Heaven Official's Blessing - Light Novel, Band 03 - Mo Xiang Tong Xiu - E-Book

Heaven Official's Blessing - Light Novel, Band 03 E-Book

Mo Xiang Tong Xiu

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Beschreibung

Die Suche nach einem vermissten Himmelsbeamten führt Xie Lian in die gefährliche Geisterstadt. Dort trifft er natürlich auch auf ihren Herrscher, Hua Cheng. Doch das freudige Wiedersehen wird getrübt: Könnte sein Freund etwas mit dem Verschwinden zu tun haben? Hat er ihn zwar als charmanten San Lang schätzen gelernt und Zuneigung zu ihm gewonnen, eilt Hua Cheng jedoch ein schrecklicher Ruf voraus. Die Rettungsmission weckt böse Erinnerungen – und führt zu einer unerwarteten Begegnung mit einem Geist aus Xie Lians Vergangenheit …  Nach der Hitserie The Grandmaster of Demonic Cultivation die neue Light-Novel-Reihe von Mo Xiang Tong Xiu!

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Inhalt

Kapitel 40: Der goldene Körper gibt alles, um den Himmel vor dem Ruin zu retten

Kapitel 41: Niemals vergessen

Kapitel 42: Kampf der Laternen zum Mittherbstfest

Kapitel 43: Tausende Laternen erhellen die endlose Nacht

Kapitel 44: Einen bösen Geist unterm Herzen tragen

Kapitel 45: Der Geist in Aufruhr, das Herz kann ruhig bleiben

Kapitel 46: Schreiben in hell erleuchteter Nacht

Kapitel 47: Mit einem Trick die Tore durchschreiten um den Fötusgeist zu stehlen

Kapitel 48: Eine wirre Anschuldigung, die Weinen und Lachen gleichermaßen unpassend macht

Kapitel 49: Im Streben nach Anerkennung wetteifert Eming mit Ruoye

Kapitel 50: Mit der Suppe des Kronprinzen unerwartete Gäste empfangen

Kapitel 51: Der Erhabene der Schwarzmalerei sorgt für Trauer beim Hochzeitsbankett

Kapitel 52: Drei Götter, ein Geistkönig, aber kein Erhabener in Sicht

Kapitel 53: Die drei Götter und der Geist erleben ein Blutiges Feuerfest

Kapitel 54: Ein nächtliches Gespräch im Tempel des Windes und des Wassers soll die Wahrheit ans Licht bringen

Kapitel 55: Im Kampf gegen den Wahren Erhabenen nimmt der Kronprinz den Platz des Windmeisters ein

Kapitel 56: Aus dem Bannkreis heraus die Türe öffnen, um die Geister zu grüßen

Kapitel 57: Scherzende Worte verwirren mich und meine Liebsten

Kapitel 58: Durch Tunnel wandeln, ein Schwert über dem Kopf

Kapitel 59: In der Hanlu-Nacht einen Betrug begehen

Kapitel 60: Götter, die Götter berufen, zählen weniger als Geister, die Geister fressen

Kapitel 61: Um die himmlische Prüfung zu bestehen, erheben sich gr0ße Wellen im östlichen Meer

Kapitel 62: Im Geisterreich versinken die Schiffe

Kapitel 63: Den Sarg verschließen und das Geistermeer befahren

Kapitel 64: Das Dunkle Herrenhaus des Schwarzen Wassers, schwarzer Umhang und weiße Knochen

Kapitel 65: Ein unlösbares Problem lösen: Wassermeister gegen Wasserdämon

Kapitel 66: Seelenschmerz bringt das Herz in Aufruhr und hinterlässt eine Narbe aus Tinte

Kapitel 67: Der Berg Tonglu öffnet sich und stürzt Zehntausende Geister in Aufruhr

Kapitel 40: Der goldene Körper gibt alles, um den Himmel vor dem Ruin zu retten

Xie Lian war außer sich. Er zog sein Schwert aus der Brust der weißen Gestalt und war gerade im Begriff, erneut zuzustechen. Da bemerkte er, dass keine Spur von Blut an der Klinge zu sehen war. Er begriff sofort, änderte seine Strategie und schlug dem weiß gekleideten jungen Mann mit einem gezielten Hieb den Kopf ab. Die Klinge glitt mühelos durch den Hals. Als Kopf und Körper voneinander getrennt waren, schrumpften beide Teile rasch zusammen, sodass nur zwei flache Haufen aus Haut übrig blieben.

Der Körper war nichts als eine leere Hülle gewesen.

Zweimal war er dieser Kreatur nun begegnet und beide Male war sie ihm in diesem falschen Körper gegenübergetreten. Nicht einmal hatte sie sich ihm in seiner wahren Gestalt gezeigt. Xie Lian war darüber nicht überrascht, aber dennoch erfüllt von Abscheu und Zorn. Er ließ seine Wut an den Hautresten aus, die er mit dem Schwert zu Fetzen schlug. Doch er verspürte keine Erleichterung. Feng Xin konnte es nicht mehr mit ansehen und versuchte, ihn zu besänftigen. »Eure Hoheit! Es ist nur eine Hülle.«

Doch diese Hülle war das genaue Abbild von Xie Lians jüngerem Selbst. Es sah aus, als würde er sich auf grausamste Weise selbst zerstören – ein fürchterlicher Anblick. Xie Lian atmete mehrmals tief durch, dann warf er das Schwert von sich und setzte sich auf den Boden. »Ich weiß. Aber ich kann einfach nicht fassen, dass er es gewagt hat, mein Gesicht zu benutzen!«

Er kochte noch immer vor Wut. Die beiden anderen hockten sich vor ihm hin. Schweigend warteten sie eine Zeit lang. Dann sagte Feng Xin: »Eure Hoheit, geht es Euch besser? Nehmt Euch diesen Unsinn nicht so sehr zu Herzen. Er treibt nur seine Spielchen mit Euch.«

»Nein, einiges von dem, was er sagte, war kein Unsinn«, entgegnete Xie Lang. »Es ist nur …«

Feng Xin sah ihn verblüfft an. »Hat er Euch etwa wirklich verraten, wie der Fluch aufgehoben werden kann?«

Xie Lian fuhr sich mit der rechten Hand durchs Haar. »Er hat mir nicht gesagt, wie die Gesichterkrankheit geheilt werden kann. Was er gesagt hat, war … wie die Krankheit verursacht wird.«

Die anderen sahen ihn verdutzt an. »Verursacht?«

Xie Lian nickte und sah sich dann um. Er hielt es für das Beste, nicht an diesem Ort am Beizi-Hügel zu verweilen. Er wollte nicht die ausweichenden Blicke der Soldaten sehen und nicht die Schreie und das Jammern der Kranken hören. Also begab er sich in sein Schlafgemach im Palast, das seit vielen Jahren leer stand, und begann zu erzählen: »Die Gesichter, die auf den Körpern der Menschen wachsen, sind tote Seelen aus Yong’an. Manche von ihnen sind auf dem Schlachtfeld gestorben, die meisten sind allerdings durch die Dürrekatastrophe ums Leben gekommen.«

Mu Qing war nicht besonders überrascht. »Kein Wunder, dass sich niemand aus Yong’an mit der Gesichterkrankheit infiziert hat. Sie würden ja nicht ihre eigenen Leute angreifen.«

Feng Xin runzelte die Stirn. »Die, die durch die Dürre umgekommen sind, wurden nicht von den Menschen aus der Hauptstadt getötet. Selbst wenn sie einen Groll gegen uns hegen, haben sie doch keinen Grund, uns anzugreifen.«

Xie Lian seufzte schwer. »Das ist richtig. Aber ihr beide wisst ja, dass ein Mensch nach seinem Tod eine Phase der Verwirrung durchläuft.«

Wenn ein Mensch starb, durchlebte seine Seele eine Zeit, in der sie wie die eines neu geborenen Kindes war: aller Fähigkeiten beraubt, nur bei halbem Bewusstsein und ohne das Wissen, wer sie einst gewesen war, wo sie sich befand oder was sie tat. Ob dieser Zeitraum, der »Phase der Verwirrung« genannt wurde, kurz oder lange anhielt, war reine Glückssache.

Innerhalb dieses Zeitfensters konnten die Hinterbliebenen die Seele führen und beeinflussen. Auf diesem Wissen beruhte das Ritual des »siebentägigen Anrufens der Seele«.

»Er … hat mir erzählt, dass die Soldaten von Yong’an große Feindseligkeit gegen die Hauptstadt empfinden«, fuhr Xie Lian fort. »Ihre Eltern, Partner, Kinder – viele sind durch die Dürre umgekommen. Die Seelen der Verstorbenen werden durch die Gefühle ihrer Familienmitglieder beeinflusst. Also benutzte er den starken Willen der Soldaten, um die Feindseligkeit in den verstorbenen Seelen zu bestärken. Er drängte sie, die Körper anderer lebender Wesen zu benutzen und in ihren Körpern um Nahrung zu kämpfen. Es hat funktioniert, weil die Seelen während der Phase der Verwirrung mit immer demselben Gedanken beeinflusst wurden: ›Wenn sie nicht wären, hättest du überlebt.‹«

»Was ist das für eine grauenhafte Idee, zu glauben, dass man entscheiden kann, wer es verdient hat, zu leben und wer nicht?«, empörte sich Feng Xin.

Xie Lian fasste sich an die Stirn. »Lang Ying hat seinen Sohn hier in der Nähe der Hauptstadt begraben, ohne sich etwas dabei zu denken. Das war der Auslöser für diese Magie. Ich habe das Wessen gebeten, mir eine Heilmethode zu nennen, doch obwohl es viel geredet hat, hat es mir nur gesagt, wie man diesen Fluch auslöst. Was hat das zu bedeuten?«

Ein Fluch konnte nicht einfach dadurch aufgehoben werden, dass man wusste, wie er ausgelöst wurde. »Er spielt mit Euch«, schimpfte Feng Xin. »Was zum Henker soll das?«

»Ich denke nicht, dass er mit Euch spielt«, wandte Mu Qing ein. »Er hat Euch den Weg genannt.«

Xie Lian sah zu ihm auf und Feng Xin wandte sich zu ihm um. »Welchen Weg?«

»Den Weg, um den Fluch aufzuheben«, antwortete Mu Qing. Seine Augen leuchteten, als habe er gerade eine große Entdeckung gemacht. »Der Fluch funktioniert nur deshalb, weil die Menschen aus Yong’an Xianle hassen. Aber Xianle hegt genauso viel Hass gegen Yong’an.«

Xie Lians Augen weiteten sich und sein Atem stockte.

»Da er Euch verraten hat, wie der Fluch entsteht, könnt Ihr ihn ebenso benutzen. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ihr könnt eine Gesichterkrankheit hervorrufen, die nur Menschen aus Yong’an befällt«, erklärte Mu Qing. »Denkt doch mal nach. Der Fluch funktioniert nur, solange lebendige Menschen ihn mit ihren Emotionen befeuern. Wenn sie von der Krankheit infiziert werden, werden sie damit beschäftigt sein und am Ende wird keiner mehr übrig sein, der den Fluch aufrechterhält. Und dadurch wird der Fluch sich selbst aufheben.«

Das hatte Xie Lian noch nicht bedacht. Er war kurz verdutzt, doch dann sagte er entschieden: »Auf gar keinen Fall!«

»Wieso nicht?«, fragte Mu Qing. »Vergesst nicht, sie sind diejenigen, die den Fluch ausgelöst haben.«

Xie Lian stand auf. »Nein heißt nein. Du bist im Unrecht. Die Soldaten von Yong’an werden sich nicht so leicht anstecken, genauso wie unsere Soldaten. Frag mich nicht warum, ich …«

»Dann stecken sich die Zivilisten an, das ist doch auch gut«, unterbrach ihn Mu Qing. »Sie haben weniger medizinische Einrichtungen und Ressourcen als die Hauptstadt. Wenn die Gesichterkrankheit bei ihnen ausbricht, wird sie sich schneller ausbreiten und sie werden ihr nichts entgegenzusetzen haben. Indem wir die Sicherheit der Bevölkerung bedrohen, damit sie ihren Fluch aufheben, können wir sie zur Kapitulation zwingen. Wenn am Ende Ressourcen über einen Sieg entscheiden, haben sie gegen die Hauptstadt keine Chance.«

Xie Lian lehnte die Idee jedoch weiterhin ab. »Das geht auf keinen Fall. Vergesst nicht, wie wir sie genannt haben, als sie die unschuldigen Bürger der Stadt angegriffen haben: verabscheuungswürdig. Wenn wir nun dasselbe tun, sind wir dann nicht ebenso verabscheuungswürdig? Dann sind wir keinen Deut besser als sie.«

Mu Qing zügelte seine Aufregung. »Eure Hoheit, vergesst nicht, welche Art von Menschen gestorben sind, um Euch ins Reich der Zärtlichkeit zu locken. Meint Ihr auch sie, wenn Ihr von ›unschuldigen Bürgern‹ sprecht?«

Als er das hörte, zögerte Xie Lian. Um die Wahrheit zu sagen, fiel es ihm schwer, diesen Vorfall nicht persönlich zu nehmen. Doch sein Entschluss stand fest. »Sicherlich gibt es auch solche. Das liegt daran, dass die, die an vorderster Front stehen, die, die wir als Erstes sehen, stets die leidenschaftlichsten sind. Aber die meisten Zivilisten wissen nichts von diesen Intrigen. Geh zum Beizi-Hügel und sieh selbst. Viele von ihnen verstehen nicht einmal, warum sie überhaupt kämpfen. Sie gehen dorthin, wo sie zu essen bekommen, sie wollen nur überleben. Mu Qing, was du mir rätst, ist, eine Gruppe Unschuldiger zu retten, indem ich eine andere Gruppe Unschuldiger opfere. Ich …« Er seufzte. »Ich muss mir etwas anderes einfallen lassen.«

Mu Qings Ton änderte sich, er klang jetzt etwas spöttisch. »Warum sollte ich zum Beizi-Hügel gehen und mir feindliche Zivilisten ansehen? Ich bitte Euch, Eure Hoheit, Ihr denkt immerzu an andere. Diese anderen denken jedoch niemals an Euch. Fühlt Ihr Euch nicht ausgenutzt?«

Xie Lian ließ den Kopf sinken und sein Herz fühlte sich schwer an wie Blei. Das Bild jenes Beines, das über und über mit Gesichtern bedeckt war, stieg vor seinem geistigen Auge auf. Dieses Bein, das noch gezuckt und sich gewunden hatte, nachdem es vom Körper abgetrennt worden war. Er dachte lange Zeit nach, doch schließlich schüttelte er den Kopf. »Ich denke nicht nur an andere. Selbst wenn wir nur auf unseren eigenen Vorteil aus sind: Ein Fluch ist von Natur aus ein zweischneidiges Schwert. Während wir durch ihn anderen Schaden zufügen, schaden wir gleichzeitig uns selbst. Wer einen Fluch ausspricht, muss Niedertracht im Herzen tragen. Und die, die umkommen, können keinen Frieden finden. Schon zu Lebzeiten haben sie genug gelitten und nach ihrem Tod müssen sie als Monstrosität im Fleisch eines anderen weiterexistieren. Du hast doch diese Dinger auf dem Bein des Mannes gesehen. Wie diese Gesichter verzweifelt ums Überleben gekämpft haben – nach dem Tod so weiterzuexistieren ist keinen Deut besser, als sich zu Lebzeiten anzustecken. Flüche fallen immer auf einen selbst zurück, das kann kein gutes Ende finden.«

Mu Qing, der nun schon zum dritten Mal abgewiesen worden war, wurde ungeduldig. »Es wird kein gutes Ende nehmen, wenn wir nicht bereit sind, in Kauf zu nehmen, dass es für den Gegner ein schlechtes Ende nimmt. Es gibt keinen dritten Weg, es gibt kein zweites Glas Wasser. Wacht auf, Eure Hoheit! Euch läuft die Zeit davon!«, sagte er schroff.

Xie Lian fühlte, wie sein Kopf dröhnte, und er schloss die Augen. »Sprich nicht weiter. Ich muss nachdenken.«

Schließlich konnte Mu Qing sich nicht mehr zügeln und begann, leise vor sich hin zu fluchen. »Ihr seid wirklich … Ihr verspielt unsere Chance durch Eure Unentschlossenheit! Die Lösung ist zum Greifen nah, dennoch lehnt Ihr sie ab. Überlegt doch! Seht Euch doch an, in welchem Zustand Ihr inzwischen seid. Eure Anhänger mussten bereits das Blut von acht Lebenszeiten vergießen.«

Feng Xin hatte dem Streit schweigend zugehört, weil er nicht das Gefühl hatte, etwas beitragen zu können. Doch jetzt hob er seine Hand und versetzte Mu Qing einen Stoß. »Bist du fertig?«

Dieser stolperte einige Schritte zurück und Xie Lian sah auf. »Feng Xin?«

»Eure Hoheit, achtet nicht auf mich!« rief Feng Xin ungehalten, dann wandte er sich wieder Mu Qing zu. »Was stimmt nicht mit dir? Sag uns doch einfach, was dich so stört. Ich habe deine Art so lange ertragen, aber ich kann mich nicht länger zurückhalten. Scheiße, ich kann es verdammt noch mal nicht ausstehen, wie du dich aufspielst! Du bist nur ein Vizegeneral. Hätte Seine Hoheit dich nicht in den Himmel berufen, wo wärst du dann? Also tu gefälligst nicht immer so, als seist du klüger, tapferer und stärker als er! Wenn du so toll bist, warum ist Seine Hoheit dann in den Himmel aufgestiegen und nicht du?«

»Ich …«

Xie Lian zog ihn am Ärmel. »Feng Xin, lass es gut sein. Mu Qing macht sich nur Sorgen …«

»Sorgen, so ein Quatsch! Eure Hoheit, ich sage Euch, er sucht nur nach immer neuen Gelegenheiten, um Euch zu belehren. Er will nur zeigen, dass er besser ist. Und das Schlimmste ist, er glaubt das tatsächlich. Dabei ist er kalt wie Eis und kümmert sich in Wirklichkeit einen feuchten Dreck um das Königreich Xianle. Und jetzt macht er sich plötzlich Sorgen?« Er richtete sich wieder an Mu Qing: »Denkst du wirklich, ich merke nicht, dass du Seine Hoheit für dumm verkaufen willst? Deinen Sarkasmus und dein Augenverdrehen kann ich noch erdulden, auch, dass du am himmlischen Hof immer da stehst, wo du nicht hingehörst. Du bist ein Angeber und das ist nicht das erste Mal, dass du dich so aufführst. Gut, gib ruhig an, das wird den Himmel nicht beeindrucken. Seine Hoheit stört es nicht, also geht es mir am Arsch vorbei. Jetzt hast du allerdings die Grenze überschritten, und das kann ich nicht hinnehmen. Hör mir gut zu. Es überrascht mich nicht, dass du sofort bereit bist, niederträchtige Methoden anzuwenden. Aber Seine Hoheit ist Seine Hoheit – und egal welche Entscheidung er trifft, du tätest gut daran, sie zu respektieren. Wage es nicht, ihn dafür zu kritisieren, und vergiss verdammt noch mal nicht, wer du bist!«

Während Feng Xin auf Mu Qing einredete, versuchte Xie Lian mehrmals, ihn aufzuhalten. Doch dieser hatte sich so lange zurückgehalten, dass ihn in diesem Moment nichts zurückhalten konnte.

Mu Qings Gesicht wurde mit jedem Wort Feng Xins blasser. Zuerst verzog er das Gesicht, als wolle er ihn schlagen, doch schließlich stand er reglos da und fixierte Feng Xin düster.

Xie Lian rief zornig: »Bist du fertig? Willst du, dass ich euch beide hinauswerfe?«

Feng Xins Gesicht war dunkelrot angelaufen und seine Nackenmuskeln spannten sich an. »Werft mich hinaus, wenn Ihr es wünscht. Mir ist es scheißegal, ob ich ein Himmelsbeamter bin oder nicht. Wenn Ihr mich nicht ernannt hättet, hätte ich einen Dreck um diesen Posten gegeben. Aber selbst wenn Ihr mich ins Reich der Sterblichen zurückwerft und ich wieder ein Mensch werde, werde ich Euch die Treue halten, Hoheit. Wenn Ihr es befehlt, werde ich der Erste sein, der sich in den Kampf stürzt. Ich werde jedoch niemals für einen Verräter geradestehen! Wenn dieser Typ Euch nicht als Sprungbrett gebraucht hätte, um ein Himmelsbeamter zu werden, würde er Euch schon längst nicht mehr folgen. Ich wette, er hat nicht ein gutes Wort über Euch zu sagen. So, jetzt bin ich fertig!«

Mu Qing schwieg zunächst, die Lippen fest zusammengepresst. Doch auch er hatte seinen Ärger lange unterdrückt. Jetzt platzte er aus ihm heraus und er rief: »Als Sprungbrett gebraucht? Scheiße! Was für eine schöne Rede – aber was weißt du schon?«

Xie Lian hielt es nicht mehr aus. »Haltet den Mund! Alle beide! Seid still!«

Unter größter Anstrengung hielten beide sich zurück. Der Streit war diesmal zu ernst und Redensarten zu üben würde in diesem Fall wohl nicht weiterhelfen. Es dauerte einen Moment, bis Xie Lian seine eigene Wut niedergekämpft hatte. Es pochte in seinem Kopf. »Wie dem auch sei. Der Fluch kommt nicht infrage.«

Mu Qing lächelte grimmig. »Gut. Wie Ihr wollt.«

»Jawohl«, sagte Feng Xin entschlossen.

Mu Qing hatte seine Fassung wiedererlangt und erklärte in seiner gewohnt ruhigen Art: »Wenn es irgendwelche Konsequenzen gäbe, würdet Ihr sie ohnehin selbst tragen.«

Feng Xin schnalzte mit der Zunge, sagte aber nichts mehr.

»Natürlich«, bestätigte Xie Lian. »Mein Entschluss steht …«

In diesem Augenblick spürten alle drei plötzlich eine gewaltige Erschütterung unter ihren Füßen. Xie Lian fragte erschrocken: »Was ist das?«

Feng Xin reagierte als Erster: »Ein Erdbeben!«

Ein Erdbeben bedeutete Gefahr und Xie Lian rief sofort: »Rettet die Menschen!«

Gerade als sie aus dem Zimmer eilen wollten, wälzte sich jemand unter dem Bett hervor und streckte die Arme aus. »Cousin! Cousin! Vergiss mich nicht! Nimm mich auch mit!«

Xie Lian sah ihn perplex an. »Qi Rong, was machst du in meinem Schlafgemach?«

Er konnte sich nicht vorstellen, was für ein sonderbares Leben Qi Rong führte. Da er den ganzen Tag nichts Besseres zu tun hatte, konzentrierte sich seine ganze Aufmerksamkeit auf Xie Lian und er sammelte alles, was mit ihm zu tun hatte. Xie Lian wusste nicht, wie lange er sie schon belauscht hatte und in der gegenwärtigen Lage hatte er auch keine Zeit, ihn danach zu fragen. Er packte Qi Rong am Arm und rannte los.

Auf einem freien Platz ließ er ihn stehen. Der ganz Palast war in Aufruhr und unzählige Beamte strömten schreiend aus dem prächtigen Gebäude.

»Ist jemand verletzt? Ist jemand eingeschlossen?«, rief Xie Lian laut.

Das Erdbeben endete glücklicherweise bald und Xie Lian konnte schnell in Erfahrung bringen, dass niemand verwundet oder umgekommen war. Dennoch war er angespannt.

Plötzlich war ein lauter Schrei zu hören und viele deuteten in den Himmel hinter ihm. Xie Lian fuhr herum und seine Augen verengten sich.

In der Mitte des Vorplatzes stand eine riesige, prächtige Pagode, die sich nun in einem gefährlichen Winkel zu einer Seite neigte.

Die Himmelspagode war im Begriff einzustürzen!

Die Himmelspagode, offiziell die »Pagode der himmlischen Geschöpfe«, war ein Bauwerk mit einer jahrhundertelangen Geschichte und eines der Wahrzeichen des Königspalasts. Sie war auch das höchste Gebäude der Hauptstadt und stand im Zentrum zwischen Palast und Stadt. Wenn diese Pagode umstürzte, würde es unzählige Verletzte geben. Die Palastdiener und die Menschen auf der Straße flohen panisch.

Bei diesem Anblick hob Xie Lian die rechte Hand, sprach eine Zauberformel und schrie in Richtung des Berges Taicang: »Komm!«

Die Pagode neigte sich noch ein wenig weiter zur Seite. Als es so aussah, als könnte sie jeden Moment umkippen, spürten die Massen plötzlich eine erneute Erschütterung.

Das Beben kam wieder vom Boden her, aber es fühlte sich anders an als das Erdbeben. Die Erschütterungen kamen stoßweise und rhythmisch, außerdem näherten sie sich und folgten immer schneller aufeinander. Als die Pagode sich noch weiter neigte, bemerkten die Menschen schließlich, dass die Erschütterungen Schritte von etwas waren.

Eine riesige goldene Statue, deren glänzender Körper über fünfzehn Meter hoch war, kam auf den Palast zu. In der einen Hand hielt sie ein Schwert, in der anderen eine Blume und sie glänzte im Licht.

»Ist das nicht die Kronprinzenstatue aus dem königlichen Tempel?«, rief jemand verblüfft.

Andere stimmten zu. »Ja! Es ist die goldene Statue! Seht, sie kommt vom Berg Taicang!«

Die Füße der Statue waren meterlang, dennoch trat sie auf keinen einzigen Menschen.

Mit dröhnenden Schritten ging sie auf den Palast zu und fing die einstürzende Pagode auf. Die goldene Statue, die im Licht der untergehenden Sonne glänzte, hob beide Hände und hielt mit aller Kraft die Pagode aufrecht, die schon im Begriff gewesen war umzufallen. Es war ein wahres Wunder, das die Menschen in ehrfürchtiges Schweigen versetzte.

In der Zwischenzeit zog Xie Lian langsam seine Hand zurück und sah zu seiner göttlichen Statue auf. Als er das ruhige, hübsche Gesicht betrachtete, blitzte Verwirrung in seinem Geist auf.

Kapitel 41: Niemals vergessen

Es war die Statue, die das Volk für ihn errichtet hatte, und von allen war sie die prächtigste und größte. Diese Version seiner selbst zu sehen, hatte in der Vergangenheit für Xie Lian nie ein Problem dargestellt. Er hatte sie ohne weiteres Nachdenken hingenommen. Doch in diesem Augenblick nahm er diese golden glänzende, riesenhafte Figur als etwas unsagbar Fremdes wahr und eine Frage drängte sich in seine Gedanken und verwirrte ihn: Bin das wirklich ich?

Feng Xin und Mu Qing waren einzeln losgegangen, um nach Verschütteten zu suchen. Der Moment der Verwirrung verging und als Xie Lian sah, dass die Menschenmenge sich beruhigte, atmete er erleichtert auf.

Doch noch bevor er den Atemzug beendet hatte, zog sich sein Herz zusammen, als er plötzlich ein schweres Gewicht auf seinem Körper spürte.

Die Himmelspagode war zu hoch und zu schwer.

Die göttliche Statue taumelte unter der Last. Ihre Hände zitterten, die Füße sanken in den Boden ein. Der riesige goldene Körper beugte sich unter dem Gewicht. Nur das Lächeln im Gesicht der Statue blieb unverändert.

Als Xie Lian das sah, sprach er eine weitere Zauberformel. Kaum hatte sie jedoch seine Lippen verlassen, verzagte er. Es gelang der goldenen Staue nicht, sich wieder aufzurichten. Sie wurde sogar noch weiter hinuntergedrückt und sah so aus, als würde sie nicht mehr lange durchhalten.

Auch Xie Lians Hände begannen zu zittern. Noch nie zuvor hatte er sich so schwach gefühlt. Wenn er gegen einen Berg schlug, fiel der Berg. Stampfte er mit den Füßen auf, bebte die Erde. Etwas anderes hatte er nie gekannt. Dass er nicht so stark war, wie er es sich wünschte – diese Erfahrung machte er zum ersten Mal.

Ihm blieb keine andere Wahl. Er biss die Zähne zusammen und stieß sich vom Boden ab. Er landete auf dem Fuß der goldenen Statue und hob erneut die Hände, um nochmals mit neuer Kraft Zauberformeln zu sprechen. Diesmal legte er selbst mit Hand an, und tatsächlich richtete sich die goldene Statue wieder auf und es gelang ihr erneut, die Himmelspagode im Gleichgewicht zu halten.

Obwohl er das Gewicht tragen konnte, perlte der kalte Schweiß auf Xie Lians Rücken und die Anstrengung zerrte an seinem Herzen. Dem Volk, das sich außerhalb des Palasts versammelt hatte, blieb diese unaussprechliche Qual verborgen. Immer mehr Menschen strömten in Scharen herbei, um Zeuge dieses Wunders zu werden. Dabei riefen sie aus:

»Gerät das Königreich in Not, erscheint der Kronprinz zu seiner Rettung!«

»Eure Hoheit, Ihr müsst uns retten!«

»Rettet das Volk! Beschützt die Menschen!«

Xie Lian knirschte mit den Zähnen und es dauerte eine Weile, bis es ihm gelang, zu antworten: »Bitte tretet zurück, geht weiter weg, bleibt nicht hier stehen. Ich …« Er stockte, als er bemerkte, dass er völlig außer Atem war. Seine Worte waren vom Jubel der Menschen übertönt worden und je lauter er zu sprechen versuchte, umso ohnmächtiger fühlte er sich.

Er holte tief Luft, um noch einmal zu rufen, als eine Hand nach seinem Fußgelenk griff. Er sah an sich herab und erblickte Qi Rong. »Qi Rong! Eile dich, lauf, und sage allen, dass sie sich nicht hier versammeln dürfen«, wies er ihn hastig an. »Die Pagode könnte umstürzen!«

Die Worte waren ihm unbeabsichtigt herausgerutscht. Als er erkannte, was er gesagt hatte, gefror ihm das Blut in den Adern.

Niemals hätte er früher so gesprochen – der bloße Gedanke war ihm bisher fremd gewesen. Selbst wenn der Himmel einzustürzen gedroht hätte, hätte er fest daran geglaubt, dass er ihn hätte aufhalten können. Nun jedoch machte er eine beängstigende Feststellung: Er glaubte nicht mehr daran.

Nicht nur glaubten die Menschen nicht mehr an ihn, er selbst tat es auch nicht mehr.

»Wieso sollte sie umstürzen? Du hältst sie doch fest«, antwortete Qi Rong sofort, ohne nachzudenken.

Als Xie Lian ihn hörte, erbebte sein Herz. Qi Rong bemerkte nicht sein fahles Gesicht. Seine Augen leuchteten begierig auf. »Cousin, ich helfe dir.«

»Mir helfen? Wie?«, fragte Xie Lian erstaunt.

»Hast du nicht gesagt, du weißt, wie du die Gesichterkrankheit auslösen kannst?«, entgegnete Qi Rong. »Sag mir, wie es geht, und ich werde dir helfen und Yong’an verfluchen. Ich helfe dir, sie zu töten!«

Er hatte tatsächlich in seinem Versteck unter dem Bett alles mit angehört, was sie besprochen hatten.

Xie Lian fühlte sich schwach vor Wut. »Du … du Dummkopf! Weißt du nicht, was ein Fluch ist?«

Qi Rong kümmerten diese Worte nicht. »Ich weiß es. Ein Fluch ist eben ein Fluch. Cousin, ich sage dir, ich bin sehr begabt, was das angeht. Ich habe meinen Vater oft verflucht und ich glaube, dass er vielleicht an meinen Flüchen gestorben ist. Du …«

Xie Lian konnte es nicht mehr mit anhören. »Geh jetzt.«

»Nein! Nein! Na gut, dann verrätst du mir eben nicht, wie der Fluch ausgesprochen wird. Dann sag mir wenigstens, wie ich verhindern kann, mich anzustecken.«

Xie Lians Herz verzagte noch weiter.

»Du weißt es doch, oder?«, drängte Qi Rong. »Du weißt, warum die Soldaten sich nicht anstecken, nicht wahr? Cousin, sag es mir, ja?«

Sie waren noch immer umgeben von Palastdienern und Xie Lian konnte nicht wissen, wie viele ihnen zuhörten. Er befürchtete, dass es schlimme Folgen haben könnte, wenn Informationen nach außen drangen. Er schwieg. Doch einige der Umstehenden hatten sie gehört und begannen, ihn mit Fragen zu bombardieren.

»Eure Hoheit! Ist das wahr?«

»Könnt Ihr wirklich die Gesichterkrankheit heilen?«

»Warum habt Ihr nichts davon gesagt?«

Die Augen der Menschen blitzten so begierig wie Qi Rongs. Xie Lian hielt den Mund fest verschlossen und knurrte durch zusammengebissene Zähne: »Nein! Ich weiß es nicht!«

Das löste einige Unruhe in der Menschenmenge aus, es kam jedoch zu keiner Eskalation.

Feng Xin kam zurück. Er sah schon von Weitem, dass Qi Rong sich in Xie Lians Nähe aufhielt, und fuhr ihn an: »Was macht Ihr da?«

»Feng Xin, bring ihn hier weg«, ordnete Xie Lian augenblicklich an.

Dieser nickte und trat heran, aber Qi Rong klammerte sich an Xie Lian fest und rief: »Cousin, du wirst Yong’an besiegen und sie alle fortjagen, nicht wahr? Du wirst uns doch beschützen, oder? Oder?!«

Noch vor ein paar Monaten hätte Xie Lian aus voller Überzeugung sagen können: »Ich werde euch alle beschützen.« Doch das wagte er nicht mehr. Qi Rongs Ausdruck war wild vor Aufregung und Xie Lian sah ihn verblüfft an. Er kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er nicht die Art Mensch war, die sich um das Königreich oder das Volk sorgte. Selbst wenn das Königreich dem Untergang geweiht war, wäre Furcht die angemessene Reaktion gewesen. Warum also diese Aufregung? Dann fiel es ihm ein – stammte nicht Qi Rongs Vater aus Yong’an?

Als die erwartete Antwort ausblieb, rief Qi Rong mit schriller Stimme: »Cousin! Du wirst doch nicht zulassen, dass das passiert, oder? Wirst du mit ansehen, wie wir überrannt und erniedrigt werden? Gibt es denn wirklich keinen Ausweg?«

Mit diesen Fragen konfrontiert, spürte Xie Lian, wie die Sorgen ihm das Herz beschwerten. Er erkannte, dass Qi Rong recht hatte. All diese Dinge passierten und er … er wusste keinen Ausweg.

»Ich werde ihn fortbringen und den König bitten, ihn wieder unter Arrest zu stellen«, sagte Feng Xin.

Als er fortgezogen wurde, wehrte Qi Rong sich wie wild und brüllte immer wieder: »Du musst durchhalten! Du darfst nicht fallen!«

Er durfte nicht fallen.

Xie Lian wusste selbst nur zu gut, dass er sich kein Versagen leisten konnte. Selbst wenn es gelang, die Bürger zu evakuieren – die Himmelspagode durfte nicht umstürzen. Sollte das passieren, würde nicht nur ein jahrhundertealtes königliches Wahrzeichen zerstört, auch ein großer Teil der Shenwu-Allee mit ihren vielen Wohngebäuden würde beschädigt werden. Außerdem befanden sich im Inneren der Pagode Schätze von unermesslichem Wert und uralte, seltene Schriften, die seit unzähligen Generationen bewahrt worden waren. Sie könnten nicht rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden. Sollte die Pagode einstürzen, wäre das alles verloren. Und nicht zuletzt würde ein Sturz der Himmelspagode den Sturz des Königreichs Xianle vorwegnehmen.

Doch er spürte, wie seine spirituelle Kraft mit jedem Tag schwand, genauso wie das Wasser in Yong’an. Um die gigantische Statue weiter aufrecht zu halten, durfte er seine Position nicht einen Moment verlassen. Er musste die Aufgabe, die Stadt zu bewachen, Feng Xin und Mu Qing überlassen, während er ausharren und sich zur Ruhe zwingen musste, um diesen Zustand meditierend ertragen zu können. Und da es sich bei der riesigen goldenen Statue um sein göttliches Ebenbild handelte, das auf dem Berg Taicang im königlichen Tempel stehen sollte, blieb den Anhängern, die auf den Berg pilgerten, nichts mehr, das sie hätten anbeten können.

Sie kamen in Scharen herbei, um dort, im Freien, zu ihm zu beten. Der Vorplatz befand sich innerhalb der Palastmauern und eigentlich durfte ihn niemand betreten. Doch durch das Erdbeben war ein Teil der Palastmauer eingestürzt. Die ganze Hauptstadt drohte, in Chaos zu versinken. Es gab nicht genügend Gesetzeshüter, die für Ordnung sorgen konnten. Und selbst wenn es sie gäbe – die Lage war so angespannt, dass das Durchsetzen von Ordnung und Disziplin leicht zu einem Aufstand führen könnte. Also wurden die Leute eingelassen.

Xie Lian blieb auf seinem Posten, wo der König und die Königin ihn jeden Tag besuchten. Die Tage verschmolzen ineinander, während er all seine Kraft aufwandte, um die Himmelspagode aufrecht zu halten, und darauf wartete, dass er endlich erlöst würde.

Dem König erging es nicht viel besser. Sein Haar war nun fast vollständig weiß geworden und obwohl er in den besten Jahren war, sah er aus wie ein Mann, der die fünfzig längst überschritten hatte. Vater und Sohn redeten zwar nach wie vor nicht miteinander, aber wenn sie sich begegneten, herrschte zwischen ihnen ein nie zuvor dagewesenes stilles Einvernehmen.

Die Königin hatte in Xie Lian, ihrem geliebten Sohn, nie etwas anderes gesehen als Eleganz und Göttlichkeit. Nun beobachtete sie voller Sorge und Trauer, wie er Tag für Tag ausharrte und den Elementen trotzte, um den Palast zu schützen, und dabei niemanden an sich herankommen ließ und keine Hilfe annehmen wollte. Sie selbst stand mit einem schützenden Schirm in der sengenden Sonne.

Xie Lian befürchtete, sie würde sich überanstrengen, und sagte: »Mutter, geh zurück. Ich brauche keine Hilfe. Und lass niemanden sonst in meine Nähe kommen. Ich befürchte, dass …«

Was jedoch genau seine Befürchtung war, darüber schwieg er eisern.

Die Königin stand mit dem Rücken zu den Scharen der Gläubigen. So lange hatte sie sich zusammengenommen, doch nun liefen ihr Tränen über das Gesicht. »Mein Kind, ich sehe deine Not. Wieso … wieso musst du so schrecklich leiden?«

Um ihre blasse, kränkliche Gesichtsfarbe zu verbergen, hatte die Königin sich stark geschminkt. Die Tränen jedoch verwischten alles und offenbarten das Gesicht einer Frau, die ihre Jugend hinter sich gelassen hatte. Sie bedauerte ihren Sohn und weinte für ihn, aber sie wagte es nicht, dabei ein Geräusch zu machen, damit die Gläubigen es nicht bemerkten. Der König umfasste ihre Schultern und Xie Lian betrachtete sie in betäubter Verwirrtheit.

Wenn sie Leid erfahren, denken die Menschen zuerst an die, die sie lieben, und für Xie Lian war das seine Mutter. Es war sinnlos, diesen Gedanken auszusprechen – doch nach Tagen der Anstrengung wünschte Xie Lian sich nichts sehnlicher, als wieder zehn Jahre alt zu sein und in den Armen seiner Mutter weinen zu dürfen.

Doch jeder Schritt, der ihn hierhergeführt hatte, war seine eigene Entscheidung gewesen. Seine Eltern waren ohnehin in keiner einfachen Lage. Und nun, da jeder ihn sehen konnte, durfte er sich keine Spur von Schwäche erlauben. Wenn er nicht standhalten würde, wer könnte es dann?

Also sprach er entgegen seinem Herzen: »Mach dir keine Sorgen, Mutter. Es geht mir gut. Ich leide nicht.«

Wie groß sein Leid in Wirklichkeit war, wusste nur er selbst tief in seinem Herzen.

Einige Palastdiener kamen, um den König und die Königin wegzuführen. Im Gehen wandten sie sich mit jedem Schritt aufs Neue um.

Als sie fort waren, stand Xie Lian wieder allein unter der sengenden Sonne und die Erschöpfung überkam ihn. Einige Zeit verstrich und als er die Augen wieder auftat, brach bereits die Dämmerung herein. Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne waren erloschen und nur wenige Gläubige waren noch verblieben. Als er hinabsah, bemerkte er, dass nicht weit entfernt von dem Ort, an dem er saß, eine kleine, einsame Blume lag.

Xie Lian wusste nicht genau, wann diese Blume dort abgelegt worden war, und er streckt seine Hand aus, um sie aufzuheben.

Es war eine winzige Blume. Sie war schneeweiß mit einem hellgrünen Stängel, der dünn und zerbrechlich aussah. Der Tau auf den Blütenblättern sah mitleiderregend aus, wie Tränen. Der zarte Duft erschien ihm vertraut. Die Blume war so gewöhnlich und doch erfreute sie sein Herz. Er umschloss die Blume fest und drückte sie an sein Herz.

Mit einem Mal überdeckte der Gestank von Blut den zarten Blütenduft. Xie Lian sah auf und nahm verschwommen einen schreienden Schatten wahr, der sich auf ihn stürzte. »Warum?! Warum?!«

Erschrocken wehrte Xie Lian den Angreifer mit einem Schwenk seines Ärmels ab und mühte sich, etwas Kraft zu sammeln. »Wer ist da?«

Der Gegner taumelte von dem Stoß und rollte über den Boden. Xie Lian musste die goldene Statue stützen und wagte es nicht, aufzustehen oder sich zu nähern. Doch er brauchte nur einige Sekunden, um zu erkennen, wer es war. Sein Gegenüber hatte nur ein Bein – es war der junge Mann, der ihm einst einen Regenschirm gegeben hatte, der, dessen Bein er abgeschlagen hatte.

Er war blutüberströmt und seine Handflächen blutig. Er war hergekrochen und hatte dazu beide Hände und sein verbliebenes Bein benutzt. Er hatte eine schauerliche Blutspur hinterlassen.

Unter großer Anstrengung setzte er sich auf. Xie Lian fragte ihn verblüfft: »Warum … warum seid Ihr hier? Wart Ihr nicht im Quarantänelager im Buyou-Wald?«

Der Mann kroch näher zu ihm, gab jedoch keine Antwort. Seine einbeinige Gestalt bot einen schrecklichen Anblick.

»Ihr …«, setzte Xie Lian an.

Mit einem Ruck zog der Mann das Hosenbein seines verbliebenen rechten Beines hoch und rief: »Warum?!«

Auf seinem rechten Bein war ein verzerrtes menschliches Gesicht zu sehen.

Genau das hatte Xie Lian die größte Sorge bereitet. Und nun war es eingetreten. Hätte er nicht schon gesessen, wäre er womöglich zusammengebrochen.

Der junge Mann schlug auf den Boden ein und brüllte: »Warum habt Ihr mein Bein abgeschnitten? Die Gesichter sind wieder da! Mein Bein ist weg! Warum? Gebt mir mein Bein zurück! Gebt es mir zurück!«

An jenem Regentag, als er Xie Lian lächelnd den Schirm in die Hand gedrückt hatte, hatte der junge Mann so glücklich ausgesehen. Doch nun war er kaum wiederzuerkennen. Er hockte in einem Zustand wilder Raserei vor Xie Lian.

Dessen Gedanken überschlugen sich und seine Stimme zitterte. »Ich …« Er musste sich erst sammeln. »Lasst mich … lasst mich Euch helfen.«

Er sprach schnell eine Zauberformel, die das Gift aufhielt, das im Bein des Mannes zirkulierte. Doch völlig unerwartet ertönten plötzlich von überall um ihn herum Heulen und Schreie und weitere Personen stürmten auf ihn zu.

»Eure Hoheit, rettet mich!«

»Rettet mich, Eure Hoheit!«

»Eure Hoheit, seht mein Gesicht an! Ich habe mein halbes Gesicht abgeschnitten. Warum ist es noch nicht verheilt, warum? Wie können wir geheilt werden?«

»Eure Hoheit, seht, was aus mir geworden ist!«

Ein blutiges Bild nach dem anderen zeigte sich ihm. Sein Gesicht war ausdruckslos vor Schreck. Er wusste nicht, was er mit seinen Händen tun sollte. Er wedelte mit ihnen herum und sagte: »Nein, ich sehe nicht hin, ich will nicht hinsehen!«

Es stellte sich heraus, dass sich der Zustand der Patienten im Buyou-Wald verschlechtert hatte und es zu einem Aufstand gekommen war. Es war den Kranken gelungen, die Soldaten niederzukämpfen und sich gegen die Ärzte und Pfleger zur Wehr zu setzen, die versucht hatten, sie aufzuhalten. Sie waren aus dem Lager ausgebrochen, um nach ihm zu suchen.

Wenn er nun nicht alles daransetzte, ihre Infektion einzudämmen, würde sich die Krankheit rasend schnell in der ganzen Stadt ausbreiten. Xie Lian schloss die Augen und versuchte, all seine Kraft zu sammeln. Er wollte die Symptome und Schmerzen lindern. Doch sobald er sich um die Menschen gekümmert hatte, eilten weitere auf ihn zu und umringten ihn.

»Eure Hoheit, hier! Helft mir auch!«

Xie Lian saß fest, von Dutzenden Menschen umringt, und plötzlich spürte er, wie die goldene Statue ins Wanken geriet. Eine dunkle Vorahnung bemächtigte sich seiner Gedanken. »Wartet, wartet! Ich …«

Jemand hatte keine Geduld mehr und rief: »Nein, ich will nicht mehr warten, ich habe schon so lange gewartet!«

»Eure Hoheit, warum behandelt Ihr ihn und nicht mich?«

Bald schon änderte sich der Ton und die Stimmen um ihn herum wurden schroffer. »Wie kann das sein: Ihr habt ihn behandelt und er ist so gut wie neu, aber mit geht es kein bisschen besser? Seid Ihr nicht ein Gott? Warum seid Ihr so ungerecht? Ich fordere Gerechtigkeit!«

»Nein, ich bin nicht ungerecht«, verteidigte sich Xie Lian. »Ich kann nichts dafür, Eure Symptome sind nicht die gleichen …«

»Wenn Ihr schon helft, dann macht es auch richtig! Was bezweckt Ihr damit, jetzt alles hinzuwerfen? Das ergibt doch keinen Sinn! Das dürft Ihr nicht!«

Xie Lian rang um Atem. »Ich werfe nicht alles hin, ich muss nur … warten …«

»Wisst Ihr nicht, wie diese Krankheit geheilt werden kann?«

Xie Lian öffnete den Mund. »Ich …«

»Wenn Ihr es wisst, warum sagt Ihr es uns nicht?«

Xie Lian fasste sich an den Kopf. »Ich weiß es nicht!«

»Ihr lügt! Ich habe es gehört. Jemand hat darüber gesprochen. Ich habe Euch durchschaut! Ihr verratet es nicht, damit wir Euch weiter anbetteln und Ihr Euch an unseren Opfergeldern bereichern könnt! Lügner! Ihr seid ein Lügner!«

»Wie können wir geheilt werden? Sagt es uns! Sofort!«

Xie Lians Gesicht war bleich wie ein Blatt Papier, sein Blick leer. Unzählige Hände streckten sich nach ihm aus, jemand versuchte sogar, ihn zu würgen. Dann passierte etwas absolut Lächerliches. Er war zwar ein Gott, doch in der Tiefe seines Herzens klang eine leise, schwache Stimme, die flehte: Rette mich!

Es war, als zöge jemand diese Hände von ihm weg, aber gleichzeitig auch nicht – er war sich nicht sicher. Das Einzige, was er sehen konnte, waren die Unmengen blutiger, bedrohlich verzerrter Gesichter und die Menschen mit fehlenden Gliedmaßen, die aussahen, als wollten sie ihn in Stücke reißen und dann auffressen.

Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als er aus der Ferne das dämonische Heulen eines Horns hörte. Die Menge überhörte das Geräusch bei ihrem lauten Gezeter und Gekreische, Xie Lian dagegen war es nicht entgangen. Das war das Geräusch des Siegeshorns von Yong’an!

Er konnte nicht länger stillsitzen, oder vielleicht konnte er auch die Last nicht mehr tragen. Sein Körper beugte sich und er kippte vornüber. Zur selben Zeit tat die riesige goldene Statue, die er so beharrlich gestützt hatte, es ihm gleich und ging mit einem lauten Krachen zu Boden, als hätte sie plötzlich ihr Leben ausgehaucht.

Direkt darauf folgte ein grollendes Geräusch und die gigantische, schwere Himmelspagode stürzte ein und zerbrach, wie zuvor die Statue, in Abertausende Stücke.

Der massiven Statue hätte man nicht zugetraut, dass sie so leicht zerbrechen würde. Aber Xie Lian hatte, in der Hoffnung, dass sie die Himmelspagode würde halten können, zu viel spirituelle Energie in sie fließen lassen, und dadurch war sie mürbe geworden. Die Patienten, die aus dem Buyou-Wald entkommen waren, ergriffen die Flucht, starben oder wurden verletzt. Panisch flohen Menschen über den Palastvorplatz und durch die Straßen. Einige schafften heimlich Bruchstücke der Himmelspagode fort, andere die grausigen Opfer der Gesichterkrankheit. Xie Lian hielt sich den Kopf und eilte stolpernd in Richtung der großen Stadttore der Hauptstadt.

Die Wachtürme standen in Flammen und dicker schwarzer Rauch stieg von ihnen auf. Xie Lian eilte auf die Aussichtsplattform, vorbei an einer Vielzahl verzweifelt fliehender Soldaten. Doch als er oben ankam, wusste er nicht, was er tun sollte. Er starrte auf die schwarzen Trümmer hinunter. Dass ihm dabei Tränen über das Gesicht liefen, bemerkte er nicht. Die Leichen, die überall auf dem Schlachtfeld lagen, konnte er nur verschwommen sehen. Nur die weiß gekleidete Gestalt, die mit wehenden Ärmeln darüber schwebte, war deutlich zu erkennen.

Dies war kein Jugendlicher, sondern ein Mann, und als er den Kopf umwandte, blickte er Xie Lian aus der Ferne an. Er winkte ihm gelassen zu und sah aus, als würde er sich jeden Moment in Luft auflösen.

»Geh nicht!«, rief Xie Lian laut.

Bei ihren ersten beiden Begegnungen war er Xie Lian in einer falschen Gestalt gegenübergetreten. Xie Lian ahnte jedoch intuitiv, dass er diesmal sein wahres Gesicht trug. Ohne zu zögern, sprang er von der Brüstung hinunter.

Er war schon unzählige Male aus großen Höhen gesprungen. Dank seiner spirituellen Kraft und seiner Fähigkeiten in der Kampfkunst war er immer sicher gelandet und hatte darüber stets Freude und Stolz empfunden. Jedes Mal war er sich dabei vorgekommen wie ein Unsterblicher in einer der klassischen Legenden. Doch dieses Mal war er keine Legende.

Er kam ungünstig auf dem Boden auf. Sein Fuß verdrehte sich und ein Schmerz, spitz wie von Nadeln, fuhr ihm das Bein hinauf und durch seinen ganzen Körper.

Er hatte sich das Bein gebrochen.

Ein gebrochenes Bein war für ihn keine große Sache, es würde schnell verheilen. Aber seit jenem Tag war er verändert, als sei er ein anderer geworden. Es war, als habe er seinen Geist und seine göttliche Unbesiegbarkeit eingebüßt.

Nach dieser ersten Niederlage sollte eine zweite folgen, dann eine dritte … Er wollte sein Schwert nicht mehr ziehen, wollte nicht mehr aufs Schlachtfeld treten. Doch da ihn niemand ersetzen konnte, blieb ihm nichts anderes übrig, als tapfer weiterzukämpfen. Im Kampf gab er sein Bestes, er strengte sich an, so gut es ging. Doch obwohl er ein junger Mann kaum über zwanzig war, zitterte seine Hand, die das Schwert führte, wie die eines Greises.

Die Furcht in seinem Herzen ließ ihn schaudern. Er konnte allerdings nicht erklären, wer oder was ihm solche Angst einjagte. Schließlich verloren die Soldaten, die ihn verehrten, die Geduld. Xie Lian kam zu Ohren, dass ein Gerücht in Umlauf geraten war: »Der ist doch kein echter Kriegsgott! Eher ein Gott des Unglücks!«

Er konnte nichts dagegen tun, denn auch er stellte sich dieselbe Frage: War er vielleicht tatsächlich zu einem Unglücksgott geworden?

Wie schön wäre es gewesen, wäre dies sein einziges Problem gewesen. Doch die wahre Katastrophe, die das Schicksal des Königreichs Xianle besiegelte, war, dass die Gesichterkrankheit völlig außer Kontrolle geraten war. Fünfhundert, eintausend, zweitausend, dreitausend … schließlich wagte Xie Lian gar nicht mehr zu fragen, wie viele Menschen sich neu infiziert hatten.

Und zum bitteren Ende, so wie ein Krimineller seinen Urteilsspruch erhält, öffnete der Himmel seine Tore und sandte ihm eine Nachricht: »Eure Hoheit, Ihr solltet an den himmlischen Hof zurückkehren.«

Ihm war klar, was ihn bei seiner Rückkehr in den Himmel erwartete. Feng Xin und Mu Qing sahen unbehaglich drein, aber Xie Lian war mit seinen Gedanken woanders. »Bevor wir gehen, möchte ich mir noch etwas ansehen«, sagte er zu den beiden.

»Was?«, fragte Feng Xin.

»Den königlichen Tempel.«

Nach einem Moment des Schweigens mahnte Feng Xin: »Tut es nicht.«

Xie Lian war jedoch bereits losgelaufen.

»Eure Hoheit!«, rief Feng Xin ihm hinterher, aber als sie bemerkten, dass er nicht aufzuhalten war, liefen Mu Qing und er ihm nach.

Die drei bestiegen den Berg zu Fuß. Der königliche Tempel war der Ort, an dem der erste Schrein für Xie Lian errichtet und die erste Statue aufgestellt worden war. Doch auf Befehl des Staatspräzeptors waren die dreitausend Tempelschüler schon lange entlassen und fortgeschickt worden und der königliche Tempel lag verlassen da.

Als sie die Hälfte des Berges bestiegen hatten, blickte Xie Lian sich um. Er konnte sehen, dass an unzähligen Orten in der Stadt Feuer ausgebrochen waren. Die lodernden Flammen erhellten den Sternenhimmel, es war ein schöner Anblick.

Doch Feng Xin rief erbost: »Diese Verrückten!«

Das Flammenspiel hielt Xie Lians Blick gefangen und Feng Xin versuchte erneut, ihn davon loszueisen. »Seht nicht hin. Es gibt nichts zu sehen.«

In den letzten Tagen hatte Feng Xin Xie Lian immer wieder angeschrien: »Macht es Euch Spaß, Euch immer mehr Leid aufzuladen?« In Wirklichkeit wusste Xie Lian nicht, was er tun wollte. Er wusste nur, wann immer einer seiner Tempel angezündet oder zerstört wurde, wurde er unwiderstehlich davon angezogen, die Zerstörung mit eigenen Augen anzusehen. Doch wenn er es sah, konnte er nicht sprechen und niemanden aufhalten. Er konnte nur dastehen und hilflos zusehen. Was es zu sehen gab? Er wusste es selbst nicht.

Auch auf dem Kronprinzengipfel wütete ein Feuer. Feng Xin stand der Mund offen. »Nicht einmal den königlichen Tempel haben sie verschont? Hat jemand die Gräber ihrer Ahnen geschändet, oder was?«

Er brach abrupt ab, kaum dass er diesen Satz beendet hatte. Ihm war bewusst geworden, dass die Menschen in Xianle viel schlimmere Not litten als die Schändung der Gräber ihrer Ahnen.

Doch es war kein gewaltiges Feuer und es erstarb bald, offenbar wurde es von jemandem gelöscht. Nun war Feng Xin wirklich überrascht. Dieser Tage gab es nur noch Leute, die Feuer entzündeten, keine, die sie löschten. Wer immer sich dem Mob entgegenstellte und versuchte, mit ihm zu reden oder ihn aufzuhalten, wurde wie der »Unglücksgott« Xie Lian selbst behandelt und zu Tode geprügelt. Aus diesem Grund hatten die drei sich schon lange nicht mehr vor Sterblichen gezeigt und ihre wahre Gestalt verborgen.

Während sie den Pfad hinaufstiegen, hörten sie ein fortwährendes Hin und Her von Stimmen, wie bei einem Streit. Als sie den Gipfel erreichten, sahen sie, dass der Palast schon weitestgehend zerstört war. Nur die Grundmauern der großen Halle standen noch. Keine Statue schmückte mehr den großen Altar.

Eine Gruppe Männer stand vor der großen Halle. Sie stritten und schlugen sich.

»Du räudiger Hund! Teufel! Hat deine verdammte Frau hier ihre Jungfräulichkeit verloren, oder was ist? Bewahrst du in diesem kaputten Schrein deine kostbaren Familienjuwelen auf, oder was?«

Schon auf den ersten Blick erkannte Xie Lian, dass diese Leute nicht gekommen waren, um aus Wut den Palast zu zerstören. Sie waren nur Plünderer, die das Chaos genossen und sich bereichern oder zum Spaß Feuer legen wollten. Ohnehin war es ihm inzwischen gleichgültig, wer seine Tempel abriss.

Da rief die feindselige Stimme eines Jungen durch die Nacht: »Verpisst euch!«

Nachdem sie eine Weile zugehört hatten, erkannten sie, dass hier einer gegen alle anderen kämpfte. Noch dazu war der Einzelne nur ein Jugendlicher, ein Kind beinahe, aber unnachgiebig und eisern. Das Gesicht des Jungen war bereits mit Blut und Dreck beschmiert und von Blutergüssen und Schnitten bedeckt, sodass sein eigentliches Aussehen nicht zu erkennen war.

»Der Bengel wird einmal zu einem guten Mann heranwachsen«, kommentierte Feng Xin.

Gerade da blitzten die Augen eines der Männer boshaft auf. Er hob einen riesigen Stein vom Boden auf und wollte ihn gerade dem Jungen an den Hinterkopf schlagen.

Xie Lian sah ihn und winkte leicht mit der Hand, woraufhin der Stein die Richtung änderte und dem Mann ins Gesicht schlug. Er schrie auf und Blut schoss aus seiner Nase.

Der Junge war wie gelähmt von dem Anblick, fuhr jedoch sofort herum und erhob die Fäuste, bereit, den nächsten Schlägen zu begegnen.

Die Art, wie er kämpfte, war so verbissen und furchterregend, dass er schließlich die Meute erwachsener Männer in die Flucht trieb.

Während sie wegliefen, zeigten sie mit dem Finger auf ihn und riefen leere Drohungen. »Scheiße! Warte nur ab! Wir holen unsere Freunde und kommen zurück! Dann kriegen wir dich!«

Der Junge schnaubte. »Wagt es zurückzukommen, dann bring ich euch um!«

Die Männer bekamen noch mehr Angst und liefen schnell davon. Nun, da die Prügelei überstanden war, lief der Junge rasch zu einem kleinen Feuer, das beinahe erloschen war, und trat die letzten kleinen Flammen aus. Dann betrat er die große Halle. Er hob ein Stück Papier vom Boden auf, strich es sorgfältig glatt und hängte es über den Altar. Dann setzte er sich hin, lehnte sich an den Altar und starrte geistesabwesend vor sich hin.

Xie Lian ging hin und sprang leichtfüßig auf den Altar. Er sah, dass das Papier, das der Junge aufgehängt hatte, eine Zeichnung war. Die Pinselführung war unbeholfen, offensichtlich hatte sie jemand angefertigt, der darin nicht geübt war. Dennoch war die Sorgfalt und Hingabe in jedem Pinselstrich zu erkennen. Das Bild stellte den Gottgefälligen Kronprinzen dar. Es war wohl aufgehängt worden, um die goldene Statue zu ersetzen, nachdem Xie Lian diese abberufen hatte.

»Nicht schlecht gezeichnet«, bemerkte Feng Xin.

Nach diesen schwierigen Tagen hatte er endlich jemanden gefunden, der es noch wagte, Xie Lian zu verteidigen. Er war so aufgeregt, dass er am liebsten schon in den Kampf eingegriffen hätte und dem Jungen zur Seite getreten wäre. Also war es nicht verwunderlich, dass er alles gut fand, was dieser tat.

Mu Qing hingegen sagte nichts, er senkte den Blick und seine Augen blitzten auf, als würde er sich an etwas erinnern.

Xie Lian hob die Hand und zupfte leicht an dem Bild.

Es war nicht besonders offensichtlich. Genauso gut hätte auch ein leichter Wind das Bild bewegen können. Doch der Junge erhob ruckartig seinen Kopf, den er auf die angezogenen Knie gelegt hatte. Sein geschundenes Gesicht strahlte bei dem Anblick. »Seid Ihr das?«, rief er.

Feng Xin erschrak. »Was für ein kluges Bürschchen!«

»Lasst uns gehen«, sagte Mu Qing.

Xie Lian nickte leicht. Gerade als er sich abwenden wollte, warf der Junge sich auf die Ecke des Altars. Er atmete schnell. »Ich weiß, dass Ihr es seid. Eure Hoheit, geht nicht! Ich möchte Euch etwas sagen!«

Als die drei das hörten, blieben sie verblüfft stehen.

Der Junge schien nervös zu sein. Mit geballten Fäusten fuhr er fort: »Eure Paläste und Tempel sind niedergebrannt … aber seid nicht traurig. Ich werde Euch neue Tempel bauen. Größere, prächtigere, bessere als je zuvor. Niemand wird bessere haben. Ich werde es tun, wirklich!«

Die drei schwiegen.

Mit seinem dreckigen Gesicht, seinen schäbigen Kleidern und übersät von Blutergüssen und Schnitten, bot der Junge einen bemitleidenswerten Anblick. Doch er sprach so überzeugende, entschlossene Worte, dass der Kontrast beinahe lachhaft wirkte. Er schien zu befürchten, dass seine Worte Xie Lians Ohren nicht erreichen könnten. Er legte die Hände um den Mund und rief in Richtung der Zeichnung über dem Altar: »Eure Hoheit! Hört Ihr mich? In meinem Herzen seid Ihr der einzige Gott, der eine, wahre Gott! Könnt Ihr mich hören?«

Er schrie, so laut er konnte, sodass das Echo seiner Stimme vom Berg Taicang zurückhallte: »Könnt Ihr mich hören?«

Xie Lian lachte lauthals los. Er fing so plötzlich an zu lachen, dass Feng Xin und Mu Qing erschraken. Xie Lian schüttelte den Kopf vor Lachen.

Der Junge konnte ihn nicht hören, aber er schien etwas gespürt zu haben. Mit leuchtenden Augen sah er sich um. Da landete plötzlich, ohne Vorwarnung, ein Tropfen eiskalten Wassers auf seiner Wange. Seine Augen traten hervor und in diesem Moment reflektierten sie eine schneeweiße Gestalt. Er blinzelte und als er die Augen wieder aufschlug, war die Reflexion verschwunden.

Als Feng Xin bemerkte, dass Xie Lian sich eine Sekunde lang gezeigt hatte, sagte er: »Eure Hoheit, habt Ihr gerade …?«

Xie Lian sah ihn verwirrt an. »Gerade? Oh, meine Kraft verlässt mich … Ich habe kurz die Kontrolle verloren, das ist alles.«

Der Junge richtete sich auf und rieb sich fest die Augen, als könne er dadurch das Bild wieder heraufbeschwören.

Xie Lian schloss die Augen. Er seufzte und sagte dann mit sanfter Stimme zu dem Jungen: »Vergiss es.«

Der Junge stand wie versteinert da.

Wie zu sich selbst wiederholte Xie Lian: »Vergiss es. Bald wird sich ohnehin niemand mehr erinnern.«

Der Junge riss die Augen auf, als er diese Worte hörte. Lautlos rannen Tränen aus seinen Augenwinkeln und hinterließen eine saubere Spur auf seinem schmutzigen Gesicht. Sein Adamsapfel bewegte sich. »Ich …«

Feng Xin schien die Geduld zu verlieren. »Hoheit, redet nicht weiter. Ihr brecht wieder die Regeln.«

»Gut, ich sage nichts mehr. Aber ich habe schon so oft die Regeln gebrochen, dass ein paar Worte mehr auch keinen Unterschied machen.«

Diesen Satz hatte er den Jungen nicht hören lassen. Die drei stiegen vom Altar und liefen zur Tür der zerstörten Halle. Der kalte Nachtwind schlug ihnen entgegen und Xie Lian schüttelte ungläubig den Kopf. Er war noch immer ein Himmelsbeamter und eigentlich konnte er keine Kälte wahrnehmen. Doch in diesem Moment fröstelte ihn bis auf die Knochen.

Da hörten sie, wie der Junge, den sie in der zerstörten Halle zurückgelassen hatten, murmelte: »Nein.«

Zwar konnte er die drei nicht sehen, aber er lief genau auf sie zu, trat aus der Halle und rief ihnen nach: »Nein!«

Die drei wandten sich um und sahen die Augen des Jungen, die in der Schwärze der Nacht so sehr strahlten, dass es ihnen einen Stich ins Herz versetzte. Das verletzte Gesicht zeigte Sorge und Zorn, war voller Glück und Wildheit. Unter Tränen rief er: »Ich werde Euch nicht vergessen! Ich werde Euch niemals vergessen!«

Kapitel 42: Kampf der Laternen zum Mittherbstfest

Funken flogen. Die Schwertklinge drang tief in den Steinboden ein. Xie Lian hielt den Griff mit beiden Händen umfasst und stützte seinen gesenkten Kopf darauf. Seine Zähne presste er so fest zusammen, als wolle er sie in seinem Mund zu Pulver zermahlen.

»Abschaum!« Qi Rong lachte laut auf. »Du Abschaum! Ich wusste, du würdest es nicht wagen, mich zu töten! So sehr ich dich auch erniedrige, so sehr ich dich durch den Schmutz ziehe, solange ich ein Messer an jemandes Hals halte, kannst du mir nichts anhaben. Du nutzloser Feigling! Wozu ist ein Gott wie du überhaupt am Leben?«

Xie Lian hatte sich vollständig beruhigt. Er blickte ihn kühl an. »Freu dich nicht zu früh. Ich kann dir vielleicht nichts tun, aber ein anderer kann es.«

Qi Rong schnaubte verächtlich. »Willst du dich an Jun Wus Bein klammern und ihn schon wieder um Hilfe bitten? Träum weiter! Hat er dich damals denn beachtet? Hm? Und du läufst ihm weiter hinterher. Wie dumm bist du eigentlich?«

Xie Lian zog Qi Rong das prächtige Kostüm des Gottgefälligen Kriegers aus. Dann ließ er ihn von Ruoye fesseln und schob ihn zur Seite. »Besser, du hältst jetzt den Mund.«

»Ich habe keine Angst vor dir. Wieso drohst du mir?«, entgegnete Qi Rong.

»Und was ist mit Hua Cheng, hast du vielleicht Angst vor ihm?«

Qi Rongs Lächeln erstarrte.

Xie Lian fuhr mit leiser Stimme fort: »Ich sage dir eines. Sollte ich an einem der kommenden Tage zufällig schlechte Laune bekommen, könnte ich dich immer noch an Hua Cheng übergeben. Ihm würde bestimmt etwas für dich einfallen. Also nimm dich in Acht, hörst du?«

Angesichts dieser Aussicht blieb Qi Rong das Lachen im Halse stecken. Voller Furcht rief er: »Was zum …? Du bist so böse! Wie konntest du dir so was ausdenken? Warum übergibst du mich nicht einfach an Lang Qianqiu?«

Xie Lian kniete sich auf den Boden. Er begann, die kleinen Aschestückchen vom Boden und unter dem Sarg aufzusammeln. Vorerst würde er Qi Rong nicht dem Oberen Hof übergeben, und der Grund dafür war Lang Qianqiu. Sollte Xie Lian Qi Rong ausliefern und Lang Qianqiu herausfinden, wo er sich aufhielt, würde er sofort mit dem Schwert losziehen, um ihn zu töten.

Sollte er Qi Rong töten? Diese Frage bereitete Xie Lian Kopfschmerzen. Wenn er tot war, was würde dann passieren? Noch so eine schwierige Frage. Zum jetzigen Zeitpunkt erschien es ihm jedenfalls nicht klug, Qi Rong dem himmlischen Hof auszuhändigen.

Wenn er so darüber nachdachte, erschien es ihm gar keine so schlechte Idee, Hua Cheng um Hilfe zu bitten. Doch eigentlich hatte er dessen Namen nur genannt, um Qi Rong einzuschüchtern. Schließlich war er Hua Cheng schon zu oft zur Last gefallen und jedes Mal, wenn etwas passierte, dachte er zuerst an ihn. Ihm kam es vor, als würde er sich dadurch selbst eine Vertrautheit vorgaukeln, die es in Wirklichkeit gar nicht gab. Selbst dass er Hua Chengs Namen benutzte, um Qi Rong zu ängstigen, war ihm etwas peinlich.

Qi Rong drehte den Kopf zur Seite und spuckte Blut. Das Kind streckte mitleidig die Hand aus und streichelte ihm die Stirn. »Papa, ist alles gut? Hast du Schmerzen?«

Dieses Vater-und-Sohn-Spiel genoss Qi Rong sichtlich. Er antwortete in einem aufgesetzten Singsang: »Mein lieber Sohn … Papa geht es gut … Ha ha ha.«

Xie Lian war noch immer dabei, jedes noch so kleine Fragment aufzulesen und sie mit größter Sorgfalt auf dem Kostüm des Gottgefälligen Kriegers abzulegen. Seine Augen waren gerötet.

Das Kind kam schweigend zu ihm, um ihm zu helfen.

Xie Lian sah die kleinen Hände an und blickte auf.

Mit leiser Stimme sagte das Kind: »Großer Bruder, kannst du aufhören, meinen Papa zu schlagen? Lass uns doch gehen. Wir werden dich nicht noch einmal bestehlen.«

Xie Lian spürte einen Stich im Herzen, aber er verdrängte das Gefühl. »Wie heißt du denn, Kleiner?«

»Ich heiße Guzi.«

Xie Lian war damit fertig, die Asche aufzusammeln, und wickelte sie in die Stoffschichten des Kostüms ein. Er schnürte das Bündel sorgfältig zu, dann legte er es behutsam in den Sarg und schloss den Deckel. Schließlich erklärte er langsam: »Guzi, das da ist nicht dein Vater. Er ist jemand anders. Er ist ein Dämon, der den Körper deines Vaters benutzt. Er ist ein Böser.«

Diese Erklärung verwirrte Guzi, er konnte nicht verstehen, was er da hörte. »Jemand anders? Nein, ich erkenne ihn. Das ist mein Papa.«

»Nicht schlecht, nicht schlecht«, lobte Qi Rong ihn. »Es hat sich gelohnt, ich bin billig zu einem Sohn gekommen. Ha ha ha … Au!«

Xie Lian hatte ihn getreten.

Guzi war noch klein und hatte sich sein Leben lang auf seinen Vater verlassen. Daher hing er an dem Körper, von dem Qi Rong Besitz ergriffen hatte, und weigerte sich, ihn so einfach zu verlassen.

Xie Lian hatte keine gute Idee, wie er dieses Problem lösen könnte. Mit dem Schwert Fangxin auf dem Rücken verneigte er sich dreimal vor den beiden Särgen. Dann ergriff er Qi Rong mit der linken und Guzi mit der rechten Hand und zog sie mit sich, als er den Berg Taicang verließ und so schnell er konnte ins Dorf Puqi zurückkehrte.

Er war viele Tage lang fort gewesen und es war finstere Nacht, als er zurückkehrte. Die Türen zum Puqi-Schrein standen weit offen und Wolken vom Rauch der Räucherstäbchen waberten heraus. Der Halter auf dem Altar war zum Platzen voll mit Räucherstäbchen und der Tisch bog sich unter Opfergaben. Xie Lian ließ seinen Blick über den Altar schweifen, nachdem er eingetreten war. Dann griff er sich zwei gefüllte Dampfbrötchen. Eines davon gab er Guzi, das andere stopfte er Qi Rong in den Mund. Schließlich steckte er im Körper eines lebendigen Menschen. Bis Xie Lian herausgefunden hatte, wie er ihn aus diesem Körper entfernen konnte, benötigte er Nahrung.

Qi Rong spuckte das Dampfbrötchen laut schimpfend wieder aus. Mit einem unbehaglichen Unterton rief er: »Sag mal, du wirst mich doch nicht wirklich an Hua Cheng übergeben, oder?«

Xie Lian lachte ihm kalt ins Gesicht. »Fürchtest du dich so sehr?« Er hatte keine Zeit, sich weiter mit Qi Rongs Geschwätz zu befassen. Er drehte sich um und kramte zwischen den tönernen Einmachgefäßen herum, die auf dem Boden standen.

»Warum sollte ich mich fürchten?«, entgegnete Qi Rong. »Du bist derjenige, der sich fürchten sollte. Du bist ein Himmelsbeamter und gibst dich mit einem Supremus ab. Du …« Während er redete, fiel ihm plötzlich etwas ins Auge. Als Xie Lian sich gebückt hatte, hatte er im Ausschnitt seines Umhangs etwas aufblitzen sehen.

Es war der kristallklare Ring, der Qi Rongs Aufmerksamkeit erregt hatte.

Xie Lian hatte seinen Blick nicht bemerkt. Qi Rong starrte ihn mit misstrauischer Miene von hinten an. Ein Moment verging, dann fragte er: »Cousin, was trägst du da um den Hals?«

Xie Lian hatte sich vorgenommen, ihn zu ignorieren. Doch Qi Rong hatte etwas angesprochen, das ihn selbst neugierig machte. Er wandte sich zu ihm, den Finger in die feine Silberkette eingehakt. »Das? Weißt du, was das ist?«

»Bring es her. Lass es mich ansehen, dann sage ich es dir«, forderte Qi Rong ihn auf.

»Wenn du es weißt, sag es. Wenn nicht, sei still.«