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Castle Rock, wir haben ein Problem!
Gwendy, inzwischen in einem hohen politischen Amt und für Klimafragen zuständig, begibt sich zu wissenschaftlichen Zwecken in die Erdumlaufbahn. Dabei ist sie aber auf ihrer eigenen geheimen Mission unterwegs. Der Wunschkasten ist zu ihr zurückgekehrt, mächtiger und zerstörerischer denn je. Die Aufgabe, die Welt zu retten, könnte für sie zu einer Reise ohne Rückkehr werden.
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Seitenzahl: 364
Das Buch
Gwendy, inzwischen in einem hohen politischen Amt und für Klimafragen zuständig, begibt sich zu wissenschaftlichen Zwecken in die Erdumlaufbahn. Dabei ist sie aber auf ihrer eigenen geheimen Mission unterwegs. Der Wunschkasten ist zu ihr zurückgekehrt, mächtiger und zerstörerischer denn je. Die Aufgabe, die Welt zu retten, könnte für sie zu einer Reise ohne Rückkehr werden.
Die Autoren
Stephen King ist Autor von über fünfzig Büchern, die alle weltweit Bestseller wurden. Für sein Werk bekam er zahlreiche Preise, darunter 2003 den Sonderpreis der National Book Foundation für sein Lebenswerk. 2015 ehrte Präsident Barack Obama ihn mit der National Medal of Arts. 2018 erhielt er den PEN America Literary Service Award für sein Wirken, gegen jedwede Art von Unterdrückung aufzubegehren und die hohen Werte der Humanität zu verteidigen.
Richard Chizmar ist Autor der Romane Gwendys Wunschkasten (zusammen mit Stephen King) und Gwendys Zauberfeder. Er wurde unter anderem zweimal mit dem »World Fantasy Award« und viermal mit dem »International Horror Guild Award« ausgezeichnet.
Stephen Kingund Richard Chizmar
Aus dem Englischenvon Sven-Eric Wehmeyer
WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel
GWENDY’S FINAL TASK
bei Cemetery Dance Publications, Baltimore
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Copyright © 2022 by Stephen King und Richard Chizmar
Copyright © 2022 der deutschsprachigen Ausgabe byWilhelm Heyne Verlag, München,in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München
Covergestaltung: Hauptmann und Kompanie Werbeagentur, Zürich
Satz: Schaber Datentechnik, Austria
ISBN: 978-3-641-29150-1V002
www.heyne.de
Für Marsha DeFilippo,
Freundin eines Schriftstellerduos
Es ist ein wunderschöner Apriltag in Playalinda, Florida, unweit von Cape Canaveral. Wir schreiben das Jahr des Herrn 2026, und in der Menge, die an der Ostseite des Max Hoeck Back Creek steht, tragen nur wenige Leute eine Maske. Die meisten sind ältere Menschen, die sich schwertun, mit dieser Gewohnheit zu brechen. Das Coronavirus ist immer noch da, wie ein Partygast, der nicht nach Hause will, und obwohl viele fürchten, es könne erneut mutieren und die Impfstoffe wirkungslos machen, steht es im Kampf dagegen fürs Erste unentschieden.
Einige der Zuschauerinnen und Zuschauer – wiederum sind es überwiegend die älteren Leutchen, diejenigen, deren Sehvermögen nicht mehr so stark ist, wie es mal war – benutzen Ferngläser, die meisten jedoch nicht. Auf der Playalinda-Startplattform steht die größte bemannte Rakete, die jemals von Mutter Erde abgehoben hat; bei einer Startmasse von 3000 Tonnen trägt sie ihren Namen Eagle-19 Heavy mit vollem Recht. Von den insgesamt 120 Metern Höhe werden die letzten fünfzehn von einer Dampfwolke vernebelt, doch sogar diejenigen mit schwächelnder Sehkraft können die drei Buchstaben lesen, die vertikal auf der Seite des Raumschiffs prangen:
T
E
T
Und auch die eher Schwerhörigen kriegen mit, wie der Applaus einsetzt. Ein Mann – alt genug, sich an Neil Armstrongs knisternde Stimme zu erinnern, mit der er der Erde mitteilte, dass der Adler gelandet sei – wendet sich mit Tränen in den Augen und Gänsehaut auf den braun gebrannten dürren Armen seiner Frau zu. Der alte Mann ist Douglas »Dusty« Brigham. Seine Frau heißt Sheila. Sie haben sich vor zehn Jahren in der Stadt Destin zur Ruhe gesetzt, stammen jedoch ursprünglich aus Castle Rock in Maine. Sheila war einst die Büroleiterin im dortigen Sheriff’s Department.
Das Beifallklatschen von der zweieinhalb Kilometer entfernten Abschussanlage der Tet Corporation setzt sich fort. In Dustys und Sheilas Ohren klingt es dünn, doch am gegenüberliegenden Seeufer ist es wahrscheinlich deutlich lauter, da dort Reiher in einer filigran formierten weißen Wolke von ihrem Ruheplatz aufsteigen.
»Sie sind unterwegs«, erklärt Dusty der Frau, mit der er seit zweiundfünfzig Jahren verheiratet ist.
»Möge Gott unser Mädchen behüten«, sagt Sheila und bekreuzigt sich. »Gott hüte unsere Gwendy.«
Acht Männer und zwei Frauen durchschreiten im Gänsemarsch das Tet-Kontrollzentrum auf der rechten Seite. Sie sind durch eine Plexiglaswand abgeschirmt, da sie die letzten zwölf Tage unter Quarantäne standen. Die Techniker erheben sich von ihren Computerplätzen und applaudieren. Bis hierher entspricht es der Tradition, doch heute kommt Jubelgeschrei hinzu. Noch mehr Applaus und Jubel wird es von den eintausendfünfhundert Tet-Mitarbeitern draußen geben (die Aufnäher, die sie an Hemden, T-Shirts, Jacken und Overalls tragen, weisen sie als die Tet Rocket Jockeys aus). Bemannte Weltraummissionen sind immer ein Ereignis, aber die anstehende ist etwas ganz Besonderes.
An vorletzter Stelle der Reihe geht eine Frau, die ihr langes, inzwischen ergrautes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden trägt, der größtenteils vom hohen Kragen ihres Druckanzugs verborgen wird. Das Gesicht ist faltenfrei und immer noch wunderschön mit den feinen Alterslinien um Augen und Mundwinkel. Ihr Name ist Gwendy Peterson, sie ist vierundsechzig Jahre alt, und in weniger als einer Stunde wird sie die erste amtierende US-Senatorin sein, die mit einer Rakete zur neuen Raumstation MF-1 fliegt. (Unter Gwendys Kollegen aus der Politik gibt es Zyniker, die gern behaupten, MF stünde für einen gewissen inzestuösen Geschlechtsakt, aber in Wirklichkeit steht es für Many Flags.)
Momentan tragen die Besatzungsmitglieder ihren Helm noch unter dem Arm. Neun von ihnen erwidern die Jubelrufe und winken mit der freien Hand. Gwendy – Teil der Besatzung – könnte nicht winken, ohne den kleinen, weißen Stahlkoffer in der anderen Hand durch die Luft zu schwenken. Und das will sie nicht.
Anstatt zu winken, ruft sie: »Wir lieben und danken euch! Das hier ist ein weiterer Schritt zu den Sternen!«
Jubel und Applaus schwellen aufs Doppelte an. Jemand schreit: »Gwendy for President!« Einige nehmen den Ruf auf, aber nicht besonders viele. Sie ist beliebt, aber nicht so beliebt, vor allem in Florida nicht, das seit der letzten Parlamentswahl (wieder) republikanisch regiert wird.
Die Mannschaft verlässt das Gebäude und steigt in die drei Wagen der Wegebahn, die sie zur Eagle Heavy bringen wird. Gwendy muss die ganze Strecke über den Hals weit aus dem Raumanzug recken, um die Spitze der Rakete sehen zu können. Werde ich wirklich mit dem Ding da aufsteigen, fragt sie sich und das nicht zum ersten Mal.
Ihr Sitznachbar, der groß gewachsene, rotblonde Biologe im Team, beugt sich zu ihr herüber. Seine Stimme ist ein leises Murmeln.
»Es ist immer noch Zeit für einen Rückzieher. Niemand würde es Ihnen übel nehmen.«
Gwendy lacht. Das Lachen kommt irgendwie nervös und schrill heraus. »Wenn Sie das glauben, dann glauben Sie auch an den Weihnachtsmann und die Zahnfee.«
»Alles klar«, sagt er. »Wollte bloß sagen, dass Sie sich nicht um die Leute zu kümmern brauchen. Sollten Sie auch nur den leisesten Drang auszuflippen verspüren, weil Sie es irgendwie doch nicht schaffen, dann blasen Sie die Sache lieber jetzt ab. Sobald die Triebwerke laufen, gibt es nämlich kein Zurück mehr, und keiner braucht eine panische Politikerin an Bord. Übrigens auch keinen panischen Milliardär.« Er schaut zum Wagen vor ihnen, wo ein Mann gerade der Befehlshaberin der Operation ein Ohr abkaut. In dem weißen Druckanzug weist der Mann eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Michelin-Männchen auf.
Die kleine Flughafenbahn mit den drei Waggons rollt an. Männer und Frauen in Overalls klatschen ihnen während der Fahrt Beifall. Gwendy stellt den weißen Koffer zwischen den Beinen ab. Jetzt kann sie zurückwinken.
»Ich komme schon klar.« Sie ist sich dessen nicht gänzlich sicher, sagt sich aber, dass sie keine Wahl hat. Sie muss mit der Situation klarkommen. Wegen dem Koffer. Auf beiden Seiten ist in roten Lettern das Wort VERSCHLUSSSACHE eingeprägt. »Und was ist mit Ihnen?«
Der Bio-Typ lächelt, und Gwendy wird bewusst, dass sie sich nicht an seinen Namen erinnern kann. Er ist über die vergangenen vier Wochen hinweg ihr Trainingspartner gewesen, erst vor wenigen Minuten haben sie vor dem Verlassen des Warteraums gegenseitig ihre Anzüge kontrolliert, aber sie weiß seinen Namen nicht mehr.
Das ist NG, wie ihre verstorbene Mutter gesagt hätte: nicht gut.
»Ebenso. Das wird mein dritter Trip, und wenn die Rakete aufsteigt und man von der Erdanziehung in den Sitz gedrückt wird … Ich kann da natürlich nur für mich sprechen, aber das ist der beste Orgasmus, den ein Knabe kriegen kann.«
»Danke für die Offenheit«, sagt Gwendy. »Ich werde diese persönliche Mitteilung mit Sicherheit in meinem ersten Bericht nach untenrum berücksichtigen.« Dieses Untenrum nennt man Erde, daran erinnert sie sich, aber wie lautet der verdammte Name von dem Bio-Knaben noch mal?
In der Brusttasche ihres Overalls trägt sie ein Notizbuch mit allen möglichen Infos – und einem ganz besonderen Lesezeichen. Darin stehen die Namen sämtlicher Besatzungsmitglieder. Nur kommt sie jetzt auf gar keinen Fall an das Notizbuch heran, und wenn, dann würde das möglicherweise – mit ziemlicher Sicherheit sogar – Verdacht erregen. Gwendy greift auf die Technik zurück, die ihr Dr. Ambrose beigebracht hat. Das klappt nicht immer, diesmal allerdings schon. Der Mann neben ihr ist groß, hat ein markantes Kinn, blaue Augen und trägt das rotblonde Haar etwas länger. Frauen finden ihn heiß. Was ist heiß? Feuer ist heiß. Man muss achtge…
Bern. Das ist sein Name. Bern Stapleton. Professor Bern Stapleton, bei dem es sich zufälligerweise auch um den Major a. D. Bern Stapleton handelt.
»Bitte nicht«, sagt Bern. Sie ist sich ziemlich sicher, dass er seine Orgasmus-Metapher meint. Mit ihrem Kurzzeitgedächtnis scheint alles in Ordnung zu sein, bislang jedenfalls.
Na ja, mehr oder weniger in Ordnung.
»Ich habe nur Spaß gemacht«, sagt Gwendy und tätschelt seine behandschuhte Hand. »Machen Sie sich keine Sorgen, Bern. Ich komme schon klar.«
Sie sagt sich abermals, dass sie einfach klarkommen muss. Sie will ihre Wähler und Auftraggeber nicht im Stich lassen – was gegenwärtig ganz Amerika sowie der größte Teil der restlichen Welt bedeutet –, aber das ist unbedeutend im Vergleich zu dem verriegelten Koffer zwischen ihren Beinen. Ihn darf sie nicht im Stich lassen. In dem Koffer steckt nämlich ein Kasten, einer, der nicht aus stoßfestem Stahl, sondern aus Mahagoni ist. Er ist vielleicht vierzig Zentimeter lang, ungefähr dreißig Zentimeter breit und halb so hoch. Auf der Oberseite sind Tasten und an jedem Ende Hebel, die so winzig sind, dass man sie mit dem kleinen Finger betätigen kann.
Beim anstehenden Flug zur MF ist nur ein einziger zahlender Passagier an Bord, und Gwendy ist es nicht. Sie hat eine richtige Aufgabe. Nichts Gewichtiges oder Aufregendes, es gibt kaum mehr zu tun, als mit ihrem Laptop Daten zu erfassen und sie zurück ans Tet-Kontrollzentrum zu schicken, aber es ist auch ein bisschen mehr als bloße Tarnung für ihren eigentlichen Auftrag im Obenrum. Sie ist Klimabeobachterin, ihr offizieller Rufname lautet Wetterfee, und manche Crewmitglieder nennen sie scherzhaft Tempest Storm, der Name einer Stripperin aus fernerer Vergangenheit.
Was ist noch mal eine Stripperin, fragt sie sich. Das sollte ich doch eigentlich wissen, oder?
Weil sie das nicht tut, bedient sie sich wieder der Technik von Dr. Ambrose. Das Wort, das sie sucht, hat etwas mit Streichen zu tun, stimmt’s? Nein, nicht mit Streichen. Bevor man streicht, muss man den alten Anstrich loswerden. Man muss die Farbe …
»Abziehen«, murmelt sie.
»Was?«, fragt Bern. Er ist von einem Pulk applaudierender Männer abgelenkt worden, die neben einem der Notfalltrucks stehen. Der, bitte, bitte, lieber Gott, an diesem herrlichen Frühlingstag nicht zum Einsatz kommen möge.
»Nichts«, sagt sie und denkt nach. Eine Stripperin ist eine, die sich auf der Bühne auszieht. Eine Nackttänzerin.
Es stellt jedes Mal eine Erleichterung dar, wenn die fehlenden Wörter kommen. Sie weiß, dass sie nur allzu bald ganz ausbleiben werden. Das gefällt ihr gar nicht, es graust ihr richtig davor, aber noch ist das alles Zukunftsmusik. Gegenwärtig kommt es nur darauf an, dass sie den heutigen Tag über die Runden bringt. Wenn sie erst einmal dort oben ist (wo die Luft nicht nur knapp, sondern gar nicht vorhanden ist), wird man sie nicht einfach nach Hause schicken können, falls man herausfindet, was mit ihr nicht stimmt, oder? Man könnte ihr allerdings ihre Mission vermasseln, sollte es tatsächlich dazu kommen. Und dann wäre da noch etwas, etwas, was ungleich schlimmer wäre. Gwendy will nicht auch nur entfernt daran denken, aber sie kann nicht anders.
Was ist, wenn sie den wahren Grund vergisst, warum sie dort oben ist? Der wahre Grund ist der Kasten im Koffer. Das mag melodramatisch klingen, aber Gwendy Peterson weiß, dass es der Wahrheit entspricht: Von dem, was sich in diesem Koffer befindet, hängt das Schicksal der Welt ab.
Der Versorgungsturm neben der Eagle Heavy ist eine Gitterkonstruktion aus lauter gekreuzten Stahlbalken, die einen riesigen offenen Fahrstuhl beherbergt. Gwendy und ihre Mitreisenden steigen die neun Stufen hinauf und gehen hinein. Der Lift hat ein Fassungsvermögen von drei Dutzend Menschen, weshalb eigentlich reichlich Platz vorhanden ist, aber dennoch steht Gareth Winston, dessen stattliche Plauze den weißen Druckanzug weit nach außen wölbt, auf Tuchfühlung unmittelbar neben ihr.
Winston ist auf der Reise zum Obenrum die ihr am wenigsten sympathische Person, wenngleich sie zuversichtlich ist, dass er das nicht mitbekommt. Mehr als ein Vierteljahrhundert in der Politik hat Gwendy die hohe Kunst gelehrt, ihre Gefühle unter Verschluss zu halten und eine Miene aufzusetzen, die ihrem Gegenüber das Gefühl gibt, überaus faszinierend zu sein. Nach Gwendys erster Wahl ins Repräsentantenhaus hatte eine altgediente Politveteranin namens Patricia »Patsy« Follett sie unter ihre Fittiche genommen und ihr einmal einen wertvollen Ratschlag erteilt. Damals ging es um einen alten Aasgeier aus Mississippi, der Milton Jackson hieß (längst in jenen großen Fraktionssitzungssaal droben im Himmel entschwunden), aber Gwendy hat den Rat seither als äußerst nützlich empfunden: »Sparen Sie sich Ihr breitestes Lächeln für die Arschgeigen auf, und wenden Sie den Blick nicht von ihnen ab. Die Weibchen werden glauben, dass Sie ihre Ohrringe lieben. Die Männchen werden glauben, Sie seien in sie verknallt. Und keiner wird ahnen, dass Sie in Wahrheit nur deren Machenschaften scharf im Auge behalten.«
»Startklar für die größte Spritztour Ihres Lebens, Senatorin?«, fragt Winston, als der Fahrstuhl seinen gemächlichen 120-Meter-Aufstieg direkt neben der Rakete beginnt.
»Völlig losgelöst von der Erde«, sagt Gwendy und schenkt ihm jenes strahlende Lächeln, das sie eigens für Arschgeigen reserviert hat. »Und wie steht’s mit Ihnen?«
»Komplett aus dem Häuschen!«, verkündet Winston. Er spreizt die Arme, und Gwendy muss einen Schritt zurücktreten, um sich keinen Stoß vor die Brust einzufangen. Gareth Winston pflegt eine starke Neigung zu ausgeprägten Gesten; wahrscheinlich ist er der Ansicht, dass ihm die Tatsache, einhundertzwanzig Milliarden Dollar schwer zu sein (nicht ganz so viel wie Jeff Bezos, aber nah dran), das Recht verleiht, sich über Gebühr auszudehnen. »Komplett begeistert, komplett heiß drauf, komplett high!«
Selbstverständlich ist er der zahlende Passagier, was im Fall eines Weltraumflugs bedeutet, einen gewaltigen Batzen Geld hinzulegen. Sein Fahrschein hat 2,2 Millionen Dollar gekostet, aber Gwendy ist bekannt, dass es noch einen weiteren Preis zu zahlen galt. Multimilliarden bedeuten politische Macht, und da die TetCorp sich für eine bemannte Mars-Mission rüstet, braucht sie sämtliche politische Verbündete, die sie kriegen kann. Gwendy hofft nur, dass Winston den Trip überlebt und die Möglichkeit bekommt, seinen Einfluss geltend zu machen. Er ist übergewichtig, und sein Blutdruck war beim letzten Test grenzwertig. Andere Crewmitglieder der Eagle wissen es vielleicht nicht, Gwendy hingegen schon. Sie besitzt ein Dossier über ihn. Weiß er Bescheid, dass sie Bescheid weiß? Das würde Gwendy nicht im Geringsten überraschen.
»Es wäre eine gewaltige Untertreibung, das hier als einmalige Traumreise zu bezeichnen«, sagt er. Er spricht so laut, dass die anderen sich umdrehen und herüberschauen. Operation Commander Kathy Lundgren zwinkert Gwendy zu, während ein Lächeln ihre Mundwinkel umspielt. Gwendy muss keine Gedankenleserin sein, um zu verstehen, was das heißen soll: Besser du als ich, Schwester.
Als der langsam in die Höhe gleitende Fahrstuhl an dem unteren T von TET vorbeikommt, redet Winston Klartext. Und das nicht zum ersten Mal, nebenbei bemerkt. »Sie sind nicht einfach bloß dabei, um Ihren bewundernden Fans Grußnachrichten zu schicken oder auf die große blaue Murmel runterzuschauen und zu sehen, wie die Amazonas-Brände die Windströmungen in Asien beeinflussen.« Er wirft einen bedeutungsschwangeren Blick auf den weißen Koffer mit der Verschlusssache-Aufschrift.
»Unterschätzen Sie mich nicht, Gareth«, sagt Gwendy, wobei sie sowohl den unterschwelligen Kommentar als auch die implizite Frage ignoriert. Es ist nicht so, dass er sich scheut, geradeheraus zu fragen; das hat er im Verlauf ihrer vierwöchigen Flugausbildung und der zwölf Tage Quarantäne danach wiederholt getan. »Ich habe an der Uni Seminare in Meteorologie belegt und mein Wissen den ganzen letzten Winter über ordentlich aufpoliert. Es zeigt sich, dass Bob Dylan falsch lag.«
Winston legt die breite Stirn in Falten. »Bin mir nicht sicher, ob ich Ihnen folgen kann, Senatorin.«
»Man braucht tatsächlich einen Wetterfrosch, um zu wissen, in welche Richtung der Wind weht. Die Brände im Amazonas und die in Australien haben erhebliche Auswirkungen auf das Wettergeschehen und die Klimaschwankungen der Erde. Manche Veränderungen sind schlecht, aber einige wirken sich möglicherweise auch günstig auf die Umwelt aus, so seltsam einem das erscheinen mag. Sie könnten der Erderwärmung einen Dämpfer verpassen.«
»Habe meinerseits nie an den ganzen Kram geglaubt. Bestenfalls übertrieben, schlimmstenfalls gelogen.«
Jetzt geht es am E vorbei. Schaff mir einer bitte den Kerl vom Hals, denkt Gwendy … bevor ihr klar wird, dass sie sich gar nicht erst auf die Reise hätte einlassen dürfen, wenn es ihr massiv widerstreben würde, mit einem Typen wie Gareth Winston auf engstem Raum eingeschlossen zu sein.
Es gibt aber nun einmal keinen Weg daran vorbei.
Sie schaut zu ihm auf und hat immer noch das aufgesetzt, was sie ihr Patsy-Follett-Lächeln nennt. »Die Antarktis schmilzt in der Sonne wie ein Eis am Stiel, und Sie glauben, die Erderwärmung sei nicht real?«
Winston lässt sich jedoch nicht von den Dingen ablenken, denen sein Interesse gilt. Er mag ein übergewichtiger Angeber sein, aber er ist nicht durch Dummheit zu seinen vielen Milliarden gekommen. Oder durch leichte Ablenkbarkeit. »Ich würde wirklich eine Menge dafür geben, zu erfahren, was in dem kleinen Koffer ist, Senatorin, und ich kann eine Menge geben, wie Sie bestimmt wissen.«
»Oha, das klingt verdächtig nach Bestechung.«
»Mitnichten, nur so eine Redensart. Ach übrigens, wo wir sehr bald Weltraumkameraden sein werden – darf ich da Gwendy zu Ihnen sagen?«
Sie hält das strahlende Lächeln aufrecht, obwohl ihr langsam die Muskeln schmerzen. »Auf jeden Fall. Und was den Inhalt angeht …« Sie hebt den Koffer hoch. »Es würde uns beide in sehr große Schwierigkeiten bringen, wenn ich es Ihnen verrate. Die Sorte von Schwierigkeiten, bei denen man in einer Bundeseinrichtung landet, und das ist es wirklich nicht wert. Sie wären enttäuscht, und ich würde mich dafür hassen, den viertreichsten Menschen der Welt enttäuscht zu haben.«
»Drittreichster«, sagt Winston und bedenkt sie mit einem Lächeln, das es an Strahlkraft mit Gwendys aufnehmen kann. Er wedelt mit einem behandschuhten Finger vor ihrer Nase herum. »Ich werde nicht aufgeben, das versichere ich Ihnen. Ich kann sehr hartnäckig sein. Und ins Gefängnis wird mich niemand sperren, meine Liebe.« Ach du meine Güte, denkt Gwendy. Im Verlauf einer einzigen Fahrstuhlfahrt sind wir von Senatorin über Gwendy bei meine Liebe gelandet. Natürlich handelt es sich um einen sehr langsamen Fahrstuhl, immerhin. »Die Wirtschaft würde zusammenbrechen.«
Darauf erwidert sie nichts, denkt aber, dass alles zusammenbrechen würde, wenn der Kasten im Koffer – der Wunschkasten – in die falschen Hände geriete.
Die Sonne könnte sogar einen neuen Asteroidengürtel zwischen Mars und Venus hinzugewinnen.
An der Spitze des Stahlgerüsts befindet sich ein großer weißer Raum. Darin stehen die Weltraumreisenden mit erhobenen Armen und drehen gemächliche Pirouetten inmitten einer Wolke von Desinfektionsspray, das verdächtig nach Bleichmittel riecht. Es ist ihre letzte Waschung.
Vor nicht allzu langer Zeit gab es hier noch einen Raum, einen ziemlich kleinen, mit einem Schild an der Tür, auf dem WILLKOMMENAUFDEMLETZTENKLODERERDE stand, doch Eagle Heavy ist ein Luxusliner und mit eigener Toilette ausgestattet. Die, wie die drei Kabinen, tatsächlich kaum mehr als eine Art Kapsel ist. Eine der Privatkabinen gehört Gareth Winston. Gwendy ist der Ansicht, dass er sie verdient; schließlich hat er genug Geld auf den Tisch gelegt. Die zweite ist Gwendys. Unter anderen Umständen hätte sie gegen eine solche Sonderbehandlung protestiert, US-Senatorin hin oder her, doch mit dem Hauptgrund für ihre Teilnahme an dem Flug im Kopf hat sie zugestimmt. Eileen Braddock, die Leiterin der Mission Control, hatte vorgeschlagen, die sechs Mannschaftsmitglieder ohne Flugverantwortung (Ops Commander Kathy Lundgren und Second Ops Sam Drinkwater) sollten um die verbliebene Kabine Strohhalme ziehen, aber die Crew votierte einstimmig dafür, sie dem Insektenkundler Adesh Patel zu überlassen. Seine Probeexemplare sind bereits an Bord. Adesh wird in einer knallengen Koje schlafen, umgeben von Käfern und Spinnen, darunter (bäh, denkt Gwendy) eine Vogelspinne namens Olivia und ein Skorpion namens Boris.
Der Waschraum einschließlich WC gehört allen, und darüber ist niemand glücklicher als ihre Missionskommandantin. »Keine Windeln mehr«, meinte Kathy Lundgren während der Quarantäne Gwendy gegenüber. »Das, meine liebe Senatorin, nenne ich einen großen Schritt für die Menschheit. Von deren weiblicher Hälfte gar nicht zu reden.«
»Zutritt«, dröhnt es aus den Lautsprechern der Mission Control. »Raketenstart in T minus zwei Stunden und fünfzehn Minuten. Alles im grünen Bereich.«
Kathy Lundgren und der Zweite Offizier Sam Drinkwater wenden sich dem Rest der Besatzung zu. Kathy, in deren kastanienbraunem Haar winzige Tröpfchen des Desinfektionssprühregens glitzern, spricht alle an, aber Gwendy kommt es so vor, als würde sie der Senatorin und dem Milliardär besondere Beachtung schenken.
»Bevor wir die letzten Vorbereitungen treffen, werde ich den Ablauf unserer Mission skizzieren. Sie dürften alle schon Bescheid wissen, aber ich bin aufgrund der TetCorp-Vorschriften verpflichtet, alles noch einmal durchzugehen, bevor wir an Bord gehen. Wir werden die Erdumlaufbahn in acht Minuten und zwanzig Sekunden erreichen. Wir werden die Erde zwei Tage lang umkreisen, was auf zwei- oder dreiunddreißig vollständige Umrundungen hinausläuft, wobei die Umlaufbahnen leicht variieren und wir eine Schleife ziehen. Sam und ich werden Weltraummüll kartografieren, den eine spätere Mission dann entsorgt. Senatorin Peterson – Gwendy – wird sich an ihre Wetterbeobachtung machen. Und Adesh wird zweifellos mit seinem Ungeziefer spielen.«
Allgemeines Gelächter. »Und wenn irgendeins von den Viechern ausbüxt, fliegt es zur Luke raus«, sagt David Graves, der Statistiker und IT-Spezialist der Mission. »Und zwar zusammen mit dir, Adesh.«
Das löst noch mehr Heiterkeit aus. Auf Gwendy wirken alle ziemlich locker. Sie hofft, dass auch sie selbst diesen Eindruck erweckt.
»An Tag drei werden wir bei der Many Flags andocken, die momentan so gut wie verlassen ist, abgesehen von einer chinesischen Enklave …«
»Gruselig«, sagt Winston und gibt ein geisterhaftes Heulen von sich.
Kathy wirft ihm einen ausdruckslosen Blick zu und fährt fort. »Die Chinesen bleiben in Speiche neun unter sich. Wir beziehen Speiche eins, zwei und drei. Die Speichen vier bis acht sind gegenwärtig nicht belegt. Sollten Sie die Chinesen zu Gesicht bekommen, dann hauptsächlich beim Lauftraining im äußeren Ring. Das tun die dort regelmäßig. Sie werden reichlich Platz haben, sich auszubreiten. Wir werden uns dort oben für zusätzliche neunzehn Tage aufhalten, und Platz zum Ausbreiten ist da ein unfassbarer Luxus. Vor allem nach achtundvierzig Stunden in der Eagle Heavy. Und jetzt zum wichtigen Teil, also hören Sie bitte aufmerksam zu. Unser Veteran Bern Stapleton hat bereits zwei Flüge hinter sich. Dave Graves einen. Sam, mein stellvertretender Kommandeur, ist fünfmal geflogen, ich siebenmal. Alle anderen sind Neulinge, und ich sage Ihnen, was ich allen Neulingen sage: Jetzt ist die allerletzte Gelegenheit, den Rückwärtsgang einzulegen. Falls Sie auch nur den leisesten Zweifel haben, die Sache vom Eintritt bis zum Austritt am Ende voll durchziehen zu können, müssen Sie das jetzt äußern.«
Keiner erhebt das Wort.
Kathy nickt. »Hervorragend. Dann also mal los.«
Sie überqueren der Reihe nach die Gerüstbrücke, wonach ihnen ein Vierertrupp des weiß bekittelten (und desinfizierten) Sicherheitspersonals beim Einsteigen in das Raumfahrzeug hilft. Lundgren, Drinkwater und Graves – der den Flug von einer Batterie Touchscreens aus überwachen wird – gehen als Erste.
Unter ihnen nehmen auf der zweiten Stufe Dr. Dale Glen, der Physiker Reggie Black und Biologe Bern Stapleton hintereinander Platz.
Die dritte und breiteste Ebene, wo irgendwann einmal mehr zahlende Passagiere sitzen werden (so hofft man bei der TetCorp jedenfalls), ist für den Astronomen Jafari Bankole, der bis zur MF-Raumstation wenig zu tun haben wird, den Entomologen Adesh Patel, den Fluggast Gareth Winston und zu guter Letzt die Junior-Senatorin aus Maine, Gwendy Peterson, reserviert.
Gwendy setzt sich zwischen Bankole und Patel. Ihr Platz sieht wie ein leicht futuristischer La-Z-Boy-Ruhesessel aus. Über ihnen sind jeweils drei schwarze Bildschirme angebracht, und für einen panischen Moment kann sich Gwendy nicht daran erinnern, wozu die da sind. Sie sollte eigentlich irgendwas tun, um sie einzuschalten, aber was?
Sie sieht rechtzeitig nach rechts zu Jafari Bankole hinüber, der sich ein Kabel in einen Anschluss im Brustbereich seines Anzugs steckt, worauf es ihr wieder einfällt. Reiß dich zusammen, Gwendy.
Sie stöpselt die Verbindung ein, und die Monitore über ihr leuchten kurz auf und fahren dann hoch. Einer zeigt ein Live-Video von der Rakete auf ihrer Startplattform. Der daneben dokumentiert ihre Vitalparameter (Blutdruck ein bisschen hoch, Puls normal). Über den dritten läuft eine Folge von Daten und Zahlen, da Becky, der Bordcomputer der Eagle Heavy, gerade eine Reihe von Systemtests durchführt. Gwendy kann nichts damit anfangen, Kathy Lundgren vermutlich schon. Wohl auch Sam und Dave Graves, aber natürlich wird es hauptsächlich Kathy sein – zusammen mit Eileen Braddock, der Leiterin der Mission Control –, die mit allergrößter Aufmerksamkeit die Auslesungen verfolgt. Die beiden sind dazu angehalten, die Mission sofort abzublasen, falls sie etwas Unvorhergesehenes entdecken. Gwendy weiß, dass eine solche Entscheidung über siebzehn Millionen Dollar kosten würde.
Im Moment sind alle Zahlen grün. Über den sich abspulenden Datensätzen tickt eine Countdown-Uhr, ebenfalls im grünen Bereich.
»Luke geschlossen«, informiert Becky sie mit ihrer sanften, beinahe menschlich klingenden Stimme. »Betriebsbedingungen normal. T minus eine Stunde, achtundvierzig Minuten.«
»Überprüfe Startposition und Flugbahn«, sagt Kathy zwei Ebenen über Gwendy.
»Wetterverhältnisse Zielgebiet …«, beginnt Becky.
»Kommando zurück, Becky.« In ihrem Anzug kann Kathy kaum den Kopf drehen, aber sie winkt mit dem Arm. »Das möchte ich von Ihnen hören, Gwendy.«
Einen schrecklichen Augenblick lang hat Gwendy keine Ahnung, was sie zu tun oder wie sie zu reagieren hat. In ihrem Kopf herrscht vollständige Leere. Dann sieht sie, wie Adesh Patel unter ihren Sitz zeigt, und die Dinge rasten wieder ein. Sie ist sich darüber im Klaren, dass sich ihr Zustand unter Stress verschlimmert, und ermahnt sich abermals zur Ruhe. Du musst. Der unaufhaltsame neurologische Verfall, dem der graue Schwamm zwischen ihren Ohren ausgesetzt ist, jagt ihr weitaus mehr Angst ein als das Wissen, auf Megatonnen leicht brennbaren Raketentreibstoffs zu hocken.
Sie zieht das mit PETERSON beschriftete Tablet aus den Halteklammern unter dem Sitz hervor, entsperrt es per Daumenabdruck und wischt bis zur Wettervorhersage-App. Die ausgezeichnete Internetverbindung in der Kabine sorgt dafür, dass die medizinischen Daten des Diagnosebildschirms verschwinden. An ihre Stelle tritt eine Wetterkarte, ähnlich denen, die man am Ende von Nachrichtensendungen im Fernsehen sieht.
»Am Zielort alles bestens«, sagt sie zu Kathy. »Die komplette Strecke über Hochdruck, klarer Himmel, kein Wind.« Außerdem würde es, wie sie weiß, schon Winde in Orkanstärke brauchen, um Eagle Heavy vom Kurs abzubringen, wenn sie erst einmal richtig in Fahrt war. Die meisten Witterungssorgen drehen sich ums Abheben und den Wiedereintritt in die Erdatmosphäre.
»Wie steht’s um das Obenrum?«, erkundigt sich Sam Drinkwater bei ihr. In seiner Stimme schwingt ein Lächeln mit.
»Unwetter in hundert Kilometer Höhe, mit geringer Aussicht auf Meteoritenschauer«, erwidert Gwendy, und alle lachen. Sie schaltet das Tablet aus, und auf dem Monitor geht die Gesundheitsdatenanalyse weiter.
»Falls Sie den Fensterplatz möchten, Senatorin – noch ist genug Zeit zum Tauschen«, sagt Jafari Bankole.
Auf der dritten Ebene gibt es zwei Sitzplätze mit Bullaugen – wiederum in Hinblick auf zukünftiges Tourismusgeschehen. Natürlich belegt Gareth Winston einen davon. Gwendy schüttelt den Kopf. »Als Mannschaftsastronom sollten lieber Sie einen Beobachtungsposten halten. Und wie oft habe ich Ihnen schon gesagt, dass Sie mich Gwendy nennen sollen?«
Bankole lächelt. »Oft. Es fällt mir halt nicht besonders leicht.«
»Verstanden. Ich weiß das sogar zu schätzen. Aber würden Sie sich bitte nach Kräften bemühen, solange wir zusammengequetscht in der teuersten Sardinenbüchse der Welt stecken?«
»Alles klar. Sie sind Gwendy, zumindest bis wir an der Many-Flags-Station andocken.«
Sie warten. Die Minuten schwinden dahin (so wie leider mein Geist dahinschwindet, muss Gwendy denken). Um T minus 40 teilt ihnen Becky mit, dass der Versorgungsturm auf seinen riesigen Schienen zurückweicht. Um T minus 35 verkündet Becky: »Auftanken begonnen. Alle Systeme stabil.«
Vor langer Zeit – eigentlich ist es erst zehn oder zwölf Jahre her, aber im 21. Jahrhundert geht nun einmal alles so rasend schnell voran – wurde der Brennstoff getankt, bevor die menschliche Fracht an Bord ging, aber SpaceX hat das und viele andere Dinge geändert. Es gibt keine manuelle Flugsteuerung im früheren Sinne mehr, nur die omnipräsenten Touchscreens, und eigentlich schmeißt Becky den gesamten Laden. (Gwendy hofft nur, dass es sich bei der Beckerin nicht um eine weibliche Version von HAL-9000 handelt.) Lundgren und Drinkwater sind im Grunde genommen nur für das da, was Kathy als den gefürchteten Ach-du-heilige-Scheiße-Moment bezeichnet. Tatsächlich kommt Dave Graves eine wichtigere Rolle zu; falls Becky einen Nervenzusammenbruch erleidet, kann er die Sache richten. Wahrscheinlich. Hoffentlich.
»Helme«, sagt Sam Drinkwater und setzt sich seinen auf. »Gebt mir euer Roger.«
Einer nach dem anderen bestätigen sie das alle. Für einen Augenblick kann Gwendy sich nicht erinnern, wo die Verschlüsse sind, aber dann dämmert es ihr, und sie lässt alles einrasten.
»T minus 27«, lautet Beckys Durchsage. »Systeme stabil.«
Gwendy schielt zu Winston hinüber und empfindet eine grimmige Freude beim Anblick, dass ein Teil seiner schwerstreichen Typen nicht selten eigenen Jovialität offenbar flöten gegangen ist. Er schaut aus dem Bullauge in den blauen Himmel und auf eine Ecke des Mission-Control-Gebäudes. Gwendy kann auf seiner fleischigen Wange einen roten Fleck erkennen, doch sonst wirkt er sehr bleich. Vielleicht geht ihm gerade durch den Kopf, dass all das am Ende doch keine so gute Idee war.
Als hätte er ihre Gedanken gelesen, wendet er sich ihr zu und streckt die Daumen nach oben. Gwendy erwidert die Geste.
»Haben Sie Ihre Spezialkiste gut verstaut?«, fragt Winston.
Gwendy hat den kleinen Koffer hinter die Beine geschoben, wo er nicht davonsegeln kann, solange sie es selbst nicht tut. Aber sie ist ja mit einem Fünfpunktgurt sicher festgeschnallt, wie ein Kampfjetpilot.
»Startklar.« Und dann fügt sie hinzu, wenngleich sie nicht mehr genau weiß, ob der Satz an dieser Stelle Sinn ergibt (falls er überhaupt Sinn ergibt): »Klar und deutlich.«
Winston grunzt und schaut wieder durchs Fenster.
Links neben ihr hat Adesh die Augen geschlossen. Seine Lippen bewegen sich leicht, mit ziemlicher Sicherheit im Gebet. Gwendy würde es ihm gern gleichtun, hat aber schon lange kein festes Gottvertrauen mehr. Dennoch ist da definitiv etwas. Davon ist sie überzeugt, weil sie unmöglich glauben kann, irgendeine irdische Macht habe den seltsamen Apparat erschaffen, der gegenwärtig in einem Stahlkoffer steckt, der nur mit einem siebenstelligen Code geöffnet werden kann. Auf die Frage, warum das Ding ausgerechnet in ihren Händen gelandet ist, kennt sie zumindest einen Teil der Antwort. Warum man ihr diese Last während der frühen Phasen einer Alzheimer-Demenzerkrankung aufbürdet, ist weniger begreiflich. Außerdem ist es furchtbar unfair, geradezu absurd, doch seit wann hat ein Menschenleben schon viel mit Fairnessfragen zu tun? Als Hiob nach Gott schrie und ihn anklagte, fiel die Reaktion des Allmächtigen reichlich kühl aus: Wo warst du, als ich die Erde gründete?
Was soll’s, denkt Gwendy. Aller guten Dinge sind drei, das letzte Mal zahlt sich aus. Ich werde tun, was ich tun muss, und so lange bei Verstand bleiben wie nötig. Das habe ich Farris versprochen, und ich halte meine Versprechen stets.
Wenigstens ist ihr das bislang immer gelungen.
Wenn es die unschuldigen Menschen um mich herum nicht gäbe, denkt sie, überwiegend gute Menschen, mutige Menschen, hingebungsvolle und leidenschaftliche Menschen (vielleicht mit Ausnahme von Gareth Winston), dann wünschte ich fast, wir würden auf der Startrampe oder in fünfzig Kilometer Höhe explodieren. Das würde sämtliche Probleme erledi…
Abgesehen davon, dass das nicht stimmte; wieder etwas, was ihrem zunehmend unzuverlässigen Hirn entfallen war. Laut Richard Farris, dem Urheber all ihres Elends, würde es keinesfalls sämtliche Probleme lösen, genauso wenig, wie sämtliche Probleme erledigt wären, wenn man den gottverdammten Wunschkasten mit Steinen beschweren und im Marianengraben versenken würde.
Nur der Weltraum kam infrage. Nicht nur unendliche Weiten jenseits der bekannten Grenzen, sondern auch ultimative Ödnis.
Gib mir Kraft, betet Gwendy zu jenem Gott, dessen Existenz sie in hohem Maße bezweifelt. Wie als Antwort teilt Becky – die Göttin der Eagle Heavy – ihnen mit, dass sie inzwischen bei T minus 10 Minuten stehen und alle Systeme im grünen Bereich sind.
»Visiere schließen«, sagt Sam Drinkwater. »Bitte bestätigen.«
Alle klappen ihr Visier zu und geben ihr Roger. Zunächst liegt für Gwendy alles im Dunkeln, bis ihr einfällt, dass sie den Polarisationsfilter mit heruntergezogen hat. Sie schiebt ihn mit dem Handschuhballen nach oben.
»Sauerstoffzufuhr einleiten, bestätigen.«
Das Ventil befindet sich irgendwo auf ihrem Helm, aber sie weiß nicht mehr, wo. Himmel, wenn sie doch nur an ihr Notizbuch rankönnte! Sie schaut rechtzeitig zu Adesh, wie er einen Knopf an der linken Helmseite dreht, unmittelbar über dem hohen Kragen des Druckanzugs. Gwendy macht es ihm nach und hört das leise Zischen von Luft, die in den Helm strömt.
Denk daran, sie abzuschalten, sobald wir die Umlaufbahn erreichen, ermahnt sie sich. Ab da wird Kabinenluft geatmet.
Adesh wirft ihr einen fragenden Blick zu. Gwendy formt mit Daumen und Zeigefinger ein schiefes O. Er schenkt ihr zwar ein Lächeln, aber Gwendy befürchtet, dass er ihr Zögern und Zaudern bemerkt hat. Wieder kommt ihr das NG ihrer Mutter in den Sinn: nicht gut.
Die Zeit während der Ausbildung ist langsam vergangen. Die Zeit während der Quarantäne ist langsam vergangen. Der Marsch hinaus, die Fahrt mit dem Aufzug, die Startvorbereitungen, alles ist langsam gelaufen. Doch als jene letzten Erdminuten anbrechen, beschleunigt die Zeit.
In ihrem Helm hört Gwendy – zu laut, und sie kann sich nicht erinnern, wie man leiser stellt –, wie Eileen Braddock von der Mission Control »T minus fünf Minuten, letzter Countdown läuft« sagt.
Kathy Lundgren: »Verstanden, Mission Control, letzter Countdown.«
Benutz dein Tablet, denkt Gwendy. Damit kannst du alle Funktionen deines Anzugs regeln.
Sie tippt auf das Anzugsymbol, findet den Lautstärkeregler und zieht das Plärren mit dem Finger leiser. Da siehst du, woran du dich noch alles erinnern kannst, denkt sie. Er wäre stolz auf dich.
Wer wäre stolz?
Mein hübscher Ehemann. Sie muss nach seinem Namen angeln, was sich fürchterlich anfühlt.
Ryan natürlich. Ihr hübscher Ehemann heißt Ryan Brown.
Sam Drinkwater: »Eagle auf Autopilot. Sämtliche Triebwerke laufen.«
Auf ihrem Tablet und auf dem Monitor über ihr weicht T minus 3:00 2:59, dann 2:58, dann 2:57.
Eine behandschuhte Hand greift nach Gwendys, was sie zusammenfahren lässt. Sie dreht den Kopf und erblickt Jafari. Seine Augen fragen sie, ob es okay ist oder sie es lieber hätte, wenn er losließe. Sie nickt, lächelt und verstärkt ihren Griff. Seine Lippen formen die Worte Alles wird gut. Winston hat seinen für teures Geld erworbenen Fensterplatz, aber der nützt ihm zumindest im Augenblick gar nichts. Er starrt stur geradeaus, hat die Lippen so fest zusammengepresst, dass sie so gut wie verschwunden sind, und Gwendy weiß, was ihm durch den Kopf geht: Warum dachte ich, das hier wäre eine gute Idee? Ich muss verrückt gewesen sein.
Kathy: »Bereit zum Start?«
Sam: »Bestätigt, bereit zum Start. Noch elf Minuten von Sternen am helllichten Tag entfernt, Leute.«
Dem Anschein nach nur wenige Sekunden später meldet sich Eileen Braddock von der Mission Control: »Mannschaft in Ordnung? Bestätigen Sie.«
Der Reihe nach geben sie ihr Roger durch. Das von Gareth Winston, der als Letzter drankommt, ist ein trockenes Krächzen.
Kathy Lundgren, die so kühl wie die andere Kissenseite klingt: »Flugabbruchsystem bereit. T minus eine Minute. Haben wir Startfreigabe?«
Sam Drinkwater und Eileen Braddock antworten im Chor: »Start freigegeben.«
Mit ihrer freien Hand tastet Gwendy nach dem kleinen Koffer. Er ist dort, wo er hingehört, sicher wie in Abrahams Schoß. Nur der Kasten darin ist ganz und gar nicht sicher. Der Kasten im Koffer ist das gefährlichste Ding auf Erden. Weshalb dieses Ding die Erde verlassen muss.
Eileen Braddock: »First Ops Commander Lundgren, der Vogel gehört Ihnen.«
»Verstanden, der Vogel gehört mir.«
Auf dem Bildschirm über Gwendys Kopf beginnen die letzten zehn Sekunden mit dem Runterzählen.
Sie denkt: Wie lautet mein Name?
Gwendy. Mein Vater wollte eine Gwendolyn und meine Mutter eine Wendy, wie in Peter Pan. Sie haben einen Kompromiss geschlossen. Daher bin ich Gwendy Peterson.
Gwendy denkt: Wo bin ich?
Playalinda, Florida, Raketenabschussanlage der Tet Corporation. Wenigstens noch für ein paar Sekunden.
Warum bin ich hier?
Bevor sie sich die Frage beantworten kann, setzt 150 Meter unter ihrem ergonomischen Liegesitz ein gewaltiges Rumpeln und Grollen ein. Die Mannschaftskabine der Eagle fängt zu vibrieren an – erst sanft, dann immer stärker. Gwendy schießt eine bruchstückhafte Erinnerung durch den Kopf, wie sie mit fünf oder sechs Jahren beim abschließenden Schleudergang oben auf der Waschmaschine gesessen hat.
»Bereit zum Abheben«, sagt Sam Drinkwater.
Eine oder zwei Sekunden später sagt Kathy: »Start!«
Das Dröhnen ist lauter, die Vibration stärker. Gwendy fragt sich, ob das normal oder ob etwas schiefgelaufen ist. Auf dem mittleren Monitor über ihr sieht sie jetzt das Mission-Control-Gebäude und den Rest der Anlage durch eine rot-orange Feuerblüte. Wie weit unten befindet sie sich? Fünfzehn Meter? Dreißig? Ein Beben erschüttert das Raumschiff. Jafaris Hand schließt sich fester um ihre.
Hier stimmt was nicht. Das kann nicht richtig sein.
Gwendy schließt die Augen und fragt sich erneut, warum sie hier ist.
Die kurze Antwort lautet, dass ein Mann – so es denn ein Mensch ist – ihr gesagt hat, sie müsse es tun. In diesem Moment, wo sie darauf wartet, dass ihr Leben und das aller anderen in einer gewaltigen Explosion von tiefkaltem Flüssigsauerstoff und raketentriebtauglichem Kerosin ein Ende findet, hat sie den Namen des Mannes vergessen. Im Zentrum ihres Gehirns hat sich ein Spalt aufgetan, und alles, was sie jemals gewusst hat, beginnt sich in der Finsternis darunter zu verlieren. Sie kann sich nur noch daran erinnern, dass er einen Hut trug. Klein und rund.
Schwarz.
Es ist das dritte Mal, dass der Wunschkasten in Gwendy Petersons Leben getreten ist. Beim ersten Mal steckte er in einem Segelbeutel, der oben mit einer Kordel zugebunden war. Das zweite Mal entdeckte sie ihn in der untersten Schublade eines Aktenschranks in ihrem Büro in Washington, D.C.
Das war während ihrer ersten Amtszeit als Abgeordnete des 1. Kongresswahlbezirks von Maine. Das dritte Mal war 2019, als sie für den Senat kandidierte, ein Wahlkampf, dessen Chancen auf Erfolg in den Augen von Insidern im Ausschuss der Demokraten ungefähr so hoch standen wie beim Angriff der leichten Brigade. Jedes Mal brachte ihn ein Mann, der immer Jeans, ein weißes Hemd, eine schwarze Anzugjacke und eine kecke, kleine Melone trug. Sein Name ist Richard Farris. Bei der ersten Gelegenheit hatte sich der Wunschkasten den Großteil ihrer Jugend über in ihrem Besitz befunden. Bei der zweiten war ihr Verwahrungsamt deutlich kürzer ausgefallen, aber ihrer festen Überzeugung nach hatte der Kasten ihrer Mutter das Leben gerettet (Alicia Peterson starb 2015, etliche Jahre nachdem eigentlich der Krebs sie hätte umbringen müssen).
Das dritte Mal war … anders gewesen. Farris war anders.
2012 schied Gwendy aus dem Amt im Repräsentantenhaus, obwohl sie wahrscheinlich auch mit Mitte achtzig, vielleicht sogar Anfang neunzig noch gewählt worden wäre, wenn sie sich nicht dagegen entschieden hätte. »Sie sind wie Strom Thurmond«, hatte Pete Riley, Parteiführer der Demokraten in Maine, ihr einst gesagt. »Sie wären auch nach Ihrem Tod immer und immer wieder gewählt worden.«
»Vergleichen Sie mich bitte nicht mit diesem Kerl«, hatte Gwendy geantwortet.
»Na schön, wie wär’s mit John Lewis? Wen auch immer man zum Vergleich heranzieht – Margaret Chase Smith von gegenüber in Skowhegan hat dreißig Jahre in D.C. verbracht, zum Teufel. Der entscheidende Punkt ist derselbe: Sie sind die sprichwörtliche Selbstläuferin. Und wir brauchen Sie.«
Was Gwendy hingegen brauchte, war das Schreiben von Büchern. Erzählliteratur war ihre erste große Liebe. Sie hatte lediglich fünf Romane veröffentlicht, und das Rad der Zeit drehte sich schnell. Der Rückzug aus dem Staatsdienst eröffnete ihr diesen Aspekt ihres Lebens und machte sie auf eine Art glücklich, wie ihre Tätigkeit unter der Kuppel des Kapitols es nie vermocht hatte. 2013 veröffentlichte sie Heckenrose und danach, 2015, einen Serienmörderroman mit dem Titel Straße der Einsamkeit. Letzterer, dessen Protagonist ein charmanter Irrer war, der die Zähne seiner Opfer sammelte, spielte in D.C., basierte jedoch auf gewissen Ereignissen in ihrer Heimatstadt.
Sie dachte gerade über ein neues Buchprojekt nach, eine Erzählung voller Liebesabenteuer und Familiengeheimnisse, als Donald Trump zum Präsidenten gewählt wurde. Viele in Maines erstem Distrikt jubelten im sicheren Gefühl, der Washington-Sumpf werde endlich trockengelegt, der Haushalt ausgeglichen und ein Schutzwall gegen die Flut »schädlicher« illegaler Einwanderer aus Südamerika errichtet. Für eingefleischte Demokraten – jene Sorte von Menschen, die Fox News wie die Pest mieden – war es der Beginn eines vierjährigen Albtraums. Gwendys Vater, das vielleicht unpolitischste Mitglied der Demokratischen Partei im gesamten Staate Maine, schaute Gwendy am Tag nach der Wahl mit ernstem Blick an und sagte: »Das wird alles verändern, Gwennie. Und wahrscheinlich nicht zum Guten.«
Sie steckte tief im Roman, der diesmal in Maine zur Zeit des Massakers an der Bradley-Bande in Derry spielte, als Pete Riley wieder einmal auf sie zutrat. Der arme Mann sah aus, als hätte er zwischen dem Wahlabend 2016 und jenem frühwinterlichen Tag gute zwei Jahre später zehn Kilo abgenommen. Er fasste sich kurz. Er wolle, dass Gwendy 2020 gegen Paul Magowan für den Senat kandidiere, wobei er das Datum als »das Jahr der perfekten Aussicht« bezeichnete. Er meinte, dass nur Gwendy eine Chance habe, den republikanischen Geschäftsmann zu schlagen, der seinen Wahlkampf als reine Formalität auf dem Weg zu einer ausgemachten Sache betrachte.
»Sie könnten ihm zumindest in den Lauf grätschen und außerdem all den Leuten ein bisschen Hoffnung geben, die an TD leiden.«
»Und das heißt?«
»Trump-Depression. Kommen Sie schon, Gwendy, denken Sie darüber nach. Wägen Sie das Für und Wider in fairer Weise ab.«
In fairer Weise war eine ihrer Standardphrasen und fand während ihrer politischen Karriere bei jeder Ratsversammlung mindestens einmal Verwendung. Falls Pete erwartete, damit ihr Schloss knacken zu können, musste sie ihn leider enttäuschen. »Sie machen Witze. Es muss ein Witz sein. Abgesehen von der Tatsache, dass ich ein neues Buch schreibe …«
»Das garantiert so gut wie die anderen oder noch besser wird«, sagte Pete und präsentierte sein höchst gewinnendes Clark-Gable-Lächeln.
»Sparen Sie es sich, mir Zucker in den Arsch zu blasen«, sagte Gwendy (die an jenem Tag eine alte Levis-Jeans trug). »Das haben schon weitaus Bessere als Sie versucht – ohne Erfolg. Was ich sagen wollte, war, dass ich nicht nur an einem neuen Roman voller heißer Sexszenen arbeite, die mir größte Freude bereiten, sondern dieser Vollidiot Magowan 2014 mit fünfzehn Punkten Vorsprung gewonnen hat. Und nachdem er zwei Jahre lang seine Lippen am Hintern von Donald Trump festgetackert hat, liegt seine Beliebtheit in Umfragen bei achtzig Prozent.«
»Bockmist«, sagte Pete. »Nichts als republikanische Propaganda. Und das wissen Sie auch.«
»Ich weiß gar nichts, aber nehmen wir an, dass es stimmt. Ich war während meiner Zeit im Weißen Haus ziemlich beliebt. Das gebe ich gerne zu, aber die Menschen vergessen schnell. Magowan ist der Mann der Stunde, und ich bin die Frau von gestern. In der Politik herrschen Gezeitenwechsel und Trendwenden, und im Augenblick schwingt das Pendel heftig in Richtung streng konservativ. Das wissen Sie genauso gut wie ich. Wahrscheinlich würde ich nicht mit fünfzehn Punkten Rückstand verlieren, aber verlieren würde ich.«