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In der Heilpädagogik geht es darum, Menschen mit Beeinträchtigungen und Benachteiligungen Hilfen und Unterstützung zu vermitteln, so dass sie in ihrer Entwicklung unterstützt werden und umfassend Zugang finden zu allen gesellschaftlichen Lebensbereichen wie Bildung, Freizeit, Wohnen, Arbeit und Beruf. Das Buch liefert das Grundwissen für zentrale heilpädagogische Handlungsfelder, die Menschen mit einem besonderen individuellen Bildungs- und Unterstützungsbedarf ein professionelles Hilfsangebot bieten. Für jedes Handlungsfeld wird eine Übersicht über den Personenkreis, besondere Bedarfslagen und erforderliche heilpädagogische Angebote gegeben. Neben den methodischen Erfordernissen, Möglichkeiten und Angeboten wird auch Basiswissen zu den rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen vermittelt.
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Seitenzahl: 441
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1. Auflage 2014
Alle Rechte vorbehalten
© 2014 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart
Umschlag: Gestaltungskonzept Peter Horlacher
Gesamtherstellung:
W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-023073-6
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-023916-6
epub: ISBN 978-3-17-025816-7
mobi: ISBN 978-3-17-025824-2
Heilpädagogische Handlungsfelder: Einführung und Überblick
Erhard Fischer
Heilpädagogik: Rechtliche Grundlagen und -fragen
Arnold Köpcke-Duttler
Frühe Diagnose und Therapie bei Kindern mit Entwicklungsauffälligkeiten
Hans-Michael Straßburg
Frühe Bildung und Erziehung
Christina Kießling
Mobile Sonderpädagogische Dienste: Inklusion durch Kooperation
Walter Goschler
Bildung und Unterstützung von blinden und sehbehinderten Menschen
Markus Lang
Bildung und Unterstützung von gehörlosen und schwerhörigen Menschen
Frauke Engert
Schule für Kranke (Wichern-Schule)
Gunter Adams, Andreas Warnke, Paul-Gerhardt Schlegel, Wolfgang Beckmann & Angela Langenstein
Berufliche Bildung und Arbeit
Manuela Heger & Désirée Laubenstein
Wohnen
Peter Groß
Freizeit im Leben von Menschen mit Behinderungen
Reinhard Markowetz
Behinderung im Alter
Maximilian Buchka
Vernetzung, Kooperation und Inter- bzw. Transdisziplinarität
Erhard Fischer
Autorenverzeichnis
In der Heil- und Sonderpädagogik (auf die Benennung weiterer möglicher Begriffe wie Behinderten- oder Rehabilitationspädagogik wird hier nicht eingegangen; vgl. Speck 2008) geht es darum, Menschen mit Beeinträchtigungen und Benachteiligungen umfassend Hilfen und Unterstützung zu geben. Diese zielen vor allem darauf, dass Kinder und Jugendliche eine umfassende Bildung und Erziehung erhalten und in ihrer Entwicklung in allen wesentlichen Lernbereichen unterstützt werden und dass Menschen im Erwachsenen- und fortgeschrittenen Lebensalter all die Hilfe erhalten, die es braucht, um Zugang zu relevanten gesellschaftlichen Lebensbereichen und Leistungen wie nachschulische Bildung, Freizeit und Wohnen, Arbeit und Beruf zu finden.
Hier wird bereits deutlich, dass konkrete Hilfen in mannigfaltigen Feldern bzw. Bereichen oder Lebenssituationen notwendig sind, und dies unter ganz unterschiedlichen äußeren Bedingungen und mit variierenden Zielstellungen und Ausrichtungen, je nach dem, wer und warum, in welchem Ausmaß Hilfe benötigt.
Solche grundlegenden Bereiche bzw. Handlungsfelder sonderpädagogischen Arbeitens sind auch Teil oder Inhalt von einführenden Veranstaltungen an Hochschulen mit entsprechenden Studienangeboten; am Institut für Sonderpädagogik der Universität Würzburg zum Beispiel gibt es bereits seit mehreren Jahren eine Vorlesung für alle Studierende des Lehramts für Sonderpädagogik wie auch für die im Bachelor-Studiengang, mit dem Ziel, in zentrale Handlungsfelder einzuführen und einen ersten und grundlegenden Überblick zu vermitteln. Dabei stehen folgende Fragen im Vordergrund:
• Um welche Kinder, Jugendliche bzw. erwachsene Menschen, mit welchem besonderen Förder- bzw. Unterstützungsbedarf geht es?
• Welche bedarfsgerechten Hilfen benötigen diese Personen, in welchem Ausmaß und wie lange?
• Welche Fachleute, mit welcher Qualifikation und welchen Aufgabenstellungen braucht es und welche sind vor Ort tätig?
• Was muss an organisatorischen Leistungen (Unterbringung, Räumlichkeiten, Medien u. a.) bereit gestellt werden?
• Wie (eng) sind diese Mitarbeiter miteinander vernetzt, und wie intensiv und gut müssen sie miteinander kooperieren, um den unterschiedlichen Bedarfslagen der ihnen anvertrauten Menschen gerecht zu werden?
Was aber meint die Begrifflichkeit des »Handlungsfeldes«, was beinhaltet ein solches? Zunächst ist festzustellen, dass dieser Begriff (so wie häufig in der sozialwissenschaftlichen Disziplin der Heil- und Sonderpädagogik) nicht eindeutig festgelegt ist und in Fachbüchern nicht allzu eng und trennscharf umschrieben wird, mit der Folge, dass eine exakte Definition und inhaltliche Abgrenzung des Begriffs nicht immer möglich sind oder dass ein entsprechender Versuch erst gar nicht unternommen wird.
Einfacher als eine Definition in Verbindung mit einer klaren Abgrenzung ist die Umschreibung dessen, was nicht gemeint ist, was zumindest nicht unmittelbar unter diesen Begriff fällt bzw. darunter subsumiert wird. Dies sind u. a. ethische Grundfragen, wenn darüber nachgedacht wird, welche Erziehungsmethoden warum (nicht) legitimiert und insofern eingesetzt werden können (Prügelstrafe, Festhalten u. a.) oder ob und wann eine pränatale Diagnostik (PD) oder die Präimplantationsdiagnostik (PID) aus heilpädagogischer Sicht zum Einsatz kommen darf oder nicht. Und auch grundsätzliche Fragen nach dem Verständnis des Begriffs der »Behinderung« und dem zugrunde liegenden Menschenbild (anthropologische Frage) oder die Frage nach allgemeinen beziehungsweise speziellen Erziehungszielen (teleologische Frage) gehören nicht dazu.
Wie aber kann eine möglichst konkrete Umschreibung des Begriffs erfolgen? Bei der Online-Enzyklopädie Wikipedia® wird – im Hinblick auf die Pädagogik – eher wenig differenziert und tautologisch hingewiesen auf
»zusammengehörige Aufgabenkomplexe mit beruflichen sowie lebens- und gesellschaftsbedeutenden Handlungssituationen. Handlungsfelder sind immer mehrdimensional, indem sie berufliche, gesellschaftliche und individuelle Problemstellungen miteinander verknüpfen. Aus diesen Handlungsfeldern werden Lernfelder für die berufliche Ausbildung konzipiert« (http://de.wikipedia.org/wiki/Handlungsfeld).
Im beruflichen Bereich verweist der Begriff auf eine Anzahl von Tätigkeiten mit vergleichbaren oder ähnlichen Anforderungen. Nun ist davon auszugehen, dass es auch in der Heil- und Sonderpädagogik eine Reihe von Bereichen oder Feldern gibt, wo Menschen in bestimmten Lebenssituationen und mit ganz unterschiedlichen Bedarfslagen in Folge von Schädigungen oder sozialen Benachteiligungen durch professionell ausgebildete Heilpädagogen ein Mindestmaß an Hilfen bedürfen. Daraus ist eine gewisse Ähnlichkeit dieser Angebote und Leistungen zueinander zu folgern, womit Selbige trotz der individuell unterschiedlichen Bedarfslagen der einzelnen Menschen doch einer ähnlichen Struktur unterliegen und systematisiert und geregelt ablaufen.
In anderen wissenschaftlichen Studiengängen bzw. Disziplinen ist in diesem Zusammenhang von Arbeitsfeldern die Rede, z. B. bei Homfeldt (2003) oder Bieker/Floerecke (2011) im Hinblick auf Soziale Arbeit, bei den letzteren in Verbindung mit unterschiedlichen Dimensionen der Zielgruppen. Aber auch der Begriff »Handlungsfeld« wird verwendet, so bei Nieslony/Hollenstein (2012) in »Handlungsfeld Schulsozialarbeit« oder von Ringler (2007) in »Handlungsfelder und Methoden der Kinder- und Jugendhilfe«.
Der Begriff »Handlungsfeld« ist auch in der Heil- und Sonderpädagogik nicht unbekannt.
Der Berufsverband der Heilpädagogen (BHP) stellt unter dem Link http://bhponline.de/html/1432-gb2.php sogar einen eigenen Fachbeirat »Handlungsfelder der Heilpädagogik« vor; dieser wurde 2007 ins Leben gerufen und soll folgenden Aufgaben nachgehen:
»Die Mitglieder vertreten jeweils Handlungsfelder und erarbeiten mit Kolleginnen und Kollegen Informationsmaterialien, Positionspapiere und Stellungnahmen und freuen sich über Unterstützung.«
Folgende Handlungsfelder werden hier benannt: Heilpädagogen (HP) in Kindertagesstätten, HP im Schuldienst, Jugendhilfe, Behindertenhilfe/Ausbildung (Uni), Frühförderung und Integration, HP-Schule, mHP - mobile Heilpädagogik für Senioren, Behindertenhilfe, Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie das recht offene Feld »HP-Praxis«.
Von diesem Verband stammt auch eine Veröffentlichung mit dem Titel »Von der Frühförderung bis zur Geragogik: Heilpädagogische Handlungsfelder zwischen Tradition und Innovation« (BHP 2005) zu eben dieser Thematik.
Auch in anderen Veröffentlichungen im Feld der Heil- und Sonderpädagogik werden unterschiedliche Bereiche bzw. Felder behandelt. So zum Beispiel bei Bernitzke (2011) in seiner »Heil- und Sonderpädagogik« in Kap. 2.4 unter »Institutionen«, wo der Leser recht knapp auf 14 Seiten über Frühförderzentren, Sonderkindergärten, Förderschulen, Heime für beeinträchtigende Menschen und die Werkstätten für behinderte Menschen informiert wird.
Speck spricht in »System Heilpädagogik« (4. Auflage aus dem Jahre 1998) von Heilpädagogischen »Arbeitsfeldern« und unterscheidet hier – exemplarisch –
A. Die Frühförderung,
B. Familie und Heilpädagogik,
C. Bildung für Erwachsene mit Behinderungen und
D. Berufsbildung und berufliche Eingliederung
In der 6. Auflage wurde diese Einteilung erweitert um »Heilpädagogische Dienste in der Klinik« (Speck 2008).
Bei der Frage, wo, d. h. in welchen Lebensbereichen, sozialen Feldern und Situationen Hilfen und Unterstützung erforderlich sind, gibt es unterschiedliche Möglichkeiten der Bestimmung, Auswahl und Untergliederung. Eine Einteilungsmöglichkeit ist die chronologische Anordnung, bezogen auf das Alter, in dem Menschen heilpädagogische Hilfen benötigen. Hier können dann unterschieden werden z. B. eine möglichst frühe Erziehung und Förderung, eine angemessene schulische Bildung im Kindes- und Jugendalter, eine Unterstützung im Erwachsenenalter im Hinblick auf möglichst qualitativ hochwertige Wohnangebote, die Gestaltung von Freizeit und Erwachsenenbildung, die Organisation beruflicher Tätigkeiten oder Hilfen, um als alter Mensch ein sinnerfülltes Leben führen zu können.
Eine andere Möglichkeit eröffnet sich in einer Untergliederung nach etablierten bzw. vorhandenen Diensten, die von unterschiedlichen Berufsgruppen aus dem medizinischen, psychologischen oder dem heilpädagogischen Umfeld stammen, oder aber in einem Vorgehen, das sich an Leistungen und Angeboten aus den traditionellen heilpädagogischen Fachrichtungen orientiert.
Abb. 1: Übersicht Handlungsfelder in der Heil- und Sonderpädagogik
In der hier vorgenommenen Auswahl an Themen und Beiträgen des vorliegenden Sammelbandes wurde versucht, allen oben genannten Aspekten bzw. Möglichkeiten Rechnung zu tragen und einen Überblick und grundlegende Informationen über zentrale heilpädagogische Handlungsfelder zu vermitteln. Dabei wurden vor allem solche Handlungsfelder als »zentral« bewertet und aufgenommen, in denen für Menschen mit einem besonderen, individuellen Bildungs- und Unterstützungsbedarf ein qualifiziertes und umfassendes heilpädagogisches Angebot unterbreitet werden muss. Die Auswahl ist zum einen das Ergebnis aus der oben begründeten Systematik, erfolgt aber zum anderen auch aus pragmatischen Gründen heraus, im Hinblick auf das, was für Studierende der Sonderpädagogik grundlegend und für ihre Berufspraxis gewinnbringend erscheint. Dabei werden manche Themen umfassender als andere dargestellt, zum Beispiel das der frühen Bildung und Hilfen vor der Schule. Zu diesem Bereich findet sich ein Beitrag, der naturwissenschaftlich-medizinisch ausgerichtet ist, insbesondere auf die Beschreibung von möglichen Entwicklungsbeeinträchtigungen im Kindesalter, aber auch ein anderer, in dem entsprechende pädagogische Angebote und Einrichtungen behandelt, gesellschaftliche Zusammenhänge betrachtet und eine makrosoziologische Einbettung derselben vorgenommen werden.
Der umfassende und weite Bereich Schule, mit seinen zahlreichen Sparten an Sonder- oder Förderschulen und seiner Ausdifferenzierung nach Behinderungsarten, wird hier nicht thematisiert, auch wenn dieses Feld natürlich ein breites Spektrum an Einsatzmöglichkeiten für angehende Heilpädagogen und Sonderschullehrer bietet. Dies liegt darin begründet, dass es hierzu zahlreiche Veröffentlichungen aus den verschiedenen Disziplinen einer Sprachheil- oder Köperbehindertenpädagogik, Pädagogik bei Lern- oder Verhaltensbeeinträchtigungen oder bei Geistiger Behinderung gibt und in der universitären Lehre mit vielen eigenen Modulen bedacht ist. Sehr wohl allerdings wird im vorliegenden Band der Bereich der Mobilen sonderpädagogischen Dienste (MSD) angesprochen, weil hier die Notwendigkeit und Möglichkeit einer Vernetzung und Kooperation zwischen traditionellen Feldern zum Ausdruck kommt und weil jeder Heilpädagoge und Sonderschullehrer informiert sein sollte, wo er welche fachlichen Hilfen von anderen Diensten und Institutionen erhalten kann. Dabei werden manche MSD-Schwerpunkte eigens und ausführlich(er) behandelt, vor allem die, über die Studierende der Sonderpädagogik im Laufe ihres Studiums in der Regel wenig(er) erfahren, weil die entsprechende Fachrichtung nur an wenigen Orten bzw. Hochschulen gelehrt wird bzw. studiert werden kann. Dies sind hier die Fachbereiche »Sehen« und »Hören«, aber auch über die »Schule für Kranke« und deren Angebote wird berichtet.
Übersicht über die ausgewählten Handlungsfelder
• Rechtliche Grundlagen und -fragen
• Frühe Diagnose und Therapie bei Kindern mit Entwicklungsauffälligkeiten
• Frühe Bildung und Erziehung
• Mobile sonderpädagogischer Dienste: Inklusion durch Kooperation
• Bildung und Unterstützung von blinden und sehbehinderten Menschen
• Bildung und Unterstützung von gehörlosen und schwerhörigen Menschen
• Schule für Kranke (Wichern-Schule)
• Berufliche Bildung und Arbeit
• Handlungsfeld Wohnen
• Freizeit im Leben von Menschen mit Behinderungen
• Behinderung und Alter
• Vernetzung, Kooperation und Inter- bzw. Transdisziplinarität
Weitere Handlungsfelder werden hier nicht eigens thematisiert, weil sie eher ein Teilsegment anderer Bereiche darstellen oder aber ein besonderes Angebot in nur einigen wenigen Bundesländern darstellen.
Die Beiträge dienen als Überblick bzw. Einführung in das jeweilige Handlungsfeld, wobei nach Möglichkeit folgende Aspekte thematisiert werden:
• Zielgruppe(n): Um wen geht es, mit welchem Hilfebedarf ist zu rechnen?
• Entstehung und historische Entwicklung des Handlungsfeldes
• rechtliche Grundlagen und organisatorische Rahmenbedingungen (Träger, Finanzierung u. a.)
• zentrale Zielstellungen und Aufgaben
• verbreitete Handlungskonzepte innerhalb des Feldes
• in dem Feld tätige Mitarbeiter und Aspekte der Professionalisierung
• aktuelle Entwicklungen und auszumachende Probleme im Kontext heilpädagogischer Leitideen und Umbrüche (wie z. B. Inklusion).
Dabei gilt es, nicht nur rein deskriptiv und nüchtern Fakten im jeweiligen Handlungsfeld zu beschreiben, sondern auch kritisch darüber hinaus zu bewerten, ob im Hinblick auf gesellschaftliche Entwicklungen und Herausforderungen und in Orientierung an aktuellen Leitideen wie z. B. Selbstbestimmung oder Inklusion die aktuelle Situation so zufriedenstellend ist, also den Bedürfnissen und Bedarfslagen der betroffenen Menschen auch entspricht. Falls dies nicht oder nicht ausreichend der Fall ist, gilt es aufzuzeigen, was verändert werden muss, und zu überlegen, wie dies geschehen kann. Eine solche Herausforderung ergibt sich derzeit vor allem aus der Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen von 2006 im Hinblick auf die Schaffung von »gemeinsamen« Lern- und Lebensmöglichkeiten. Kobi (1993) thematisiert solche Herausforderungen und die Notwendigkeit einer kritischen Auseinandersetzung in einem Kapitel über die »Topologische Frage«, wo interpersonelle Sozialbereiche« thematisiert werden, wenn Behinderungen Beziehungen zwischen Menschen verändern, das Gleichgewicht sozialer Systeme ins Ungleichgewicht bringen können und wo es dann häufig struktureller Veränderungen bedarf, um Stigmatisierungen und Benachteiligungen entgegen zu wirken.
Im Anschluss an jeden Beitrag findet der Leser eine Zusammenfassung der wesentlichen Informationen und Grundlagen im Hinblick auf solche Inhalte, die für Studierende auch für spätere Arbeiten und Prüfungen von Bedeutung sein können. Weiterhin wird eine kommentierte Auswahl an Grundlagenliteratur zum Einstieg zusammengetragen, damit der interessierte Leser sich weiter in die Thematik vertiefen kann.
Noch ein Hinweis zum Schluss: Um die Lesbarkeit zu vereinfachen, wird in allen Beiträgen in diesem Sammelband auf die zusätzliche Formulierung der weiblichen Form verzichtet. Die ausschließliche Verwendung der männlichen Form ist explizit als geschlechtsunabhängig zu verstehen.
Bernitzke, Fred (2011): Heil- und Sonderpädagogik. 4. Aufl. Köln.
BHP (Hg.)(2005): Von der Frühförderung bis zur Geragogik. Heilpädagogische Handlungsfelder zwischen Tradition und Innovation; Bericht der Fachtagung des Berufsverbandes der Heilpädagogen vom 25. bis 28. November 2004 im Anthroposophischen Zentrum in Kassel. Berlin.
Bieker, Rudolf; Floerecke, Peter (Hg.) (2011): Träger, Arbeitsfelder und Zielgruppen der Sozialen Arbeit. Stuttgart.
Homfeldt, Hans Günther (Hg.)(2003): Handlungsfelder der Sozialen Arbeit. Baltmannsweiler.
Kobi, Emil (1993): Grundfragen der Heilpädagogik. Eine Einführung in heilpädagogisches Denken. Bern, Stuttgart, Wien.
Nieslony, Frank; Hollenstein, Erich (Hg.) (2012): Handlungsfeld Schulsozialarbeit. Profession und Qualität. Baltmannsweiler.
Ringler, Dominik (Hg.)(2007): Handlungsfelder und Methoden der Kinder- und Jugendhilfe. Eine Einführung. Baltmannsweiler.
Speck, Otto (1998): System Heilpädagogik. Eine ökologisch reflexive Grundlegung. 4. Aufl. München.
Speck, Otto (2008): System Heilpädagogik. Eine ökologisch reflexive Grundlegung. 6. Aufl. München, Basel.
Gerechtigkeit trägt in sich eine Schwäche für die Kleinen und Geringen aus, für jene Schwachen, die aus sich heraus den Funken einer eigenen Stärke schlagen – als Gerechte, die in ihrem Leben widerstehende Menschenfreundlichkeit und mitmenschliche Bildung zeigen (Rosenstock-Huessy 1958; Köpcke-Duttler 2007a, 9–26). Im Horizont eines bekannten pädagogischen Entwurfs lässt sich die Gerechtigkeit den Kindern gegenüber in diesem Wort Maria Montessoris andeuten: »Der Weg, auf dem die Schwachen sich stärken, ist der gleiche wie der, auf dem die Starken sich vervollkommnen« (vgl. Das Kind 2009).
Mit diesen nicht leicht zu deutenden pädagogischen Grundgedanken werden die Brückenschläge zwischen der Rechtswissenschaft und der Pädagogik fortgeführt (Köpcke-Duttler 2011; Fischer 2010).
Die Konvention zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen stellt Menschen mit dem Recht auf umfassende gesellschaftliche Teilhabe erstmals in die Mitte staatlicher Verpflichtungen und gesellschaftlicher Aufgaben. Sie fordert dazu heraus, die Situation dieser Menschen herauszulösen aus einer an Defekten und Mängeln orientierten Perspektive und Behinderung zu verstehen als sich verändernden Prozess, der aus der Interaktion zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und Barrieren in der Einstellung anderer Menschen und der Umwelt entsteht und die gleichberechtigte und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft behindert, zuweilen verhindert. In diesem Zusammenhang ist auch das Grundphänomen der menschlichen Würde neu zu denken: Die menschliche Würde ist gerade in ihrer Verletzbarkeit und Antastbarkeit zu sehen, wobei diese Sicht sich skeptisch richtet gegen den idealischen Anspruch einer unbedingten Selbstbestimmung. Es geht um die Entdeckung der komplizierten Dialektik von Vulnerabilität und Autonomie. Zu betonen sind die Achtung der Unterschiedlichkeit der Menschen, die Ermöglichung der menschlichen Vielfalt. Entgegen einer Zuschreibung, gar Auferlegung von Defiziten ist mit der Achtung vor der menschlichen Würde verbunden das Aufscheinen der Menschlichkeit gerade in ihrer Versehrtheit, aus der heraus neue menschliche Möglichkeiten entstehen können. Jeder Mensch ist (auch in rechtlicher Perspektive) Person und Träger eines grundlegenden menschlichen Rechts, nach dem er als Person anerkannt, als Mit-Mensch wahrgegeben wird. Die Konvention entwirft eine Utopie, die einer guten und gerechten Gesellschaft (vgl. Felder 2012, 152); auch für die Sonderpädagogen bilden die Menschenrechte eine konkrete Utopie.
Urs Haeberlin hat in seinen Gedanken zur »Ethik in der Heilpädagogik« die Grenzen einer prinzipienorientierten Ethik umrissen, einer Ethik, die in das Zentrum ihrer Argumentation die Zentriertheit um die menschliche Autonomie setzt, von einer allgemein verbindlichen Vernunft ausgeht, die als ethische Gesinnung das Leben und die Handlungen jedes Menschen anzuleiten vermag. Nicht nur nach Haeberlin lassen sich mit einer idealisierten Gleichsetzung von Vernunft und Moral Würde, Lebens- und Bildungsrecht von Menschen mit (geistiger) Behinderung nicht hinreichend begründen. Gleichwohl muss an der »Unzerstörbarkeit des Humanitätsgedankens« festgehalten werden, desgleichen an der Bildbarkeit und an dem Bildungsrecht je dieses Menschen (Haeberlin 2002, 74).
In der juristischen Welt wird die menschliche Würde häufig zurückgeführt zu dem Bild des Menschen als eines autonomen Wesens, das – so Immanuel Kant – seinen freien und vernünftigen Willen gemäß einem absoluten Sittengesetz hervorhebt. Der Mensch als animal rationabile füge sich die Würde selber zu, erringe sie für sich selbst und für die Menschheit; alles, was Menschenantlitz trägt, lebt in Würde: Unmündige, Kranke, in ihren Lebensmöglichkeiten gehinderte Menschen sind nicht würdelos. So bestätigt die Begrenztheit des Autonomieprinzips geradezu die Anerkennung der Würde als des Prinzips der Menschlichkeit. Verfassungsrechtler gehen oft noch aus von der Ungebrochenheit der menschlichen Vernunft, von Vernunftbegabtheit, Selbstermächtigung und vernachlässigen teilweise das Durchbrechen der eigenen Würde zur Solidarität der Menschen untereinander, zur Mitmenschlichkeit. Nach der sogenannten Wertoder Mitgifttheorie wird die Würde des Menschen als eine ihm durch Gott oder die Natur kraft seiner bloßen Existenz verliehene Eigenschaft gedacht – christlich oder naturrechtlich-idealistisch, nicht durch eine politische Macht verliehen, nicht durch eigenes Bestreben erworben oder erlangt. Hier wird die Würde des Menschen als »Seinsgegebenheit« (Herdegen) ausgelegt, insbesondere als Fähigkeit des Menschen zu eigenverantwortlicher Lebensgestaltung. Dieses Verständnis der menschlichen Würde (Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz) wird unterschieden von sogenannten Leistungs- und Kommunikationstheorien. Das kann hier nicht näher dargestellt werden. Es sei nur angemerkt, dass im Horizont der Kommunikationstheorien (so der Rechtsphilosoph Hasso Hofmann) die menschliche Würde gedeutet wird als Prozess sozialer Anerkennung, als gerichtet auf gegenseitige Achtung, als Grundlage einer solidarischen Gesellschaft. Ein solches solidaritätsorientiertes Verständnis menschlicher Würde kommt ausdrücklich in Art. 7 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 der Verfassung des Landes Brandenburg zum Ausdruck (Sodan 2009; Hofmann 1995, 104; Hofmann 2003, 71). Vernunftbegabtheit, unbedingte Wahlfreiheit und Selbstmächtigkeit können dazu führen, die Antastbarkeit der menschlichen Würde nicht wahrzunehmen. Anders gesagt: Die Freiheit zur Selbstbestimmung bewegt sich in vielfältigen Relationen zu anderen Menschen und begrenzt sich an der Freiheit des anderen Menschen, wie sie auch zu deren Steigerung beitragen kann (Burkardt 1999, 673). Konfrontiert mit Grausamkeit und Unrecht, mit einem Zeitalter der Barbarei, mit Situationen der Menschenvernichtung und Menschenverachtung, sind alle Menschen aufgerufen, einander Achtung entgegenzubringen und ihre Würde zuzuerkennen. So wendet sich Avishai Margalit gegen jene »Eigenschaftsrassisten«, die, oft bei den »geistig Behinderten« beginnend, zu Angehörigen anderer Kulturen voranschreiten und sie einer staatlich erzwungenen Euthanasie unterwerfen. »Die geistig Behinderten wurden als erste ins Gas geschickt, und die bei ihrer Tötung entwickelten Methoden kamen später in Vernichtungslagern systematisch zur Anwendung« (Margalit 1999, 104).
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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