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Mathilda kann es kaum erwarten. Marie, ihre beste Freundin, kommt nach drei langen Monaten endlich aus England zurück. Sie haben sich so viel zu erzählen. Doch etwas ist irgendwie anders zwischen den beiden Freundinnen. Marie interessiert sich nicht für Mathildas Fußballtraining und will jetzt lieber mit anderen Mädchen spielen. Was ist nur los? Früher gab es nie Missverständnisse oder Streit. Mathilda ist verärgert und traurig zugleich. Werden die beiden Freundinnen sich jemals wieder vertragen?HAU AB, SAGT MATHILDA ist eine wunderbare Geschichte über eine Freundschaft zwischen zwei Mädchen, die lernen müssen, dass jeder sich individuell entwickelt und dass man trotzdem noch befreundet sein kann, obwohl man nicht immer der gleichen Meinung ist. Ein reifes und lebenskluges Buch für junge Leserinnen ab 8 Jahre. Empfehlenswert!-
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Seitenzahl: 118
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Annika Holm
Aus dem Schwedischen von Angelika Kutsch
Saga
Hau ab, sagt Mathilda. Eine Freundschaftsgeschichte
Aus dem Swedish von Angelika Kutsch
Originaltitel: Stick! sa Mathilda Markström © 1995 Annika Holm
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711501245
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com.
»Telefon! Marie ist dran!«
»Marie?!?!?!?«
Mathilda stellt die Dusche ab, schnappt sich ein Handtuch und stürzt zum Telefon in der Diele.
»Hallo! Du? Ihr wolltet doch erst ... Wahnsinn! Super! Mm. Also wie üblich. Wie unüblich. Bis dann! Gute Nacht! Mama! Sie ist wieder da!«
Mama liegt auf dem Sofa vorm Fernseher, hebt die Fernbedienung vom Fußboden auf und schaltet das Gerät ab.
»Sie sollte doch erst nächste Woche kommen!«
»Morgen kommt sie wieder in die Schule. Ihre Stimme klingt wie immer. Ganz genau wie immer.«
Mathilda setzt sich auf die Sofakante, aber Mama schiebt sie beiseite.
»Du hast noch Schaum im Haar. Das tropft. Pass auf, das Sofa.«
»Macht doch nichts.«
»Dein Haar glänzt aber mehr, wenn du den Schaum ausspülst.«
»Du nervst!«
Aber irgendwie hat Mama ja Recht, also geht Mathilda ins Bad und stellt sich wieder unter die Dusche. Wasser und Shampoo rinnen ihr über Augen, Mund, Brust, Bauch, Knie und Füße. Es ist glitschig, weich und warm, und in ein paar Stunden trifft sie Marie.
Ob sie sich überhaupt wieder erkennen? Vielleicht hat sie sich die Haare abgeschnitten? Oder gefärbt? Aber das hätte sie ihr bestimmt geschrieben.
Während Mathilda sich abtrocknet, hört sie, wie die Wohnungstür geöffnet und zugeschlagen wird. Papas Stimme brüllt hallo. Mamas Stimme ruft, dass Marie wieder da ist und dass Mathilda ganz durchgedreht ist vor Glück.
»Na und?«, sagt Mathilda streitlustig. Sie kommt aus dem Bad. »Wärst du das nicht auch, wenn Papa vier Monate in einem anderen Land gewesen wäre und plötzlich nach Hause kommen würde, eine ganze Woche früher.«
»Klar wär sie das.« Papa nickt. »Sie wär nicht bloß durchgedreht, sie würde Purzelbäume schlagen vor Glück.«
»Genau.« Mathilda nickt auch und macht, was Papa gesagt hat. Sie macht einen Überschlag im Durchgang zwischen Diele und Wohnzimmer, und Mama und Papa schreien.
»Seit wann kannst du das denn?«, schreit Papa.
»Das ist gefährlich!«, schreit Mama.
Es ist nicht die Bohne gefährlich, wenn man weiß, wie es geht, und das weiß Mathilda. Sie hat es nämlich im Fußballlager im Sommer gelernt. Die Frau von einem der Trainer hat es ihnen gezeigt. Aber das kann sie im Augenblick nicht erklären, es gibt so viel anderes Wichtigeres zu bedenken.
»Bah«, sagt sie deswegen und wirft sich der Länge nach aufs Sofa, »das ist überhaupt nicht gefährlich.«
Mama hat sich beruhigt. »Jetzt fällt mir ein, dass ich es auch mal gekonnt hab. Das hatte ich ganz vergessen. Aber so elegant wie du konnte ich es nicht. Wollen wir Tee trinken?«
Während Mama und Papa in der Küche herumwirtschaften, bleibt Mathilda auf dem Sofa liegen und denkt an Marie. Und sehnt sich nach Marie. Vielleicht liegt Marie in diesem Augenblick zu Hause bei sich auf dem Sofa und fühlt sich genauso gut. Und sehnt sich nach Mathilda.
Zwischen ihnen sind nur ein paar Häuser und ein Fußweg. Warum geht sie nicht sofort hin, statt hier rumzuliegen und sich zu sehnen?
»Ich geh zu ihr«, teilt sie mit und ist draußen in der Diele, ehe jemand reagieren kann. Aber da packt Papa sie am Arm.
»Halt, stopp! Weißt du, wie spät es ist?«
Das weiß sie nicht, und sie muss es auch nicht wissen. Marie ist ja noch wach, sonst hätte sie nicht angerufen.
Papa zieht sie ins Wohnzimmer.
»Elf Uhr. Nicht die Zeit für Neunjährige, um rauszugehen.«
»Zehn!«, protestiert Mathilda.
»Sogar schon fünf Minuten drüber«, stellt Papa fest.
»Aber ich bin nicht neun, ich bin zehn.«
»Soviel ich weiß, wirst du erst am 13. Dezember zehn, und bis dahin sind es noch einige Monate. Übrigens dürfen Zehnjährige nachts auch nicht rausgehen.«
»Dann komm doch mit!«, bettelt Mathilda. Aber sie weiß, dass sie verloren hat. Also wartet sie die Antwort gar nicht ab und geht in ihr Zimmer.
»Dann geh ich eben schlafen. Weckt mich um halb sieben. Spätestens!«
Plötzlich ist das Gefühl wieder da. Sie ist so voller Glück, dass sie lachen muss, damit sie nicht platzt. Mama und Papa kriegen ihr Küsschen und noch einmal die Ermahnung:
»Halb sieben! Vergesst das nicht.«
Sie hat sich die Haare abschneiden lassen! Sie sind kurz, sehr kurz. Mitten auf dem Kopf ragt es in die Höhe. Die Ohren sind frei. In einem stecken zwei, drei Goldknöpfe.
»Hast du dir Löcher in die Ohren machen lassen?«
»Nur in das eine.«
Dann ist es still. Marie guckt Mathilda an, von unten nach oben und wieder nach unten.
»Hübsche Schuhe.«
Mathilda nickt. Sie ist auch sehr zufrieden mit ihren Stiefeln.
»Hab sie in der letzten Woche gekriegt.«
Was für ein Glück, dass sie die Stiefel tatsächlich vor einer Woche bekommen hat. Jetzt hat sie wenigstens etwas Neues, womit sie sich vor dieser total neuen Marie sehen lassen kann. Es sind nicht nur die Haare und die Ohrstecker. Es sind auch die Jeans. Kohlrabenschwarz, schmal, hauteng. So enge Jeans hat keiner in der Vierten, weder in der a noch in der b. Schick, wirklich schick. Auf dem schwarzen Pullover steht in schrill grünen geschwungenen Buchstaben I love you. Echt tough. Die ganze Marie tough.
Ohne dass sie es merken, sind sie in Richtung Schule gegangen. Marie geht links und Mathilda rechts, so, wie sie fast jeden Tag seit der ersten Klasse zur Schule gegangen sind. Mathilda wechselt mitten im Schritt den Fuß, und Marie macht es genauso. Alles ist, wie es immer gewesen ist.
Abgesehen davon, dass da eine ganz neue Marie geht. Eine, die Mathilda vielleicht nicht kennt. Sie schaudert, aber Marie kichert, und das klingt, wie es immer geklungen hat. Es gluckert in ihr auf und hinaus, rutscht, schlingert. Als sie den Spielplatz überqueren, gekrümmt vor Lachen, fragt Mathilda:
»Worüber lachen wir eigentlich so?«
Marie kichert eine Antwort hervor: »Ich weiß nicht mal, in welche Klasse ich soll.«
»Aber du weißt, wer unsere Lehrerin ist?«, fragt Mathilda kichernd.
»Neeein. Doch! Wenn es Frau Frid ist, dann weiß ich es.«
»Dann weißt du es also.«
Das Gefühl bleibt den ganzen Schultag. Alles macht Spaß. Alles ist leicht. Alle sind nett. Das Essen schmeckt. Gymnastik macht mehr Spaß als sonst. Die Matheaufgaben sind leichter als leicht. Maries Sonne scheint auf Mathilda und auf die ganze Klasse, wie sind sie nur so lange ohne sie zurechtgekommen?
»Alles ist viel schöner, jetzt, wo du wieder da bist«, sagt Mathilda mit einem Seufzer, als sie erneut den Spielplatz überqueren, diesmal in die andere Richtung.
»Ja«, sagt Marie, »es ist herrlich, dass ich wieder hier bin. England mag ich nicht besonders. Doch, schon, aber es ist eben nicht so wie hier.«
Sie hängt sich bei Mathilda ein. Das ist ungewohnt und ein bisschen aufregend. Arm in Arm zu gehen. Wie die Eltern es manchmal machen. Wie Erwachsene es machen. Nette Angewohnheit!
»Was hat dir am besten an England gefallen?«, fragt sie, und Marie überlegt eine Weile, ehe sie antwortet.
»Das Essen. Das fand Mama aber gar nicht. Im Gegenteil, sie fand es abscheulich.«
Mathilda versteht das nicht. Entscheidet nicht die Mutter darüber, was es zu essen gibt, weil sie das Essen kocht?
»Mama war den ganzen Tag bei ihrem Kurs und auch fast jeden Abend. Sie hat es nie geschafft, Essen zu kochen. Deshalb hat sie auf dem Heimweg was Fertiges gekauft. Fish and chips meistens.«
Mathilda versteht es immer noch nicht.
»Fertiges Essen? Konntet ihr euch das denn leisten?«
»Das ist nicht teuer. Manchmal hat sie nur eine Portion und ein Paket Chips extra gekauft. Und dann haben wir vorm Fernseher gesessen und gegessen. Das war toll.«
Wirklich beneidenswert, das findet Mathilda auch. Vor dem Fernseher zu sitzen und direkt aus der Verpackung zu essen. Wie beim Picknick.
Marie bleibt stehen und lässt Mathildas Arm los. »Weißt du was, das machen wir heute Abend!«
»Was?«
»Darf ich Sie heute Abend zu einem Picknick vorm Fernseher einladen? Um sieben Uhr? Bringen Sie bitte Ihre eigene Serviette mit und ziehen Sie möglichst keine saubere Kleidung an.«
Merkwürdig, wie das Leben sich plötzlich verändern kann.
Gestern um diese Zeit war noch alles wie immer, nicht mal besonders langweilig, aber auch nicht besonders lustig. Sie hat mit Mama Pilze geputzt und daran gedacht, dass Marie in einer Woche nach Hause kommen würde. Jetzt gehen sie hier nebeneinander her und heute Abend werden sie sogar gemeinsam ein Picknick machen.
»Ich komme.«
Nein. Sie kann nicht. Es ist Montag. Fußball. Training. Um halb sieben beim neuen Klubhaus.
»Es geht nicht!«
»Was geht nicht?«
»Das Fußballtraining.«
»Was für ein Fußballtraining?« Maries Stimme klingt ganz erstaunt, und natürlich kann sie das nicht verstehen. Das Training ist was ganz Neues, es hatte noch nicht angefangen im Mai, als Marie mit ihrer Mutter abgefahren ist.
»Es ist nämlich so, ich trainiere Fußball.«
»Du spielst Fußball?« Jetzt klingt Maries Stimme, als ob Mathilda gesagt hätte, sie wolle Weltraumpilotin werden.
»Montags und donnerstags. In einer Mannschaft mit Monica und Mirjam.«
»Davon hast du mir ja gar nichts geschrieben.«
»Hab ich wohl. Ich hab vom Fußballlager erzählt. Erinnerst du dich nicht?«
Aber das ist im Sommer gewesen. Jetzt ist Herbst. Und in den Briefen hat nichts über ein Fußballlager gestanden, behauptet Marie.
Es war nämlich so, dass Mathilda ganz leicht Fußball spielen lernte. Sie hat ein gutes Ballgefühl, haben die Trainer im Lager gesagt. Schnell ist sie auch, das haben sie auch gesagt. Und dann haben sie gesagt, wenn Mathilda ordentlich trainierte, könnte sie genauso gut wie Monica werden, und die ist die Beste in der Mannschaft.
Mathilda wird rot, als sie daran denkt, und dann errötet sie noch ein bisschen mehr, weil sie daran denkt, wie wunderbar Fußball spielen ist.
»Du musst auch mitmachen!«, sagt sie. »Du kannst dir gar nicht vorstellen, was für einen Spaß das macht.«
»Aha«, sagt Marie langsam. »Du willst also in Zukunft mit einem albernen Ball zwischen den Füßen rumrennen und schwitzen.«
Warum sagt sie so was? Hat sie es überhaupt schon mal ausprobiert?
»Mädchenfußball«, fährt Marie fort und spuckt das Wort förmlich aus, »Mädchenfußball ist doch ätzend.«
»Ist es überhaupt nicht.«
»Es ist ätzend.«
»Mädchen können genauso gut Fußball spielen wie Jungen!«
»Na und? Es ist trotzdem dämlich.«
Was machen sie da? Sie zanken sich. Plötzlich zanken sie sich. Gleich am ersten Tag. Sie merken es gleichzeitig und sind beide verlegen. Marie reißt sich als Erste zusammen und zuckt mit den Schultern.
»Okay, vielleicht ist nichts am Fußball auszusetzen, auch wenn ich nicht kapiere, was daran so gut sein soll ... Aber ich hätte es schön gefunden, zusammen mit dir ein Picknick zu machen und zu feiern.«
»Ich auch.« Mathilda atmet heftig. »Vor dem Fernseher. Können wir nicht ...«
... morgen feiern, wollte sie sagen, aber sie kommt nicht dazu, denn Marie ist genauso eifrig und unterbricht sie:
»Es macht doch nichts, wenn du das Training einmal ausfallen lässt. Musst du denn jedes Mal hingehen?«
Muss sie das? Du darfst kein Training verpassen, wenn du im Herbst beim Turnier mitspielen willst, hat der Trainer gesagt. Bis jetzt hat sie noch kein Training verpasst. Aber vielleicht könnte sie heute ein bisschen krank sein?
»Ich weiß nicht«, beginnt sie, aber wieder kommt Marie ihr mit der Antwort zuvor.
»Okay, du weißt es also nicht. Dann pfeif drauf. So wichtig ist es ja nicht.«
Bevor Mathilda den Satz zu Ende angehört hat, ist Marie schon auf dem Weg über den Rasen, zu den Hochhäusern beim Zentrum hinauf. Bevor sie antworten kann, ist Marie schon so weit entfernt, dass sie rufen muss.
»Marie! Bleib stehen! Ich komme!«
Aber Marie bleibt nicht stehen. Oder sie hat es nicht gehört. Mathilda läuft hinter ihr her. Doch dann bleibt Marie plötzlich stehen und brüllt:
»Mach, was du willst! Mir doch egal, was du tust!«
Ja, genau das tut sie: Sie brüllt. Ihre Stimme hallt über den Rasen. Mathilda guckt sich um. In der Sandkiste graben zwei Kinder, auf der Bank sitzen zwei Mütter, auf dem Kiesweg bewegt sich eine alte Frau mit einem Gehwagen vorwärts. Komisch, niemand schaut auf, komisch, wahrscheinlich haben sie gar nichts bemerkt.
Wieso merken sie nichts? Wenn die ganze Welt zusammenbricht, wenn sich alles plötzlich ins Gegenteil kehrt und anders ist, als es sein sollte.
In einer einzigen Minute.
Minzi will auf ihre vertraute Weise Guten Tag sagen. Aber Mathilda hockt sich nicht hin so wie sonst, krault Minzi nicht hinter den Ohren, drückt ihre Stirn nicht an Minzis Schnauze. Mathilda geht in die Wohnung, ohne die Stiefel auszuziehen, lässt die Tasche fallen, wo sie steht, tritt gegen den Futternapf, dass er über den Küchenfußboden rutscht, reißt die Kühlschranktür auf, guckt hinein, knallt sie wieder zu, tritt gegen einen Stuhl, dass er umfällt, greift sich einen Apfel, stellt das Radio an, wirft sich auf den Stuhl, der nicht umgefallen ist. Sie ist so wütend, dass sie nicht merkt, dass Mama zu Hause ist – so früh? –, und ihre Wut legt sich auch nicht, als Mama sie anstarrt, ohne ein Wort zu sagen.
»Lass das«, schreit Mathilda, »sag nichts!«
»Aber Schätzchen«, murmelt Mama und zieht sich zurück. Als sie am Telefon vorbeikommt, klingelt es. Sie meldet sich, lauscht, und ihre Stimme klingt zögernd.
»Doch, sie ist zu Hause, aber ich weiß nicht, ob ...«
Mama legt die Hand über die Sprechmuschel und schaut Mathilda fragend an.
»Kannst du mal ans Telefon kommen? Es ist Achim.«
Mathilda zieht eine Grimasse und macht wütende Gesten, aber Mama spielt nicht mit.
»Willst du mit Achim sprechen?«, ruft sie laut.
Nein, das will Mathilda wirklich nicht, aber so was sagt man nicht. Dumme Mama, sie hätte ja sagen können, Mathilda sei nicht zu Hause.
»Ich komme.«