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Der Gedanke, dass Jesus 'für uns' gestorben ist, ja, dass er für unser Heil sogar sterben 'musste', hat in unserer pluralistischen und säkularen Welt seine einstige Plausibilität verloren. Es steht uns jedoch jederzeit ein geradliniger Weg offen, der zur Klarheit darüber führt, wovon in den Symbolen von und um Jesu Tod die Rede ist: Es ist der Weg zu den Quellen. Dazu lädt der vorliegende Text ein, nicht nur verunsicherte Christen, sondern alle, die den Gehalt eines der zentralen christlichen Symbole ohne Vorurteile verstehen möchten. Helmut Fischer, erfahrener Lehrer und Kommunikator, wendet sich mit seinem knappen, theologisch fundierten und gut verständlichen Text an Pfarrer/innen, Religionslehrer/innen, Gruppenleiter/innen, die gut aufbereitetes Material suchen, Arbeits- und Gesprächskreise, die eine gemeinsame Informationsbasis brauchen, aber auch an Schüler/innen in oberen Klassen, die sich auf eine zuverlässige Übersicht stützen wollen.
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Seitenzahl: 78
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Helmut Fischer
Musste Jesus für uns sterben?
Deutungen des Todes Jesu
Theologischer Verlag Zürich
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.d-nb.de abrufbar.
Umschlaggestaltung Simone Ackermann, Zürich unter Verwendung von Paul Gauguin, »Portrait de l‘artiste au Christ jaune«, Öl auf Leinwand, 30 x 46 cm, 1889; Musée d’Orsay, Paris
Bibelzitate nach: Zürcher Bibel 2007
ISBN 978-3-290-17469-9 (Buch) ISBN 978-3-290-17682-2 (Epub)
|XX| Seitenzahlen des Epubs verweisen auf die gedruckte Ausgabe.
© 2012 Theologischer Verlag Zürichwww.tvz-verlag.ch
Alle Rechte vorbehalten
Hinführung
Was wissen wir historisch über den Tod Jesu?
Die politischen Verhältnisse als Verstehenshintergrund
Jesu Tod ist gut belegt
Die Rechtslage
Wie kam es zur Verurteilung?
Die Kreuzigung
Die Schuldfrage
Sagen uns die neutestamentlichen Texte nicht viel mehr?
Wie erging es den Jüngern nach Jesu Tod?
Die hoffnungslose Lage der Jünger
Ein nicht fassbares Ereignis
Ostern lässt den Karfreitag in neuem Licht erscheinen
Wie wird Jesu Tod von Ostern her gedeutet?
Prinzipien der Deutung
Jesu Tod – der Tod des Gottesknechts
Jesus, das Passalamm
Jesu Tod – ein Sühneopfer
Im Mitsterben mit Jesus liegt unser Heil
Jesu Tod – ein Lösegeld
Im Mittelalter wird eine Weiche gestellt1
Jesu Sterben als Offenbarung der göttlichen Liebe
Der historische Jesus und die ersten Jüngergenerationen
Welche Deutung soll gelten?
Orientierung an den Anfängen?
Ausformungen unterschiedlicher Glaubenskonzepte und Kirchentypen
Grundsätzliche Erwägungen
Für Jesu Sterben steht das Symbol des Kreuzes. Es ist seit urchristlicher Zeit und bis heute weltweit das zentrale Symbol des christlichen Glaubens. Das zeigt an, dass Jesu Tod am Kreuz in allen christlichen Konfessionen als das zentrale Heilsereignis verstanden und am Karfreitag gefeiert wird. Wir finden das Kreuzsymbol nicht nur in den meisten christlichen Gebäuden an hervorragender Stelle. Der Kreuzestod Jesu wird in vielfältigen liturgischen Texten zur Sprache gebracht und in den Kirchenliedern aller Epochen als das Ereignis unseres Heils und unserer Errettung dankbar besungen
In der kirchlichen Sprache begegnet uns in immer neuen Wendungen die Formel, Jesus sei für uns gestorben. Falls wir es nicht selber tun, so wird uns ein unbefangenes Kind oder ein unkirchlicher Zeitgenosse fragen: Warum eigentlich für uns? Die Antwort für unsere Sünden wird dem ernsthaft Fragenden keine Antwort sein, sondern allenfalls Anlass für weitere Fragen geben. Warum musste er überhaupt auf so gewaltsame Weise einen Verbrechertod sterben? Was hat sein Tod mit uns, gar mit uns heute, zu tun? Und erst recht mit unserer Sünde? Und was soll man von einem Gott halten, dem für das Heil der Menschen offenbar nichts anderes einfällt als ein Menschenopfer? Die Spötter und Religionsskeptiker haben es leicht zu begründen, dass sie mit einem Gott, der seinen Sohn hinschlachten lässt, nichts zu tun haben möchten.
Wer sich diesen Fragen aussetzt, der wird für sich keine schnellen Antworten finden und der wird auch von anderen keine schnellen Antworten erwarten. Viele Antworten, die wir suchen, sind als fertige Ergebnisse überhaupt nicht |8| zu haben. Sie erschließen sich dem Suchenden nur auf einem Erkenntnisweg, den er – auch mit einem zuverlässigen Wegführer – letztlich doch selber gehen muss.
Judäa mit der Hauptstadt Jerusalem war seit 63 v. Chr. ein von den Römern besetztes Land. Im Jahr 6 n. Chr. wurden hier auch die Reste einer jüdischen Eigenstaatlichkeit beseitigt. Judäa wurde eine römische Provinz, die von römischen Prokuratoren verwaltet wurde. Es gab keinen jüdischen König mehr. Der römische Prokurator residierte in Cäsarea und zog nur an hohen jüdischen Feiertagen nach Jerusalem hinauf, um im Falle von Unruhen im Zusammenhang mit den vielen Pilgern schnell zur Stelle zu sein. Normalerweise wurde Jerusalem nur von einem römischen Kommando in der Burg Antonia überwacht.
Das Judentum hatte im Römischen Reich bereits den Rechtsstatus einer erlaubten Religion und stand damit unter dem Rechtsschutz des römischen Staates. So konnte die Jerusalemer Kultgemeinde ihre Angelegenheiten ohne Eingriffe der Römer eigenständig ordnen, durfte allerdings keine Todesurteile fällen und vollstrecken. Der Hohe Rat (Synhedrium), der aus siebzig hochrangigen Priestern, Ältesten und Schriftgelehrten bestand, war die oberste religiöse und richterliche Behörde in Jerusalem. Der Hohe Priester war auch der politische Vertreter der Judäer gegenüber dem römischen Statthalter.
Römischer Prokurator in der Zeit von 26–36 war Pontius Pilatus. Er wurde von dem jüdischen Philosophen Philo von Alexandrien als bestechlich, gewalttätig und grausam charakterisiert, mit wenig Gespür für das religiöse Empfinden der Juden.
Vor diesem politischen Hintergrund fragt der faktengläubige Zeitgenosse als Erstes nach dem, was wir historisch gesichert über Jesu Tod wissen. Diese Frage führt sehr direkt und sehr schnell zu der Erkenntnis, dass Jesu Tod am Kreuz ein historisch unbestrittener Tatbestand ist und nicht eine religiöse Fiktion, wie immer wieder behauptet worden ist. Es hat ja bis in die Gegenwart nicht an Versuchen gefehlt, die ganze Person Jesu als eine Konstruktion von Theologen, als Wunschbild einer frommen Phantasie oder als einen zeitlosen Mythos darzustellen. Deshalb seien gleich zu Beginn die Zeugnisse von zwei der bedeutendsten Historiker ihrer Zeit in Erinnerung gerufen, einem Juden und einem Römer. Beide standen in kritischer und ablehnender Distanz zum Christentum, und sie schrieben Geschichte jeweils aus der Sicht ihres Volkes. Sie sind über jeden Verdacht erhaben, christliche Propaganda zu betreiben.
Der jüdische Historiker Josephus (37/38 – nach 100) berichtet in seiner 93 erschienenen Weltgeschichte des jüdischen Volkes in einer kurzen Notiz von Jesus, von den Anfängen der Jesusbewegung und den ersten christlichen Gemeinden. Er charakterisiert Jesus als einen weisen, tugendhaften Mann, der viele Jünger unter Juden und aus anderen Völkern hatte. Dieser Jesus sei dann von Pontius Pilatus, dem römischen Prokurator, zum Tod durch Kreuzigung verurteilt und hingerichtet worden.
Der römische Aristokrat und Geschichtsschreiber Tacitus (55/56 – etwa 120), der hohe römische Staatsämter bekleidete und auch Prokonsul in Asien war, berichtet in seinen Annalen von dem verabscheuungswürdigen Aberglauben der »Christiani« im Zusammenhang mit deren |11| Verfolgung durch Kaiser Nero, der die Christen für den Brand Roms im Jahre 64 verantwortlich machte. Tacitus schreibt: »Der Name ›Christiani‹ stammt von Christus, der unter Kaiser Tiberius vom Prokurator Pontius Pilatus hingerichtet worden war.« (Annales 15,44,3)
Beide nichtchristliche Autoren dokumentieren aus je ihrer Sicht, aber in der Sache übereinstimmend, dass Jesus das Haupt einer Jüngergemeinde war, und dass er durch den römischen Prokurator Pontius Pilatus in Jerusalem zum Tod durch Kreuzigung verurteilt und hingerichtet wurde. Für Juden und Römer war dieses Ereignis in jener Zeit kaum der Rede wert. Für die Jünger Jesu war es ein Ereignis von historischer Tragweite. In der späteren Geschichte der Kirche sollte Jesu Tod als ein tödliches Instrument zur Verfolgung der Juden missbraucht werden. Was also kann als historisch gesichertes Wissen über die Umstände des Todes Jesu gelten?
Die Rechtslage für die Zeit des Todes Jesu ist bekannt und eindeutig. Die Kapitalgerichtsbarkeit, also das Recht, ein Todesurteil auszusprechen und zu vollstrecken, lag zu jener Zeit in der Hand der Römer. Im Johannesevangelium (18,31) sagen die Juden historisch zutreffend: »Uns ist nicht erlaubt, jemanden hinzurichten.« So besteht kein Zweifel: Das Todesurteil über Jesus und Jesu Hinrichtung war rechtlich gesehen ausschließlich Sache der römischen Besatzungsmacht. Das Todesurteil konnte nur der oberste Gerichtsherr der Provinz Judäa, der Prokurator Pilatus, aussprechen, |12| und das Urteil konnte nur von römischen Vollzugsbeamten vollstreckt werden.
Die Kreuzigung war zur damaligen Zeit eine römische Vollzugsform der Todesstrafe. Sie galt, abgesehen von ihrer unvorstellbaren Grausamkeit, als die schimpflichste Strafe der Alten Welt, die von den Römern besonders für Sklaven und für nichtrömische Aufrührer und Verbrecher vorgesehen war. Die jüdische Form der Hinrichtung war die Steinigung oder die Enthauptung. So ist auch Jesu Tod durch Kreuzigung ein sicheres Indiz dafür, dass sein Prozess, sein Todesurteil und seine Hinrichtung rechtlich gesehen in der alleinigen Verantwortung der römischen Justizbehörden lagen.
Nicht so eindeutig wie die Rechtslage ist die Frage zu klären, wer den Anstoß zu dem Prozess und zur Verurteilung gegeben hat und aus welchen Gründen Jesus hingerichtet worden ist. Ein Konflikt mit der religiösen jüdischen Obrigkeit oder/und mit der staatlichen römischen Justiz zeichnete sich erst ab, als Jesus das mit jüdischen Passapilgern überfüllte Jerusalem betrat. Gewiss war ihm sein Ruf als Wunderheiler vorausgeeilt. Und seine Verkündigung vom nahen Ende und dem Anbruch der Königsherrschaft Gottes und einer neuen Zeit hat bei seinen Hörern vielfältige und unterschiedliche Erwartungen ausgelöst: religiöse, politische, soziale. Diese Erwartungen werden ihm beim Volk |13| viele Sympathien und zunächst auch viel Zustimmung eingebracht haben.