Heaven's Rejects MC Teil 2: Angels and Ashes - Avelyn Paige - E-Book
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Heaven's Rejects MC Teil 2: Angels and Ashes E-Book

Avelyn Paige

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Beschreibung

Ihr Mann ist tot. Seine Frau sollte es auch sein. Ein Jahr nachdem Darcy Kyles Mann auf tragische Weise ums Leben gekommen ist und sie mit zwei Kindern und dem ungeborenen Baby zurückließ, erhält sie einen Brief von ihrem Mann aus dem Grab. Darcy hat mehr Fragen als Antworten und macht sich daran, die Wahrheit über den vermeintlichen Unfall herauszufinden und zu beweisen, dass ihr Mann ermordet wurde. Auch wenn das bedeutet, dass sie sich selbst in Gefahr begibt. Michael "Raze" Sanders, Präsident des Heaven's Rejects MC, hatte schon immer insgeheim Gefühle für Darcy, aber seine eigene Ehe sowie die Loyalität zu seinem toten ehemaligen Club-Vizepräsidenten und besten Freund haben ihn davon abgehalten, seine Gefühle näher zu analysieren. Doch inzwischen spürt er, dass Darcy die Frau ist, der er sein Herz wieder öffnen möchte. Nun steckt Darcy ihre Nase in Dinge, die sie nichts angehen, und ihr Leben ist in Gefahr. Raze ist fest entschlossen, sie zu beschützen und sie in seiner Nähe zu behalten, damit er auf sie aufpassen kann während Darcy nach den Schuldigen am Tod ihres Mannes sucht. Als die Wahrheit aufgedeckt wird, sind weder Raze noch Darcy auf die Antworten vorbereitet. Und ihre Gefühle füreinander werden ihnen zum Verhängnis und zur Rettung zugleich. "Angels & Ashes" von USA Today- und Wall Street Journal-Bestsellerautorin Paige Avelyn ist der packende zweite Teil der Heaven's Rejects MC-Reihe. Spannend, emotional und voller Action - ein Must-Read für alle Fans von Motorradclubs und Bad Boys! Taucht ein in die Welt der rebellischen Biker und erlebt mit ihnen gefährliche Abenteuer und heiße Liebesgeschichten.

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Avelyn Paige

Heaven’s Rejects MC Teil 2: Angels & Ashes

Aus dem Amerikanischen ins Deutsche übertragen von Jazz Winter

©2016 by Avelyn Paige unter dem Originaltitel „Angels & Ashes (Heaven's Rejects MC Book 2)”

© 2024 der deutschsprachigen Ausgabe und Übersetzung by Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels

www.plaisirdamour.de

[email protected]

© Covergestaltung: Sabrina Dahlenburg

(www.art-for-your-book.de)

ISBN Print: 978-3-86495-706-2

ISBN eBook: 978-3-86495-707-9

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Epilog

Playlist

Danksagung

Über die Autorin

Widmung

Für Jezebel,

meine Schreibfreundin, die loyal und bedingungslos immer an meiner Seite war.

Danke für deine Unterstützung und die Kuscheleinheiten in deinen dreizehn Jahren.

Kapitel 1

Darcy

„Jungs, Daddy ist zu Hause“, rufe ich aus der Küche. Das laute Rumpeln seiner Harley erschüttert die Grundmauern des gesamten Hauses. „Colt, pass auf deinen Bruder auf. Ich gehe raus und helfe eurem Vater, seine Sachen reinzubringen.“

Colts Antwort hallt aus dem Zimmer der Jungs, kurz bevor spielerisches Kichern durch die Tür dringt. Dieses Kichern bedeutet normalerweise, dass die beiden nichts Gutes im Schilde führen, doch heute überlasse ich es ihrem Dad, sich um alle Probleme zu kümmern. Nach dem gestrigen Vorfall mit dem Textmarker im frisch gestrichenen Badezimmer ist er an der Reihe. Unruhestifter. Allesamt. Kopien ihres Vaters. Wo die drei auftauchen, herrscht Chaos, aber ich würde es für nichts in der Welt eintauschen wollen.

Nachdem ich den vorderen Flur erreicht habe, blicke ich aus dem Fenster und bemerke, dass nicht das Motorrad meines Mannes in der Einfahrt steht, sondern das des Clubpräsidenten. Raze schwingt sein Bein über seine dunkle Harley-Davidson und kommt auf unsere Haustür zu. Eine böse Vorahnung lässt mich abrupt stehen bleiben. Die Tür öffnet sich langsam mit einem leichten Knarren und gibt die Sicht auf Razes großen, muskulösen Körper frei. Seine Schultern hängen herab und sein Blick ist auf den Boden gerichtet.

Etwas stimmt nicht.

„Wo ist Brent?“, frage ich so leise, dass ich mir nicht sicher bin, ob er mich überhaupt hört.

Raze hebt nicht einmal seinen Blick vom Boden. Es kommt mir fast so vor, als hätte er Angst, mir in die Augen zu sehen. „Es gab einen Unfall, Darcy.“

Ein Keuchen entweicht meinen Lippen, Adrenalin schießt durch meine Adern, während sich die mentale Notfall-Checkliste in meinem Kopf abspielt. Krankenhausbesuche mit meinem Mann sind immer häufiger geworden, seit wir verheiratet sind. Ich schwöre, dieser Kerl besitzt eine Krankenakte von der Größe des tollpatschigen Handwerkers aus der Fernsehserie aus den 90er Jahren. Es ist wie ein Familientreffen des Ärzteteams, sobald wir durch die Türen der Notaufnahme huschen. Ich frage mich oft, ob sie nicht einen Schnelldurchgang für Stammbesucher für uns einrichten könnten.

„Ein Unfall“, wiederhole ich und drehe mich um, um nach meiner Handtasche auf dem Tisch im Flur zu greifen.

Raze streckt die Hand aus und packt meinen Arm, um meine Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken. Ich reiße mich aus seinem Griff los und starre ihn wütend an, weil er mich aufhalten will. Ich muss zu meinem Mann. Raze gibt allerdings nicht nach. Stattdessen zögert er, ehe er mich loslässt.

„In welches Krankenhaus haben sie ihn gebracht?“, möchte ich von ihm wissen und drehe mich erneut zu meiner Handtasche um, um sie an mich zu nehmen. „Kindred oder San Antonio? Gott, ich hoffe, dass es zu dieser Uhrzeit nicht das Kindred ist. Im Berufsverkehr wird es Stunden dauern, dorthin zu kommen.“

Mit seiner massiven Gestalt tritt Raze einen Schritt vor und hindert mich daran, um ihn herumzugehen. „Darcy, du musst mir jetzt zuhören.“ Seine Stimme ist voller Kummer und Schmerz. „Brent ist nicht im Krankenhaus. Er ist tot, Darlin’.“

Ich blinzele und starre den Mann vor mir an.

Das ist nicht möglich. Er war doch gerade noch hier in diesem Haus und hat mir zum Abschied einen Kuss gegeben. Brent war an diesem Morgen mit einem Lächeln und dem Versprechen gegangen, uns alle heute Abend mitzunehmen, um diesen blöden Minion-Film zu schauen, mit dem uns die Jungs seit Wochen in den Wahnsinn treiben. Es kann nicht wahr sein. Oder doch?

Dann wird die Welt plötzlich langsamer, als die Vision von der Leiche meines Mannes in einem Sarg in meinen Kopf dringt. Mein Körper wird schlaff und ich stolpere. Sofort stürzt Raze nach vorne, um mich aufzufangen, bevor ich schluchzend hinuntersinke.

„Darcy. Darcy. Bitte antworte mir, Darlin’. Du machst mir verdammte Angst. Sag mir, dass du verstehst, was ich dir versuche, zu sagen.“

Mit starken Armen zieht er mich an seine harte, muskulöse Brust. Er versucht, mich zu trösten, aber auch ohne bei klarem Verstand zu sein, weiß ich, dass es sinnlos ist. Seine Hände streichen über mein Haar und Tränen strömen über meine Wangen.

Ich hebe meinen Blick und sehe ihn an. Auch Razes Gesicht ist tränenüberströmt und seine eisblauen Augen wirken so traurig, wie meine eigenen es sein müssen. Er leidet. Doch der Schmerz, den er empfindet, ist nichts im Vergleich zu dem, der in mir tobt. Mir ist bewusst, dass er meinen Mann geliebt hat, dennoch wird er nie gänzlich nachvollziehen können, welchen Seelenschmerz ich in diesem Augenblick fühle. Er hat vielleicht seinen Bruder verloren, doch ich habe den einzigen Menschen auf dieser Erde verloren, der mich verstanden und mir geholfen hat, den Jungs, die gerade neben uns im Raum spielen, das Leben zu schenken.

Die Jungs. Oh, Gott. Wie sage ich ihnen, dass ihr Daddy nicht mehr nach Hause kommt?

Sie sind noch so jung. Zu jung, um ohne ihren Vater zu leben. Colt, mit seinen sechs Jahren, wird möglicherweise verstehen, dass sein Dad nicht wiederkommt, aber der dreijährige Wesson wird das noch gar nicht begreifen können. Mein Blick senkt sich auf meinen Bauch und ein erneuter Schluchzer entfährt mir. Ebenso wenig wird die kleine Beule, die in mir wächst, es nachvollziehen können. Brent wusste nicht einmal, dass ich wieder schwanger bin. Heute Abend beim Essen wollte ich verkünden, dass unsere Familie um ein weiteres Kind wachsen wird. Es sollte meine Jahrestags-Überraschung für ihn werden. Brent hatte immer mehr Kinder haben wollen, doch nach den Schwierigkeiten, die wir mit Wesson hatten, hatte unser Arzt uns gewarnt, dass unser kostbarer kleiner Junge wahrscheinlich unser letztes Kind sein würde. Wir hätten nie damit gerechnet, dass ein weiteres Wunder dennoch wahr werden könnte. Unser kleines Wunder, das Brent nie in seinen Armen halten oder es lieben können wird.

„Wie?“, krächze ich. „Ich will wissen, wie.“

Raze lässt mich los, zieht mich am Handgelenk ins Wohnzimmer und setzt mich dort auf die Couch. Seine Finger lösen sich von meinem Handgelenk und er lässt sich neben mir nieder, wobei das Gewicht seiner großen Statur das Sofa durchbiegt. Er seufzt laut auf und ergreift erneut meine Hand, streicht mit seiner rauen Daumenkuppe über meine Handfläche.

„Er kam heute Morgen beim Clubhaus vorbei, um ein paar Gehaltschecks vorbeizubringen. Einige der Jungs brauchten Hilfe, um einen Motor wieder in seine Halterung einzusetzen, also hatte ich keine Gelegenheit, mit ihm zu sprechen, bevor er ging. Ich war draußen in der Werkstatt und habe mit Slider gearbeitet, als Voodoo vor etwa einer Stunde einen Anruf der örtlichen Polizei bekam. Sie haben sein Bike völlig zerstört ungefähr acht Kilometer von hier auf der Mountain Avenue gefunden. Als der Krankenwagen am Unfallort eingetroffen ist, war er schon nicht mehr unter uns. Wir hätten davon wohl erst erfahren, wenn das Krankenhaus sich bei dir gemeldet hätte, wenn nicht einer von Voodoos Polizeifreunden selbst am Unfallort gearbeitet hätte. Ich wollte nicht, dass die Polizei herkommt, um es dir mitzuteilen und die Jungs zu erschrecken, also habe ich gewartet, bis ich eine Bestätigung hatte, um es dir selbst zu sagen. Es tut mir so leid, Darlin’. Ich weiß, dass er noch nicht bereit war, seine Familie auf diese Weise zurückzulassen. Er hatte zu viel, wofür es sich zu leben lohnte, um so jung zu sterben.“

Ehe ich mich zurückhalten kann, entreiße ich ihm meine Hand und verpasse ihm eine heftige Ohrfeige. Raze zuckt nicht einmal zusammen oder reagiert, während mein Handabdruck auf seiner Wange immer deutlicher wird.

„Zu viel, wofür es sich zu leben lohnt? Brent wäre gestorben, um unsere Familie und deinen beschissenen Club zu schützen.“

Razes Gesicht wird von Wut überflutet. „Mir ist klar, dass du den Club nie verstanden hast …“, beginnt er, doch ich unterbreche ihn.

„Du musst wirklich denken, ich sei dumm“, brodelt es in mir und Tränen verschleiern meine Sicht. „Ich weiß verdammt gut, dass er heute Morgen nicht zum Clubhaus gefahren ist. Er hat mir gesagt, dass er in San Diego etwas zu erledigen hat und früh zum Familienabend nach Hause kommen würde. Sag mir die Wahrheit. Sag mir, wie mein Mann gestorben ist.“

Raze schüttelt den Kopf und rutscht neben mir unbehaglich hin und her. Dann steht er in tiefem Schweigen auf und schlendert zur Tür. Ich öffne den Mund, um ihn weiterhin zu beschimpfen, allerdings hält er abrupt inne und dreht sich zu mir um, seine Augen sind direkt auf mich gerichtet. „Ich weiß, dass es dir weh tut, Darlin’, aber auf mich wütend zu sein, wird ihn nicht wieder zurückbringen. Ich wünschte, es wäre so. Er ist auf seinem verdammten Bike gestorben und das ist alles, was du wissen musst.“

„Du Hurensohn“, kreische ich und springe mit so viel Kraft vom Sofa, dass ich ihn mit nur wenigen Schritten erreiche. Meine Handfläche fliegt auf seine gerötete Wange zu, bereit, jedes Quäntchen Wut in eine weitere Ohrfeige zu verwandeln.

Raze fängt mein Handgelenk mit seinen großen Händen ab, ehe ich ihn treffen kann, und seine Augen verengen sich. Mit einer Hand umschließt er meinen Unterarm und mit der anderen packt er mein Kinn, sodass ich ihm ins Gesicht sehen muss. Ich bin machtlos, kann mich nicht bewegen.

„Den ersten Schlag habe ich dir durchgehen lassen, weil ich weiß, wie viel Schmerz gerade in dir ist. Das wird nicht noch einmal passieren.“

Er lässt mich los und tritt zurück, um Abstand zwischen uns zu schaffen. „Er würde nicht wollen, dass du dich so verhältst. Du musst dich jetzt auf deine Jungs konzentrieren und dir überlegen, wie zum Teufel du es ihnen sagen wirst.“

Seine Worte machen mich nur noch wütender.

„Meine Familie geht dich nichts an“, zische ich.

Erneut schüttelt Raze den Kopf und Frustration zeichnet sich auf seinem Gesicht ab. „Wenn die Beerdigung vorbei ist, ist es dein gutes Recht, mich oder die anderen für den Rest deines Lebens zu hassen. Aber in den nächsten Tagen wirst du für deine Jungs ein tapferes Gesicht aufsetzen. Brent hat unseren Club geliebt, auch wenn du das nicht tust. Er würde nicht wollen, dass du dich jetzt mit uns streitest.“

„Dein Club und deine Gefühle sind mir scheißegal“, entgegne ich. „Meine Jungs werden niemals etwas mit den Heaven’s Rejects zu tun haben. Brent wollte das nicht für sie.“ Diese Lüge kommt mir so leicht über die Lippen. Brent hat nichts mehr gewollt, als dass seine Söhne eines Tages sein Vermächtnis weiterführen würden. Wir hatten deshalb unzählige Auseinandersetzungen. „Ich will nichts mit deinem Club oder dir zu tun haben.“

Razes Gesicht wirkt grimmig, bevor sich seine ruhige und strenge Alltagsgrimasse wieder einstellt. Normalerweise ist seine Mimik nicht zu deuten, unberührt von emotionsgeladenen Gesten, doch selbst in meiner Trauer kann ich erkennen, dass er gerade innerlich kocht. Allerdings ist mir das egal. Mein Mann ist wegen ihm und seines Clubs tot.

„Wenn es das ist, was du willst, dann sei es so, Darcy. Aber bis dieser Mann beerdigt ist, wirst du zulassen, dass wir uns um seine Familie kümmern. Morton’s hat seinen Leichnam bereits und wartet auf deinen Anruf, um alles vorzubereiten. Der Club wird den Trauerzug zum Friedhof organisieren und ich, als sein Präsident, werde die Grabrede halten. Du kannst deinen religiösen Kram oder was immer du willst, im Bestattungsinstitut haben, doch der Friedhof gehört uns.“

„Wie kannst du es wagen …“, knurre ich, aber Razes Daumen drückt fest auf meine Lippen und unterbricht mich damit mitten im Satz.

„Sag es den Jungs und ruf das Bestattungsinstitut an, Darcy. Ich werde Maj später bei dir vorbeischicken, um die nötigen Informationen von dir zu bekommen. Wenn du etwas brauchst, kontaktiere mich direkt“, befiehlt Raze.

Mit diesen Worten stolziert er aus dem Haus und schlägt die Tür hinter sich zu. Die schlurfenden Schritte von Wesson und Colt werden im Flur lauter und ich kann hören, wie Razes Motorrad anspringt und auf der Straße verschwindet. Ich wische mir die Tränen aus dem Gesicht und sehe zu, wie meine beiden kleinen Söhne das Wohnzimmer betreten.

„Was ist los, Mama?“, fragt Wesson. „Warum hat dich Onkel ‘aze zum Weinen gebracht? War er gemein zu dir?“

Ich strecke ihnen meine Arme entgegen und beobachte, wie sie beide auf mich zustürmen und ihre kleinen Arme um meinen Nacken und meinen Oberkörper schlingen. Noch mehr Tränen fließen, während ich den Mut zusammenkratze, es ihnen zu sagen. Mir ist klar, dass ich das Unvermeidliche nur hinauszögere, indem ich ihre Fragen mit einer Umarmung beantworte, aber ich kann nicht anders. Ich muss sie in meinen Armen spüren. Ein Stück ihres Vaters steckt in ihren kleinen Körpern. Sobald ich es ihnen mitteile, wird ihre Welt auseinanderbrechen und ich bin nicht bereit, zuzusehen, wie ihre Herzen brechen.

Wesson windet sich, um sich aus meinem Griff zu befreien, und zwingt mich dazu, sie beide loszulassen. Ich starre in ihre schönen Gesichter und warte darauf, dass sich die richtigen Worte einstellen. Wie konnten wir nur so viel Glück haben, so hübsche Jungs zu bekommen?

Wessons kleine kalte Hand streichelt meine Wange und ich werde in unsere düstere Realität zurückgerissen. „Mama, was ist los?“

„Mama hat schlimme Neuigkeiten, Jungs“, flüstere ich mit einem Kloß im Hals. „Daddy hatte einen Unfall.“

Colt bleibt still, während bei Wesson die Verwirrung einsetzt. „Ist Daddy im Trantenhaus mit den hübschen Trantenswestern?“ Er hält seinen bandagierten Finger hoch und blickt mich hoffnungsvoll an. „Daddy kann eins meiner Badman-Pflaster haben, aber nur, wenn er nicht weint, wenn du ihm die Zaubermedis drauf tust, Mama. Große Jungs weinen nicht.“

Wessons süße Worte brechen mein Herz noch mehr.

„Nein, Baby, da, wo Daddy jetzt ist, braucht er kein Pflaster.“

Colt Gesicht erbleicht augenblicklich. Er weiß, dass das, was ich nun sagen werde, keine guten Neuigkeiten sind. Er greift nach seinem Bruder und ich ziehe sie beide erneut in meine Arme.

„Daddy ist jetzt bei den Engeln, nicht wahr, Mama?“ Colts leise Stimme ist nur ein Flüstern an meiner Brust.

Reiß dich zusammen, Darcy. Du darfst jetzt nicht zusammenbrechen.

„Ja, Baby. Daddy ist jetzt bei den Engeln.“

Wir bleiben lange so, weinen und klammern uns aneinander, bis ihre kleinen Körper schließlich der schmerzerfüllten Erschöpfung erliegen. Einen nach dem anderen trage ich die Jungs in ihre Zimmer und lege sie benommen in ihre Betten.

Ich fühle mich taub. Leer.

Ich greife zum Telefon, rufe meine Eltern an und melde mich danach bei dem Bestattungsinstitut. Mortons ununterbrochene Fragenflut darüber, wie ich mit dem Körper der Liebe meines Lebens verfahren möchte, macht mich fertig, bis nichts mehr in mir ist.

Die letzten Minuten des Telefongespräches verlieren sich in der Zeit, während meine Seele zerbricht, weil mir bewusst wird, dass die einzige Person, die mein gebrochenes Herz heilen kann, diejenige ist, die ich in wenigen Tagen beerdigen werde. Das ist nicht fair, weder für mich noch für die Jungs. Ihren Dad so früh in ihrem Leben zu verlieren, ist eine Tragödie.

Stunden später sitze ich in völliger Dunkelheit in dem Zimmer, das ich mit meinem Mann geteilt habe, meine Hände auf den Bauch gepresst und ich erinnere mich an unsere gemeinsame Zeit als Familie. Traurigkeit und Kummer überwältigen mich und verwandeln sich nicht nur in Wut, sondern auch in eine rachsüchtige Bitte an den Himmel, ihn mir zurückzugeben, koste es, was es wolle.

Man sagt, es gäbe fünf Phasen der Trauer, doch für mich gibt es nur eine.

Rache.

Ich werde die Wahrheit darüber herausfinden, was mit meinem Mann passiert ist. Ich schwöre es beim Leben unseres ungeborenen Kindes. Ich bin vielleicht nur die ehemalige Schlampe eines Bikers, aber diese Bastarde werden für das bezahlen, was sie mir genommen haben. Ich werde ihnen die Herzen mit meinen bloßen Händen zerquetschen.

Allerdings muss ich abwarten. Zuerst muss ich dieses Kleine auf die Welt bringen und sicherstellen, dass die Jungs vor den negativen Reaktionen sicher sind, die das, was ich vorhabe, hervorrufen könnte.

Brent hat vielleicht die Heaven’s Rejects geliebt, aber sie haben ihn getötet. Sie haben ihn mir genommen. Ich werde herausfinden, warum.

Ich werde alles tun, was nötig ist, um die Wahrheit zu erfahren.

Kapitel 2

Raze

Der Dämon in mir schreit nach verfickter Rache, genau wie bei dem Rest des Clubs. Sosehr ich diese Wichser auch brennen sehen will, weiß ich, dass es nicht der richtige Zeitpunkt ist. Wir haben keinen Plan. Wir wissen momentan noch nicht einmal, wo ihr beschissenes Clubhaus versteckt ist. Ich habe bereits meine Fühler ausgestreckt, um sie aufzuspüren, aber die Informanten haben bisher nichts finden können. Die Zeit für Vergeltung wird für diese Tribe-Bastarde früh genug kommen.

Während die Planung und mein langsames Vorgehen bezüglich der Rache für Jagger Spannungen mit meinen Brüdern verursacht, ist heute der Tag, an dem wir unseren Bruder zur Ruhe betten und mit seiner Ehefrau und seinen Söhnen trauern. Allein der Gedanke an seine Beerdigung dreht mir den Magen um. Seine Jungs sind verdammt noch mal viel zu jung, um ihren alten Herrn zu verlieren, und es frisst mich bei lebendigem Leib auf, zu wissen, dass Jagger ihr ganzes Leben verpassen wird. Ich habe zwanzig Jahre voller Erinnerungen an meinen eigenen Vater, bevor sein Lebensstil ihn das Leben gekostet hat, doch Wesson und Colt werden nur einige wenige Erinnerungen haben, wenn sie sich überhaupt noch später an ihn erinnern werden.

Manche Leute werden vielleicht sagen, dass er auf sie herabschauen wird, aber Typen wie wir schaffen es nie bis an die Himmelspforte. Nein, Kerle wie wir landen im Höllenfeuer und müssen für jede Sünde büßen, die wir je begangen haben. Ich habe im Laufe der Jahre viel Scheiße um die Ohren gehabt, alles mit Jagger an meiner Seite. Es gibt keinen Himmel für Heaven’s Rejects. Wir werden diejenigen sein, die dem Teufel Tribut zahlen. Das würde ich jedoch nie vor seiner Familie sagen. Nicht vor seiner Witwe und schon gar nicht vor seinen beiden untröstlichen, kleinen Jungs. Letztere sind der Grund, warum ich in den vergangenen Nächten nicht schlafen konnte.

Darcy hatte die Zeremonie organisiert. Ihre kummervollen Augen hatten vor Tränen geglänzt, als sie seinen Sarg ausgesucht und die beiden Jungs sich die ganze Zeit über an sie geklammert hatten. Aber irgendetwas an ihr macht mich nervös.

Während andere nur ihre Traurigkeit nach außen hin sehen, erkenne ich etwas Unheilvolleres. Jedes Mal, sobald sie mich anschaut, blitzen kurze Augenblicke von Wut und Hass in ihrem Blick auf. Es ist fast so, als wüsste sie die Wahrheit über seinen Unfall. Mir ist klar, dass das nicht möglich ist, doch wenn es so wäre, würde diese Art von Wahrheit ihre Existenz zerstören. In manchen Fällen ist Unwissenheit ein Segen und in diesem Fall besonders. Würde Darcy die Wahrheit über Jaggers Tod kennen, würde sie wie eine verfluchte Walküre den Angriff anführen, um ihn zu rächen.

Nein. Es ist besser, dass sie im Ungewissen bleibt. Es ist das Beste für sie und die Jungs. Es ist das Beste für uns alle.

Letzte Nacht konnte ich nicht schlafen, weil ich wusste, dass ich mich heute von Jagger verabschieden muss. Stundenlang habe ich mich hin und her gewälzt, bis ich es schließlich aufgegeben und meinen Arsch ins Büro geschleppt habe. Ihm bei der Grabrede die gebührende Ehre zu erweisen, schwebt wie ein mit Blei gefüllter Ballon über mir. Ich versuche, die richtigen Worte zu finden, aber Darcys Gesichtsausdruck, als ich ihr die Nachricht überbracht habe, geht mir immer wieder durch den Kopf. Ihr Gesicht vor mir zu haben, fühlt sich wie der Schuss aus einer 45er-Kaliber-Knarre mitten ins Herz an. Ihr Herz war vor meinen Augen zerbrochen und ich hatte nichts dagegen tun können.

Jagger hatte unfassbares Glück gehabt, eine Frau wie Darcy in seinem Leben zu haben. Ich konnte nie herausfinden, wie der alte Bastard es geschafft hatte, sie an Land zu ziehen, selbst Jahre später nicht.

Sie war gerade erst volljährig geworden, als er sie zum ersten Mal ins Clubhaus mitgebracht hatte. Ich weiß das, weil ich damals persönlich ihren Ausweis kontrolliert hatte. Dieser Bastard hatte mich nur angelächelt, als er sie auf seinen Schoß gezogen und seinen Anspruch geltend gemacht hatte. Ihre Stimme klang so süß, mit jedem Wort, das über ihre Lippen gekommen war.

Ihr sexy Südstaatenakzent hat mich fast umgebracht, jedes Mal, sobald sie nur ihren hübschen Mund geöffnet hatte. Es hatte nicht lange gedauert, bis er verkündet hatte, dass er Darcy heiraten würde. Ich hatte mich wirklich für ihn gefreut, aber verflucht, ich war auch ein bisschen eifersüchtig gewesen.

Sie ist genau die Art von Frau, die jeder von uns gerne hätte. Und dann bekam sie eine Kostprobe davon, was es tatsächlich bedeutete, mit einem Mann aus diesem Club verheiratet zu sein. Danach hatte sich alles verändert.

Zu jeder Tag- und Nachtzeit war er blutüberströmt nach Hause gekommen, weil er irgendeinem Wichser die Scheiße aus dem Leib geprügelt oder sich mit einem rivalisierenden Club herumgeschlagen hatte, der Ärger gemacht hatte. Darcy war einfach darüber hinweggegangen, ohne ein Wort zu sagen.

Einige Male allerdings hatte ich gesehen, wie das freche Südstaatentemperament brüllend in ihr zum Vorschein gekommen war. Sie war vor dem versammelten Club auf ihn losgegangen. Besonders, wenn er eine spezielle Veranstaltung ihrer Jungs verpasst hatte.

Jagger hatte stets darüber gelacht und gemeint, sie würde ihm vergeben, sobald sie nach Hause kämen. Er hatte immer wieder damit geprahlt, dass er jedes Problem im Schlafzimmer lösen könnte, doch es hatte Zeiten gegeben, von denen ich wusste, dass ihn nicht einmal ein guter Fick davor bewahren konnte, auf dem Sofa schlafen zu müssen.

Ich muss zugeben, Jagger war nicht gerade der beste Kerl auf diesem Planeten, aber für sie und die Jungs hätte er den verdammten Mond lila gestrichen, wenn es sie glücklich gemacht hätte.

Ich trommele mit den Fingern auf die Holzplatte meines Schreibtisches und beschließe, bei seiner Trauerrede schlichtweg zu improvisieren. Verflucht, ich würde mir selbst etwas vormachen, wenn ich glauben würde, mir würden die richtigen Worte einfallen. Das Chaos an zerknüllten Papieren auf dem Boden ist Beweis genug. Ich bin einfach nicht dafür geschaffen, eine beschissene Rede zu schreiben. Gerade als ich den letzten Versuch meiner unzusammenhängenden Kritzeleien in Richtung des überquellenden Mülleimers werfe, klopft es an der Tür.

„Ja“, rufe ich.

Der Türknauf dreht sich langsam und Hero und Ratchet kommen herein. Hero wirkt vom Schlafmangel zermürbt und Ratchet sieht nicht viel besser aus.

„Hey, Prez“, gibt Ratchet von sich, während er und Hero sich auf die Stühle vor meinem Schreibtisch setzen.

Hero betrachtet das Chaos am Boden und lacht. „Wie ich sehe, läuft es gut mit deiner Rede.“ Er verzieht die Lippen. „Sei lieber vorsichtig. Die Baumliebhaber werden sonst anfangen, in deinem Büro zu demonstrieren.“

Ich fahre mit den Händen über meinen Bürstenhaarschnitt und seufze schwerfällig. „Etwas Schönes zu schreiben, steht nicht gerade an erster Stelle meines Lebenslaufes. Eine Nonne zu entjungfern, wäre jedenfalls nicht so schwer.“

Ratchet und Hero lachen.

„Ich bin mir nicht so sicher, ob eine Nonne ihr Gelübde brechen würde, nur weil du mit deinem Schwanz herumwedelst“, meint Hero.

Ich werfe ihm einen bösen Blick zu und er hebt beschwichtigend die Hände. „Jesus, ich habe doch nur Spaß gemacht. Reg dich bloß nicht auf, Prez.“

„Mach so weiter, Hero, und Ratchet bekommt demnächst eine Beförderung zum VP“, informiere ich ihn.

„Nee“, murmelt Ratchet. „Du weißt doch, dass ich nicht der Typ bin, der mit gutem Beispiel vorangeht, Prez. Na ja, es sei denn, du willst, dass ich den Prospects beibringe, wie man dir am besten auf die Nüsse geht.“

Hero grinst. „Ja, genau, weißt du noch, was passiert ist, als du Ratchet das letzte Mal aus seinem Käfig gelassen hast? Er hat ‚aus Versehen‘ die Villa eines Politikers abgefackelt.“

„Wer hätte gedacht, dass die schönen Dinge im Leben genauso schnell verbrennen wie der beschissene Kram“, erinnert sich Ratchet achselzuckend.

Ich schüttele den Kopf und muss lachen. Es scheint ihm tatsächlich am Arsch vorbeizugehen, dass er im letzten Herbst Scheiße im Wert von zehn Millionen Dollar in Asche verwandelt hat.

Hatte es der Politiker verdient? Zur Hölle, ja. Nach dem, was wir in seinem durchgeknallten, kleinen Penthouse entdeckt hatten, hatte er den Tod verdient, doch unser Zielobjekt war seine Tochter. Die saftige Summe, die seine Ex-Frau uns gezahlt hatte, um sie da herauszuholen, hatte ihre Absichten glasklar gemacht. Dass das Haus abgebrannt war, war für die beiden nur ein Bonus und ein Geschenk, um Ratchets dunkle Natur ein wenig länger in Schach zu halten.

„Und genau das ist der Grund und der Punkt, warum wir dich nicht mehr mit Streichhölzern spielen lassen, Ratch.“

Ratchet grinst nur.

„Wie auch immer, seid ihr beiden hergekommen, um mir auf den Sack zu gehen, oder habt ihr einen bestimmten Grund für euren Besuch am frühen Morgen?“, will ich von den beiden wissen.

„Wir wollten nur mal nach dir sehen“, erwidert Hero. „Diese Scheiße ist für keinen von uns einfach, aber du hast Jagger am längsten gekannt. Ihn dort so aufgehängt zu sehen, hat bei mir schon beschissen schlimme Erinnerungen wachgerufen. Deshalb haben Ratch und ich uns beide ein wenig zurückgezogen. Du hättest es nicht gebrauchen können, wenn wir die Stimmung im Clubhaus noch mehr runtergezogen hätten. Sie ist ohnehin schon so düster.“

„Dein Platz ist bei deinen Brüdern. Das gilt für euch beide. Wir müssen zusammenstehen. Allerdings ist mir bewusst, dass nach allem, was du im Irak gesehen hast, das Ganze hier eine Menge Scheiße bei dir aufwühlt.“

„Die schlimmsten Jahre meines Lebens. Ich dachte, ich wäre jetzt längst in der Irrenanstalt gelandet, aber ich schätze, ich habe ich wohl Jagger zu verdanken, dass das nicht passiert ist“, erklärt er mit einem halbherzigen Seufzen. „Ich werde seine hässliche Visage vermissen.“

Ratchet sitzt auf dem Stuhl neben ihm, sein Körper wirkt steif und seine Mimik ist voller Schmerz. Ratchet war noch nie jemand, der Gefühle zeigt, also sagt mir seine Reaktion, dass er wirklich unter Jaggers Mord leidet.

Verdammt, die Hälfte der Zeit redet Ratchet kaum. Ihn einen Mann der wenigen Worte zu nennen, wäre die verfluchte Untertreibung des Jahrhunderts.

„Wir vermissen ihn alle. Er war unser Bruder und einer der Gründer dieses Clubs. Sein Leben steckt in den Wänden dieses Clubhauses“, erkläre ich.

„Bis Darcy kam. Diese Schlampe hat ihn verändert“, murmelt Ratchet.

Ich starre Ratchet an, kneife die Augen zusammen und bemühe mich, meine Wut unter Kontrolle zu halten. „Ich weiß, du hast nie verstanden, warum er eine Old Lady und Kinder gebraucht hat, aber Jagger hat es geliebt, eine Familie zu haben.“ Dieser Wichser war so verflucht glücklich gewesen, als die Jungs geboren wurden. „Er hat sich verändert, weil er bereit dazu war, sich zu ändern, und das war nicht nur wegen Darcy.“

Ratchets Gesichtsausdruck bleibt unverändert. „Er hat sich verändert, als sie in sein Leben getreten ist. Er war nicht mehr der Jagger. Er war auf einmal der rechtschaffene Familienvater und hat diesen Club verlassen. Jagger hatte einmal gesagt, er würde lieber sterben, bevor er den Posten des Vizepräsidenten aufgeben würde, aber dann traf er sie und sie warfen ein paar Kids, und er trat mit einem Lächeln einfach zurück. Wenn das kein Old-Lady-Bullshit ist, dann weiß ich es auch nicht.“

Ich drücke mich von meinem Stuhl hoch, umrunde den Schreibtisch und bleibe vor Ratchet stehen. Er steht auf, um mir von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten.

„Er hat abgedankt, weil er zu krank war, um als VP weiterzumachen“, knurre ich. „Er hatte vor sechs Jahren auf der Wohltätigkeitsfahrt nach Las Vegas einen verfickten Herzinfarkt und hat gewartet, bis er zurück war, um sich darum zu kümmern. Er hätte verdammt noch mal auf der Fahrt sterben können, aber er wollte nicht schwach erscheinen, also hat er sich durchgekämpft.“

Ratchet schluckt, antwortet jedoch nicht.

„Ich habe keine Ahnung, was dein Problem mit Darcy ist“, fahre ich fort. „Aber dieser Scheiß endet hier und jetzt. Wir begraben heute ihren Ehemann. Deinen Bruder. Sie kann deinen ganzen Bullshit nicht gebrauchen, Ratchet. Du kannst entweder mit dem Club gehen, oder zurückbleiben und den Mädels beim Kochen helfen. Du hast die Wahl.“ Und damit gehe ich geradewegs aus meinem Büro und direkt auf Maj zu.

„Alles okay, Baby?“, fragt sie. „Ich habe Geschrei gehört.“

„Ja, Babe, mir geht’s gut.“

Ich ziehe sie an meine Seite und wir betreten den fast leeren Hauptraum des Clubhauses. Ich bin überrascht, dass wir noch keine Stippvisite von der örtlichen Polizei hatten. Allein der Lärm, den die Charter verursachen, die zu Besuch sind, würde eine Anzeige wegen Ruhestörung rechtfertigen. Allerdings wissen sie auch, dass sie Club-Angelegenheiten nicht stören sollten. Ich hatte ein paar Gefallen eingelöst, um den Verkehr auf unserer Fahrt zum Friedhof zu regeln. Ich möchte es der Familie so einfach wie möglich machen.

Maj führt mich zur Bar, wo eine Kiste auf der Theke steht. Sie zieht ein T-Shirt nach dem nächsten heraus und es dauert nicht lange, bis mir klar wird, dass ich diese Shirts schon einmal gesehen habe. Sie gehörten Jagger.

„Ich habe die in seinem Spind gefunden. Was soll ich damit machen?“, fragt sie.

„Reiß sie in Streifen und gibt jedem der Fahrer einen davon. Es wird so sein, als ob Jagger mit uns fährt.“

Maj nimmt eins der schwarzen Harley-T-Shirts in die Hände und reißt einen Streifen davon ab. Sie kommt auf mich zu und bindet ihn um meinen Bizeps. Ich drücke ihre Hand und küsse sie auf die Wange, danach macht sie sich an die Arbeit. Sie verteilt die Shirts an die Clubmädels und die anderen Old Ladys, damit sie sie zerschneiden und an den Rest des Clubs verteilen.

Eine schwere Last drückt auf meine Brust, als mir klar wird, dass es an der Zeit ist. Fuck.

Auf dem Weg zum Ausgang komme ich an Ratchet und Hero vorbei, die gerade mein Büro verlassen. Ratchet nickt mir nur zu und signalisiert mir damit, dass er sich heute benehmen wird. Mir ist bewusst, dass er leidet, aber ich werde auch nicht zögern, ihn wegzusperren, sollte er Darcy gegenüber zu weit gehen. Für ihn mag sie der Grund sein, warum sein Held seine Rolle in diesem Club aufgegeben hat, allerdings war das Jaggers Entscheidung und nicht Darcys oder die von Ratchet.

Nachdem ich in die Sonne getreten bin, beobachte ich, wie Jaggers schwarz-grauer Metallsarg von den Leuten des Morton’s Beerdigungsinstituts auf die Ladefläche unseres Harley-Leichenwagen-Anhängers geladen wird. Darcy hatte gestern Abend ihre religiöse Trauerfeier in dem Bestattungsinstitut, also stehen heute Clubtraditionen und Abschiednehmen an.

Zuerst hatte Darcy mit mir darüber diskutiert, doch ich wollte, dass Jagger seine letzte Fahrt vom Clubhaus aus startet. Sie war zögerlich, hatte letztendlich jedoch zugestimmt, nachdem ich ihr erklärt hatte, dass Jagger selbst dieses Bestattungsritual entworfen hatte und sie wusste, dass er es so gewollt hätte.

Während ich meine Kutte zuknöpfe, erblicke ich Darcy, die die hintere Tür des Wagens aufhält, der mich auf dieser Fahrt begleiten wird. Ihr Gesicht ist hinter einem breitkrempigen Hut mit schwarzem Spitzenschleier verborgen. Sie wartet geduldig darauf, dass ihre Söhne auf den Rücksitz klettern, dennoch kann ich deutlich erkennen, dass sie zittert.

Sie hält ein weißes Taschentuch in der Hand, als sie stehen bleibt, um mir bei meinen Vorbereitungen für die Fahrt zuzusehen. Ich kann die Hitze ihres verschleierten Blicks wie eine körperliche Berührung spüren, und dann steigt sie in den Wagen und Morton schließt die Tür hinter ihr. Während er sich auf den Weg zur Fahrerseite macht, nähere ich mich dem Leichenwagen-Anhänger mit dem Körper meines Bruders darin und lege meine Handfläche gegen das warme Glas.

Das hättest nicht du sein sollen, Jag.

Ich ziehe meine Hand zurück, gehe zu meinem Motorrad und schiebe mein Bein über den sonnengewärmten Ledersitz. Nach einem kurzen Moment schalte ich die Zündung ein und starte den Motor. Ein paar Minuten lang lasse ich meine Harley rumpeln und finde Trost in ihrem vertrauten Knurren.

Ich drehe mich auf meinem Sitz um und blicke zurück zu dem Leichenwagen, der an mein Bike angehängt ist. Dies ist Jaggers letzter Aufenthalt in unserem Clubhaus. Das Clubhaus, das er mit aufgebaut hatte. Bei dem Gedanken daran bildet sich ein Kloß in meinem Hals. Dafür ist jetzt keine Zeit, Raze.

Ich lasse den Motor aufheulen, schlucke den Kloß herunter und zwinge mich dazu, mich zu bewegen. Langsam lasse ich mein Motorrad vorwärtsrollen und ziehe den Leichenwagen-Anhänger vor das Clubhaus. Dort hat sich bereits der Trauerzug aufgestellt. Dutzende von Jaggers Brüdern und deren Old Ladys sind hier.

Ich zögere kurz, fahre gemächlich zum Ende des Parkplatzes und schere dann auf die Straße aus. Der Wagen mit Darcy und den Jungs ist direkt hinter mir, gefolgt von zwei ordentlichen Reihen Motorrädern. Sie sind alle hergekommen, um Jagger die letzte Ehre zu erweisen.

„Zeit für eine letzte Fahrt, mein Bruder.“

Kapitel 3

Darcy

Ein Jahr später

Drei kurze Worte veränderten den Lauf meines Lebens für immer. Ich hätte nie gedacht, dass ich mit gerade mal dreißig Jahren Witwe sein und unsere Kinder allein großziehen würde. Brent hatte mir die Ewigkeit versprochen. Uns beiden war bewusst, dass er bei unserem Altersunterschied von zweiundzwanzig Jahren lange vor mir sterben würde, aber so war er nun einmal. Brent hatte sich nie Sorgen darüber gemacht, was der nächste Tag bringen würde, und das war einer der vielen Gründe, warum ich ihn geliebt habe. Er war der Optimist in unserer Beziehung, auch wenn die Welt unseren Altersunterschied oft mit Verachtung betrachtet hatte.

Ich kichere leise in mich hinein und erinnere mich an den Tag, als er gehört hatte, wie jemand ihn einen Wiegenräuber genannt hatte. Er hatte demjenigen schnell klargemacht, dass die einzigen Meinungen, die in unserer Beziehung zählen würden, unsere eigenen seien, und dann hatte er einen Scherz darüber abgelassen, dass ich stattdessen eine Grabräuberin sei.

Brent hatte immer eine Art besessen, den dunklen Scheiß um uns herum in einen Witz zu verwandeln, um mich zum Lächeln zu bringen.

Ich vermisse ihn so sehr.

Seit einer Stunde sitze ich nun an dem Schminktisch, den er mir als Hochzeitsgeschenk gebaut hat, und starre die Fremde im Spiegel an. Diese Frau hat alles verloren und nichts dafür bekommen. Mit meinen eiskalten Händen streife ich meine blassen Wangen, während Tränen in schneller Folge über mein Gesicht fließen. Mein dunkelbraunes Haar wirkt stumpf und leblos, ebenso wie meine Haut. Das Licht in meinen Augen ist fast nicht mehr vorhanden und ich weiß, dass sie nie wieder leuchten werden. Meinen Kindern gegenüber kann ich eine tapfere Mimik aufsetzen, doch tief in meinem Innern bin ich zerbrochen.

Sobald ich an Brents Lächeln denke, wird die Dunkelheit nur noch größer. Jedes Mal, wenn ich es vor mir sehe, sehe ich ebenso diesen verfluchten Club im Hintergrund lauern.

Seit Brents Tod habe ich versucht, Abstand zu ihnen zu halten, aber irgendwie finde ich mich immer wieder in diesem verdammten Clubhaus wieder. Möglicherweise liegt es daran, dass ich meinen Mann dort spüren kann, oder vielleicht ist es die Vertrautheit der Leute, doch ich konnte und kann den Club, den mein Mann so sehr geliebt hat, nicht hinter mir lassen.

Die Menschen innerhalb des MCs und deren Verbündete sind die einzigen Freunde, die ich hier habe. Ihre Unterstützung in meinem Leben zu verlieren, hätte vieles so viel schwieriger gemacht. Ein paar Mal musste ich mich sogar an Dani wenden, damit sie mir in Notfällen mit den Jungs hilft. Sie hat mich noch nie im Stich gelassen. Ihre eigene Schwangerschaft schreitet voran und wir haben inzwischen eine viel tiefere Bindung zueinander aufgebaut, nicht nur als Freundinnen, sondern auch als Mütter.

Dennoch fühlt es sich immer noch nicht richtig an. Ich weiß, dass Raze lügt. Mir ist ebenso klar, dass er mich belogen hat, als er gesagt hatte, dass Brent sein Motorrad zu Schrott gefahren hatte. Das Bike war in einem tadellosen Zustand gewesen, genau wie er seine „Zweit-Frau“ stets in Schuss gehalten hatte. So oft hatte ich ihn deswegen aufgezogen. Nein. Mein Ehemann ist nicht bei einem Unfall ums Leben gekommen. Er wurde verdammt noch mal ermordet und seine Brüder wissen, an wessen Händen sein Blut klebt.

Trotzdem komme ich immer noch her. Tief im Inneren weiß ich auch, warum. Sobald ich Brent am meisten vermisse, lande ich immer wieder im Clubhaus. Ich brauche Antworten, und wenn ich mich komplett fernhalte, werde ich sie nie bekommen. Mein Mann wurde mir gestohlen und die Wichser, die ihn mir weggenommen haben, werden für ihr Verbrechen an meiner Familie bezahlen. Sie haben den Mann, den ich liebe, ermordet und meinen Kindern die Möglichkeit genommen, ihren Vater kennenzulernen.

Kurz nachdem sein Leben ausgelöscht worden ist, habe ich meinen Plan in Gang gesetzt, um meine Familie zu schützen, falls mir etwas zustoßen sollte. Brents Lebensversicherung ist mehr als genug, um uns ein Leben lang zu versorgen und die Kinder aufs College zu schicken, allerdings wollte ich sicherstellen, dass es ihnen wirklich an nichts fehlt. Das Nebengeschäft, das ich begonnen hatte, während Brent auf langen Touren gewesen war, floriert seit seinem Tod, und ich bin meinem Ziel, das ich mir gesetzt hatte, so nah. Bald kann ich ein für alle Mal abrechnen. Ich habe mich nie für eine Mörderin gehalten, doch um die Erinnerungen an meinen Mann in Ehren zu halten, ist alles möglich.

Ein leiser Schrei neben dem Bett reißt mich zurück in die Realität.

„Mama kommt, Baby.“

Ich schiebe den Stuhl von dem Schminktisch zurück und gehe zu der Wiege, die neben dem Bett steht. Als ich hineinblicke, sehe ich das süße Lächeln meiner Tochter, die gerade aus ihrem erholsamen Schlaf erwacht ist. Brent hatte sich immer eine kleine Tochter gewünscht und es schmerzt mich sehr, dass er sie nie zu Gesicht bekommen hat.

„Ich will ein kleines Mädchen, das genauso aussieht wie du, Baby.“

„Ein Biker mit einem kleinen Mädchen? Das klingt nach Ärger“, necke ich ihn.

„Niemand würde sich mit ihr anlegen und sie wäre das taffste kleine Ding der Stadt. Ich habe sogar schon einen Namen für sie ausgesucht.“

Ich starre ihn überrascht an. „Und wie lautet der?“

„Ich würde sie Roxie Bell nennen.“

Und genau so wurde sie benannt. Sie ist das Ebenbild ihres Vaters, mit leuchtend grünen Augen und schwarzen Locken. Sie ist vielleicht erst vier Monate alt, aber man wüsste sofort, zu wem sie gehört. Ihre anspruchsvolle und sture Persönlichkeit, die sie ebenfalls von ihrem Daddy geerbt hat, war schon am Tag ihrer Geburt offensichtlich.

Ich wickele sie aus den Decken, hebe sie behutsam aus der Wiege und drücke sie an meine Brust. Ihre winzigen Hände liegen auf meiner Haut, während ich sie schaukle und ihr ein Schlaflied vorsinge. Ich lege Roxie eine der Decken um und gehe langsam mit ihr in die Küche, um ihr ein Fläschchen zu machen. Ich mische ihr Milchpulver schnell mit Wasser und stelle die Flasche in den Wärmer auf der Theke.

Ein paar Minuten später nehme ich das erwärmte Fläschchen, stecke mir ihren kleinen Arm unter meinen und ziehe sie an meine Brust, bevor ich mich auf das Sofa neben der Terrassentür setze. Genau wie bei ihren beiden Brüdern reicht eine Einhundertsiebzig-Milliliter-Flasche nie lange. Sie saugt an der Milch, während ihre freie Hand meinen Finger umschließt, was mein Herz höher schlagen lässt. Ich würde wirklich alles dafür geben, wenn ihr Vater sie so sehen könnte. Am liebsten verbrachte Brent seine Zeit damit, mitten in der Nacht die Jungs zu füttern. Er hatte mir einmal erzählt, dass er sich wie der beste Dad der Welt fühlte, wenn er sie füttern und wieder zur Ruhe bringen konnte, ohne mich auch nur ein einziges Mal zu wecken.

Er war so ein guter Vater.

Ich stelle die jetzt leere Flasche auf den Beistelltisch, lege mir die Kleine über die Schulter und klopfe ihr auf den Rücken. Nur wenige Rückenklopfer später rülpst Roxie zweimal laut, ehe sie mich angurrt.

„Das ist Mamas Mädchen. Jetzt wechseln wir deine Windel und setzen dich wieder in deine Schaukel, bevor deine Radaubrüder aufwachen.“

Zwanzig Minuten später stürmt Wesson mit zerzaustem Haar in die Küche und verlangt, dass sein Bauch gefüllt wird. Wie seine kleine Schwester wacht er pünktlich auf, im Gegensatz zu Colt, den man an den Füßen aus dem Bett zerren muss, wo er noch fünf Minuten lang strampelt und schreit.

Das hat er eindeutig von mir. Ich war noch nie eine Frühaufsteherin, bis ich Brent geheiratet habe. Dieser Mann verursachte einen solchen Lärm und ließ in jedem Zimmer das Licht brennen. Nachdem er sich fertig gemacht hatte, war ich nie wieder in der Lage, schlafen zu gehen.

Es sind Erinnerungen wie diese, die mir täglich das Herz brechen, und doch halten sie mich irgendwie auch am Leben.

„Fannekuchen, Mama. Ich will Fannekuchen“, verlangt Wesson.

Ich lächle meinen kleinen Jungen an, nehme die Packung mit dem Pfannkuchenteig aus dem Schrank und stelle ihn auf die Arbeitsfläche.

„Ist es das, was du willst?“, frage ich grinsend. „Ich war mir sicher, dass du heute Morgen nach Speck und Eiern fragen würdest.“

„Nee, ich will Fannekuchen. Kannst du die Form von einem Sniedel machen?“

Ich halte wie angewurzelt inne. Hat er gerade gesagt, was ich glaube, was er gesagt hat? Ich drehe mich zu ihm um und beobachte, wie Wesson auf seinem üblichen Platz an der Frühstückstheke herumhüpft und die Beine baumeln lässt. Allein bei diesem Anblick weiß ich, dass ich ihn wohl falsch verstanden haben muss.

„Wes, welche Form wolltest du?“, frage ich und hoffe, etwas anderes zu hören.

„Ein Sniedel. Weißt du, Mama, wie das, was ich habe.“

Er strahlt mich an, während mir der Schock durch die Glieder fährt. Ich lege den Pfannenwender beiseite, stütze meine Ellbogen auf dem kühlen Marmor ab und lehne mich dicht zu ihm.

„Wes, wo hast du dieses Wort gehört?“

Seine Beine schwingen heftiger und seine Füße stoßen gegen das Holz der Frühstückstheke. Sein Blick wandert auf die Marmorplatte vor ihm, während er nach Worten sucht.

„Wes, ich habe dir eine Frage gestellt“, sage ich nun mit etwas mehr Autorität in der Stimme. „Bitte antworte mir.“

„Ich habe versprochen, es nicht zu verraten“, erwidert er schniefend. Seine Reaktion auf meine Frage lässt Dutzende Horrorszenarien durch meinen Kopf schießen. Auf keinen Fall wird mein kleiner Junge mit dem kranken, verdrehten Scheiß konfrontiert, den mein Gehirn bei seinem Geständnis automatisch ausgespuckt hat.

„Wes, du wirst es mir jetzt sagen, ansonsten gehst du sofort auf dein Zimmer. Antworte mir.“

„Colt hat es gesagt, Mama“, wimmert er. „Er hat es in der Schule gelernt.“

Ich blicke erneut auf die Packung mit dem Pfannkuchenteig und unterdrücke ein Lachen. Ich schwöre, bei dem, was aus den Mündern meiner Kinder kommt, könnten sie glatt in der Fernsehsendung ‚Amerikas lustigste Heimvideos‘ mitmachen. Ich frage mich ernsthaft, ob noch irgendjemand damit klarkommen muss, dass seine Kinder nach Schniedel-Pfannkuchen fragen. Ich gehe zum Kühlschrank, sammele alle Zutaten zusammen und beginne damit, Wessons Pfannkuchen zu machen. Nachdem ich einen großen Stapel warmer, mit Butter und Sirup bestrichener Pfannkuchen fertig habe, stelle ich sie vor ihm hin und stapfe in das Schlafzimmer seines Bruders, um mit unserer alltäglichen Morgenroutine anzufangen.

Ich versuche, nett zu sein, während ich Colt wecke, doch sobald ich ihm die Bettdecke wegzerre, geht das Spielchen los. Was eigentlich ein fünfminütiger Vorgang sein sollte, wird zu einer zwanzigminütigen Tortur, bis Colt sich endlich geschlagen gibt und für die Schule aufsteht.

Colt schlurft in die Küche und setzt sich neben seinen mit Sirup bedeckten Bruder, ehe er in seinem Frühstück herumstochert. Heute wird einer dieser schlimmen Tage für meinen geliebten Jungen. An seinem Gesichtsausdruck kann ich erkennen, dass er wieder von seinem Dad geträumt hat. Ich bemerke das immer an seinem Mangel an Appetit und seiner Unfähigkeit zu sprechen. Ich gehe zu ihm rüber, lege meinen Arm um seine Brust und ziehe ihn an mich.

„Ich weiß, dass du ihn vermisst, Baby, aber du musst etwas essen. Daddy würde nicht wollen, dass du nur aus Haut und Knochen bestehst. Er würde wollen, dass du so groß und stark bist wie er“, flüstere ich ihm ins Ohr.

Colt nickt nur, nimmt seine Gabel und schaufelt sich einen kalten Pfannkuchen in den Mund. Ich drücke ihm einen Kuss auf den Scheitel, sehe nach Roxie und gehe dann schnell ins Schlafzimmer, um mich umzuziehen. Als ich zurückkomme, spielt Wesson Guck-Guck mit Roxie, während Colt ein wachsames Auge auf die beiden hat, wie der ältere Bruder, der er ist.

Ehrlich gesagt, könnte ich mir keine besseren Kinder wünschen. Von dem Moment an, als Roxie geboren war, hat Colt sofort die Rolle als Mann im Haus übernommen. Seine Hingabe, was Roxies Sicherheit und Pflege betrifft, macht mich wirklich stolz, ihn meinen Sohn zu nennen.

Ich hebe Roxie aus der Wippe und schicke Wesson los, die Sachen anzuziehen, die ich für ihn rausgelegt habe. Als er wieder in die Küche kommt, sind wir alle bereit, zur Schule zu fahren. Nach Brents Tod hat Wessons Umgang mit anderen Kindern stark nachgelassen, also habe ich ihn in einer örtlichen Kindertagesstätte und Vorschule untergebracht, direkt gegenüber von Colts Grundschule. Es war nicht nur einfacher, dass die beiden so nah beieinander waren, sondern Wesson kam auch mehr und mehr aus sich heraus. Nach etwa sechs Monaten war er endlich wieder der verrückte kleine Junge, den ich vor dem Tod seines Dads gekannt hatte.

„Also gut, Ladies und Gentlemen, auf geht’s zur Schule.“

Die Fahrt zur Schule und Kita dauert nur fünfzehn Minuten und ist angesichts des Verkehrs auf den Straßen von Upland kein Problem. Das ist einer der Gründe, warum ich diese Stadt so mag. Sie ist weit genug von Los Angeles entfernt, um sich tatsächlich wohl und sicher zu fühlen, und gleichzeitig ist sie nah genug, um alles zu tun, worauf man Lust hat. Die meisten würden Kalifornien nicht als Wohlfühlort bezeichnen, aber für mich ist es ein guter Ersatz für meine Heimatstadt Jackson, Mississippi.

Nachdem ich Wesson und Colt vor ihren Gebäuden an ihre Klassenlehrer abgeben habe, lege ich einen kurzen Zwischenstopp bei Starbucks ein, um mir meinen üblichen, fettarmen Vanille-Latte mit Extra-Schuss Karamell zu holen, bevor ich mit Roxie nach Hause zurückkehre. Als ich wieder in die Einfahrt einbiege, vergleiche ich die anderen Wohngebäude in der Straße mit unserem bescheidenen Haus mit einem viel größeren Garten als üblich. Es ist im typisch spanischen Stil mit einer von einem bogenförmigen Zaun umsäumten Veranda errichtet worden. Brent hatte es immer gehasst, dass Kalifornier eintausend Quadratmeter als großen Garten bezeichnen, also schnappte er sich schnell das Haus mit den viertausend Quadratmetern Land, die dazu gehörten.

Die blühenden Bäume bewegen sich in der frühherbstlichen Brise, als ich in die trockene Morgenhitze hinaustrete. Ich löse den Kindersitz, in dem Roxie schläft, und gehe zum Haus. Bevor ich es durch das Tor zu unserem Gehweg schaffe, fällt mir etwas Weißes in der Mitte der Tür auf. Ich stelle Roxies Sitz auf dem Pfad ab und finde einen Brief, der an unserer Haustür klebt.

Was zum Teufel kann das sein? Für Post ist es noch viel zu früh.

Ich ziehe das Klebeband von der Tür, drehe den Umschlag um und erlebe den Schock meines Lebens. In fetten Buchstaben, die in einer vertrauten Schrift geschrieben wurde, von der ich dachte, dass ich sie nie wieder sehen würde, finde ich quer über dem zerknitterten Papier ein Wort:

Kapitel 4

Raze

Warum zum Teufel habe ich zugestimmt, diesen Scheiß hier zu machen?

Ich wusste, dass die Leitung unserer legalen und seriösen Sicherheitsfirma mit einigen verrückten Jobs verbunden sein würde, doch dieser hier ist wirklich der Gipfel. Den einschüchternden Bodyguard für die neuste jungfräuliche Pop-Prinzessin zu spielen, kommt dem Leben in der Hölle ziemlich gleich. Es ist, als wäre man von diesen kreischenden Schlampen aus diesen Housewives of …-Fernsehshows umgeben, die die Clubhuren so gern sehen. Irgendwann muss ich diese TV-Kanäle mit einer Kindersicherung versehen. Das Gegacker der Mädels hat schon viel zu oft unsere Messen unterbrochen, seit die Sendung wieder läuft.

Ich war echt ein Idiot, als ich mich freiwillig gemeldet habe, nachdem ich Hero den Tag freigegeben hatte, damit er Dani zu ihrem Frauenarzt-Termin begleiten kann. Ich hätte besser einen der Prospects für diesen Auftrag einsetzen sollen.

Shit, Slider würde hier drauf wahrscheinlich total abfahren. Aber ich?

Ich habe jetzt die letzten fünfundvierzig Minuten damit verbracht, dieser dürren Blondine mit den winzigen Titten dabei zuzuschauen, wie sie immer und immer wieder denselben Song trällert. Wäre der Verdienst für diesen Auftrag nicht so gut, wäre ich längst verschwunden.

„Danke an alle von euch. Ich liebe euch alle. Gute Nacht“, schreit sie in Mikrofon, über die jubelnde Menge unter mir hinweg. Dann verbeugt sich das Mädel, das ich gerade Fick-Mich-Barbie getauft habe, ein letztes Mal, bevor es die Bühne auf der linken Seite verlässt. Gott sei Dank ist dieser Scheiß vorbei. Ich brauche dringend einen kräftigen Drink und eins der Clubmädchen auf den Knien, um diesen Bullshit aus meinem Kopf zu fegen.

Ich frage mich, ob Bubbles‘ Mund heute Abend bereits benutzt worden ist. Man kann mich gerne verrückt nennen, aber abgesehen von ein paar warmen Lippen um meinen Schwanz würde ich es nie wagen, meinen Ständer in ihre dunklen Muschis zu stecken. Ich sorge zwar dafür, dass unsere Mädels sauber sind, allerdings würde ich meine Latte niemals dort hineinstecken, wo meine Brüder ihre Ladungen abschießen. One-Night-Stands sind ein weitaus geringeres Risiko als eine Clubhure oder ein Kutten-Häschen, das versucht, die neue Old Lady des Club-Präsidenten zu werden. Ich hatte schon einmal eine von dieser Sorte und am Ende hat sie sich als Club-Verräterin herausgestellt. Ich bin nicht gerade auf der Suche nach einer weiteren verrückten Schlampe, die meine Eier gerne für sich in Anspruch nehmen will. Jedenfalls nicht in nächster Zeit. Außerdem habe ich derzeit genug Probleme damit, meine Tochter und meinen Sohn allein großzuziehen, die gerade im Teenager-Alter sind.

Auf dem Weg zur Treppe beobachte ich, wie Fick-Mich-Barbie einem der Bühnenarbeiter ein Handtuch abnimmt und sich damit den Schweiß von der Haut wischt. Mir fällt auf, dass sie etwas zu lange braucht, um mit dem Handtuch über ihren straffen Tänzerinnen-Körper zu streichen. An dem bösen Grinsen, das sich auf ihrem Gesicht bildet, erkenne ich sofort, dass sie alles andere als unschuldig und wesentlich älter als achtzehn Jahre ist, wie es von der Boulevard-Presse behauptet wird. Wenn ich eine Wette abgeben müsste, würde ich sie locker auf dreiundzwanzig schätzen, doch selbst das Wissen, dass sie volljährig ist, bedeutet nicht, dass ich interessiert bin. Ich schlafe nicht mit den Kunden, aus dem gleichen Grund, warum ich auch nicht mit Clubhuren ins Bett gehe.

Allgemein benutzbares Spielzeug und kleine Mädchen mit Vaterkomplexen sollten sich an die Männer halten, die sie genauso scheiße behandeln, wie sie es erwarten, und mich verfickt noch mal in Ruhe lassen.

Fick-Mich-Barbie reibt ihre Fingerspitzen um ihre Nippel, die im kalten Luftzug hinter der Bühne hart geworden sind. Sie wirft das Handtuch zu dem Bühnenarbeiter zurück, ehe sie die Treppenstufen hinunterspringt und neben mich gleitet. Ihre Hand streift dabei meinen Schoß, bevor sie sich umdreht, damit die Bühnencrew ihr das drahtlose Mikrofon abnimmt.

„Willst du heute Abend mit mir in mein Hotel kommen?“, flüstert sie über ihre Schulter hinweg und beäugt ihre Hand, die meinen noch immer weichen Schwanz bedeckt. „Ich würde gern herausfinden, was du alles tun kannst, um dir ein fettes Trinkgeld für den Schutz meines Körpers zu verdienen.“

Kopfschüttelnd lache ich und entferne ihre Hand von meinem Hosenschlitz.