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Dieses Buch enthält folgende Heimat-Romane: Anna Martach: Zwei Herzen auf dem Irrweg Anna Martach: Kongress außer Kontrolle In Hindelfingen soll die Hochzeit des Jahres stattfinden: Stefanie Ammersberger und Frank Eschbacher wollen sich das Ja-Wort geben. Doch dann flieht Frank vom Altar. Was steckt dahinter und werden die beiden wieder zueinanderfinden?
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Heimat-Roman Doppelband #4
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Zwei Herzen auf dem Irrweg
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Kongress außer Kontrolle
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Dieses Buch enthält folgende Heimat-Romane:
Anna Martach: Zwei Herzen auf dem Irrweg
Anna Martach: Kongress außer Kontrolle
In Hindelfingen soll die Hochzeit des Jahres stattfinden: Stefanie Ammersberger und Frank Eschbacher wollen sich das Ja-Wort geben. Doch dann flieht Frank vom Altar. Was steckt dahinter und werden die beiden wieder zueinanderfinden?
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© Roman by Author / Cover 2018: Alfred Hofer 123rf
© dieser Ausgabe 2018 by Alfred Bekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
www.AlfredBekker.de
von Anna Martach
Der Umfang dieses Buchs entspricht 106 Taschenbuchseiten.
In Hindelfingen soll die Hochzeit des Jahres stattfinden: Stefanie Ammersberger und Frank Eschbacher wollen sich das Ja-Wort geben. Doch dann flieht Frank vom Altar. Was steckt dahinter und werden die beiden wieder zueinanderfinden?
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© by Author
© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
www.AlfredBekker.de
Schon vor der eigentlichen Trauzeremonie flossen die Tränen in Strömen. Noch während die Kirchenglocken von St. Antonius das freudige Ereignis in alle Welt verkündeten, saßen auf den Kirchenbänken die Eltern der Braut, wie auch Vreni Kollmannberger, und schnieften um die Wette. Vreni war mit Arndt und Emma Ammersberger eng befreundet. So war es natürlich eine Ehrensache, heute am Hochzeitstag von Stefanie und Frank dabei zu sein.
Als das junge Paar sich endlich fürs Leben gefunden hatte, war wohl niemand glücklicher gewesen als „das lebende Tageblatt“ von Hindelfingen. Sie, die keine Gelegenheit ausließ, über alle Leute die tollsten Geschichten zu erzählen, hatte im Vorfeld tatsächlich über diese junge Liebe geschwiegen. Bis zu dem Tag, da endlich die Verlobung bekanntgegeben werden konnte.
Heute nun war endlich der große Tag gekommen, da die Hochzeit des Jahres stattfinden sollte. Die Tochter des größten Fabrikanten der Umgebung und der Sohn des größten Holzhändlers, der Filialen im ganzen Land besaß, traten vor den Traualtar.
Es war das Ereignis des Jahres, und ganz Hindelfingen war auf den Beinen, um nicht eine Sekunde davon zu verpassen.
St. Antonius, die mehr als vierhundert Jahre alte Kirche, war erst vor kurzer Zeit restauriert und renoviert worden, die Fresken strahlten in freundlichen hellen Farben, wetteiferten mit dem üppigen Blumenschmuck, und machten die Kirche zu einem freundlichen und angemessenen Ort für diese Trauung. Festlich gekleidete Angehörige des Brautpaares füllten die vorderen Reihen der Kirchenbänke. Von dort aus hatte man den besten Blick auf den Altar, vor dem der Bräutigam mit dem Trauzeugen bereits wartend stand. Er wirkte nervös, aber welcher Bräutigam war das wohl nicht an dem wichtigsten Augenblick seines Lebens?
Frank Eschbacher hatte feuchte Hände, war bleich und warf immer wieder unruhige Blicke in die Runde. Schließlich setzte doch der Hochzeitsmarsch von der Orgel ein, und die Braut, Stefanie Ammersberger, schritt am Arm ihres Vaters herein.
Das Kleid war atemberaubend, ein Traum aus Seide und Spitze, verziert mit einer Unzahl an Perlen und Rüschen. Mit feierlichem Gesicht schritt die junge Frau durch die Reihen der Kirchenbänke bis nach vorn, wo ihr zukünftiger Ehemann wartete und ihr erwartungsvoll und staunend entgegenschaute. Die letzten drei Schritte, die Treppe zum Altar hinauf, ging die Braut allein und stand mit klopfendem Herzen vor Pfarrer Feininger.
Stefanie war ihr Leben lang behütet geworden, die Eltern hatten ihr jeden Wunsch von den Augen abgelesen, und praktisch niemals war ihr etwas abgeschlagen worden. Dieser Tag sollte jetzt die Krönung ihres Lebens werden. Sie bekam den Mann, den sie schon seit ihrer Schulzeit hatte haben wollen, und damit erfüllte sich ihr Traum von einem perfekten Leben. Finanzielle Sorgen hatte sie nie gekannt, ebenso wenig wie andere Probleme, immer hatten die Eltern alles von ihr ferngehalten, was sie belasten oder betrüben könnte, eigentlich hatte Stefanie noch gar nichts vom Leben kennengelernt. Und aller Voraussicht nach würde Frank Eschbacher auch im weiteren Verlauf dafür sorgen, dass sich an diesem Zustand für die junge Frau nichts änderte.
Von Hause aus war er wohlhabend genug, um ebenfalls finanzielle Probleme nur vom Hörensagen zu kennen, doch er war frühzeitig schon in der Firma seines Vaters eingespannt gewesen und galt als fleißiger Mann, der das Geld, was er durch seine Arbeit verdiente, sehr wohl zu schätzen wusste. Auf jeden Fall würde er seiner Frau den Lebensstandard bieten können, den sie von den Eltern her gewöhnt war und natürlich auf weiterhin erwartete.
Pfarrer Raphael Feininger sprach die einleitenden Worte, und wieder wurde Schluchzen laut aus den Reihen der Angehörigen, schließlich stellte er die entscheidende Frage.
„Ja“, erwiderte Stefanie mit fester Stimme und strahlte.
Doch Frank zögerte plötzlich. Er hielt den Ring in der Hand, starrte auf die junge Frau, sein Blick wanderte zum Priester und dann über die Menschen in der Kirche.
„Ich – ich kann das net tun. Stefanie, es tut mir leid, aber ich kann dich net heiraten.“
Er ließ den Ring fallen und lief die Stufen hinunter, dem Ausgang zu.
Im Kirchenraum herrschte eine unheilvolle Stille.
„Du kannst mich doch jetzt net hier stehenlassen“, flüsterte die junge Frau, fasste sich dann aber etwas. „Wenn du jetzt gehst, brauchst mich nie wieder anzusprechen, dann bist für mich gestorben.“
„Das wird auch besser sein“, rief Frank über die Schulter zurück. „Verzeiht mir, aber irgendwann werdet ihr alle es verstehen.“
Er rannte hinaus und ließ eine total verwirrte Hochzeitsgesellschaft und eine hemmungslos schluchzende Braut zurück.
Als Frank hinausgelaufen und die schwere hölzerne Tür hinter ihm zugeschlagen war, setzte ein aufgeregtes Gerede ein. Alle sprachen durcheinander, jeder wollte etwas dazu zu sagen haben, und doch gab es ja eigentlich nur zwei Leute, die dieses Thema wirklich etwas anging. Ausgerechnet diese beiden hatten aber im Augenblick keine Meinung.
Frank Eschbacher war weg, und Stefanie stand fassungslos noch immer am Altar. Jetzt sprang ihre Mutter auf und zog die junge Frau tröstend in die Arme.
„Mein armes Kleines, so ein Skandal. Wie kann dieser Depp es wagen, dich vor dem Altar stehen zu lassen? Wie soll ich das nur den Gästen erklären, und den Geschäftsfreunden, und ... Ach, das ist ja alles so schrecklich. Geht es dir gut? Nein, bestimmt net, wie sollte es dir denn auch gut gehen?“ Die Frau machte allerdings selbst den Eindruck, als ginge es ihr nicht gut, sie stand eindeutig unter Schock. Ihre Tochter hingegen hielt sich aufrecht, Zorn loderte in den hübschen blauen Augen, aber nicht mehr eine Tränen floss.
„Das wird er mir büßen“, stieß sie hervor.
Aus einer der hinteren Bänke kam Doktor Daniel Ingold, der hiesige Arzt, nach vorn und musterte die beiden Frauen. Nach einem Zwischenfall von solcher Tragweite wie diesem würde es nicht einfach sein, wieder zur Tagesordnung überzugehen. Der Arzt rechnete mit einem hysterischen Anfall, da konnte es durchaus sein, dass seine Hilfe gebraucht wurde.
Mittlerweile standen alle Gäste auf, fanden sich in kleinen Gruppen zusammen, diskutierten aufgeregt oder machten sich schon auf den Heimweg, um dort von diesem unerhörten Skandal zu berichten.
Das finstere Gesicht des Brautvaters zeigte Daniel, dass diese Angelegenheit noch lange nicht beendet war. Auch der Vater des Bräutigams stand wie erstarrt da, doch nun trafen beide Männer aufeinander.
„Das hat dein Sohn net umsonst getan“, grollte Arndt Ammersberger. Wilhelm Eschbacher wirkte selbst total unglücklich.
„Ich weiß auch net, was in den Frank gefahren ist, aber er hat bestimmt einen guten Grund, warum er das getan hat.“
„Kein Grund kann gut genug sein, dass meine Tochter als verlassene Braut am Altar stehen bleibt.“
„Nun mal langsam“, mischte sich der Pfarrer ein. Auch er war überrascht und verwirrt, hatte er die beiden doch ebenfalls für ein Traumpaar gehalten. Die meisten jungen Leute waren vor dem Traualtar schrecklich nervös, aber hier beim Frank hatte der Feininger gespürt, dass mehr dahinter stecken musste als die ganz normale Aufregung. Frank hatte ängstlich gewirkt, mehr sogar noch als das, er war von regelrechter Panik erfüllt gewesen. Der Priester hatte in seinem langen Leben schon unzählige Erfahrungen gemacht, und er konnte heute mit Bestimmtheit sagen, dass dieser junge Mann zutiefst verzweifelt gewesen war.
Liebte er vielleicht eine andere? Ach, nein, da hätte er ganz bestimmt den Mut gehabt, im Vorfeld schon die Fronten zu klären, dazu brauchte es nicht erst die Zeremonie in der Kirche. Also musste es einen anderen Grund geben. Aber welchen?
Nun, früher oder später würde dieser Grund offenbar werden, wenn auch vielleicht nicht gleich heute.
Die beiden Väter starrten den Priester missmutig an, in seiner Gegenwart wagten sie es nicht, einen offenen Streit ausbrechen zu lassen.
„Ich glaub‘ net, Herr Pfarrer, dass unser Herrgott für einen solchen Dummkopf auch noch Liebe und Verständnis übrig hat“, wehrte der Brautvater unwirsch ab.
Feininger lächelte. „Sag das lieber unserem Herrgott selbst, was er zu tun und zu lassen hat, wirst schon sehen, dass er ganz anders denk‘ als du. Selbst wenn der Frank aus Dummheit gehandelt haben sollt‘, was ich net so recht glauben will, dann gäb‘s auch dafür ein Verzeihen. Aber bevor keiner von uns was Genaues weiß, ist‘s mehr als unchristlich, wennst ein Urteil fällst und deswegen einen Krieg in zwei Familien tragen tätst, der absolut unnötig und dumm ist.“
Der Mann ließ beschämt den Kopf sinken. „Ich werd‘ drüber nachdenken, Herr Pfarrer“, versprach er. „Aber ich sag‘s Ihnen, und jedem anderen auch: wenn der Frank net wirklich einen guten Grund hat, werd‘ ich ihn selbst in der Luft zerreißen.“
„Dann willst den Burschen einfach so davonkommen lassen?“, begehrte jetzt seine Frau auf.
„Da ist noch gar nix entschieden. Ich denk‘, erst mal wird Frank Eschbacher eine ganze Menge Fragen zu beantworten haben.“
„So ist‘s recht“, stimmte der Pfarrer zu. „Mich tät‘s nämlich auch brennend interessieren.“
Der junge unglückliche Mann, um den sich die ganze Aufregung drehte, saß verzweifelt auf einer Bank im Garten von Doktor Ingold. Hier hoffte er, von niemandem gefunden zu werden. Nur niemanden sehen, nur keine Fragen beantworten, sich am besten vor der ganzen Welt verstecken. Oder doch nicht ganz, er musste dringend mit Daniel reden. Der Arzt war im Augenblick vermutlich der einzige, der ihn verstehen konnte. Im Übrigen würde er auch helfen können – müssen, so jedenfalls hoffte Frank. Er war wirklich zutiefst verzweifelt, und für einen Augenblick wünschte er sich, gar nicht mehr zu leben.
Was sollte er nur tun? Wie sollte er sich verhalten? Allein schon, dass er vor dem Traualtar davongelaufen war, würde sich zu einem handfesten Skandal auswachsen, dessen war er sicher.
Dabei hatte er doch wirklich einen guten Grund, und mit seinem Verhalten hatte er Stefanie nur schützen wollen. Würde sie ihn verstehen, wenn er ihr alles erzählte? Vielleicht hätte er mit seinem Problem überhaupt zuerst zu seiner zukünftigen Frau gehen sollen? Dann hätte er die peinliche Situation heute vielleicht vermeiden können. Aber nein, gerade Stefanie wollte er ja davor bewahren, mit seinem Leid konfrontiert zu werden.
Ob nun wohl alle Gäste weg waren? Wie viel Zeit mochte inzwischen vergangen sein? Wann würde Daniel wohl zurückkommen? Frank versank wieder in dumpfes Brüten, bis ihn das Geräusch eines Autos aufschreckte. Doktor Ingold kehrte von seinen Hausbesuchen zurück, stieg aus dem Wagen, die unvermeidliche Tasche in der Hand, und ging mit festen Schritten auf sein Haus zu. Frank zögerte noch einen Moment. Konnte er dem Arzt wirklich vertrauen? Aber ja, wenn nicht ihm, wem sonst?
Er sprang auf und lief auf Daniel zu, der verblüfft mitten im Schritt innehielt.
„Frank? Was machst denn hier? Die anderen machen sich schon alle große Sorgen. Sag mal, willst net zurückgehen und ein bisserl was erklären? Ich denk‘, die Leut‘ haben alle ein Recht darauf.“
Heftig schüttelte der junge Mann den Kopf. Wie der Arzt bemerkte, sah er etwas derangiert aus, Flecken von Gras und Erde hafteten am Jackett, die Krawatte war nur noch nachlässig um den Hals geschlungen, und der kleine Blumenstrauß am Revers hing traurig herunter.
„Bis ich überhaupt mit irgendwem wieder ein Wort wechsle, muss ich dringend mit dir reden.“
„Dann komm herein, ich mach‘ uns einen Kaffee. Oder willst lieber in die Praxis? Ist es was Medizinisches?“ Daniel war voller Verständnis, er stellte keine überflüssigen Fragen, Frank würde ihm jetzt gleich schon alles erklären, was er wissen musste.
Wenige Minuten später saßen die beiden Männer sich am Küchentisch gegenüber, und der Doktor bemerkte, dass die Hände des anderen zitterten, während sie die Tasse umklammert hielten, als wäre sie der einzige Lebensfaden.
„So, jetzt sind wir allein. Willst mir was erzählen?“, forschte Daniel sanft.
Frank zog die Krawatte endgültig von seinem Hals weg, legte sie auf den Tisch und betrachtete sie voller Wehmut.
„Ich nehm‘ an, ein jeder hat gedacht, ich hätt‘ im letzten Moment Angst vor der Ehe bekommen und wär‘ deswegen weggelaufen?“, begann er zögernd.
„Dieser Eindruck drängte sich auf“, meinte Daniel, „aber ich glaub‘, da ist noch ein bisserl mehr.“
„Hast gar net so unrecht. Ich hätt‘ dies Theater gern vermieden, aber irgendwie fand ich keine Zeit mehr, um noch was zu ändern. Weißt, Daniel, ich bin heut‘ früh noch bei einem anderen Arzt gewesen. Das hat nix mit dir oder mangelndem Vertrauen zu tun. Ich wollt ganz einfach net, dass hier überhaupt jemand weiß, dass mit mir was net stimmt.“
Er machte eine Pause, doch Daniel schwieg. Niemals würde er jemandem Vorwürfe machen, wenn dieser einen guten Grund für sein Verhalten hatte. Außerdem spürte er, unter welch ungeheurer Anspannung Frank stand.
„Schau, das ist so. Ich hab mich vor einiger Zeit ganz normal untersuchen lassen, weil ich sicher sein wollt, dass ich als gesunder Mann in die Ehe gehe. Das hat dann eine Weile gedauert, bis alle Befunde beieinander waren. Und schließlich riet man mir, mich an einen Onkologen zu wenden, weil ich bei der Untersuchung gesagt hab, dass ich manchmal Probleme mit der Lunge hab. Die konnten allerdings nix finden, deswegen waren weitere Untersuchungen angesagt. Da hab ich aber immer noch gedacht, ich hätt‘ eine Erkältung verschleppt und wollt das Ganze net so ernst nehmen. Als es dann aber immer noch net wegging, bin ich doch zu einem Doktor in der Stadt gefahren. Weißt, ich wollt ganz einfach net, dass du mir Vorhaltungen machst, und außerdem sieht hier am Ort ein jeder alles. Da hätt‘s vielleicht auch Gerede gegeben, wenn ich so kurz vor der Hochzeit in die Praxis gekommen wär‘.“
Daniel nickte, er konnte diese Bedenken verstehen. Vreni hätte ganz bestimmt keine Hemmungen gehabt, den jungen Mann ganz offen zu fragen, an welcher Krankheit er litt.
Frank nahm einen Schluck aus seiner Tasse und fuhr fort.
„Naja, ich muss dir net erklären, wie solche Untersuchungen vor sich gehen. Auf jeden Fall hat der Doktor Kehl festgestellt, dass ich ...“ Frank schluckte und umklammerte seine Kaffeetasse noch fester. „Er hat festgestellt, dass ich Lungenkrebs hab.“
Daniel fixierte den Mann gegenüber. Das war ja eine verheerende Diagnose, und eine Verschwendung jungen Lebens.
„Doktor Kehl ist sich ganz sicher?“, forschte er sanft nach, obwohl das eigentlich überflüssig war. Werner Kehl galt in Fachkreisen als fähiger Diagnostiker, auch wenn er in seiner manchmal schroffen Art nicht immer das Vertrauen der Patienten genoss. Die wollten und mussten nun einmal gehätschelt werden, wenn sie die Befürchtung oder Bestätigung hatten, dass sie von einer schweren Krankheit heimgesucht wurden. Daniel selbst hatte schon viele seiner Patienten an den Kollegen überwiesen, und gerade im Bereich der Vorsorge vertraute der Alpendoktor ihm voll und ganz. Bereits viele schwere Fälle waren durch die sichere und kompetente Diagnose von Doktor Kehl vermieden worden.
„Er hat‘s mir grad heut‘ früh noch bestätigt“, erklärte Frank denn auch mit brüchiger Stimme. „Und ich wusst‘ gar net mehr, was ich machen sollt‘. Da konnte ich doch net mal mit der Stefanie drüber reden, ausgerechnet an unserem Hochzeitstag.“ Er lachte bitter auf, der Ton ging dann zu einem trockenen Schluchzen über.
„Hätt‘st aber vielleicht mit dem Herrn Pfarrer drüber reden sollen. Was du da grad vor dem Altar gemacht hast, war auch net besonders klug. Aber das lässt sich jetzt eh net mehr ändern. Ich denk‘, wichtig ist jetzt, dass du deiner Familie, und auch Stefanie und ihren Eltern erklärst, was los ist. Vorhin hätt‘s schon fast eine Rauferei gegeben, weil sich eure Väter net einig werden konnten über deine Dummheit. Außerdem solltest dir Gedanken machen, wie es nun weiter gehen soll. Sollt‘ der Doktor Kehl deine Behandlung weiter führen, dann würd‘ ich ihm meine Unterlagen zur Verfügung ...“
„Aber nein, wie kommst denn darauf?“, fragte Frank jetzt verblüfft.
„Na, ich dacht‘, du möchtest vielleicht einen Arzt außerhalb ...“
„Schmarrn“, unterbrach der junge Mann erneut. „Ich hab dir doch grad erklärt, warum ich net zuerst zu dir gekommen bin. Aber auf keinen Fall werd‘ ich mich woanders weiter behandeln lassen. Ich will schon, dass du das übernimmst. Zu dir hab ich Vertrauen, da braucht‘s keinen anderen Doktor. Wie schaut das aus, soll ich die Unterlagen von dort holen, oder schickt der dir was zu?“ Frank bemühte sich um ein bisschen Normalität, um seine Erschütterung zu verbergen.
„Darum brauchst dich net zu kümmern. Aber jetzt sag mir noch mal genau, was Doktor Kehl als Diagnose festgestellt hat.“
Gequält schaute Frank den Arzt an. „Ein Lungenkarzinom, inoperabel. Reicht das net?“
„Ja, fürs erste. Und es wird ganz bestimmt net besser werden oder weggehen, wennst dich jetzt selbst verrückt oder andere dafür verantwortlich machst. Du kannst jederzeit zu mir kommen, wennst reden willst oder auch mit dir selbst net fertig wirst. Es wird net leicht werden, das kann ich dir jetzt schon sagen. Es wird manchmal ganz plötzlich kommen, dass alles über dir zusammenschlägt und du glaubst, du fällst in ein großes schwarzes Loch. Dann wirst bestimmt wen brauchen, bei dem du einfach mal Dampf ablassen kannst. Ich weiß net, ob du noch jemanden hast, zu dem du ausreichend Vertrauen hast, musst du auch selbst wissen. Ich biete dir meine Hilfe an, kannst darauf zurückgreifen, wennst magst.“
Ein gequältes Lächeln zeichnete sich auf den schmalen Lippen des jungen Mannes ab.
„Ich bin dir sehr dankbar, auch dafür, dass du mich net gleich verurteilt hast. Wird vielleicht ein Fehler gewesen sein, die Stefanie allein da stehen zu lassen, und ich werd‘ mir was einfallen lassen müssen, um ihr das begreiflich zu machen. Aber ich hoff‘ ganz einfach, dass sie genug empfindet, um mir verzeihen zu können und zu verstehen, dass ich sie nur schützen wollt‘.“
„Und wann soll der neue Termin für eine Trauung sein?“, fragte Daniel lächelnd. Er hoffte, die erste schwierige Klippe umschifft zu haben.
„Ein neuer Termin? Aber niemals“, fuhr Frank auf. „Ich könnt es keinem Menschen zumuten, an meiner Seite zu bleiben und zuzusehen, wie ich langsam sterbe. Soll sie mich vielleicht pflegen und jeden Tag aufs Neue daran erinnert werden, dass sie schon in wenigen Wochen Witwe sein wird? So verrückt kannst net mal du sein, dass du das ernstlich vorschlägst.“
„Siehst da net doch ein bisserl zu schwarz?“
„Nein, ich mach‘ mir da nix vor, und du solltest das auch net erst versuchen“, erklärte Frank müde. „Du bist Arzt, ich muss dir doch bestimmt net erklären, wie der Krankheitsverlauf ist. Also fang‘ erst gar net an, mir was vorzulügen.“
Daniel seufzte. „Ich halt auch net viel davon, einen Patienten anzulügen. Aber es sollte dem Arzt gestattet sein, zum Schutz des Patienten, die Wahrheit ein bisserl zu verschleiern – ohne zu lügen.“
„Find‘st eigentlich immer eine Ausrede?“
„Nein, leider net“, musste der Doktor zugeben.
Am nächsten Tag bekam Daniel gegen Abend per Kurier einen Umschlag. Die Unterlagen von Doktor Kehl über den Patienten Frank Eschbacher waren detailliert und ausführlich. Die Sprechstunde in der Praxis zog sich noch eine ganze Weile hin, und der Arzt beschloss, erst am Abend, wenn er allein war, die Ergebnisse der Untersuchungen zu studieren und sich selbst ein Bild zu machen. Allerdings gab er sich keinen Illusionen hin, Doktor Kehl machte seine Arbeit stets sorgfältig und würde sich auch in diesem Fall kaum geirrt haben.
Endlich verließ auch der letzte Patient für heute die Praxis. Daniel verabschiedete seine beiden fleißigen Helferinnen, Hermine und Maria. Ohne diese beiden Frauen, die sämtliche organisatorischen und Hilfsarbeiten perfekt ausführten, während er sich selbst um die Diagnosen und Behandlungen der Patienten kümmerte, wäre der Arzt vermutlich aufgeschmissen. Er wusste recht gut um die unschätzbare Hilfe der beiden Frauen, die für ihren Chef durchs Feuer gehen würden. Für ihn war nichts selbstverständlich daran, dass besonders Minchen jeden Tag aufs Neue den Betrieb am Laufen hielt. Die junge Maria war noch nicht so lange in der Praxis, doch schon jetzt zeigte es sich, dass auch sie bald ebenso gut alles im Griff haben würde wie ihre ältere Kollegin. Außerdem war sie hoffnungslos verliebt in den Doktor, was sich auch nicht geändert hatte, seit sie selbst ihr Herz an einen jungen Mann verloren hatte. Der allerdings befand sich irgendwo in der Weltgeschichte und baute großartige Hochhäuser und andere Projekte in der Wüste. Irgendwann aber würde er zurückkommen, und Daniel befürchtete, dass er dann eine großartige Kraft verlieren könnte.
Jetzt aber war noch alles im grünen Bereich, und in der Praxis lief alles wie am Schnürchen.
Maria schaute dem Doktor hinterher, als der mit schweren Schritten in seine Wohnung hinüberging. Für ihn war noch längst nicht Feierabend. Von der anderen Straßenseite her näherte sich eine schlanke Gestalt. Bernie Brunnsteiner, die fesche Tierärztin und feste Freundin des Arztes, kam von daheim und wollte Daniel besuchen. Minchen, wie Hermine Walther meist genannt wurde, fand das eine hervorragende Idee. Es würde den Doktor ein bisschen ablenken von all den Sorgen, die er mit seinen Patienten hatte.
Die junge Frau winkte den beiden Arzthelferinnen fröhlich zu und lief leichtfüßig auf das Haus zu. Sie besaß einen Schlüssel und musste nicht klingeln. Drinnen hörte sie Daniel in der Küche hantieren, vermutlich unternahm er gerade einen Versuch, sich selbst etwas zu essen zu machen. Bernie wusste, dass er dann meist mit einem improvisierten Mahl vorliebnahm, daher wollte sie das lieber selbst in die Hand nehmen. Der Doktor liebte gutes Essen, doch allein schon durch seine unregelmäßigen Arbeitszeiten kam er manchmal zu nicht mehr als einer einfachen Brotzeit. Bernie verwöhnte ihren Daniel gern. Das war wenigstens ein kleiner Ausgleich dafür, dass sie noch immer keine Entscheidung getroffen hatte, ob und wann aus ihnen beiden in absehbarer Zeit ein Paar wurde. Dabei stand das eigentlich gar nicht zur Debatte, ob sie fest zusammenblieben, keiner von ihnen konnte sich ein Leben ohne den anderen vorstellen. Es war nur noch eine Frage der Zeit, von der allerdings beide nicht gerade im Übermaß besaßen.
Daniel stand am Tisch und bestrich ein Brot mit Butter. Bernie trat lautlos hinter ihn und hielt ihm die Augen zu.
„Wer bin ich?“, fragte sie.
Er runzelte die Stirn, wie sie spüren konnte. „Die Kaiserin von China?“, vermutete er dann scherzhaft.
„Nein.“
„Frau Holle?“
„Knapp daneben.“
„Kleopatra?“
„Einmal darfst du noch.“
Er griff nach ihren Händen, drehte sich um und zog die Frau an sich, um sie herzhaft abzubusseln. „Es ist schön, dass du ein bisserl Zeit für einen überarbeiteten Doktor hast. Du munterst mich immer wieder auf. Wie war deine Konferenz?“
Bernie hatte sich für drei Tage mit einigen Kollegen getroffen, um dringende Gespräche für den Verband der Tierärzte zu führen. Sie hatte daher den Skandal in der Kirche nicht miterlebt. Es gab jedoch in Hindelfingen nichts, was im Verborgenen bleiben konnte, so hatte Vreni nach der Rückkehr der jungen Frau nicht einmal eine Stunde Zeit verstreichen lassen, bis sie alle Einzelheiten bis ins Kleinsten erzählt hatte. Allerdings wusste die Klatschbase von Hindelfingen noch nichts von der Ursache für diesen Skandal. Bisher war es Frank offenbar gelungen das Wissen um seine schreckliche Krankheit im Kreise der Familie zu halten. Es war jedoch nur eine Frage der Zeit, bis alle am Ort darüber Bescheid wussten. Das musste und sollte auch in seinem Interesse sein, denn bisher galt sein Verhalten bei allen Leuten noch immer als unmöglich, die Gründe für diesen Skandal sollten besser nicht geheim bleiben.
Bernie gehörte jedoch zu den Menschen, die von Daniel auch schon mal ins Vertrauen gezogen wurden über Dinge und Vorfälle, die sonst absolut vertraulich waren. Doch sie war ja selbst Ärztin und von daher an Vertraulichkeit gewöhnt.
Die junge Frau machte sich jetzt daran, ein kleines schmackhaftes Essen zu zaubern. Aus den bunt zusammengewürfelten Zutaten mischte sie mit Eiern ein Omelette zusammen, bei dem Daniel das Wasser im Mund zusammenlief.
„Was würd‘ ich nur ohne dich tun?“, seufzte er zufrieden.
„Naja, verhungern wohl net gleich, ein Brot kannst dir ja immer noch machen. Und Kuchen bekommst ja auch reichlich von deinen Patienten geschenkt.“
„Es ist ja net nur das. Weißt, Bernie, es ist jeden Tag das gleiche, wenn die Sprechstunde beendet ist. Ich komm in die Wohnung, und ich fühl‘ mich allein, solange, bis du dann endlich kommst. Du fehlst mir, in jeder Minute, in der du net bei mir bist. Deine Stimme, deine Berührungen, dein Duft – ich vermisse dich ständig.“
Sie legte ihm sanft einen Finger auf die Lippen. „Sprich net weiter, Daniel, ich bitt‘ dich. Noch bin ich net so weit, dass ich guten Gewissens mit dir vor den Traualtar treten könnt‘. Ich liebe dich, Daniel, mehr als alles auf der Welt. Aber ich kann noch net. Sonst könnt‘s glatt passieren, dass ich dich da stehen lassen würde. Aber ich glaub‘, ein Skandal in der Kirche pro Jahr reicht.“ Bernie legte liebevoll einen Arm um Daniel, und er schmiegte sich an sie.
„Mag wohl sein, ich hätt‘ erst gar net davon anfangen dürfen“, sagte er leise. „Schließlich hab ich doch versprochen abzuwarten, bis du so weit bist. Können wir einfach so tun, als hätt‘ ich gar nix gesagt?“ Er verdrängte tief in seinem Innern die Gefühle, die ihn fast überwältigen, Bernie in die Arme zu reißen und den letzten kleinen Widerstand mit seiner Liebe endgültig zu überwinden.
„Hast denn irgendwas gesagt?“, wunderte sich Bernie jetzt gespielt ratlos. „Oh, Himmel, das Omelette.“
Hastig nahm sie die Pfanne vom Herd. Das Omelette war genau richtig, und beide aßen mit gutem Appetit.
„Was hast denn da noch für einen großen Umschlag? Hast dir etwa Arbeit mit nach Hause genommen?“, neckte sie ihn.
„Darüber wollt‘ ich mit dir noch reden. Der Frank hatt‘ tatsächlich einen guten Grund gehabt, die Stefanie vor dem Altar stehen zu lassen, auch wenn er das ein bisserl klüger hätt‘ anfangen sollen.“ Er berichtete von dem Gespräch mit dem jungen Mann, während beide ihre Mahlzeit beendeten. Anschließend betrachteten sie zusammen die Unterlagen, die Doktor Kehl geschickt hatte. Röntgenbilder, Blutanalysen, Laborwerte, alles deutete darauf hin, dass der Kollege sich tatsächlich nicht geirrt hatte.
„Oh, mein Gott, so ein junger Mensch, es tut mir ja so leid. Und es gibt nix, was wir noch tun könnten?“
„Wir?“, fragte Daniel erstaunt.
„Sicher dir, glaubst doch net, dass ich dich mit dem Problem allein lass? Überhaupt, man darf auch den Frank net allein lassen. Hast schon was gehört, ob er sich mit der Stefanie ausgesprochen hat? Ich tät‘s den beiden ja so wünschen, dass da net womöglich Hass zwischen ihnen steht.“
„Ich bin mir da gar net sicher, dass die Stefanie bereit ist, dem Frank die Sache so einfach zu verzeihen. Wenn ich nur dran denk‘, was sie noch vor dem Altar gesagt hat – na ja, und ihre Eltern waren auch net grad begeistert.“
„Aber dafür muss man schon Verständnis haben, auch wenn die Art und Weise sicher net ganz richtig war“, wandte Bernie ein.
„Na, wir werden sehen. Jetzt denk‘ ich aber doch, es ist an der Zeit, die Arbeit für heut‘ zu vergessen“, erklärte Daniel bestimmt und zog Bernie wieder an sich. „Ich glaub‘, es ist viel interessanter, mit dir über andere Dinge zu reden. Komm, erzähl mir lieber, wie dein Tag war.“
Nur zu gern ging die junge Frau auf diese Ablenkung ein. Es tat ihnen beiden gut, ab und zu die drängenden Probleme beiseite zu schieben. Sie ahnte schon jetzt, dass dieses Kapitel noch lange nicht ausgestanden war.
Frank war der Ansicht, dass es im Augenblick wohl besser war, mit Stefanie auf neutralem Boden zu reden. Würde er zu ihr nach Hause gehen, konnte es durchaus sein, dass sie ihm einfach die Tür vor der Nase zuschlug. So hatte er Vreni als Freundin beider Familien gebeten, sich als Vermittlerin zur Verfügung zu stellen. In ihrem Haus sollte es möglich sein, auf zivilisierte Weise mit der sitzengelassenen Braut zu reden. Vielleicht würde sie ja ohne lange Diskussionen bereit sein, ihm zu verzeihen und ihm die Hand zur Freundschaft zu reichen. Mit seiner Bitte kam der junge Mann der Neugier von Vreni natürlich entgegen. Sie wollte schließlich auch wissen, warum die Hochzeit des Jahres geplatzt war.
Nervös und mit feuchten Händen betrat Frank das Haus Kollmannberger. Stefanie war schon da, ihr Wagen stand draußen vor der Tür. Vreni schaute ihn nur einen Moment lang an, bemerkte, wie schlecht er ausschaute und zog ihn an sich. Sie hatte starkes Mitgefühl, überhaupt besaß die Frau ein goldenes Herz und war stets bereit zu helfen. Das wog ihre Neugier und ihre Klatscherei vielfach wieder auf.
„Stefanie ist im Wohnzimmer, ich mach‘ uns einen Kaffee und komm dann auch dazu.“
Zögernd ging Frank hinüber. Die Frau stand am Fenster, sie musste also gesehen haben, dass er angekommen war. Trotzdem rührte sie sich nicht, machte keine Anstalten ihn zu begrüßen.