Heartwhisper - Valea Summer - E-Book

Heartwhisper E-Book

Valea Summer

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Beschreibung

»Ich glaube, du gehst nicht mit mir aus, weil du Angst hast, du könntest dich in mich verlieben.«
 
Alice bleibt nicht lange an einem Ort. Seit einem tragischen Ereignis  versteckt sie sich vor ihrer Vergangenheit, ihren Erinnerungen und ihren Gefühlen. Die wahre Liebe ist für sie nichts weiter als eine Illusion, bis sie Gabriel kennenlernt.
Er weckt in ihr nicht nur ein tiefes Verlangen, sondern eine ungeahnte Sehnsucht. Als es endlich bergauf zu gehen scheint und Alice glaubt ein normales Leben führen zu können, wird ihre Welt erschüttert. Plötzlich scheint nicht nur sie in Gefahr zu schweben, sondern auch Gabriel.
 
Wird es dem charismatischen Studenten gelingen, ihr Vertrauen zu gewinnen und ihr Herz zu erobern?
 
Emotional. Erotisch. Geheimnisvoll. Heartwhisper ist der zweite Band der Heart - Reihe von Valea Summer!

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Valea Summer

Heartwhisper

Flüstern der Liebe

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Impressum

 

Heartwhisper - Flüstern der Liebe

New Adult

©2023 Valea Summer

[email protected]

www.facebook.com/autorin.valea.summer

www.instagram.com/autorin.valea.summer

 

 

Umschlaggestaltung: Dream Design – Cover and Art

www.cover-and-art.de

Bildmaterial: Shutterstock, Adobe Stock

Korrektorat: Bastei Lübbe

Text: Valea Summer

 

 

Inhaltswarnung:

Dieses Buch beinhaltet Gewalt, selbstverletzendes Verhalten, sexuellen Missbrauch

 

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte liegen beim Autor. Vervielfältigung, Übersetzung und Einspeicherung sind für Bild und Text untersagt.

Ähnlichkeiten mit Personen des realen Lebens, ganz gleich ob lebendig oder tot, sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Widmung

 

Für Melanie, weil sie vom ersten Augenblick hinter Gabe stand.

Prolog

 

Meine Hände zitterten unaufhörlich. Es war überall. Es klebte an meinen Jeans, meinem Oberteil und meinen Händen. Was war passiert? Wo kam das rote Zeug her? Ich konnte mich nicht erinnern. Es war alles so unwirklich, wie in einem schlechten Traum.

Ich träumte oft schlecht. Deshalb wusste ich, wie solche Träume abliefen. Ich musste nur aufwachen. Dann würde alles gut werden. Doch ich wachte nicht auf. Ich konnte dem Alptraum nicht entfliehen. Er hielt mich in seiner Welt gefangen, bis ich schreiend aufwachen würde.

Verängstigt sah ich mich um. Ich saß auf einem Stuhl in einer Ecke. Keiner der Uniformierten beachtete mich. Sie liefen den Flur entlang und sprachen in ihre schwarzen Funkgeräte, die an ihren Schultern befestigt waren. Dokumente stapelten sich auf den Schreibtischen, und Telefone klingelten.

Warum war ich hier? Was hatte ich getan, dass man mich aufs Revier mitgenommen hatte? Ich wusste es nicht. Doch wenn man mich unbeaufsichtigt ließ, konnte ich nichts Schlimmes verbrochen haben. Mein Blick fiel auf die große Uhr, die über der Eingangstür hing. Mitternacht. Ich musste nach Hause. Wenn er feststellte, dass ich nicht in meinem Bett lag, sondern auf der Wache saß, würde es Ärger geben.

Da ich mir keiner Schuld bewusst war, stand ich auf und ging den Flur entlang. Meinen Kopf hielt ich gesenkt und starrte auf meine Chucks, die ebenfalls mit dem roten Zeug beschmutzt waren. Keiner der Cops nahm Notiz von mir oder sprach mich an, sodass ich einfach aus dem Revier spazieren konnte. Anscheinend war dort die Hölle los, weshalb man einem 14-jährigen Mädchen keine Beachtung schenken musste.

Die Dunkelheit, die mich draußen erwartete, hieß mich mit offenen Armen willkommen. Hier war ich nicht den grellen Neonröhren ausgesetzt, deren Licht in meinen Augen brannte. Hastig lief ich die Stufen hinunter und machte mich auf den Heimweg. Ich musste mich beeilen. Er durfte nicht mitbekommen, dass ich nicht in meinem Bett lag und schlief.

Wenn ich daran dachte, was sonst passieren würde, krampfte sich mein Herz zusammen. Zitternd zog ich die Sweatjacke enger um meinen Körper und lief weiter. Ein kleines Mädchen wie ich sollte um diese Zeit nicht auf der Straße sein. Vor allem nicht in einer Gegend, die nicht für ihre Sicherheit bekannt war. Doch was sollte ich tun? Ich musste nach Hause.

Meine Beine trugen mich immer schneller den Weg entlang, bis sie unser Haus erreichten. Von der Straße aus konnte ich erkennen, dass in der Küche Licht brannte. Hatte er bemerkt, dass ich nicht im Bett lag? Das würde Ärger geben. Noch mehr, wenn ich nicht sofort hineinging. Also schluckte ich die Angst hinunter und betrat das Haus.

Es war ungewöhnlich still. Wahrscheinlich die allbekannte Ruhe vor dem Sturm. Je näher ich der Küche kam, desto stärker wurde das Stechen in meinem Bauch. Krampfhaft biss ich mir auf die Lippe und zwang mich weiterzugehen. Er würde mich so oder so bestrafen. Wenn ich mich ihm jetzt zeigte, dann würde es nicht ganz so schlimm werden.

Mit geneigtem Kopf, er mochte es nicht, wenn ich ihm in die Augen sah, betrat ich die Küche. Sogleich fiel mein Blick auf die rote Lache zwischen Anrichte und Esstisch. Mein Herz setzte einen Schlag lang aus, als mir bewusst wurde, um was es sich handelte. Blut. Genau wie die roten Flecken, die sich auf meiner Kleidung und meinen Händen befanden.

Schreiend sank ich auf die Knie. Tränen brannten bereits hinter meinen Lidern und quollen aus meinen Augen. Wie ein reißender Fluss liefen sie meine Wangen hinab, tropften auf den Küchenboden und vermischten sich mit dem getrockneten Blut. Ich wusste wieder, warum ich auf dem Revier war, warum das ganze Blut an mir klebte.

Eins

 

»Alice«, rief Manuel, unsere Aushilfe, »die Bestellung für Tisch sechs ist fertig!«

»Ich komme sofort!«

Mit einem aufgesetzten Lächeln kassierte ich einen Gast ab und steckte das Trinkgeld in die Kellnerbörse. Das kleine Café mit dem rustikalen Charme war gut besucht. Jeder der runden Holztische wurde von den unterschiedlichsten Gästen besetzt. Ob Familien, Senioren oder Studenten, sie alle kamen her und genossen die herzliche Atmosphäre, die das Café vermittelte. Natürlich kamen sie auch wegen des unwiderstehlichen Kaffees, den wir in verschiedenen Röstungen anboten. Ich hatte das Café vom ersten Moment an ins Herz geschlossen, auch wenn ich bald Abschied nehmen musste.

Obwohl ich versuchte, meine Kollegen auf Abstand zu halten und keine engere Freundschaft aufzubauen, würde ich sie bestimmt vermissen. So viele Jobs hatte ich in den letzten zwei Jahren hinter mich gebracht, und bei keinem hatte ich mich wohl gefühlt. Dabei konnte ich nicht mal sagen, woran es lag. Das Gesamtbild stimmte, und die Angestellten nahmen mich so, wie ich war. Trotzdem musste ich aufpassen, mich nicht allzu stark auf sie einzulassen. Dieses Café war nur ein Zwischenstopp auf einer langen Reise. Tiefere Freundschaften lohnten sich nicht.

Seufzend strich ich mir eine dunkelrote Strähne hinters Ohr und dachte daran, wie es wäre, wenn mein Leben nicht so verkorkst wäre. Leider konnte ich nicht ungeschehen machen, was in der Vergangenheit passiert war. Nun musste ich mit den Konsequenzen leben. Während ich mir in Gedanken ein besseres Leben ausmalte, ging ich zu Manuel. Ich stellte die Tasse mit dem schwarzen Kaffee und den Teller mit den Sandwiches aufs Tablett, um es dem Gast zu bringen.

Als ich den Studenten mit dem sandfarbenen Haar, die ihm leicht ins Gesicht fielen, entdeckte, stöhnte ich innerlich auf. Dieser Typ war verdammt hartnäckig, wenn es darum ging, mich nach einem Date zu fragen. Seit er mich in einem schwachen Moment im Park aufgelesen hatte, verbrachte er täglich mehrere Stunden im Café. Dabei hing er die meiste Zeit über seinem Laptop und einem Stapel Dokumente. Wahrscheinlich, um irgendwelche Aufgaben fürs Studium zu erledigen.

Mein Magen zog sich bei diesem Anblick zusammen. Jedes Mal, wenn ich ihn arbeiten sah, fühlte es sich an, als würde ich ein Geschwür mit mir herumtragen. Ich war neidisch, dass er studieren konnte, dass er etwas ausleben durfte, was mir nicht vergönnt war. Dieses Gefühl stieß mir auf wie saure Galle. Ich hasste es. Ich hasste es, dass ich so fühlte. Er konnte nichts dafür, dass ich mich an keiner Uni einschreiben konnte. So war es nun mal.

Damit er mir meine innere Unruhe nicht anmerkte, setzte ich wie üblich mein schönstes Lächeln auf. Grace nannte es mein Kellnerlächeln, da dieses Lächeln lediglich eine Fassade war. Egal wie genervt ich von einem Kunden war, ich durfte es mir nicht ansehen lassen. Die goldene Regel im Umgang mit den Gästen war, stets höflich und zuvorkommend zu sein. Das war das Erste, was ich nach meiner Einstellung von Steven eingetrichtert bekommen hatte. Mit ebendiesem freundlichen Lächeln, das meine Mundwinkel umspielte, stellte ich die Bestellung vor dem blonden Studenten auf den Tisch.

»Einmal schwarzen Kaffee und Sandwiches. Kann ich sonst noch etwas für dich tun?«, fragte ich überfreundlich und hielt das leere Tablett vor meine Schürze.

Er sah von seiner Arbeit auf und bedachte mich mit einem verschmitzten Lächeln, das seine Grübchen hervortreten ließ. In dieser Sekunde spürte ich, wie mein Herz einen Hüpfer in meiner Brust veranstaltete. Meine Finger schlossen sich fester um den Rand des Tabletts, damit ich nicht die Fassung verlor. Dieser Kerl übte einen gewissen Reiz auf mich aus. Seit ich in jener Nacht in den Genuss seiner Lippen gekommen war, ging er mir nicht aus dem Kopf.

Ich sehnte mich danach, seine Lippen erneut zu schmecken, meine Hände über seinen Körper wandern zu lassen und seinen Schwanz in mir zu fühlen. Als würde meine Vagina mir zustimmen, zog sie sich bei dem Gedanken an seine Männlichkeit fest zusammen. Ein heißes Prickeln ging von ihr aus und breitete sich in meinem Unterleib aus. Frustriert presste ich meine Schenkel zusammen und betete, dass sich die Bilder auflösten.

»Also, was kann ich dir bringen?«, fragte ich, während ich ungeduldig mit dem Fuß auftippte.

Seine tiefgrünen, schmalen Augen glitten über meinen Körper, als würde er mein Verlangen nach ihm riechen. »Geh mit mir aus.«

Ohne ein Wort machte ich auf dem Absatz kehrt und ging zur Theke zurück. Eines musste ich ihm lassen, er war verdammt hartnäckig. Leider gehörte er zu der Sorte Mann, die nicht gleich mit einer Frau ins Bett stieg. Zumindest vermittelte er mir den Eindruck. Warum musste er mich ausgerechnet dann fragen, wenn ich kurz davor war, ja zu sagen? Eine andere Möglichkeit, ihn ins Bett zu bekommen, würde sich mir bestimmt nicht bieten.

Trotzdem würde ich mich nicht auf ein Date mit ihm einlassen. Dann musste ich mir eben etwas anderes einfallen lassen, um mein Verlangen zu mindern. Dates gehörten zu den Dingen, die ich in meinem Leben mied. Wenn man erst mal damit anfing, sich zu treffen, sich kennenzulernen, dann endete es meist in einer Beziehung. Darauf hatte ich keine Lust. Dieser ganze Kram von wegen wahre Liebe waren nur Hirngespinste. So etwas gab es nicht. Das, was ich wollte, war Spaß zu haben, und das funktionierte auch, ohne sich an einen Mann zu binden.

Ein genervter Laut entwich meinen Lippen, als ich das Tablett auf die Anrichte stellte. So wie ich ihn einschätzte, würde er nicht lockerlassen. Warum? Was wollte er von mir? Was war so besonders an mir?

»Hat er dich wieder nach einem Date gefragt?«

Mit einem wissenden Grinsen ging Grace um die Theke herum und legte ebenfalls ihr Tablett auf die Anrichte.

Ich zuckte mit den Achseln und schnappte mir ein Geschirrtuch, damit ich die Tassen aus der Spülmaschine räumen konnte. Was sollte ich darauf antworten? Grace kannte das Theater bereits, er machte es ja nicht zum ersten Mal.

»Warum erbarmst du dich nicht und gehst mit ihm aus?« Sie warf einen Blick auf den blonden Schönling, der konzentriert auf sein Notebook schaute. »So schlecht sieht er doch nicht aus. Er scheint auch ein netter Mann zu sein.«

Während ich die Tassen abtrocknete, linste ich aus den Augenwinkeln zu ihm hinüber. Sie hatte recht. Ich wusste gut genug, wie heiß er ausschaute. Der lässige Street Style verlieh dem Studenten mit dem Bart um den Mund etwas Verwegenes.

Je länger ich ihn betrachtete, desto heißer wurde mir. Die Bilder waren erst aus meinem Kopf verschwunden, da tauchten sie erneut auf. Ich konnte förmlich spüren, wie sie meinen Slip durchnässten. Die Vorstellung, unter seinem breiten Körper zu liegen und jeden Zentimeter zu fühlen, brachte mein Herz außer Rand und Band.

Genervt von mir selbst wandte ich mich meiner Arbeit zu. Es fehlte noch, dass er mir wortwörtlich zu Kopf stieg. Noch hatte ich die Kontrolle, und die würde ich sicher nicht an meine Hormone abgeben. Nur weil mein Sexleben in den letzten Monaten etwas zu kurz kam, musste ich nicht über den erstbesten Mann herfallen.

Das Problem dabei war, dass ich bereits eine Kostprobe von dem bekommen hatte, was ich begehrte. Er war ein verflucht guter Küsser und hatte mich auf den Geschmack gebracht. Ich fühlte mich wie Eva, die von der verbotenen Frucht gekostet hatte.

»Ich bin nicht an einer Beziehung interessiert, und das scheint er zu wollen«, antwortete ich auf Grace‘ Frage.

»Davon war nie die Rede.« Die Brünette, die etwas Mütterliches an sich hatte, bedachte mich mit einem kecken Lächeln. »Ihr jungen Leute führt doch selten noch eine Beziehung.«

Grace überraschte mich mit ihrer modernen Ansicht immer wieder aufs Neue. Anfangs hatte ich sie für einen engstirnigen und altmodischen Menschen gehalten. Ich hatte mich getäuscht. Sie war offen, tolerant und leider auch ein Tratschweib mit der Vorliebe, ihre Kollegen zu verkuppeln.

Mir schwante Böses, wenn ich sie so beobachtete. Vermutlich kribbelte es ihr bereits in den Fingern, mich mit dem heißen Studenten zu verkuppeln. Wenn nicht alles so kompliziert wäre, wenn ich an die Liebe glauben würde, dann hätte ich es lustig gefunden. Aber im Augenblick wollte ich damit nichts zu tun haben.

Seufzend schloss ich die Augen und kniff mir in den Nasenrücken.

Alice, denk dran, so wenig Nähe wie möglich. Keine engen Freundschaften. Du darfst sie nicht in Gefahr bringen.

Wieder mal wünschte ich mir, mein Leben wäre anders verlaufen. Normal. War es aber nicht. Hinzu kam, dass ich wieder anfing, von den brutalen Ereignissen zu träumen. Meine Vergangenheit holte mich ein.

»Fühlst du dich nicht gut? Du siehst erschöpft aus.«

Die füllige Frau mit dem graumelierten Haar kam an meine Seite und strich mir behutsam über den Rücken.

»Ich schlafe in letzter Zeit schlecht, das geht vorbei.« Wie immer, wenn ich nicht reden wollte, tat ich es mit einem Lächeln ab. »Mach dir keine Sorgen, es geht mir gut.«

Ich legte Grace eine Hand auf die Schulter, um ihr zu bedeuten, dass sie sich keine Gedanken zu machen brauchte. Mit Schlafmangel kannte ich mich aus. Es war ja nicht das erste Mal, dass ich die Nächte lang wach lag, um den Alpträumen zu entfliehen.

»Es ist doch verständlich, dass ich mir Sorgen mache«, widersprach sie.

Der Blick, mit dem sie mich eingehend musterte, war alles andere als zufriedenstellend. Sie machte sich ernsthaft Sorgen. Das war mir neu. So etwas kannte ich nicht, was vielleicht daran lag, dass ich nicht lange genug an einem Ort blieb.

»Vielleicht solltest du dir ein paar Tage frei nehmen. Steven hat sicher nichts dagegen.«

Ich antwortete mit einem kurzen Kopfschütteln.

»Ich brauche das Geld, und wie gesagt, es geht mir gut. Ich bin fit.«

Meine Kollegin wollte darauf etwas erwidern, wurde aber von einem Gast unterbrochen, der meine Aufmerksamkeit verlangte. Da hatte ich noch mal Glück gehabt. Wie sollte ich ihr erklären, dass ich das Geld benötigte, damit ich weiterziehen konnte?

Ich gehörte nicht zu der Sorte Mensch, die sich verabschiedete, ich kündigte und verschwand ohne ein Wort. Das hatte mir bisher jeglichen Schmerz erspart, und der würde bei meinen aktuellen Kollegen nicht ausbleiben.

Der Mann, der mich zu sich gewunken hatte, versteckte sich wie jeden Tag hinter einer Zeitung. Das Einzige, was ich von ihm erblickte, war das blaue Basecap mit dem Miami-Heat-Schriftzug. Nach dem ich ihm den Preis genannt und er den Betrag bezahlt hatte, steckte ich das Geld ein und ging zur Theke zurück. Grace bediente mittlerweile die anderen Gäste, während Manuel sich um den Kaffee und die Sandwiches kümmerte.

Ich räumte gerade das benutzte Geschirr in die ausgeräumte Spülmaschine, als das Läuten der Glocke über der Tür einen Gast ankündigte. Eine blonde Studentin meines Alters betrat das Café und strahlte mich an, als sie mich entdeckte. In ihrem rosafarbenen Sommerkleid und mit dem seitlich geflochtenen Zopf erinnerte sie mich an eine Barbie.

Dabei war sie alles andere als ein Püppchen. Ich hatte Calla auf dem Collegefest kennengelernt und feststellen dürfen, dass sie ein ziemliches Mundwerk besaß. Die französischen Flüche, die ihr manches Mal herausrutschten, waren nicht ohne. Ich mochte ihre Art, auch wenn mir ihr Optimismus manchmal auf die Nerven ging.

»Hey«, begrüßte sie mich und schob ihre Sonnenbrille, die teuer aussah, auf ihren Kopf. »Ist Gabe hier?«

Ich nickte und wies in die Richtung des Tisches, an dem er arbeitete. »Kannst du ihn mitnehmen?«

Calla schaute in die Richtung, in die ich wies, und wandte sich mit einem wissenden Lächeln mir zu.

»Belagert er dich schon wieder?«

Meiner Mimik war scheinbar zu entnehmen, dass ich leicht genervt war von seiner ständigen Anwesenheit. Wer wäre das nicht, wenn man ständig um ein Date gebeten wurde, obwohl man es nicht wollte?

»Ich versuche mal mein Glück.« Sie straffte ihre Schultern, als würde sie sich einer Herausforderung stellen. »Machst du mir einen Karamell-Latte?«

»Natürlich.«

Während Calla sich zu Gabe an den Tisch gesellte und er sie zur Begrüßung in die Arme zog, bereitete ich den Latte zu. Mit ein wenig Gebäck, das wir dazu servierten, brachte ich ihr das heiße Getränk. Das Bild, wie die zwei sich unterhielten und lachten, versetzte meinem Herz einen Stich. Das unangenehme Ziehen breitete sich schnell in meiner Brust aus und blieb dort verankert. Neid? Eifersucht?

Ich wollte es auch haben. Freunde. Menschen, mit denen ich lachen und meinen Kummer teilen konnte. Ich wünschte mir verzweifelt, an einem Ort Wurzeln schlagen zu können. Es würde beim Wunschdenken bleiben, also verdrängte ich die Enge in meinem Brustkorb und ging meinem Job nach. Ich nahm Callas Getränk vom Tablett und stellte es auf dem Tisch ab. Dabei versuchte ich das fast schon aufdringliche Starren von Gabe zu ignorieren. Vergebens.

Etwas unbeherrscht fuhr ich ihn an. »Nein.«

»Warum nicht?« Unschuldig zog er eine Braue hoch, die unter seinem leichten, schrägen Pony verschwand.

»Warum sollte ich mit jemandem ausgehen, für den keine Frau gut genug ist?«

Ich drückte das Tablett an meine Brust und verschränkte die Arme darüber, unterdessen wartete ich auf seine Antwort. Als ich erwähnte, dass keine Frau gut genug für ihn sei, weiteten sich seine Augen für einige Sekunden.

Statt mich zu fragen, woher ich es wusste, trat ein triumphierendes Lächeln auf seine Lippen.

»Entweder mein Ruf eilt mir voraus oder du scheinst dich für mich zu interessieren.«

Jetzt war es an mir, ihn mit aufgerissenen Augen anzusehen.

»Ich bin nicht an dir interessiert.«

Das stimmte so nicht ganz. Ich war an ihm interessiert, oder vielmehr daran, mit ihm eine Nacht zu verbringen. Von seinem Ruf als Unnahbarer hatte ich zufällig auf dem Collegefest erfahren.

»Also warum ich, wenn du sonst jeder Frau einen Korb gibst?«

»Weil du mir den Kopf verdreht hast«, sagte er ehrlich.

Seine Augen hielten meinen Blick gefangen, als wollten sie mir sagen, dass er die Wahrheit sagte.

Ich hielt seinem Blick stand und setzte noch einen drauf. So langsam fand ich Gefallen an dem Spiel.

»Ich denke, du willst nur mit mir ausgehen, weil ich dir nicht hinterherrenne wie die anderen Frauen.«

»Möglich.«

Ein freches Lächeln zuckte über seine Lippen und brachte seine Grübchen zum Vorschein. Dieser Mann war durch und durch ehrlich. Er verstand sich vollkommen darauf, seinen Charme gekonnt einzusetzen und Frauen den Kopf zu verdrehen.

Nicht mit mir. So leicht würde ich es ihm nicht machen. Wenn er wirklich ein Date wollte, dann sollte er sich anstrengen, wobei das nicht bedeutete, dass ich wirklich mit ihm ausging. Wenn er jedoch zu anderen Waffen griff, wie seinem Körper, dann würde mein Widerstand schnell fallen.

»Du bist unglaublich«, murmelte ich und schüttelte den Kopf.

»Heißt das, du gehst mit mir aus?«, fragte er hoffnungsvoll. Dabei sah er mich an wie ein kleiner Welpe, der um ein Leckerli bettelte.

»Nein.«

Meiner Stimme war anzuhören, dass das Thema für mich beendet war. Zumindest bis Gabe mich erneut nach einem Date fragen würde. Ich konnte es nicht nachvollziehen, warum er ausgerechnet mit mir ausgehen wollte. So wie es sich anhörte, liefen ihm doch genug Frauen hinterher. Allerdings gab er ihnen auch jedes Mal einen Korb, wenn sie ihn fragten. Warum also ich?

»Ich schätze, du beißt dir an Alice die Zähne aus«, mischte Calla sich ein, die ihn belustigt anschaute.

»Wir werden sehen«, entgegnete er herausfordernd und widmete sich wieder seiner Arbeit.

Ich wollte ihm widersprechen, biss mir aber rechtzeitig auf die Zunge. Manchmal war es besser, nichts zu sagen. Es hieß nicht ohne Grund, der Klügere gibt nach.

Ein lautes Klirren lenkte meine Aufmerksamkeit von den beiden ab, sodass ich mich zur Theke herumdrehte. Was hatte unsere Aushilfe jetzt schon wieder kaputt gemacht?

»Entschuldigt mich.«

Mit einem kurzen Nicken ließ ich die beiden zurück und ging zur Theke. Grace hatte ich währenddessen schon in den Abstellraum flitzen sehen. In der letzten Zeit hatten wir viele Scherben auflesen müssen. Manuel war ein kleiner Tollpatsch und ließ mindestens einmal am Tag etwas fallen. Ich fragte mich wirklich, warum Steven ihn überhaupt beschäftigte. Er machte leckere Sandwiches und kochte einen köstlichen Kaffee, aber als Servicekraft war er nicht zu gebrauchen. Die Gäste würden ihn wohl vermissen, denn ich hatte schon oft von ihnen gehört, dass Manuels Kaffee besonders schmeckte. Wahrscheinlich gab unser Chef ihm deshalb eine Chance.

Bei der Theke angekommen legte ich das Tablett auf der Anrichte ab und kniete mich zu Manuel, der bereits die Scherben auflas. Vorsichtig, damit ich mich nicht schnitt, sammelte ich die größeren Scherben auf und warf sie in den Mülleimer. Dabei war ich darauf bedacht, mich nicht zu schneiden, was mir nicht so leicht fiel. Das zerbrochene Porzellan war verdammt scharf. Auch wenn es mir erspart blieb, mich zu verletzen, Manuel hatte nicht so viel Glück.

Zischend zog er die Luft ein und ließ eine Scherbe fallen.

»Shit.«

Blut lief über seine Handfläche, die er auf Brusthöhe hielt. Ohne auf mich zu achten, griff er sich ein Geschirrtuch und wickelte es um die verletzte Hand. Der Schnitt schien jedoch tiefer zu sein, als er gedacht hatte, denn das Tuch wurde in Sekundenbruchteilen von der roten Flüssigkeit durchtränkt. Wie in Trance starrte ich auf das Blut, das am weißen Porzellan klebte und das Tuch verfärbte.

Mein Herz fing an zu rasen, als ich an den Traum von letzter Nacht dachte. Ich war wieder mittendrin und vor mir diese Lache aus dunkelrotem Blut. Krampfhaft zog sich mein Magen zusammen, bis er schmerzte.

Säure stieg meinen Hals hinauf, verätzte meine Kehle und hinterließ einen bitteren Geschmack. Sosehr ich auch wollte, ich konnte den Blick nicht von dem Blut wenden. Es brannte sich regelrecht hinter meine Augen und rief die Bilder aus dem Traum hervor.

Blut. Überall Blut. Es klebte an mir wie Teer. Ich spürte, wie sich mein Blickfeld eingrenzte und an den Rändern schwarz färbte. Das Café fing aus heiterem Himmel an zu schwanken, wie bei einem Erdbeben, während meine Beine unter mir nachgaben. Ich konnte mich gerade noch an der Theke abstützen, als ich zu Boden sank.

»Alice.« Eine Stimme drang zu mir durch. »Mein Gott, Alice, sag doch was. Was ist los?«

Ich hob den Kopf und sah in das besorgte Gesicht von Manuel. Wieder fiel mein Blick auf seine verbundene Hand. Übelkeit übermannte meine Sinne, sodass ich würgen musste.

Jetzt bloß nicht kotzen. Reiß dich zusammen.

Zitternd zog ich mich an der Theke hoch und versuchte, zu den Toiletten zu gehen. Anscheinend wollten meine Beine nicht so wie ich.

Manuel schien endlich zu begreifen, dass ich kein Blut sehen konnte, und entfernte sich von mir. Gleich darauf kam er mit Grace zurück, die mich in den Aufenthaltsraum brachte und auf einen Stuhl setzte. Sie holte mir ein Glas Wasser und stellte es vor mir auf den Tisch. Fürsorglich, wie sie war, strich sie mir über den Rücken, um mich zu beruhigen.

»Manuel muss das nähen lassen«, krächzte ich. »Es wird sonst nicht aufhören.«

Allein bei dem Gedanken an das Blut wurde mir wieder schlecht. Zitternd zog ich die Beine auf den Stuhl, damit ich den Kopf zwischen die Knie klemmen konnte. Es half mir dabei, die Übelkeit und den aufkommenden Schwindel zu kontrollieren.

»Ich habe Mia angerufen. Sie kommt vorbei und holt ihn ab«, antwortete sie leise.

»Grace.« Manuels Stimme erklang vor der Tür. »Da ist ein Gast, der bezahlen möchte.«

»Geh nur«, entgegnete ich zittrig. »Ich komme schon zurecht.«

»Bist du sicher? Nicht, dass du gleich wieder umkippst.«

Ihre reife Stimme klang sorgenvoll, als sie mir ein weiteres Mal über den Rücken streichelte. Es fühlte sich fremd an, so bemuttert zu werden, aber nicht negativ. Ein kleiner Teil von mir wollte ihr sagen, dass sie bleiben sollte, der andere Teil blieb stur. Die Einsamkeit würde mich nicht loslassen, ebenso das Gefühl der Leere in mir.

Ich nickte leicht. »Es geht gleich wieder. Du kannst den Gast nicht warten lassen.«

Nachdem Grace mich allein zurückgelassen hatte, ging die Tür erneut auf. Schritte näherten sich mir und gaben mir kurz darauf den Blick auf zwei schwarze Boots preis. Vorsichtig hob ich den Kopf und starrte in Gabes Gesicht, der sich vor mich hingehockt hatte. Das Grün seiner Pupillen war unglaublich stechend und erinnerte mich an die Farbe eines Edelsteins. Zudem bedachten sie mich voller Sorge, sodass ich fast ein schlechtes Gewissen bekam.

»Der Zutritt ist für Gäste nicht gestattet«, giftete ich ihn an.

Seine Mundwinkel begannen leicht zu zucken. »So schlecht kann es dir gar nicht gehen, wenn du schon wieder so bissig bist.«

»Wer sagt, dass es mir schlecht geht?«

Ich zeigte ihm die kalte Seite. Mit allem konnte ich umgehen, aber nicht damit, dass ich umsorgt wurde. In meiner Vergangenheit hatte ich es so selten erfahren, dass ich mich nicht mehr daran erinnern konnte. Nähe brachte mich durcheinander, also vermied ich sie, so gut es ging. Dieses Mal jedoch ließ ich es geschehen. Ich sehnte mich zu sehr nach Gabes Berührungen, dass jede Faser in meinem Körper schmerzte. Etwas derart Intensives hatte ich nie zuvor gefühlt.

Behutsam strich er mir übers Haar und löste damit ein unbeschreiblich starkes Gefühl in mir aus. Augenblicklich hob ich den Kopf und sah ihn an. Dabei blieb mein Blick an seinen schmalen Lippen hängen, über deren Oberlippe sich eine winzige Narbe befand. Erst jetzt, wo er mir so nahe war, erkannte ich, dass sein Gesicht mit unzähligen solcher Narben bedeckt war. Dennoch entstellte es sein attraktives Gesicht nicht, sondern verlieh ihm etwas Starkes und ein wenig Düsteres. Es würde mich interessieren, woher sie stammten.

Erneut verweilten meine Augen auf seinen Lippen. So gerne würde ich mich zu ihm hinunterbeugen und ihn küssen. Ich wollte ihn schmecken, an seinen Lippen knabbern und saugen, so wie ich es das letzte Mal getan hatte.

»Alice.«

Gabes Stimme war nur ein Flüstern, als er zärtlich meinen Namen aussprach und eine Gänsehaut über meinen Körper schickte. Mein Name hatte sich noch nie so verführerisch angehört. Langsam beugte ich mich zu ihm hinunter, sodass unsere Münder nur noch Millimeter voneinander entfernt waren.

»Alice.«

Erneut kam mein Name über seine Lippen, die sich wie in Zeitlupe zu bewegen schienen. Seine Stimme war diesmal etwas schärfer und zwang mich dazu, ihn anzusehen.

»Hm?« Ich war außerstande etwas Gescheites zu erwidern. Seine Anwesenheit versetzte mich in Trance und vernebelte mein Gehirn.

»Sieh mich nicht so an, als würdest du mich wollen«, flüsterte er, was meinen Blicken wieder auf seine Lippen lenkte.

Genau das tat ich. Ich wollte ihn. So sehr, wie ich ihn schon bei unserem ersten Aufeinandertreffen gewollt hatte. Doch er hatte damals schon meinen Versuch, ihn zu verführen, abgelehnt. Seither versuchte ich, ihm aus dem Weg zu gehen, damit ich ihn aus dem Kopf bekam.

Das war nur nicht so leicht, wenn er jeden Tag ins Café kam. Was hatte dieser Mann an sich, dass mein Körper regelrecht in Flammen stand. Eine ungeheure Hitze floss durch meine Adern und sammelte sich zwischen meinen Schenkeln. Allein sein Anblick entfachte Lust in mir, sodass ich mir wie ein schwanzgesteuerter Kerl vorkam.

Mit einem entschuldigenden Lächeln legte Gabe seine Hand an meine Wange und strich vorsichtig mit dem Daumen über meine vollen Lippen. Augenblicklich zog ich mich von ihm zurück und funkelte ihn an. Das ging zu weit. Er durfte mich nicht so berühren, nicht mit so viel Gefühl, dass es mein Herz fast zum Stillstand brachte.

»Entschuldige«, er ließ sofort seine Hand sinken, »ich hätte das nicht tun dürfen.«

»Nein.«

Ich musste weg von ihm. Seine Berührung hatte etwas in meinem Körper wachgerufen, das ich nicht fühlen wollte. Ich hatte genug mit mir herumzutragen, da konnte ich das nicht gebrauchen. Langsam erhob ich mich und wartete auf den Schwindel, der ausblieb. Ich konnte mich wieder an die Arbeit machen.

»Ich glaube, du solltest dich noch ausruhen.«

Er griff nach meiner Hand, um mich aufzuhalten.

Aufgewühlt schaute ich auf seine Hand. Ich wusste nicht, was ich fühlen sollte, so viele Emotionen tobten in meinem Inneren. Verlangen, Sehnsucht, Glück, Wut. Für den Moment entschied ich mich für Letztere. Er musste damit aufhören, sich um mich zu sorgen. Ich kam allein zurecht. Das war ich immer. Auch wenn der kleine Engel auf meiner Schulter mir zuflüsterte, es geschehen zu lassen. Dass es nicht falsch war, dem Bedürfnis von Liebe nachzukommen.

Ich schüttelte den Kopf und entwand mich seinem Griff.

»Es geht mir gut. Hör auf, dir Gedanken zu machen, nicht, dass noch irgendwelche Zellen absterben.«

Wartend sah ich ihn an, als er sich nicht bewegte.

»Würdest du jetzt bitte gehen.«

Hinter ihm verließ ich das Zimmer. Im Verkaufsraum schlossen sich zwei schlanke Arme um meinen Körper. Perplex über die plötzliche Nähe versteifte ich mich. Calla ließ mich los, als ihr bewusst wurde, dass es mir womöglich zu viel war.

»Ich bin froh, dass es dir gut geht.«

»Ihr tut gerade so, als wäre ich schwer verletzt«, entgegnete ich und rollte mit den Augen.

»Du bist gerade umgekippt, das solltest du nicht auf die leichte Schulter nehmen«, mischte Gabe sich ein. Er hatte sich an die Wand gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt.

»Ich kann kein Blut sehen, na und? Es gibt eine Menge Menschen, denen es ähnlich geht«, sagte ich herablassend.

Warum machten sie so ein Drama daraus? Ganz ehrlich, ich konnte es nicht nachvollziehen.

»Die meisten haben aber keine Panikattacke, Alice«, warf Gabe mir vor.

»Er hat recht, Liebes«, Grace gesellte sich zu uns, »du solltest dir eine Auszeit nehmen. Du bist schon die ganze Woche angeschlagen.«

»Es geht mir gut«, beharrte ich, warf die Hände in die Luft und schnappte mir mein Tablett, damit ich weiterarbeiten konnte. »Ich bin fit.«

Grace schüttelte den Kopf. »Ich habe bereits mit Steven gesprochen. Du sollst dir für eine Woche Urlaub nehmen.«

Ich fühlte mich übergangen und wollte gerade etwas erwidern, da fiel sie mir ins Wort.

»Und mach dir keine Gedanken wegen dem Geld.«

»Aber …«, fing ich an, doch Grace schüttelte den Kopf, wobei sich eine Strähne aus ihrem Dutt löste.

Sie wollte nichts mehr hören. Für sie war das Thema beendet. Ganz toll. Ich wurde für eine Woche in Zwangsurlaub geschickt, was ich nicht gebrauchen konnte. Es bedeute zu viel freie Zeit, die ich wieder mit meinen Gedanken verbringen würde. Ich musste mir etwas überlegen, wenn ich nicht die ganze Zeit in der Dunkelheit verbringen wollte.

Es war gefährlich, denn ich empfand die Dunkelheit nicht als einen Feind. Wenn ich mich darin verlor, wurde es schwierig, einen Ausweg zu finden. Die Depressionen würden die Oberhand gewinnen und mich dieses Mal ganz zerstören. Es durfte kein zweites Mal passieren, also musste ich mir etwas einfallen lassen. Vielleicht würde ich Steven umstimmen können, auch wenn es wohl zwecklos sein würde. Steven war unerbittlich, wenn es um das Wohl seiner Angestellten ging.

»Sehr schön.« Calla holte mich aus meinen Gedanken. »Dann kannst du ja mit uns mitkommen.«

»Wie bitte?«, fragte ich unbehaglich.

Ich kannte die Blondine mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass sie etwas im Schilde führte.

»Liam und ich wollen mit ein paar Freunden wegfahren, und du kommst mit. Es tut dir nicht gut, wenn du allein hierbleibst.«

Fest entschlossen von ihrer Idee machte sie einen Schritt auf mich zu und hakte sich bei mir ein.

»Wer sagt, dass ich allein bin?«, fragte ich nach und entwand mich aus ihrem Griff.

Als würde sie meine Gedanken lesen können, bedachte die hübsche Studentin mich mit diesem Blick, der besagte, dass man ihr nichts vormachen konnte.

»Du bist erst hergezogen. Ich denke nicht, dass du schon viele Freunde hast. Außerdem sind deine Kollegen arbeiten.«

»Ich kenne euch nicht, warum sollte ich euch begleiten?«, versuchte ich mich herauszureden.

»Ein Grund mehr, uns zu begleiten. Dann kannst du das ändern.« Ein triumphierendes Grinsen schlich sich auf Gabes Lippen, als hätte Calla bereits gewonnen.

Ich warf ihm einen finsteren Blick zu. Allerdings schien die Blondine kein Nein zu dulden, und mir gingen langsam die Argumente aus. Was war so schlecht daran, mal rauszukommen und ein wenig zu entspannen. Ich musste lediglich darauf achten, die anderen auf Abstand zu halten. Das würde ich hinbekommen.

»Ich werde ein Nein nicht akzeptieren, Alice«, bestätigte sie meine Vermutung. »Du wirst mitkommen, auch wenn ich dich zu deinem Glück zwingen muss. Komm schon, das wird lustig.«

So eindringlich und entschlossen, wie sie mich anschaute, gab ich mich geschlagen. Erstens hatte ich meine Ruhe vor ihr, und zweitens würde ich so nicht in die Dunkelheit abdriften.

»Wo soll es hingehen?«

Calla strahlte bis über beide Ohren. »In die Berge.«

Zwei

 

Der nächste Morgen begann für mich mit einer kalten Dusche, um wach zu werden. Die Nacht über hatte ich kaum geschlafen, weshalb ich die Augen nur mühsam offen halten konnte. Dieses Mal lag es weniger an den üblichen Alpträumen, sondern an der Aufregung.

Seit ich gestern erfahren hatte, wohin es mit Calla und ihrer Clique gehen würde, wuchs die Vorfreude auf unser Ziel. Zu verreisen war nichts Außergewöhnliches für mich. In den zwei Jahren, in denen ich unterwegs war, hatte ich einiges von der Ostküste gesehen. Bisher war ich aber nie in die Berge gekommen. Somit war dieser Ausflug etwas Besonderes für mich.

In ein kuschliges Handtuch gewickelt warf ich die letzten Utensilien, wie meine Schminktasche, in den Koffer. Keine zwei Stunden mehr, und ich würde im Flieger sitzen. Ich versuchte das aufkommende Kribbeln, das sich in meinem Magen ausbreitete, zu ignorieren. Je mehr Zeit verstrich, desto schlimmer wurde es, sodass ich nicht mal einen Bissen hinunterbekam. Es fühlte sich an, als ob sich mein Magen verknotet hatte. So etwas empfand ich selten, wenn ich es tat, dann extrem.

Das laute Klopfen an der Wohnungstür lenkte mich für einen Moment ab. Auf etwas wackligen Beinen ging ich zur Tür und linste durch den Spion. Gabe stand mit einem breiten Grinsen vor meiner Wohnung.

Was wollte der denn hier, und woher wusste er, wo ich wohnte?

Misstrauisch kniff ich die Augen zusammen und öffnete die Tür. Auch wenn ich meine Augen nur mit Mühe offen halten konnte, entging mir nicht sein schmachtender Blick. Seine Augen wanderten über meinen Körper und verweilten für eine Sekunde auf meinen Brüsten.

Ich war nicht prüde, ich hatte kein Problem damit, wenn mich ein Kerl nackt sah. Bei ihm schien es jedoch anders zu sein, denn so wie er mich gerade anschaute, war es mir unangenehm. Ich fühlte mich entblößt. Es gab etwas, das ich ihn nicht sehen lassen wollte. Etwas, das ihn mit Sicherheit abschrecken würde. Instinktiv schlang ich die Arme um den Körper, um mich vor seinen Blicken zu schützen.

»Hast du genug geglotzt?«, fragte ich kalt.

Natürlich überspielte ich meine Gefühle und versteckte mich hinter einer schützenden Mauer.

Ein weiteres Mal wanderten seine schmalen Augen über meinem Körper. »Also, wenn du mich so fragst …«

Augenrollend tippte ich mit dem Fuß auf. Manchmal fragte ich mich wirklich, was in diesem Mann vor sich ging. Er wollte mit mir ausgehen, aber nicht mit mir schlafen, und jetzt zog er mich mit den Augen förmlich aus. Herrgott, was zur Hölle wollte er?!

»Sag mir lieber, was du hier machst und woher du weißt, wo ich wohne.«

»Ich dachte, ich nehme dich mit zum Flughafen.« Locker hob er die Schultern. »Grace hat mir deine Adresse verraten.«

Na toll. Danke, Grace.

Wenn ich wieder im Café war, würde sie was von mir zu hören bekommen. Sie meinte es gut, das wusste ich, aber Gabe meine Adresse zu verraten ging zu weit.

»Ich hoffe, sie hat dir auch meine Handynummer gegeben.«

»Möglich.«

Ein verschmitztes Grinsen begann seine Mundwinkel zu kräuseln, während er sich mit einer Hand am Türrahmen abstützte. Sein schwarzes T-Shirt rutschte dabei nach oben und entblößte einen kleinen Streifen seiner dezent gebräunten Haut. Seine graue Jeans saß ihm so tief auf den Hüften, dass sein Hüftknochen herauslugte.

Ich musste schwer schlucken, als mir auffiel, dass ich ihn anschmachtete. Eine mir unbekannte Wärme breitete sich in meinen Wangen aus, weshalb ich mich zwingen musste, den Blick von seinem Körper zu lösen. Dieser Mistkerl schien es förmlich darauf anzulegen, dass ich nachgab und mit ihm ausging.

»Was ist nun, bist du so weit?«, hakte er nach, als ich nicht reagierte. Er nahm den Arm herunter und versperrte mir somit die Sicht auf das verführerische V seiner Lenden.

Aufgebracht biss ich mir auf die Lippen und schaffte es endlich, den Blick loszureißen. »Ich zieh mich eben an. Gib mir zehn Minuten.«

Frustriert ging ich einen Schritt zurück und schlug Gabe die Tür vor der Nase zu. Wenn er gedacht hatte, ich würde ihn hereinbitten, hatte er sich getäuscht.

Vor der Tür hörte ich ihn lachen. »Was denn? Du lässt mich stehen. Dabei hat dir mein Anblick doch so gefallen.«

»In deinen Träumen vielleicht!« Wütend ballte ich die Fäuste und stampfte mit dem Fuß auf.

Er machte mich wahnsinnig. Vor allem drehten meine Hormone bei ihm völlig durch. Kaum befand er sich in meiner Nähe, konnte ich an nichts anderes denken, als ihn berühren zu wollen. Worauf hatte ich mich da nur eingelassen? Warum hatte ich nicht geradeheraus gesagt, dass ich keine Lust hatte, mit ihnen zu verreisen?

Weil es mir einen Stich versetzte, Calla traurig zu sehen. Sie hatte mir damals so leidgetan, als ich auf dem Campus in sie hineingerannt war. Auch wenn sie gelächelt hatte, waren ihre Augen voller Trauer gewesen. Ich wusste, wie es sich anfühlte, und aus einem mir unerfindlichen Grund wollte ich diese Traurigkeit nie mehr in ihren Augen sehen.

 

Nach zwanzig Minuten saß ich mit Gabe in einem Taxi, das uns zum Flughafen bringen würde. Dort angekommen holte er unsere Koffer aus dem Wagen und zog sie, ganz der Gentleman, hinter sich her ins Gebäude. In der Eingangshalle kam uns ein Mann entgegen, den ich schon mal irgendwo gesehen hatte.

Der schwarze Vollbart, der sein Gesicht fast vollständig verbarg, und das blaue Basecap mit dem Miami-Heat-Logo kamen mir vertraut vor. Ich konnte mich beim besten Willen nicht erinnern, wo ich ihn gesehen hatte. Mit einem Schulterzucken tat ich es ab, ich würde ihm eh nicht wieder über den Weg laufen.

Bei den Sitzflächen, von denen aus wir den Landeplatz sehen konnten, trafen wir auf die anderen aus der Clique. Die Aufregung, die meinen Körper noch bis vor wenigen Minuten erzittern ließ, war schlagartig verschwunden. Stattdessen fühlte es sich an, als wäre mein Magen in die Kniekehlen gerutscht. Ich fühlte mich fehl am Platz, als ich die kleine Gruppe sah, wie sie zusammen lachten und sich unterhielten.

Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, mit ihnen in den Urlaub zu fliegen. Ich würde ihnen nur ein Klotz am Bein sein.

Das wäre doch nicht schlecht, so brauchst du dich nicht mit ihnen anfreunden und bekommst obendrein noch etwas zu sehen.

Der imaginäre Teufel auf meiner Schulter hatte recht. Auch wenn ich insgeheim zu ihnen gehören wollte, es durfte nicht passieren, und wenn sie mich außenvor ließen, wäre es nur von Vorteil.

Sowie Calla mich entdeckte, lief sie auf mich zu und schloss mich in die Arme. »Schön, dass du da bist. Na los, ich stelle dich den anderen vor.«

»Leute«, rief die Blonde in die Runde, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen, »das ist Alice. Ich hab euch schon von ihr erzählt.«

»Alice? So wie Alice im Wunderland?«, warf eine Schwarzhaarige ein, deren Ohren komplett zugetackert waren. Zudem schien sie auf Disney zu stehen, zumindest nach ihrem Top mit der Grinsekatze zu urteilen.

Gleichgültig hob ich die Schultern. »Eher wie Alice aus Resident Evil.«

»Du magst Horrorfilme?«, wollte nun eine Rothaarige wissen, die mich mit ihren langen glatten Haaren an ein Mädchen aus Harry Potter erinnerte.

Ich nickte unbeholfen und fand mich wenig später in einer Diskussion wieder, welcher Horrorfilm der beste Schocker war. Nach und nach lernte ich auch die anderen aus der Clique kennen.

»Warum begleitet Reed uns eigentlich nicht?« Die Brünette mit den leichten Wellen und dem Leberfleck am Kinn warf einen fragenden Blick in die Runde.

»Er muss sich um den Laden kümmern, außerdem hat er die Woche wohl einen wichtigen Termin, den er nicht absagen kann«, entgegnete Callas Freund Liam.

Der Brünetten, die sich als Lynn vorgestellt hatte, war die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. Ob sie etwas für diesen Reed empfand?

»Ach, Babe«, der Kerl mit dem Tunnel im rechten Ohrläppchen drängelte sich zwischen Lynn und mich und legte einen Arm um unsere Schulter. »Du kannst auch mit mir Spaß haben. Ihr beide könntet das.«

Das anzügliche Grinsen, das über seine Lippen huschte, war unverkennbar. Ebenso wie sein Blick, der über meinen Körper glitt und an meinen Brüsten hängen blieb. Da ich solche Sprüche nicht das erste Mal hörte, wusste ich mit solchen Typen umzugehen. Lynn hingegen schien das nicht so locker aufzufassen.

Sie schlug seinen Arm beiseite und funkelte ihn an. »Lass gut sein, Jackson. Ich werde nicht die Nächste auf deiner Liste sein.«

Ich wurde hellhörig. »Liste?«

»Ach, weißt du, er hat sich vorgenommen jedes weibliche Wesen im Umkreis von zehn Meilen zu besteigen«, entgegnete Lynn abfällig.

Sie schien nicht allzu viel von Jackson zu halten. Viel wichtiger war hingegen, dass er auf nichts Festes aus war, was mir vielleicht noch entgegenkommen würde. Ich hatte nichts gegen ein bisschen Spaß, und wenn Gabe ihn mir verwehrte, musste ich ihn mir woanders holen. Zudem sah Jackson nicht schlecht aus. Mit den kurzen, braunen Locken und dem gepflegten Bart war er der perfekte Mann feuchter Träume.

»Was ist so schlimm daran, ein bisschen Spaß zu haben? Ich tu doch keinem weh«, warf Jackson ein.

»Mach, was du willst, aber komm nicht auf den Gedanken, mich flachlegen zu wollen«, zickte Lynn ihn an und verschränkte die Arme vor der Brust.

Ein freches Grinsen, das seine weißen Zähne entblößte, legte sich auf seine Lippen. »Du bist mir dafür zu prüde. Würde mich nicht wundern, wenn du noch Jungfrau bist.«

»Ich bin nicht prüde!« Aufgebracht stapfte sie mit dem Fuß auf und ballte die Hände zu Fäusten.

»Leute«, versuchte Liam zu schlichten. »Es reicht. Wir fliegen gleich in den Urlaub, also reißt euch zusammen.«

»Dann soll er aufhören, mich anzugraben«, entgegnete Lynn, nicht weniger wütend.

Liams eindringlicher Blick sollte Jackson wohl bedeuten, dass er sich zusammenreißen sollte.

Daraufhin wandte der Womanizer sich an Lynn. »Sorry, Babe, ich meine, Lynn. Ich werde dich nicht mehr anbaggern. Immerhin gibt es noch andere Weiber, die scharf auf meinen Schwanz sind.«

Bei den letzten Worten glitt sein Blick erneut über meinen Körper und verweilte an meinen Brüsten, die das weiße Top besonders zur Geltung brachte. Auch wenn ich seine Augen auf mir spürte, löste es keine Regung in mir aus. Das Verlangen nach Sex und Spaß blieb aus, was mich irritierte. Bei so einem heißen Kerl wie ihm war das nicht üblich. Zumindest nicht bei mir.