verfügung standen, wie der Beamte die Situation vor dem Übergriff bewertete und wie er sich dem Täter gegenüber verhielt. Dabei zeigte sich, dass:

• den Beamten relativ selten umfassende Informationen zu den Merkmalen der beteiligten Personen (z. B. Bewaffnung, polizeiliche Vorgeschichte) sowie zur Konflikthaftigkeit der Situation vorlagen (12,4 bzw. 21,5 %, Ellrich et al., 2011, S. 71 ff.). Es ist anzunehmen, dass sich ausreichend informierte Beamte besser auf die Situation bzw. den Täter vorbereiten und situationsadäquate Strategien einsetzen können, als jene, denen keine Informationen vorliegen.

• nur zwei von fünf Beamten (39,8 %) die Situation vor dem Übergriff als (eher) gefährlich einschätzten.

• in 74,4 % der Fälle der spätere Täter im Vorfeld des Übergriffs als (eher) aggressiv bewertet wurde.

• die Beamten in drei von vier Fällen (75,4 %) vor dem Übergriff mit dem späteren Täter kommuniziert haben.

• die Beamten selbst am häufigsten körperliche Zwangsmaßnahmen dem Täter gegenüber einsetzten (84,0 %). Deutlich seltener benutzten die Befragten ein Reizstoffsprühgerät oder einen Schlagstock zur Abwehr des Angriffs (26,2 bzw. 29,9 %). Lediglich bei 35 Übergriffen (1,5 %) musste von der Dienstwaffe als ultima ratio Gebrauch gemacht werden. Auch hier bestätigt sich der in anderen Untersuchungen bereits beschriebene Geschlechtsunterschied, wonach Beamtinnen seltener Drohungen und Gewalt im Umgang mit dem Bürger einsetzen (Garner et al., 1996; Rabe-Hemp, 2008; Schuck & Rabe-Hemp, 2005).

Vor dem Hintergrund, dass dem Übergriff mehrheitlich eine Kommunikation mit dem späteren Täter vorausging und dieser als aggressiv bewertet wurde, stellt sich die Frage, warum der Angriff trotz der Hinweise auf eine potenziell eskalierende Situation nicht verhindert werden konnte. Auch in anderen Untersuchungen werden Übergriffe von den betroffenen Beamten überwiegend als überraschend erlebt, obgleich diese meist nicht unmittelbar beim Eintreffen der Beamten erfolgten, sondern sich vielmehr im Zuge einer Interaktion mit den Bürgern ereigneten (Ohlemacher et al., 2003; Sessar et al., 1980). In diesem Zusammenhang diskutiert Schmalzl (2005, 2008) die Frage, ob es nicht möglicherweise doch bestimmte Hinweise oder Warnsignale auf den vermeintlich plötzlichen Angriff gegeben haben könnte, die nicht adäquat wahrgenommen bzw. bewertet worden sind. Er verweist auf die Entwicklung eines psychologischen Frühwarnsystems bzw. Gefahrenradars (s. auch Füllgrabe, 2002), welches eine bessere Wahrnehmung bzw. Risikoeinschätzung erlaubt.

Um zukünftigen Gewaltübergriffen vorzubeugen, ist es von Bedeutung, auch das eigene Verhalten in der Interaktion mit dem Bürger selbstkritisch zu reflektieren. Wie Abbildung 4 entnommen werden kann, sehen sechs von zehn Beamten rückblickend keine Fehler in ihrem eigenen Verhalten. Nur rund jeder siebte Betroffene räumte eigene Verhaltensfehler ein, die vor allem in einer Unterschätzung der Gefährlichkeit der Situation gesehen werden. Deutlich seltener wurden andere Strategien, wie z. B. Einsatz von Führungs- und Einsatzmitteln, Vermeiden eines Alleinganges, mehr Wertlegen auf die Eigensicherung, Verstärkung anfordern oder eine bessere körperliche Verfassung als Möglichkeiten genannt, durch die der Übergriff hätte vermieden werden können. Ebenfalls mehrheitlich von den Beamten verneint, wurden die Fragen, ob sie sich selbst im Vorfeld des Übergriffs konfliktfördernd verhalten haben oder ob ihr Auftreten aus Sicht des Täters als provokant hätte bewertet werden können (Ellrich et al., 2011, S. 107). Dass die Beamten ihr eigenes Verhalten insgesamt eher positiv bewerten, ist nicht überraschend. Einerseits sind sie geschult darin, deeskalierend zu agieren und sollten folglich wenig provozierendes und konfliktförderndes Verhalten zeigen. Andererseits muss bei der Beantwortung nach eigenen Fehlern auch von einem Effekt sozialer Erwünschtheit ausgegangen werden. Das Einräumen eigener Fehler erhöht die Gefahr, selbst für den Übergriff verantwortlich gemacht zu werden. Im Einklang damit steht die von Schmalzl (2008, S. 25) geäußerte Vermutung, „dass man als angegriffener Polizeibeamter schon zum Eigenschutz eher die Umstände als das eigene Verhalten für den Angriff und dessen Folgen verantwortlich machen wird“.

Abbildung 4

Im Gegensatz zum eigenen Verhalten beurteilten die Befragten die Vorbereitung auf den Übergriff durch die Aus- und Fortbildung deutlich kritischer (Ellrich et al., 2011, S. 104 ff.). Dabei wurden insbesondere mangelnde Vorbereitungen in Bereichen der Konflikthandhabung, der körperlichen Abwehr und der psychischen Beurteilung der Situation berichtet. Zudem waren über die Hälfte aller Beamten mit der Fürsorgepflicht des Dienstherrn bezüglich der Verarbeitung der Gewalttat sowie der Vorbereitung auf zukünftige Gewalttaten nicht zufrieden.

3.7 Welche Folgen haben Gewaltübergriffe für den betroffenen Beamten?

Obgleich sich Polizeibeamte des Risikos bewusst sind, während ihrer Dienstausübung auch selbst Opfer von Gewalt zu werden, wird die Vorstellung, im Dienst körperlich verletzt zu werden, als sehr belastend empfunden (Klemisch et al., 2005). Gewalterfahrungen können ein einschneidendes Lebensereignis darstellen. Die zuvor angenommene „Unverletzlichkeit“ der eigenen Person sowie die wahrgenommene Kontrollierbarkeit von (auch kritischen) Situationen, können durch eine solche Erfahrung erschüttert werden und Ängste auslösen (Reiser & Geiger, 1984). Unter welchen körperlichen und psychischen Beschwerden die Beamten infolge des Gewaltereignisses gelitten haben, soll nachfolgend beantwortet werden.

Am häufigsten gaben die Beamten Verletzungen im Hand- und Armbereich als Folge des Übergriffs an (46,6 %, Ellrich et al., 78 ff.). Deutlich seltener wurde der Gesichts-/Kopfbereich (29,6 %) sowie die Nacken-, Hals-, Schulter- und Rückenpartie verletzt (22,6 %). Allerdings scheinen gerade letztgenannte Verletzungen besonders gravierend zu sein. So weisen Beamte mit Nacken-, Hals-, Schulter- oder Rückenverletzungen nicht nur längere Dienstunfähigkeitsdauern auf. Sie werden infolge des Übergriffs auch häufiger anders verwendet oder außendienstunfähig.

Neben den körperlichen Beschwerden wurde auch nach Problemen in anderen Lebensbereichen gefragt. Am häufigsten klagten die betroffenen Beamten mit 27,7 % über Schlafprobleme infolge des Übergriffs. Schwierigkeiten im sozialen Kontakt, sprich im Umgang mit dem Partner oder anderen Menschen des sozialen Umfelds, wurden von etwa jedem siebten Beamten berichtet (14,9 %). Dabei kann festgehalten werden, dass mit der Dauer der Dienstunfähigkeit auch der Anteil der von diesen Problemen betroffenen Beamten zunimmt.

Da Polizeibeamte in ihrem Beruf mit einer Vielzahl extremer, belastender und potenziell traumatisierender Ereignisse konfrontiert werden, worunter auch eigene Gewalterfahrungen zu subsumieren sind, haben sich mehrere Studien mit Posttraumatischen Belastungsstörungen bei Polizeibeamten auseinandergesetzt (z. B. Gasch, 2000; Latscha, 2005; Schneider & Latscha, 2010). Gekennzeichnet ist dieses psychische Beschwerdebild unter anderem durch Albträume, Rückzug, Vermeidungsverhalten und psychosomatische Beschwerden wie Nervosität oder Schlafstörungen, infolge eines traumatischen Erlebnisses (Saß et al., 2003). In der vorgestellten Untersuchung wiesen insgesamt 4,9 % der angegriffenen Beamten vier Wochen nach dem Übergriff den Verdacht auf eine Posttraumatische Belastungsstörung auf (Ellrich et al., 2011, S. 83 ff.). Dabei ergaben sich keine bedeutsamen Unterschiede bezüglich des Geschlechts, des Alters oder der Dienstgruppenzugehörigkeit. Allerdings ist ein Zusammenhang zwischen der Dauer der Dienstunfähigkeit und dem Vorliegen einer Verdachtsdiagnose festzustellen. Beamte, die über zwei Monate dienstunfähig wurden, wiesen demnach neunmal häufiger einen Verdacht auf als jene mit maximal zweitägiger Dienstunfähigkeit (18,6 zu 2,1 %). Zusätzlich konnten noch einige andere Merkmale des Übergriffs mit diesem psychischen Beschwerdebild in Verbindung gebracht werden. Dazu gehört bspw. die Wahrnehmung des Beamten hinsichtlich des Tatmotivs. So liegt bei Beamten, die dem Täter als Motiv eine Feindschaft gegenüber Polizei/Staat, eine persönliche Differenz oder eine Tötungsabsicht attestieren, häufiger der Verdacht auf eine Posttraumatische Belastungsstörung vor. Erfolgte der Angriff durch Waffen oder andere gefährliche Gegenstände, kommt es sogar zu einer Verdoppelung der Fälle mit einer solchen Verdachtsdiagnose.

Vor dem Hintergrund, dass alle Beamten infolge des Angriffs dienstunfähig geworden sind, erscheinen die berichteten Beschwerderaten jedoch vergleichsweise niedrig. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass Polizeibeamte über besondere Bewältigungsstrategien verfügen, die es ihnen erlauben, trotz des Erlebens potenziell traumatischer Situationen gesund zu bleiben (vgl. Latscha, 2005; Schneider & Latscha, 2010). Anderseits bestehen möglicherweise auch Hemmungen, insbesondere psychische Probleme zuzugeben, da diese nicht mit dem Rollenverständnis dieser Berufsgruppe i. S. eines unerschütterlichen, maskulinen Helfers konform gehen (vgl. Pieper & Maercker, 1999; „Alpha-Männer“).

Bislang wenig Aufmerksamkeit wurde den möglichen psychischen Folgen geschenkt, die sich ergeben können, wenn der Übergriff auch für den viktimisierten Beamten strafrechtliche Konsequenzen in Form einer Beschwerde, Anklage oder eines Disziplinarverfahrens nach sich zieht. Dies ist zwar eher selten der Fall, nur zwei von zehn Beamten (17,7 %) wurden in irgendeiner Form rechtlich belangt; dennoch darf die Wirkung dessen auf Polizeibeamte nicht unterschätzt werden (Ellrich et al., 2011; S. 93). Wie deutlich wird, nimmt mit dem Grad der strafrechtlichen Maßnahme auch die Belastung der Beamten zu. Insbesondre Disziplinarverfahren erweisen sich bezüglich der psychischen Konstitution des Beamten infolge des Übergriffs als besonders belastend. Etwa jeder fünfte Beamte (19,6 %), der sich sowohl in einem Ermittlungs- als auch einem Disziplinarverfahren verantworten musste, wies Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung auf, während dies nur auf 4,1 % der Beamten ohne strafrechtliche Konsequenzen zutraf. Auf Basis der Daten können keine Aussagen zu den dahinter liegenden Gründen gemacht werden. Möglicherweise sind sich manche Beamte eigener Verhaltensfehler in der Übergriffsituation bewusst und fürchten sich deshalb vor der Auseinandersetzung. Andere wiederum fühlen sich vielleicht zu Unrecht beschuldigt, können nicht nachvollziehen, dass das Täter-Opfer-Verhältnis umgekehrt wird oder ihnen zumindest eine Mitschuld an dem Übergriff, der für sie selbst sehr folgenreich war, unterstellt wird. Ganz gleich, ob eigene Fehler wahrgenommen werden oder nicht, lösen rechtliche Konsequenzen sicherlich auch Zukunftsängste aus, die für sich genommen bereits eine starke psychische Belastung darstellen können. Vor diesem Hintergrund wäre eine Unterstützung des betreffenden Beamten gerade in diesen Situationen hilfreich.

Neben körperlichen und psychischen Beschwerden können sich durch Viktimisierungserfahrungen auch Veränderungen in Einstellungen und Wahrnehmungen ergeben. Belegt ist dies bspw. für das Konzept der Kriminalitätsfurcht (Skogan, 1987). Eine Komponente dieses Konstrukts ist die kognitive Furcht, welche allgemein die Erwartung, in naher Zukunft Opfer einer Straftat zu werden, erfasst. Im Kontext der vorliegenden Befragung wurde darunter die Wahrscheinlichkeit verstanden, in den nächsten zwölf Monaten im Dienst derart angegriffen zu, dass daraus eine Dienstunfähigkeit resultiert. Die Analysen bestätigen, dass es Beamte, die solch einen Übergriff in den fünf Jahren zwischen 2005 und 2009 erlebt haben, fast 8mal häufiger als sehr wahrscheinlich erachten, im nächsten Jahr noch einmal derart angegriffen zu werden, verglichen mit Beamten ohne Opfererfahrungen (31,7 zu 4,1 %, s. Abbildung 5). Folglich könnten die viktimisierten Beamten in ihrem Dienst von einer höheren Angst begleitet werden. Es ist anzunehmen, dass sich solche Ängste gerade in Situationen manifestieren, die ein vergleichbares Muster mit der bereits erlebten Gewalterfahrung aufweisen. Eine damit einhergehende starke emotionale Belastung kann sich wiederum negativ auf die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit des Beamten auswirken und somit letztlich das Risiko einer Reviktimisierung erhöhen. (Abbildung 5).

Abbildung 5

Wie ebenfalls aus Abbildung 5 entnommen werden kann, stehen Gewalterfahrungen auch mit dem eigenen professionellen Selbstbild des Polizeibeamten in Zusammenhang. Jene, die einen Übergriff mit Dienstunfähigkeit erlebt haben, stimmten der Aussage, dass sie Müllmänner oder Prügelknaben seien, deutlich häufiger zu. Unabhängig davon sind aber auch die Zustimmungsraten nicht viktimisierter Beamter mit 38,4 % bzw. 26,7 % recht hoch. Es ist davon auszugehen, dass Beamte, die das Gefühl haben, der Prügelknabe der Gesellschaft zu sein, auch entsprechend härter mit dem Bürger umgehen. Dies kann wiederum leichter zu Eskalationen im Umgang mit dem polizeilichen Gegenüber führen und letztlich in einer wiederholten Viktimisierung enden.

4 Diskussion

Ziel des Beitrages war es, Einblicke in das Thema Gewalt gegen Polizeibeamte zu liefern. Dafür wurden Ergebnisse aus einer Befragung des KFN von Polizeibeamten zu Gewalterfahrungen im Dienst vorgestellt, die Anfang des Jahres 2010 durchgeführt wurde. Dieser Untersuchung zufolge sind Polizeibeamte häufig verschiedenen Formen von Gewalt ausgesetzt, wobei verbale und leichte körperliche Angriffe dominieren. Aber auch von schweren Übergriffen, die zu einer Dienstunfähigkeit geführt haben, war etwa jeder achte Beamte innerhalb eines Fünfjahreszeitraums mindestens einmal betroffen. Dabei ist eine Zunahme von Gewaltangriffen zum Nachteil von Polizeibeamten zu beobachten, die insbesondere auf Übergriffe mit weniger schwerwiegenden Folgen zurückzuführen ist. In Übereinstimmung mit bisherigen Forschungsbefunden erfolgten die Angriffe (mit Dienstunfähigkeit) meist bei Festnahmen oder Streitigkeiten, wobei die Täter der Gewalt überwiegend allein handelnd, männlich, jüngeren Alters, polizeibekannt und alkoholisiert waren. Desweiteren kann festgehalten werden, dass Gewalterfahrungen neben körperlichen und psychischen Problemen, auch mit einer erhöhten Furcht vor weiteren Übergriffen sowie einem negativen Selbstbild einher gehen können. Ein Anliegen der Untersuchung war es zudem, Faktoren zu identifizieren, die mit dem Risiko eines Angriffs auf Polizeibeamte in Zusammenhang stehen. Nur wenige Untersuchungen haben sich bislang um solche Risikoabschätzungen bemüht (Johnson, 2011; Rabe-Hemp & Schuck, 2007). Wie auf Basis der vorgestellten Studie gezeigt werden konnte, weisen männliche, jüngere, größere Beamte sowie Beamte mit Migrationshintergrund ein höheres Risiko auf, angegriffen zu werden. Zudem werden Beamte aus dem Einsatz- und Streifendienst sowie aus besonderen Einsatzeinheiten häufiger Opfer von Gewalt im Vergleich zu anderen Dienstgruppen. Auf Seiten des Täters erhöht insbesondere der Einfluss von Alkohol, aber auch das Vorliegen eines Migrationshintergrunds das Risiko für Beamte, im Rahmen von Einsätzen wegen häuslicher Gewalt verletzt zu werden.

Welche konkreten Prozesse dafür verantwortlich sind, dass bestimmte Beamte häufiger angegriffen werden als andere, lässt sich mit den Daten nur unzureichend aufzeigen. Generell ist aber davon auszugehen, dass hierbei mehrere Gründe eine Rolle spielen können. So reichen die Erklärungsansätze für den gefunden Geschlechtsunterschied bspw. von strukturellen Effekten (z. B. unterschiedliche Aufgabengebiete), über Hemmungen des Täters, eine Frau anzugreifen, bis hin zu besonderen deeskalierenden Kompetenzen, die weiblichen Beamten aufgrund ihrer Sozialisation oft zugeschrieben werden. Mit Blick auf die Entwicklung geeigneter Aus- und Fortbildungsmaßnahmen zur Gewaltprävention von Polizeibeamten erscheint insbesondere die Erforschung nicht sichtbarer Merkmale, also bestimmter Einstellungen und Kompetenzen, in denen sich männliche und weibliche Beamte voneinander unterscheiden, gewinnbringend. Würden Beamtinnen weniger Gewalt erleben, weil sie seltener mit gefährlichen Situationen konfrontiert wären bzw. weil die Täter aufgrund ihres Geschlechts eine Angriffshemmung hätten, wären besondere Trainings nicht notwendig. Hätten Beamtinnen hingegen ein niedrigeres Gewaltrisiko, weil sie sozial kompetenter agieren als ihre Kollegen, selbst weniger Drohungen oder Zwangsmaßnahmen in der Interaktion mit den Bürgern einsetzen, vorsichtiger handeln etc., könnten auf Basis dieser Erkenntnisse spezielle Programme (z. B. Kommunikationstrainings) angeboten werden.

Zu prüfen wäre weiterhin, inwiefern bestimmte Einsatzkonstellationen die Gefahr einer gewalttätigen Auseinandersetzung erhöhen können. Nicht jeder Bürger wird in jeder Situation auf jeden Beamten gleich reagieren. Hinweise auf solch differierende Effekte finden sich bspw. in einer Untersuchung von Rabe-Hemp und Schuck (2007). Sie berichten, dass für Beamtinnen das größte Angriffsrisiko besteht, wenn sie im Rahmen von Einsätzen wegen häuslicher Gewalt mit alkoholisierten Tätern konfrontiert werden. Mit anderen Worten spielt die Kombination von Alkohol, Geschlecht und Situation eine entscheidende Rolle für das Viktimisierungsrisiko. Um derart komplexe Ursachenstrukturen aufdecken zu können, sind zukünftig Studien notwendig, die sich verschiedener methodischer Zugänge bedienen (z. B. Befragung und Beobachtung, quasi-experimentelle Designs).

Literatur