Die Entscheidung - Reinhold Haller - E-Book

Die Entscheidung E-Book

Reinhold Haller

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  • Herausgeber: UTB
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Für Hochschulabsolvent:innen und Promovierte gibt es eine Vielzahl spannender beruflicher Perspektiven, die sie nach ihrem Abschluss einschlagen können. Dabei stellt sich immer die Frage: Welche Richtung passt für mich? Beim Beantworten der Frage hilft dieser Roman. Die Protagonistin Amisha stellt alternative Berufswege anhand von realen Beispielen vor. So erfahren die Leser:innen, welche Optionen zur Wahl stehen und welche Anforderungen jeweils gestellt werden. Zahlreiche Tools, Checklisten, Selbstanalysen und Fallbeispiele helfen dabei, gut informiert nachhaltige Entscheidungen abzuleiten. Ein gleichermaßen informativer wie unterhaltsamer Ratgeberroman für Studierende, Promovierende, Post-Docs und alle, die genauer wissen wollen, was Wissenschaft und Forschung als Berufsfeld bedeuten. Folgende Fragen beantwortet der Roman unter anderem: · Soll ich nach meinem Master promovieren? · Was sollte ich mitbringen, wenn die Forschung mein Berufswunsch ist? · Wie tickt der Wissenschaftsbetrieb? · Forschung als Gastspiel oder als Dauerperspektive? · Vom Studium zur Professur – wie funktioniert das? · Was sind meine Chancen und Alternativen als PostDoc? · Alles erreicht, aber unzufrieden: Was kann ich tun? · Ich will wieder raus aus der Wissenschaft, frage mich nur wohin. · Was ist eigentlich Coaching und was passiert da – speziell im Wissenschaftsbetrieb? · Warum gibt es den Hashtag #IchBinHanna? · Wieso ist das Berliner Dorf Dahlem so interessant für die Geschichte der Wissenschaft? utb+: Ergänzend zum Buch erhalten Leser:innen die im Buch beschriebenen Tools und Checklisten zum Download. Diese sind bei der Analyse und der Vorbereitung von Eignungserwägungen und Entscheidungen im beruflichen Kontext nützlich. Erhältlich über utb.de.

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Seitenzahl: 277

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Reinhold Haller

Die Entscheidung

Ein Ratgeberroman über akademische Berufswege

UVK Verlag · München

Umschlagabbildung: © Mananya Kaewthawee – iStock

Autorenfoto: privat

 

© UVK Verlag 2022— ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich.

 

Internet: www.narr.deeMail: [email protected]

 

ISBN 978-3-8252-5805-4 (Print)

ISBN 978-3-8463-5805-4 (ePub)

Inhalt

VorwortAmishaLeos Sicht der Wissenschaft als BerufsfeldLeos zehn Gebote für angehende Wissenschaftler:innenQuo vadis: Promotion oder Desertation?Arbeit für die Wissenschaft oder in der Forschung?Amishas Plan zur Entdeckung der WissenschaftKevin: Doch nicht allein zu HausSarah: Im Dschungel der WissenschaftExkursion in die deutsche WissenschaftsgeschichteTimo & #Hanna: Sie liebt mich – sie liebt mich nichtViktoria: Sie will mehr als ihr MeerMarius: Ohne Gerangel gute Perspektiven in AussichtExkursion auf den Jahrmarkt der SelbsterkenntnisTobias: Der Professor auf dem Mount EverestExkursion zum Weg auf eine ProfessurLisa: Konflikte vermeiden durch klare ErwartungenLeos Verständnis von CoachingAmishas ErkenntnisseDie EntscheidungDanksagungAmishas kleine ToolboxBegriffserklärungenLiteraturempfehlungenHilfreiche InternetseitenIndexÜber den AutorDr. phil. Reinhold HallerWeitere Publikationen des AutorsKontakt

Vorwort

Jahr für Jahr steigen viele junge Menschen nach ihrem Studium voller Erwartungen und Enthusiasmus mit eigenen Ideen und herausfordernden Visionen in unser Wissenschaftssystem ein. Allein in Deutschland, Österreich und der Schweiz stehen so aktuell allein etwa 230.000 junge Menschen in einem Promotionsverfahren beziehungsweise einem Doktoratsstudium. Viele weitere ziehen diesen Schritt gerade in Erwägung und andere junge Wissenschaftler:innen arbeiten nach ihrer erfolgreichen Promotion als aufstrebende PostDocs in Wissenschaft und Forschung.

Es ist gut, dass so viele junge Menschen an einer beruflichen Zukunft im Wissenschaftsumfeld interessiert sind. Schließlich braucht die Forschung in Europa und der Welt den beständigen Nachwuchs von klugen, mutigen, begeisterungsfähigen und wissensdurstigen Frauen und Männern.

Wenn diese jungen Talente nach ihrem Eintritt den Wissenschaftsbetrieb zunehmend näher kennenlernen, erkennen sie jedoch neben den verlockenden Aussichten und Chancen zunehmend ebenso die speziellen Bedingungen, Hürden, Herausforderungen sowie die möglichen Risiken einer Berufswahl im Wissenschaftsbereich.

So verwundert es Insider kaum, dass in einer 2019 durchgeführten Befragung von Doktorand:innen aus der Leibniz-Gemeinschaft vier von zehn der Befragten aus unterschiedlichen Gründen angaben, aktuell oder zwischenzeitig an einen Abbruch ihrer Promotion gedacht zu haben. In anderen Forschungsverbünden oder -institutionen dürfte dies vermutlich kaum anders sein.

Alle jene, die nach ihrer Promotion in der Wissenschaft verbleiben, müssen sich schließlich irgendwann vergegenwärtigen, dass über 80 Prozent der sogenannten PostDoc-Stellen zeitlich befristet sind. Eine solide und verlässliche Berufsperspektive ist damit – anders als in anderen Berufszweigen – für die meisten Aspirant:innen kaum möglich.

Dennoch: Menschen, die wissen, was sie im Wissenschaftsbetrieb erwartet und die ihre Potenziale und Aussichten realistisch einschätzen, haben im Forschungsumfeld durchaus die Möglichkeit, sich zu entwickeln, zu entfalten und nachhaltig erfolgreich zu werden. Für sehr viele andere bietet sich nach einem „Gastspiel“ in der Forschung zudem die Option, außerhalb des Wissenschaftsbetriebs ihr Glück zu finden; sei es in der Wirtschaft, Industrie sowie in der Freiberuflichkeit. Oder aber sie entscheiden sich, ihre Talente und Fähigkeiten im vielfältigen Bereich des Wissenschaftsmanagements einzusetzen.

Wohin die Reise auch immer gehen mag: Wichtig ist in jedem Fall, sich auf den Wissenschaftsbetrieb richtig einzustellen. Um eine Metapher zu bemühen: Wer in ein fernes, fremdes Land reisen möchte, ist gut beraten, sich vor Antritt der Reise mit den Sitten, Gebräuchen, Regeln, Gesetzen und speziell mit den Gefahren des jeweiligen Gastlandes auseinanderzusetzen. Das gilt besonders dann, wenn man in Erwägung zieht, in diesem Land möglicherweise sesshaft zu werden.

Nichts anderes kann man alle jenen empfehlen, die nach ihrem Masterstudium mit einem zunächst temporären oder dauerhaften Aufenthalt im Bereich Wissenschaft und Forschung liebäugeln. Ein umfängliches Wissen über das, was einen an seinem Zielort erwartet, schützt vor überhöhten Ansprüchen, Enttäuschungen und Stolperfallen.

Dieses Buch möchte deshalb einerseits Werbung machen für eine temporäre und im Erfolgsfall andauernde Tätigkeit in Wissenschaft und Forschung. Andererseits soll es ebenso aufzeigen, mit welchen „Nebenwirkungen“, Herausforderungen und Begleitumständen der Aufenthalt oder die Karriere im Forschungsumfeld verbunden sein kann.

Aufschlussreich sein dürften diese Ausführungen ebenso für Angehörige von Menschen, die bereits in den verschiedenen Positionen im Wissenschaftsumfeld arbeiten oder zukünftig arbeiten wollen. Die Schilderungen in diesem Roman könnten ihnen helfen zu verstehen, was diesen spannenden und faszinierenden Berufszweig auszeichnet und mitunter so speziell macht.

Nach über 30 Jahren der Arbeit im und für den Wissenschaftsbetrieb war es mir ein Bedürfnis, meine Erfahrungen einem breiteren Publikum darzulegen. In all diesen Jahren ist mir das Tätigkeitsfeld Wissenschaft und Forschung nicht nur vertraut geworden. Nach wie vor bin ich fasziniert von der Innovationskraft, Kreativität, Zukunftsorientierung und dem fassettenreichen Bemühen der Wissenschaftler:innen, sich mit neuen Erkenntnissen einzusetzen für eine nachhaltige Umwelt, die Gesundheit der Bevölkerung, die Biodiversität unseres Planeten oder andere wichtige Aspekte, Fragen und Ziele der Menschheit.

Bei aller Faszination und Achtung vor der „Community“ der Forscher:innen, Wissenschaftler:innen und deren Institutionen erlebte ich als Spross des Wissenschaftssystems, als aufmerksamer Beobachter und als Berater und Coach darüber hinaus aber durchaus einige systemimmanente Probleme, die spezifischen Tücken, Widersprüche sowie die Hindernisse und Fallstricke, die jedem System innewohnen – auch dem der Wissenschaft.

Typische solcher Herausforderungen werden in diesem Roman durch verschiedene Protagonisten dargestellt. Dabei sind diese Personen – wie es sich für einen Roman gehört – fiktiv und frei erfunden. Die Lebensläufe der hier beschriebenen Fallbeispiele sind also sämtlich konstruiert; wenn auch in durchaus realen Szenarien und Kontexten. Vermutete Ähnlichkeiten der hier dargestellten Figuren mit realen oder gar lebenden Menschen wären dennoch durch die Konstruiertheit der Hintergründe, Namen, der lokalen Schauplätze und Biographien absolut zufällig und nicht beabsichtigt.

Die Situationen, Gedanken, Schilderungen und Schlussfolgerungen der hier präsentierten Wissenschaftler:innen sind dennoch durchaus idealtypisch und mit den beschriebenen Themen und Bezügen in Beratungs- und Coachingsituationen im Forschungsumfeld häufiger anzutreffen.

Diese Ausführungen wurden erzählerisch strukturiert und damit als Roman gestaltet. Der Anspruch liegt dabei nicht etwa darin, ein literarisches Meisterwerk zu schaffen, das Eingang finden soll in die Sphären der Weltliteratur. Ebenso wenig ist diese Abhandlung gedacht als Trivialroman oder Heldenepos, die üblicherweise etwa mit einem Nobelpreis enden würden oder mit der erfolgreichen Rettung der Welt.

In Abgrenzung zu einem reinen Sachbuch wurde mit diesem Format vielmehr eine unterhaltsame und lebendigere Form gewählt. Mit der Darstellung von Dialogen zwischen wirklichkeits- und lebensnahen Personen sollen die beschriebenen Hintergründe, Lebensläufe und Einblicke so lebendig, anschaulich und realitätsnah erscheinen, wie sie es im wahren Leben tatsächlich sind.

Ich wünsche mir, dass dieser als kurzweilige Erzählung konzipierte Ratgeber trotz der beschriebenen Rahmenbedingungen in diesem Berufsfeld vielen Menschen Mut macht für den Eintritt in die spannende Welt von Wissenschaft und Forschung.

All jenen, die bereits Teil des Wissenschaftssystems geworden sind, soll er eine Hilfe sein, die persönlich bestmöglich passende Rolle und Aufgabe in der akademischen Berufswelt zu finden.

Bei der Teilhabe an Amishas Entdeckungen, ihren Fragen, Hypothesen, ihrer Erkenntnisgewinnung und ihrer finalen Entscheidungsfindung wünsche ich allen Leser:innen eine ebenso kurzweilige wie informative Lektüre.

 

Berlin, im Frühjahr 2022    Reinhold Haller

Amisha

Amisha Borchert saß auf einer Bank in einem etwas abgelegenen Bereich des Waldfriedhofes Dahlem am südwestlichen Stadtrand Berlins. Es war Mitte Mai und der Friedhof prahlte mit sattem Grün der zahlreichen Bäume und Sträucher. Die Anlage wirkte durch ihren alten Baumbestand eher wie ein weitläufiger Park. An diesem sonnigen Tag spendeten hier die hohen Fichten und Kiefern den bereits zur Mittgaszeit willkommenen Schatten.

Amisha zog es immer wieder hierher, wenn sie etwas zu überdenken hatte und einen Ort der Ruhe und Entspannung brauchte. Hier gab es keinen Andrang, Verkehr oder Lärm. Am Rand des Parks vernahm man nur Vogelgezwitscher, einige wenige, mit Gießkannen und kleine Harken ausgestattete Besucher und nur ein wenig Hintergrundrauschen der abseits liegenden Clayallee. Genau das mochte Amisha grundsätzlich an Berlin: Die Vielzahl und den Facettenreichtum der vielen kleinen und größeren grünen Inseln und Oasen mitten in dieser vielerorts wuseligen und meist rastlosen Stadt.

Anders als viele andere Menschen fand Amisha Friedhöfe dieser Art weder unheimlich noch makaber. Dass hier lauter zu Lebzeiten vermeintlich unverzichtbare Menschen ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten, störte sie nicht. Und schließlich störten umgekehrt die Bewohner dieser Nekropole sie selbst in keiner Weise – im Gegenteil. Sie teilte sich ihren vorübergehenden Zufluchtsort immerhin mit einigen prominenten Literat:innen, Politiker:innen und Wissenschaftler:innen, deren Wirken oder Werke sie mitunter sogar kannte und deren Andenken sie schätzte. Warum also sollte sie diese Umgebung als störend empfinden? Ein Friedhof war schließlich, nicht nur dem Namen nach, ein Hort des Friedens und der Ruhe. Hier fand sich vielmehr eine wohltuende Atmosphäre und Stimmung; insbesondere für Menschen wie Amisha, die seit fünf Jahren mit ihrem Freund Sinan im turbulenten und lärmenden Stadtteil Kreuzberg lebte.

Amisha war die Tochter der aus Indien stammenden Übersetzerin Saira und dem deutschen Anästhesisten Ben Borchert, der vor Amishas Geburt bei der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen für zwei Jahre in Rajasthan tätig war. Dort hatten sich ihre Eltern kennengelernt und nach einer kurzen Etappe im Ruhrgebiet hatte das Paar ein Jahr vor dem Fall der Mauer in Berlin seine neue Heimat gefunden. Mit ihrem jüngeren Bruder Niko und der gleichfalls jüngeren Schwester Rojana wuchs Amisha im beschaulichen Berliner Ortsteil Friedenau auf.

Nach dem Abitur und einem Freiwilligen Sozialen Jahr studierte Amisha an der Technischen Universität Berlin Medienwissenschaft. Seit Kurzem war sie nun mit ihrem Master of Arts, nahezu zeitgleich mit ihrem 24. Geburtstag, frischgebackene und stolze Hochschulabsolventin.

Da sie als Gasthörerin an einigen Veranstaltungen unterschiedlicher Institute der Freien Universität Berlin teilgenommen hatte, kannte sie den Stadtbezirk Dahlem und damit ihren aktuellen Aufenthaltsort recht gut. Immerhin war das ruhige Dahlem nicht nur ein historischer Berliner Wissenschaftsstandort, sondern seit der Nachkriegszeit der zerstreute und weitläufige Campus der Freien Universität Berlin. Zudem ist Dahlem der Gründungsort der im Forschungsumfeld weltweit renommierten Max-Planck-Gesellschaft mit den ursprünglichen Wohngebäuden und Wirkungsstätten zahlreicher Nobelpreisträger.

So ist dieser ursprünglich ländliche Ort durchzogen von historischen und neueren Instituts-, Lehr- und Verwaltungsgebäuden, Mensen, Bibliotheken und den zahlreichen, bereits vor etwa einhundert Jahren angelegten kleinen Parks und Grünflächen. Dahlem war für Amisha zudem ein guter Ausgangspunkt, um auf dem Weg zum Parkfriedhof mit dem Fahrrad bei ihren Eltern im nahegelegenen Friedau einen kurzen Stopp einzulegen, um sich dort als Proviant ihre kleine Thermosflasche mit frischem Kaffee zu füllen.

Für Amisha stellte sich aktuell die Frage, was sie mit dem erfolgreichen Abschluss ihrer universitären Ausbildung nun anfangen wollte. Genau diese Frage hatte sie, ausgestattet mit ihrem Notizbuch, einem Stück Nusskuchen und ihrer kleinen Thermosflasche voller Milchkaffee zu ihrer Parkbank auf dem Waldfriedhof Dahlem verschlagen. Heute wollte Amisha noch einmal systematisch und konzentriert darüber nachdenken, wie sie ihre nähere berufliche Entwicklung gestalten wollte.

Ihr Studium hatte ihr viel Freude bereitet und die Zeit wie im Fluge vergehen lassen. Der Lernstoff im Bereich Medienwissenschaft war interessant und relevant, mit vielen praktischen Bezügen und Übungen angereichert und ihre Dozent:innen und Hochschullehrer:innen hatte sie mehrheitlich als sehr inspirierend empfunden.

Nach einem studienbegleitenden Praktikum hatte sie sich im Wahlpflichtbereich auf das Thema Wissenschaftskommunikation spezialisiert. Hier konnte sie sich dafür begeistern zu lernen, wie es gelingen kann, Fragestellungen, Hypothesen, Erkenntnisse und Methoden der modernen Wissenschaft interessant und verständlich einem größeren Anteil der Bevölkerung näherzubringen.

Zudem hatte Amisha innerhalb und außerhalb ihres Studiums einige Wissenschaftsjournalist:innen und -moderator:innen kennengelernt. Dazu gehörten etwa Ranga Yogeshwar, Harald Lesch und die mit ihren Sendungen und ihrem Blog in den letzten Jahren kometenhaft aufgestiegene Mai Thi Nguyen-Kim.

Wie andere Vertreter:innen dieses Berufszweiges hatten diese Galionsfiguren des Faches Wissenschaftskommunikation selbst erfolgreich in verschiedenen Bereichen der Naturwissenschaften studiert und promoviert. Irgendwann später hatten sie dann ihre außergewöhnliche Begabung entdeckt, komplizierte Details, komplexe Bezüge oder scheinbar trockene Fakten und Zahlenwerke derartig interessant, lehrreich und so kurzweilig zu präsentieren, dass ihre Zuschauer:innen gefesselt und bereichert zurückblieben.

Amisha wusste, dass dieses Talent der Kommunikation und Wissensvermittlung nicht allen Vertretern der wissenschaftlichen Gemeinschaft gegeben war. Genau deshalb hatten die meisten wissenschaftlichen Institutionen schließlich eine eigene Abteilung oder Stabstelle Kommunikation, die mit der Aufgabe betraut war, trockene Daten in verständliches oder gar faszinierendes Wissen zu verwandeln. Amisha konnte sich sehr gut vorstellen, genau dies zukünftig später einmal in verantwortlicher Position zu tun.

Andererseits hatte sie sich im Studium unter anderem mit großem Interesse der Journalistik verschrieben, also den wissenschaftlichen Aspekten des Journalismus. Ihrer empirischen Bachelorarbeit hatte sich Amisha mit Fleiß und Eifer gewidmet und als Ergebnis ein glattes „sehr gut“ eingeheimst. Das Thema ihrer Arbeit lautete: „Der Stellenwert von ‚Fake News‘ in der deutschen Online-Berichterstattung. Eine vergleichende Analyse“.

Bei der Arbeit hieran spürte sie, dass sie nicht nur die praktischen journalistischen Tätigkeiten reizten, sondern ebenso die theoretischen und wissenschaftlichen Aspekte der wissenschaftlichen Journalistik. Der betreuende Hochschullehrer ihrer Masterarbeit hatte ihr Talent gesehen und insofern gewürdigt, als dass er ihr nach ihrer Masterarbeit eine Doktorand:innenstelle am Institut für Sprache und Kommunikation anbot. Hier könne sie – so sein Versprechen – forschen, promovieren, Forschungsmittel einwerben, publizieren und später selbst vielleicht einmal im wissenschaftlichen Umfeld ihre berufliche Heimat und Zukunft finden.

Wofür sollte sie sich nun entscheiden?

Zu allem Überfluss gab es da noch eine weitere Alternative: Onkel Leo. Ihr Patenonkel war für sie eine zusätzlich Inspirationsquelle. Er war als Berater, Trainer und Coach freiberuflich tätig und hatte seinen Tätigkeitsschwerpunkt seit vielen Jahren auf das wissenschaftliche Umfeld konzentriert.

Leo führte seine Geschäfte von seinem Wohnsitz aus. In einer ruhigen, grünen Seitenstraße unweit des Wohnortes ihrer Eltern hatte er einen Teil seiner Altbauwohnung als Besprechungs- und Beratungsraum eingerichtet. Von hier aus organisierte er Beratungen, Coachings, Vorträge, Workshops und Trainings und war seit mehr als 20 Jahren als Freiberufler sein eigener Herr.

In vielen Gesprächen, auf Familientreffen sowie durch die Lektüre seiner Publikationen und der Analyse seiner Medienauftritte hatte sich Amisha ein Bild gemacht vom Arbeitsgebiet ihres Onkels. Sie empfand eine derartige Position und Tätigkeit als sehr interessant und attraktiv. Schließlich gab es im Wirkungsbereich ihres Onkelns viele Überschneidungen mit den ihr vertrauten Themenfeldern wie Kommunikation, Erkenntnisgewinnung und -vermittlung, Orientierungshilfe, Erweiterung des Wissens und der Bewusstwerdung mitunter verdeckter Zusammenhänge. Dies und anderes mehr erschien ihr als die andere Seite der Medaille, die sie in ihrer Studien- und Praktikumszeit im Umfeld des großen Bereichs Kommunikationswissenschaften erlebt hatte.

Eine Weiterbildung im Bereich Coaching oder Mediation, so meinte Amisha, würde ihr Wissen und ihre Fähigkeiten wunderbar abrunden. Schließlich ging es in diesen Disziplinen, wie auch in ihrem vertrauten Fachgebiet, um Kommunikation, Moderation und die Kunst der Veranschaulichung, also die herausfordernde Aufgabe, scheinbar Komplexes und Kompliziertes verständlich werden zu lassen.

Amisha nahm Stift und Notiztext und notierte auf der ersten freien Seite:

Meine Berufswünsche/-optionen:

Arbeit als (Wissenschafts-)Journalistin in der Medienlanschaft

Arbeit als Wissenschaftlerin in der Wissenschaft (Journalistik)

Weiterbildung-/Aufbaustudium zu den Themen Beratung, Coaching und Mediation.

Gedankenverloren markierte sie hinter jeder ihrer Optionen mehrere Fragezeichen und schaute ein wenig entrückt auf ein Wildtaubenpaar, das in einiger Entfernung in einem Baum mit dem Nestbau begonnen hatte.

Leos Sicht der Wissenschaft als Berufsfeld

Zu Leo Borchert, ihrem Onkel, pflegte Amisha eine enge und vertraute Beziehung. Auch ohne Taufe oder andere religiöse Rituale galt Leo nach familiärer Übereinkunft seit ihrer Geburt als ihr Patenonkel. Eine Aufgabe, der er gerne und mit echtem Engagement nachkam.

Neben den Gesprächen mit ihren Eltern und Freunden suchte Amisha bei vielen Fragen immer wieder den Rat ihres Onkels. Obwohl er geizig war mit voreiligen Ratschlägen, so war er doch ein verlässlicher und guter Zuhörer, der vertiefende und zum Nachdenken anregende Fragen stellte oder ihr einfach zu einigen ihrer Anliegen seine Wahrnehmung spiegelte.

Bei ausdrücklich erbetenen Ratschlägen verhielt er sich dagegen eher zurückhaltend und meinte dazu lapidar: „Manche Ratschläge sind mitunter wie Schläge. Aber ich bin kein Schlägertyp!“

Wenn es aber um sehr konkrete, lebenspraktische Dinge ging, dann hatte er durchaus hin und wieder einen guten Rat, eine Empfehlung oder einen Tipp parat. Gerade diese unaufdringliche, zurückhaltende Art schätzte Amisha an ihrem Onkel.

Nach elf Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Doktorand und PostDoc in der Erziehungswissenschaft hatte er einige Jahre als Leiter des Bereiches Personal- und Organisationsentwicklung in einem großen deutschen Forschungszentrum gearbeitet. Ausgestattet mit diesem Erfahrungsschatz und einem entsprechenden Netzwerk machte er sich später selbstständig. Auf Grundlage einer Weiterbildung als systemischer Organisationsberater und seinen Erfahrungen im Wissenschaftssystem bot er seine Dienste als Personalentwickler, Trainer, als Coach für Teams und Einzelpersonen und als Konfliktmoderator vorwiegend wissenschaftlichen Einrichtungen an.

Als solcher lernte er über viele Jahre zahlreiche Universitäten und außeruniversitäre Forschungsinstitute kennen. Seine Klientel bestand aus allen Zielgruppen dieser Organisationen, etwa administrative und technische Fachkräfte, vor allem jedoch aus wissenschaftlichem Personal aller Hierarchiestufen. Insofern war Leo für Amisha immer ein erfahrener Ansprechpartner, gerade wenn es um akademische Fragen ging oder die berufliche Entwicklung innerhalb und außerhalb der Wissenschaft.

Vor einiger Zeit drehte sich auf einem Familientreffen das Gespräch um das Thema Wissenschaft und Forschung als Berufsfeld. Schließlich hatten alle Anwesenden eine akademische Ausbildung genossen oder sie standen mittendrin: Amishas Eltern und ihr Onkel Leo, ihr jüngerer Bruder Niko, der Betriebswirtschaft studierte, ihre jüngere Schwester Rojana, die vor Kurzem ihr Germanistikstudium begonnen hatte, und Amishas Freund Sinan, der gerade eine Doktorandenstelle an einem Institut für experimentelle Physik angetreten hatte.

Nachdem die Anwesenden einige der guten und weniger erbaulichen Erfahrungen in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen und Einrichtungen ausgetauscht hatten, meinte Leo: „Der Bereich Wissenschaft und Forschung ist meiner Meinung nach einer der interessantesten und vielseitigsten Berufszweige, die man sich denken kann. Das gilt zumindest für alle die Menschen, die sich für Natur und Technik, Gesundheits-, Lebens-, Geistes- oder Sozialwissenschaften interessieren, oder – wie Niko etwa – für die Wirtschaftswirtschaft. Das gleiche gilt für all jene, die forschungsrelevante und wissenschaftsorientierte Kompetenzen erlangen wollen im Bereich der Rechtswissenschaft, der Philosophie oder etwa in kulturwissenschaftlichen Fachbereichen.

Schließlich sind die Universitäten nicht nur die ältesten, sondern gleichermaßen die gründlichsten und anspruchsvollsten Lehr- und Bildungseinrichtungen der Welt. Das Gleiche gilt heute natürlich für viele außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, welche diese Tradition außerhalb der Universitäten ergänzen.

In der Tat begegnen einem in der Wissenschaft oftmals hochintelligente, smarte und nicht nur begabte, sondern nicht selten wirklich begnadete Menschen. Sie stellen extrem kluge Fragen, entwickeln vielversprechende Hypothesen, erschaffen raffinierte Methoden, analysieren ihre Daten und Beobachtungen exakt und nachvollziehbar, sie publizieren brillante Erkenntnisse und schaffen Großartiges und Neues. Wenn du diese Merkmale bei wissenschaftlich tätigen Menschen feststellst, sagst du ‚Chapeau!‘ und verneigst dich ehrfürchtig im Stillen. Und als Steuerzahler stellst du fest, dass deine ungeliebten und dir hartnäckig abgerungenen Steuerabgaben in solchen Forschungsdisziplinen doch wirklich gut und nachhaltig aufgehoben sind.

Auch aus diesem Grund habe ich nach meinem erziehungswissenschaftlichen Studium ausschließlich im wissenschaftlichen Umfeld gearbeitet und ich bereue dies nicht. Im Gegenteil: Würde eine höhere Macht oder mein Schicksal bestimmen, dass ich noch einmal geboren werde, dann würde ich diese Entscheidung ohne Zögern wieder treffen. Und nebenbei gesagt: Ich kenne viele, die dies ähnlich sehen wie ich.

Eine gute akademische Ausbildung an einer Hochschule ist schließlich der erste Schritt für junge Menschen in diesen Bereich. Nach dem Studium stellt sich dann die Frage, ob man sich dort weiterqualifizieren möchte oder den Abzweig nehmen will in einem Beruf außerhalb von Wissenschaft und Forschung. Andererseits kann ein längerer oder gar dauernder Verbleib im Wissenschaftsumfeld eine wirklich attraktive Option sein. Insofern ist ja nicht verwunderlich, dass Sinan diesen Schritt mit seiner Promotionsstelle gerade gemacht hat und dass Amisha aktuell darüber intensiv nachdenkt.

Bei allen Entscheidungen und gerade bei beruflichen Optionen sollte man aber im Vorfeld recht gut überlegen, worauf man sich mit seiner Entscheidung einlässt. Nach meiner Erfahrung gibt es kein Paradies auf Erden, weder im Wissenschaftsumfeld noch außerhalb. Und so hat jedes System seine Licht- und Schattenseiten. Speziell im Wissenschaftsbereich sind oftmals, wie in anderen Branchen und Arbeitsgebieten, Licht und Schatten, Schein und Sein nicht weit voneinander entfernt.“

„Du bist mal wieder sehr allgemein und abstrakt unterwegs!“, meinte Ben, Leos Bruder. „Was genau ist denn in der Wissenschaft so speziell, ambivalent und widersprüchlich? Kannst du das nicht mal kurz und prägnant zusammenfassen?“

„Kurz zusammenfassen ist leicht gefordert“, entgegnete Leo. „Es wäre um ein Vielfaches einfacher, gleich ein ganzes Buch darüber zu schreiben. Ich bin sicher, es würde recht umfänglich.“ Leo seufzte. „Aber lass es mich einmal versuchen. Ich werde mein Bestes geben, es einigermaßen schlüssig und erschöpfend, wenn auch schlagwortartig, zusammenzufassen.“ Er hielt eine Hand auf Schulterhöhe und begann mit der anderen, seine Finger abzuzählen:

„Erstens, und das ist wirklich sehr wissenschaftsspezifisch: Es gibt wohl mit Ausnahme des Sports keinen Bereich, der so kompetitiv, also derartig wettbewerbsorientiert ist, wie der Wissenschaftsbetrieb. Die Ursache dafür liegt darin, dass die Universitäten ebenso wie die Forschungsinstitutionen der deutschen Forschungsverbünde laut Auftrag und entsprechend ihrer Mission sozusagen bildungsorientierte ‚Durchlauferhitzer‘ sind.

Viele Insider hören den doch sehr technischen Begriff Durchlauferhitzer nicht gerne. Aber nüchtern betrachtet ist es so: Die Beschäftigten kommen und verweilen als Student:innen, Praktikant:innen, später dann als Bachelor- oder Masterabsolvent:innen, als Promovierende oder nach ihrer Dissertation als sogenannte PostDocs im Wissenschaftsbetrieb. So in etwa gestaffelt steigen die Studienabsolvent:innen also auf und qualifizieren sich weiter, vielleicht sogar bis hin zu einer Professur. Der akademische Durchlauferhitzer sorgt also für die bildungsbezogene Aufladung der fachlichen Qualifikation und Potenziale.

Nun will aber nicht jeder Mensch, der in dieses System eintritt, dort verbleiben. Viele machen ihren Abschluss oder ihre Promotion nicht, um in der Forschung zu verweilen, sondern um mit ihrem akademischen Abschluss oder Titel in die Wirtschaft, die Verwaltung, die Politik oder in die Freiberuflichkeit zu wechseln und dann dort erfolgreich ihre Brötchen zu verdienen. Auch dort braucht es schließlich wissenschaftlich gut ausgebildete Fachkräfte.

Dem Prinzip eines Durchlaufsystems folgend muss die Menge der einströmenden Materie wieder hinaus, weil das System ansonsten nicht funktioniert. Passiert das nicht, drohen physikalisch gesehen Überhitzung und Überdruck.

Natürlich braucht das Wissenschaftssystem Nachwuchs.Anforderungen an Nachwuchskräfte Es benötigt Ersatz für ausscheidende Fachkräfte, Expert:innen für neue Forschungsthemen und -aufgaben oder frische Talente mit neuen Ideen und dem nötigen Ehrgeiz. Sie sollen zu wissenschaftlichen Erkenntnissen beitragen und sich durch ihre Arbeitsergebnisse und damit verbundene Publikationen oder andere Auszeichnungen wissenschaftlich hervortun und qualifizieren.

Wenn man sich die entsprechenden öffentlich zugänglichen Statistiken anschaut, kann man feststellen, dass letztlich nur für knapp 20 Prozent der Menschen, die in das Wissenschaftssystem eintreten, auf Dauer Platz bleibt. Ergo: 80 Prozent müssen sich nach einer gewissen Zeit nach anderen Tätigkeitsfeldern umsehen, unabhängig davon, ob sie lieber bleiben wollen oder nicht.

Genau aus diesem Grund gibt es ein spezielles Arbeitsmarktinstrument für den Wissenschaftsbereich. In Deutschland trägt es den sperrigen Namen ‚WissenschaftszeitvertragsgesetzWissenschaftszeitvertragsgesetz‘. Das Äquivalent dazu gibt es im Rahmen des UniversitätsgesetzesUniversitätsgesetz (Österreich) ebenfalls in Österreich und in der Schweiz gelten ähnliche Restriktionen. Die dafür geschaffenen gesetzlichen Grundlagen sind recht komplex und verändern sich stetig.

Um es kurz zu machen und nicht auf die zahlreichen Ausnahmen und Sonderregelungen einzugehen – diese Vorschriften besagen Folgendes: Wissenschaftliche Beschäftigte, egal ob einfache wissenschaftliche Fachkraft, Doktorand:in oder PostDoc, dürfen über verschiedene Einzeltätigkeiten und die damit verbundenen Arbeitsverträge in Deutschland zusammengerechnet nicht länger als maximal zwölf Jahre zeitlich befristet beschäftigt werden. Speziell für den medizinischen Bereich gelten 15 Jahre, weil hier das Studium bis zur Approbation längere Zeit in Anspruch nimmt.

Mit anderen Worten: Ist die Maximalzeit ausgeschöpft, muss die Forschungsorganisation den betroffenen Beschäftigten entweder eine DauerstelleDauerstelle anbieten oder die Betroffenen müssen sich deshalb sechs Jahre nach der Promotion beziehungsweise neun Jahre nach der Dissertation in einem medizinischen Fachgebiet eine anderweitige Beschäftigung außerhalb des Wissenschaftsbetriebes suchen. Das gilt selbst dann, wenn sie lieber im Wissenschaftsbereich bleiben wollen.

Das bedeutet, dass alle, die als unbefristete Beschäftigte oder gar als verantwortliche Gruppen- beziehungsweise Abteilungsleiter oder im sicheren Wissenschaftsolymp als Professor oder Professorin in der Wissenschaft verbleiben wollen, einem sehr sportlichen Wettbewerb ausgesetzt sind. Im Götterhimmel der Wissenschaft, in der Professorenschaft, bedeutet dies, dass nicht selten auf eine ausgeschriebene Stelle zehn, 20 oder 30 Bewerbungen eingehen. Bei richtig guten vergleichbaren Positionen ist es nicht viel anders.“

„Mon dieu!“, seufzte Amishas Mutter Saira. „Das klingt ja alles nicht sehr viel anders als die Verhältnisse im Wissenschaftssystem meiner Heimat Indien. Ich glaube, ich brauche jetzt erst einmal ein Glas Wein. Möchte jemand sonst noch Wein, Tee, ein Bier oder Wasser?“

Nachdem alle mit Getränken, Häppchen und Gebäck versorgt waren, drängten die Anwesenden Leo seine Sicht auf die Bedingungen im Wissenschaftsbereich fortzusetzen.

„Der zweite Punkt ist verbunden mit dem ersten, dem genannten Wetteifer. Es geht dabei um das beständige Messen und Vergleichen, das mit jedem Wettbewerb einhergeht.

Früher, als in den 1970er- und 1980er-Jahren überall verhältnismäßig viele Steuermittel im politischen System vorhanden waren oder einfach auf Pump hineingesteckt wurde, reichte es, irgendwie ein guter Wissenschaftler zu sein oder für einen solchen gehalten zu werden. Mit zunehmender Knappheit der Stellen und Mittel stieg jedoch beständig der Druck des Wettbewerbes.

Nun reichte es nicht mehr, gut zu sein, sondern man hatte mindestens als exzellent zu gelten. Aus dem Lateinischen kommend bedeutet ExzellenzExzellenz bekanntlich nichts anderes, als überdurchschnittlich gut zu sein. Also musste man zum Aufstieg oder Verbleib in der Wissenschaft überdurchschnittliche Leistung nachweisen. Und da Klugheit, Brillanz oder die Wahrscheinlichkeit der Erlangung eines Nobelpreises schlecht messbar sind, einigte man sich auf etwas profanere Kriterien.

Jetzt hieß es, sich im Wettbewerb zu behaupten durch die Anzahl der Publikationen oder die Häufigkeit der Zitierung dieser Veröffentlichungen, der erfolgreichen Einwerbung von Forschungsmitteln, der Anzahl der Ehrungen, Preise oder Einladungen zu wichtigen Tagungen oder Kongressen und ähnliche solcher Wettbewerbskriterien.

Als dann der Begriff Exzellenz etwas zu abgegriffen erschien, ersetzte man ihn durch den Qualitätsanspruch outstanding. Semantisch ist das zwar das gleiche wie exzellent, klingt aber irgendwie moderner und internationaler.

Durch diesen Anspruch waren Wissenschaftler:innen und deren Organisationen mit erheblichem Aufwand damit zugange, sich selbst und anderen die notwendige Exzellenz zu bescheinigen. In der Folge gab es faktisch nur noch durchschnittliche gute oder eben exzellente Institutionen, wobei erstere langsam und diskret abgewickelt oder zumindest geschrumpft wurden. Die restlichen Institutionen – geschätzt etwa 85 Prozent der Einrichtungen – erhielten hingegen in Gänze oder teilweise den Exzellenz- oder Outstanding-Status.

Um diesem inflationär gewordenen Bewertungssystem etwas entgegenzusetzen, einigte man sich erneut auf den neuen Qualifikationsstatus unique, also einzigartig. Wer heute eine wirklich abgesicherte Existenzberechtigung erreichen will, muss also irgendwie nahezu einzigartig sein. Wodurch und womit auch immer; ein jeder auf seine Art.

Derlei Behauptungs- und Verdrängungswettbewerb ist im wissenschaftlichen Bereich aber wahrlich nicht neu. Dazu ein kleiner Ausflug in die Geschichte: Um an einer Universität eine Lehrbefugnis zu erhalten, also praktisch Professor:in zu werden, reichte früher, je nach Fachgebiet und Fakultät, der akademische Abschluss als Magister oder Doktor. Letzteres heißt ja bekanntlich auf gut Deutsch nicht mehr als ‚der oder die Gebildete‘.

Erst im napoleonischen Zeitalter setzte sich die HabilitationHabilitation durch; sozusagen als zweite akademische Hürde. Dies geschah vor allem deshalb, weil es schlicht viel mehr Magister oder Doktoren gab, als für den Lehr- und Wissenschaftsbetrieb nötig – und erst recht, um die raren Spitzenämter zu besetzten. Jetzt brauchte man also als zusätzliche Befähigung eine Habilitation, um die sogenannte Venia LegendiVenia Legendi beziehungsweise in Österreich oder der Schweiz die Venia DocendiVenia Docendi zu erlangen. Erst mit dieser Auszeichnung hatte man dann die Weihen erlangt, um in die sicheren Sphären des Forschungs- und Lehruniversums aufgenommen zu werden. Man sieht, der Wettbewerb in der Wissenschaft hat eine lange Tradition.

Zurück zur Neuzeit: Wer heute unbefristete oder gar verantwortliche Stellen in Wissenschaft und Forschung mit entsprechender Raum-, Mittel- und Personalausstattung bekleiden will, muss sich in diesem Wettbewerb erfolgreich behaupten als außergewöhnlich gut, exzellent oder gar als einzigartig. Oder man schafft es mit Ausdauer und Geschick, längerfristig so überzeugend zu wirken, als ob man es wäre. Auch solche Fälle gibt es vereinzelt im Wissenschaftsbetrieb.

Damit meine bereits beschriebene persönliche Begeisterung für dieses Berufsfeld nicht vergessen wird, möchte ich noch einmal ausdrücklich betonen: Die Arbeit im Bereich Wissenschaft und Forschung kann sehr motivierend sein und sich für viele Menschen als nachhaltig erfolgreich und erfüllend erweisen. Aber die Rahmenbedingungen sind ähnlich beschwerlich wie im Sport oder im künstlerischen Bereich.

Selbst im Leistungssport schafft es bekanntlich nicht jedes Talent trotz Begabung, Fleiß und Leidensfähigkeit in eine gute, sichere und auf Dauer existenzsichernde Position zu kommen. Letztlich ist dies ja überall so im Arbeits- und Erwerbsleben, wo die Konkurrenz groß ist und die angestrebten Stellen selten sind. Henry Ford soll einmal gesagt haben: ‚Erfolg besteht darin, dass man genau die Fähigkeiten besitzt, die im Moment gefragt sind.‘ Wenn die Fähigkeiten dazu nicht ganz hinreichend sind oder das richtige Momentum fehlt, wird es schwierig mit der nachhaltigen Sicherung des Berufswunsches.

Drittens: Hier muss ich aufpassen, nicht zu klagen, denn von diesem Tatbestand lebe ich letztlich als Berater, Trainer und Coach im Wissenschaftsbereich. In einem weiteren Bereich unterscheidet sich der Wissenschaftsbetrieb von anderen Organisationen in der Verwaltung oder der freien Wirtschaft: Viele Wissenschaftler:innen, selbst solche in höheren Positionen, sind für breite Bereiche ihres Tuns und Schaffens nicht wirklich solide ausgebildet. Die Folge dessen spüren viele Insider des Wissenschaftsbetriebes mehr oder weniger, früher oder später irgendwann am eigenen Leib.“

„Wie meist du das?“, fragte Niko, Amisha Bruder. „Die meisten Wissenschaftler:innen haben doch ein Bachelor- und darauf aufbauend ein Masterstudium hinter sich gebracht. Sie haben einige Jahre als Doktorand:innen und vielleicht weitere Jahre als junge PostDocs Erfahrungen gesammelt und sich enormes Wissen angeeignet. Manche haben sich sogar habilitiert und sind als Hochschullehrer:in oder Dozent:in tätig. Mit diesem Pensum sollte man doch ausreichend gut ausgebildet und erfahren sein.“

„Vollkommen richtig!“, entgegnete Leo. „Aber das betrifft ausschließlich die fachliche, wissenschaftliche Ausbildung. Wenn du jedoch in der wissenschaftlichen Ausbildung das Gröbste hinter dir hast, beginnst du, mehr und mehr Verantwortung zu übernehmen. Irgendwann leitest du eigenständig Projekte, vielleicht leitest du eine kleine Gruppe an oder du betreust selbst schon Auszubildende im Praktikum oder Studierende.

Später bekommst du vermutlich formale Führungsverantwortung für deine Mitarbeitenden. Deine Aufgaben und Verantwortung summieren sich mit der Zeit. Und dann stellst du irgendwann fest, dass du Organisations- und Managementkompetenzen brauchst, wie etwa eine strategische Planung, ProjektmanagementProjektmanagement, KonfliktmanagementKonfliktmanagement für den Umgang mit Kolleg:innen, Mitarbeitenden und Kooperationspartner:innen oder dass du Elemente des Changemanagements einsetzen musst, wenn es hin und wieder Organisationsstrukturen, Teams oder Prozesse zu verändern gilt.

Spätestens dann merkst du – das ist zumindest zu hoffen und zu wünschen –, dass du fachlich top bist, aber im Bereich der eben genannten Themen ziemlich auf dem Schlauch stehst. Dann wird immer offensichtlicher, dass du wenig Konkretes und Praktisches gelernt hast über den erfolgreichen Umgang mit Prozessen, Organisationen, Menschenführung oder über den Umgang mit deinem Selbst- und Zeitmanagement.

In den meisten Bereichen der Verwaltung und erst recht in der Wirtschaft und Industrie werden angehende Führungskräfte und verantwortliche Manager erst einmal gründlich aus- oder weitergebildet, bevor sie als Führungskraft oder im sogenannten Management auf die Menschheit losgelassen werden.

Im Wissenschaftssystem ist es hingegen so, dass offensichtlich die Meinung vorherrscht, dass die oberen Hierarchien diesbezüglich klug genug seien und entsprechende Weiterqualifikationen nicht brauchen. Fragt man dann aber das wissenschaftliche oder wissenschaftsnahe Personal wie Laborand:innen, Techniker:innen oder Sachbearbeiter:innen im administrativen Bereich, dann zeigen sich viele der Beschäftigten demotiviert und enttäuscht von ihrer jeweiligen Führungsebene.

Ende der sogenannten Nullerjahre, ich glaube es war 2009, erschien dazu eine Studie meiner Kolleg:innen Boris Schmidt und Astrid Richter in der Deutschen Universitätszeitung. Wenn ich recht erinnere, lautete der Titel: ‚Das FührungszeugnisFührungspraxis an Universitäten‘. Untersucht wurde das Führungsverhalten von Führungskräften an deutschen Universitäten. Und das Ergebnis war traurig bis desaströs. Wenn es jemand von euch interessiert, kann ich euch den Artikel gerne per E-Mail schicken. Jedenfalls zeigten sich in dieser Studie viele Beschäftigte an den Universitäten sehr unzufrieden mit ihren Führungskräften. Mittlerweile kamen weitere solche Studien leider zu ähnlichen Ergebnissen. Die logische Folge: Man muss in der Tat damit rechnen, im Umfeld von Wissenschaft und Forschung mit relativ spärlich kompetenten Führungskräften konfrontiert zu werden.

Dies ist umso gravierender, als dass eben diese Führungskräfte durch den andauernden Wettbewerb des Systems eher weniger Kapazitäten haben für wissenschaftsfremde Tätigkeiten wie Führung, Organisation oder Teammanagement.

Viertens, und das ist nicht nur seltsam, sondern ärgerlich: Es gibt hin und wieder selbst in der Wissenschaft Organisationen, die beständig die Wirksamkeit des sogenannten Peter-PrinzipPeter-Prinzip unter Beweis stellen. Dieses, nach dem Lehrer und Berater Laurence Peter genannte Gesetz besagt sinngemäß: Hierarchisch ausgeprägte Organisationen neigen dazu, Beschäftigte so lange zu befördern, bis deren höchstmögliche Stufe der Inkompetenz erreicht ist.

Das heißt, dass des Öfteren Menschen in Positionen kommen, in welchen sie mindestens so viel oder gar deutlich mehr Unheil anrichten, als sie Gutes beitragen.

Man findet sie dann in technischen Abteilungen, der Administration oder mitunter sogar im wissenschaftlichen Bereich. Das Schlimmste daran ist, dass meist nichts geschieht; gleichwohl dies in der Regel oft nicht unbemerkt bleibt.

Niemand aber möchte für solche Fehlbesetzungen und fatale Personalentscheidungen später die Verantwortung übernehmen und den Fehler korrigieren. Weder obere Hierarchien noch politisch verantwortliche Institutionen rühren sich. Die Folge: Viele gute Mitarbeiter wenden sich irgendwann demotiviert und desillusioniert ab und verlassen, falls ihnen das möglich ist, die Organisation. Beständig in einem Bereich zu arbeiten, der schlecht geführt wird und/oder dysfunktional organisiert ist, ist auf Dauer schwer zu ertragen.