10,99 €
Wenn die Welt friedlich zusammenleben soll, braucht sie gemeinsame Spielregeln. Die kann nicht eine einzelne Weltanschauung vorgeben, vielmehr muss sie sich aus den Quellen aller Weltreligionen und humanistischer Traditionen speisen. Das ist die Vision, die Hans Küng vor 20 Jahren als »Weltethos« vorgelegt hat, und die in diesem Buch aus unterschiedlichen Blickwinkeln dargestellt wird. Eine Idee, die weltweit diskutiert wird und die für alle Bereiche unserer Gesellschaft von Bedeutung ist, wird prägnant und zugleich umfassend dargestellt.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Mehr über unsere Autoren und Bücher:www.piper.de Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe 1. Auflage 2012 ISBN 978-3-492-95620-8 © 2012 Piper Verlag GmbH, München Umschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, München Umschlagabbildung: Antonio M. Rosario / gettyimages Datenkonvertierung: CPI – Clausen & Bosse, Leck
Eine zukunftsweisende Vision
Mitten im epochalen Umbruch 1989/90 konnte noch niemand wissen, was aus dem kleinem Buch mit dem anspruchsvollen Titel »Projekt Weltethos« werden würde. Die »Neue Zürcher Zeitung« schrieb damals: »In einer Zeit nicht enden wollender Kriege und neuer, blutiger Rassenkonflikte – aktueller denn je: Diese eine Welt braucht das eine Ethos; diese eine Weltgesellschaft braucht keine Einheitsreligion und Einheitsideologie, wohl aber einige verbindende und verbindliche Normen, Werte, Ideale und Ziele … Das knappe, dichte Buch ist eine gewaltige Rede, nicht fern prophetischer Gebärde …«
Das Programm war von Anfang an klar und hat sich im seither vergangenen Vierteljahrhundert ständig verdeutlicht und konkretisiert:
»Kein Frieden unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen.
Kein Frieden unter den Religionen ohne Dialog zwischen den Religionen.
Kein Dialog zwischen den Religionen ohne gemeinsame ethische Werte und Standards.«
Zu diesen Sätzen gehörte von Anfang an auch der Satz: »Kein Dialog zwischen den Religionen ohne Grundlagenforschung in den Religionen.« Dieser Satz stand 1991 als Motto in »Das Judentum«, dem ersten Band der Trilogie »Zur religiösen Situation der Zeit«, gefördert von der Bosch-Jubiläumsstiftung und dem Daimler-Benz-Fonds. Er demonstriert mit den Publikationen der Folgezeit (vgl. Bibliographie), ohne die das Projekt Weltethos gar nicht denkbar wäre, intensive theologische, philosophische und religionswissenschaftliche Forschungsarbeit.
Charta, Grundlagendokument für das Projekt Weltethos wurde die »Erklärung zum Weltethos« des Parlaments der Weltreligionen in Chicago vom 4. September 1993. Darin sind die Prinzipien und Weisungen eines Weltethos auf der Basis der großen religiösen und ethischen Traditionen der Menschheit klar formuliert und in die heutige Zeit hinein übersetzt.
• Die beiden Grundprinzipien:
– Das Humanitätsprinzip: »Jeder Mensch soll menschlich und nicht unmenschlich behandelt werden.«
– Die Goldene Regel der Gegenseitigkeit: »Tue nicht anderen, was du nicht willst, dass sie dir tun.«
• Die vier Weisungen oder Imperative der Menschlichkeit:
– Für eine Kultur der Gewaltlosigkeit und der Ehrfurcht vor allem Leben: »Nicht töten – aber auch nicht foltern, quälen, verletzen« – oder positiv: »Hab Ehrfurcht vor dem Leben!«
– Für eine Kultur der Solidaritätund eine gerechte Wirtschaftsordnung: »Nicht stehlen – aber auch nicht ausbeuten, bestechen, korrumpieren« – oder positiv: »Handle ehrlich und fair!«
– Für eine Kultur der Toleranz und ein Leben in Wahrhaftigkeit: »Nicht lügen – aber auch nicht täuschen, fälschen, manipulieren« – oder positiv: »Rede und handle wahrhaftig!«
– Für eine Kultur der Gleichberechtigung und die Partnerschaft von Mann und Frau: »Nicht Sexualität missbrauchen, aber auch nicht den Partner überhaupt missbrauchen, erniedrigen, entwürdigen« – oder positiv: »Respektiert und liebet einander!«
Manche hielten dieses Projekt damals für eine reine Utopie. Aber die Weltethosidee ist keine Utopie, kein Nirgendwo, sondern sie ist eine Vision: Sie zeigt, wie eine zwar nicht »heile«, aber doch bessere Welt aussehen soll und kann. Sie ist eine zukunftsweisende Vision: Wir und alle Menschen, die mit uns weltweit daran arbeiten, sind überzeugt, dass der Einsatz für Respekt und Verständigung zwischen den Kulturen und der Einsatz für ethische Standards in der Gesellschaft, auch in Politik und Wirtschaft, Erziehung und Bildung, dringend notwendig ist. Und Weltethos ist eine realistische Vision, die selbstverständlich nicht über Nacht verwirklicht wird, sondern Zeit braucht. So war es auch schon mit den gesellschaftlichen Fragestellungen vor dreißig oder vierzig Jahren: ein neues Verständnis von Frieden und Abrüstung, eine erwachende Sensibilität für Umweltprobleme, eine neue partnerschaftliche Sicht der Rollen von Mann und Frau. All diese Fragen hatten auch eine ethische Dimension, und das Umdenken dauerte Jahrzehnte – und ist bis heute nicht abgeschlossen.
Das Projekt Weltethos hat in seinen ersten zwei Jahrzehnten einen weiten Weg zurückgelegt. Um einen Überblick zu geben, seien einleitend die wichtigsten Wegmarken des Projekts knapp genannt:
1989 Februar: UNESCO-Symposion, Paris: »Kein Weltfriede ohne Religionsfriede«
1989 November: Fall der Berliner Mauer
1990 Februar: World Economic Forum, Davos: »Warum brauchen wir globale ethische Standards, um zu überleben?«
1990 Mai: »Projekt Weltethos«
1993 Chicago: 2. Parlament der Weltreligionen: »Erklärung zum Weltethos«
1995 Gründung der Stiftung Weltethos in Tübingen
1995 »Ja zum Weltethos. Perspektiven für die Suche nach Orientierung«
1997 Fortschreibung des Buches »Projekt Weltethos«: »Weltethos für Weltpolitik und Weltwirtschaft«
1997 InterAction Council früherer Staats- und Regierungschefs: Vorschlag für eine »Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten«
1998 Kuala Lumpur: International Confederation of Stock Exchanges: »Ethical Standards for International Financial Transactions«
1998 »Wissenschaft und Weltethos« mit Beiträgen aus Wirtschaftsethik und Rechtswissenschaft, Politik- und Erziehungswissenschaft, Naturwissenschaft und Ethik
1999 Kapstadt: 3. Parlament der Weltreligionen: »Aufruf an unsere führenden Institutionen«
2001 Baden-Baden: Interdisziplinäres Symposion »Globale Unternehmen – Globales Ethos. Der globale Markt erfordert neue Standards und eine globale Rahmenordnung«
2001 Vereinte Nationen: Berichtband der »Gruppe herausragender Persönlichkeiten« »Crossing the Divide. Dialogue among Civilizations, Report for the United Nations«; im Internet unter: www.un.org; dt.: »Brücken in die Zukunft. Vereinte Nationen« (2001)
2002 Tübingen: Interdisziplinäres Symposion »Ein neues Paradigma internationaler Beziehungen? Ethische Herausforderungen für die Gestaltung der Weltpolitik«, veröffentlicht in: »Friedenspolitik. Ethische Grundlagen internationaler Beziehungen« (2003)
2004 Abschluss der Trilogie zur religiösen Situation der Zeit mit dem Band »Islam. Geschichte, Gegenwart, Zukunft«
2006 »Der Hinduismus. Glaube, Geschichte, Ethos« (Stephan Schlensog)
2009 New York/Basel: Manifest »Global Economic Ethic«
2011 Gründung des Weltethos-Instituts an der Universität Tübingen
2011 Oktober, Berlin: Uraufführung der Komposition »Weltethos« von Jonathan Harvey durch die Berliner Philharmoniker (Sir Simon Rattle)
2011 November, Washington, Georgetown University: Internationales Symposion »Global Ethic, Law and Policy«
2012 April, Tübingen: Eröffnung des Weltethos-Instituts und Aufnahme des Lehrbetriebs
Diese Wegmarken waren alle mit vielen Mühen verbunden, und so weise ich besonders in Teil II bei verschiedenen Abschnitten über den »persönlichen Hintergrund« darauf hin, welche Vorarbeit den Teilprojekten jeweils vorausging. Dort wird deutlich werden: Das Weltethos-Projekt fiel ja nicht eines Tages vom Himmel, sondern wird durch jahrzehntelange Grundlagenforschung – schon im Institut für ökumenische Forschung (1964–1996) – umfassend und solide begründet. Eine Übersicht über die einschlägige Grundlagenliteratur findet sich am Ende dieses Buches. Ebenso lange vielfältige Erfahrungen bei der Entstehung, Verbreitung und praktischen Umsetzung dieser Ideen haben deren Relevanz und Notwendigkeit immer wieder neu bestätigt.
Und nun also ein Handbuch: »Die Deutschen müssen große Hände haben«, meinte ein witziger amerikanischer Gelehrter im Blick auf manche »Handbücher«. Dieses Handbuch ist klein und möchte doch einen kompakten Überblick über Idee, Begründung und Umsetzung des Weltethos heute bieten. Um es klein und griffig zu halten, vermied ich Literaturhinweise und Fußnoten; in unseren verschiedenen Büchern lassen sich die entsprechenden Belege leicht auffinden; zur Geschichte vgl. auch die von verschiedenen Autoren kommentierte »Dokumentation zum Weltethos«, hrsg. v. H. Küng (2002).
Dieses kleine Handbuch mag nun auch als Leitfaden dienen für das neue Weltethos-Institut (WEIT). Dieses wurde uns durch eine höchst großzügige Investition der Karl-Schlecht-Stiftung ermöglicht. Prof. h.c., Dipl. Ing. KARL SCHLECHT und seiner Frau BRIGITTE, welche die Stiftung Weltethos seit vielen Jahren mit namhaften Summen unterstützen, sei dieses Handbuch in Dankbarkeit gewidmet.
Tübingen, 1. März 2012 Hans Küng
I. Was ist Weltethos?
Das Projekt Weltethos strebt an: Frieden unter den Religionen, Kulturen und Nationen auf der Basis einiger gemeinsamer elementarer ethischer Werte, Maßstäbe und Haltungen. Es hat in mehr als zwei Jahrzehnten stetig an Aktualität und Zustimmung gewonnen. Ja, das Weltethos hat – und dies nicht nur wegen der Weltfinanz- und Wirtschaftskrise – Hochkonjunktur. Zudem wurden die Missverständnisse, die sich mit einem neuen Projekt leicht verbinden, für alle, die sich informieren wollten, geklärt. Die Begründungen und Argumentationen, wie sie in der ersten Phase vor allem aus den Weltreligionen geschöpft wurden, sind unterdessen aus verschiedenen Disziplinen bestätigt und verstärkt worden. Dennoch ist das Projekt bis heute ein lebendiger, ein offener Prozess geblieben. Es kennzeichnet seine Vitalität, dass es sich nach wie vor offensiv und hoffentlich kreativ mit neuen Fragen auseinandersetzt, die sich aus kulturellen, gesellschaftlichen oder religiösen Entwicklungen ergeben.
1. Weltethos als Chance
(1) Ein globales Zeitalter erfordert ein globales Ethos
Denken und Handeln der Menschen – von Politik und Wirtschaft, Erziehung und Bildung bis zu Kultur und Sport – spielen sich mehr und mehr vor globalem Horizont ab; von daher ist eine ethische Orientierung in ebenfalls globalem Ausmaß notwendiger denn je. Fast täglich liest und hört man in den Medien von irgendwelchen Krisen und gerade auch ihren moralischen Voraussetzungen oder Folgen.
Man wird oft gefragt, welche Krise man für die gefährlichste halte. Meine Antwort ist: Am gefährlichsten ist die gegenwärtige Kumulation der globalen Krisen. Wir leben in einer Zeit, da sich mehrere grundlegende Krisen gegenseitig beeinflussen und verstärken. Fukushima ist ein Symbol dafür, wie Erdbeben, Tsunami und technisches und politisches Versagen sich gegenseitig steigern. Klima- und Energiekrise, Finanz- und Wirtschaftskrise, Schulden- und Staatskrise nicht nur in Entwicklungsländern, sondern auch in Griechenland, Portugal, Italien, Spanien, Irland, Großbritannien und in der westlichen Führungsmacht USA, ja schließlich sogar in Frankreich und Deutschland. Das sind allesamt keine Naturkrisen, sie sind menschengemacht.
Nun gibt es leider kein Allheilmittel zur Überwindung der einzelnen Krisen oder gar aller Krisen gemeinsam. Selbstverständlich bietet auch das Weltethos keine fertige Lösung all dieser Probleme im Sinne eines Rezepts. Aber die Idee eines Weltethos stellt doch einen wirksamen Antwortversuch dar, insofern sie in den Krisen einer globalisierten Welt einen ethischen Orientierungsrahmen (weltweit und zu Hause) und eine Art moralischen Kompass anbietet, der in allen Lebensbereichen, im Großen wie im Kleinen, für Jung und Alt hilfreich sein kann.
(2) Weltethos zur Krisenvermeidung
Naturkatastrophen sind nicht vermeidbar, von Menschen produzierte Katastrophen dagegen sehr wohl. In der Einleitung zu meinem Buch »Projekt Weltethos« (1990) hatte ich von drei Weltkatastrophen gesprochen und zugleich von drei Krisendaten, die sich der Menschheit anboten, um eine neue, bessere Weltordnung heraufzuführen: 1918 (nach dem Ersten Weltkrieg), 1945 (nach dem Zweiten Weltkrieg), 1989 (nach dem Ende des Kalten Krieges zwischen Ost und West).
1990 hatte ich der weit verbreiteten Hoffnung Ausdruck verliehen auf eine neue Weltordnung – als »A New World Order« dann auch vom US-Präsidenten George Bush sen. nach dem Ersten Irakkrieg angekündigt. Aber leider musste ich nach zwei Jahrzehnten feststellen, dass diese Hoffnung der Völker offenkundig in keiner Weise in Erfüllung gegangen ist.
Dass diese Riesenhoffnung enttäuscht wurde, hatte seinen Grund nicht nur in einem Versagen der Institutionen (der nationalen Regierungen und Parlamente und der internationalen Organisationen), sondern auch in einem katastrophalen Versagen der Moral. Durch eine anständige, ehrliche, konstruktive Politik hätten die meisten Katastrophen vermieden werden können:
– Vermeidbar war der neuartige internationale Terrorismus: Man stelle sich vor, der Staat Israel hätte bereits nach dem siegreichen Sechs-Tage-Krieg 1967 mit den arabischen Nationen einen (auch von weitsichtigen Israelis erhofften) fairen Frieden geschlossen: wie mit Ägypten, so auch mit einem aufzubauenden Palästinenserstaat …
– Vermeidbar war der Afghanistan-Krieg: Man stelle sich vor, die Supermacht hätte statt eines von Anfang an höchst riskanten Krieges zu Lande, zu Wasser und in der Luft die zunächst erwogene effiziente international koordinierte Polizei- und Geheimaktion gegen das Terrornetz Al-Kaida (kein Staat!) eingeleitet …
– Vermeidbar war der Zweite Irak-Krieg von Präsident Bush jun., der auf eine amerikanische Hegemonie im Nahen Osten zielte: Man stelle sich vor, man hätte den Diktator Saddam Hussein durch politische und militärische Isolierung paralysiert und zugleich das Palästina-Problem einer fairen politischen Lösung zugeführt …
– Vermeidbar war die vorschnelle Expansion der Europäischen Union: Man stelle sich vor, man hätte nicht nur das finanzielle Dach des Euro gebaut, sondern zur gleichen Zeit den durch den Maastricht-Vertrag vereinbarten Innenausbau der Union durch Reform ihrer Institutionen (Abstimmungsmodus, Aufnahmebedingungen etc.) konsequent durchgeführt und hätte betrügerischen Beitritt verhindert …
– Vermeidbar war die Aufkündigung des europäischen Stabilitätspaktes zuerst durch die deutsche Regierung: Man stelle sich vor, Deutschland und anschließend auch Frankreich hätten Europa und der Welt ein Beispiel gegeben für einen Umbau des wuchernden Sozialstaates, um die sozialen Netze finanzierbar zu machen, überflüssige Subventionen zurückzubauen, unbezahlbare Gesetze zu verändern, die Wirtschaft wieder anzukurbeln und die Arbeitslosigkeit zu senken …
– Vermeidbar war schließlich auch die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise: Man stelle sich vor, man hätte sich rechtzeitig um die von vielen geforderte neue Finanzarchitektur, ein neues Bretton-Woods-Abkommen, bemüht und hätte den Kasino-Kapitalismus an der Wallstreet, in London, Frankfurt und Zürich eingedämmt …
Alle diese Krisen haben immer auch eine ethische Dimension. Und alle Lösungsversuche greifen zu kurz, wenn man nicht auch auf der Ebene des Ethos, der inneren Haltung der involvierten Akteure und Entscheidungsträger, auf einen Bewusstseinswandel, auf eine Rückbesinnung auf Verantwortung und elementare ethische Standards hinwirkt.
(3) Demokratische und ethische Werte
Die von Europa ausgegangenen Werte wie »Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit« und die großen Errungenschaften wie Demokratie, Menschenrechte und Toleranz würden sich weltweit besser durchsetzen, wenn sie von ethischen Werten wie Humanität und humanen Maßstäben getragen würden. Man hat in den vergangenen Jahren immer wieder diese westlichen Werte und die westliche Wertegemeinschaft gepriesen. Aber dabei hat man oft wesentliche Werte ignoriert, die auch europäische und vor allem zugleich universale Werte sind und deren Missachtung Inhumanität zur Folge hat:
– Gewaltlosigkeit und Ehrfurcht vor dem Leben;
– Solidarität und gerechte Wirtschaftsordnung;
– Wahrhaftigkeit und Toleranz;
– Gleichberechtigung und Partnerschaft.
Verschiedene internationale Konferenzen und Initiativen haben die Notwendigkeit globaler ethischer Maßstäbe hervorgehoben. Die internationale Kommission für Weltordnungspolitik (1995), welche mit den Menschenrechten auch die Menschenpflichten betont; dann die Welt-Kommission für Kultur und Entwicklung (1995), welche über alles ökonomische Wachstum hinaus menschliche Entwicklung fordert; schließlich der Vorschlag des InterAction Councils, ein »Club« früherer Staats- und Regierungschefs, für eine universale Erklärung der menschlichen Verantwortlichkeiten (1997). Alle reagierten sie mit ihren moralischen Appellen auf bestimmte globale Entwicklungen und Trends:
– die Umbruchssituation in der internationalen geopolitischen Wirklichkeit und die wirkungslos gebliebene Proklamation einer »neuen Weltordnung«;
– die überbordenden Probleme in den Bereichen Ökologie, Bevölkerungsexplosion, Energieknappheit …;
– die zunehmende Tendenz zu ethnischen Konflikten und der lokal und regional drohende Zusammenprall der Kulturen;
– die weltweite Vernetzung durch den Fortschritt der Kommunikationstechnologien mit ihren vielen positiven, aber auch einigen negativen Seiten;
– die Herausforderungen und Chancen multikulturellen Zusammenlebens, das heutzutage nicht nur in Großstädten, sondern auch in ländlichen Gebieten gegeben ist.
(4) Menschenpflichten stärken Menschenrechte
Die Erklärung zum Weltethos des Parlaments der Weltreligionen (Chicago, 4. September 1993) bejaht schon in ihrem ersten Kapitel die grundlegende Bedeutung der Menschenrechte: »Wir sind überzeugt von der fundamentalen Einheit der menschlichen Familie auf unserem Planeten Erde. Wir rufen deshalb die Allgemeine Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen von 1948 in Erinnerung. Was sie auf der Ebene des Rechts feierlich proklamierte, das wollen wir hier vom Ethos her bestätigen und vertiefen: die volle Realisierung der Unverfügbarkeit der menschlichen Person, der unveräußerlichen Freiheit, der prinzipiellen Gleichheit aller Menschen und der notwendigen Solidarität und gegenseitigen Abhängigkeit aller Menschen voneinander.« Aber zugleich betont die Erklärung, »dass der Einsatz für Recht und Freiheit ein Bewusstsein für Verantwortung und Pflichten voraussetzt und deshalb Kopf und Herz der Menschen angesprochen werden müssen«.
Damit geht die Weltethos-Erklärung konform mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in Artikel 29: Dort ist die Rede von den »Pflichten eines jeden Menschen gegenüber der Gemeinschaft«. Zugleich ist im Artikel die Rede von »den gerechten Anforderungen der Moral, der öffentlichen Ordnung und der allgemeinen Wohlfahrt in einer demokratischen Gesellschaft«. Diese Überlegungen standen Pate bei der Formulierung der bereits erwähnten Erklärung der Menschenverantwortlichkeiten des InterAction Council (vgl. Kap. IV, 2). So wird deutlich, dass Menschenrechte und Menschenpflichten sich für die Gesellschaft nicht gegenseitig begrenzen, sondern fruchtbar ergänzen. Dies betonen auch verschiedene Dokumente internationaler Kommissionen (vgl. Kap. IV, 5).
Es ist bekannt, dass der Begriff Pflicht in seiner jüngeren Geschichte ständig missbraucht worden ist, sowohl im Staat wie in der Kirche. Aber all die Missbräuche sollten uns nicht hindern, an diesem Begriff festzuhalten, der seit Cicero und Ambrosius eine lange Geschichte hat, durch Kant zu einem Schlüsselbegriff der Moderne wurde und auch heute unersetzlich erscheint. Pflicht drängt zwar moralisch, aber zwingt nicht. Sie folgt primär aus der nicht rein technischen oder ökonomischen, sondern ethischen Vernunft, die den Menschen, dem es eigen ist, sich in Freiheit entscheiden zu können, zu moralischem Handeln anhält und drängt. Und vergessen sei auch nicht, dass nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte missbraucht werden können: dann nämlich, wenn sie erstens konstant ausschließlich zum eigenen Vorteil gebraucht und wenn sie, zweitens, ständig maximal bis hin zu ihren äußersten Möglichkeiten ausgenützt werden. Wer seine Pflichten vernachlässigt, untergräbt schließlich auch die Rechte. Selbst der Staat würde gefährdet, wenn seine Bürger und erst recht wenn die politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen von diesen keinen sinnvollen Gebrauch machten und sie zu purem Eigennutz missbrauchten. Es erübrigt sich, auf einschlägige Polit- und Wirtschaftsskandale in der Bundesrepublik Deutschland hinzuweisen.
Die rechtliche Gültigkeit der Menschenrechte kann selbstverständlich auf keinen Fall abhängig gemacht werden von der faktischen Realisierung der Pflichten. Dies würde ja bedeuten, dass Rechte nur dem zukämen, der sich durch Pflichterfüllung gegen die Gemeinschaft als ihrer würdig erwiesen hätte. Dies verstieße eindeutig gegen die voraussetzungslose Würde der menschlichen Person, welche ihrerseits Voraussetzung sowohl der Rechte wie der Pflichten ist.
(5) Bei aller Vielfalt Gemeinsamkeit
Von der Weltethos-Idee her ist die kulturelle und religiöse Vielfalt zu respektieren und somit auch die unterschiedliche Gesetzgebung in den verschiedenen Ländern und Regionen, sofern sie den Allgemeinen Menschenrechten nicht widerspricht. Es ist zum Beispiel selbstverständlich, dass der jüdisch geprägte Staat Israel die Einhaltung der Sabbatruhe am Samstag gesetzlich festgelegt hat. Und ebenso selbstverständlich ist, dass auch in relativ liberalen arabischen Nationen wie Oman dem Freitag eine Sonderstellung eingeräumt wird. Dann sollte man es aber ebenso selbstverständlich nehmen, dass traditionell christliche Länder sich auch in der Europäischen Union für den Schutz des arbeitsfreien Sonntags einsetzen und ein breites Bündnis aus Kirchen, Gewerkschaften, Verbänden und Politikern den arbeitsfreien Sonntag als europäisches Kulturgut auch in der EU-Arbeitszeitrichtlinie verankert sehen möchte. Ähnliches gilt übrigens auch für religiöse Symbole in der Öffentlichkeit wie das Kreuz in traditionell katholischen Regionen, solange solche Kreuze nicht zu parteipolitischen oder kirchenpolitischen Zwecken missbraucht werden.
Doch bei aller kulturellen und religiösen Vielfalt macht das Weltethos besonders die Gemeinsamkeiten im Ethos bewusst. Alle Menschen tragen gemeinsam die Verantwortung für Gesellschaften und Menschheit. Und das stellt eine Herausforderung dar, ein gemeinsames moralisches Fundament als Entscheidungs- und Handlungsgrundlage zu errichten: nicht ein komplexes System der Ethik, wohl aber einige wenige allgemein anerkannte elementare ethische Kernnormen.
Auf diese Weise stellt das Weltethos eine kulturübergreifende Leitidee zur Grundlegung einer pluralen und oft multikulturellen Gesellschaft dar. Das Weltethos setzt eine unterschiedliche kontextuelle Verwurzelung und Begründung von ethischen Prinzipien, Werten und Normen selbstverständlich voraus. Und insofern bleibt es keineswegs auf eine exklusiv religiöse Option begrenzt. Vielmehr stellt das Weltethos einen inklusiv zu verstehenden Appell zu einer Selbstverpflichtung auf ethische Werte und Normen dar, der sich an Glaubende wie Nichtglaubende, an religiöse wie nichtreligiöse Menschen wendet. Niemand ist ausgenommen, auch die Appellierenden nicht.
Immer mehr zeigt sich dabei die Relevanz der Weltethos-Idee für die verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche:
– die Pädagogik: Immer stärker ist sie durch zunehmend ethnisch heterogene Klassenverbände interkulturell geprägt. Immer mehr wird zugleich eine ethische Grundorientierung erwartet;
– die Politik: Im nationalen Kontext ist sie gerade in Zeiten starken Wandels auf das Fundament gemeinsamer Grundwerte angewiesen; nicht zuletzt ist der gesellschaftliche Zusammenhalt in der Balance von Freiheit und Verantwortung zu bewahren;
– die Wirtschaft: Im Zeitalter der Globalisierung hat sie ihre Verlässlichkeit durch ihre Verpflichtung auf elementare ethische Standards unter Beweis zu stellen: nicht nur im eigenen Unternehmen durch ein Unternehmensethos (Mitarbeiterkultur, Verhaltenskodizes) oder in den zunehmend interkulturell geprägten Geschäftsbeziehungen, wo es eben nicht nur um wirtschaftliches Kapital, sondern auch um Vertrauenskapital geht, sondern auch ganz grundsätzlich bei der Gestaltung unserer globalisierten Ökonomie.
– Schließlich die internationalen Beziehungen: Die Verständigung auf ein humanes Grundethos kann sich nachhaltig auf den Frieden zwischen den Menschen aus den verschiedenen Regionen der Welt auswirken.
2. Missverständnisse klären
Das Projekt Weltethos wurde vor knapp zwei Jahrzehnten initiiert mit der Programmatik: Kein Friede unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen. Kein Friede unter den Religionen ohne Dialog zwischen den Religionen. Kein Dialog zwischen den Religionen ohne elementare ethische Werte, Maßstäbe und Haltungen.
Das Projekt Weltethos ist heute weltweit in verschiedensten Gesellschaftsbereichen anerkannt, wird in den Medien reichlich kommentiert und auf vielen Ebenen, allen voran in den Schulen, immer mehr realisiert. Dennoch stößt es noch immer auf Missverständnisse. Ich möchte deshalb zunächst einige solcher immer wieder auftretenden Missverständnisse klären.
(1) Das Projekt Weltethos ist kein explizit religiöses, sondern ein allgemein ethisches Projekt
Es kann und soll sowohl von Religiösen wie von Nichtreligiösen mitgetragen werden. Philosophische Begründungen sind ebenso möglich wie theologische und religionswissenschaftliche Argumentationen.
(2) Das Weltethos beschränkt sich nicht auf Individualethik, sondern gilt jederzeit für alle Menschen und Institutionen
Schon die Weltethos-Erklärung von Chicago 1993 spricht aus, »was Grundelemente eines gemeinsamen Ethos für die Menschheit sein sollten – für die Einzelnen ebenso wie für die Gemeinschaften und Organisationen, für die Staaten ebenso wie für die Religionen selbst«.
(3) Das Projekt Weltethos zielt nicht auf eine Einheit der Religionen, sondern auf Frieden zwischen den Religionen
Möglich wäre eine Einheit der christlichen Kirchen, wenn sie nicht von bestimmten Kirchenleitungen, besonders der römischen, aus Machterhaltungsgründen blockiert und hintertrieben würde; denn die christlichen Kirchen haben im Glauben an Jesus Christus ein gemeinsames Fundament. Aber zwischen den großen Weltreligionen fehlt ein solches gemeinsames Glaubensfundament, und deshalb ist zwischen den Religionen nicht Einheit anzustreben, wohl aber Dialog, Zusammenarbeit, Frieden.
(4) Frieden zwischen den Religionen heißt, die Differenzen zwischen ihnen nicht ignorieren, aber übersteigen
Die Unterschiede in Lehren, Riten und Gebräuchen sind ernstzunehmen, doch gleichzeitig ist – um der Zukunft der Menschheit willen – die Notwendigkeit einiger gemeinsamer ethischer Normen allen Differenzen zum Trotz zu betonen. Wer das Weltethos ernstnimmt, kennt sich oft besser aus in den Unterschieden der Religionen als bestimmte christliche Apologeten, die nur die Differenzen ohne Blick für die Gemeinsamkeiten hervorheben.
(5) Obwohl Religionen oft in Konkurrenz zueinander stehen, ist ein gemeinsames Engagement zur Friedensstiftung möglich
Die Religionen indischen und chinesischen Ursprungs sind ohnehin nicht so exklusiv gegen andere wie die drei prophetischen Religionen. Aber auch Judentum, Christentum und Islam haben trotz aller großen dogmatischen Unterschiede vieles gemeinsam, vor allem die großen ethischen Standards, die den Kern eines Weltethos darstellen. Diese Gemeinsamkeiten im Ethos ermöglichen eine konstruktive Zusammenarbeit für den Frieden. Jede der drei prophetischen Religionen muss freilich ihr großes Friedenspotential nutzen und das, was sich als Konfliktpotential auswirken kann, kritisch aufarbeiten. Das gilt zum Beispiel für die Frage »Heiliger Kriege« im Koran oder in der Hebräischen Bibel oder für die dogmatische Exklusivität in christologischen Aussagen etwa des Johannesevangeliums. Das Weltethos hebt hingegen die friedensfördernden und verbindenden Aussagen der heiligen Schriften hervor, ohne freilich deren Konfliktpotential zu ignorieren.
(6) Weltethos meint keine neue Weltideologie, wohl aber eine realistische Vision
Für die Menschen heute sind moderne Einheitsideologien sozialistischer, kapitalistischer, szientistischer oder auch religiöser Prägung immer weniger überzeugend. Weltethos ist keine künstliche »Superstruktur«, meint kein »artifiziell abstraktes Welteinheitsethos«. Es respektiert die Vielfalt religiös und philosophisch begründeter Moralkulturen und unterdrückt nicht wohlmeinend die Überzeugungen Andersdenkender. Es gründet in der uralten Weisheit der Völkerund in elementaren Lebensregeln, wie sie sich seit der Menschwerdung des aus der Tierwelt stammenden Menschen herausgebildet und sich in verschiedenen religiösen und ethischen Traditionen der Kulturen und auch im Gewohnheitsrecht niedergeschlagen haben.
(7)Das Weltethos will die Ethik der einzelnen Religionen nicht ersetzen, sondern unterstützen
Religion ist mehr als nur Moral, ist in erster Linie Botschaft, Heilslehre und schließt auch Ritus und Gemeinschaft ein. Es wäre eine Torheit und Illusion, die Tora der Juden, die Bergpredigt der Christen, den Koran der Muslime, die Bhagavadgita der Hindus, die Reden des Buddha, die Weisheitssprüche des Konfuzius ersetzen und überbieten zu wollen. Sie bleiben Grundlage oder Rahmen für Glauben und Leben, Denken und Handeln von Hunderten von Millionen Menschen. Die Religionen sollen, ja müssen ihr Eigenes selbstverständlich festhalten und es in Glaubenslehre, Riten und Gemeinschaften betonen. Doch sollten sie zugleich erkennen und realisieren, was sie bezüglich einiger elementarer ethischer Weisungen gemeinsam haben.
(8)Das Weltethos reduziert die Religionen nicht auf einen ethischen Minimalismus, sondern weist auf einen Grundstock von elementaren humanen Lebensregeln hin
Es stellt das Elementare dessen heraus, was den Religionen der Welt schon jetzt im Ethos gemeinsam ist. Und gerade die beiden Grundprinzipien eines Weltethos sind höchst anspruchsvoll und verbessern das menschliche Zusammenleben wesentlich: sowohl die Humanitätsregel, dass jeder Mensch menschlich und nicht unmenschlich oder sogar bestialisch behandelt werden soll, als auch die Goldene Regel der Gegenseitigkeit, dem anderen, einem Einzelnen wie einer Gruppe, nicht anzutun, was man auch sich selber nicht angetan haben möchte.
(9) Weltethos ist nicht ein westliches Programm, das dem Rest der Welt auferlegt werden soll, sondern es speist sich aus allen großen Weltkulturen
Elementare Normen der Sittlichkeit haben sich in allen Kulturen herausgebildet. Besonders die Betonung des Humanum und die Goldene Regel der Gegenseitigkeit finden sich schon fünf Jahrhunderte vor Christus bei Konfuzius. Und die vier zentralen ethischen Weisungen oder Imperative der Menschlichkeit – nicht morden, stehlen, lügen, Sexualität missbrauchen – finden sich schon bei Patañjali, dem Begründer des Yoga, im buddhistischen Kanon und natürlich auch in der Hebräischen Bibel wie schließlich im Neuen Testament und im Koran.
(10) Das Weltethos entscheidet nicht die zwischen und in den Religionen notorisch umstrittenen ethischen Fragen
Ethische Fragen, in denen es von vornherein keinen Konsens zwischen den Religionen oder auch nur innerhalb einer Religion gibt, können – zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt – nicht Gegenstand eines Weltethos sein. Dies ist der Grund, weswegen in der Weltethos-Erklärung des Parlaments der Weltreligionen unter anderem vier Probleme, in denen es keinen Konsens gibt, keine Erwähnung finden: Empfängnisverhütung, Abtreibung, Homosexualität und Sterbehilfe. Doch sind die Religionen in der Pflicht, statt die Gesellschaft in diesen Streitfragen zu polarisieren, wie dies oft geschieht, in weiterem Nachdenken und gegenseitigem Gespräch entsprechend den allgemeinen ethischen Normen zu einem Konsens beizutragen, der den Einzelnen hilft und zum gesellschaftlichen Frieden beiträgt.
3. Wesentliche Dimensionen
(1) Ethos meint nicht eine Sittenlehre, sondern sittliches Bewusstsein, Überzeugung, Haltung
»Ethos« (griechisch: ursprünglich Gewohnheit, Herkommen, Brauch, Sitte) meint, streng definiert, nicht eine »Ethik«: nicht ein ethisches System, eine philosophische oder theologische Doktrin oder Disziplin (zum Beispiel die Ethik des Aristoteles, des Thomas von Aquin, Immanuel Kants), die als wissenschaftliche Reflektion über das sittliche Verhalten selbstverständlich von großer Bedeutung sind. Ethos meint vielmehr die innere sittliche Überzeugung und Gesamthaltung, eine Selbstverpflichtung des Menschen auf verbindende Werte, unverrückbare Maßstäbe und persönliche Grundhaltungen oder Tugenden. Wir sind hier nicht mehr auf der Ebene des Rechts, der äußeren Regeln, der Gesetze und Paragraphen, der Polizei, Staatsanwälte, Gerichte und Gefängnisse. Wir sind vielmehr auf der Ebene des persönlichen Gewissens – oder in anderen kulturellen Traditionen: des Herzens –, also des inneren Kompasses. Die juristische wie die ethische Ebene sind notwendig und stützen sich gegenseitig, ohne dass die eine die andere ignorieren oder gar absorbieren darf.
(2) Ethische Werte, Normen, Grundhaltungen sind kulturspezifisch und zeitbedingt, und doch gibt es universelle ethische Konstanten
Ethische Normen realisieren sich stets in einer bestimmten Situation, an einem konkreten Ort, zu einer bestimmten Zeit und zwischen den dort lebenden Menschen. Und: Sie realisieren sich in höchst unterschiedlicher Weise. Und es liegt an der Zeit- und Konstellationsabhängigkeit, dass zu bestimmten Zeiten Normen nicht nur mit unterschiedlichen Prioritäten gehandhabt werden, sondern dass sie auch verschüttet werden, in Vergessenheit geraten, ja, nicht selten aus Machtgründen, bewusst ignoriert werden. Denken wir etwa an die Missachtung der jesuanischen Gewaltlosigkeit im Zeitalter der Kreuzzüge oder die zum Teil kulturell sanktionierte Mädchen-Tötung in Süd- und Ostasien.
Ende der Leseprobe