Handbuch Führerschein für Führungskräfte - Reinhold Haller - E-Book

Handbuch Führerschein für Führungskräfte E-Book

Reinhold Haller

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Beschreibung

Nahezu zehn Prozent aller Beschäftigten sind mit einer disziplinarischen oder lateralen Führungsaufgabe betraut. Doch so wesentlich diese Funktion für die Motivation der Beschäftigten und die Leistungsfähigkeit von Organisationen auch sein mag: Nur wenige Führungskräfte wurden für diese wichtige Aufgabe systematisch ausgebildet. Um dem abzuhelfen, unterstützt dieses Handbuch durch die Darstellung bewährter Methoden und Instrumente Führungskräfte bei der Ausübung ihres verantwortungsvollen Führungsjobs. Das hier dargebotene Wissen soll somit beitragen zu einem (virtuellen) "Führerschein für Führungskräfte". Unter dem Motto: "So viel Theorie wie nötig, so viel Praxis wie möglich" richtet sich dieses praxisorientierte Kompendium einerseits an all jene, die sich auf eine künftige Führungsaufgabe vorbereiten wollen. In gleichem Maße unterstützt es durch effiziente Hilfsmittel, Werkzeuge und Checklisten bereits praxiserprobte Führungskräfte.

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Reinhold Haller

Handbuch Führerschein für Führungskräfte

Wissen und Werkzeuge erlernen, auffrischen, optimieren

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

1. Auflage 2023

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-042986-4

E-Book-Formate:

pdf:        ISBN 978-3-17-042987-1

epub:     ISBN 978-3-17-042988-8

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Steuern, lenken, führen: Drei Begriffe – ein Ziel

Begrenzte Dynamik: Permanent ausgebremst

Die Antriebselemente: Ziel, Sinn und Motivation

Mit Kompass und Karte: Strategische Führung

Planen mit System: Die Konzeptgestaltung

Vor dem Start: Richtung und Ziel klären

Die Zielführung: Mit Strategie und Leitplanken

Die Standortbestimmung: Optionen erkunden

Navigation ohne GPS: Roadmap und Masterplan

Eine Frage des Stils: Hilfreiche Führungsmodelle

Der angepasste Führungsstil: Situative Führung

Der Weg zum Erfolg: Transformationale Führung

Der Überbau: Führungskultur als Rahmen

Das Optimum als Ziel: New Work

Gute Gesprächskultur: Lösungsorientierte Kommunikation

Ein echtes Kulturmerkmal: Verbindlichkeit

Der Unterbau: Die passende Führungsstruktur

Das zweckmäßige Design: Was passt für wen?

Tiefer gelegt: Das leidige Dogma flacher Hierarchien

Die Bodenhaftung bewahren: Operative Führung

In Kontakt bleiben: Mitarbeitendengespräche

Antriebsfaktor Wertschätzung: Leistungsfeedback

Die Richtung abstimmen: Zielvereinbarungen

Das richtige Tuning: Personalentwicklung

Der Blick in den Spiegel: Führungsfeedback

Dem Kontext angepasst: Spezielle Formen der Führung

Laterale Führung: Leitung ohne Weisungsrecht

Beweglich und flexibel: Agile Führung

Führen aus räumlicher Distanz: Remote Leadership

Führung von unten: Die eigenen Vorgesetzten führen

Gemeinsam zum Ziel: Die Teamentwicklung fördern

In Bewegung bleiben: Das Team moderieren

Zusammenhalt sichern: Arbeit mit dem Team

Die richtige Passung macht’s: Personal auswählen

Die gute Vorbereitung: Wen genau suchen wir?

Bitte kein Speed-Dating: Das Auswahlinterview

Der Rahmen: Praktisches Vorgehen

Führung im Korrekturmodus: Changemanagement

Aufbruch ins Ungewisse: Psychologie des Wandels

Gemeinsam in die Zukunft: Partizipatives Vorgehen

Steuernd durch raues Gelände: Konflikte bewältigen

Der Schleuderkurs: Die richtigen Dinge tun

Pannenhilfe Konfliktlösung: Die Dinge richtig tun

Das Steuer übernehmen: Neu in der Führungsrolle

Die Wende: Gestern KollegIn – heute Führungskraft

Fahrerwechsel: Führung als Nachfolge

Die Balance halten: Erneuern und Bewahren

Der eigene Plan: Führen mit Konzept

Vertrauen gewinnen: Sicherheit schaffen

Zeit für Führung gewinnen: Effizientes Delegieren

Führungszeit gewinnen: Effekte und Nutzen

Irrtümer vermeiden: Smart delegieren

Kontrolle ist out: Dennoch gut informiert bleiben

Ausweichmanöver: Rückdelegation vermeiden

Chancen nutzen: Potenziale erkennen

Steuern im Hintergrund: Loslassen lernen!

Auf der Zielgeraden bleiben: Sich selbst führen

Die eigenen Ziele koordinieren: Was ist zu tun?

Hindernisse erkennen: Zeitdiebe und -fallen

Fit bleiben am Steuer: Nachhaltige Life-Balance

Spurhalte-Assistenz: Coaching für Führungskräfte

Hilfe zur Selbsthilfe: Persönliches Coaching

Unter Gleichen: Kollegiale Beratung

Anhang Bordwerkzeug: Arbeitsmittel – Tools – Checklisten

Literaturverzeichnis

Register

Informationen zum Autor

Einleitung

Warum lohnt es sich, den Erwerb eines Führerscheins für Führungskräfte anzustreben – zumal ein solcher Befähigungsnachweis ohnehin nur virtuell existiert?

Die Antwort auf diese Frage ist schlicht und einfach: Die wenigsten Führungskräfte haben für ihre wichtige Aufgabe eine gründliche oder systematische Ausbildung erhalten. Auf der anderen Seite sehen sich eben diese Führungskräfte sehr hohen Ansprüchen ausgesetzt. Immerhin verbringen die meisten Menschen – vorausgesetzt sie arbeiten auf einer Vollzeitstelle – während ihrer Berufstätigkeit etwa ein Drittel der Lebenszeit im beruflichen Umfeld. Unabhängig davon, auf welcher Hierarchie-Ebene wir tätig sind, ist diese Zeit mit entsprechend hohen Erwartungen verbunden. Arbeit bedeutet schließlich für viele Menschen mehr als reine Erwerbstätigkeit zur Sicherung des notwendigen Einkommens.

Die meisten Berufstätigen erhoffen sich deshalb neben einem auskömmlichen Gehalt interessante Herausforderungen durch sinnstiftende Tätigkeiten, die verbunden sind mit selbstverantworteten Freiräumen. Nahezu alle Beschäftigten wünschen sich einen freundlichen und respektvollen Umgang mit der Führungskraft sowie eine kollegiale Zusammenarbeit im Team. Oder sie erwarten hinlängliche Möglichkeiten der Entfaltung ihrer Talente und nicht zuletzt die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben, welche man heute trefflich »Life Balance« nennt.

Damit verbunden haben berufstätige Menschen spezielle und berechtigte Erwartungen an ihre Führungskräfte, denn diese sind die entscheidende Schnittstelle zwischen der übergeordneten Rolle des Arbeitgebers und den Beschäftigten an ihrem Arbeitsplatz. Diese Erwartungen sind durchaus vielfältig:

•  In allen Arbeitskontexten erwarten die Beschäftigten ein Arbeitsumfeld und Formen der Personalführung, die ihre Leistungsbereitschaft und Motivation erhalten und bestenfalls fördern.

•  So erwarten sie zu Recht, dass sie für ihre Leistungen eine angemessene Wertschätzung erfahren.

•  Überall fordern tätige Menschen hinreichende Informationen, aus welchen sie die Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit oder der Nutzen mitunter notwendiger Aufgaben und Entscheidungen ableiten können.

•  Darüber hinaus sind die meisten im Arbeitsleben stehende Menschen daran interessiert, Angebote der Weiterbildung und -entwicklung wahrnehmen zu können.

•  Ebenso wünschen sich die Mitarbeitenden, dass sie in relevante Entscheidungen einbezogen oder zumindest gehört werden, wenn wichtige Entscheidung anstehen, die ihren Arbeitsbereich betreffen.

•  Und vergleichbar wichtig ist nahezu allen Beschäftigten, dass sie durch Flexibilität, Autonomie und entsprechende Freiräume ihren Aufgabenbereich selbst mitgestalten können.

•  Und nicht zuletzt: Wo Menschen zusammenarbeiten, entstehen unvermeidlich mitunter auch Probleme und Konflikte im Umfeld von Führung und Zusammenarbeit. Die Beschäftigten erwarten deshalb, dass ihre Führungskräfte Probleme und Konflikte erkennen und aktiv zu einer Lösung beitragen.

Solche elementaren Ansprüche sind ebenso verbreitet wie nachvollziehbar, denn letztlich bilden genau diese Erwartungen die entscheidenden Voraussetzungen für eine nachhaltige Motivation und Zufriedenheit im Arbeitsleben. Wird diesen Erwartungen nicht genügt, nehmen Demotivation, Fehlzeiten und Fluktuation zu und gleichzeitig lassen Eigeninitiative, Leistungsbereitschaft und Effizienz deutlich nach. Diese schlichte Erkenntnis ist durch zahlreiche Studien belegt. Führungskräfte haben damit auf die Arbeitsfaktoren Zufriedenheit und Motivation einen durchaus erheblichen Einfluss.

Diesen Ansprüchen steht die Tatsache gegenüber, dass Führungskräfte für die Aufgabe Personalführung oftmals nicht systematisch aus- oder weitergebildet werden. Führungsqualifikation scheint sich vielmehr häufig vor allem aus der fachlichen Qualifikation der Vorgesetzten abzuleiten.

In der öffentlichen Verwaltung etwa ist die Übernahme von Führungsverantwortung für Fachkräfte mit dem zweiten juristischen Staatsexamen annähernd selbstverständlich. Gleiches gilt für ExpertInnen in der chemischen Industrie nach der Erlangung eines naturwissenschaftlichen Doktorgrades. Ähnlich verhält es sich bei diplomierten IngenieurInnen in der Produktion, diplomierten BetriebswirtInnen im kaufmännischen Bereich, bei ÄrztInnen im medizinischen Umfeld oder bei ProfessorInnen an den Hochschulen.

Eine solide Berufsausbildung oder ein Studium sind somit – gemessen an sozialen Kompetenzen oder organisatorischen Fähigkeiten – nicht nur vermeintlich notwendige, sondern oftmals hinreichende Voraussetzungen für die Übernahme einer Führungsaufgabe. Dies ist zwar eine durchaus irrationale Folgerung, gleichwohl aber eine recht verbreitete Praxis in der Arbeitswelt.

Allerorten werden auf Grundlage dieser bedenklichen Logik viele fachlich bewährte ExpertInnen kurzerhand zu Führungskräften befördert. Allein mit etwas Glück können sich manche dieser Auserwählten dann zumindest mit ein oder zwei Crash-Kursen auf ihre Führungsaufgabe vorbereiten. Organisationen, die angehenden Führungskräften eine systematische Weiterqualifikation in Sachen Führungskompetenz anbieten, gibt es durchaus. Aber es gibt noch immer viel zu viele Institutionen, die ihren Führungskräften weder eine planmäßige noch verbindliche Weiterbildung in Sachen Personalführung angedeihen lassen oder gar abverlangen. Allzu oft werden nicht einmal die frisch berufenen Neulinge auf ihre wichtige und verantwortungsvolle Führungsaufgabe angemessen vorbereitet.

Im Rahmen einer systematischen Personal- und Führungskräfte-Entwicklung sind einige Arbeitgeber in Wirtschaft, Industrie oder Verwaltung diesbezüglich. dennoch durchaus engagiert und manche sogar vorbildlich. Aber selbst dort ist man meist noch weit entfernt von einem »Führerschein für Führungskräfte«, wie ihn der vormalige Personalvorstand der Allianz Versicherung, Rainer H. Thierfelder, bereits in den 1980er Jahren gefordert und für seinen Konzern angekündigt hat.

Als ehemals betroffener Mitarbeiter, als langjährige Führungskraft, als mehrjähriges Mitglied im Betriebsrat eines größeren Unternehmens und ebenso als Berater, Trainer und Führungskräfte-Coach fand ich die Idee von einem »Führerschein für Führungskräfte« ausgesprochen überzeugend. Umso unverständlicher erlebe ich es, dass dieser Anspruch in zahlreichen Unternehmen und Institutionen noch immer nicht durchgängig und konsequent umgesetzt ist.

Im Gegenteil: Oftmals bewegen sich im Kontext der Fiktion von einem »Führerschein« ungezählte Führungskräfte ohne eine solide Schulung oder Grundausbildung durch den herausfordernden Verkehr des Arbeitslebens. Selbst wenn im übertragenen Sinn das zu durchfahrende Gelände sehr anspruchsvoll, die Bodenhaftung bedenklich, die Sicht schlecht ist und sich das Gefährt mit einer Vielzahl an Beschäftigten als wuchtiger und ungelenker 40-Tonner erweist, bleibt vielen auf dem Fahrersitz eine systematische Qualifizierung verwehrt.

Alle Führungskräfte haben sich im Studium, in ihrer Ausbildung oder durch entsprechende Weiterqualifizierungen über drei, vier oder mehr Jahre fachlich-methodisches Wissen und Fähigkeiten angeeignet. In dieser Zeit haben die meisten von ihnen dagegen allenfalls ein paar Tage das gelernt, was eine Führungskraft für ihre Aufgaben braucht.

Managementansätze, Grundlagen der (Selbst-)Organisation, Führungsinstrumente und -methoden, Mittel der Problem- und Konfliktlösung, Möglichkeiten der Motivationserhaltung oder etwa die Umsetzung von Veränderungen (Change-Management) lassen sich erfahrungsgemäß jedoch nicht ausschließlich durch Selbstlernprogramme aneignen. Ebenso ineffizient ist es, Methoden und Theorien der Menschen- und Personalführung vorwiegend durch das »Prinzip von Versuch und Irrtum« erlernen zu wollen. Und auch eine solide soziale Kompetenz oder ein basales Talent für Organisation und den Umgang mit Menschen reichen meist bei weitem nicht aus, um alle Herausforderungen im Alltag einer Führungskraft erfolgreich zu bestehen.

Insofern greife ich mit diesem Buch die oben genannte Forderung von Herrn Thierfelder noch einmal auf und biete den geneigten LeserInnen ein Handbuch mit den wichtigsten Essentials, die es für einen fiktiven »Führerschein für Führungskräfte« braucht.

Aufgrund der beschriebenen Hintergründe und Anlässe ist es das Ziel dieses Buches:

•  grundlegende Führungsmethoden und -instrumente für die verschiedenen Kontexte und Gelegenheiten aufzuzeigen, die relevant, effizient und nützlich sind,

•  Führungsthemen, -situationen und -kontexte darzustellen, die mehr oder weniger jeder Führungskraft begegnen,

•  mit vielen Praxisbeispielen bewährte Varianten und Optionen der Personalführung zu veranschaulichen,

•  die theoretischen Inhalte nach dem Motto zu behandeln: So kurz und informativ wie möglich und so ausführlich wie nötig,

•  den Fokus zu richten auf die praktische Anwendung und die Vermittlung einfacher, nützlicher Tools, Checklisten und Hilfsmittel.

Als Handbuch soll dieses Kompendium erfahrenden Führungskräften Gelegenheit bieten, ihr Wissen zu aktualisieren, aufzufrischen oder anzureichern. Vor allem aber soll es angehenden Führungskräften eine solide Grundlage dafür bieten, sich auf ihre verantwortungsvolle Aufgabe als Führungskraft gründlich, umfassend und praxisbezogen vorzubereiten.

Allen LeserInnen dieses Buches wünsche ich eine anregende Lektüre, zahlreiche Anstöße und Impulse und vor allem eine nachhaltig erfolgreiche Ausübung ihrer Rolle als Führungskraft.

Berlin, im Frühjahr 2023

Reinhold Haller

Steuern, lenken, führen: Drei Begriffe – ein Ziel

Wenn es um das Management von Organisationen und Unternehmen geht, verbinden wir dies sprachlich meist mit der althergebrachten Seefahrt, dem moderneren Straßenverkehr oder anderen Arten der Fortbewegung: Immer ist davon die Rede, Organisationen und die dort arbeitenden Menschen zu steuern, zu lenken oder zu führen. Aber was bedeuten diese Verben eigentlich, wenn sie sich speziell auf die Menschen- oder Personalführung beziehen?

Diese Frage ist allein deshalb relevant, weil eine Organisation oder ein Unternehmen mit den Menschen, die es unterhalten, gestalten und prägen, einen gänzlich anderen Kontext darstellt als den Umgang mit Schiffen, Automobilen oder Flugzeugen.

Laut Wikipedia, der »freien Enzyklopädie« bedeutet Führung (Auszüge aus Wikipedia, Stand 2/2023):

»In der humanen Ethik ist Führung der begründete Versuch, durch eine Führungskraft steuernd und richtungsweisend auf eigenes und fremdes Handeln mit geeigneten Führungstechniken einzuwirken, um deren Vorstellung von den Führungszielen zu verwirklichen. Führung ist eine Methode, ›geführte‹ Menschen für die gesetzten Ziele zu motivieren und auf den Weg der Erfüllung der Ziele mitzunehmen, für den gemeinsamen Erfolg.«

Weiter heißt es dort:

»Insbesondere bei der Menschenführung in Organisationen ist ein genaueres Verständnis der Führung von zentraler Bedeutung. Führung unterscheidet sich von einer Leitungsfunktion. Der Vorgesetzte (oder auch Leiter) hat Rechte und Pflichten allein durch seine Position im Gegensatz zu einer Führungsperson. Diese bedarf der Anerkennung und Akzeptanz durch die Geführten. Führung liegt nur vor, wenn der unternommene Einflussversuch durch die Führungskraft auf die zu Beeinflussenden von diesen akzeptiert wird und sich in ihrem Verhalten niederschlägt. Führung ist dabei nicht der Beeinflussungsversuch selbst, sondern muss als akzeptierter Beeinflussungsversuch im Verhalten der zu Beeinflussenden zum Ausdruck kommen.«

Mit dieser anspruchsvollen Definition deckt sich der Beitrag von Wikipedia mit einer Aussage aus dem brillanten Standardwerk von Jürgen Weibler, in welchem der Autor folgende Definition wählt (Weibler 2016, S. 22):

»Führung heißt, andere durch eigenes, sozial akzeptiertes Verhalten so zu beeinflussen, dass dies bei den Beeinflussten mittelbar oder unmittelbar ein intendiertes Verhalten bewirkt.«

Diese prägnante Definition wirft die Frage auf, was die Führungskraft, die sich nicht mit der Vorgesetzten-Rolle bescheiden will, tun muss, um die Anerkennung und damit die Akzeptanz der Mitarbeitenden zu erreichen.

Im Brainstorming nach Merkmalen guter und effizienter Führung befragt, geben Teilnehmende aus Führungsworkshops im Wesentlichen die gleichen Antworten. Die Summe dieser Merkmale, aus welchen sich die Erwartungen der Beschäftigten ableiten lassen, ergibt beinahe immer das gleiche Bild. Die Anforderungen lauten (eigene Erhebung des Autors):

•  Zielorientierung (Erfolgskriterien transparent machen),

•  Prioritäten setzen können und damit Ressourcen bündeln,

•  Erfolg, d. h. die ambitionierten, aber realistischen Ziele werden i. d. R. erreicht,

•  Beschäftigte informieren über Pläne und Entwicklungen,

•  Einbeziehung der Mitarbeitenden in Entscheidungen,

•  Transparenz von Entscheidungen,

•  Klärung und Abstimmung von Werten und Regeln,

•  offene Kommunikation (»Ehrlichkeit«),

•  Authentizität (»walk the talk«),

•  Durchsetzungsvermögen nach oben und nach unten,

•  Gleichbehandlung des Personals, z. B. in Form »gerechter« Arbeitsverteilung,

•  Beschäftigte fördern und entwickeln,

•  das gesamte Team fordern, also Leistung bei allen Mitarbeitenden einfordern,

•  Feedback geben in Form authentischer Wertschätzung sowie konstruktiver Kritik,

•  Freiräume lassen in der Ausgestaltung der Arbeit,

•  Erfolg der Verantwortlichen zulassen und diese nicht ausschließlich für sich reklamieren,

•  Konflikt-Kompetenz, also Konflikte erkennen, angehen und lösen,

•  Verbindlichkeit herstellen durch konsequentes Handeln und Nachverfolgung zugesagter Arbeiten und Termine,

•  »Rückendeckung« geben für die eigenen Mitarbeitenden gegenüber Dritten,

•  Ansprechbarkeit gewährleisten, präsent sein,

•  Interesse zeigen an persönlichen Belangen der Belegschaft,

•  delegieren können und dabei in der Lage sein, loszulassen,

•  »intelligente« Fehler tolerieren, d. h. Fehler als Lernquelle zulassen aber vermeidbare Fehler verhindern.

Tatsächlich finden sich in dieser Liste letztlich alle jene Aufgaben, die mit einer Führungsfunktion verbunden sind. Wenn ich aber bei den Teilnehmenden meiner Führungstrainings und -workshops nachforsche, wer denn eine Führungskraft kenne, die alle diese Attribute auf sich vereinen kann, ernte ich meist vielsagendes Schweigen. Auch dies ist ein Beleg dafür, wie einfach die Theorie der Personalführung ist und wie beschwerlich deren Umsetzung.

Im Übrigen zeigen solche Erhebungen, dass sich die subjektiven Erwartungen an eine effiziente Führungskraft durchaus mit den Erkenntnissen der arbeitspsychologischen Theorie decken: Die Beschäftigten erwarten durchaus nicht die stets nur nette, willfährige Führungskraft, die sich ausschließlich an den Befindlichkeiten der Geführten orientiert. Ebenso wenig wollen sie jedoch Vorgesetzte, die zur Erreichung ihrer Ziele »über Leichen« gehen. Sie wollen schlicht als vernünftige, mündige Menschen, informiert, gehört, gefordert, beteiligt und gefördert werden. Führung bedeutet somit ein ausgewogenes, steuerndes Verhalten, das sich sowohl an den zu erreichenden Zielen als auch an den Belangen der Mitarbeitenden orientiert.

Häufig wird zur Frage nach einer guten und effizienten Führung der Anspruch formuliert, eine gute Führungskraft möge ihre Mitarbeitenden nachhaltig motivieren. Diese Forderung darf jedoch hinsichtlich ihres überzogenen Anspruches durchaus kritisch hinterfragt werden. Motivation ist schließlich kein unidirektionaler Prozess, in welchem deren Entstehung, Nachhaltigkeit und Ausmaß allein oder vorwiegend der Führungskraft zugewiesen werden kann.

Motivation bedeutet die emotionale und kognitive Verfasstheit einer Person und die damit verbundenen Beweggründe, die zu einer zielgerichteten Handlungsbereitschaft führen. Streng genommen ist Motivation damit zunächst nicht mehr als das Interesse an einer Sache oder Tätigkeit. Die bewusste und selbststeuernde Umsetzung der Motivation in zielgerichtetes Handeln wird dagegen als »Volition« bezeichnet (aus dem Lateinischen volo: wollen, wünschen, begehren).

Der Unterschied zwischen Motivation und Volition wird deutlich, wenn z. B. eine fiktive Person zwar durchaus motiviert ist, ein Ziel zu erreichen, es aber an der notwendigen Umsetzung fehlen lässt. Nehmen wir zur Anschauung den Wunsch einer Person, eine Aufgabe zu übernehmen und erfolgreich abzuschließen – dass diese Person dennoch aus diversen Gründen nicht mit der Umsetzung beginnt. In diesem Falle finden wir zwar den motivationalen Impuls aber keine Umsetzung auf der Verhaltensebene. Motivation ist also die notwenige aber keinesfalls eine hinreichende Voraussetzung dafür, etwas (selbst) Gewünschtes und Erstrebtes tatsächlich zu tun.

Motivation und Volition liegen natürlicherweise in der Person selbst, also in den jeweiligen Persönlichkeitsstrukturen (intrinsische Motivation). Damit jedoch lässt sich diese elementare Form des Antriebes nur bedingt von außen erzeugen. Zwar können äußere Anreize die ursprüngliche Motivation und vor allem auch die Volition anregen und unterstützen (extrinsische Motivation). Alle diese Maßnahmen können aber die intrinsischen Antriebe keinesfalls ersetzen.

Im Führungskontext bedeutet dies, dass es ein primäres Ziel der Personalführung sein muss, möglichst begabte und motivierte Mitarbeitende zu finden, welche eine valide intrinsische Motivation bereits mitbringen (Kap. Die richtige Passung macht’s: Personal auswählen). Wenn dies gelungen ist, wird es allerdings zur nachhaltigen und herausfordernden Aufgabe jeder Führungskraft, diese basale Primär-Motivation und Leistungsbereitschaft bestmöglich aufrechtzuerhalten oder besser noch zu mehren. Erst dann kann es gelingen, die Mitarbeitenden zu gewinnen, sich umgekehrt auch führen zu lassen und sich zu beteiligen an den zu bewältigenden Aufgaben und Herausforderungen.

In diesem Verständnis wollen wir im nächsten Abschnitt kritisch reflektieren, wie Mitarbeitende in den Institutionen und Organisationen die aktive Motivationserhaltung und -förderung aus ihrer Perspektive tatsächlich wahrnehmen.

Begrenzte Dynamik: Permanent ausgebremst

Auf die Wünsche und Bedürfnisse der Beschäftigten bzgl. effizienter Führung wurde bereits im vorigen Abschnitt hingewiesen. Aber wie sieht die Praxis aus?

Unzählige Personalbefragungen und verschiedene umfangreiche Studien zeigen, wie die Personalführung vielfach wahrgenommen wird. So kommt die große, als Engagement-Index bezeichnete Studie des Meinungsforschungsinstitutes Gallup zu der Aussage, dass sich in Deutschland 14 % der Mitarbeitenden zumindest partiell ihren Aufgaben entziehen. (Gallup 2022). Hier die Ergebnisse dieser Studie (Dar. 1).

Dar. 1:    Ergebnisse aus der Engagement-Index-Studie (Gallup 2022)

In einer anderen großen Studie verweist das Beratungsunternehmens Willis Towers Watson darauf, dass 26 % der Beschäftigten in Deutschland »unterdurchschnittlich engagiert, befähigt und energetisiert« seien und weitere 6 % schlichtweg »nicht engagiert« (Willis Towers Watson 2017).

Als Gründe für die mangelnde Motivation vieler Beschäftigter wird in allen größeren Studien zum Thema Engagement und Motivation die unzureichende Personalführung genannt. Es dominieren dabei Insbesondere folgende Führungsfehler:

•  mangelnde Wertschätzung,

•  unzureichende Information über arbeitsbezogene Belange und Rahmenbedingungen, wie Ziele, Strategien, Prioritäten etc.,

•  zu wenig unter Beweis gestelltes Interesse an den Mitarbeitenden und deren persönlichen Befinden (Arbeitskraft vs. Mitmensch) und

•  die zu geringe Mitsprache bei Entscheidungen, welche das Arbeitsumfeld betreffen (Arbeitsprozesse, -platz, -zeit, -modelle etc.).

Es ist somit offensichtlich, dass den eingangs erwähnten Erwartungen der Beschäftigten oftmals eine gelebte und erlebte Führungskultur und -praxis entgegensteht, welche die Wünsche, Hoffnungen, Erwartungen der Befragten nicht erfüllen kann. Eine der Folgen derart mangelhafter Personalführung ist die indirekte Förderung von durch Demotivation begründeter Minderleistung (vgl. Haller 2014). Gallup beziffert in der Studie den durch Low-Performance bzw. »innere Kündigung« entstandenen gesamtwirtschaftlichen Schaden allein für Deutschland jährlich zwischen rund 92 und 122 Milliarden Euro« (Gallup 2022).

In einer vom Autor fortlaufend durchgeführten Befragung in verschiedenen Organisationen aus Wirtschaft, Industrie, Verwaltung sowie in Forschungseinrichtungen und Hochschulen beklagen die Beschäftigten zudem vor allem:

•  unklare Ziele,

•  unzureichende Kooperation mit KollegInnen im Team oder aus anderen Abteilungen,

•  intransparente und/ oder fehlende Entscheidungen über die Strategie, Zukunft und Perspektive des eigenen Arbeitsbereiches oder Projektes,

•  mangelndes Feedback über eigene Leistungen und damit verbunden,

•  fehlende Wertschätzung.

Alle diese Aspekte belegen die mangelnden Bedingungen für kreatives und selbstbestimmtes Arbeiten oder sie stehen diesem gar ausdrücklich entgegen. Damit fühlen sich viele Beschäftigte permanent ausgebremst.

Als einer der wesentlichen Gründe darf angenommen werden, dass viele Führungskräfte schlichtweg nicht ausreichend befähigt sind, im Führungskontext ein Umfeld zu schaffen, das die Motivation, Leistungsfähigkeit sowie die Leistungsbereitschaft der Beschäftigten erhält oder fördert. Insofern muten Studien wie der Engagement-Index von Gallup an wie eine Szene aus dem Zeitschleifen-Film: »Und täglich grüßt das Murmeltier«. Schließlich erscheinen diese Ergebnisse und deren Analyse jedes Jahr im Frühjahr mit dem Erwachen des Murmeltiers aufs Neue. Und ebenso regelmäßig werden diese Erkenntnisse von den Medien aufgegriffen und kommentiert. So berichtete im zweiten Studienjahr 2002 die Süddeutsche Zeitung (Auszug aus der Wochenendausgabe vom 14./15.09.2002):

»Als das Gallup-Institut vor einem Jahr eine Studie über das Engagement deutscher Arbeitnehmer veröffentlichte, war die Erschütterung groß (…) das Ergebnis ist noch schlechter ausgefallen: Viele Chefs sind einfach zu autoritär und lassen keine anderen Meinungen gelten. Die Vorgesetzten vergäßen, dass Mitarbeiter anerkannt und gelobt werden wollten. Viele Beschäftigte wüssten nicht, was von ihnen erwartet werde.Auch litten sie darunter, dass ihre Ansichten kaum Gewicht hätten und dass ihre Chefs sich nicht genug für sie als Menschen interessierten.«

Weitere 20 Studienjahre später berichtete wiederum die Süddeutsche Zeitung zum gleichen Thema mit der Überschrift: »Viele Beschäftigte möchten in einem Jahr woanders arbeiten: Das liegt vor allem an den Chefs und Chefinnen«. Hier Auszüge aus diesem Artikel vom 5. April 2022:

»Die vielen Menschen, die gerne ihre Jobs wechseln wollen, treffen derzeit auf einen Arbeitsmarkt, der sie dankend annimmt. (…) ›Das Einzige, was gegen Pandemie-Stress, lockende Headhunter, Homeoffice-Einsamkeit und generelle Arbeitsunlust hilft, sind Chefinnen und Chefs, die ihre Arbeit gut machen, denn diese können dafür sorgen, dass die emotionale Bindung zum Arbeitgeber hoch ist‹, sagen Sinyan und Nink [Anmerkung: Die Gallup-Studienleitung, R. H.]. Allerdings sei den meisten Chefs das nicht bewusst. ›Führungskräfte laufen relativ blind durchs Leben.‹ 97 Prozent seien der Ansicht, dass sie gut führen. Allerdings fühlten sich nur 17 Prozent der Mitarbeitenden gut geführt. ›Fremdbild und Selbstbild passen nicht zusammen‹.«

Es ist damit allzu augenscheinlich, dass sich zwischen dem Beginn der Studienserie 2001 und heute – also 22 Jahre später – nicht allzu viel getan hat bzgl. der Qualifikation verantwortlicher Führungskräfte.

Das Ergebnis ist, dass ganz offensichtlich viele Mitarbeitende im übertragenen Sinne »mit angezogener Handbremse« unterwegs sind: Eine nüchterne Bilanz, die zwangsläufig Auswirkungen haben muss auf das Fortkommen vieler Organisationen und Unternehmen. Mit diesem »Fahrstil« bleiben jedenfalls viele von ihnen weit unter ihren Möglichkeiten und damit auch deutlich unterhalb der Möglichkeiten des Unternehmens, in welchem sie und für das sie tätig sind.

Die Antriebselemente: Ziel, Sinn und Motivation

Wir haben weiter oben bereits eine grundlegende Definition des Begriffes Motivation versucht. Widmen wir uns daran anknüpfend der Frage, welche Faktoren die Beschäftigten in ihrer intrinsischen und extrinsischen Motivation oder in ihrer Volition stützen und fördern. Was genau bringt sie dazu – ganz praktisch und alltagsbezogen gefragt – trotz des gerade verführerisch schönen Wetters, trotz Bergen von Aufgaben auf dem Schreibtisch und dem partiellen Mangel an idealen Arbeitsbedingungen morgens zeitig aufzustehen und mehr oder weniger frohen Mutes zur Arbeit zu gehen?

Wer Mitarbeitende befragt, was genau sie dazu antreibt und ihre Motivation und/ oder Zufriedenheit aufrecht erhält, bekommt nachfolgende Antworten (eigene Erhebung des Autors):

•  ein interessantes Aufgabengebiet/ Arbeitsinhalte,

•  die Sinnhaftigkeit der Tätigkeit,

•  selbstbestimmtes Arbeiten mit persönlichen Freiheitsgraden,

•  Herausforderungen durch anspruchsvolle Aufgaben,

•  die Sichtbarkeit der Leistung durch Erfolgserlebnisse,

•  durch Erfolg resultierende Selbstwirksamkeitsüberzeugung,

•  Wertschätzung und Anerkennung,

•  freundliches, kollegiales Arbeitsklima,

•  gute Arbeitsbedingungen (Räume, Ausstattung, Geräte),

•  Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten (fachlich/ hierarchisch),

•  Angebote der Fort- und Weiterbildung,

•  flexible Arbeitsgestaltung (z. B. Arbeitszeitmodelle, mobiles Arbeiten),

•  Vereinbarkeit von Familie und Beruf (»Life Balance«),

•  Entscheidungsbefugnisse und Freiräume,

•  Verbindlichkeit von Zusagen der Führungskräfte oder des Arbeitgebers,

•  Sicherheit des Arbeitsplatzes sowie ein unbefristeter Arbeitsvertrag,

•  ein angemessenes Entgelt.

Diese Befragung habe ich auf ungezählten Führungsseminaren wiederholt durchgeführt, an welchen neben Nachwuchskräften auch erfahrene Führungskräfte beteiligt waren – bis hin zu TeilnehmerInnen aus der ersten Führungsebene. Es darf also vermutet werden, dass diese Motivations- und Zufriedenheitsfaktoren für alle Hierarchiestufen gleichermaßen relevant sind.

Aus diesen Ansprüchen lässt sich ein relativ einfaches Motivationsmodell für den Arbeitskontext entwickeln. Hierbei sind folgende Grundhypothesen und Schlussfolgerungen zu Grunde gelegt:

1.  Ein wichtiges Motivationsmerkmal ist die interpersonelle Wertschätzung, ein weiteres der mit erlebter Sinnhaftigkeit verbundene Erfolg. Authentische Wertschätzung oder Anerkennung setzt jedoch Erfolg voraus. Wer also keinen Erfolg vorweisen kann, darf auch keine authentische Wertschätzung erwarten.

2.  Erfolg bedeutet nichts anderes, als ein selbst oder gemeinsam definiertes ggf. auch ein vorgegebenes Ziel zu erreichen. Wer Wertschätzung und Anerkennung anstrebt, wird somit gefordert sein, operationalisierbare Ziele zu definieren und diese – für sich und andere sichtbar – zu erreichen. Je mehr Herausforderung mit diesem Ziel verbunden ist, desto größer ist der Erfolgsfaktor.

3.  Auch das Entgelt und/ oder variable Vergütungsanteile sind damit indirekt – bei Boni-Systemen auch direkt – von der Erreichung bestimmter Erfolgsparameter abhängig. Damit wird das Entgelt neben seiner Bedeutung für die Grundversorgung und als Garant für den individuellen Lebensstandard ergänzend als »materialisierte Anerkennung« wahrgenommen. Als verbreitetes Kriterium für die berufliche Zufriedenheit wird die Wirkung dieser Form der extrinsischen Motivation häufig unterbewertet.

4.  Zielerreichung ist stets verknüpft mit Sinnhaftigkeit. Ziele zu erreichen, die nicht als relevant bzw. nützlich gesehen werden können, motivieren kaum, gar nicht oder demotivieren sogar. Führungstheoretiker sprechen deshalb von »Sinnvermittlung« als dem höchstmöglichen Führungsziel. Insofern ist das Erleben von Sinnhaftigkeit ein Synonym für persönliche Identifikation mit dem Ergebnis oder Produkt der Arbeit.

5.  Selbstständigkeit und das Angebot von Freiheitsgraden und Entscheidungsbefugnissen sind deshalb entscheidend, weil die Zielerreichung nur dann mit der eigenen Bestätigung einhergehen kann und zur Selbst-Bestätigung wird. Sie sind somit Wegbegleiter dessen, was in der Psychologie als »Selbstwirksamkeit« bezeichnet wird. Dies bedeutet für den Einzelnen: »Die Zielerreichung ist wirklich mir zuzuschreiben, weil ich den Weg zum Ziel eigenständig und eigenverantwortlich habe gehen können«. Rigide Vorgaben, starre Vorschriften oder Gängelung und Bevormundung setzen dieses Selbstwirksamkeitserleben außer Kraft, selbst wenn das erreichte Ziel das gleiche sein mag.

6.  Arbeitsklima oder Arbeitsbedingungen (Ressourcen) stellen essenzielle Zufriedenheitsfaktoren dar, die den Weg zum Ziel effizienter und angenehmer gestalten. Umgekehrt gefährden dauerhaft ineffiziente Rahmenbedingungen oder fehlende Ressourcen die Motivation erheblich.

Hieraus ergibt sich das folgende Motivationsmodell für den Führungskontext.

A.            Motivation speist sich (u. a.) aus dem Erfolg einer als sinnhaft erlebter Aufgabe und der hierdurch entstehenden Selbstwirksamkeit in Verbindung mit Wertschätzung durch Dritte.

Dar. 2:    Zielerreichung als Motivationsquelle

Erfolgbedeutet Zielerreichung. Dabei ist der Weg zum Ziel erfahrungsgemäß in der Theorie meist einfacher als in der praktischen Umsetzung. Dies gilt insbesondere für Arbeitsbereiche, in denen Kreativität und Eigeninitiative gefragt sind. Worin genau das Ziel (der Erfolg) besteht, ist dabei individuell unterschiedlich. Je nach Anforderung, Beruf und Dimension kommen z. B. folgende Ziele in Betracht:

•  die erfolgreiche Entwicklung eines neuen Produktes oder Konzeptes,

•  die mit einem Zertifikat erfolgreich abgeschlossene Fort- oder Weiterbildung,

•  die Umwandlung eines zunächst befristeten Arbeitsvertrages in einen Dauervertrag aufgrund nachhaltig guter Leistungen,

•  der erfolgreiche Abschluss einer Versuchsreihe in einem Labor,

•  die messbare Optimierung eines Prozesses in der Administration oder eines Produktes in der Produktion,

•  die Fertigstellung eines Spezialwerkzeuges und dessen Funktionstüchtigkeit innerhalb des Projekt-Zeitplanes in einer Werkstatt,

•  die zeitnahe Einführung eines übersichtlichen, in von allen Abteilungsmitgliedern akzeptieren Ablagesystems im Sekretariat.

B.            Nachhaltige Motivation entsteht nur dann, wenn sowohl das Ziel als auch der Weg dorthin hinreichend motivierende Kriterien erfüllen.

Damit ergibt sich im Kontext der Führungsaufgabe folgendes Gesamt-Modell:

1.  Erfolg ist die entscheidende Motivationsquelle. Erfolg schafft:

−  Wertschöpfung,

−  Wertschätzung,

−  Selbstwirksamkeitserleben.

2.  Erfolg bemisst sich an der Qualität und Quantität der erreichten Ziele.

3.  Erfolg setzt realistische Ziele voraus. Unrealistische Ziele werden i. d. R. nicht erreicht und demotivieren nachhaltig

4.  Erfolg setzt konkret formulierte Ziele voraus. Je genauer ein Ziel definiert ist, desto genauer wird der Erfolg sicht- und messbar.

5.  Motivierende Ziele sind:

−  mit einem selbstbestimmten Weg zum Ziel verbunden,

−  erreichbar,

−  abgestimmt, also vereinbart, und nicht bloß vorgegeben,

−  mit erkennbarem Nutzen bzw. Sinn verbunden.

Kommen wir unter Zugrundelegung dieses Modells noch einmal zurück auf unsere Eingangsthemen, also die Zufriedenheit der Mitarbeitenden mit ihren Vorgesetzten und die Wahrnehmung von Führung.

Dar. 3:    Verbindung der Motivationsfaktoren aus der Kombination von Weg und Ziel

Wir haben dort aufgezeigt, dass viele Beschäftigten aus latentem Motivationsmangel in die »innere Kündigung« entschwunden sind. In der eingangs zitierten GALLUP-Studie bzw. deren Zusammenfassung wurde deshalb eine Aussage besonders hervorgehoben: »Viele Beschäftigte wissen nicht, was von ihnen erwartet wird« (Gallup 2022). Mit anderen Worten: Viele kennen offensichtlich ihre Ziele nicht oder vielmehr das, was genau vonseiten der Führungskräfte von ihnen erwartet wird.

Das o. g. Arbeitsmodell legt dagegen nahe, dass zum authentisch erlebten Erfolg ein definiertes, möglichst präzises Ziel notwendig ist. Dort, wo es fehlt, kann sich kein sichtbarer Erfolg einstellen und ohne Erfolg bleiben zwangsläufig Anerkennung und Wertschätzung aus.

In der Tat verhält es sich mit der Klarheit von Zielen und zielorientiertem Verhalten wie mit einem Beispiel von Orientierungslosigkeit aus der Literatur:

»Würdest du mir bitte sagen, wo ich jetzt hingehen soll?«

»Das hängt ganz davon ab, wo du hinwillst«, sagte die Katze.

»Eigentlich ist es mir egal«, sagte Alice.

»Dann ist es auch egal, wo du hingehst«, sagte die Katze.

»Ich möchte nur gern irgendwo hinkommen!«, fügte Alice als Erklärung hinzu.

»Ach, irgendwo hin kommst du bestimmt«, sagte die Katze, »wenn du weit genug läufst«.

Lewis Carrol

brit. Mathematiker und Schriftsteller

aus: »Alice im Wunderland«

Und ein anderes, im Arbeitskontext häufig anzutreffendes Phänomen, aus anderer Quelle:

Als sie das Ziel aus den Augen verloren hatten,

verdoppelten Sie ihre Anstrengungen.

Mark Twain

am. Schriftsteller

aus: »Huckleberry Finn«

Nun wird mancher kritische Leser erfahrungsgemäß daran zweifeln, dass die Vereinbarung von Zielen (Erfolgsparametern) immer möglich und relevant ist. Tatsächlich gibt es aber wohl äußerst selten Aufgaben, die gänzlich frei von Zweck und Ziel sind. Was aber in der Tat häufiger festzustellen ist, dass diese Ziele sehr vage und unpräzise bleiben.

•  Eine Abteilungsleiterin soll den Erfolg und die Sichtbarkeit ihres Bereiches mehren, Prozessanalysen verantworten und den Nachwuchs fördern sowie neue zukunftsweisende Themen und Prozesse generieren.

•  Ein Laborleiter soll Versuche durchführen, mit präzisen Analysemethoden valide Daten sammeln, sich Methodenkompetenz aneignen und die eine oder andere Sonderaufgabe übernehmen.

•  Ein Techniker soll Qualitätsvorgaben entwickeln, sich weiterbilden, PraktikantInnen einarbeiten, Zeitpläne einhalten, die Materialbeschaffung organisieren.

Natürlich finden sich bis hin ins Sekretariat rund um die dort versammelten Aufgaben und Erwartungen mehr oder weniger klar definierte Ziele. Befragt man jedoch Mitarbeitende, ob sie genau wissen, was von ihnen erwartet wird und woran der Erfolg ihrer Arbeit bemessen wird, so stößt man sehr häufig auf Unzufriedenheit und unklare oder gar nebulöse Erwartungen. Insbesondere dort, wo mehrere Aufgaben zusammenkommen, klagen Beschäftigte, dass sie zwar ihre Aufgaben, also den Weg kennen, nicht aber das Ziel. Und überall dort beklagen die Betroffenen, dass sie die Gewichtungen (Prioritäten) der unterschiedlichen Ziele nicht klar erkennen können.

Zur Anschauung ein praktisches und persönliches Beispiel:

Als ich 1996 meine neue Stelle als Leiter der Abteilung Personalentwicklung in einem großen deutschen Forschungszentrum antrat, versuchte ich, mich rasch in meinen neuen Arbeitsbereich einzuarbeiten. Dazu gehörte die Abstimmung mit dem Vorstand und den (neuen) KollegInnen, Kontaktaufnahme und -pflege mit den Betriebsräten und dem Gesamtbetriebsrat, Antrittsbesuche und Bedarfsermittlungen bei den Leitern der wissenschaftlichen und administrativen Abteilungen und den LeiterInnen der acht Standorte. Ebenso gehörte dazu eine Analyse der im Einsatz befindlichen Management-Instrumente und des Angebotes im Bildungs- und Personalentwicklungsbereich. All jene Aufgaben also, die ich im Rahmen meiner Funktion und meiner zunächst selbst gesteckten Ziele für wichtig erachtete.

Nach exakt sechs Monaten, am letzten Tag meiner Probezeit ließ ich mir einen Termin bei meinem direkten Vorgesetzten geben. Bis dahin hatte ich keine direkte Rückmeldung über meine Leistungen, Aktionen und deren Akzeptanz und Wirksamkeit erhalten. Ich nahm dies zum Anlass, meinen Vorgesetzten auf das Auslaufen der Probezeit hinzuweisen und diese Information mit der Bemerkung abzuschießen; »Ich wollte nur sagen, ich beabsichtige zu bleiben!« Schließlich gelte die arbeitsrechtlich vorgesehene Probezeit ja für beide Seiten, also auch für mich.

Mein Vorgesetzter schmunzelte etwas verlegen, gab artig seine Freude zu Ausdruck und versuchte spontan, so etwas wie ein positives Feedback nachzureichen.

Natürlich waren mir zu Beginn einzelne, eher globale Erwartungen klar: Akzeptanz bei den Führungskräften, Mitarbeitenden und Betriebsräten, kein blinder Aktionismus und keine vorschnellen Selbst-Darstellungsversuche, keinen Ärger verursachen an der arbeitsrechtlichen Front, hilfreiche Angebote bei Rat- und Hilfsersuchen etc. Alles verständliche Erwartungen, aber keine transparenten, operationalisierbaren Ziele, an welchen ich mich (selbst) hätte messen können.

Diese Unklarheit bzw. mangelnde Transparenz von konkreten Zielen und Erfolgsparametern ist über alle Hierarchie-Ebenen hinweg ein ständig anzutreffender Motivationshemmer, dem es praktisch zu begegnen gilt. Der vermeintliche Vorteil, sich somit seine Ziele selbst definieren zu können, ignoriert die beständige Verunsicherung, die mit nicht wirklich transparenten und abgestimmten Zielen und Orientierungspunkten einhergeht.

Personalführung bedeutet damit für die Führungskraft, vor allem dafür Sorge zu tragen, dass sinnstiftende Ziele auf individueller Ebene möglichst klar und besser noch gemeinsam in der Arbeitsgruppe oder im Team definiert und abgestimmt sind. Im hier folgenden Kapitel werden wir differenzierter darstellen, mit welchen Führungsansätzen dies nachhaltig gelingen kann.

Mit Kompass und Karte: Strategische Führung

In den von mir durchgeführten und bereits zitierten Befragungen von Mitarbeitenden in den unterschiedlichsten Institutionen und Unternehmen zeigten sich bei den am häufigsten reklamierten Führungsmängeln zwei Top-Themen:

•  mangelnde Information und

•  mangelnde Wertschätzung.

Gerade zum Thema Anerkennung und Wertschätzung erleben Mitarbeitende, dass ihre Führungskräfte allzu häufig nach dem »Schwäbischen Prinzip« agieren. Dieses basiert auf dem im schwäbischen Volksmund bekannten Grundsatz: »Net g’schimpft, isch g’lobt g’nuag«, im Hochdeutschen also: »Nicht geschimpft ist genug gelobt« – oder in seiner etwas milderen Variante: »Nicht geschimpft ist halb gelobt«.

Dahinter steckt häufig der Vorwurf vieler Beschäftigter, gute Leistung würde von den Vorgesetzten als lapidare, nicht nennenswerte »Normalleistung« bewertet. Damit einher geht die verbreitete Empfindung, Unzufriedenheit über mangelnde Leistung oder Zielerreichung würde allzu oft als destruktive Kritik formuliert. Erfolge dagegen würden kaum bemerkt oder als selbstverständlich abgewertet. Dass diese Wahrnehmung nicht wirklich zur Motivation beiträgt, muss sicher nicht weiter ausgeführt werden.

Wenden wir uns zunächst jedoch dem zweiten Aspekt zu: Mitarbeitende beklagen häufig, sie erhielten nicht genügend Informationen, sei es von ihren direkten Vorgesetzten selbst oder durch die höheren Führungsebenen. Sie kritisieren, dass ihnen zwar beständig neue Organisationsformen, Veränderungen von Prozessabläufen und strukturelle Änderungsmaßnahmen zugemutet würden, sie aber oft nicht wüssten, worin und womit diese Herausforderungen begründet seien. Im Beschäftigten-Jargon heißt es dann bei entsprechenden Maßnahmen, Neuerungen oder Restrukturierungen etwa: »Jetzt treibt unsere oberste Führungsebene mal wieder die nächste Sau durch’s Dorf!«.

Darüber hinaus reklamieren Mitarbeitende umfassende Informationen darüber, wie der aktuelle Status quo bewertet wird, oder »wohin die Reise geht« mit dem Betrieb, der Firma, der Organisation oder der Abteilung. Besonders relevant sind Fragen nach dem »warum« und »wozu« bei Strategieänderungen oder der Einführung neuer Prozesse, Strukturen oder Arbeitsverfahren (Kap. Führung im Korrekturmodus: Changemanagement). Hierdurch ergibt sich zwangsläufig für alle Beschäftigten die Frage, was zukünftig persönlich auf sie zukommen kann und wird.

Wir sind damit mitten im Themenkomplex der strategischen und operativen Führung angelangt. Dabei werden beide Begriffe hier wie folgt verstanden:

•  StrategischeFührung beinhaltet die strategische Planung und damit die Zukunftsplanung des Unternehmens, der Abteilung, des Fachbereiches und/ oder der Gruppe und die Information der Mitarbeitenden über eben diese Pläne oder der damit verbundenen Strategie.

•  OperativeFührung beschreibt jene Verhaltensweisen, Instrumente und Maßnahmen, welche der Führung der einzelnen Mitarbeitenden oder der Führung eines Teams dient.

Wie im Folgenden gezeigt wird, bedingen sich beide Führungselemente gegenseitig. Insofern kann Personalführung nur dann effizient sein, wenn beide Bereiche hinreichend reflektiert und bedient werden. Zunächst widmen wir uns jedoch der Grundlagen jeder Form von (Personal-)Führung: der strategischen Führung oder Planung, denn ohne Orientierung an einem Ziel bleibt jede Form von Führung ein mehr oder weniger zweckfreies Unterfangen.

Erst wenn die Führungskraft weiß, wo (genau) sie hinwill und dies transparent und überzeugend vermitteln kann, werden sich ggf. motivierte Mitarbeitende finden, die ihr auf dem Weg zum Ziel zu folgen bereit sind. Es gelten somit zwei Erkenntnisse, die sich in den folgenden Zitaten prägnant zusammenfassen lassen:

»Wer vom Ziel nicht weiß, kann den Weg nicht finden.«

Christian Morgenstern

deutscher Dichter und Schriftsteller

 

»Ohne die Menschen, die Ihnen wirklich folgen, führen Sie nicht;

Sie gehen allenfalls spazieren.«

Niels van Quaquebeke

Professor für Leadership und Management an der KLU / Hamburg

Wer also als Führungskraft nicht nur spazieren gehen, sondern tatsächlich führen will, braucht zunächst einen strategischen Plan. Wie sich ein solcher Plan gestalten lässt, wird in den folgenden Abschnitten beschrieben.

Planen mit System: Die Konzeptgestaltung

Zu den basalen Führungsaufgaben einer Organisation gehört eine strategische Planung. Darüber hinaus sollten die nachgeordneten Geschäfts- oder Fachbereiche, Abteilungen, Arbeitsgruppen sowie abteilungsübergreifende Projekte auf einer dezidierten strategischen Konzeption basieren. Damit wird sie zu Aufgabe jeder Führungskraft.

Das hier vorgestellte Modell einer »strategischen Planungspyramide« reicht von der Vision oder Mission bis hin zu operativen Einzelmaßnahmen (Dar. 4).

Dar. 4:  Taxonomie der Organisationsplanung

Zu den einzelnen Elementen dieser Planungstaxonomie folgende Erläuterungen:

1.            Die Vision

klärt die prinzipielle und längerfristige Zielrichtung der Organisation, etwa mit der Fragestellung: Wo wollen wir konkret in drei, fünf oder zehn Jahren im Markt oder Wettbewerb oder ganz allgemein in Bezug auf unsere organisatorischen Ziele stehen? Die hiermit verwandte Mission beschreibt den übergeordneten Zweck einer Organisation – ausgehend von der Frage: Warum genau und für wen oder was tun wir das was wir tun? Beide Begriffe bezeichnen also die generelle Zielausrichtung mit der Frage: »Was ist der sinnstiftende Orientierungspunkt unseres Handelns?« Missionen oder Visionen sind als prinzipielle Orientierungspunkte umso wertvoller, je operationalisierbarer und konkreter und greifbarer sie formuliert werden.

Ein immer noch überzeugendes Praxisbeispiel ist die aus den 1970er Jahren stammende Vision des TOYOTA-Autokonzerns, die seinerzeit noch vielen deutschen Automobilbauern allenfalls ein Lächeln abverlangte. Sie bezog sich insbesondere auf das Qualitätsmanagement des Automobilherstellers und lautete damals: »In zehn Jahren wollen wir Mercedes-Benz in der Pannenstatistik deutscher Automobil-Magazine überholt haben«. Diese Vision ist tatsächlich rund zehn Jahre nach ihrer Verkündung Realität geworden und hat – bezogen auf die Produktqualität – neben Toyota auch andere Vertreter der japanischen Automobilindustrie bis Mitte der 1990er Jahre an der Weltspitze gehalten.

Wie dieses Beispiel zeigt, kann eine »griffige« und herausfordernde Vision oder Mission durchaus Klarheit, Sichtbarkeit und die Ausstrahlung von Relevanz befördern. Ein konkretes Beispiel mag dies belegen:

Beispiel Vision/ Mission: Ein deutsches Pharma-Forschungsunternehmen

Wir sind ein international anerkanntes Institut für klinische Studien auf dem Gebiet XYZ.

Wir wollen …

das qualitativ führende Kompetenzzentrum für klinische Studien im Bereich XYZ in Deutschland werden; gemessen an relevanten Auftraggebern, Umsätzen und unserer Beteiligung an relevanten klinischen Studien. Hiermit wollen wir die Diagnose- und Therapieoptionen zum Vorteil der Gesundheit und Patientenversorgung in Deutschland, Europa und der Welt maßgeblich optimieren.

Zukünftig werden wir …

neben unserer führenden Position in Deutschland mehr an internationalen Projekten und Entwicklungen der klinischen Forschung im Bereich XYZ maßgeblich beteiligt sein. Diese Ausrichtung zeigen wir u. a. auch durch unsere für das kommende Jahr geplante Niederlassung in den USA.

Organisationen welche ihre Mission oder Vision zu einer Governance, Corporate Identity oder in Richtung Employer Branding entwickeln wollen, ergänzen diese häufig um ein Unternehmensleitbild. Als zusätzliches Element – angesiedelt etwa zwischen der Vision und den strategischen Zielen – definiert ein Leitbild anhand von Ideen, Idealen und Werten, wofür und woran es sich als Organisation orientiert (Dar. 5).

Dar. 5:  Unternehmensleitbild

2.            Das Ziel

oder mehrere sog. Richtziele beschreiben operative Unterziele, deren Erreichung Voraussetzung ist für die Erfüllung der übergeordneten Vision oder Mission.

Beispiele Ziele

A.  Wir optimieren unser Qualitätsmanagement und entwickeln unsere Qualitätskriterien in den nächsten beiden Jahren zum maßgeblichen Standard in unserem Produktsegment.

B.  Wir erreichen die Produktionsreife für das Modell XY bis Ende nächsten Jahres. Parallel entwickeln das Verfahren ABC bis Mitte dieses Jahres bis zur Patentreife.

3.            Die Strategie

Auf die Frage, was Strategie bedeutet, lassen wir am besten einen erfahrenen Strategen zu Wort kommen, der seinen friedlichen Einzug bereits in so manches Management-Handbuch gefunden hat:

Die besteStrategieist, immer recht stark zu sein; erstens überhaupt und zweitens auf dem entscheidenden Punkt. Daher gibt es kein höheres und einfacheres Gesetz für die Strategie, als seine Kräfte zusammenzuhalten.

Die Strategie ist eine Ökonomie der Kräfte.

Carl von Clausewitz

Preußischer Generalmajor und Militärwissenschaftler

Beispiele Strategie

A.  Wir beenden unsere Arbeiten am Projekt XY. Der Mitbewerber 123 hat ein vergleichbares Produkt bereits in den Handel gebracht. Diese Produktpalette hat unter den gegebenen Umständen für uns keine Zukunft.

B.  Wir konzentrieren uns in den nächsten drei Monaten gemeinsam auf den Dienstleistungssektor ABC. Wir gehen dabei von der Prämisse aus, dass sich der Bedarf und der Markt weiter in diese Richtung entwickeln wird.

C.  Wir werden – bezogen auf den Ergebnisbericht unseres letzten Audits – dem Hinweis der Auditoren nachgehen und uns im Segment ABC stärker positionieren und präsentieren.

Strategie und Zielsetzung haben somit eine sehr enge, abhängige Beziehung. Über ihre Reihenfolge lässt sich streiten wie etwa über die Frage, ob in der Kausalkette das Huhn oder das Ei die Reihenfolge bestimmt. Entscheidend ist, dass sich (operative) Ziele und die Strategie in einem gegenseitigen Abstimmungsprozess gemeinsam entwickeln. In unserer Taxonomie stehen die operativen Ziele vor der Strategie, da sie sich direkt aus den Leitzielen der Vision und Mission ableiten. Wie sich eine Strategie entwickeln lässt, wird detaillierter im nächsten Abschnitt vorgestellt.

4.            Die Prozesse

beziehen sich auf Abläufe, Verfahren oder Methoden, die eingeführt, optimiert oder verändert werden müssen, um – unter Zugrundelegung der o. g. Strategien – die selbstgesetzten Ziele und damit die Vision zu erreichen.

Beispiele Prozesse

A.  Bisher erfolgte die Blutabnahme bei den stationären Patienten unserer Klinik immer isoliert als Einzelmaßnahme. Im Rahmen des neuen Screenings wird parallel eine Blutabnahme notwendig. Wir werden beide Prozesse zusammenfassen und der Funktion der MTA zuschreiben. Dies schont unsere Patienten und macht unsere Abläufe effizienter.

B.  Wir kommen schneller zu einem Ergebnis, wenn wir von Methode 123 zum Verfahren ABC wechseln. So können wir das Tempo der Fertigungszeiten im Schnitt um 20 % steigern.

C.  Die Unterschriftsregelung für die Beschaffung von Geräten führt zu langen Wartezeiten. Wir ändern dies im Rahmen der Budgetverantwortung. Wenn innerhalb des »4-Augen-Prinzipes« nur noch die Abteilungsleitung und der Einkauf unterschreiben müssen, können wir im Schnitt zwei Tage Laufzeit einsparen und Führungskräfte und Sachbearbeitungen operativ entlasten.

5.            Die Strukturen

sollten den Prozessen folgen, entsprechend der aus der Architektur stammenden Weisheit: »Structures follows function!« In diesem Bereich der strategischen Planung werden diese Strukturen geklärt und gestaltet.

Beispiele Strukturen

A.  Bislang hatten wir für jeden Einzelbetrieb in unserem Werk eine eigene kleine Werkstatt. Wir haben aber festgestellt, dass einige Prozesse redundant sind und Doppelarbeiten anfallen, anderseits aber die Auslastung oft unzureichend war. Wir haben uns nun entschlossen, eine Zentralwerkstatt für die Modellherstellung zu installieren und werden unsere Organisation entsprechend umstrukturieren.

B.  Wir haben gesehen, dass sich unsere Matrix-Struktur und unser Anspruch auf flexibles Projektmanagement nur schlecht vertragen. Wir werden uns deshalb zukünftig nach einer Projektstruktur ausrichten.

C.  Zurzeit haben wir noch einen Zentralbereich für unser Qualitätsmanagement. Wir werden diesen Bereich dezentralisieren und mit dem Projektmanagement der einzelnen Abteilungen verknüpfen. Dies spart Dokumentationsaufwand und verkürzt die Informations- und Kommunikationswege.

6.            Die Maßnahmen

umfassen alle konkreten Umsetzungen, die sich unmittelbar aus der Unternehmensplanungs-Taxonomie ableiten:

Beispiele Maßnahmen

A.  Um unsere Ziele besser abzustimmen und transparenter zu machen, werden wir im nächsten Jahr das Führungsinstrument der Zielvereinbarungsgespräche einführen.

B.  Zur Optimierung der Information und Dokumentation werden wir bis Ende dieses Jahres ein Software-Programm für unser Projektmanagement etablieren und alle relevanten Mitarbeitende darin einweisen.

C.  Bis Mitte des Jahres stellen wir unser Analyse-System auf das Verfahren ABC um.

Natürlich sollte jede Organisation eine derartig systematisch abgestimmte Strategie entwickeln und aktualisieren. Ebenso wichtig ist es aber auch für jede der untergeordneten Organisationseinheiten, also etwa für die Bereiche oder Abteilungen:

•  (Produkt-)Entwicklung,

•  Kundenbetreuung und Service,

•  Beschaffung und Einkauf,

•  Produktion,

•  Vertrieb,

•  Marketing,

•  Personal,

•  Finanzen u. a. m.

eine solide, abgestimmte und kommunizierte Strategie abzustimmen.

Gefragt sind somit solche Führungskräfte, die strategisch denken und Initiative ergreifen, statt aus der Defensive ausschließlich zu (re-)agieren. Die folgende Tabelle zeigt, worin diese strategischen Kompetenzen bestehen:

Dar. 6: Strategische Kompetenzen

Damit sind Führungskräfte gefordert, zunächst für sich und ihren Bereich, ihre Abteilung oder Arbeitsgruppe ein strategisches Konzept zu entwickeln und dieses mit der nächsthöheren Führungsebene und anschließend mit den Mitarbeitenden abzustimmen.

Vor dem Start: Richtung und Ziel klären

Es scheint, dass eine strategische Planung und deren Kommunikation völlig selbstverständlich und üblich sei. Dies ist aber durchaus nicht immer der Fall.

In ungezählten Führungsworkshops und -trainings fallen regelmäßig Teilnehmende aus der zweiten oder dritten Führungsebene auf, die bei der Diskussion über die Bedeutung der strategischen Planung engagiert zustimmen und direkt anschließend eine solche Planungspyramide auch für ihre Organisation reklamieren. Wohlgemerkt: Dies betrifft TeilnehmerInnen aus öffentlich-rechtlichen oder gemeinnützigen Institutionen ebenso wie solche aus der Wirtschaft oder Industrie. Diese Erfahrung lehrt uns: Es herrscht durchaus Übereinstimmung über die Notwendigkeit einer soliden und transparenten strategischer Planung, aber selbst Führungskräfte haben oft keine genaue Kenntnis der strategischen Planung in ihrer Organisation. Typische Aussagen hierzu sind etwa:

•  »Wo unser Vorstand zurzeit hinwill, können wir nur vermuten.«

•  »Wie genau die strategische Ausrichtung der Geschäftsführung für die beiden nächsten Jahre aussehen soll, ist mir ein Rätsel.«

•  »Wie soll ich als Führungskraft aus dem mittleren Management meinen Mitarbeitenden die Richtung weisen, wenn ich die Marschrichtung der Leitung unseres Hauses selbst nicht kenne?«