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Judentum, Christentum und Islam werden bei uns unter dem Begriff der „monotheistischen Religionen“ zusammengeführt. Das erweckt den Eindruck, dass der eine Gott, auf den sich alle drei beziehen, auch derselbe Gott sei. Doch macht der Verfasser deutlich, dass sich die Gottesvorstellungen der drei monotheistischen Religionen erheblich voneinander unterscheiden. Auch zeigt er, wie die monotheistische Gottesvorstellung erst in der jüngsten Phase der Religionsgeschichte entstanden ist und nur eine späte Endform im vorneuzeitlichen Weltverständnis darstellt. Er dokumentiert die Gemeinsamkeiten, aber auch die gravierenden Unterschiede, die zwischen dem Gottesverständnis der hebräischen Bibel, Jesu und des Korans bestehen. Die informative Schrift liefert die notwendige realistische Grundlage für den anstehenden interreligiösen Dialog, der nicht von Wunschbildern, sondern von Fakten ausgeht, und auch nicht das offizielle Konsenspathos zelebriert, sondern Klärung und Verständigung für ein friedliches Miteinander sucht.
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Seitenzahl: 77
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Zur Einführung
Gott – ein „Spätling“ in der Religionsgeschichte
1.1 Die biologischen Vorausssetzungen für Religion und Gott
1.2 Der Mensch muss die Welt deuten
1.3 Die Vielfalt der Verursacher
Der Gott der hebräischen Bibel
2.1 Vom Jahwe des Sinai zum Staatsgott von Israel (14.–9. Jahrhundert v.Chr.)
2.2 Das Gottesverständnis der Propheten des 8. Jahrhunderts v.Chr.
2.3 Die Weiterentwicklung des Gottesverständnisses im babylonischen Exil
2.4 Das Gottesverständnis des Judentums seit dem Exil
Der Gott Jesu
3.1 Die Ausgangslage
3.2 Der Schwerpunkt von Jesu Gottesverständnis
3.3 Die Umbildung des jesuanischen Gottesverständnisses in der hellenistischen Welt
Der Gott des Korans
4.1 Das System des Islams
4.2 Der Gott des Islams
4.3 Kritischer Rückblick
Auswertung
5.1 Was kann verglichen werden
5.2 Das gemeinsame Paradigma – Gott, der Schöpfer und Herr
5.3 Gott, der endzeitliche Richter
5.4 Wesenszüge Gottes
5.4.1 In der hebräischen Bibel
5.4.2 Im Koran
5.4.3 Bei Jesus
5.5 Zusammenfassung
Schritt in die Gegenwart
Eine Erinnerung
Ein Nachtrag
Zitierte Literatur
Weitere Veröffentlichungen des Verfassers
In Gesprächen, die im Dissens enden, bildet die Redensart „Wir haben doch alle denselben Gott“ die rettende Formel, in der alle Unterschiede „irgendwie“ eingebunden bleiben. Die Formel drückt zugleich aus, dass Kontroversen nicht weiter ausgetragen werden sollen. Die offiziellen Repräsentanten des Judentums, des Christentums und des Islams beteuern seit Jahrzehnten gleichlautend, dass die abrahamitischen Religionen denselben Gott haben und verehren. Sie signalisieren damit, dass sie zwar das interreligiöse Gespräch suchen, freilich unterhalb der für sie einstimmig beantworteten Gottesfrage.
Es ist aber eines, auf der diplomatischen Ebene und um des Religionsfriedens willen einen gemeinsamen Gott zu deklarieren; es ist ein anderes, zu klären, ob diese behauptete Voraussetzung tatsächlich gegeben ist. Letzteres soll hier versucht werden. In einer multireligiösen Gesellschaft steht die Gottesfrage schon lange zur Diskussion an. Angesichts der wachsenden Zahl von Muslimen in Europa und des islamischen Terrors in aller Welt hat die Frage nach dem einen Gott, auf den sich vor allem die abrahamitischen Religionen berufen, eine besondere Dringlichkeit erhalten.
Wenig Chancen hat der Versuch, zu vergleichen, wie heutige Juden, Christen und Moslems ihren Gott verstehen. Alle drei Religionen begegnen uns in so vielen und so unterschiedlichen Ausformungen, dass pauschale Vergleiche scheitern müssen. Alle drei Religionen beziehen sich hingegen auf schriftliche Urzeugnisse, an denen sich ihre Anhänger auch heute messen lassen müssen. Das sind im Judentum die Texte der Tora, der Propheten und der Schriften, deren Umfang und Form seit dem 1. Jahrhundert als verbindlich gelten. Im Christentum ist dieses Urzeugnis die Botschaft Jesu wie sie aus den neutestamentlichen Texten zu ermitteln ist, (nicht jedoch die unterschiedlichen Interpretationen der Botschaft Jesu und deren Fortbildungen in den unterschiedlichen Konfessionen). Das Urzeugnis des Islams ist der Koran, dessen Text nach islamischem Selbstverständnis der Engel Gabriel an den Propheten Mohammed zwischen 610–632 als Gottes authentisches und letztgültiges Wort Allahs übermittelt hat. Er gilt im islamischen Denken als verbindlich in der hocharabischen Fassung, die von einer Redaktionskommission des 3. Kalifen Uthman um 650 festgelegt wurde.
Für ein interreligiöses Gespräch, das über den Austausch von persönlichen Meinungen hinausgehen soll, müssen die Gottesprofile der hebräischen Bibel, Jesu und des Korans als Bezugspunkte offenliegen. Nur so lässt sich auch die Position der Gesprächspartner erkennen und einschätzen. Der Verfasser referiert nicht ein kirchliches Gottesverständnis, sondern skizziert, wie nach gegenwärtigem Wissensstand Gott in der Botschaft Jesu zum Ausdruck kommt. Damit öffnet er das Gespräch auch zu jenen Zeitgenossen hin, die für die Botschaft Jesu offen sind, aber die theistischen Voraussetzungen ihrer traditionellen Vermittlung nicht mitvollziehen können.
Religion hat nur der Mensch. Bei keinem Tier konnten jemals religiöse Äußerungen beobachtet werden. Wenn das so ist, dann müssen wir nach jenen Besonderheiten des Menschseins fragen, die Religion möglich oder gar notwendig machen.
Nach heutigem Wissensstand hat sich vor etwa 7 Millionen Jahren in Afrika vom Urschimpansen eine Entwicklungslinie abgespalten, aus der vor etwa 2,5 Millionen Jahren der erste echte Mensch (homo erectus) hervorgegangen ist. Daraus entstand in Ostafrika vor etwa 200.000 Jahren die Gattung „homo sapiens“, der moderne Mensch, der vor etwa 45.000 Jahren auch nach Europa gelangte und heute den gesamten Erdball besiedelt.
Die Tiere sind durch ihre Instinkte von Geburt an auf ihre Umwelt perfekt abgestimmt, damit aber zugleich in ihrem Verhalten festgelegt. Diese Instinktausstattung fehlt dem Menschen. Die Fähigkeit, in seiner Welt zu überleben, die das Tier schon bei seiner Geburt besitzt, muss sich der Mensch in vielen Jahren von Kindheit und Jugend erst lernend erwerben. Dafür ist er biologisch mit einem Hirnvolumen ausgestattet, das dreieinhalbmal so groß wie beim Schimpansen ist, und mit der Fähigkeit zur Lautsprache, mit deren Hilfe er sich seine Welt erschließen und die Vorstellungen über das Geschehen in der Welt austauschen kann. Die Sprache ermöglicht es ihm, sich als einziges Lebewesen seiner selbst bewusst zu werden und sich zu den ihm begegnenden Dingen und Ereignissen ins Verhältnis zu setzen.
Den Aufbau des menschlichen Gehirns, der Sprache erst möglich macht, hat der Hirnforscher Paul D. Mc Lean (Gassen 26-39) in einem vereinfachten Modell als einen Verbund von drei Hirnteilen veranschaulicht. Den entwicklungsgeschichtlich ältesten Hirnteil nennt er „Reptiliengehirn“. Es umfasst das Stammhirn und Teile des Zwischenhirns und reguliert alle unbewusst ablaufenden lebensnotwendigen Vorgänge der vegetativen Systeme wie Atmung, Blutkreislauf, Biorhythmen, immunbiologische Reaktionen, Haushalt von Wärme, Flüssigkeit und Nahrung, Reflexe, Instinkte, Triebe und alle Erregungszustände. Das „limbische System“ umschließt das Reptiliengehirn. Im limbischen System erleben wir Emotionen als Stimmungen und als Körpergefühle. Es sorgt dafür, dass unser Ausdrucksverhalten unseren Emotionen entspricht und organisiert unser Gedächtnis. Die jüngste Hirnebene ist die „Großhirnrinde“, die das limbische System und das Reptilienhirn umschließt. Das Großhirn steuert alle willkürlichen Bewegungen, nimmt Sinnesreize bewusst wahr und verarbeitet sie. Es ist für die komplexen kognitiven Leistungen wie Sprechen und Denken zuständig. Die Hirnteile sind auf vielfache Weise miteinander vernetzt und ermöglichen es, dass der Mensch sich seiner selbst und seines Verhältnisses zur Umwelt bewusst werden kann. Wir wissen nicht, seit wann der Mensch alle anatomischen entsprechenden Voraussetzungen für die Sprache hatte (die Hirnareale und ihre Verbindungen, den gesenkten Kehlkopf und den nötigen Rachenraum für die Lautbildung und die Nervenverbindungen zur Atemmuskulatur). Da sich die genetische Ausstattung des homo sapiens bis heute nur unwesentlich verändert hat, kann man davon ausgehen, dass die Religionsgeschichte der Menschheit mit dem homo sapiens vor 200.000 Jahren begonnen hat.
Da beim Menschen – im Unterschied zum Tier – das Verhältnis zur Welt nicht mehr durch Instinkte geregelt wird, muss er sich durch Erfahrungslernen von Geburt an aktiv darum bemühen, die Vorgänge in seiner Umwelt zu verstehen und sich so darauf einzustellen, dass er und seine Gemeinschaft darin überleben können. Die Art und Weise, wie das Geschehen in der Welt gedeutet wird, bildet sich schon in den ersten Begegnungen des Neugeborenen mit der Welt, nämlich im Zusammenspiel mit der Mutter/Bezugsperson heraus. Der Säugling erfährt Welt in der Gestalt eines handelnden Wesens, das Hunger und Durst stillt, das Wärme und Geborgenheit gibt, das Wohlbefinden schafft und Störendes beseitigt. Diese Ereignisse werden als etwas erlebt, das von einem handelnden Subjekt bewirkt wird. Nach diesem Modell, wonach hinter jedem Vorgang ein handlungsfähiges Subjekt am Werke ist, das den Vorgang bewirkt, wird nun alles gedeutet, was geschieht. Diese Art des Weltverstehens, die in allen frühen Kulturen anzutreffen ist, bezeichnet man als das „subjektivische Paradigma“, weil man in oder hinter allem, was geschieht, zielgerichtet handelnde Subjekte (Verursacher) annimmt. Menschen hören den Donner und sehen den Blitz. Wer verursacht diese bedrohlichen Ereignisse? Sie erfahren Regen und Sturm, Hitze, Eis und Kälte. Wer führt das herbei? Hier müssen mächtige Wesen wirken, die all das in Gang setzen und Werden und Vergehen, Tag und Nacht, den Wechsel von Licht und Finsternis in Gang halten. Bedrohliche Ereignisse möchte der Mensch möglichst abwehren, wünschenswerte möchte er in seinem Sinne herbeiführen. Das ist in diesem Weltverständnis nur zu erreichen, indem man auf die Verursacher dieser Ereignisse einwirkt, und zwar durch kultische Handlungen wie Tänze, Beschwörungen, kollektive Bitten, Opfergaben aller Art u.a.
In den frühen Kulturen wurden für die Verursacher der Naturereignisse die unterschiedlichsten Vorstellungen entwickelt: unsichtbare Wesenheiten, Geister, Dämonen, fratzenhaft, tiergestaltig, monsterartig. In unserem Kulturkreis nahmen die verursachenden Mächte hinter allem Geschehen erstmalig in den Hochkulturen des Zweistromlandes seit etwa 5.000 v. Chr. in Göttern menschenartige Gestalt an. Der Gedanke, dass hinter allem, was ist und geschieht, nur ein einziger Verursacher, steht, nämlich ein einziger Gott, wurde erstmals um 500 v. Chr. von Israels Propheten formuliert. Trägt man die Menschheitsgeschichte, die vor 2,5 Millionen Jahren begann, auf ein Zehn-Meter-Band auf, so beginnt die Religionsgeschichte bei Meter 9. Die Götter erscheinen bei etwa 9.97 m und der eine und einzige Gott bei 9.99 m. Das ist das letzte Tausendstel der Menschheitsgeschichte und das letzte Hundertstel der Religionsgeschichte. Die Konzentration aller Verursachersubjekte in einem einzigen Allverursacher und Alleinverursacher ist die konsequenteste Deutungsmöglichkeit von Welt innerhalb eines personal gedachten subjektivischen Paradigmas/Weltverständnisses. Es sei hier lediglich angemerkt, dass etwa zeitgleich zum monotheistischen Weltverständnis der Juden in Griechenland ein nichtpersonales monistisches Weltverständnis entstanden ist.